Parlamentskorrespondenz Nr. 412 vom 30.06.2000

PENSIONSREFORM IM SOZIALAUSSCHUSS BESCHLOSSEN

Experten nahmen Stellung zu Plänen der Regierung

Wien (PK) - Die vieldiskutierte Pensionsreform für Arbeiter, Angestellte, Bauern und Selbstständige stand im Mittelpunkt der heutigen Sitzung des Sozialausschusses . Die ausführliche Diskussion fand unter Beiziehung von Experten statt, die zu den  - in der Regierungsvorlage für ein Sozialrechts-Änderungsgesetz - SRÄG 2000 -(181 d.B. ) enthaltenen - Vorhaben der Bundesregierung Stellung nahmen. Das SRÄG wurde schließlich unter Berücksichtigung von Abänderungsanträgen, die im Besonderen die Einführung einer Ambulanzgebühr zum Inhalt hatten, mit F-V-Mehrheit angenommen.

Das Sozialrechts-Änderungsgesetz 2000 sieht neben sozialversicherungsrechtlichen auch beschäftigungspolitische Maßnahmen vor. Die Eckpunkte der umfangreichen Sozialgesetzmaterie sind die Anhebung des Frühpensionsantrittsalters von 55 (Frauen) bzw. 60 (Männer) auf 56,5/61,5 Jahre beginnend mit Oktober 2000 schrittweise bis Oktober 2002; der Ausbau des Bonus-Malus-Systems, d.h. die Abschläge bei vorzeitiger Inanspruchnahme betragen nunmehr 3 % statt 2 % (maximal 10,5 %); der Bonus wird auf 4 % erhöht. Bei langer Versicherungsdauer (40 Jahre Frauen bzw. 45 Jahre Männer) gilt weiterhin das bisherige Pensionsantrittalter.

AMBULANZGEBÜHR AB 1. JÄNNER 2001

Von den Koalitionsparteien wurde zur Regierungsvorlage ein umfassender Abänderungsantrag sowie ein Paragraph-27-Antrag verabschiedet, der u.a. einen "Behandlungsbeitrag-Ambulanz" vorsieht: Für die ambulante Behandlung der Versicherten in Krankenanstalten wird mit Wirksamkeit 1. Jänner 2001 eine Gebühr zu entrichten sein, die bei ärztlicher Überweisung 150 S, ohne ärztliche Überweisung 250 S beträgt. Pro Versichertem (Angehörigem) und Kalenderjahr dürfen maximal 1.000 S für ambulante Spitalsbehandlungen eingehoben werden. Durch die Einführung dieses Behandlungsbeitrages werden Mehreinnahmen in der Höhe von 1 Mrd. S erwartet.

Wichtige Änderungen betreffen die Sozialversicherung der Bauern: Anhebung des Beitragssatzes in der Pensionsversicherung von 14 % auf 14,5 % (zur Steigerung des Eigenfinanzierungsgrades) sowie der Mindestbeitragsgrundlage von derzeit 50.000 S auf 55.000 S. Ebenso soll zum Zwecke der Krankenversicherung der Beitragssatz für die Bezieher einer Leistung aus der bäuerlichen Pensionsversicherung von von 3,75 % auf 4,25 % angehoben und der Behandlungsbeitrag pro Krankenschein von 52 S auf 90 S erhöht werden. Das fiktive Ausgedinge soll von 30 % auf 28 % gesenkt werden; im Gegenzug wird dafür ein Solidaritätsbeitrag der Pensionisten in der Höhe von 0,5 % der Bruttopension eingeführt. Durch die Aufhebung der Landesstellenausschüsse soll die Geschäftsführung der Sozialversicherungsanstalt der Bauern gestrafft werden, heißt es weiter im Antrag. Die SV-Anstalt der Bauern soll zudem ab dem Jahr 2001 am Ausgleichsfonds der Krankenversicherungsträger beteiligt werden.

Weitere Vorhaben: Einrichtung eines versicherungsübergreifenden Controllings in Form eines eigenen Verwaltungskörpers im Hauptverband, dem auch das Monitoring der Sozialversicherungsträger obliegt; Entfall der Ruhensbestimmungen bei "Teilpensionen" (bisher wurden 85 % der sonst gebührenden Alterspension ausbezahlt).

Abgeordneter Dr. FEURSTEIN (V) informierte darüber, dass gegenüber dem schon gestern vorliegenden Abänderungsantrag zusätzliche Punkte, v.a. bei der Sozialversicherung der Gewerblichen Wirtschaft, novelliert werden: Anhebung des Pensionsversicherungsbeitrages von 14,5 % auf 15 %, Absenkung de Mindestbeitragsgrundlage um 500 S, Senkung des Krankenversicherungsbeitrages von 8,6 % auf 8,4 %.

Ein weiterer Abänderungsantrag sah Übergangsregelungen für jene Personen vor, die darauf vertraut haben, zwischen dem 1. Oktober 2000 und dem 1. Februar 2001 die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer in Anspruch nehmen zu können und deren Dienstverhältnis im Vertrauen auf diese Rechtslage gelöst wurde. Diese Gruppe ist von der Anhebung des Frühpensionsalters nicht betroffen, falls das Dienstverhältnis nachweislich bis Ende Juni gelöst wurde.

Überdies wurde mittels eines F-V-Abänderungsantrages festgelegt, dass alle Pensionsversicherungsträger in den Jahren 2001 und 2002 ermächtigt sind, zum Ausgleich besonderer Härten die Dotierung des Unterstützungsfonds um 0,5 Promille anzuheben.

Im Zusammenhang mit der Einführung der Ambulanzgebühr ging der Ausschuss in einer Feststellung davon aus, dass gesetzliche Regelungen getroffen werden, die eine direkte Einhebung der Gebühr durch die Krankenanstalten ermöglichen und die Sozialversicherungsträger und der Hauptverband bemüht sind, patientenfreundliche Ordinationszeiten zu vereinbaren.

In einer weiteren Ausschussfeststellung wird auf die Tatsache Bezug genommen, dass in manchen Unternehmen Vorruhestandsmodelle in Form von Sozialplänen entstanden sind. Es soll daher klargestellt werden, dass die Anpassung der Sozialpläne durch die Sozialpartner auf betrieblicher Ebene erfolgen soll. Überdies wurde in Ausschussfeststellungen zum SRÄG auf Folgendes hingewiesen: Der Abfertigungsanspruch soll durch die Erhöhung des Anfallsalters nicht geschmälert werden; bei Durchführung des Frühwarnsystems bei der Kündigung älterer Arbeitnehmer möge unbürokratisch vorgegangen werden; als Wiedereinstellungszusagen sind nur solche Vereinbarungen zu verstehen, die eine Unterbrechung des Dienstverhältnisses für eine branchenübliche Dauer vorsehen und die auch erfüllt werden. - Mehrheitliche Billigung der Ausschussfeststellungen durch die Koalitionsparteien.

In einem von der Ausschussmehrheit beschlossenen Entschließungsantrag der Regierungsparteien wurde die Ministerin für soziale Sicherheit und Generationen ersucht, dem Nationalrat Gesetzentwürfe zuzuleiten, die eine flexiblere Gestaltung der Gleitpension gewährleisten und die Möglichkeit des Wechsels zwischen Pension und Erwerbstätigkeit schaffen.

AUSFÜHRLICHE DEBATTE MIT SOZIALRECHTSEXPERTEN

Dr. Josef PROBST (Hauptverband der Sozialversicherungsträger) kam auf die technischen Fragen im Zusammenhang mit der Einführung der Ambulanzgebühr zu sprechen und meinte, dass es noch keine Berechnungen seitens der Sozialversicherungsträger bezüglich der Einhebung gebe. Fachleute gehen jedoch davon aus, dass etwa 25 % der Gebühreneinnahmen für die Administration aufgewendet werden müssen. Er frage sich auch, ob es sinnvoll sei, der Einhebung von 150 S "nachzulaufen". Probst machte darauf aufmerksam, dass Kinder, chronisch Kranke (etwa Dialyse- und Krebspatienten) und Organempfänger (im Gegensatz zu Organspendern) nicht von der Ambulanzgebühr ausgenommen sind. Massiv betroffen sei man durch die Einbeziehung der Zahnambulatorien, erklärte er; dies sei ein "Schlag ins Gesicht" und seiner Meinung nach überdies verfassungswidrig. Was die Eingliederung der Sozialversicherung der Bauern in den Ausgleichsfonds betrifft, so rechne man damit, dass etwa 200 bis 500 Mill. S von den anderen Zahlern aufgewendet werden müssen.

Mag. Georg ZINIEL von der AK erklärte in seinem Statement, es treffe zwar zu, dass auch Selbständige und Bauern zur Kasse gebeten würden, jedoch stünde deren Beitrag in keiner Relation zu jenem der unselbständig Erwerbstätigen. Kritik übte Ziniel daran, dass die Ambulanzgebühr auch für Kinder und teilweise (unter gewissen Bedingungen) sogar für chronisch Kranke eingehoben werden solle. Bei der Idee eines zusätzlichen Controlling von staatlicher Seite bei den Sozialversicherungsträgern hegte Ziniel die Befürchtung, dass eine solche Maßnahme in die Selbstverwaltung eingreife. Schließlich ortete Ziniel eine mögliche Verfassungswidrigkeit durch die Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern und Selbständigen im Bereich der Rahmenfristerstreckung.

Dr. Richard LEUTNER vom ÖGB wies darauf hin, dass die finanziellen Auswirkungen der von der Regierung geplanten Maßnahmen durch die Plötzlichkeit ihrer Einführung, aber auch durch Kumulation, höher ausfallen werden als ursprünglich geplant. Für ein zusätzliches Controlling im Bereich der SV-Träger gebe es seines Erachtens keinen Bedarf, dieses sei definitiv kein Bürokratieabbau.

Dr. Martin GLEITSMANN von der Wirtschaftskammer meinte, man müsste die Gewerbliche Pensionsversicherung aus der Sicht des Bundes und nicht aus jener der Versicherten sehen, weshalb Ziniels Argumentation nur teilweise stimmig sei. Betroffen seien alle Berufsgruppen von den Maßnahmen, die Wirtschaft jedoch besonders, weil sie auch als Dienstgeber in die Ziehung genommen werde. Die Fama, dieses Paket richte sich besonders gegen die Arbeitnehmer, könne vor diesem Hintergrund wohl nicht aufrecht erhalten werden, argumentierte der Wirtschaftskämmerer.

Abgeordnete SILHAVY (S) äußerte ihren Unmut über eine Presseaussendung, in der  V-Abgeordneter Feurstein mit der Aussage zitiert werde, trotz Hearing werde sich an den Plänen der Regierung nichts mehr ändern. Dies sei ein "empörender Umgang mit der Demokratie", denn als Selbstbeschäftigungsprogramm dürfe man den Ausschuss nicht betrachten. Sodann stellten sie und ihr Fraktionskollege DIETACHMAYR konkrete Fragen bezüglich der Pensionsregelungen resp. der Ambulanzgebühr an die Experten.

Abgeordneter Mag. HAUPT (F) erläuterte die Intentionen der Regierungsparteien hinsichtlich der Ambulanzgebühr und hielt Silhavy entgegen, seine Fraktion sei sehr wohl offen für Adaptionen, sollten sich Alternativvorschläge als zielführender erweisen. Ziel müsse es sein, eine Verbesserung des Systems im Interesse aller Versicherten zu erreichen, weshalb auch ein Controlling erforderlich sei, hätten sich doch die bisherigen Instrumentarien als unzulänglich erwiesen. Haupt nannte die geplanten Ausnahmeregelungen und bezeichnete die Vorschläge der Regierung als ein "tragfähiges Modell" im Interesse aller.

Abgeordneter ÖLLINGER (G) forderte die anwesenden Regierungsmitglieder auf, ebenfalls Stellung zu beziehen, und fragte, weshalb ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt eine Debatte über eine private Pensionsvorsorge forciert werde.

Bundesministerin Dr. SICKL erklärte, die geplanten Maßnahmen brächten in Summe Einsparungen von 13,5 Mrd. S, wenn man die eine Milliarde für arbeitsmarktpolitische Initiativen in Abzug bringe. Bei der Verbesserung der Gremien der Sozialversicherungsträger gehe es nicht um Parteipolitik, sondern um eine Demokratisierung. Man wolle ein gutes System erhalten, es aber durch Reformen auf die Höhe der Zeit bringen. Dies mit dem Interesse, dass es nicht zu einer Zweiklassengesellschaft bei Kranken und Pensionisten kommt.

Die Ambulanzgebühr sei ein gerechtfertigtes Steuerungsinstrument, zumal in Härtefällen ohnehin entsprechende Ausnahmen geplant seien. Wo es im niedergelassenen Bereich keine Alternativen gebe, entfalle die Ambulanzgebühr. Dies gelte aber auch für chronisch Kranke, Dialysepatienten und auch für Aids-Kranke. Im übrigen sei festzuhalten, dass Bauern und Selbständige mehr zu diesen Maßnahmen beitrügen, also nicht gesagt werden könne, dieses Paket treffe nur die Arbeitnehmer. Privatpensionen seien eine zusätzliche Säule, die additiv zum staatlichen Pensionssystem möglich sein müsse.

Bundesminister Dr. BARTENSTEIN schloss daran an und meinte, im Bereich der Krankenversicherung gebe es auch ein Nebeneinander zwischen diesen Typen. Schließlich sollten private Pensionen die staatliche ja nicht ersetzen, sondern sie lediglich ergänzen. Auch Bartenstein unterstrich die Ansicht, dass Selbständige und Bauern in gleichem Ausmaß von den Maßnahmen betroffen seien, hier also keineswegs nur auf Kosten der Unselbständigen vorgegangen worden sei.

Der Ressortleiter bedauerte, dass seitens der Opposition keine parlamentarischen Alternativen zur Pensionsreform vorgelegt wurden. In dieser Legislaturperiode werde es keinen weiteren Vorschlag für eine Pensionsreform geben. Es sei auch nicht daran gedacht, das Pensionsantrittsalter bei der vorzeitigen Alterspension um weitere 18 Monate anzuheben, teilte er auf eine diesbezügliche Anfrage mit.

S-Abgeordnete SILHAVY brachte im Rahmen der Aussprache mit den Experten namens ihrer Fraktion einen Abänderungsantrag ein, in dem sie u.a. für die Einrichtung eines Heilmittelbudgets eintritt, um die überproportionalen Kostensteigerungen in diesem Bereich einzudämmen. Überdies schlug sie vor, die Mutterschaftsleistungen inklusive Wochengeld zur Gänze aus dem FLAF zu finanzieren.

In einem S-Entschließungsantrag betreffend transparente Weiterentwicklung des gesetzlichen Pensionsversicherungssystems kritisieren die Abgeordneten der SPÖ die geplanten Eingriffe in die Altersversorgung, die das Vertrauen der Bevölkerung in das Pensionssystem erschütterten. Die Bundesregierung wird daher aufgefordert, eine neuerliche Regierungsvorlage auszuarbeiten, die u.a. einen Maßnahmenplan für ältere ArbeitnehmerInnen enthält, umfassende gesundheitspolitische Vorkehrungen einschließlich ausgeweiteter Rehabilitationsanstrengungen vorsieht, eine höhere Eigenfinanzierung v.a. bei der bäuerlichen und gewerblichen Pensionsversicherung garantiert, die kostengerechte Finanzierung der Ersatzzeiten sicherstellt und die Voraussetzungen schafft, um die organisierte Schwarzarbeit wirksam zu bekämpfen.

Beide S-Anträge fanden keine Mehrheit. (Schluss)