Parlamentskorrespondenz Nr. 656 vom 09.09.2005

50 JAHRE ASVG - FESTAKT IM PARLAMENT

Soziale Sicherheit ist die verlässlichste Grundlage der Demokratie

Wien (PK) - Am 9. September 1955, auf den Tag genau vor 50 Jahren, beschloss der Nationalrat das Bundesgesetz über die Allgemeine Sozialversicherung (ASVG). Aus diesem Anlass lud Nationalratspräsident Andreas Khol gemeinsam mit dem Sozialministerium und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger heute zu einer Feierstunde in das Parlament. Die zahlreichen prominenten Teilnehmer und Gäste aus dem In- und Ausland mit Bundespräsident Heinz Fischer an der Spitze, begrüßte der Generaldirektor des Hauptverbandes, Josef Kandlhofer.

In seiner Einleitung zitierte Josef Kandlhofer den ÖGB-Präsidenten und Zweiten Nationalratspräsidenten Josef Böhm: "Soziale Sicherheit ist die verlässlichste Grundlage der Demokratie", ein Satz, der auch in der Zeit des Börsekapitalismus seine Gültigkeit nicht verloren habe. Auch für das seit 1955 64 mal novellierte ASVG gelte aber, so Kandlhofer, der Satz Tomasi di Lampedusas, "Wer Gutes bewahren will, muss vieles verändern", da sich die Rahmenbedingungen für das System der sozialen Sicherheit völlig verändert haben, wobei Kandlhofer aktuell die demographische Entwicklung und die Mobilität von Menschen und Kapital erwähnte.        

ALOIS DRAGASCHNIG: AM ANFANG WAR DIE NOT

Generaldirektor a. D. Alois Dragaschnig würdigte das ASVG als eine der tragenden Säulen des österreichischen Systems der sozialen Sicherheit. Historisch ausholend schilderte Dragaschnig die Entwicklung staatlicher sozialer Sicherungssysteme seit der Befreiung der Bauern von der Leibeigenschaft im Jahr 1781 durch Josef II. über die auf der Solidarität der Arbeiter beruhenden freiwilligen Selbsthilfereinrichtungen als Keimzellen der späteren Sozialversicherungsgesetze bis hin zu den als Klassenversicherungen konstruierten Sozialversicherungen der Lohnempfänger, denen lange das Odium von  Arme‑Leute‑Einrichtungen anhing. Die wirtschaftlichen und sozialen Katastrophen, die zeigten, dass Eigenvorsorge nicht so krisensicher ist, als man vordem glaubte, führten in der Folge zur Einbeziehung nahezu aller Berufsgruppen in die Sozialversicherung, die sich so zu einer Volksversicherung entwickelte. In diesem Zusammenhang wies Dragaschnig auf die Bedeutung des Umlageverfahrens hin sowie darauf, dass die soziale Pflichtversicherung im heutigen gesellschaftlichen Bewusstsein ebenso fest verankert ist wie die von Maria Theresia angeordnete Schulpflicht.

Dann wandte sich der Experte den aktuellen Problemen der Krankenversicherung zu. Deren Kosten hängen vom Gesundheitsmarkt ab, wobei Österreich zu den an Ärzten und Spitalsbetten reichsten Ländern zählt. Selbstbehalte beurteilt Dragaschnig als wirksame Finanzierungsmittel, hält sie aber als Steuerungsmittel für unbrauchbar. Hoffnungen auf die Wirkung der Gesundheitsprävention teilte Dragaschnig nicht, da der "homo sapiens" sein Attribut nicht verdiene und nicht bereit sei, auf ungesunde Lebensgenüsse zu verzichten. Eine Absage erteilte Dragaschnig der Forderung nach einer sparsameren Verwaltung der Krankenkassen und wies darauf hin, dass ein ASVG‑Versicherter für seine Krankenversicherung 7,5 % zahle und 55 € für die Verwaltung - in Deutschland liegen die Vergleichswerte bei 14 % und 162 €. Zur Lösung der Finanzprobleme der Krankenkassen plädierte Dragaschnig für eine Erhöhung der Höchstbeitragsgrundlage.

Das im internationalen Vergleich anspruchsvolle Pensionsrecht des Jahres 1955 ruhte auf einem durch hohes Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung und Geburtenfreudigkeit genährten Optimismus. In den achtziger Jahren wurde die Ausfallshaftung des Bundes wegen der steigenden Arbeitslosigkeit aber zunehmend in Anspruch genommen, und wurden in weiterer Folge Leistungseinschränkungen vorgenommen, die man mit dem Terminus "Reform" verbrämte.

Die vor uns stehende Entwicklung bezeichnete Dragaschnig als ernst: Steigende Lebenserwartung und niedriges Pensionsantrittsalter führen bei sinkender Erwerbsdauer zu einem längeren Pensionsbezug. "Wollen wir der kommenden Generation nicht eine völlig aus der Balance geratene Gesellschaftsordnung hinterlassen, müssen wir den Mut zur Wahrheit aufbringen", sage Dragaschnig und sprach sich aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit dafür aus, die Stützung der Pensionen durch Steuergeld für alle Gruppen gleich zu gestalten.

Durch das Programm führte als Moderatorin die ORF-Journalistin Gertrude Aubauer. Für die mit viel Applaus bedachte musikalische Umrahmung sorgten die Vienna Classical Players mit Stücken von Johann Christian Bach, Joseph Haydn, Anton Reicha und Antonio Vivaldi. (Fortsetzung)