Parlamentskorrespondenz Nr. 31 vom 18.01.2012

Justizopfer des autoritären Ständestaats werden rehabilitiert

Einhellige Zustimmung zu Aufhebungs- und Rehabilitierungsgesetz

Wien (PK) – Mit breiter Mehrheit machten in der heutigen Nationalratssitzung die Abgeordneten den Weg zur Rehabilitierung österreichischer Justizopfer der Jahre 1933 bis 1938, vorbehaltlich der noch ausstehenden Zustimmung durch den Bundesrat, frei. Damit sollen alle Urteile von ordentlichen Strafgerichten sowie von Sonder- und Standgerichten aus der Zeit des autoritären Ständestaats rückwirkend aufgehoben werden, wenn die verurteilte Tat im Kampf um ein unabhängiges und demokratisches Österreich erfolgt ist. Ausdrücklich umfasst sind auch politische Meinungsäußerungen. Der Gesetzentwurf passierte das Plenum einstimmig.

Von der Rehabilitierung sind jene Personen umfasst, die zwischen 6. März 1933 und 12. März 1938 strafgerichtlich verurteilt oder verwaltungsbehördlich angehalten oder ausgebürgert wurden, weil sie sich – in Wort oder Tat –  für ein unabhängiges, demokratisches und seiner geschichtlichen Aufgabe bewusstes Österreichs eingesetzt haben. Damit greifen die Abgeordneten die Formulierung des Opferfürsorgegesetzes auf. Die entsprechenden Urteile und Entscheidungen werden nicht nur rückwirkend aufgehoben, auch ihr Unrecht wird in einer eigenen Klausel dezidiert festgehalten. Ebenso wird all jenen, die sich zwischen 1918 und 1938 für ein unabhängiges und demokratisches Österreich eingesetzt haben, ausdrücklich Anerkennung gezollt.

Über diese allgemeine Urteilsaufhebung und Rehabilitierung hinaus, können betroffene Personen bzw. deren Ehegatten, eingetragene Partner, LebensgefährtInnen, Verwandte in gerader Linie oder Geschwister außerdem per Antrag eine Feststellung erwirken, dass die Verurteilung als nicht erfolgt gilt. Die Entscheidung obliegt dem Wiener Landesgericht für Strafsachen, wobei dieses in Zweifelsfällen einen beim Justizministerium einzurichtenden sechsköpfigen Rehabilitierungsbeirat zur Prüfung der Faktenlage beiziehen kann. Entschädigungs- und Rückersatzansprüche können aufgrund des Aufhebungs- und Rehabilitierungsgesetzes nicht erhoben werden.

Zweiter Präsident des Nationalrats Fritz NEUGEBAUER (V) erinnerte eingangs seiner Rede daran, dass die Ereignisse des Februar 1934 in der Zweiten Republik lange ausgeblendet geblieben seien. In den letzten Jahren sei nun der Versuch einer Aufarbeitung des autoritären Ständestaates begonnen worden. Er freue sich darüber, dass nach einer von Sachlichkeit geprägten Debatte nun dieses Gesetz zustande gekommen sei. Mit ihm erfolge die Aufhebung von Verurteilungen der Zeit von März 1933 bis März 1938 und die Rehabilitierung all jener, die sich für ein demokratisches Österreich eingesetzt haben. Damit drücke man den Opfern wie auch ihren Nachkommen den ihnen zukommenden Respekt aus. Das Gesetz sei in einer vorbildhaften Drei-Parteien-Einigung zustande gekommen, erläuterte Neugebauer und dankte den an der Diskussion Beteiligten. Er erhoffe sich nun die allgemeine Zustimmung im Plenum, schloss Neugebauer.

Abgeordneter Johannes JAROLIM (S) sprach von einer historischen Stunde im Parlament und einem großem Schritt in der Aufarbeitung der österreichischen Geschichte. Nach mehreren Anläufen sei es gelungen, eine gemeinsame gesetzliche Lösung zu finden. Die SPÖ habe 2002 erstmals das Thema eines solchen Rehabilitierungsgesetzes aufgeworfen und auch dazu mit Nationalratspräsident Khol erste Gespräche geführt. Anfänglich war diesen kein Erfolg beschieden. Zu unterschiedlich sei die Einschätzung der Dollfuß-Diktatur zu ausgefallen. Mit wissenschaftlicher Unterstützung habe aber in der Folge ein offener Umgang mit diesem Kapitel der Geschichte und die Anerkennung historischer Wahrheiten erreicht werden können. Es sei nun möglich geworden, dass jenen, die sich für ein demokratisches und unabhängiges Österreich eingesetzt haben, die ihnen zukommende Anerkennung zuteilwerde. Jarolim dankte den Beteiligten, die dazu beigetragen haben, dass auch die letzten Überlebenden die Anerkennung erhalten und jene, die sich für ein freies, demokratisches Österreich eingesetzt haben, rehabilitiert werden.

Abgeordneter Peter FICHTENBAUER (F) meinte, es sollte besser von einem "Versöhnungsgesetz" gesprochen werden, und auch die Begründung des Gesetzes sei nicht frei von Geschichtsklitterung. Der Begriff des "Kampfes für Demokratie" sollte genauer gefasst werden, meinte er und sprach davon, dass die Kampfhandlungen von Seiten des Republikanischen Schutzbundes noch vor dem Einsetzen von Repressionen, durch welche sie zu rechtfertigen gewesen seien, eröffnet worden seien. Die Ereignisse dieser Jahre hätten in einem Dominoeffekt letztlich zum Ende der parlamentarischen Demokratie in Österreich geführt. Auch den zum Dienst verpflichteten Exekutivbeamten und Mitgliedern des Bundesheeres, die in den Kämpfen umgekommen seien, sollte die Anerkennung nicht versagt werden. Die FPÖ wolle aber bei der Versöhnung nicht abseits stehen, wenn diese auch noch unvollständig sei, und werde dem Gesetz daher zustimmen. 

Abgeordneter Harald WALSER (G) widersprach seinem Vorredner, dass die Frage einer Rehabilitierung von Polizisten und Bundesheer sich prinzipiell nicht stelle. Gegen sie habe es ja keine Unrechtsurteile gegeben. Insgesamt sei das Gesetz ein historisch zu nennender Beschluss. Walser erinnerte daran, dass die Zerstörung der Demokratie und der Aufstieg des Faschismus auch Resultat einer falschen Wirtschaftspolitik der zwanziger und dreißiger Jahre gewesen sei. Es sei sicher keine Geschichtsklitterung, sondern die Einkehr der Normalität in der Betrachtung der historischen Ereignisse, die nun stattfinde. Erstmals werde Unrecht als solches auch benannt und den Verteidigern der Republik und Demokratie die gebührende Achtung ausgedrückt. An der Legitimität dieses Widerstands bestehe kein Zweifel. Grundsätzlich positiv sei auch die Anwendung der Bestimmungen des Opferfürsorgegesetzes auf diese Gruppe. Die Verwendung des Begriffes Faschismus sei zwar für ihn im Gesetz nicht deutlich genug gefasst, meinte er. Das Wichtigste sei aber, dass ein großes Tabu der historischen Auseinandersetzung in Österreich nun endlich gebrochen sei. Es sei auch deshalb wichtig, weil immer noch Betroffene der Ereignisse lebten. Auf das Ergebnis könne man stolz sei, es sei ein Beschluss, der einer Demokratie würdig sei und ein Muster für eine vorbildliche politische Auseinandersetzung darstelle.

Abgeordneter Christoph HAGEN (B) meinte, Kern des Gesetzes sei die Rehabilitierung von Personen, die sich in der Zeit des Austrofaschismus für ein unabhängiges und demokratisches Österreich eingesetzt haben. Das sei grundsätzlich als positiver Schritt zu werten. Es werde damit auch allen, die sich für eine demokratisches System in Österreich eingesetzt haben, die Anerkennung ausgesprochen. In der Frage der Rehabilitierung von Justizopfern habe man einen guten Weg gefunden, das BZÖ werde diesem Gesetz daher gerne die Zustimmung erteilen.

Nationalratspräsidentin Barbara PRAMMER (S) betonte, für sie gebe es ganz persönliche Beweggründe, wenn sie sich als Abgeordnete zu diesem Thema zu Wort melde. Die Ereignisse des Februar 1934 hätten tiefe Spuren im Bewusstsein ihrer Familie und ihrer Heimatgemeinde Ottnang hinterlassen. Im Arbeiterheim im Ortsteil Holzleithen der Gemeinde Ottnang wurde am 13. Februar 1934 eine Gruppe unbewaffneter Sanitäter standrechtlich erschossen. Erst vor wenigen Jahren konnte durch das Theaterprojekt "Hunt oder Der totale Februar" die Aufarbeitung der Vorfälle in ihrer engeren Heimat in Gang gebracht und ein Gespräch darüber begonnen werden. Prammer erinnerte daran, dass etwa 140 Menschen unmittelbar nach den Ereignissen des Februar 1934 vor Standgerichte gestellt und Dutzende hingerichtet wurden. Sie führte die Namen einer Reihe bekannter Opfer der Justiz an und hielt fest, es gebe noch vieles aufzuarbeiten, was diesen Abschnitt der Geschichte betrifft. Es sei aber nun gelungen, auch wenn es sehr spät geschehe, den Opfern Achtung und Anerkennung auszusprechen. Prammer bedankte sich bei allen, die zum Gelingend des Gesetzes beigetragen hatten.

Abgeordneter Albert STEINHAUSER (G) meinte, nach der Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure werde nun das letzte Justizkapitel, das noch der Aufarbeitung bedurfte, aufgearbeitet. Wenn das so lange gedauert habe, so zweifellos deshalb, weil es lange ein "politisches Minenfeld" war. Vor einigen Jahren sei die Zeit jedoch gekommen, in Gespräche darüber einzutreten. Eine wichtige Rolle habe dabei das Engagement vieler HistorikerInnen gespielt. Jetzt habe man einen wichtigen Zwischenschritt in der Aufarbeitung dieses Abschnittes der österreichischen Geschichte gesetzt. Es werde damit klar ausgesprochen, dass die Anwendung von Hoheitsgewalt und militärischer Zwangsgewalt gegen jene, welche die Demokratie verteidigten, Unrecht gewesen sei. Das Gesetz sei auch für viele noch lebende Angehörige der Opfer wichtig. Auch Steinhauser bedankte sich bei allen, die viel Arbeit für das Zustandekommen des Gesetzes geleistet haben.


Auch S-Abgeordneter Günther KRÄUTER (S) drückte allen, die am Zustandekommen des Gesetzes mitgewirkt haben, seinen Dank aus. Er erinnerte sodann an das Schicksal des sozialdemokratischen Politikers und Abgeordneten Koloman Wallisch, der zum Tode verurteilt wurde, weil er gegen Faschismus und Diktatur gekämpft und sich für ein freies, demokratisches Österreich eingesetzt hatte. Für die Sozialdemokratie habe das Gesetz große Bedeutung. Mit ihm werde jahrzehntelanger Einsatz für die die Rehabilitierung der Opfer mit Erfolg gekrönt. 

Abgeordneter Johann MAIER (S) sah das Gesetz ebenfalls als die überfällige Aufarbeitung der Zeit von 1933 bis 1938. Es sei ein Zeichen demokratischer Reife. Die historische Auseinandersetzung müsse aber zweifellos weitergehen. Maier zitierte, um das zu unterstreichen, aus einzelnen Urteilen, die in seiner engeren Heimat Salzburg über Personen, die sich für die demokratische Republik eingesetzt hatten, gefällt worden waren. Das vorliegende Gesetz sei ein Beispiel für konstruktive Zusammenarbeit der Parlamentsparteien, meinte er abschließend.

In der Abstimmung wurde der Gesetzesentwurf in Zweiter und Dritter Lesung einstimmig angenommen. (Fortsetzung Nationalrat)