Parlamentskorrespondenz Nr. 184 vom 14.03.2012

Folterpraxis noch immer vielerorts Normalität

Manfred Nowak präsentiert sein Buch über weltweite Folterpraktiken

Wien (PK) - Nationalratspräsidentin Barbara Prammer lud gemeinsam mit der Vereinigung der Parlamentsredakteure und –redakteurinnen heute Vormittag zur Präsentation des im Verlag Kremayr und Scheriau erschienenen Buches "Folter. Die Alltäglichkeit des Unfassbaren" von Manfred Nowak in das Palais Epstein. Seit Jahrtausenden werden Menschen von Menschenhand gefoltert – und auch im 21. Jahrhundert ist das Thema Folter Nowaks neuem Buch zufolge immer noch brandaktuell.

Menschenrechtsexperte Manfred Nowak untersuchte von 2004 bis 2010 als Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen Folterpraktiken und Haftbedingungen auf der ganzen Welt. Ursprünglich fasste Nowak seine Erfahrungen und Erlebnisse nur in UN-Berichten zusammen. Nun finden Details seiner Untersuchungen erstmals in Buchform gesammelt den Weg an die Öffentlichkeit.

In ihrer Begrüßungsrede betonte Nationalratspräsidentin Prammer das große Interesse an Manfred Nowaks neuer Publikation, die sich nicht nur am dicht gefüllten Veranstaltungssaal im Palais Epstein zeigte, sondern auch an den zahlreichen Medienberichten zu dem Buch. Prammer erwähnte außerdem ein für sie prägendes Zusammentreffen mit dem Menschenrechtsexperten Nowak im Jahr 2008, als sie in New York im österreichischen Kulturforum eine von ihm mitkuratierte Ausstellung über Todesstrafe eröffnet hatte. Ein solches Thema in den USA ausstellungstechnisch zu vermitteln, zeuge von großem Mut, so Prammer; diese Einstellung beweise Nowak auch mit seiner unermüdlichen Arbeit für die Menschenrechte, hob die Nationalratspräsidentin hervor.

Barbara Köszegi vom Verlag Kremayr und Scheriau bot eine inhaltliche Einführung in das Buch, in dem Manfred Nowak seine Untersuchungsmissionen als UN-Sonderbeauftragter für Folter in 18 Ländern mit Empathie und Aufmerksamkeit niedergeschrieben hatte.

Im Anschluss daran bat ORF 1-Info-Chefin Cornelia Vospernik zum Gespräch mit Manfred Nowak. Der Autor hielt dabei fest, dass Folter eine schwere Art der Menschenrechtsverletzung sei, daher könne man nicht tolerieren, dass dieses Verbrechen in vielen Ländern immer noch als "Kavaliersdelikt" gesehen wird. Nowak erinnerte daran, dass alle Länder der Welt sich zu den absolut gültigen Menschenrechten bekannt hätten und kritisierte, dass an vielen Orten der Erde dennoch Foltermethoden mit dem gleichen Ansinnen wie im Mittelalter – das Opfer zu bestrafen, einzuschüchtern und seinen Willen zu brechen - fortwährend praktiziert würden.

Staatliche Billigung der Folter als Grundproblem

"Folter ist die schwerste Form der Misshandlung und stellt wie die Sklaverei einen unmittelbaren Angriff auf den Kern der menschlichen Persönlichkeit, ihre Integrität und Würde dar". In diesem Satz aus Nowaks 2012 publiziertem Buch summiert der Autor alle Definitionen von Folter. Mit "Folter. Die Alltäglichkeit des Unfassbaren" versucht Nowak, die unvorstellbaren Grausamkeiten etwas fassbarer zu machen, Ursachen und Mechanismen von Folter aufzuzeigen und dadurch die Zivilgesellschaft zum Engagement gegen Folter zu motivieren.

2012 wird immer noch in mehr als 90 Prozent der Staaten gefoltert, stellt Nowak auf Grundlage seiner Erfahrungen fest. Vor allem Sicherheitsbehörden und Militärs würden Häftlingen schwere physische und psychische Schmerzen zufügen, um Geständnisse oder Informationen zu erzwingen. Im Auftrag der UNO hatte der Universitätsprofessor für Menschenrechte sechs Jahre lang die Möglichkeit, mit seinem Team Folterpraktiken und Haftbedingungen weltweit unangekündigt und weitgehend unbeobachtet zu inspizieren und zu dokumentieren. In unzähligen vertraulichen Gesprächen mit Häftlingen erfuhr Nowak dabei aus erster Hand von den Qualen der Inhaftierten.

Nicht nur in Diktaturen sei Folter an der Tagesordnung, so Nowak, sondern auch in Demokratien würden Folterpraktiken als alltägliche Methode, Geständnisse zu erpressen, angewandt. In den USA hatte die Bush-Regierung sogar versucht, Folter als notwendiges Instrument der Wahrheitsfindung zu legitimieren, erläutert der Menschenrechtsexperte, etwa in Abu Ghraib oder Guantánamo. Auch die europäische Asyl- und Migrationspolitik kritisiert Nowak mit Hinblick auf den Zustand der Migrationszentren in Griechenland, in denen Flüchtlinge und Migranten unter menschenunwürdigen Verhältnissen auf engstem Raum eingepfercht sind.

Als Sonderberichterstatter war es die Aufgabe Nowaks, Haftbedingungen und Folterpraktiken unabhängig und objektiv zu untersuchen und aufzuzeigen, Rechtsfragen in Zusammenhang mit Folter zu klären und Vorschläge zu unterbreiten, wie Folter und Misshandlung am besten bekämpft und verhindert werden können. Zur Abschaffung von Folter mittels einer grundlegenden systemischen Änderung im Rechtsverständnis eines Staates sieht Nowak allerdings vorrangig den entsprechenden politischen Willen als maßgeblich an.

Nowak schildert auch die Probleme, auf die er und sein Untersuchungsteam bei ihren Inspektionen stießen. Von Abhöraktionen bis zu körperlicher Bedrohung erlebte Nowak alle möglichen Versuche von Sicherheitsbehörden, die Arbeit der Berichterstattung zu behindern.

Der Autor

Manfred Nowak, Professor für internationales Recht und Menschenrechte an der Universität Wien sowie Gründer und einer der wissenschaftlichen Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts, wurde 1950 in Bad Aussee, Steiermark, geboren. Er promovierte an der Universität Wien zum Doktor der Rechtswissenschaften und erhielt den Master of Laws an der Columbia University in New York. Als UNO-Experte für erzwungenes Verschwindenlassen war er zwischen 1993 und 2006 tätig, von 1996 bis 2003 arbeitete er als Richter an der Menschenrechtskammer für Bosnien und Herzegowina in Sarajevo, UNO-Sonderberichterstatter über Folter war er von 2004 bis 2010. Seit 2000 ist Nowak Leiter einer Besuchskommission des Menschenrechtsbeirats im Innenministerium. (Schluss)

HINWEIS: Fotos von dieser Buchpräsentation finden Sie – etwas zeitverzögert – auf der Website des Parlaments (www.parlament.gv.at) im Fotoalbum.