Parlamentskorrespondenz Nr. 190 vom 15.03.2012

AVISO: Quadriga 11 zum arabischen Frühling

Buchpräsentation im Palais Epstein

Wien (PK) - "Der Arabische Raum im Umbruch" wird in der diesjährig ersten Veranstaltung der Buchpräsentationsreihe Quadriga, zu der Nationalratspräsidentin Barbara Prammer heute, am 15. März 2012 einlädt, beleuchtet. Das Palais Epstein dient einmal mehr als Rahmen für die Präsentation von vier Neuerscheinungen, die sich mit der Geschichte der Aufstände und den jüngsten politischen Entwicklungen in arabischen Staaten befassen. Auf Grundlage dieser Bucherscheinungen diskutieren Kristina Bergmann (NZZ-Korrespondentin), Karim El-Gawhary (ORF-Korrespondent) und Hartmut Fähndrich (Arabist, Übersetzer und Autor) die Ursprünge des "arabischen Frühlings", der 2010 mit dem Umbruch in Tunesien seinen Anfang nahm, und darüber, welche Konsequenzen die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen sowie die neu geordneten Machtverhältnisse im arabischen Raum für die Region und die Welt haben. Analysiert wird auch die Rolle sozialer Medien wie Facebook oder Twitter in dieser Zeit des Umbruchs.

Die Moderation der Diskussionsrunde übernehmen Zita Bereuter (FM4) und Peter Zimmermann (Ö1). Begrüßt werden die Gäste durch Nationalratspräsidentin Barbara Prammer.

Veranstaltungsbeginn ist um 18.00 Uhr. Für die Teilnahme ist eine verbindliche Anmeldung unter veranstaltungen04@parlament.gv.at  erforderlich.

Impulse für die Diskussion bieten folgende Buchneuerscheinungen:

Wael Ghonim: Revolution 2.0. Wie wir mit der ägyptischen Revolution die Welt verändern. Econ Verlag (2012)

Kristina Bergmann: Tausendundeine Revolution: Die arabische Welt im Umbruch. Lenos Verlag (2012)

Karim El-Gawhary: Tagebuch der arabischen Revolution. Der arabischen Frühling live! Verlag Kremayr & Scheriau (2011)

Nagib Machfus: Das junge Kairo. Übersetzung von Hartmut Fähndrich. Unionsverlag (2011)

Die präsentierten Bücher im Überblick

In "Revolution 2.0" schildert Wael Ghonim, Marketingchef der Nahostregion von Google, wie Social Media die Proteste der ägyptischen Bevölkerung gegen die Unterdrückung durch das diktatorische Regime Mubarak unterstützte. Facebook, Twitter, Chats und Blogs boten den Raum, Korruption und Unterdrückung aufzuzeigen, Proteste zu artikulieren und Informationen der Regimegegner auszutauschen, beschreibt Wael Ghonim die interaktiven Medien als Formen des friedlichen Protests. Mit Hilfe der raschen Austausch- und Koordinationsmöglichkeiten auf Web 2.0, folgert er, wurde die Protestbewegung in Ägypten im Jahr 2011 lanciert. Allerdings betont Ghonim, dass erst die solidarischen Demonstrationen auf der Straße, bei denen es viele Opfer zu beklagen gab, schließlich zum Fall des Autokraten führten. Ungefährlich war der Protest im Internet dennoch nicht. Nachdem der Blogger Khaled Said 2010 durch die ägyptische Polizei zu Tode geprügelt worden war, gründete Wael Ghonim die enthüllende Facebookseite "Wir sind alle Khaled Said". Im Jänner 2011 wurde Ghonim wegen seiner aufdeckerischen Aktivitäten von den ägyptischen Sicherheitsbehörden entführt und 11 Tage lang abgeschirmt von der Außenwelt verhört.

Stimmen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten Ägyptens lässt die NZZ-Korrespondentin für den Nahen Osten, Kristina Bergmann, in ihrem noch unveröffentlichten Werk "Tausendundeine Revolution" zu Wort kommen. Oft sehr persönliche Beiträge von ägyptischen Frauen und Männern unterschiedlicher Religionen und Altersgruppen geben darin Eindrücke der Revolution in Ägypten wieder. Die Palette der Essays reicht von Beschreibungen der Gefühle von Demonstrierenden inmitten der Protestmassen am Tahrir-Platz, wenn sie den Aggressionen der Polizei gegenüberstanden, bis zu selbstreflexiven Passagen Einzelner über ihre Positionierung angesichts des gesellschaftlichen Umbruchs. Auch logistische und organisatorische Aspekte der Revolte gegen das Mubarak-Regime werden angesprochen. Die Revolution, in Gang gebracht von einer fortschrittlich denkenden Jugendbewegung, hat höchst unterschiedliche Ideologien und Bevölkerungsteile in der Verfolgung eines gemeinsamen Ziels zusammengeführt, ist Bergmanns Fazit. In mehreren Abschnitten schreibt sie auch selbst und komplettiert als ausländische Korrespondentin das Bild des Umbruchs durch ihre Analysen, etwa in Hinblick auf die starken Frauen der Protestbewegung, die mit ihrem Einsatz den männlichen Mitstreitern jedenfalls ebenbürtig waren.

Auch Karim El-Gawhary, Leiter des ORF Büros in Kairo, setzt in seinem Buch "Tagebuch der Arabischen Revolution" Schlaglichter auf die rasanten Entwicklungen im arabischen Raum. El-Gawhary befasst sich in seinen Aufzeichnungen jedoch nicht nur mit den Vorgängen in Ägypten, sondern zieht auch die Proteste in Tunesien, in Libyen und in Bahrain ins Blickfeld. In seinem Buch liefert er gesammelte "Nahaufnahmen aus der Revolution" - Blogeinträge, Internetmeldungen, Tweets, Facebookposts und Transskripte von Fernsehbeiträgen aus dem Zeitraum Ende 2010 bis Mitte 2011. Es sind tages- und nachtaktuelle Berichte, die El-Gawhary über diverse Medienkanäle in Umlauf brachte. Die Meldungen spiegeln die sich überschlagenden politischen Veränderungen wieder. Den Fall Khaled Said und dessen Veröffentlichung über Facebook wertet der ORF-Korrespondent zwar als Initialzündung für den Aufstand der ägyptischen Bevölkerung im Jahr 2011, weist aber zusätzlich auf frühere Proteste, die abseits von Facebook & Co verliefen, hin. Allen Unsicherheiten über die Zukunft der Entwicklung und konterrevolutionären Strömungen zum Trotz sieht El-Gawhary die Möglichkeit, dass durch die heterogenen Protestbewegungen eine neue, selbstbewusste arabische Welt geschaffen werden kann.

Dass ein literarisches Werk aus der Vergangenheit hochaktuell sein kann, beweist der Roman "Das junge Kairo" des 2006 verstorbenen Nobelpreisträgers Nagib Machfus. Das Buch erschien im Original 1945 und die Geschichte spielt im Ägypten der 1930er Jahre, noch im Schatten der britischen Kolonialherrschaft. Dennoch finden sich darin zahlreiche Parallelen zur heutigen Situation der ägyptischen Gesellschaft. Machfus folgt Machgub, einem jungen Mann aus Kairo, während dessen Studien und beginnender Berufslaufbahn, die von Ungerechtigkeit, Bestechung und Korruption geprägt ist. Der Hauptdarsteller fristet in seiner Studienzeit an der Universität ein kärgliches Dasein und setzt alles daran, sein Ziel, den Aufstieg in eine wirtschaftlich besser gestellte Gesellschaftsschicht, zu schaffen. Machgub nimmt das Angebot, die Geliebte eines hochrangigen verheirateten Beamten zu ehelichen und die Liebesbeziehung der beiden weiter zu tolerieren an, um einen gut bezahlten Arbeitsplatz in einem Ministerium zu erhalten. Seinen Eltern, die in Armut leben, verweigert er rücksichtslos jede finanzielle Unterstützung. Mit Egoismus und Heuchelei führt er ein Leben im Luxus, das er durch seine Ausbildung allein nie erreicht hätte, doch ist seine Position immer vom Wohlwollen anderer abhängig. Der gesellschaftliche Höhenflug des Einzelkämpfers endet in einer Bruchlandung. Machfus portraitiert ein auf Lügen und Ausbeutung aufgebautes System, in dem sich der Nährboden einer gesellschaftlichen Revolte bilden musste. (Schluss)

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie – etwas zeitverzögert – auf der Website des Parlaments (www.parlament.gv.at) im Fotoalbum.