Parlamentskorrespondenz Nr. 299 vom 17.04.2012

Arzneimittelzulassung: Österreich wehrt sich gegen EU-Pläne

EU-Unterausschuss schickt Subsidiaritätsrüge nach Brüssel

Wien (PK) – Der EU-Unterausschuss des Nationalrats befasste sich heute auch mit den Themen Arzneimittelpreise und Arzneimittelinformation. Die Europäische Kommission will die EU-Mitgliedstaaten durch eine neue Richtlinie dazu anhalten, die Preisfestsetzung von Arzneimitteln und deren Aufnahme in die staatlichen Krankenversicherungssysteme zu beschleunigen, stößt dabei in Österreich aber auf breiten Widerstand.

Sowohl Gesundheitsminister Alois Stöger als auch die Abgeordneten des EU-Unterausschusses des Nationalrats fürchten, dass der Verwaltungsaufwand deutlich steigen und es zu höheren Medikamentenpreisen kommen wird, sollten die EU-Pläne umgesetzt werden. Die vorgeschlagenen Regelungen greifen ihrer Meinung nach außerdem in die Gesundheitskompetenzen der EU-Staaten ein. Die Abgeordneten sprachen sich in diesem Sinn einhellig dafür aus, eine "Subsidiaritätsrüge" nach Brüssel zu schicken. Auch neue EU-Vorgaben für Arzneimittelinformationen lehnt das Gesundheitsressort ab.

Konkret plant die EU, die Fristen für das Verfahren der Preisfestsetzung sowie die Aufnahme von Humanarzneimitteln in die staatlichen Krankenversicherungssysteme deutlich zu verkürzen und die Prüfungskriterien einzuschränken. So soll etwa den Mitgliedstaaten für Generika eine verkürzte Entscheidungsfrist von insgesamt nur noch 30 Tagen vorgeschrieben werden. Bei nicht fristgerechter Entscheidung drohen Sanktionen bzw. eine automatische Preisfestsetzung oder Preiserhöhung im Sinne der Antragsteller. Ebenso ist ein neues Notifikationsverfahren vorgesehen. Die EU-Kommission will durch diese Schritte das Funktionieren des Binnenmarkts für Arzneimittel verbessern.

Dem Gesundheitsministerium zufolge würden die neuen Vorschriften aber nicht nur zu einem enormen administrativen Mehraufwand führen, sondern auch höhere Medikamentenkosten für die Krankenkassen bewirken, weil zu wenig Zeit für Preisverhandlungen bleibt und künftig jederzeit neue Anträge auf Preiserhöhung gestellt werden könnten. Österreich sieht überdies keinen Bedarf an einer gerichtsartigen Rechtsmittelinstanz, die bei einer Überschreitung der Entscheidungsfristen den Pharmafirmen Schadenersatz zusprechen können soll. Kritik kommt weiters an der befürchteten Einstellung der Datenbank EURIPID: Ihr kann entnommen werden, welche Arzneimittel in das Krankenversicherungssystem der einzelnen Mitgliedstaaten fallen und welche Preise wo gelten.

Gesundheitsminister Alois Stöger bekräftigte heute die Kritik seines Ressorts und betonte, das in Österreich geltende System des Erstattungskodex habe sich bewährt. Er ortet einen unzulässigen Eingriff der EU in die Autonomie der Mitgliedstaaten und warf der Europäischen Kommission vor, Interessen der Pharmaindustrie vor die Interessen eines geordneten Gesundheitswesens zu stellen. Der Richtlinienentwurf enthalte "massiv überschießende Bestimmungen". Für Stöger ist die derzeitige Regelung, wonach innerhalb eines halben Jahres über die Aufnahme eines Medikaments in den Erstattungskodex und über die Preisfestsetzung entschieden wird, angemessen.

Der Kritik des Gesundheitsministers schlossen sich alle fünf Parlamentsfraktionen an, auch wenn Abgeordneter Kurt Grünewald seitens der Grünen meinte, dass man die Zulassung innovativer Medikamente, etwa für den Bereich der Onkologie, durchaus beschleunigen könnte. So sprach Abgeordnete Sabine Oberhauser (S) von einem "ziemlich dreisten Versuch der Pharmaindustrie", in ihrem Sinn Einfluss auf das Zulassungsverfahren zu nehmen. Sollte die EU-Richtlinie beschlossen werden, fürchtet sie zahlreiche Klagen durch finanzkräftige Pharmaunternehmen. Abgeordneter Andreas Karlsböck (F) hielt fest, durch die verkürzten Fristen drohe das subtile Gleichgewicht im Gesundheitssystem gestört zu werden. Abgeordneter Wolfgang Spadiut (B) meinte, die neuen EU-Vorschläge würden förmlich nach Lobbyismus der Pharmaindustrie riechen. Auch Zweiter Nationalratspräsident Fritz Neugebauer (V) äußerte sich kritisch.

Entsprechend fiel auch die so genannte "begründete Stellungnahme" des EU-Unterausschusses gemäß Art. 23g B-VG aus. Die Abgeordneten begründen ihre Subsidiaritätsrüge unter anderem damit, dass Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens Aufgabe der EU-Mitgliedstaaten seien und auch der Europäische Gerichtshof nur minimale Einwirkungen der Europäischen Union auf die Organisation der Krankenversicherungen erlaube. Überdies würden mit dem Vorschlag verfahrensrechtliche Teilbestimmungen des Subsidiaritätsprinzips verletzt.

Nach Ansicht des EU-Unterausschusses sind die im Vorschlag vorgesehenen Sanktionen (Zwangsgeld, Schadenersatz) darüber hinaus dazu geeignet, die Ausgangslage in Preisverhandlungen einseitig zugunsten der Pharmaindustrie zu verschieben. Verzögerungen bei der Aufnahme von Arzneimitteln in den Erstattungskodex seien außerdem in vielen Fällen auf unvollständige Angaben der Antragsteller zurückzuführen, heißt es in der Stellungnahme. Es müsse ausreichend Zeit für die pharmakologische, medizinisch-therapeutische und gesundheitsökonomische Bewertung von Arzneimittel zur Verfügung stehen. Besondere Kritik wird auch am vorgesehenen Notifikationsverfahren geübt, das den Abgeordneten zufolge den Spielraum des Gesetzgebers in unzulässiger Weise einengt.

Im Zuge der Debatte nahm Gesundheitsminister Alois Stöger auch zu den von Abgeordnetem Karlsböck angesprochenen Internet-Ordinationen Stellung. Er wies darauf hin, dass in Österreich ein Arztkontakt stattzufinden habe, bevor ein Medikament verschrieben werde. Es sei aber nicht auszuschließen, dass Internet-Ordinationen nach dem Ärzterecht eines anderen EU-Mitgliedstaats möglich sind. Ein in einem anderen EU-Staat korrekt ausgestelltes Rezept gelte grundsätzlich auch in Österreich. Er könne PatientInnen vor Ferndiagnosen aber nur warnen, sagte Stöger, Krankheiten bräuchten einen Arzt bzw. eine Ärztin.

Arzneimittelwerbung: Österreich sieht keinen Änderungsbedarf

Kritisch äußert sich das Gesundheitsministerium auch zu einem neuen Anlauf der Europäischen Kommission, die Bestimmungen für Arzneimittelinformationen EU-weit zu vereinheitlichen. Die Kommission hat dazu sowohl einen Richtlinienentwurf als auch einen Verordnungsentwurf vorgelegt. Vorgesehen sind nicht nur klare Standards für verständliche und objektive Arzneimittelinformationen für PatientInnen, beispielsweise über Nutzen und Risiken eines Medikaments, sondern auch Überwachungsmaßnahmen. Arzneimittelwerbung soll weiter verboten bleiben.

Das Gesundheitsministerium lehnt sowohl die Richtlinie als auch die Verordnung ab, weil der Nutzen einer EU-weit vereinheitlichten Patienteninformation nach Ansicht des Ressorts in keiner Relation zum Kontrollaufwand steht, der den Behörden auferlegt werden soll. In Österreich gebe es darüber hinaus bereits ausreichende Informationen über Medikamente, die auch über das Internet zugänglich seien, macht Gesundheitsminister Stöger geltend. Zudem könnten sich PatientInnen mit Fragen an ÄrztInnen und ApothekerInnen wenden. Seiner Ansicht nach ist es nicht ersichtlich, welchen "Mehrwert" ein direkter Zugang der Pharmaindustrie zu PatientInnen hätte, es sei ausreichend, wenn diese Fachkreise informiere.

Er habe sich im Europäischen Rat bereits mehrmals gegen die Richtlinie ausgesprochen, betonte Stöger. Seine Position sei es, die Zusammenarbeit der nationalen Arzneimittelbehörden, wissenschaftlicher Einrichtungen und der Europäischen Kommission kontinuierlich weiterzuentwickeln. (Fortsetzung EU-Unterausschuss)