Parlamentskorrespondenz Nr. 424 vom 23.05.2012

Hochrangiger Besuch aus Palästina im Parlament

ParlamentarierInnen im Gespräch mit Palästinenservertreter Shaat

Wien (PK) – Mitglieder des Außenpolitisches Ausschusses des Nationalrats und des Bundesrates trafen heute Nachmittag mit Nabeel Shaath, Mitglied des Zentralkomitees und Beauftragter für Internationale Beziehungen der palästinensischen Fatah, im Hohen Haus zu einer Aussprache zusammen. Im Mittelpunkt der Diskussion, an der unter Vorsitz von SPÖ-Klubobmann Josef Cap auch Abgeordnete Christine Muttonen (S), Abgeordneter Johannes Hübner (F) sowie die Bundesrätinnen Muna Duzdar (S), Monika Mühlwert (F) und Bundesrat Günther Köberl (V) teilnahmen, standen die Lage der Palästinensischen Autonomiegebiete und die Perspektiven der Entwicklung zur Eigenstaatlichkeit im Rahmen der Zwei-Staaten-Lösung.

Nabeel Shaat dankte für die Einladung und die Gelegenheit, über die schwierige Lage der Palästinensischen Autonomiegebiete sprechen zu können. Selbst für ihn als Minister mit VIP-Pass sei es immer wieder schwierig, die Westbank zu verlassen. 70.000 Menschen hätten dort aber überhaupt keine Bewegungsfreiheit. Seit der Konferenz von Madrid 1991, auf der die Zwei-Staaten-Lösung als Ansatz für die Lösung des Nahostkonflikts vereinbart wurde, habe sich bedauerlicherweise trotz vieler Abkommen und Vereinbarungen ein Status Quo eingestellt, der für die palästinensische Seite zunehmend kostspieliger und allmählich untragbar werde. So stelle die Autonomiebehörde selbst etwa 60.000 Soldaten ab, um in der Westbank für Sicherheit zu sorgen und damit jene Sicherheitsargumente zu entkräften, die immer wieder Verhandlungen blockierten. Die hohen Kosten dieser Maßnahmen seien von der Autonomiebehörde gegenüber der palästinensischen Bevölkerung aber immer schwieriger zu vertreten, berichtete Shaat.

Zu Befürchtungen von Abgeordnetem Josef Cap, es könnte zu einer Radikalisierung auf beiden Seiten kommen, meinte Shaat, die Autonomiebehörde halte am Friedensprozess fest und wolle einen Rückfall in die Gewalt unbedingt verhindern. Sie trete weiter für die Umsetzung der Zwei-Staatenlösung ein, obwohl die Gebiete in den Grenzen von 1967, auf welche die Palästinenser als Staatsgebiet Anspruch erheben, nur mehr 22 % der Gesamtfläche des ursprünglichen Palästina umfassten. Leider sei trotz großer Zugeständnisse derzeit keine Bewegung in dieser Frage erkennbar, meinte Shaat und führte das auf die derzeitige internationale Konstellation zurück. Die USA befänden sich mitten im Wahlkampf, Europa mit der Finanzkrise beschäftigt und der Arabische Raum in einer politischen Umbruchsphase. Das lasse die Palästinenser befürchten, dass ihre Anliegen ignoriert werden.

Abgeordneter Johannes Hübner gab den Eindruck wieder, es gebe Tendenzen zu einer Form der Gesamtstaat-Lösung zu Lasten der Palästinenser. Nabeel Shaat meinte dazu, er selbst sei in den 1960er und 1970er Jahren ein klarer Verfechter einer Gesamtstaat-Lösung gewesen. Er habe sich damals viel mit dem Holocaust befasst und über das Leid der jüdischen Bevölkerung Osteuropas geschrieben. Er habe zu dieser Zeit die Vision gehabt, dass zwei Völker, die beide viel Leid erfahren haben, gemeinsam ein demokratisches Staatswesen aufbauen könnten. Erst als das nicht akzeptiert worden sei, sei er zum Verfechter einer Zwei-Staaten-Lösung geworden. Es gebe selbstverständlich auf israelischer genauso wie auf palästinensischer Seite große gesellschaftliche Gruppen, die für den Frieden eintreten, versicherte Shaat auf eine diesbezügliche Frage von Bundesrätin Monika Mühlwert. 

Bundesrätin Muna Duzdar und Bundesrat Günther Köberl erfuhren, dass sich derzeit über 700 Palästinenser in "Verwaltungshaft" israelischer Behörden befinden, die eine unbegrenzte Anhaltung ohne Anklage erlaubt. Hier gebe es bisher nur geringe Fortschritte in Form von Versprechungen, diese Art der Haft zeitlich zu limitieren. Schwierig sei die Lage in Jerusalem, wo sich derzeit nicht weniger als 70.000 arabische EinwohnerInnen auf gerichtlichem Weg gegen einen drohenden Verlust der Aufenthaltsbewilligung wehren müssten.

Er hoffe, dass der Arabische Frühling und die Demokratisierung der Region sich letztlich auch positiv für die Sache der Palästinenser auswirken werde, meinte Nabeel Shaat auf Fragen der Abgeordneten Christine Muttonen. Es brauche aber nicht nur die materielle, sondern auch die ideelle Unterstützung des Wunsches des palästinensischen Volkes nach einem freien, demokratischen Heimatland. Nabeel Shaat lud deshalb die Abgeordneten ein, sich selber vor Ort ein Bild über die Lage zu machen. (Schluss)