Parlamentskorrespondenz Nr. 443 vom 31.05.2012

AVISO: Quadriga 12 zu Erinnern als gesellschaftlicher Prozess

Zum Paradigmenwechsel in der Kultur des Erinnerns und Gedenkens

Wien (PK) – Die Bedeutung von Erinnerung und Erinnerungskultur als Teil gesellschaftlicher Prozesse ist Thema des zwölften Abends im Rahmen der Veranstaltungsserie Quadriga, zu der Nationalratspräsidentin Barbara Prammer heute, am 31. Mai 2012, ins Palais Epstein einlädt. Erinnerungskultur ist ein junger Begriff im kulturellen und wissenschaftlichen Diskurs. Es geht dabei um den kollektiven Umgang mit Vergangenheit und deren Deutung in der Gegenwart. Es geht auch darum, wie erinnert wird und welche Zeichen gesetzt werden, um das Vergangene, das Gegenwärtige und das Zukünftige zu verbinden. Die Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus und das Gedenken an die Opfer hat eine  besondere Kultur des Erinnerns und Gedenkens hervorgebracht. Diese steht derzeit vor einem Paradigmenwechsel, denn sehr bald werden auch die letzten ZeitzeugInnen nicht mehr unter uns sein.

Nationalratspräsidentin Barbara Prammer wird folgende PodiumsteilnehmerInnen begrüßen: den ärztlichen Leiter des psychosozialen Zentrums ESRA Klaus Mihacek, die Historikerin und Kuratorin Lisa Rettl und die Widerstandskämpferin Katharina Sasso.

Die Moderation des Abends übernehmen Zita Bereuter (FM4) und Peter Zimmermann (Ö1).

Veranstaltungsbeginn ist um 18.00 Uhr. Für die Teilnahme ist eine verbindliche Anmeldung unter veranstaltungen04@parlament.gv.at  erforderlich.

Folgende Bücher werden präsentiert und diskutiert:

Maria Halmer, Anton Pelinka, Karl Semlitsch (Hg.): Was bleibt von der Shoah? Kontext, Praxis, Nachwirkungen. Braumüller Verlag (2012).

Dana Giesecke, Harald Welzer: Das Menschenmögliche. Zur Renovierung der deutschen Erinnerungskultur. Edition Körber-Stiftung (2012).

Maja Haderlap: Engel des Vergessens. Wallstein Verlag (2011).

Nicht nur in Worten, auch in Taten. Die Erinnerungen der Katharina Sasso. Hörbuch im Supposé Verlag (2012).

Die präsentierten Bücher im Überblick

Wir stehen an einer Zeitenwende, stellen die HerausgeberInnen im Vorwort des Sammelbandes: "Was bleibt von der Shoah? Kontext, Praxis, Nachwirkungen" fest. Noch geben einzelne Überlebende des Holocaust ein unmittelbares und tief beeindruckendes Zeugnis von der Shoah. Doch es wird unabänderlich eine Zeit ohne diese Zeitzeugen kommen und spätestens dann stellt sich die Frage, was an Erinnerung bleibt. Der erste Teil des Bandes enthält Beiträge mit Überlegungen zur institutionalisierten Erinnerungskultur in Österreich im internationalen Vergleich. Im zweiten Teil wird die Arbeit von Organisationen dargestellt, welche Überlebenden der Shoah und ihren oftmals ebenfalls traumatisierten Nachkommen Betreuung und Hilfe anbieten: die international tätige Organisation Amcha und das psychosoziale Zentrum ESRA in Wien.

Dana Giesecke, Harald Welzer: Das Menschenmögliche. Zur Renovierung der deutschen Erinnerungskultur. Edition Körber-Stiftung (2012). Die Soziologen Dana Giesecke und Harald Welzer setzen sich in dieser Untersuchung kritisch mit der Praxis der deutschen Erinnerungskultur sechzig Jahre nach dem Nationalsozialismus und dem Holocaust auseinander und merken an, diese verfehle ihr Ziel, Orientierung für die Gegenwart und eine Basis für zukünftiges Handeln zu bieten. Um aus der Geschichte zu lernen, müsse sie als Prozess und nicht nur als Abfolge von Ereignissen begriffen werden. Dazu sei es notwendig, sich mit den Mechanismen von Ausgrenzung und unmenschlichem Verhalten auseinanderzusetzen, aber auch damit, wie Menschen Handlungsalternativen erkennen und Widerstand leisten können. Die AutorInnen konzipieren deshalb ein "Haus der menschlichen Möglichkeiten" als Ausstellungsort neuen Typs. Es soll der Auseinandersetzung mit negativen und positiven Potenzialen des Menschen dienen. 

Der Roman "Engel des Vergessens" ist das mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis 2011 ausgezeichnete Prosa-Debüt der Kärnter Autorin Maja Haderlap. Er stellt eine literarische Verarbeitung der Geschichte der slowenischen Minderheit in Kärnten während der Zeit des Nationalsozialismus dar. Scheinbar nebensächliche Details des alltäglichen Lebens auf dem Bauernhof an der Grenze zu Slowenien lassen erkennen, welche Traumata die Geschichte in den BewohnerInnen dieser Gegend hinterlassen hat. Haderlap arbeitet mit einem Mosaik fragmentierter Erinnerungen und einem steten Wechsel der Perspektive und Chronologie. Teils wird mit kindlicher Naivität vom Leben der Großmutter, Vater und Mutter berichtet, dann wieder in fast essayistischer Weise der größere historischen Kontext herzustellen versucht. Dialoge werden in indirekter Rede wiedergegeben, die Erzählzeit ist das Präsens. Dadurch entsteht die Ambivalenz von Unmittelbarkeit und Distanz zu den Ereignissen.  

Das Hörbuch "Nicht nur in Worten, auch in Taten" beruht auf ausführlichen lebensgeschichtlichen Interviews mit Katharina Sasso. Sie berichtet von glücklichen Kinderjahren im Burgenland bei der kroatischsprachigen Großmutter mütterlicherseits, von den Eltern in Wien und deren Involvierung in die Arbeiterbewegung und den Widerstand gegen den Faschismus. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde die noch minderjährige Katharina Sasso wegen kommunistischer Tätigkeit verhaftet und des "Hochverrats" angeklagt. Jahre in verschiedenen Gefängnissen und im KZ Ravensbrück folgten. In ihrem ganz persönlichen, unprätentiösen, dabei aber sehr prägnanten Sprachduktus erzählt Sasso vom Widerstand als Versuch, Menschlichkeit, Solidarität und Gedankenfreiheit angesichts eines unmenschlichen Regimes zu bewahren. (Schluss)

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie – etwas zeitverzögert – auf der Website des Parlaments (www.parlament.gv.at) im Fotoalbum.


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