Parlamentskorrespondenz Nr. 486 vom 14.06.2012

Nationalrat: Aktuelle Themen aus dem Justizressort

Ministerin Karl gegen Automatismus bei gemeinsamer Obsorge

Wien (PK) – Nationalratspräsidentin Barbara Prammer eröffnete die heutige Nationalratsitzung mit einer Fragestunde. Bundesministerin Beatrix KARL nahm zu Themen wie etwa Vorratsdatenspeicherung, Familienrecht oder Mietrecht Stellung.  

Frage des Abgeordneten Johannes JAROLIM (S):

Welche Schritte in Richtung grundrechtskonformer Regelungen im Bereich der Vorratsdatenspeicherung planen Sie insbesondere unter Berücksichtigung des angekündigten Abänderungsvorschlages der EU-Kommission?

Antwort:

Justizministerin Beatrix KARL ging davon aus, dass die nationale Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, bei der die hohen österreichischen Standards sehr wohl berücksichtigt wurden, grundrechtskonform ist. Sie wolle allerdings nicht der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes in dieser Frage vorgreifen. Was die europäische Ebene betrifft, so habe die Kommission klargestellt, dass auch im Falle einer möglichen Abänderung der Bestimmungen, die Richtlinie von allen EU-Staaten umgesetzt werden muss. Da die Evaluierung der Folgenabschätzung derzeit noch laufe, könne man derzeit noch nicht sagen, wann mit welchen Änderungen zu rechnen ist. Ihr Anliegen sei es jedenfalls, die Vorzüge der österreichischen Umsetzung auf dem Gebiet der Datensicherheit zu verankern und gegebenenfalls auch die Bedingungen für den Zugriff auf die gespeicherten Daten zu harmonisieren. Grundsätzlich sei sie natürlich offen für mögliche Verbesserungsvorschläge, merkte die Justizministerin auf die Zusatzfrage des Abgeordneten Albert STEINHAUSER (G) an.

Frage des Abgeordneten Heribert DONNERBAUER (V):

Welche Schritte beabsichtigen Sie zur Verbesserung der gemeinsamen Obsorge?

Antwort:

Gerade das Thema Familienrecht sei für sie von ganz großer Bedeutung, erklärte einleitend Justizministerin Beatrix KARL. Es wurde deshalb in ihrem Ressort auch ein Arbeitskreis eingerichtet, der sich genau mit dieser Frage beschäftigt, informierte sie. Mittlerweile sei es auch gelungen, gemeinsam tragfähige Lösungen zu finden, die nun in einen Begutachtungsentwurf einfließen sollen. Bei den von ihr geplanten Änderungen gehe es nicht nur um die Frage der Obsorge, betonte Karl, sondern etwa auch um Verbesserungen beim Besuchsrecht, bei familiengerichtlichen Verfahren und beim Namensrecht. Überdies sollen auch entsprechende Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte umgesetzt werden. So soll es etwa in Hinkunft auch für Väter unehelicher Kinder die Möglichkeit geben, die gemeinsame Obsorge zu beantragen.

Frage des Abgeordneten Peter FICHTENBAUER (F):

Wann wird dem Nationalrat eine Regierungsvorlage zugeleitet, die die gemeinsame Obsorge beider Elternteile, analog zur Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland, als gesetzlichen Regelfall vorsieht?

Antwort:

Justizministerin Beatrix Karl führte aus, dass sie einer automatischen gemeinsamen Obsorge kritisch gegenüberstehe. Dies würde bedeuten, dass auch ein Elternteil, der dem Kind Gewalt angetan hat, die gemeinsame Obsorge erhält; dies sei ihrer Ansicht nach nicht zielführend. Allerdings würde sie es für sinnvoll halten, dass die Familienrichter, die bisher in Streitfällen nur die Möglichkeit hatten, entweder der Mutter oder dem Vater die Obsorge zu übertragen, auch zum dem Schluss kommen können, dass die gemeinsame Obsorge die beste Lösung für das Kind ist. Zudem soll es möglich sein, dass die Familienrichter verpflichtende Maßnahmen anordnen können, wie z.B. den Besuch einer Eltern- oder Familienberatung bzw. einer Schlichtungsstelle. Sie glaube, dass es dadurch möglich sein wird, auch in Fällen, wo es anfangs keine Einigung in Sachen Obsorge gibt, trotzdem noch eine gemeinsame Lösung zum Wohle des Kindes zu finden (Zusatzfrage der Abgeordneten Daniela MUSIOL, G). Karl zeigte sich aber zuversichtlich, dass es – nach intensiver Prüfung jedes Einzelfalls - in der Praxis dann auch in den meisten Fällen die gemeinsame Obsorge geben wird. Es sei richtig, dass die Regelungen in Deutschland, die übrigens auch nicht menschenrechtskonform seien, etwas anders aussehen, aber was spreche dagegen, einen eigenständigen österreichischen Weg zu gehen, fragte sie in Richtung des Abgeordneten Peter FICHTENBAUER (F) an.

Auch die geplanten Änderungen im Namensrecht sind ein wesentlicher Teil des geplanten Familienpakets, erklärte die Bundesministerin, das mehr Flexibilität einräumen soll. Künftig soll es zum Beispiel gemeinsame Doppelnamen für die gesamte Familie geben (Zusatzfrage des Abgeordneten Albert STEINHAUSER, G). Gleichzeitig soll aber auch sichergestellt werden, dass nicht zu lange Namensketten entstehen; es sollen maximal zwei Elemente mit Bindestrich verbunden werden können.

Dem Abgeordneten Johann MAIER (S) gegenüber räumte die Justizministerin ein, dass die Besuchsrechtsverfahren derzeit zu lange dauern. Es sei ihr ein großes Anliegen, diese Verfahren zu beschleunigen, damit sich die Kinder nicht von einem Elternteil entfremden. Aus diesem Grund habe sie auch Anfang des Jahres das Pilotprojekt Familiengerichtshilfe an vier Standorten gestartet, wo Psychologen, Sozialarbeitern und Pädagogen den Familienrichtern zur Seite stehen. Es soll dadurch gewährleistet werden, dass die Eltern möglichst rasch einvernehmlich eine Lösung finden. In Streitfällen können die Psychologen zudem gutachtensähnliche Stellungnahmen abgeben, wodurch die Verfahren beschleunigt werden können. Die ersten Ergebnisse dieses Projekts sind sehr vielversprechend, informierte Karl, eine Ausdehnung auf weitere Standorte wird daher überlegt.

Frage des Abgeordneten Albert STEINHAUSER (G):

Welche konkreten gesetzlichen Reformen im Mietrecht planen Sie, um ein weiteres Ansteigen der Mietpreise zu stoppen?

Antwort:

Die Bundesministerin wies zunächst darauf hin, dass im aktuellen Regierungsprogramm keine substantielle Änderung des Mietzinsrechtes vorgesehen ist. In der Wohnrechtsnovelle 2009 wurden bereits gesetzgeberische Maßnahmen zur Vermeidung allzu häufiger Zinserhöhungen gesetzt, führte sie weiter aus. Seither werden die mietrechtlichen Richtwerte nur mehr alle zwei Jahre angepasst. Die Regelungen über die Mietzinsbegrenzungen im österreichischen Mietrecht könnten aber durchaus noch optimiert werden, um die Effektivität zu verbessern und eine einheitliche Ausgestaltung bzw. Erhöhung der Transparenz zu gewährleisten. Man müsse sich aber in diesem Bereich vor Augen halten, dass es sich dabei um einen gesetzlichen Eingriff in die Privatautonomie handelt, gab Karl zu bedenken. Was das generelle Mietzinsniveau betrifft, so könne man sagen, dass die Wohnungsmietpreise in Wien, das eine sehr hohe Lebensqualität aufweist, im Vergleich zu anderen europäischen Städten wie London, Paris oder München viel niedriger sind.

Frage des Abgeordneten Gerald GROSZ (B):

Noch immer ist es möglich, dass Straftaten gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung von minderjährigen Opfern verjähren können. Wie beurteilen Sie dies?

Antwort:

Das österreichische Strafrecht sieht aus mehreren Gründen vor, dass nur strafbare Handlungen, die mit zehn bis 20 Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind, nicht verjähren können, informierte die Justizministerin. Für die Verjährung einer Straftat spricht nämlich, dass durch das lange Wohlverhalten eines Täters seit der Tatbegehung die Bestrafungswürdigkeit abnimmt. Auch hat durch den langen Zeitablauf seit der Begehung des Delikts die Strafe nicht mehr die geforderte Wirkung, erläuterte sie. Ein weiterer zentraler Punkt ist, dass es nach langer Zeit zunehmend schwieriger wird, die Tat zu rekonstruieren, sodass es zu einen Schuldspruch kommt. Dadurch kommt es häufig zu einem Freispruch aus Mangel an Beweisen, was für die Opfer mit einer enormen psychischen Belastung verbunden ist, gab die Justizministerin zu bedenken. Heute geht man überdies davon das, dass im Verarbeitungsprozess eines sexuellen Missbrauchs eine zeitliche Rahmenfrist für eine allfällige Anzeige auch deshalb wichtig sei, weil erst dann das Erlittene endgültig abgeschlossen werden kann. Eben diese Gefahr einer Sekundärviktimisierung spreche auch gegen die völlige Aufhebung der Verjährungsfrist. Schließlich machte Karl noch darauf aufmerksam, dass in den letzten Jahren eine Verbesserung für minderjährige Opfer vorgenommen wurde. Sie könne sich auch eine Ausdehnung der zivilrechtlichen Verjährungsfristen vorstellen (Zusatzfrage der Abgeordneten Gabriele BINDER-MAIER, S). Was die vorzeitigen Entlassungen von Sexualstraftätern betrifft, so versicherte die Ressortchefin dem Fragesteller, dass hier sehr sensibel vorgegangen wird. Bezüglich des tragischen Falls in St. Pölten, wo ein achtjähriger Bub von seinem eigenen Vater erschossen wurde, stelle sich natürlich die Frage, wo hier angesetzt werden muss. Sie werde daher gemeinsam mit Experten ausloten, ob eine Ausdehnung des Betretungsverbots auf Kindergärten und Schulen sinnvoll ist; derzeit gibt es noch sehr unterschiedliche Lösungsansätze dazu (Zusatzfrage der Abgeordneten Tanja WINDBÜCHLER-SOUSCHILL, G).

Frage der Abgeordneten Sonja STESSL-MÜHLBACHER (S):

Welche weitere Vorgangsweise bei der Reform des Familienrechts unter besonderer Berücksichtigung des Unterhaltsrechts ist von Ihrer Seite in Vorbereitung?

Antwort:

Die Ministerin versicherte abermals, dass ihr die Familienpolitik ein besonderes Anliegen sei, und teilte mit, im Moment würden Änderungen beim Kindschaftsrecht und beim Namensrecht im Vordergrund stehen. Darüber hinaus kündigte sie Änderungen in Bereichen des Erbrechts mit Konnex zu familienrechtlichen Regelungen sowie eine Reform beim Sachwalterrecht an. In einem weiteren Schritt könnte dann auch das Schließen von Lücken im Unterhalt angegangen werden, bemerkte Karl auf eine Zusatzfrage der Abgeordneten Daniela MUSIOL (G). Gegenüber der Abgeordneten Martina SCHENK (B) wiederum plädierte die Ministerin für Verbesserungen bei der Durchsetzbarkeit des Besuchsrechts, so etwa durch eine richterliche Anordnung von verpflichtenden Maßnahmen wie Elternberatung.

Frage des Abgeordneten Erwin HORNEK (V):

Wie weit sind Ihre Gespräche mit den Ländern zur Neustrukturierung der bezirksgerichtlichen Organisation gediehen?

Antwort:

Karl sieht die Strukturbereinigungen bei den Bezirksgerichten als Teil der Verwaltungsreform und betonte, Ziel sei es, in den Bundesländern optimale Bezirksgerichtsstrukturen zu schaffen. Sie verwies auf Einigungen mit den Ländern Niederösterreich und Oberösterreich, die es nunmehr ermöglicht haben, neun beziehungsweise zehn Bezirksgerichte aufzulassen und in größere Bezirksgerichte zu integrieren. Gegenüber den Abgeordneten Rainer WIDMANN (B) und Albert STEINHAUSER (G) kündigte sie Verhandlungen mit den übrigen Bundesländern an, bei denen auch auf landesspezifische Besonderheiten eingegangen werden könne. An der Zweisprachigkeit der Gerichte in Kärnten werde auch im Fall von Zusammenlegungen nicht gerüttelt, versicherte sie zudem auf eine Zusatzfrage des Abgeordneten Maximilian LINDER (F). (Schluss Fragestunde/Fortsetzung Nationalrat)