Parlamentskorrespondenz Nr. 757 vom 10.10.2012

Enquete des Bundesrats zur Zukunft der ländlichen Regionen (2)

Tenor: Vom Befund wegkommen und Taten setzen

Wien (PK) – "Aktive Politik für die regionale Entwicklung – Möglichkeiten und Grenzen" war der übergeordnete erste Themenbereich, mit dem sich nach den Einleitungsreferaten die TeilnehmerInnen der Enquete des Bundesrats über Probleme und Herausforderungen für den ländlichen Raum auseinandersetzten.

Berlakovich: Multifunktionalität der Landwirtschaft sichern

Für Bundesminister Nikolaus Berlakovich ist es von besonderer Bedeutung, die Lebensqualität im ländlichen Raum zu sichern, was einen durchaus hohen finanziellen Einsatz erfordere, räumte er ein. Dies aber sei für ihn eine Frage des Anstands, fügte er hinzu. Es gelte, nachhaltiges Wachstum in diesen Regionen zu stimulieren und damit der Abwanderung entgegenzuwirken.

Das Rückgrat stelle nach wie vor die Landwirtschaft dar, weshalb man auch deren Multifunktionalität - das Credo der österreichischen Agrarpolitik, wie der Minister unterstrich - sichern müsse. Dies umfasse nicht nur die Produktion ausreichender Lebensmittel in hoher Qualität, sondern auch die Bereitstellung von Dienst- und Umweltleistungen, die Landschaftspflege, die Sicherung der Infrastruktur und des gesamten gesellschaftlichen Lebens und nicht zuletzt die Vorsorge vor Naturkatastrophen. Die Akteure im ländlichen Raum müssen vernetzt bleiben, sagte Berlakovich, die Landwirtschaft sei nicht nur ein wichtiger Arbeitgeber sondern habe auch die Aufgabe, leistbare Qualitätslebensmittel zur Verfügung zu stellen.

In diesem Zusammenhang wies der Minister darauf hin, dass in den nächsten Wochen die entscheidenden Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen der EU 2014 bis 2020 und damit auch über die GAP-Reform stattfinden werden. Österreich setze sich für die Sicherung der Finanzmittel in den zwei Säulen der GAP ein, das betreffe die Direktzahlungen sowie die Förderung der ländlichen Entwicklung. Der Kampf sei noch nicht gewonnen, gab Berlakovich zu bedenken, Österreich setze aber alles daran, den erfolgreichen Weg fortzusetzen. Man habe aus den EU-Programmen das Optimum herausholen können, die Kofinanzierung funktioniere gut, die daraus erzielte Wertschöpfung in der Höhe von 1,4 Mrd. € habe eine noch stärkere Abwanderung und einen radikalen Verlust von Betrieben verhindert. Berlakovich legte großen Wert auf die Umweltorientierung der Landwirtschaft, um die Biodiversität zu erhalten, und machte sich auch stark für den Ausbau moderner Kommunikationstechnologien. Als Schwerpunkte für den ländlichen Raum nannte der Minister das Umweltprogramm, das Bergbauernprogramm und das LEADER-Programm, die alle aufrechterhalten werden sollten.

Ostermayer: Förderungen mehr zielgerichtet und strategischer einsetzen

Den ländlichen Raum als eine einheitliche Form gebe es nicht, stellte eingangs seine Statements Staatssekretär Josef Ostermayer fest. Deshalb bedürfe es auch vieler verschiedener Maßnahmen, um der Abwanderung aus diesen Regionen entgegenzuwirken. Ostermayer zitierte auch die jüngsten Daten der Statistik Austria, wonach die österreichische Bevölkerung um eine Million Menschen in den nächsten Jahrzenten wachsen werde, dies treffe auch auf alle Bundesländer außer Kärnten zu, wobei die Hälfte des Zuwachses auf Wien falle. Das Phänomen, wonach Wachstum primär in Städten und Ballungsräumen stattfindet, sei jedoch nicht neu, sagte Ostermayer.

Deshalb habe sich auch die Raumordnungskonferenz mit den gegenständlichen Problemen auseinandergesetzt und das "Raumentwicklungskonzept 2011" beschlossen. Ostermayer griff die wesentlichen Punkte aus diesem Konzept heraus und nannte zunächst die Stärkung beziehungsweise die Bewahrung des Nahverkehrs. Darüber hinaus seien Orte als Standorte für zentrale Infrastruktureinrichtungen zu sichern und die entsprechenden Verkehrsverbindungen zur Verfügung zu stellen. Man müsse auch die interkommunale Kooperation weiterentwickeln und entsprechende Versorgungsstandards für Bildung und Nahversorgung ausarbeiten. Notwendig seien ferner strategische Konzepte für ökonomisch wettbewerbsfähige und lebenswerte Gebiete, unterstrich Ostermayer, der dem Tourismus sowie der Land- und Forstwirtschaft für die ländlichen Regionen eine hohe Bedeutung beimaß.

Angesichts der budgetären Situation sei es notwendig, bei der Verteilung der Fördermittel verantwortungsvoll vorzugehen und vor allem auch die Mittel in hohem Ausmaß zielgerecht und strategisch einzusetzen. Sämtliche EU-Förderungen würden sich an der "Europa 2020 Strategie" orientieren, informierte Ostermayer, wobei die Schwerpunkte bei der Erwerbstätigkeit von Frauen sowie bei Bildung und Klimaschutz liegen.

Mödlhammer: Masterplan für ländlichen Raum entwickeln

Der Präsident des Österreichischen Gemeindebunds, Helmut Mödlhammer, sprach sich dafür aus, einen Masterplan für den ländlichen Raum zu entwickeln. Das Bekenntnis zum ländlichen Raum sei immer da, die Fakten sähen jedoch anders aus, kritisierte er. Unter dem Argument notwendiger Reformen gehe die Ausdünnung des ländlichen Raumes ungehindert weiter, die Verkehrsinfrastruktur verschlechtere sich und damit würden Lebensadern gekappt. Die Menschen gingen dorthin, wo sie Arbeit finden, wo Wohnungen zur Verfügung stehen, wo ausreichende Infrastruktur und medizinische Versorgung und Pflegeeinrichtungen vorhanden sind, sagte Mödlhammer. Es sei daher notwendig zu analysieren, was man im ländlichen Raum braucht und was man tun könne, das Leben im ländlichen Raum zu ermöglichen.

Der Gemeindebundpräsident listete daraufhin einige Vorschläge auf, die aus seiner Sicht umzusetzen wären. Zunächst bedürfe es einer ehrlichen Kosten-Nutzen-Rechnung, forderte er. Man könne nicht nur die Einsparungen im Auge behalten, sondern man müsse auch die daraus erwachsenden Belastungen für die BürgerInnen, etwa im Verkehrsbereich aber auch hinsichtlich der Beeinträchtigung der Umwelt, berücksichtigen. Notwendig sei es auch, die Fördersysteme zu durchleuchten, damit die Wirtschaftsförderung nicht nur in die Ballungsräume wandert, sondern die Arbeit wieder zum Menschen gebracht wird. Auch sei das System der Wohnbauförderung zu hinterfragen, stellte Mödlhammer fest. Ein wesentlicher Aspekt bestehe darin, die Daseinsvorsorge als Grundeinrichtung im Finanzausgleich abzusichern. Nahverkehr sei eine Lebensader des ländlichen Raums, weshalb die Infrastruktur des öffentlichen Verkehrs und der modernen Telekommunikation nicht abgebaut werden dürfe, sondern im Gegenteil auszubauen sei. Grundsätzlich bedürfe es eines neuen Bewusstseins für den ländlichen Raum und die Entwicklung einer Qualitätsoffensive, schloss Mödlhammer.

Müller: Aufgabenorientierter Finanzausgleich sichert gerechte Finanzierung

Als einen zentralen Aspekt für eine gerechte Finanzierung bezeichnete Bürgermeister Bernhard Müller die Reform des gegenwärtigen Finanzausgleichs im Sinne eines aufgabenorientierten Finanzausgleichs. Es dürfe nicht um einen Kampf zwischen Groß und Klein gehen, sondern wer mehr leistet, der müsse auch mehr bekommen, und das könne auch ein Bergbauerndorf sein, meinte er.

Auch Müller sah den Grund für die Abwanderung aus den ländlichen Regionen in einer mangelnden Infrastruktur, weshalb auf den Nahverkehr und die Nahversorgung besonderes Augenmerk zu wenden sei. Der Bürgermeister plädierte für die Erhaltung der Identität für den Menschen, die sich auch in Ortsnamen, Wappen oder auch Feuerwehren manifestiere. Diese Identität müsse man den Menschen lassen, weshalb er für die Schaffung von Regionen mit eigenem Statut eintrat, bei dem die Gemeinden erhalten bleiben. Als notwendig erachtete er auch, Doppelgleisigkeiten abzubauen.

Schreiber: Bayern setzt Taten zur Förderung des ländlichen Raums

Das Land Bayern sehe sich ebenfalls mit zwei Herausforderungen konfrontiert, betonte der Leiter der Abteilung für Landesentwicklung im Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie, Robert Schreiber. Die bayrische Staatsregierung lege einen hohen Stellenwert auf die Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen und Chancengerechtigkeit. Der Zugang zur Bildung und zum Beruf müsse in einer angemessenen Zeit erfolgen können, die Arbeit zum Menschen gebracht und die Daseinsvorsorge gesichert werden, skizzierte er die Grundsätze der bayrischen Regierung. In Bayern würden daher besonders strukturschwache Räume bevorzugt behandelt, Einrichtungen auch dann aufrecht erhalten, wenn Schwellenwerte unterschritten werden, und man habe darüber hinaus ein System der zentralen Orte entwickelt.

Seit dem Jahr 2007 laufe ein Aktionsprogramm für den ländlichen Raum mit rund 200 konkreten Maßnahmen, deren Umsetzung auch überwacht werde, informierte Schreiber. Im letzten Jahr habe man dies zur "Chefsache" erklärt und einen Kabinettsausschuss eingerichtet, der einen Aktionsplan zum demographischen Wandel erarbeitet habe. Dabei gehe es um die Stärkung der kommunalen Finanzen, Städtebau und Dorferneuerung, gute medizinische Versorgung, die Sicherung wohnortnaher Bildung, die Sicherung der Verkehrsinfrastruktur und den Ausbau moderner Kommunikationswege. Darüber hinaus habe man auch einen Leitfaden hinsichtlich der voraussichtlichen Entwicklung von Gemeinden unter 5.000 Einwohner herausgegeben. Bayern werde in den nächsten 5 Jahren 1,3 Mrd. € für die Programme aufwenden, berichtete der Gast.

Die Herausforderungen sind groß und brauchen finanzielle Mittel

In der Diskussion ergriff zunächst Bundesrat Gottfried Kneifel (V/O) das Wort. Die Entwicklung des ländlichen Raums stelle keinen Automatismus dar, sondern es gehe um Fairness, Gerechtigkeit und Chancen, um Heimat, Identität und Lebensräume, wo man einander kennt, einander hilft und sich ehrenamtlich engagiert, skizzierte er. Das seien wichtige Werte, die den Staat tragen, betonte der Bundesrat. Kneifel forderte insbesondere die nötigen Mittel für die Nahversorgung mit Gütern und Dienstleistungen sowie für die nötige Information durch Internet und Printmedien sicherzustellen. Man könne die Arbeit zu den Menschen bringen, etwa durch Wirtschaftsparks, sagte Kneifel und sprach sich dezidiert gegen das Modell der Gebietsgemeinden aus, da dadurch ein Zweiklassensystem geschaffen würde.

Man müsse endlich weg vom Befund und hin zur Behandlung kommen, forderte Bundesrat Robert Zehentner (S/S). Vor allem laufen seiner Meinung nach die Förderungen in die falsche Richtung und seien darüber hinaus intransparent. So fließe beispielsweise die Tourismusförderung in die ohnehin prosperierenden touristischen Regionen, die Agrarförderungen zu den Großbetrieben. Wesentliche Lösungsansätze sah er auch in der Verbesserung der Wohnbauförderung und der Förderung moderner Kommunikationsmittel. HausärztInnen in kleineren Gemeinden sollten seiner Meinung nach bessere Kassenverträge erhalten, Gewerbetreibende in Fluchtgemeinden könnte man steuerlich begünstigen, so die weiteren Vorschläge Zehentners. Insgesamt seien die Förderprogramme auf die jeweilige Region zuzuschneiden.

Auch Bundesrätin Monika Mühlwerth (F/W) bedauerte den Mangel an Infrastruktur, Arbeitsplätzen, Kinderbetreuung und medizinischer Versorgung in den ländlichen Gemeinden, was sich etwa durch Postschließungen und Regionalbahnschließungen verschärft habe. Man müsse Geld in die Hand nehmen und könne nicht überall mit dem Sparstift drüberfahren, forderte sie.

Einen neuen Aspekt brachte Abgeordneter Wolfgang Pirklhuber (G) in die Diskussion ein, indem er auf die Bedeutungen der so genannten soft skills sowie der Diskussionskultur hinwies. Es gehe auch nicht nur darum, die EU-Programme weiterzuführen, sondern man müsse von einem stärkeren Bottom-Up-Ansatz ausgehen. Außerdem müsse man die Frauen auf allen Ebenen stärken und die Daseinsvorsorge als eine zentrale Aufgabe betrachten. Der Abgeordnete machte sich auch für die Entwicklung positiver finanztechnischer Instrumente stark und sprach sich für die Schaffung regionaler Verbände, etwa im Bereich erneuerbarer Energien, aus.

Auch Bundesrat Martin Preineder (V/N) plädierte dafür, den ländlichen Raum als einen gesamten Wirtschaftsraum zu betrachten und dort die Wirtschaft besser miteinander zu vernetzen. Als ein Gebot der Stunde bezeichnete der oberösterreichische Landtagspräsident Friedrich Bernhofer die Kooperation von Gemeinden und sprach sich gegen die Zusammenlegung von Gemeinden aus. Der ländliche Raum müsse als Erholungsraum erhalten werden, sagte er und trat dafür ein, die Landwirtschaft auch im Tourismus, etwa durch regionale Produkte, mitwirken zu lassen. Für ihn stellt der Tourismus eine große Chance für den ländlichen Raum dar. Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum (G/N) kritisierte die Ausdünnung des öffentlichen Nahverkehrs, der wie eine Schlagader und Impulsgeber im ländlichen Raum wirke. In Fragen der Zusammenarbeit von Gemeinden und der regionalen Zusammenarbeit müsse man Machtspiele abbauen und mehr darauf achten, dass auch dort die demokratische Zusammensetzung besser abgebildet wird. Auch für gemeinsame Betriebsansiedlungen seien die Rahmenbedingungen zu verbessern, meinte Kerschbaum.

Ein Umdenken bei der GAP forderte schließlich Abgeordneter Kurt Gassner (S). Man brauche ein gerechtes Fördersystem, das auch kleine Landwirtschaften mehr berücksichtige, sagte er und stellte bedauernd fest, dass das Hauptinteresse der zweiten Säule der GAP, nämlich die ländliche Entwicklung, in erster Linie der Landwirtschaft gegolten habe. Der ländliche Raum sei aber viel mehr als die Landwirtschaft, vor allem habe man darauf zu achten, wieder mehr Arbeitsplätze in diesen Regionen zu schaffen. Gassner wies darauf hin, dass man bis zu 10 Prozent aus der ersten Säule in die zweite Säule ohne nationale Kofinanzierung übertragen könne. (Fortsetzung Enquete Bundesrat)

HINWEIS: Fotos von dieser Enquete finden Sie auf der Website des Parlaments (www.parlament.gv.at) im Fotoalbum.


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