Parlamentskorrespondenz Nr. 903 vom 13.11.2012

Die Agrarpolitik ist ein weites Land

Nationalrat diskutiert Grünen Bericht

Wien (PK) – Die Situation der heimischen Landwirtschaft und die Zukunft der EU-Agrarpolitik prägte die weitere Debatte im heutigen Nationalrat. Den Abgeordneten lag dazu der Grüne Bericht 2012 vor. Laut Bericht haben die Einkommen und die Produktion eine positive Entwicklung genommen. Schwierig gestalten sich die aktuellen Verhandlungen über das zukünftige Agrarbudget der EU, insbesondere im Hinblick auf die 2. Säule der GAP, die für eine nachhaltige Landwirtschaft und die Erhaltung des ländlichen Raums von Bedeutung ist. Minister Berlakovich sprach davon, dass sich die EU auf einem Scheideweg befinde. Harte Kritik wurde in der Debatte von einigen Abgeordneten auch an der AMA geübt. Der Grüne Bericht wurde schließlich mehrheitlich zur Kenntnis genommen.

Keine ausreichende Zustimmung fanden hingegen die Anträge des BZÖ-Abgeordneten Gerhard Huber. Zunächst spricht er sich für die Nominierung der Isel als Natura 2000-Schutzgebiet (1912/A[E]) aus, zum anderen tritt er für die Ablehnung des GVO-Ratsbeschluss-Vorschlags 2011/0010 im Zusammenhang mit Gen-Mais (1412/A[E]) ein.

Diskussion über die Rolle von AMA

Für Abgeordneten Josef JURY (F) dokumentiert der vorliegende Grüne Bericht die seiner Meinung nach verfehlte europäische und österreichische Agrarpolitik in den vergangenen Jahren. Die Zahl der bäuerlichen Betriebe sei seit dem EU-Beitritt Österreichs von 240.000 auf 175.000 zurückgegangen, skizzierte er. Das wirke sich nicht nur negativ auf den ländlichen Raum, sondern auf die Wirtschaft insgesamt aus.

Scharfe Kritik übte Jury an der AMA, die er als "Schwindelverein" bezeichnete. Die Aufgabe der AMA wäre es, die Bauern und Bäuerinnen zu unterstützen und für gesunde und sichere Lebensmittel zu sorgen, sagte er, stattdessen mache sie den LandwirtInnen die Arbeit durch Normierungen, Zertifizierungen und bürokratischen Aufwand "so schwer wie möglich". Generell plädierte Jury für eine Renationalisierung der Agrarförderungen.

Abgeordneter Jakob AUER (V) machte demgegenüber darauf aufmerksam, dass die Bilanz des letzten Jahres für die Landwirtschaft durchaus positiv ausfalle. Durch eine gute Ernte habe die "Durststrecke" der vorangegangenen Jahre ein wenig ausgeglichen werden können, betonte er. Er rechnet allerdings damit, dass sich die Einkommenssituation der Bauern aufgrund von Ernteausfällen durch Dürre und andere Wetterkapriolen heuer wieder verschlechtern wird.

Was die Fördermittel für die Landwirtschaft betrifft, machte Auer geltend, dass 128 Mio. € aus der zweiten Säule der EU-Agrarförderungen in nichtbäuerliche Organisationen geflossen seien. Auch die Qualifizierung der AMA als "Schwindelverein" wies er vehement zurück. Dort wo ein AMA-Gütesiegel drauf ist, sei nichts anderes als österreichische Ware drinnen, bekräftige er.

Abgeordneter Wolfgang PIRKLHUBER (G) stimmte seinem Vorredner zu, dass der Grüne Bericht eine gute Analyse über die Lage der heimischen Landwirtschaft biete. Seiner Ansicht nach werden aus den Ergebnissen des Berichts aber nicht die richtigen Konsequenzen gezogen. Er sieht Landwirtschaftsminister Berlakovich bei der Umsetzung von Empfehlungen säumig. Berlakovich verhandle in Brüssel darüber, "die ungerechten Betriebsprämien" weiter zu verlängern, statt dafür einzutreten, die Förderungen stärker am Arbeitsplatz Bauernhof zu orientieren, kritisierte er. Überhaupt ist für Pirklhuber das EU-Agrarfördersystem dringend reformbedürftig.

Die Agrarmarkt Austria (AMA) bezeichnete Pirklhuber als "Staat im Staat". Die Kontrollore sitzen seiner Auffassung nach "auf einem sehr hohen Ross".

Abgeordneter Walter SCHOPF (S) führte aus, man könne mit Fug und Recht von einem sehr guten Jahr 2011 für die Landwirtschaft sprechen. Die Einkommen seien im Durchschnitt um 33 % gestiegen, skizzierte er. Bei Bergbauernhöfen und Bio-Betrieben sei das Plus allerdings nicht so hoch ausgefallen. Für Schopf ist es ein großes Problem, dass täglich drei Bauernhöfe zusperren müssten, er urgierte mehr Gerechtigkeit im Fördersystem.

Abgeordneter Gerhard HUBER (B) setzte sich kritisch mit der AMA auseinander. Bei der AMA seien knapp 600 BeamtInnen beschäftigt, während das vergleichbare Institut in Deutschland mit 89 BeamtInnen auskomme, erklärte er. Für ihn betreibt die AMA lediglich Machtpolitik im Interesse der ÖVP, während sie im Marketing "kläglich versagt". Auch das AMA-Gütesiegel ist für ihn "ein einzigartiges Desaster".

Was die beiden vorliegenden Anträge des BZÖ betrifft, wandte sich Huber vehement gegen eine Verbauung der Isel. Er kritisierte zudem, dass sich im Rahmen einer Untersuchung 14 von 20 Brotproben als "Glyphosat-verseucht" herausgestellt hätten.

Abgeordnete Anna HÖLLERER (V) machte darauf aufmerksam, dass der Anteil der Frauen in der Landwirtschaft steige und mittlerweile bereits 38 % der Betriebe von Betriebsführerinnen geleitet würden. Die Bäuerinnen verstünden sich als Unternehmerinnen und würden auch neue Einnahmequellen für die Betriebe erschließen, sagte sie. So setzten sie etwa im Bereich der Direktvermarktung viele Aktivitäten. Ausdrücklich begrüßte Höllerer Frauenfördermaßnahmen im Bereich der Landwirtschaft und verwies beispielsweise auf eine Trainingsreihe zum Aufbau von Genderkompetenz in Förderstellen. Um weiter Arbeitsplätze im ländlichen Raum abzusichern, müsse dieser auch in Zukunft mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausgestattet sein, bekräftigte sie.

Abgeordneter Erich TADLER (T) hob hervor, dass Österreich eine vergleichsweise hohe Wasserqualität habe. Regional ist ihm zufolge das Wasser durch Intensivlandwirtschaft und unzureichende Kanalsysteme aber belastet. Im Bereich des Hochwasserschutzes und der Wildbachverbauung forderte Tadler in Folge der katastrophalen Überschwemmungen in den vergangenen Monaten ein Umdenken, etwa was die Baugenehmigung für rote Zonen betrifft.

Berlakovich: EU-Agrarpolitik am Scheideweg

Landwirtschaftsminister Nikolaus BERLAKOVICH verwies auf das Einkommensplus für die Landwirtschaft im Jahr 2011, das er nicht zuletzt auf passendes Wetter, passende Erträge und passende Produktionsbedingungen zurückzuführte. Das Durchschnittseinkommen in der Landwirtschaft liege aber noch immer unter den Durchschnittseinkommen der unselbstständig Beschäftigten, machte er geltend. Zudem sei die Landwirtschaft mit sehr volatilen Preisen konfrontiert, so könnte das Einkommen heuer durch Dürre, Fröste und Überschwemmungen wieder sinken.

Die EU steht nach Meinung von Berlakovich derzeit am Scheideweg: Entweder gehe man in Richtung Agrarindustrie oder forciere die bäuerliche Landwirtschaft. Österreich ist seiner Darstellung nach vom Strukturwandel in der Landwirtschaft im Vergleich zu anderen Ländern weniger betroffen, die bäuerliche Struktur könne aber nur durch ausreichende Finanzmittel auch in Zukunft aufrecht erhalten werden. Berlakovich betonte überdies, dass die österreichische Landwirtschaft gentechnikfrei ist. Kritik an der AMA wies er zurück.

Abgeordnete machen sich für kleine Landwirtschaftsbetriebe stark

Abgeordnete Rosemarie SCHÖNPASS (S) machte geltend, dass die Agrarfördermittel in Österreich sehr ungerecht verteilt seien. Große Betriebe mit viel Fläche erhielten viel Geld, kleine Betriebe wenig, sagte sie. Es brauche dringend Gegenmaßnahmen, damit der ländliche Raum nicht aussterbe. Schönpass trat in diesem Sinn auch dafür ein, EU-Agrarfördermittel für den gesamten ländlichen Raum und nicht nur für Landwirte bereitzustellen.

Abgeordneter Rupert DOPPLER (F) erinnerte daran, dass das Jahr 2009 ein extrem schlechtes Jahr für die Landwirte gewesen sei. Die Einkommenszuwächse im Jahr 2011 sind für ihn daher nur relativ zu sehen. Doppler forderte die Regierung auf, alles daran zu setzen, um Bergbauernbetriebe zu erhalten. Wenn diese Höfe nicht mehr bewirtschaftet werden, "sieht es finster aus für das Land", meinte er, nicht nur für den Fremdenverkehr, sondern auch für die Umwelt. Schließlich schütze die Bewirtschaftung auch vor Naturkatastrophen.

Abgeordneter Franz ESSL (V) hielt fest, der vorliegende Grüne Bericht sei durchaus positiv. 2011 sei ein gutes Jahr für die Landwirtschaft gewesen, auch wenn der Einkommensknick 2009 noch nicht ganz ausgeglichen werden konnte. Der Kritik an der AMA schloss sich Eßl teilweise an und verwies auf fragwürdige Rückzahlungsverpflichtungen.

Abgeordnete Christiane BRUNNER (G) kündigte die Zustimmung der Grünen zu den beiden vorliegenden Anträgen des BZÖ an. Die Grünen seien grundsätzlich für die Nutzung von Wasserkraft, die Isel sei aber schützenswert und müsse erhalten bleiben, erklärte sie. Brunner forderte Berlakovich auf, einen Generalplan zum Ausbau der Wasserkraft in Österreich zu erstellen und dabei auch "no-go-areas" in sensiblen Gebieten festzulegen. Ablehnend äußerte sich Brunner auch zum Agrosprit, dieser ist für sie keine Klimaschutzmaßnahme.

Abgeordneter Michael SCHICKHOFER (S) unterstrich, die Einkommens- und Vermögenssituation der Bauern habe sich im Jahr 2011 verbessert. Auch in der Landwirtschaft seien Vermögen und Einkommen aber sehr unterschiedlich verteilt, konstatierte er. Die SPÖ setze sich auch hier für mehr Verteilungsgerechtigkeit ein. Um entsprechende Maßnahmen setzen zu können, urgierte Schickhofer eine differenzierte Darstellung der Vermögenssituation in der Landwirtschaft im nächsten Grünen Bericht.

Abgeordneter Maximilian LINDER (F) forderte die Regierung auf, den Fokus der Agrarpolitik nicht auf die Witterung, sondern auf beeinflussbare Faktoren zu legen. Man müsse sich etwa darüber Gedanken machen, warum kleine Betriebe mit 20 bis 30 Hektar oder 40 bis 50 Stück Vieh nicht mehr lebensfähig seien, bekräftigte er. Linder selbst sprach sich dafür aus, kleinen Betrieben eine Grundförderung zukommen zu lassen. Zudem trat er dafür ein, die Bürokratie für die LandwirtInnen zu verringern.

Für Abgeordneten Hermann GAHR (V) zeigt der Grüne Bericht die vielfältigen Aufgaben der Landwirtschaft auf, die weit über die Produktion von hochwertigen Lebensmitteln hinausgehen. Sie sichere viele Arbeitsplätze im vor- und nachgelagerten Bereich, trage zu einer intakten Umwelt bei und sorge auch für Rohstoffe für nachhaltige Energiegewinnung. Den Antrag des Abgeordneten Huber, das Tal der Isel zu einem Natura 2000-Gebiet zu erklären, sah er kritisch. Das würde letztlich zahlreiche Hindernisse für die ökonomische Entwicklung der Gemeinden im betroffenen Gebiet schaffen, merkte er an.

   

Abgeordnete ziehen gemischte Bilanz

Abgeordneter Bernhard VOCK (F) meinte, die Welt der österreichischen Landwirtschaft sei bei weitem nicht so in Ordnung, wie der Grüne Bericht glauben machen wolle. Die Importe von Lebensmitteln würden zunehmen. Vock stellte eine Verbindung zu den zahlreichen Betriebsschließungen in den letzten Jahren her. Das AMA-Gütesiegel gebe keine Gewähr, dass ein rein österreichisches Produkt verkauft werde, der Anteil österreichischer Zutaten müsse nur zwei Drittel betragen. Vock forderte Maßnahmen, um die österreichischen NahrungsmittelpoduzentInnen zu schützen.    

Abgeordnete Gabriele BINDER-MAIER (S) verwies auf die Ergebnisse einer Studie, die im Grünen Bericht zu finden sind und die auf den mangelnden Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen im ländlichen Raum hinweisen. Dies stelle ein Hindernis für Frauen dar, am Berufsleben teilzunehmen. In diesem Bereich sah sie einen großen Nachholbedarf, weshalb alles getan werden müsse, um die Situation der Frauen im ländlichen Raum zu verbessern.

Abgeordneter Harald JANNACH (F) konstatierte, dass auch in der Amtsperiode von Bundesminister Berlakovich der Rückgang der Zahl bäuerlicher Betriebe unvermindert angehalten habe. Besonders hoch sei die Zahl der Schließungen von Milchbetrieben gewesen, erinnerte er. Bei einem schlechten Verhandlungsergebnis für die nächste Förderperiode der EU seien zahlreiche weitere Betriebsaufgaben zu befürchten. Viele Belastungen der Landwirtschaft seien aber hausgemacht, sagte Jannach, dagegen müsse es einen Aufschrei geben. Der Rechnungshof habe in mehreren Berichten auf die Misswirtschaft und Verschwendung im Landwirtschaftsministerium hingewiesen, zuletzt etwa in Zusammenhang mit dem ÖPUL-Programm. Der Abgeordnete forderte daher, diese Missstände abzustellen.

    

Abgeordneter Peter MAYER (V) widersprach seinen Vorrednern der Opposition zur Lage der bäuerlichen Betriebe. Die hohe Zahl junger BetriebsführerInnen und von Biobetrieben in Österreich beweise, dass die Landwirtschaft von der jüngeren Generation als zukunftsträchtig angesehen werde. Landwirtschaftliche Betriebe investierten pro Jahr 2 Mrd. € in die regionale Wirtschaft. Daher sei es notwendig, das wichtige Instrument der Investitionsförderung in der zweiten Säule der GAP im nächsten Rahmenprogramm entsprechend abzusichern und auszubauen, urgierte er.  

  

Abgeordneter Ewald SACHER (S) verwies auf die hohen Belastungen von Gewässern und Grundwasser mit Nitrat und Pflanzenschutzmitteln in Gebieten mit intensiver Landwirtschaft. Das Problem sei besonders in niederschlagsarmen Gebieten im Norden und Osten Österreichs massiv, führte er aus. Nach ersten Erfolgen steige seit 2007 die Nitratbelastung dort wieder an. Er appellierte an den Landwirtschaftsminister, hier alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Versorgung der Bevölkerung mit sauberem Wasser zu sichern.

     

Abgeordnete Ulrike KÖNIGSBERGR-LUDWIG (S) thematisierte das Bienensterben, das in deutlichem Zusammenhang mit der Ausweitung des Maisanbaus und den dabei verwendeten Beiz- und Pflanzenschutzmitteln stehe. Der Nationalrat habe einen Unterausschuss eingesetzt, um eine Lösung für dieses akute Problem zu suchen, hielt die Abgeordnete fest, und sie hoffe, dass man sehr bald erfolgreich sein werde.

    

Abgeordneter Gerhard HUBER (B) meinte in einer zweiten Wortmeldung, die Betriebsschließungen der letzten Jahre würden eine deutliche Sprache sprechen. Viele Landwirte sähen keine Zukunft mehr. Das als Erfolg zu verkaufen, sei "eine Frechheit". Es stimme auch nicht, dass die Lebensmittel in Österreich gentechnikfrei seien, da pro Jahr Unmengen von Futtermitteln aus gentechnisch verändertem Soja importiert und verfüttert würden. Man verkaufe importierte Produkte fälschlich als österreichische Erzeugnisse, während der Eigenversorgungsgrad bei Lebensmitteln sinke, kritisierte er scharf. 

Abgeordneter Kurt GASSNER (S) las aus dem Grünen Bericht eine bedenkliche Entwicklung bei den Betriebsschließungen heraus. Diese beträfen vor allem Bergbauern sowie Klein- und Nebenerwerbsbetriebe. Es sei eine Illusion, dass Österreich mit den Betriebsgrößen anderer Länder der EU jemals würde mithalten können. Die gesamte Entwicklungsrichtung im Agrarsektor müsste daher grundsätzlich überdacht werden, denn die gegenwärtige Ausrichtung der Förderpolitik im Agrarbereich sei durch massive Fehlentwicklungen gekennzeichnet. Auch hierüber müsse man diskutieren, sagte Gaßner.

Abgeordneter Hermann SCHULTES widersprach in einer Tatsächlichen Berichtigung der Behauptung von Abgeordnetem Huber, ausländisches Schweinefleisch könne das AMA-Gütesiegel erhalten. Das sei nicht der Fall. (Fortsetzung Nationalrat)