Parlamentskorrespondenz Nr. 913 vom 15.11.2012

Die Gleichbehandlungsanwaltschaft stößt an ihre Grenzen

Gleichbehandlungsbericht für die Privatwirtschaft 2010 und 2011

Der gemeinsame Bericht über die Vollziehung des Gleichbehandlungsgesetzes für die Jahre 2010 und 2011 (III-360 d.B.)ist von der Bundesministerin für Frauen und Öffentlichen Dienst und dem Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz dem Nationalrat vorgelegt worden. Der Bericht (GlBG), wie er alle zwei Jahre vorzulegen ist, enthält Angaben über die Tätigkeit und Wahrnehmungen der Gleichbehandlungsanwaltschaft (GAW), zu den Verfahren vor der Gleichbehandlungskommission (GBK) und über die sonstige Tätigkeit der Kommission. Die Zahl der Anfragen an die bzw. der Beratungen durch die Gleichbehandlungsanwaltschaft sei in den letzten Jahren in etwa gleich geblieben, heißt es im Bericht. Das spiegle aber nicht das tatsächliche Diskriminierungsniveau wider, sondern sei ein Hinweis darauf, dass die Anwaltschaft seit einigen Jahren an die Grenzen ihrer mit den vorhandenen Ressourcen gegebenen Möglichkeiten gelangt ist.

Der vorliegende Bericht gliedert sich in zwei Teile: Teil I enthält den Tätigkeitsbericht der drei Senate der Gleichbehandlungskommission, den Bericht des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend die Weiterentwicklung des Gleichbehandlungsgesetzes und des GBK/GAW-Gesetzes, Informationen über die Vollziehung des Gleichbehandlungsgesetzes durch die Gerichte sowie Ausführungen zur Gleichbehandlung im EU-Recht und Beiträge der Interessenvertretungen. Teil II umfasst den Bericht über die Tätigkeit und die Wahrnehmungen der Gleichbehandlungsanwaltschaft. Dieser Berichtsteil enthält die Beratungsstatistik der Gleichbehandlungsanwaltschaft und ausgewählte Fallbeispiele zu verschiedenen Diskriminierungsgründen und Tatbeständen des Gleichbehandlungsgesetzes.

Da gemäß GBK/GAW-Gesetz die Einzelfallprüfungsergebnisse der Senate der Gleichbehandlungskommission nunmehr in anonymisierter Form in vollem Wortlaut auf der Website des Bundeskanzleramtes zu veröffentlichen sind, sind die von den Senaten mit einem Prüfungsergebnis abgeschlossenen Fälle im Bericht nur mehr überblicksmäßig dargestellt und können online unter der im Bericht genannten GBK-Zahl beim jeweiligen Senat in anonymisierter Form oder über das Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) unter der Rubrik "Judikatur" abgerufen werden.

Bericht der Senate der Gleichbehandlungskommission

Senat I ist für die Gleichbehandlung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt zuständig. Er ist auch für Fälle von Mehrfachdiskriminierung zuständig, wenn also zusätzlich Fragen der Gleichbehandlung ohne Unterschied von ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Weltanschauung, Alter oder der sexueller Orientierung in der Arbeitswelt berührt sind. Im Laufe des Berichtszeitraums 1. Jänner 2010 bis 31 Dezember 2011 wurden insgesamt 150 Anträge für den Senat I eingebracht. Es fanden 54 Sitzungen, davon 30 Ausschusssitzungen, statt. 51 der anhängigen Verfahren wurden in diesem Zeitraum in verschiedenen Verfahrensstadien zurückgezogen, in 8 Fällen erklärte sich der Senat für unzuständig. Ein Fall wurde wegen vorliegender Immunität nicht behandelt. Insgesamt wurden 86 Prüfungsergebnisse und eine Erledigung durch Berichtslegung erstellt.

Senat II ist für die Gleichbehandlung ohne Unterschied von ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Weltanschauung, Alter oder sexueller Orientierung in der Arbeitswelt zuständig. Im Berichtszeitraum wurden für ihn 51 Anträge eingebracht, es fanden 25 Sitzungen statt. 25 der anhängigen Anträge wurden in verschiedenen Verfahrensstadien zurückgezogen, in einem Fall erklärte der Senat II sich für unzuständig. Insgesamt wurden 31 Prüfungsergebnisse erstellt.

Senat III der Gleichbehandlungskommission ist für Gleichbehandlung ohne Unterschied des Geschlechts oder der ethnischen Zugehörigkeit in Bereichen außerhalb der Arbeitswelt zuständig. Im Berichtszeitraum wurden bei ihm 30 Verfahren eingeleitet. In fünf weiteren Fällen wurde aufgrund der Nichteinhaltung des Gleichbehandlungsgebotes ein schriftlicher Bericht verlangt, wobei in zwei Fällen der/die für die vermutete Diskriminierung Verantwortliche dieser Pflicht nicht nachkam.

Vom Senat III wurden im Berichtszeitraum 20 Prüfungsergebnisse und ein Gutachten erstellt. 5 Anträge wurden zurückgezogen, in vier Fällen erklärte sich Senat III für unzuständig. Zwei Verfahren wurden eingestellt. Insgesamt fanden 26 Sitzungen des Senats statt.

BAK und ÖGB sehen keinen ausreichenden Diskriminierungsschutz

Von den Interessensvertretungen haben Bundesarbeitskammer (BAK) sowie Österreichischer Gewerkschaftsbund (ÖGB) einen Beitrag zum Bericht über die Vollziehung des Gleichbehandlungsgesetzes beigesteuert. BAK und ÖGB halten fest, dass die für eine Diskriminierung erfolgenden Sanktionen wirksam und abschreckend sein sollten. Die BAK fordert daher in diesem Zusammenhang unter anderem eine Anhebung der Schadenersatzbeiträge im GlBG und die Aufhebung der Höchstschadenersatzbeträge, leichteren Zugang zum Gericht für Diskriminierungsopfer, Erleichterung bei den Prozesskosten und bei der Beweislast sowie ein Verbandsklagerecht zur Entlastung von Einzelpersonen. Der ÖGB bemängelt, dass die Gerichte an die Prüfungsergebnisse der Institutionen zur Wahrung der Gleichbehandlung nicht gebunden sind, was zusammen mit der derzeitigen Ausgestaltung des Verfahrens vor der Gleichbehandlungskommission zu einem Rechtsschutzdefizit für die von Diskriminierung betroffenen Personen führe.

Keine Stellungnahme kam von der Wirtschaftskammer Österreich und von der Vereinigung der Österreichischen Industrie. Die Landwirtschaftskammer Österreich verweist auf eine Umfrage bei den Landes-Landwirtschaftskammern, wonach derzeit keine Probleme bei der Vollziehung der Landesgesetze, welche die Bestimmungen betreffend Gleichbehandlung in der Land- und Forstwirtschaft umsetzen, vorliegen.

Gleichbehandlungsanwaltschaft hat "Plafond erreicht"

Teil II des Gleichbehandlungsberichts ist der Bericht der Anwaltschaft für Gleichbehandlung. Er enthält statistische Daten über die Anfragen und Beratungen zu den drei Teilen der Gleichbehandlungsgesetzes und damit zu allen drei Bereichen der Gleichbehandlungsanwaltschaft sowie der Regionalbüros. Die Themenschwerpunkte in der Beratung werden an ausgewählten Beispielen dargestellt. Die Gleichbehandlungsanwaltschaft berichtet über ihre Informations- und Bewusstseinsarbeit sowie über ihre Wahrnehmungen im Zusammenhang mit ihrer ExpertInnentätigkeit in der Gleichbehandlungskommission und im Zusammenhang mit der gerichtlichen Durchsetzung von Ansprüchen nach dem Gleichbehandlungsgesetz.

Inhalt des Berichts sind auch Fragen der Weiterentwicklung der rechtlichen Grundlagen und der Gleichbehandlungsanwaltschaft. Nach Ansicht der Gleichbehandlungsanwaltschaft sollten alle Gruppen, die von Diskriminierung bedroht sind, in allen gesetzlich geregelten Bereichen den gleichen Schutz durch das Gleichbehandlungsgesetz in Anspruch nehmen können. Das ist in den meisten europäischen Staaten, aber noch nicht in Österreich der Fall. Ein Verbot der Diskriminierung aufgrund von Religion oder Weltanschauung, Alter oder sexueller Orientierung gilt in Österreich nur in der Arbeitswelt, aber nicht außerhalb. Weitere Forderungen der Anwaltschaft betreffen mehr Transparenz bei betrieblichen Entgeltsystemen, um den Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche und gleichwertige Arbeit in Individualverfahren bei Gerichten besser durchsetzen zu können. Notwendig wäre aus ihrer Sicht auch die Einführung einer Beweislastumkehr. Die Bestimmungen über die Anwaltschaft für Gleichbehandlung sollten gestrafft, vereinfacht und vereinheitlicht werden. Es müsste auch eine institutionelle Weiterentwicklung und Verstärkung der Personalressourcen stattfinden, um vor allem für Ratsuchende in den Bundesländern ein adäquates Beratungsangebot sicher zu stellen, heißt es in dem Bericht.

Die Gleichbehandlungsanwaltschaft bietet eine große Anzahl von Beratungen zu den verschiedenen Tatbeständen an, die von den drei Teilen des Gleichbehandlungsgesetzes erfasst sind (Gleichbehandlung und Gleichstellung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt, andere Diskriminierungen in der Arbeitswelt sowie diskriminierungsfreier Zugang zu Gütern und Sachleistungen). 2010 wurden 4.834, 2011 4.444 Anfragen und Beratungen registriert. Der Bericht könne daher, so wird einleitend festgehalten, jeweils nur einzelne ausgewählte Beispiele darstellen. Den VerfasserInnen des Berichts war es wichtig zu unterstreichen, dass dies nicht zu falschen Schlussfolgerungen verleiten dürfe. So dürfe aus der Tatsache, dass die Gleichbehandlungsanwaltschaft nur wenige Beispiele dafür anführt, nicht gefolgert werden, Einkommensdiskriminierung komme so gut wie nie vor. Die Zahlen in der Beratungsstatistik spiegeln nicht das Ausmaß der Diskriminierungen wider, sondern lediglich den Anteil der Personen, die sich letztlich entscheiden, die Beratung und Unterstützung der Gleichbehandlungsanwaltschaft in Anspruch zu nehmen.

Für die Gleichbehandlungsanwaltschaft sei "der Plafond der mit den gegenwärtigen Ressourcen zu bewältigenden Zahl (der Beratungen und Anfragen) seit einigen Jahren erreicht". Die Beratungen und Anfragen zu Diskriminierung in der Arbeitswelt aus anderen Gründen als aufgrund des Geschlechts würden aber weiterhin zunehmen. (Schluss)