Parlamentskorrespondenz Nr. 988 vom 27.11.2012

Bericht: Verwaltungsgerichtshof konnte Aktenrückstau weiter abbauen

Sowohl VwGH als auch VfGH begrüßen neue Verwaltungsgerichte

Wien (PK) – Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) konnte im vergangenen Jahr den Aktenrückstau weiter abbauen. Zwar waren zum Jahresende 2011 immer noch rund 6.600 Fälle offen, die Zahl der erledigten Rechtssachen lag aber bereits das dritte Jahr in Folge deutlich über dem Neuanfall. Das geht aus dem aktuellen Tätigkeitsbericht des VwGH hervor, der von Bundeskanzler Werner Faymann gemeinsam mit dem Tätigkeitsbericht des Verfassungsgerichtshofs 2011 dem Nationalrat vorgelegt wurde (III-366 d.B.). Allerdings rechnet der Verwaltungsgerichtshof damit, dass sich der jährliche Aktenanfall durch die Neuordnung der Verwaltungsgerichtsbarkeit ab 2014 wieder verdoppeln wird, er drängt daher auf entsprechende personelle und finanzielle Vorkehrungen.

Die im Mai vom Parlament beschlossene Einführung von elf Verwaltungsgerichten erster Instanz wird vom Verwaltungsgerichtshof dennoch ausdrücklich begrüßt. Er spricht sogar von einem Schritt mit "epochaler Bedeutung". Auch der Verfassungsgerichtshof (VfGH) äußert sich dazu positiv.

Verwaltungsgerichtshof hob 2011 1.673 Bescheide auf

Insgesamt sind im Jahr 2011 beim Verwaltungsgerichtshof 4.599 Beschwerden eingelangt. Das sind um 249 Rechtssachen bzw. 5,14 % weniger als im Jahr 2010. Im gleichen Zeitraum wurden 6.249 Fälle erledigt. Da verstärkt Rückstände aufgearbeitet wurden, lag die durchschnittliche Erledigungsdauer der mit Sachentscheidung abgeschlossenen Fälle mit 23 Monaten etwas über dem langjährigen Mittel.

In 1.673 Fällen hob der VwGH 2011 den angefochtenen Bescheid auf. Damit gab er, gemessen an den insgesamt 6.249 Beschwerden und sonstigen Anträgen, in rund 27 % der Fälle dem Beschwerdeführer statt. Grund dafür waren in erster Linie inhaltliche Einwände gegen einen Bescheid (1.101), in den anderen Fällen wurden Verfahrensvorschriften verletzt (459) bzw. Entscheidungen von einer unzuständigen Behörde getroffen (113). In 2.216 Fällen wurden die Beschwerden hingegen als unbegründet abgewiesen. Die Behandlung der weiteren Beschwerden wurde entweder abgelehnt oder das Verfahren wegen fehlender Prozessvoraussetzungen eingestellt.

Inhaltlich gesehen betrafen die mit Abstand meisten Beschwerden wieder das Sicherheitswesen (2.287). Aber auch Abgabenbescheide sowie Entscheidungen der Sozialversicherung wurden verhältnismäßig oft beim VwGH bekämpft. In vier Fällen machte der Verwaltungsgerichtshof ein Normenprüfungsverfahren beim Verfassungsgerichtshof anhängig. In weiteren vier Fällen entschied er sich für eine Vorlage des Falls beim Europäischen Gerichtshof (EuGH). Konkret betraf das Fragen betreffend die Rechte und Pflichten von BahnkundInnen, die Bewerbung von Casinos mit Standort im Ausland, die Vermögensveranlagung durch betriebliche Vorsorgekassen und das Aufenthaltsrecht von Familienangehörigen aus Drittstaaten.

Kindergartenlärm ist von AnrainerInnen hinzunehmen

Im Bericht werden auch etliche ausgewählte Entscheidungen des VwGH angeführt. So urteilte er etwa über die Befugnisse der Finanzmarktaufsicht, die Geltendmachung von Reiseaufwendungen, die steuerliche Absetzbarkeit von Begräbniskosten, die Zusammenrechnung von Auftragswerten im Vergabeverfahren, den Nichtraucherschutz in Gaststätten, die Zulässigkeit der Entlassung von Beamten, die Grenze zwischen Werbung und Teleshopping sowie die Verhängung von Einreiseverboten für illegal in Österreich aufhältige AusländerInnen. Ausdrücklich stellte er überdies klar, dass Kindergartenlärm von AnrainerInnen grundsätzlich hinzunehmen ist, begünstigte behinderte Personen auf ihre Begünstigung verzichten dürfen, Häftlingen das Recht zusteht, mit ihrem Vertrauensarzt allein gelassen zu werden, und eine Pendelbahn unter die UVP-Pflicht von Skipisten, Skiliften und Seilbahnen fällt. Zahlreiche Erkenntnisse fällte er außerdem in Zusammenhang mit den Tiroler Agrargemeinschaften.

Doppelter Aktenanfall beim VwGH ab 2014?

Erfreut äußert sich der Verwaltungsgerichtshof darüber, dass ihm im Zuge der Reform Verwaltungsgerichtsbarkeit die Ermächtigung eingeräumt wurde, unter bestimmten Voraussetzungen in der Sache selbst zu entscheiden. Außerdem begrüßt er, dass im Verhältnis zwischen den neuen Verwaltungsgerichten und dem Verwaltungsgerichtshof das Instrument des Fristsetzungsantrags – und nicht jenes der Säumnisbeschwerde – zur Anwendung kommen wird.

Was die generellen Auswirkungen der Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf den Verwaltungsgerichtshof betrifft, weist der VwGH darauf hin, dass er durch die neuen Verwaltungsgerichte erster Instanz, die im Jahr 2014 ihre Arbeit aufnehmen werden, und die vorgesehenen Zugangsschranken zum VwGH entlastet wird. Da er jedoch seine Zuständigkeit für Asylsachen wieder zurückerhält und auch mit einigen neuen Materien betraut wird, rechnet der Verwaltungsgerichtshof mit einem Anstieg des jährlichen Anfalls neuer Rechtssachen von derzeit rund 5.000 auf zumindest 10.000 Fälle. Gleichzeitig wird ihm zufolge der Aktenrückstau Ende 2013 voraussichtlich noch nicht zur Gänze abgearbeitet sein. Der VwGH dängt daher auf die Bereitstellung ausreichender finanzieller und personeller Ressourcen, um für die kommenden Herausforderungen gewappnet zu sein.

Kritisch beurteilt der VwGH die so genannten "Gesetzesbeschwerde", über deren Einführung derzeit im Verfassungsausschuss des Nationalrats beraten wird. Nach Meinung des VwGH gilt es in jedem Fall zu verhindern, dass der Subsidiarantrag zu einem Instrument der "Superrevision" wird und der Verfassungsgerichtshof damit die Rechtsanschauung eines anderen Höchstgerichts de facto aushebeln kann. In einem solchen Fall würde es zur Verlängerung unzähliger Gerichts- und Verwaltungsverfahren kommen, warnen die VwGH-RichterInnen.

VfGH: Asylfälle machten erneut Zwischensession erforderlich

Die Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit und die Einrichtung von Verwaltungsgerichten erster Instanz wird auch vom Verfassungsgerichtshof ausdrücklich begrüßt. Da der Verwaltungsgerichtshof künftig wieder in Asylangelegenheiten angerufen werden kann, ist ab 2014 mit einer spürbaren Entlastung des VfGH zu rechnen. Beschwerden gegen Entscheidungen des Asylgerichtshofs machen derzeit rund 60 % der Beschwerdefälle beim VfGH aus, wie aus dem aktuellen Tätigkeitsbericht hervorgeht: von 4.400 im Jahr 2011 neu anhängig gewordenen Verfahren betrafen 2.578 Asylsachen.

Um keinen allzu großen Rückstau bei den Asylbeschwerden entstehen zu lassen, hat der Verfassungsgerichtshof 2011 wieder eine zweitägige Zwischensession eingelegt. Darüber hinaus wurden organisatorische Maßnahmen gesetzt, um die Verfahrenseffizienz weiter zu steigern. Dadurch gelang es den VfGH-RichterInnen im Jahr 2011, 3.445 Asylbeschwerden zu erledigen. Zum Jahresende waren damit nur noch rund 450 Fälle offen.

Eine weitere Verbesserung der Verfahrensabläufe erwartet sich der VfGH von der Einführung der elektronischen Aktenführung und vom im Juli 2012 erfolgten Umzug an einen zentralen Standort mit zeitgemäßen Arbeitsbedingungen.

5.613 abgeschlossene Verfahren

Insgesamt hat der Verfassungsgerichtshof im Jahr 2011 5.613 Verfahren erledigt. Dazu zählen – neben den 3.445 Asylbeschwerden – unter anderem auch 250 Gesetzesprüfungsverfahren, 240 Verordnungsprüfungsverfahren, eine Staatsvertragsprüfung, 1.635 Bescheidbeschwerden und vier Wahlanfechtungen. 1.393 Rechtssachen waren zum Jahresende noch anhängig, davon 14 Fälle aus dem Jahr 2009.

Die durchschnittliche Verfahrensdauer, vom Eingangsdatum bis zur Abfertigung der Entscheidung, blieb mit rund 8 Monaten (229 Tagen) im langjährigen Durchschnitt, wobei die viel kürzer dauernden Asylrechtssachen nicht berücksichtigt sind.

In 505 Fällen (9 %) gab der Verfassungsgerichtshof laut Bericht dem Antrag des Beschwerdeführers bzw. der Beschwerdeführerin statt. Dem stehen 138 Abweisungen, 253 Zurückweisungen und 1.345 Ablehnungen gegenüber. Dazu kommen 3.372 "sonstige Erledigungen", wozu auch Verfahrenseinstellungen zählen.

VfGH hob 22 von 46 geprüften Gesetzesnormen auf

Im Rahmen der Gesetzesprüfung hob der VfGH von 46 geprüften Normen 22 zumindest teilweise auf. Dazu gehören etwa Bestimmungen im Elektrizitätswirtschafts- und –organisationsgesetz, im Gerichtsgebührengesetz, im Kinderbetreuungsgeldgesetz, im Staatsbürgerschaftsgesetz, im Fremdenpolizeigesetz, im Glücksspielgesetz, im ORF-Gesetz und im Universitätsgesetz. 24 Gesetze, u.a. das Familienlastenausgleichsgesetz, das Bundespflegegeldgesetz und das Behinderteneinstellungsgesetz hielten hingegen der Prüfung stand. So konnte sich weder die Kärntner noch die Vorarlberger Landesregierung mit Beschwerden gegen Bundesgesetze durchsetzen. 56 Gesetzesprüfungsverfahren waren Ende 2011 noch anhängig, davon 11 aus dem Jahr 2010.

Wie aus dem im Bericht angeführten ausgewählten Entscheidungen hervorgeht, hat der VfGH unter anderem die Herabsetzung der Altershöchstgrenze für den Bezug der Familienbeihilfe, die Beschränkung der "13. Familienbeihilfe" auf Kinder im Pflichtschulalter, den Entfall des Alleinverdienerabsetzbetrags für kinderlose Ehen und Lebensgemeinschaften, die Stabilitätsabgabe für Banken und das Halteverbot von Wildtieren in Zirkussen für zulässig erklärt. Ebenso hat er einen Antrag der Salzburger Landesregierung abgewiesen, der sich gegen die von Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner erteilte starkstromwegerechtliche Genehmigung von Vorarbeiten für eine 380-kV-Leitung von Salzburg nach Oberösterreich richtete.

Aufgehoben wurden dem gegenüber u.a. die Regelung der Studienbeiträge, die Bestimmungen über das E-Voting bei ÖH-Wahlen und über die Wahl des ORF-Publikumsrats, die niedrige Grundbuchseintragungsgebühr bei Schenkungen und Erbschaften sowie die Rückzahlungsverpflichtung des Zuschusses zum Kinderbetreuungsgeld. Auch die begünstigte Zuwendung von Grundstücken an Privatstiftungen wertete er als in dieser Form nicht gerechtfertigt. Viele der aufgehobenen Gesetzesbestimmungen wurden mittlerweile bereits repariert bzw. stehen kurz vor der Reparatur.

Hervorgehoben wird im Bericht auch, dass der Verfassungsgerichtshof bei der österreichischen Bevölkerung eine sehr starke Vertrauensposition innehat und im Spitzenfeld von 24 abgefragten Institutionen liegt. (Schluss)