Parlamentskorrespondenz Nr. 241 vom 21.03.2013

Nationalrat beschließt neues Kinder- und Jugendhilfegesetz

Volljährige können Familienbeihilfe direkt bekommen

Wien (PK) – Familienthemen bestimmten den Nachmittag im Nationalrat. Nach langwierigen Verhandlungen ist nun der Weg frei für Verbesserungen beim Schutz von Kindern und Jugendlichen und zukünftig kann die Kinderbeihilfe auch direkt an Volljährige ausbezahlt werden, aber nur mit Zustimmung der Eltern. Familienberatungsstellen sollen bald barrierefrei zugänglich sein.

Ein Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz 2013 regelt die Rahmengesetzgebung des Bundes für Kinder- und Jugendschutz in Österreich. Die Ausführungsgesetzgebung und Vollziehung bleibt, wie schon bisher, jedoch Ländersache.

Mitverhandelt mit dieser Regierungsvorlage wurden Entschließungsanträge der Opposition, die von den Regierungsfraktionen mit der Begründung, dass die Novelle die Forderungen bereits berücksichtige, abgelehnt wurden. Es handelt sich dabei um den Antrag des BZÖ nach einem Bundesgrundsatzgesetz zur Kinder-und Jugendwohlfahrt, sowie den Antrag der Grünen betreffend einen Gesetzesentwurf über die Grundsätze für soziale Arbeit mit Familien und Erziehungshilfen für Kinder und Jugendliche. Ebenso blieben ein Antrag der Grünen betreffend "Hilfen für junge Erwachsene" sowie ihr Antrag auf Einarbeitung der Erkenntnisse der ExpertInnenkommission zum "Fall Cain" in der Minderheit.

Abgeordnete Anneliese KITZMÜLLER (F) sieht das vorliegende Kinder- und Jugendhilfegesetz zwar als ersten richtigen Schritt, insgesamt ist ihrer Meinung nach aber nur eine halbherzige Lösung gelungen. Das Gesetz bringe keinen Innovationsschub, bedauerte sie. Insbesondere vermisst sie die Verankerung eines verpflichtenden Vier-Augen-Prinzips zur Gefährdungsabklärung, nur so könnten Fälle wie Luca und Cain verhindert werden. Um diese Forderung zu unterstreichen, brachte sie einen Abänderungsantrag ein. Skepsis äußerte Kitzmüller außerdem in Bezug auf die gelockerten Verschwiegenheitspflichten und die späte Evaluierung des Gesetzes.

Abgeordnete Ridi STEIBL (V) zeigte für die Kritik von Abgeordneter Kitzmüller kein Verständnis. Ihrer Ansicht nach liegt eine gute Vorlage vor, die wesentliche Verbesserungen des Schutzes von Kindern und Jugendlichen bringt. Familienminister Mitterlehner habe nach jahrelangen Verhandlungen eine Einigung mit den Ländern erzielen können, sagte sie. Kritik zu üben sei aber immer einfacher, als Kompromisse zu schließen.

Ziel des Gesetzes ist Steibl zufolge ein besserer Schutz von Kindern und Jugendlichen vor familiärer Gewalt und eine Stärkung des Präventionsgedankens. Für die den Ländern erwachsenden Mehraufwendungen erhalten sie in den Jahren 2013 und 2014 Zweckzuschüsse des Bundes.

Abgeordnete Tanja WINDBÜCHLER-SOUSCHILL (G) hielt fest, nach Meinung von ExpertInnen und PraktikerInnen sei eine Novellierung des Jugendwohlfahrtsgesetzes dringend notwendig. Angesichts einiger tragischer Fälle sei es wichtig, nicht nur kurzfristige Maßnahmen zu setzen, sondern umfassende gesetzliche Änderungen vorzunehmen. Vor diesem Hintergrund zeigte sich Windbüchler-Souschill über den vorliegenden Gesetzesentwurf enttäuscht. Er hat ihrer Meinung nach wenig mit jenem Entwurf zu tun, der ursprünglich unter Einbeziehung von ExpertInnen augearbeitet worden ist.

Windbüchler-Souschill vermisst unter anderem die Verankerung einer unabhängigen Jugendhilfe, die regelmäßige Berichte an das Parlament liefern soll. Ebenso fehlt ihr Prävention als handelsleitendes Prinzip. Das Vier-Augen-Prinzip bei der Gefährdungsabklärung sei lediglich eine Kann-Bestimmung. Kritik übt sie auch an der Aufgabe der Verschwiegenheitspflicht. Um über das Gesetz weiter zu diskutieren, stellte Windbüchler-Souschill einen Rückverweisungsantrag an den Familienausschuss.

Abgeordnete Gabriele BINDER-MAIER (S) führte aus, die SPÖ habe das Pro und Kontra sehr genau abgewogen. Für sie ist die vorliegende Gesetzesnovelle ein erster Schritt, der die Tür zur Ausweitung des Kinder- und Jugendschutzes, zu einheitlichen Standards, zu einer Stärkung der Prävention, zu einer Konkretisierung von Aufgaben und zur Verbesserung des Datenschutzes öffne. Zudem werde sichergestellt, dass das Vier-Augen-Prinzip angewendet wird, wenn es erforderlich ist. Man werde genau beobachten, wie das in der Praxis umgesetzt werde, sagte Binder-Maier, dies gelte auch für die neu formulierte Mitteilungspflicht. Durch letztere dürfe es nicht zu einer zusätzlichen Gefährdung der Kinder kommen.

Ein von Binder-Maier vorgelegter Entschließungsantrag der Koalitionsparteien zielt auf eine rasche Evaluierung des neuen Gesetzes ab, spätestens im Lauf des Jahres 2016 soll damit begonnen werden. Sie zeigte sich zuversichtlich, dass der Gesetzentwurf weiterentwickelt wird.

Abgeordnete Ursula HAUBNER (B) kündigte die Zustimmung des BZÖ zum Gesetz in Dritter Lesung an. Ihre Fraktion sei nicht ganz zufrieden, konstatierte sie, das Gesetz bringe aber eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Status quo. Am meisten stört Haubner die unverbindliche Verankerung des Vier-Augen-Prinzips, sie äußerte daher die Hoffnung, dass ein von ihr vorgelegter Abänderungsantrag zu dieser Frage in Zweiter Lesung noch berücksichtigt wird.

Generell betonte Haubner, es brauche ein funktionierendes Frühwarnsystem, damit Fälle wie Luca und Cain nicht mehr passieren könnten. Positiv wertete sie, dass es Familienminister Mitterlehner gelungen sei, alle Länder an Bord zu holen. Das Gesetz sei ein modernes, auch was die Begriffsbestimmungen betreffe, zudem sehe es einheitliche Standards für sämtliche Einrichtungen, einheitliche Qualitätsansprüche an Pflegeeltern und eine klare Aufgabenbeschreibung der Kinder- und Jugendanwaltschaft vor. Begrüßt wurde von Haubner auch, dass die Evaluierung nach vor gezogen wird.

Mitterlehner: Interessen von Kindern und Jugendlichen besser berücksichtigt

Familienminister Reinhold MITTERLEHNER machte ebenfalls geltend, dass das vorliegende Gesetz eine deutliche Verbesserung zum Status quo im Interesse von Kindern und Jugendlichen bringe. Beim Vier-Augen-Prinzip wurde ihm zufolge keine substantielle Änderung zum ersten Gesetzentwurf vorgenommen, zudem gebe es einen klaren Kriterienkatalog, der definiere, wann dieses Prinzip erforderlich ist. Das Verschwiegenheitsprinzip gelte prinzipiell immer noch, betonte Mitterlehner, nur sei es wie die Mitteilungspflichten eindeutiger geregelt. Was die weiteren Inhalte des Gesetzes betrifft, hob Mitterlehner unter anderem die Professionalisierung der Fachkräfteausbildung, verbesserte Dokumentations- und Informationspflichten sowie die Verankerung von präventiven Zielen im Gesetz hervor.

Abgeordnete Anna HÖLLERER (V) erwartete sich von dem Gesetz eine Verbesserung des Kinderschutzes und hob insbesondere die nunmehr bei komplexen Problemen zu treffenden Entscheidungen nach dem Vier-Augen-Prinzip als wesentlichen Aspekt hervor. Die Präzisierung der sensiblen Melde- und Verschwiegenheitspflichten wiederum begrüßte sie als ein Zeichen von mehr Rechtssicherheit. Überdies zeigte sie sich optimistisch, dass es doch noch gelingen werde, auch ein bundeseinheitliches Jugendschutzgesetz auf den Weg zu bringen.

Weniger positiv war hingegen die Einschätzung des Abgeordneten Harald WALSER (G), der vor allem entsprechende Konsequenzen aus dem Fall Cain vermisste. Defizite ortete der Grün-Mandatar insbesondere bei den Verschwiegenheits- und Meldepflichten sowie beim Datenaustausch. Außerdem forderte er ein durchgehendes Vier-Augen-Prinzip sowie grundlegende Verbesserungen der Arbeitsbedingungen für die SozialarbeiterInnen.

Abgeordnete Angela LUEGER (S) qualifizierte das Gesetz als kleinsten gemeinsamen Nenner, auf dessen Basis es nun gelte, "die Ärmel aufzukrempeln und weiter zu arbeiten".

Ohne diesen Kompromiss hätten wir heute überhaupt keine Regelung, meinte auch die VP-Mandatarin Christine MAREK. Auf die Kritik der Opposition replizierte sie, das Vier-Augen-Prinzip sei keine Soll-Bestimmung, sondern vielmehr in komplexen Fällen verpflichtend anzuwenden. Wichtig war für Marek darüber hinaus vor allem die Entbindung von den Verschwiegenheitspflichten in Fällen des Kinderschutzes. Wenn die Opposition heute nicht zustimmt, dann stimme sie wesentlichen Verbesserungen im Bereich der Jugendwohlfahrt und des Kinderschutzes nicht zu, gab die Rednerin zu bedenken.

Abgeordnete Rosemarie SCHÖNPASS (S) stellte als letzte Rednerin resümierend fest, das Gesetz sei als erster Schritt in die richtige Richtung eine gute Ausgangsbasis, auf der weiter gearbeitet werden müsse.

Der Rückverweisungsantrag der Grünen sowie die Abänderungsanträge von FPÖ und BZÖ wurden abgelehnt. Die Regierungsvorlage wurde nach einer getrennten Abstimmung in Zweiter Lesung und schließlich in Dritter Lesung mit den Stimmen der Regierungsparteien mehrheitlich angenommen. Der Entschließungsantrag von SPÖ und ÖVP betreffend Evaluierung des Gesetzes erhielt ebenfalls die Mehrheit der Koalitionsparteien. Die gemeinsam mit der Regierungsvorlage auf der Tagesordnung stehenden Anträgen von BZÖ und Grünen fanden keine Mehrheit.

Direktauszahlung der Familienbeihilfe an Volljährige möglich

Einstimmig wurde beschlossen, dass mit einer Novelle zum Familienlastenausgleichsgesetz Volljährige, für die noch die Unterhaltspflicht besteht, ab 1. September 2013 beantragen können, die Beihilfe direkt auf ihr eigenes Konto ausbezahlt zu bekommen. Abgelehnt wurde ein Antrag des BZÖ, der neben der Direktauszahlung der Familienbeihilfe an Studierende auf eine Vereinheitlichung der Antrags- und Auszahlungsmodalitäten der wichtigsten Familienleistungen abzielt.

Abgeordnete Tanja WINDBÜCHLER-SOUSCHILL (G) kündigte die Zustimmung ihrer Fraktion zur Regierungsvorlage an und begrüßte die nunmehr mögliche direkte Auszahlung der Familienbeihilfe an insgesamt 270.000 junge Menschen. Sie kritisierte allerdings, dass dieser Auszahlungsmodus nur unter Voraussetzung der Zustimmung der Eltern möglich ist.

Abgeordnete Gabriele TAMANDL (V) replizierte auf die Kritik ihrer Vorrednerin, im Falle dass Eltern ihren Unterhaltspflichten gegenüber den Kindern nicht nachkommen, stehe den Kindern nach dem Gesetz automatisch der Anspruch auf Familienbeihilfe zu. Insgesamt erwartete sie sich von der Möglichkeit der direkten Auszahlung mehr Selbstständigkeit und Eigenverantwortung der Jugendlichen.

Die Zustimmung ihrer Fraktion signalisierte auch Abgeordnete Ursula HAUBNER (B), die hingegen die Bindung der direkten Auszahlung an die Zustimmung der Eltern begrüßte.

Abgeordnete Laura RUDAS (S) sprach von einer wesentlichen Verbesserung für 270.000 junge Menschen, sah aber dabei das Gesetz nur als ersten Schritt. Ziel bleibe die echte direkte Auszahlung, betonte sie.

Abgeordnete Elisabeth KAUFMANN-BRUCKBERGER (T) betrachtete das Gesetz unter dem Aspekt der Unterstützung und Förderung von Selbstständigkeit, beklagte das Widerspruchsrecht der Eltern aber als kleinen Wehrmutstropfen. Ihrer Meinung nach sollte darüber hinaus der Antrag auf Auszahlung auch online möglich sein. In einem Entschließungsantrag forderte sie schließlich eine Valorisierung der Familienbeihilfe, wobei sie mit den stark gestiegenen Lebenserhaltungskosten argumentierte. 

Positiv bewertete das Gesetz auch Abgeordnete Edith MÜHLBERGHUBER (F), die ebenfalls von einem Schritt zur Stärkung von Selbstbestimmung und Eigenverantwortung der Jugendlichen sprach. In einem Abänderungsantrag drängte sie namens ihrer Fraktion auf den Entfall der Zustimmung der Eltern bei volljährigen Kindern, die nicht mehr im Haushalt der Eltern hauptgemeldet sind.

Bundesminister Reinhold MITTERLEHNER bemerkte seinerseits, 270.000 junge Menschen würden durch dieses Gesetz nun die Möglichkeit zur besseren Steuerung ihrer eigenen Lebensbedingungen erhalten. Die Bindung an die Zustimmung der Eltern erklärte er mit steuerlichen Gründen, aber auch mit Fragen des Unterhaltsrechts.

Eigenverantwortung und Selbstbestimmung als Leitgedanken des Gesetzes wurden auch von den Abgeordneten Irina Adelheid FÜRNTRATH-MORETTI und Silvia FUHRMANN (V) ins Treffen geführt.

Abgeordneter Franz RIEPL (S) brachte das Problem der Zuverdienstgrenze aufs Tapet und bezeichnete die Pflicht zur Rückzahlung der gesamten Familienbeihilfe bei bloß geringfügiger Überschreitung der Grenze als ungerecht und nicht zeitgemäß.

Bei der Abstimmung wurde die Regierungsvorlage nach Ablehnung des FP-Abänderungsantrags in Dritter Lesung einstimmig angenommen. Der Entschließungsantrag des Team Stronach betreffend Valorisierung der Familienbeihilfe blieb in der Minderheit. Auch der auf der Tagesordnung stehende Antrag des BZÖ betreffend Vereinheitlichung von Antrags- und Auszahlungsmodalitäten der Familienleistungen erhielt keine Mehrheit.

Familienberatungsstellen werden barrierefrei

Bis Ende 2015 sollen die Familienberatungsstellen an allen Standorten in Österreich barrierefrei werden. Eine diesbezügliche Novelle zum Familienberatungsförderungsgesetz, wurde vom gesamten Plenum befürwortet und einstimmig angenommen. Zwischen 2013 und 2015 sind laut vorliegendem Gesetzesentwurf für Familienberatungsstellen rund 1 Mio. € an zusätzlichen Budgetmitteln eingeplant, die für umfassende Maßnahmen der Barrierefreiheit aufgewendet werden sollen.

Abgeordneter Nikolaus PRINZ (V) zeigte sich erfreut über den Umstand, dass nun jährlich eine Million Euro für Maßnahmen zur Herstellung des barrierefreien Zugangs zu den Familienberatungsstellen zur Verfügung stehen werden. Ab 2016 werde es dadurch möglich sein, sämtliche Familienberatungsstellen ohne fremde Hilfe zu erreichen, kündigte er an. Als klares Bekenntnis des Parlaments zur Barrierefreiheit interpretierte Abgeordneter Hermann LIPITSCH (S) den Konsens über das vorliegende Gesetz.

Zustimmung zu der Vorlage kam seitens der FPÖ von der Abgeordneten Carmen GARTELGRUBER, die allerdings auf mögliche Schwierigkeiten beim Umbau von denkmalgeschützten Gebäuden aufmerksam machte. Abgeordnete Helene JARMER (G) ging in ihrer Wortmeldung von einer weiten Auslegung des Begriffs der Barrierefreiheit aus und stellte die Frage in den Raum, ob die bloße Rollstuhlgerechtigkeit ausreiche. In den Chor der Zustimmung reihten sich auch die Abgeordneten Ursula HAUBNER (B) und Elisabeth KAUFMANN-BRUCKBERGER (T) ein.

Abgeordneter Franz-Joseph HUAINIGG (V) erinnerte, dass in einem Drittel aller Familienberatungsstellen noch größere bauliche Maßnahmen zur barrierefreien Adaptierung notwendig seien, und rief die Beratungsstellen auf, möglichst rasch die Fördermittel für den Umbau in Anspruch zu nehmen.

Bundesminister Reinhold MITTERLEHNER teilte mit, durch dieses Gesetz werde Barrierefreiheit für rund 140 Familienberatungsstellen ermöglicht. Der Begriff der Barrierefreiheit werde dabei in einem ganzheitlichen Sinn verstanden und umfasse auch die Bedürfnisse von sinnesbehinderten Menschen. Mit den insgesamt drei Millionen Euro könne jedenfalls das Auslangen gefunden werden, zeigte sich Mitterlehner überzeugt.

Bei der Abstimmung passierte die Vorlage das Plenum mit Einstimmigkeit. (Fortsetzung Nationalrat) hlf/red