Parlamentskorrespondenz Nr. 800 vom 08.07.2015

Nationalrat: S-V-G-Mehrheit für Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz

Bestimmungen über Mystery-Shopping in Arztpraxen bleiben unverändert

Wien (PK) – Die Politik verschärft den Kampf gegen Sozialbetrug. Mit einem eigenen Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz und begleitenden gesetzlichen Bestimmungen wollen Regierung und Nationalrat vor allem die Identifizierung und Sanktionierung von Scheinfirmen erleichtern.

An den Kragen gehen soll es nicht nur Unternehmen, die ohne die Zahlung von Abgaben, Sozialversicherungsbeiträgen und Löhnen vom Markt verschwinden, sondern auch Firmen, die Scheinanmeldungen bei der Sozialversicherung vornehmen und den Angemeldeten damit zu ungerechtfertigten Leistungen verhelfen. Überdies ist vorgesehen, die Haftung für Auftraggeber von Scheinfirmen auszuweiten, die missbräuchliche Verwendung der E-Card durch erweiterte Ausweispflichten weiter zurückzudrängen und Ärzten durch "Mystery Shopping" genauer auf die Finger zu schauen. Das Sozialministerium erwartet sich durch das Paket, das heute mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und Grünen vom Nationalrat beschlossen wurde, jährlich Mehreinnahmen von zumindest 250 Mio. €. Mehr als die Hälfte davon soll der Sozialversicherung zugutekommen.

Im Ausschuss in das Gesetzespaket eingebaut wurde auch eine Änderung des Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetzes. In Reaktion auf ein EuGH-Urteil wird gesetzlich verankert, dass ArbeitnehmerInnen im Falle einer Firmenpleite künftig zumindest die Hälfte ihres erworbenen Anspruchs auf Betriebspension und anderer unverfallbarer Anwartschaften zusteht.

Darüber hinaus wurde bei der heutigen Abstimmung ein von den Koalitionsparteien eingebrachter Abänderungsantrag berücksichtigt, mit dem einzelne Formulierungen im Gesetz an die Terminologie des gestern beschlossenen Strafrechtsänderungsgesetzes angepasst werden. In Bezug auf das umstrittene "Mystery-Shopping" in Arztpraxen blieb es hingegen bei den von der Regierung vorgeschlagenen Bestimmungen, was den Arzt und ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger dazu veranlasste, gegen die Fraktionslinie zu stimmen und das Gesetzespaket als Gesamtes abzulehnen. Auch das Team Stronach stimmte wegen des vorgesehenen Einsatzes von Testpatienten der Krankenkassen in Ordinationen in Dritter Lesung gegen das Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz, obwohl Klubobfrau Waltraud Dietrich die anderen Bestimmungen des Gesetzes ausdrücklich begrüßte.

Mit der gesetzlichen Verankerung des Mystery-Shopping werde die notwendige Vertrauensbasis zwischen Arzt und Patient leichtfertig aufs Spiel gesetzt, argumentierte Rasinger und schloss sich damit der Kritik der Ärztekammer und der Opposition an. Grün-Abgeordnete Eva Mückstein sprach in diesem Zusammenhang sogar von totalitären Zügen, konnte sich mit einem Abänderungsantrag zur Streichung der "unausgegorenen und untauglichen" Bestimmungen aber ebenso wenig durchsetzen wie die NEOS, die ebenfalls Änderungen beantragt hatten. Auch die Feststellung von Mückstein und NEOS-Abgeordnetem Gerald Loacker, wonach es bereits genug Möglichkeiten für die Krankenkassen gebe, schwarzen Schafen unter den ÄrztInnen auf die Schliche zu kommen und zusätzliche "Spitzel" nicht notwendig seien, fruchteten nichts. Verärgert zeigte sich auch FPÖ-Abgeordneter Andreas Karlsböck, er erachtet es als empörend, einen ganzen Berufsstand unter Generalverdacht zu stellen. Karlsböck ist außerdem überzeugt, dass die Maßnahme außer eine massive Verärgerung der Ärzte nichts bringen wird.

Abgeordneter August Wöginger räumte ein, dass die Bestimmungen über das "Mystery-Shopping" auf Wunsch der ÖVP in das Gesetz hineingekommen sind, weil es in der Vergangenheit Fälle von Missbrauch gegeben habe. Das direkte Belügen des Arztes sei aus seiner persönlichen Sicht aber überschießend, meinte er und bedauerte in diesem Sinn, dass es im Rahmen der parlamentarischen Verhandlungen nicht gelungen sei, den einen oder anderen Satz noch zu ändern. Wöginger stellte sich aber ausdrücklich hinter das Gesamtpaket.

Explizit verteidigt wurde das "Mystery-Shopping" von den SPÖ-Abgeordneten Erwin Spindelberger und Walter Bacher. Was solle daran verwerflich sein, wenn die Krankenkassen überprüfen, ob von den ÄrztInnen verrechnete Leistungen tatsächlich erbracht wurden, fragte Spindelberger und warf KritikerInnen vor, "Schauermärchen" zu verbreiten. Er könne die ständigen Drohgebärden der Ärztekammer nicht mehr hören. Auch bisher seien Kontrollen in den Ordinationen durchgeführt worden, die der Verfassungsgerichtshof ausdrücklich als legitim gewertet hat. Spindelberger machte außerdem geltend, dass Kontroll-Checks mit eigens für die Krankenkassen ausgestellten E-Cards nur bei begründetem Verdacht bzw. im Rahmen eines jährlich im Voraus zu erstellenden Stichprobenplans erlaubt sind. Abgeordneter Bacher hob hervor, dass Mystery-Shopping in vielen Bereichen als Maßnahme zur Qualitätssicherung eingesetzt werde.

FPÖ bezweifelt Wirksamkeit des neuen Gesetzes

Abseits der Frage des  Mystery-Shopping wurde das Gesetzespaket vor allem von der FPÖ und den NEOS kritisiert. Die Freiheitlichen bezweifeln, dass die Bestimmungen zur Betrugsbekämpfung tatsächlich wirksam sein werden. Man bemühe sich bereits seit Jahren, Lohn- und Sozialdumping einzudämmen, ohne nennenswerten Erfolg, machte Abgeordnete Dagmar Belakowitsch-Jenewein geltend. Ohne eine deutliche personelle Aufstockung der Finanzpolizei wird sich daran ihrer Meinung nach auch in Zukunft nichts ändern, auch wenn das Gesetz einige sinnvolle Verschärfungen enthalte.

Belakowitsch-Jeneweins Fraktionskollege Peter Wurm wertete vor allem die Bestimmungen gegen die Eindämmung von E-Card-Missbrauch als unzureichend. Er vermisst überdies Maßnahmen gegen den missbräuchlichen Bezug von Mindestsicherung und Arbeitslosengeld. Für ein genaueres Hinschauen bei der Bedarfsorientierten Mindestsicherung sprach sich auch ÖVP-Abgeordneter Michael Hammer aus.

NEOS fordern besseren Rechtschutz und sorgen sich um Datenmissbrauch

NEOS-Abgeordneter Gerald Loacker brachte einen umfangreichen Abänderungsantrag zum Gesetzentwurf ein, der bei der Abstimmung allerdings in der Minderheit blieb. Zwar hält auch Loacker den Kampf gegen Scheinunternehmen für eine wichtige Maßnahme, um fairen Wettbewerb zu garantieren und Schaden durch Sozialbetrug zu minimieren, er ortet aber gravierende rechtsstaatliche Mängel im Gesetzespaket und sieht die Gefahr, dass Unternehmen unter Generalverdacht gestellt werden. Vor allem beim Rechtsschutz und bei der vorgesehenen Sozialbetrugsdatenbank sieht er erheblichen Änderungsbedarf. Überdies halten die NEOS die Definition von Scheinunternehmen und weitere Begriffe im Gesetz für unklar.

Auch Loackers Fraktionskollege Nikolaus Alm übte Kritik an der Sozialbetrugsdatenbank in der vorliegenden Form. De facto handle es sich bei der Datenbank um eine "Vorratsdatenspeicherung light", beklagte er und forderte eine bessere Berücksichtigung des Datenschutzes.

SPÖ, ÖVP und Grüne begrüßen verschärften Kampf gegen Sozialbetrug

Ausdrücklich positiv bewertet wurde das Gesetz hingegen von SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch. In die Ausarbeitung des Entwurfs seien alle zuständigen Behörden miteingebunden gewesen, hob er hervor. Man habe genau ausgelotet, was machbar sei. Wesentlich ist für Muchitsch auch der Konnex zwischen dem vorliegenden Gesetz und der bevorstehenden Novellierung des Bundesvergabegesetzes. Damit werde es künftig leichter möglich, schwarze Schafe unter den Unternehmen von öffentlichen Aufträgen auszuschließen.

Auch die Abgeordneten Wöginger, Hammer, Gertrude Aubauer (alle V) und Dietmar Keck (S) hoben die Notwendigkeit einer konsequenten Verfolgung von Sozialbetrug und einer umfassenden Strategie zur Bekämpfung von Scheinfirmen hervor. Sozialmissbrauch sei kein Kavaliersdelikt, so die einhellige Meinung.

Abgeordnete Birgit Schatz wies darauf hin, dass viele im Gesetz enthaltene Punkte von den Grünen seit langem gefordert worden sind. Die Grünen hätten kein Verständnis für Unternehmen, die ihre MitarbeiterInnen systematisch unterentlohnen oder schwarz beschäftigen bzw. in großem Ausmaß Sozialbetrug betreiben, bekräftigte sie. Gewisse Bedenken hat Schatz allerdings gegen das Risiko- und Auffälligkeitstool, das sich ihrer Meinung nach zu stark an der Baubranche orientiert. Sie habe ein bisschen die Sorge, dass junge Branchen Probleme bekommen könnten, einfach weil sie anders funktionierten als traditionelle Branchen. Schatz versteht überdies nicht, warum in der Sozialbetrugsdatenbank lediglich Scheinunternehmen, aber nicht die verantwortlichen AkteurInnen angeführt werden.

Sozialminister Rudolf Hundstorfer verteidigte das Gesetz gegenüber KritikerInnen. "Wir haben es uns nicht leicht gemacht", unterstrich er mit Hinweis auf die Einbindung zahlreicher ExpertInnen in die Erarbeitung des Gesetzentwurfs. Mit dem Gesetz würden einige Lücken bei der Bekämpfung von Sozialbetrug geschlossen. Es gebe, so Hundstorfer, "sehr viel Kreativität im System".

Ruf nach Ausstattung der E-Card mit einem Foto wird lauter

Auf den immer lauter werdenden Ruf nach Anbringung eines Fotos auf der E-Card zur Missbrauchseindämmung reagierte der Nationalrat mit einer Entschließung: der Hauptverband der Sozialversicherungsträger soll eine Strategie zur Weiterentwicklung der E-Card erarbeiten und dabei auch die Lichtbild-Frage prüfen. Ausdrücklich für Fotos auf E-Cards sprachen sich unter anderem die Abgeordneten Wöginger, Karlsböck und Aubauer aus. Aubauer urgierte auch mehr Tempo bei der Elektronischen Gesundheitsakte ELGA.

Scheinselbständigkeit: NEOS fordern mehr Rechtssicherheit für Unternehmen

Mit der Regierungsvorlage mit in Diskussion stand eine von den NEOS beantragte Änderung des ASVG, die jedoch gemäß den Empfehlungen des Sozialausschusses abgelehnt wurde. Um mehr Rechtssicherheit bei der Beauftragung von Dienst- und Werkleistungen zu schaffen, wollte Abgeordneter Gerald Loacker im ASVG festschreiben, dass eine rückwirkende Umwandlung erbrachter Werk- und Dienstleistungen in ein unselbständiges Beschäftigungsverhältnis durch die Sozialversicherung jedenfalls dann unzulässig ist, wenn die betroffenen AuftragnehmerInnen eine facheinschlägige Gewerbe- bzw. Berufsberechtigung aufweisen, alle sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Meldepflichten erfüllt haben und die an sie ausbezahlten Honorare den kollektivvertraglich festgelegten Mindestlohntarif nicht unterschreiten. Die NEOS werden sich wehren, wenn redliche Unternehmer in den Verdacht des Sozialbetrugs kommen, weil ihre AuftragnehmerInnen vermeintlich Scheinselbständige sind, versicherte Alm in der Debatte. (Fortsetzung Nationalrat) gs