Parlamentskorrespondenz Nr. 909 vom 01.09.2015

ESM-Hilfe für Griechenland weiter Streitthema im Nationalrat

Regierungsfraktionen sehen taugliches Paket, Oppositionsparteien bezweifeln Erfolg der von Griechenland geforderten Maßnahmen

Wien (PK) - Die Ausführungen von Finanzminister Hans Jörg Schelling zu den neuen Griechenland-Hilfen erhielten heute bei der Sondersitzung des Nationalrats nur von den Regierungsfraktionen eine positive Beurteilung. Schelling äußerte sich zuversichtlich, dass das Hilfspaket geeignet ist, Griechenland aus der Krise zu führen, sofern die daran geknüpften Bedingungen auch umgesetzt werden. Der Finanzminister geht davon aus, dass das der Fall sein wird.

Die Abgeordneten der ÖVP sehen wie der Minister das 86-Milliarden-Euro-Hilfspaket als wichtige Maßnahme zur Umsetzung von Reformen und der Ankurbelung der Wirtschaft im Krisenstaat. Die SPÖ unterstützt die Finanzhilfe als unumgänglich, fordert aber gleichzeitig mehr Mittel für Investitionen ein. Seitens der Opposition hagelte es heftige Kritik. Die Grünen befürworten zwar die finanzielle Unterstützung Athens, bewerten aber die damit verbundenen Reformauflagen als kontraproduktiv für einen wirtschaftlichen Aufschwung. Die NEOS äußerten grundsätzliche Bedenken, da keine Schuldentragfähigkeit Griechenlands hergestellt worden sei. Harsche Töne schlug die FPÖ nicht nur in Bezug auf das Hilfsprogramm an, sondern auch hinsichtlich der Entwicklung der Eurozone. Diese werde faktisch in eine Finanz- und Transferunion verwandelt. Auch das Team Stronach kritisiert den aus ihrer Sicht falschen Kurs der Währungsunion und fordert den "Grexit".

Schelling zu Griechenland: Es wurde eine gute Lösung gefunden

Finanzminister Hans Jörg Schelling informierte die Abgeordneten über den Beschluss des Gouverneursrates des Europäischen Stabilitätsmechanismus vom 19. August 2015, Griechenland eine Stabilitätshilfe im Umfang von 86 Mrd. € zu gewähren. Sie dient zur Finanzierung des öffentlichen Haushalts und zur Rekapitalisierung der Banken und hat eine Laufzeit von 32,5 Jahren, führte Schelling aus.

Die Auszahlung der Hilfsgelder sei an strikte Bedingungen geknüpft, die erfüllt werden müssen und von den Geldgebern überprüft werden.

Der Betrag von 86 Mrd. € könne sich verringern, wenn sich der Internationale Währungsfonds (IWF) an diesem dritten Hilfsprogramm für Griechenland beteiligt, wovon Finanzminister Schelling ausgeht. Die diesbezügliche Entscheidung des IWF werde nach Prüfung der Schuldentragfähigkeit Griechenlands im Oktober erfolgen. Zu einem Hair-Cut müsse es nicht kommen, sagte Schelling, sprach aber über eine mögliche Verlängerung der Laufzeiten.

Das dritte Hilfsprogramm für Griechenland beruht auf vier Säulen, teilte Schelling mit. Es enthält ein realistisches Regelwerk für Primärüberschüsse, um für fiskalische Nachhaltigkeit Griechenlands zu sorgen. Dazu kommen Maßnahmen zur Gewährleistung der finanziellen Stabilität, zur Rekapitalisierung der Banken und deren Privatisierung nach erfolgter Stabilisierung.

Das Programm sieht auch Maßnahmen zum Wachstum der griechischen Wirtschaft und zur Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit vor. Dazu kommt viertens die Modernisierung des Staates und der öffentlichen Verwaltung, erklärte der Finanzminister und fügte hinzu, dass das Hilfsprogramm bei Nichterfüllung der Auflagen jederzeit gestoppt werden könne.

"Das ist keine leichte Aufgabe für Griechenland", sagte Schelling und ging auf die geplanten Reformschritte in Richtung Liberalisierung und Privatisierungen ein. Die griechische Regierung habe aber bewiesen, dass sie Gesetzesbeschlüsse nicht nur fasse, sondern auch ernst nehme, umsetze und stärker vorantreibe als bei den vorangegangenen beiden Hilfsprogrammen, sagte Schelling, der ausdrücklich die Ernsthaftigkeit des Vertragspartners Griechenland unterstrich.

Die Abgeordneten erfuhren auch vom Lernprozess aus den beiden vorangegangenen Programmen und von der Absicht, unter Beiziehung von Sozialpartnern und ExpertInnen eine Wachstumsstrategie für Griechenland zu entwickeln und gemeinsam mit der EU umzusetzen.

Die bevorstehende Neuwahl des griechischen Parlaments sieht Schelling nicht als ein Problem an, weil ein beträchtlicher Teil der griechischen Opposition dem dritten Hilfsprogramm zugestimmt hat, sodass dieses umgesetzt werden könne. Weiters informierte der Finanzminister über die Absicht der Europäischen Zentralbank (EZB), einen Stresstest bei den griechischen Banken durchführen, um sicherzustellen, dass die Kapitalverkehrskontrollen zurückgeschraubt werden und die Banken sich wieder am Kapitalmarkt refinanzieren können.

"Es wurde eine gute Lösung gefunden", zeigte sich Hans Jörg Schelling überzeugt. Den griechischen Vertragspartnern sei bewusst, dass sie eine letzte Chance haben und sich selbst überlegen müssen, wie man ein solches Programm realisiert. Ziel des Programms sei es jedenfalls, Griechenland auf einen Wachstumskurs zurückzubringen und es ihm zu ermöglichen, sich auf den Finanzmärkten zu rekapitalisieren.

Niemand könne sagen, was in drei Jahren sein werde, meinte Schelling. Das griechische Parlament habe große Vorleistungen vollbracht, nun werde darauf zu achten sein, dass Beschlüsse nicht nur gefasst, sondern auch umgesetzt werden. Eine erste Prüfung werde bereits im kommenden Oktober stattfinden, woraufhin der ESM über die Auszahlung der Hilfsgelder entscheiden werde. Ein beträchtlicher Teil des Geldes wird für alte Schulden und für die Rekapitalisierung verwendet werden. Es stehe aber auch Geld für Wachstumsmaßnahmen zur Verfügung und zudem bestünden Überlegungen, Griechenland europäische Strukturfondsgelder ohne Kofinanzierung zur Verfügung zu stellen, damit das Land aus der Talsohle kommt.

Leichtes Wachstum sei in Griechenland bereits vorhanden, berichtete der Finanzminister, ohne eine radikale Modernisierung der Verwaltung werde es aber nicht möglich sein, für entsprechende Einnahmen des griechischen Staates zu sorgen. Europäische ExpertInnen werden die griechische Finanzverwaltung daher bei ihrer Reform unterstützen.

"Ich gehe davon aus, dass dieses Programm umgesetzt wird", sagte Schelling und bezeichnete die Zusagen der griechischen Regierung als vielversprechend. "Ich halte es für möglich, dass Griechenland in drei Jahren auf einen guten Kurs kommt und die Stabilität des Euro, der Eurozone und ganz Europas sicherstellt."

FPÖ sieht die EU auf dem Weg zu einer "Transferunion"

Elmar Podgorschek (F) wies auf die bei allen Rettungsprogrammen der letzten fünf Jahre stetig steigende Verschuldung Griechenlands hin. Das Ergebnis sei nun der Verlust der Finanzsouveränität des Landes. In der EU zeigten sich klare Bestrebungen zu einer Fiskalunion, kritisierte er. Die USA wiederum hätten sich auf Kosten Europas im Sinne der NATO-Interessen durchgesetzt. Durch die Durchbrechung des "No bail out"-Prinzips sei faktisch eine Transferunion entstanden, kritisierte er und meinte, Griechenland werde nicht entschuldet, sondern nur über Wasser gehalten. Die Schuldenorgie gehe weiter und der Euro werde geschwächt. Der Staatsbankrott Griechenlands sei früher oder später unausweichlich, meinten Podgorschek und sein Fraktionskollege Bernhard Themessl übereinstimmend. Letzterer hielt es zudem für sehr wahrscheinlich, dass Griechenland unter dem Titel "Anschubfinanzierungen" noch ein viertes Hilfspaket erhalten wird.

ÖVP begrüßt klare Auflagen das Hilfspakets

Gabriele Tamandl (V) verwies darauf, dass Finanzminister Schelling in den Verhandlungen mit Griechenland stets sehr vorsichtig agiert und einen Beitrag Griechenlands gefordert habe. Mit dem ESM-Paket sei gegenüber früheren Hilfspaketen insofern eine Verbesserung eingetreten, als nun klare Bedingungen für das Fließen der Gelder definiert worden seien, argumentierte sie. Diese Auflagen seien geeignet, Griechenland auf Wachstumskurs zu bringen, zeigte sich Tamandl überzeugt. Zur Frage der Schuldentragfähigkeit meinte sie, ein nomineller Schuldenschnitt sei derzeit nicht denkbar. Allenfalls seien die Verlängerung von Laufzeiten und Zinsbegünstigungen zu überlegen. Jakob Auer (V) betonte ebenfalls, das Paket sei an klare Bedingungen geknüpft, deren Umsetzung auch kontrolliert werde. Das Hilfspaket sei daher sehr wohl verantwortbar, wies er die Kritik der Opposition zurück.

Als guten Mittelweg fasste Andreas Zakostelsky (V) das ESM-Hilfsprogramms zusammen, gangbar sowohl für die Geldgeber als auch für Griechenland. "Das Hilfspaket kann kein Geschenk sein", argumentierte er für die Kreditauflagen, denn immerhin sei man den österreichischen SteuerzahlerInnen verantwortlich. Allerdings gehe es nicht an, ein EU-Mitgliedsland in der Krise fallenzulassen. Dagegen spreche nicht nur die europäische Solidarität, sondern auch das gesamtwirtschaftliche Bewusstsein in der Europäischen Union. Für notwendig erachtet es Zakostelsky vor diesem Hintergrund, die gemeinsame Währungspolitik in der Eurozone auch mit einer engeren Wirtschaftspolitik zu verbinden.

Grüne kritisieren Auflagen des Hilfspakets als wachstumsfeindlich

Werner Kogler (G) stellte fest, seit der letzten Debatte über die Griechenlandhilfe habe sich nichts grundsätzlich verändert. Seine Fraktion werde daher auch diesmal nicht zustimmen. Es gebe zwar ein paar positive Punkte, doch sei die Frage der Schuldentragfähigkeit nicht gelöst. Dafür brauche es derzeit zwar keinen nominellen Schuldenschnitt, doch müsse man offen und ehrlich über die Bedingungen reden, die an die Kredite geknüpft sind. Kogler übte auch Kritik an den mangelnden Ambitionen einzelner Mitgliedstaaten der Union in Bezug auf den Konflikt in Syrien. Bei der Rettung der Finanzmärkte nach 2008 habe man wesentlich rascher agiert, meinte er. Das Bremsen einzelner Staaten bei der Hilfeleistung für die Vertriebenen und Verfolgten in Syrien sei beschämend.

Anhand des "Memorandum of Understanding" zwischen der Europäischen Union und Griechenland, mit dem diesen August das dritte Hilfspaket für Athen ermöglicht worden ist, präzisierte Bruno Rossmann (G), warum die Grünen gegen die Bedingungen sind, die von den Geldgebern zur Gewährung von Hilfskrediten gestellt werden. Die Grundsatzvereinbarung führe Griechenland nicht aus der Krise, so der Grüne Budgetsprecher, sondern nütze nur Gläubigern und Banken, an Geld zu kommen. Mittel für wachstumsfördernde Investitionen würden nicht bereitgestellt. "Der Teufelskreis des Sparkurses wird fortgesetzt", erklärte Rossmann mit Hinweis auf die bereits in den Vorjahren erfolgten Pensionskürzungen und Einschnitte im griechischen Sozialbudget. Zwar seien innerstaatliche Reformen in Griechenland genauso wie die Bekämpfung der Steuerhinterziehung nötig, räumte er ein, doch müssten diese Maßnahmen mit Schuldenerleichterungen einhergehen, um weitere soziale Verwerfungen zu vermeiden.

SPÖ fordert mehr Mittel für Investitionen und Wachstum

SPÖ-Finanzsprecher Kai Jan Krainer (S) erinnerte daran, dass bereits ein griechischer Schuldenschnitt mit Privatbeteiligung durchgeführt und im griechischen Staatshaushalt massiv eingespart wurde. Teilweise habe man damit Erfolge erzielt, wesentliche Probleme, wie etwa die Arbeitslosigkeit, seien jedoch nicht gelöst worden. Krainer wies darauf hin, dass rund 80 Prozent der vergebenen Kredite wieder in andere öffentliche Haushalte Europas zurückfließen, daher sei Griechenland sicher kein "Fass ohne Boden", wie es oft dargestellt werde. Ein weiterer Teil der Mittel diene der Rekapitalisierung der Banken, was entscheidend für die Wiederbelebung des Wirtschaftskreislaufes sei. Eine Wiedereinführung der Drachme hält er für keine Lösung, da Importe für Griechenland sofort teurer würden. Eine problematischen Aspekt des Pakets sah Krainer darin, dass es keine Mittel für Investitionen enthalte. Griechenland brauche jedoch dringend Geld für Investitionen, um Wirtschaftswachstum zu erzielen.

Der Finanzminister sei beim Wort zu nehmen, replizierte Josef Cap (S) auf die optimistischen Anmerkungen von Hans Jörg Schelling, mit dem dritten Hilfsprogramm werde Griechenland auch Geld zur Wachstumsförderung bereitgestellt. Ein Investitions- und Wachstumsprogramm sei für das Land nämlich unabdingbar. In Bezug auf die Forderungen der Geldgeberstaaten, allen voran Deutschland, erinnerte Cap zudem daran, wie sehr die deutsche Wirtschaft von Waffenkäufen früherer griechischer Regierungen profitiert habe. Griechenland sei viele Jahre größter Kunde der deutschen Rüstungsindustrie gewesen.

Hauptverantwortlich für das Scheitern früherer Hilfsprogramme für Griechenland sieht Christine Muttonen (S) vor allem die Troika aus Europäischer Kommission (EK), Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF), von der die Maßnahmen begleitet wurden. "Der Troika ist viel genauer auf die Finger zu schauen", unterstrich sie. Deswegen trete das Europäische Parlament für einen Ausbau der demokratischen Kontrolle der "Institutionen" ein, sagte sie. Generell setze sie Vertrauen in die Regierung unter Alexis Tsipras, das Land mittels Reformen, etwa zur Korruptionsbekämpfung, wieder in die Wachstumszone zu führen, meinte die SPÖ-Außenpolitiksprecherin.

NEOS: Keine Kreditvergabe ohne Schuldentragfähigkeit

Die NEOS würden dem Hilfspaket nicht zustimmen, da es niemandem helfe, meinte Rainer Hable (N) - weder Europa noch Griechenland. Es helfe Europa nicht, da die Suche nach Lösungen für grundlegende Fragen der Eurozone nur weiter hinausgeschoben werde. Die Schuldentragfähigkeit Griechenlands sei weiterhin nicht gegeben, diese müsse aber Grundbedingung für die Vergabe von Krediten sein. So sehe das auch der IWF. Zudem seien im Paket keine Maßnahmen zur Verbesserung der griechischen Wettbewerbsfähigkeit vorgesehen. Hier sei in erster Linie die griechische Regierung gefordert, sagte Hable.

Team Stronach sieht "Grexit" als einzige Lösung

Robert Lugar (T) plädierte einmal mehr für einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone, um mit einer eigenen Währungen durch Abwertung wieder konkurrenzfähig zu werden. Da Athen schon bei der Einführung des Euro die Konvergenzkriterien nicht erfüllt habe, sei auch in Zukunft nicht damit zu rechnen. Mit dem aktuellen Maßnahmenplan zu Kredithilfe bleibe Griechenland "im Euro-Korsett" gefangen, monierte der Team Stronach-Klubobmann. (Fortsetzung Nationalrat) fru/rei/sox