Parlamentskorrespondenz Nr. 955 vom 16.09.2015

Demokratiereform soll nicht mit Enquete-Kommission enden

BürgervertreterInnen und ExpertInnen mit Abschlussbericht der Demokratie-Enquete-Kommission wenig zufrieden

Wien (PK) – Allgemein enttäuscht vom Ausgang der Enquete-Kommission zur Stärkung der Demokratie in Österreich zeigten sich die daran beteiligten BürgerInnen. Barbara Ruhsmann verlas zu Beginn eine Stellungnahme, die sie gemeinsam mit den weiteren BürgervertreterInnen Heinz Emhofer, Michelle Missbauer, Marlen Ondrejka, Felix Ofner und Harald Petz verfasst hatte. In dieser plädieren sie auch dafür, das 2013 ausgearbeitete und verhandelte Demokratiepaket umzusetzen. Ruhsmann drückte ihr Bedauern darüber aus, dass die Regierungsparteien nun zu einem anderen Ergebnis gekommen seien. Sie wünscht sich nach wie vor eine Aufwertung von Volksbegehren und bessere Informationen für BürgerInnen.

Er sei enttäuscht, mit welcher Gleichgültigkeit ein bereits abgestimmtes Demokratiepaket nun abgelehnt werde, sagte Bürgervertreter Harald Petz. "Sind Ihre eigenen Ideen nichts mehr wert?", fragte er die Regierungsparteien. Demokratiepolitisch sehe er großen Schaden, man sei um Jahre zurück geworfen worden. Er hoffe auf ein Umdenken der Regierungsfraktionen. "Ich würde mich freuen, wenn dies heute nicht der Abschluss-, sondern der Anfangsbericht wäre", äußerte Bürgervertreterin Michelle Missbauer. Sie sprach sich für mehr Einbindung der BürgerInnen in viele Themen aus, die Volksabstimmung sollte ganz oben stehen. Mitbestimmung lediglich bei Wahlen sei zu wenig, so Missbauer. "Bedenken Sie, was Sie damals gesagt haben", erinnerte der Pensionist Heinz Emhofer die Anwesenden an ihre eigenen Worte und las einige Statements vor, die diese vor Monaten getätigt hatten.

Direkte Demokratie ausbauen, Interesse an Politik stärken

Ebenfalls unglücklich über das Ergebnis zeigte sich Claudine Nierth, Bundesvorstandssprecherin von "Mehr Demokratie Deutschland". "Wollen wir so lange warten, bis das Volk auf die Barrikaden geht?", fragte sie. Pegida in Deutschland etwa sei erst aus einem Mangel an Mitbestimmung entstanden, gab sie zu bedenken. Außerdem erinnerten sie die Gegenargumente stark an jene vor der Einführung des Frauenwahlrechts. Bevor die BürgerInnen das Interesse an Politik verlieren, sei es jetzt unbedingt notwendig, direkte Demokratie auszubauen.

Der Ausgang der Enquete-Kommission treffe sie tief, war auch von Heidelinde Reiter, Bundesrätin der Grünen, zu hören. Das jetzige Ergebnis sei leider zu wenig. Jedoch sei in der Bevölkerung etwas gewachsen, dass sich nicht mehr aufhalten lasse, meinte sie auch: "Veränderung wird stattfinden – mit oder ohne Regierungsparteien!"

Seine Enttäuschung über das Ergebnis brachte auch Erwin Mayer von der Plattform "Mehr Demokratie" zum Ausdruck. Der vorliegende Bericht habe ihm gezeigt, dass hier nicht empirisch entschieden wurde. Allerdings sei es gelungen, die Zivilbevölkerung zu motivieren, sich mit den Spielregeln des Parlamentarismus zu beschäftigen. Das bewertete Mayer ebenso positiv wie den Minderheitenbericht der Opposition.

Crowdsourcing hochkomplex, aber interessantes Modell

Wenn das, was die BürgervertreterInnen sagten, repräsentativ ist, werde diese Enquete die Skepsis der Bevölkerung weiter verstärken, sagte der Verfassungsrechtler Theo Öhlinger. Er hoffe nicht, dass es so ist. Die Mitbestimmung auf Landesebene betrachtet er als schwierig, da Kompetenzen beschränkt seien. Auf Gemeindeebene hingegen sei vieles möglich. Als interessant betrachtete Öhlinger die Crowdsourcing-Plattform, auf der BürgerInnen Ideen und Vorschläge einbringen können. Jedoch handle es sich um ein hochkomplexes Modell, gab er zu bedenken.

Dass Volksbegehren verpflichtend im Parlament behandeln werden, forderte Bundesrat Gerald Zelina (Team Stronach), die Entscheidung solle aber bei den ExpertInnen bleiben. Ebenso sollten bestehende Gesetze vom Volk wieder zu Fall gebracht werden können. Im Nationalrat wünscht sich das Team Stronach die Teilnahme echter parteiloser BügerInnen.

Einbinden der Bevölkerung in Gesetzwerdung wichtig

ÖVP-Bundesrat Gottfried Kneifel erinnerte einmal mehr an das heurige Gedenkjahr zum 70-jährigen Bestehen der Republik und an das Versagen von DemokratInnen und Demokratie in den Jahren davor. Demokratie laufe nicht von selbst weiter, daher sei es die Aufgabe der Politik, Impulse und Möglichkeiten des Mitgestaltens zu schaffen. Das Einbinden der Bevölkerung in die Gesetzwerdung von Anfang an sei wichtig, eine offene Informationspolitik ein Muss. Wenn Landesverfassungen etwa dahingehend adaptiert werden können, wäre das für Kneifel ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Richtige Ansätze, jedoch auch viele "Aber" sieht Dieter Brosz, Abgeordneter der Grünen, im Bericht der Regierung. Überdies seien viele Vorhaben darin zu unverbindlich formuliert. Etwa das Thema Crowdfunding, wo nicht stehe, wer sich darum kümmern soll.

Das Ergebnis der Enquete-Kommission sei zwar keine Revolution, aber immerhin sei es zu einer Weiterentwicklung der Demokratie gekommen, sagte Universitätsprofessor Klaus Poier. Die Aufwertung von Volksbegehren sei etwa wesentlich, ebenso die elektronische Unterstützung.

Kompromiss wäre möglich gewesen

Sie sehe nicht, dass SPÖ und ÖVP ernsthafte Verhandlungen zu direkter Demokratie geführt hätten, kritisierte Abgeordnete Daniela Musiol von den Grünen. Enttäuscht sei sie nicht nur über den nun vorliegenden Inhalt, sondern auch darüber, dass es den Eindruck mache, als hätte man sich in den letzten Monaten nicht ernsthaft damit beschäftigt. Ein Kompromiss wäre möglich gewesen, so Musiol. "Bitte setzen Sie das um, besser heute als morgen", appellierte Jennifer Kickert, Abgeordnete zum Wiener Landtag (Grüne), an die Regierungsfraktionen. An diesem Vorhaben könne man die Ernsthaftigkeit messen. In Wien wolle sie viele Ideen aus der Enquete-Kommission umsetzen, kündigte Kickert an.

Die Regierungsparteien erteilen ihrem eigenen Vorhaben eine Absage, sagte die Rechtsanwältin Susanne Fürst. Die Angst vor Ablehnung durch das Volk müsse groß sein, mutmaßte sie. Das Ausklammern der Bundesebene bei Plänen für den Ausbau der direkten Demokratie kritisierte sie, denn bei wirklich wichtigen Themen solle das Volk "draußen bleiben". Der Ausbau der direkten Demokratie sei mit einem gewissen Machtverlust verbunden, so Fürst. Zu einem Machtverlust komme es aber auch, wenn sich BürgerInnen anderen Parteien zuwenden, die direkte Demokratie ernster nehmen. Warum man Angst vor der Bevölkerung habe, fragte auch die Bürgervertreterin Marlen Ondrejka. Und warum man die Opposition hinhalte. Es sehe so aus, als wäre die Enquete-Kommission nur ein schmückendes Beiwerk gewesen.

"Keine Angst vor dem Souverän", zitierte Universitätsdozent Paul Luif, was er zu Beginn der Enquete-Kommission gesagt hatte. Doch offenbar hätten das ÖVP und SPÖ. "Ich glaube, Österreich ist reif für direkte Demokratie", sagte Luif. Beeindruckt zeigte er sich von den BürgervertreterInnen, die interessanten Input gebracht hätten.

Demokratie weiter entwickeln, Minderheitenrechte schützen

Es habe viel Kritik von ExpertInnen am Demokratiepaket gegeben, erklärte Abgeordneter Wolfgang Gerstl (ÖVP). Daher seien die Regierungsparteien der Ansicht gewesen, dass der Antrag so nicht umgesetzt werden kann. Es brauche noch Verhandlungen, so Gerstl.

Man sollte etwa nicht für undemokratisch erklären, wenn nicht umgesetzt wird, was man erwartet hatte, sagte der Wiener Gemeinderat Kurt Stürzenbecher (SPÖ). Viel sei erreicht worden, manches komme erst später. Man solle sich nicht auf noch offene Fragen versteifen, sondern die Demokratie weiter entwickeln, so Stürzenbecher.

Das Zusammentragen von Argumenten sei auch Sinn der Enquete-Kommission gewesen, sagte Abgeordneter Peter Wittmann (SPÖ). Man habe es sich nicht leicht gemacht. Erneut betonte er, es brauche Ausnahmen bei direkter Demokratie: "Wer schützt denn die Minderheiten vor den Mehrheiten?" Solle man wirklich den sozialen Frieden aufs Spiel setzen?

Zum Abschluss der achten und letzten Sitzung der Enquete-Kommission wurde der Antrag der Regierungsfraktionen angenommen. Norbert Hofer, Dritter Nationalratspräsident, richtete sich noch einmal an die BürgervertreterInnen und bat sie, sich in ihrem Elan nun trotz der Enttäuschung nicht bremsen zu lassen, sondern sich weiterhin zu engagieren. (Schluss Enquete-Kommission) kar