Bundesrat Stenographisches Protokoll 610. Sitzung / Seite 104

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besonders. Es trifft die Bauern besonders hart, wenn die Kinder studieren, nicht nur hinsichtlich der Familienbeihilfe, sondern auch – vor allem für periphere Regionen – hinsichtlich der Fahrtkosten.

Die grundsätzliche Diskussion, die in diesem Zusammenhang geführt wird, berührt meiner Meinung nach ein grundsätzliches Problem, das ohne ideologische Scheuklappen angesprochen gehört, und das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist eine Systemfrage. Familienpolitische Leistungen aus dem Lastenausgleich sind nur ein Standbein, wie Familien gefördert werden können. Das andere Standbein, die steuerliche Berücksichtigung der Familie, wurde systematisch amputiert.

Eine Individualbesteuerung, die die finanziellen Mehrbelastungen für die Familien praktisch unberücksichtigt läßt, führt damit zwangsweise zu Verzerrungen, wie sie jetzt durch die Kürzung von familienpolitischen Leistungen diskutiert werden. Eine Familienbesteuerung, die Rücksicht darauf nähme, wie viele Personen vom Familieneinkommen tatsächlich leben müssen, würde die nunmehr zutage getretenen Probleme wesentlich entschärfen.

Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, wäre auch ein Fall für eine Strukturreform. Darüber gibt aber die Regierungserklärung keinerlei Aufschluß, und ich bin eigentlich enttäuscht darüber, daß die Familie in dieser Regierungserklärung nur stiefmütterlich aufgezählt ist. Es gibt drei Erwähnungen, wenn ich richtig gezählt habe, und zwar in folgender Reihenfolge: Gewalt im Familienkreis, Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie partnerschaftliche Familie.

Ohne Familien, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist kein Staat zu machen. Als grobe Skizze – da nehme ich die Regierungserklärung beim Wort – ist sie hilfreich und gut. An detailreichen Zeichnungen aber muß, wie ich beispielhaft aufzuzeigen versucht habe, noch kräftig die Hand angelegt werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unterschiedliche Auffassungen wird es da und dort immer geben. Gegensätze sind aber nicht dazu da, daß sie sorgsam gepflegt werden, sondern daß sie überbrückt werden, wo immer sie zu überbrücken sind – im Interesse des Landes und im Interesse der Zukunft dieses Landes. Dazu ist diese Bundesregierung auch angetreten.

In guten Zeiten zu regieren, war noch nie ein Kunststück, Herr Kollege Dr. Tremmel! In schwierigen Zeiten zu regieren, sich der Verantwortung bewußt zu sein, ist die eigentliche Bewährungsprobe für die erneuerte Partnerschaft. Sie ist heute gut fundiert. Schritt um Schritt gilt es jetzt, darauf auch aufzubauen.

Die besten Reformer, die die Welt kennt, so sagte einmal George Bernard Shaw, sind diejenigen, die bei sich selbst anfangen. – Diesen Anfang hat – davon bin ich überzeugt, meine sehr geehrten Damen und Herren – dieses Regierungsbündnis mit diesem Arbeitsübereinkommen gemacht. Daher bin ich auch zuversichtlich für dieses schöne Land, für unsere Heimat Österreich! (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

19.17

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Josef Rauchenberger. Ich erteile dieses.

19.17

Bundesrat Josef Rauchenberger (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Hoher Bundesrat! Meine Damen und Herren! Gerade die Schlußworte des Kollegen Penz ermöglichen es mir, einen Übergang zu finden – in Anbetracht der eingeleiteten Abschiedssymphonie nicht zu der vorbereiteten Rede, sondern doch zu einigen kurzen Bemerkungen über diese Regierungserklärung, die heute so breit diskutiert wurde.

Ich habe eigentlich gehofft – damit stehe ich im Gegensatz zu den Freiheitlichen –, daß die Inhalte dieser Regierungserklärung diskutiert werden, daß eine konstruktive Kritik kommt, daß gutgemeinte Alternativvorschläge vorgebracht werden, daß nicht nur stereotype Floskeln und Allgemeinplätze hier vom Podium aus zum besten gegeben werden, und zwar hätte ich das


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