Bundesrat Stenographisches Protokoll 629. Sitzung / Seite 58

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12.17

Bundesminister für Justiz Dr. Nikolaus Michalek: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor Ihnen liegt eine rechtspolitische Entscheidung, deren Bedeutung ohne jeden Zweifel das normale Maß der Gesetzgebung übersteigt, handelt es sich doch um grundsätzliche Fragen von größter Wichtigkeit und höchster Symbolkraft: die Effizienzsteigerung der Bekämpfung schwerer, vor allem organisierter und grenzüberschreitender Kriminalität durch tiefe Eingriffe staatlicher Macht in die Grundrechte, vor allem auf Achtung des Privatlebens und des Datenschutzes. Ein Spannungsverhältnis, dessentwegen ich auch gesagt habe, daß unterschiedlichen Gewichtungen, Abwägungen und Standpunkten bei der Interessenabwägung und Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der mit den neuen Ermittlungsmaßnahmen verbundenen Grundrechtseingriffe demokratischer Respekt entgegenzubringen ist.

Wenn das Bundesministerium für Justiz auch, wie ich heute zitiert wurde, kein Vorreiter der neuen Ermittlungsmethoden war, haben wir uns doch der konstruktiven Diskussion nie entzogen und den Blick auch über die Grenzen und auf die Regelungen und Praktiken anderer vergleichbarer Rechtsordnungen gerichtet. So haben wir uns der Realität, der Gefährdung der Gesellschaft durch veränderte und neue Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität und zugleich rechtsstaatlicher Verantwortung von Anfang an gestellt.

Wir haben uns bemüht, eine Lösung zu erarbeiten, die unter Einbeziehung rechtsvergleichender Aspekte den Traditionen unseres Strafverfahrens gerecht wird und die erforderliche Balance zwischen Verbesserung der polizeilichen Effizienz und weitgehender Wahrung der Grundrechte des einzelnen herstellt.

Das im Spätsommer 1995 entwickelte Regelungskonzept des Bundesministeriums für Justiz hat die Bewährungsproben vielfältiger, intensiver Diskussionen bestanden und internationale Anerkennung gefunden. Die ausführlichen Erörterungen der beiden letzten Jahre haben aber auch gezeigt, daß weitere wesentliche Verbesserungen und Feinabstimmungen und ein zusätzlicher Ausbau des Rechtsschutzes möglich waren.

Wie immer sich jeder einzelne grundsätzlich entscheidet, eines kann ich Ihnen vor dem Hintergrund meiner eigenen Meinungsbildung versichern: Die gefundenen Lösungen, insbesondere die eng definierten Zulässigkeitsvoraussetzungen, die verfahrensrechtlichen Absicherungen, die eine gegenseitige Kontrolle von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht sowie eine begleitende Prüfung durch den Rechtsschutzbeauftragten gewährleisten, und die mehrstufigen Vorkehrungen gegen jeden denkbaren Mißbrauch bilden ein rechtsstaatliches Netzwerk hohen Grades. Dabei wurde in bemerkenswerter Weise auch Neuland beschritten. Neben der Erweiterung der Beweisverwertungsverbote auf zivilgerichtliche und Verwaltungsverfahren greife ich als markantestes Beispiel die Schaffung einer neuen Verfahrenspartei in Form des unabhängigen Rechtsschutzbeauftragten mit umfassenden Befugnissen sowohl für die Prüfung der einzelnen Anordnung als auch für die begleitende Kontrolle der Durchführung der besonderen Ermittlungsmaßnahmen heraus.

Diesem Rechtsschutzbeauftragten kommt auch in dem zuletzt und auch heute am heftigsten umstrittenen Bereich der Vertrauensbeziehungen zwischen Klienten beziehungsweise Patienten der rechtsberatenden Berufe beziehungsweise im psychosozialen Betreuungsbereich eine besondere Funktion zu. Er darf die Ermächtigung zur Anordnung eines sogenannten großen Lauschangriffes in den ausschließlich der Berufsausübung gewidmeten Räumlichkeiten des selbst tatverdächtigen Geheimnisschutzträgers nur dann erteilen, wenn eine im Hinblick auf die große Gefahr eines Eingriffs in rechtlich geschützte Vertrauensverhältnisse grundsätzlich anzunehmende Unverhältnismäßigkeit der Überwachung im Einzelfall aus besonders schwerwiegenden Gründen ausnahmsweise doch nicht vorliegt.

Aber auch in diesem Fall wird er in Wahrnehmung der begleitenden Kontrolle sein besonderes Augenmerk darauf zu legen haben, daß das totale Beweisverwertungsverbot hinsichtlich geschützter Klienten-, Patienteninformationen beachtet wird.


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