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Stenographisches Protokoll

 

 

 

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802. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

 

 

 

Donnerstag, 1. Dezember 2011

 

 


Stenographisches Protokoll

802. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Donnerstag, 1. Dezember 2011

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 1. Dezember 2011: 9.04 – 17.02 Uhr

*****

Tagesordnung

1. Punkt: Bundesgesetz über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissions­zertifikaten (Emissionszertifikategesetz 2011 – EZG 2011)

2. Punkt: Bundesgesetz, mit dem ein EU-Vollstreckungsamtshilfegesetz und ein Bun­desgesetz, mit dem zusätzliche Mittel für das Wärme- und Kälteleitungsausbaugesetz bereitgestellt werden, erlassen sowie das Einkommensteuergesetz 1988, das Körper­schaftsteuergesetz 1988, das Umgründungssteuergesetz, das Grunderwerbsteuerge­setz 1987, das Investmentfondsgesetz 2011, das Immobilien-Investmentfondsgesetz, das Stiftungseingangssteuergesetz, die Bundesabgabenordnung, das Zollrechts-Durchführungsgesetz, das Gerichtsgebührengesetz, das Niederlassungs- und Aufent­haltsgesetz, das Fremdenpolizeigesetz 2005, das Datenschutzgesetz 2000, das Ge­sundheits- und Ernährungssicherheitsgesetz, das Bundesmuseen-Gesetz 2002, das Wasserstraßengesetz, das Bundesgesetz über das Österreichische Forschungs- und Prüfzentrum Arsenal Gesellschaft mit beschränkter Haftung, das Austria Wirtschafts­service-Gesetz und das Außenhandelsgesetz 2011 geändert werden (Budgetbegleitge­setz 2012)

3. Punkt: Bundesgesetz über Information in EU-Angelegenheiten (EU-Informationsge­setz – EU-InfoG)

4. Punkt: 34. Bericht der Volksanwaltschaft (1. Jänner bis 31. Dezember 2010)

5. Punkt: Vereinbarung über die Beendigung der Vereinbarung vom 27. Juni 1997 über die Bereitstellung und den Betrieb von Flugsicherungseinrichtungen und -diensten durch EUROCONTROL in der Bezirkskontrollzentrale des oberen Luftraums für die zentraleuropäischen Flugsicherungsdienste und der Besonderen Vereinbarung zur Durchführung von Artikel 6 der CEATS Vereinbarung

6. Punkt: Übereinkommen zur Errichtung des Funktionalen Luftraumblocks „Zentral­europa“

*****

Ergänzung der Tagesordnung ........................................................................................ 49

7. Punkt: Selbständiger Antrag der Bundesräte Mag. Susanne Neuwirth, Gott­fried Kneifel, Kolleginnen und Kollegen betreffend Abhaltung einer parlamenta-


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rischen Enquete gemäß § 66 GO-BR zum Thema „Föderalistische Aspekte in der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit“ (187/A-BR/2011)

8. Punkt: Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union gemäß Art. 23e B-VG betreffend KOM (11) 635 endg. Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (60696/EU XXIV.GP) und SEK (11) 1166 endg. Arbeitsdokument der Kommis­sionsdienststellen Zusammenfassung der Folgenabschätzung Begleitunterlage zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (61178/EU XXIV.GP)

*****

Inhalt

Bundesrat

Unterbrechung der Sitzung .......................................................................................... 28

Erklärung der Landeshauptfrau von Salzburg Mag. Gabi Burgstaller gemäß § 38 Abs. 3 GO-BR zum Thema „Moderner Föderalismus – Eine Herausforderung für die Reform des Bundesstaates“ – Bekanntgabe ............................................................................................................................... 28

Verlangen auf Durchführung einer Debatte gemäß § 38 Abs. 4 GO-BR ....................... 28

Landeshauptfrau Mag. Gabi Burgstaller ................................................................... 28

Debatte:

Manfred Gruber ............................................................................................................ 35

Josef Saller ................................................................................................................... 36

Monika Mühlwerth ....................................................................................................... 39

Marco Schreuder .......................................................................................................... 41

Mag. Susanne Neuwirth .............................................................................................. 43

Landeshauptfrau Mag. Gabi Burgstaller ................................................................... 46

Antrag der Bundesräte Mag. Susanne Neuwirth, Gottfried Kneifel, Kollegin-
nen und Kollegen, den Selbständigen Antrag 187/A-BR/2011 der Bundesräte Mag. Susanne Neuwirth, Gottfried Kneifel, Kolleginnen und Kollegen betreffend Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 66 GO-BR zum Thema „Föderalistische Aspekte in der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit“
gemäß § 16 Abs. 3 GO-BR ohne Vorberatung durch einen Ausschuss unmittel­bar in Verhandlung zu nehmen – Annahme ................................................................................................  48, 49

Vorschlag des Vizepräsidenten Mag. Harald Himmer gemäß § 41 Abs. 3 GO-BR, die Tagesordnung um das Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union gemäß Art. 23e B-VG betreffend KOM (11) 635 endg. Vorschlag für eine Ver­ordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (60696/EU XXIV.GP) und SEK (11) 1166 endg. Arbeits­dokument der Kommissionsdienststellen Zusammenfassung der Folgenabschät­zung Begleitunterlage zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (61178/EU XXIV.GP) zu ergänzen – Annahme ......................................  49, 49

Absehen von der 24-stündigen Frist für das Aufliegen des schriftlichen Aus­schussberichtes 8609/BR d.B. gemäß § 44 (3) GO-BR .................................................................................................. 49


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Wortmeldungen zur Geschäftsbehandlung in Bezug auf die Dringliche Anfrage:

Gottfried Kneifel ......................................................................................................... 111

Monika Mühlwerth ..................................................................................................... 111

Personalien

Verhinderung .................................................................................................................... 8

Ordnungsruf ................................................................................................................. 124

Aktuelle Stunde (11.)

Thema: „Mehr Sicherheit – mehr Effizienz – neue Strukturen“ ............................. 8

Redner/Rednerinnen:

Franz Perhab ................................................................................................................... 8

Manfred Gruber ............................................................................................................ 10

Hans-Jörg Jenewein .................................................................................................... 11

Bundesministerin Mag. Johanna Mikl-Leitner ..................................................  13, 25

Efgani Dönmez, PMM .................................................................................................. 17

Christoph Kainz ............................................................................................................ 19

Mag. Gerald Klug ......................................................................................................... 21

Johann Ertl .................................................................................................................... 23

Bundesregierung

Schreiben des Bundeskanzleramtes betreffend Aufenthalt von Mitgliedern der Bundesregierung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union .................................................  26, 27, 27

Nationalrat

Beschlüsse und Gesetzesbeschlüsse .......................................................................... 49

Ausschüsse

Zuweisungen .................................................................................................................. 49

Dringliche Anfrage

der Bundesräte Hans-Jörg Jenewein, Kolleginnen und Kollegen an die Bundes­ministerin für Inneres betreffend mysteriöse Pannenserie bei den Tatortermittlun­gen im Fall Kampusch (2861/J-BR/2011)    ............................................................................................................................. 110

Begründung: Hans-Jörg Jenewein ............................................................................ 111

Gottfried Kneifel (tatsächliche Berichtigung) ............................................................. 117

Bundesministerin Mag. Johanna Mikl-Leitner ....................................................... 117

Debatte:

Gerd Krusche ............................................................................................................. 119

Verhandlungen

1. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 19. Oktober 2011 betreffend ein Bun­desgesetz über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifika­ten (Emissionszertifikategesetz 2011 – EZG 2011) (1393 d.B. und 1460 d.B. so­wie 8608/BR d.B.) ............................................................. 50

Berichterstatter: Klaus Konrad ..................................................................................... 50


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Redner/Rednerinnen:

Hans-Jörg Jenewein .................................................................................................... 51

Martina Diesner-Wais .................................................................................................. 53

Elisabeth Kerschbaum .........................................................................................  54, 63

Johann Schweigkofler ................................................................................................. 55

Stefan Zangerl .............................................................................................................. 57

Bundesminister Dipl.-Ing. Nikolaus Berlakovich ..................................................... 59

Walter Temmel ............................................................................................................. 62

Michael Lampel ............................................................................................................ 64

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................................................... 64

2. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 15. November 2011 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein EU-Vollstreckungsamtshilfegesetz und ein Bundes­gesetz, mit dem zusätzliche Mittel für das Wärme- und Kälteleitungsausbauge­setz bereitgestellt werden, erlassen sowie das Einkommensteuergesetz 1988, das Körperschaftsteuergesetz 1988, das Umgründungssteuergesetz, das Grund­erwerbsteuergesetz 1987, das Investmentfondsgesetz 2011, das Immobilien-In­vestmentfondsgesetz, das Stiftungseingangssteuergesetz, die Bundesabgaben­ordnung, das Zollrechts-Durchführungsgesetz, das Gerichtsgebührengesetz, das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, das Fremdenpolizeigesetz 2005, das Datenschutzgesetz 2000, das Gesundheits- und Ernährungssicherheitsgesetz, das Bundesmuseen-Gesetz 2002, das Wasserstraßengesetz, das Bundesgesetz über das Österreichische Forschungs- und Prüfzentrum Arsenal Gesellschaft mit beschränkter Haftung, das Austria Wirtschaftsservice-Gesetz und das Außenhan­delsgesetz 2011 geändert werden (Budgetbegleitgesetz 2012) (1494 d.B. und 1500 d.B. sowie 8602/BR d.B. und 8603/BR d.B.) .......................................................................................................... 65

Berichterstatter: Michael Lampel ................................................................................. 65

Redner/Rednerinnen:

Mag. Reinhard Pisec .................................................................................................... 65

Josef Steinkogler ......................................................................................................... 68

Marco Schreuder .......................................................................................................... 68

Johann Kraml ............................................................................................................... 69

Hermann Brückl ........................................................................................................... 71

Staatssekretär Dr. Josef Ostermayer ........................................................................ 73

Stefan Zangerl .............................................................................................................. 74

Dr. Angelika Winzig ...................................................................................................... 75

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................................................... 76

3. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 15. November 2011 betreffend ein Bundesgesetz über Information in EU-Angelegenheiten (EU-Informationsgesetz – EU-InfoG) (1624/A und 1444 d.B. sowie 8606/BR d.B.) ................................................................................................................. 76

Berichterstatter: Martin Preineder ................................................................................ 77

Redner/Rednerinnen:

Hermann Brückl ........................................................................................................... 77

Mag. Gerald Klug ......................................................................................................... 78

Georg Keuschnigg ....................................................................................................... 79

Elisabeth Kerschbaum ................................................................................................ 80

Gottfried Kneifel ........................................................................................................... 82

Monika Mühlwerth ....................................................................................................... 83


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Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................................................... 84

4. Punkt: 34. Bericht der Volksanwaltschaft (1. Jänner bis 31. Dezember 2010) (III-436-BR/2011 d.B. sowie 8607/BR d.B.) ................................................................................................................. 84

Berichterstatter: Friedrich Reisinger ........................................................................... 84

Redner/Rednerinnen:

Stefan Schennach ........................................................................................................ 84

Edgar Mayer .................................................................................................................. 88

Johann Ertl .................................................................................................................... 90

Marco Schreuder .......................................................................................................... 92

Mag. Muna Duzdar ....................................................................................................... 94

Franz Wenger ................................................................................................................ 96

Ferdinand Tiefnig ......................................................................................................... 98

Volksanwältin Dr. Gertrude Brinek ............................................................................ 99

Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht III-436-BR/2011 d.B. zur Kenntnis zu nehmen        ............................................................................................................................. 102

Gemeinsame Beratung über

5. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 15. November 2011 betreffend Ver­einbarung über die Beendigung der Vereinbarung vom 27. Juni 1997 über die Bereitstellung und den Betrieb von Flugsicherungseinrichtungen und -diensten durch EUROCONTROL in der Bezirkskontrollzentrale des oberen Luftraums für die zentraleuropäischen Flugsicherungsdienste und der Besonderen Vereinba­rung zur Durchführung von Artikel 6 der CEATS Vereinbarung (1396 d.B. und 1489 d.B. sowie 8604/BR d.B.) ................. 102

Berichterstatter: Werner Stadler ................................................................................. 102

6. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 15. November 2011 betreffend Über­einkommen zur Errichtung des Funktionalen Luftraumblocks „Zentraleuropa“ (1394 d.B. und 1490 d.B. sowie 8605/BR d.B.)           ............................................................................................................................. 102

Berichterstatter: Werner Stadler ................................................................................. 102

Redner/Rednerinnen:

Christian Füller ........................................................................................................... 103

Günther Köberl ........................................................................................................... 104

Gerd Krusche ............................................................................................................. 106

Wolfgang Beer ............................................................................................................ 107

Bundesministerin Doris Bures ................................................................................. 108

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 5, gegen den vorliegen­den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................ 109

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 6, gegen den vorliegen­den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................ 109

7. Punkt: Selbständiger Antrag der Bundesräte Mag. Susanne Neuwirth, Gott­fried Kneifel, Kolleginnen und Kollegen betreffend Abhaltung einer parlamentari­schen Enquete gemäß § 66 GO-BR zum Thema „Föderalistische Aspekte in der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit“ (187/A-BR/2011)        ............................................................................................................................. 109

Annahme des Selbständigen Antrages 187/A-BR/2011 .............................................. 110


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 6

8. Punkt: Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union gemäß Art. 23e B-VG betreffend KOM (11) 635 endg. Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (60696/EU XXIV.GP) und SEK (11) 1166 endg. Arbeitsdokument der Kommis­sionsdienststellen Zusammenfassung der Folgenabschätzung Begleitunterlage zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (61178/EU XXIV.GP) ..................................................................................................... 110

Berichterstatter: Edgar Mayer ..................................................................................... 110

Redner/Rednerinnen:

Georg Keuschnigg ..................................................................................................... 121

Stefan Schennach ...................................................................................................... 123

Elisabeth Kerschbaum .............................................................................................. 124

Cornelia Michalke ....................................................................................................... 125

Annahme des Antrages des Berichterstatters, die Abgabe der dem schriftlichen Ausschussbericht angeschlossenen begründeten Stellungnahme gemäß Art. 23g Abs. 1 B-VG zu empfehlen                       126

Eingebracht wurden

Antrag der Bundesräte

der Bundesräte Mag. Susanne Neuwirth, Gottfried Kneifel, Kolleginnen und Kolle­gen betreffend Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 66 GO-BR zum Thema „Föderalistische Aspekte in der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit“ (187/A-BR/2011)

Anfragen der Bundesräte

Hans-Jörg Jenewein, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz be­treffend mögliche Schwangerschaft von Natascha Kampusch (2855/J-BR/2011)

Hermann Brückl, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz be­treffend Quotenregelung im öffentlichen Bereich (2856/J-BR/2011)

Hans-Jörg Jenewein, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz betreffend Fahrlässigkeit der Ermittlungsbehörde in der Causa „Kampusch“ (2857/J-BR/2011)

Dr. Angelika Winzig, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend ÖBB-Kundenparkplätze in Vöcklabruck (2858/J-BR/2011)

Hans-Jörg Jenewein, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz be­treffend Girokonto von Wolfgang Priklopil (2859/J-BR/2011)

Hans-Jörg Jenewein, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Inneres betreffend Dienstmarken (Kokarden) des Kriminaldienstes (2860/J-BR/2011)

Hans-Jörg Jenewein, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Inneres betreffend mysteriöse Pannenserie bei den Tatortermittlungen im Fall Kampusch (2861/J-BR/2011)

Anfragebeantwortungen

der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie auf die Anfrage der Bun­desräte Georg Keuschnigg, Kolleginnen und Kollegen betreffend Ausschreibung und Vergabe der digitalen Dividende (2629/AB-BR/2011 zu 2838/J-BR/2011/J)


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der Bundesministerin für Finanzen auf die Anfrage der Bundesräte Mag. Reinhard Pi­sec, Kolleginnen und Kollegen betreffend Vermeidung von ungerechtfertigten Vorsteu­erabzügen (Vorsteuerbetrug) (2630/AB-BR/2011 zu 2839/J-BR/2011)

der Bundesministerin für Finanzen auf die Anfrage der Bundesräte Mag. Reinhard Pisec, Kolleginnen und Kollegen betreffend Vereinbarung über eine Weiterführung der stabilitätsorientierten Budgetpolitik (Österreichischer Stabilitätspakt 2001) (2631/AB-BR/2011 zu 2840/J-BR/2011)

des Bundesministers für Landesverteidigung und Sport auf die Anfrage der Bundesräte Martina Diesner-Wais, Kolleginnen und Kollegen betreffend Bundesheer-Zentralkü­chen (2632/AB-BR/2011 zu 2841/J-BR/2011)

der Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur auf die Anfrage der Bundesräte Elisabeth Greiderer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Benachteiligung von Schü­lerinnen und Schülern aus Tiroler Randbezirken (2633/AB-BR/2011 zu 2842/J-BR/2011)


 


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 8

09.04.26Beginn der Sitzung: 9.04 Uhr

 


Präsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Ich eröffne die 802. Sitzung des Bundesrates.

Guten Morgen, werte Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe, trotz der Feier am gestrigen Abend sind alle munter. Ich begrüße hiermit alle, insbesondere Frau Bundesministerin Mikl-Leitner hier bei uns im Bundesrat. – Herzlich willkommen, Frau Ministerin! (Allge­meiner Beifall.)

Das Amtliche Protokoll der 801. Sitzung des Bundesrates vom 4. November 2011 ist aufgelegen, unbeanstandet geblieben und gilt daher als genehmigt.

Für die heutige Sitzung ist Frau Bundesrätin Inge Posch-Gruska als verhindert ge­meldet.

09.05.06Aktuelle Stunde

 


Präsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Wir gelangen nun zur Aktuellen Stunde zum Thema

„Mehr Sicherheit – mehr Effizienz – neue Strukturen“

mit der Frau Bundesministerin für Inneres Mag. Johanna Mikl-Leitner.

In der Präsidialkonferenz wurde Einvernehmen über folgenden Ablauf erzielt: Zunächst kommt je eine Rednerin/ein Redner pro Fraktion zu Wort, deren Redezeit jeweils 10 Minuten beträgt. Sodann folgt die Stellungnahme der Frau Bundesministerin, die ebenfalls 10 Minuten nicht überschreiten sollte. Danach folgt eine Rednerin/ein Redner der BundesrätInnen ohne Fraktion und danach je eine Rednerin/ein Redner der Frak­tionen mit einer jeweils 5-minütigen Redezeit. Zuletzt kann noch eine abschließende Stellungnahme der Frau Bundesministerin erfolgen, die nach Möglichkeit 5 Minuten nicht überschreiten sollte.

Als Erster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Perhab. – Bitte.

 


9.05.50

Bundesrat Franz Perhab (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Zuseherinnen und Zuseher zu Hause an den Fernsehgeräten! Eine Aktuelle Stunde zum Thema „Mehr Si­cherheit – mehr Effizienz – neue Strukturen“ ist, glaube ich, eine Premiere in unserer Kammer, im Bundesrat. Ich möchte mich herzlich für diese Gelegenheit bedanken, die­ses für die österreichische Bevölkerung so eminent wichtige Thema hier im Bundesrat heute diskutieren und argumentieren zu dürfen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zur Sicherheit: Österreich gehört, Gott sei Dank, zu den sichersten Ländern der Welt, aber Sicherheit ist kein Gratisprodukt, son­dern es gehört viel Arbeit, viel Einsatz, viel Effizienz und eine passende Struktur dazu, um den Österreicherinnen und Österreichern das nötige Sicherheitsgefühl zu vermit­teln. Österreich ist sicher, wie uns der letzte Sicherheitsbericht, die Kriminalitätsstatistik gezeigt hat.

2010 haben wir erstmals seit Jahren einen markanten Rückgang in der Kriminalstatis­tik, wir sind von 591 597 Fällen 2009 auf 535 745 heruntergekommen – Gott sei Dank. Das ist ein Minus von 9,4 Prozent, wobei auch die Aufklärungsquote österreichweit ge­stiegen ist. Das ist, glaube ich, mehr als erfreulich, und ist auch ein Verdienst von über 27 000 Beamten und Beamtinnen in der Exekutive beziehungsweise in den Sicher-


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 9

heitsbehörden. Ich glaube, diese Menschen verdienen einen großen Applaus. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Auch für mein Bundesland gilt der gleiche Trend, für die Steiermark, auch da konnten wir von 58 982 Fällen auf 55 167 und somit auf ein Minus von 6 Prozent kommen und ebenfalls eine Steigerung der Aufklärungsquote um 3 Prozent erreichen. Ich denke, das ist der richtige Weg in die Zukunft. Sicherheit ist wahrscheinlich in Österreich in nächster Zeit nicht mehr selbstverständlich, da die innere Sicherheit einem laufenden Wandel unterliegt. Wer diesen laufenden Wandel rechtzeitig erkennt und die Tenden­zen erkennt, kann darauf richtig reagieren.

Für Österreich gilt es daher, und insbesondere für unsere Sicherheitsbehörden, die Kri­minalität flexibel zu bekämpfen, weil sich die Kriminalität, wie wir alle wissen, laufend, permanent verändert. Man denke da nur an die momentan sehr hohe Wirtschaftskrimi­nalität. Von dieser bis hin zur Cyber-Crime müssen wir unserer Exekutive neue Struk­turen, neue Möglichkeiten geben, um diese Herausforderungen auch bewältigen zu können. Massenkriminalität wie die Gewalt gegen Leib und Leben sowie die Eigen­tumskriminalität sind neue Formen dieser Kriminalität, und es gilt, sie auch konsequent zu bekämpfen.

Dazu benötigen wir aber eine neue Strategie, welche wir dankenswerterweise heute auf Initiative unserer Bundesministerin hier zu diskutieren und zu argumentieren ha­ben. Die Strategie „INNEN.SICHER.“ ist auch als Folge neuer Rahmenbedingungen zu sehen, nämlich der Verwaltungsreform und der Weiterentwicklung der sicherheitsbe­hördlichen Strukturen. Wir werden bei einem anderen Tagesordnungspunkt heute si­cher auch die Schuldenbremse zu diskutieren haben, und ich denke, dass auch die Sicherheitsbehörden unter diesen finanziellen Druck geraten sind, sodass wir – und vor allem das Ministerium – gezwungen sind, diese Strukturen zu verschlanken und der Zeit anzupassen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Strukturreform betrifft ausschließlich die oberste Führungsetage. Da sprechen wir von einem Personalvolumen von zirka 400 Personen. Wir als Ländervertreter sind da natürlich besonders betroffen, weil wir selbstverständlich auch daran großes Interesse haben, dass in unseren Bundeslän­dern die Führungsstruktur effizient, schlank und auch zukunftsorientiert ist.

Ich glaube, darauf müssen wir als Ländervertreter bestehen; und mein Dank gilt auch der Frau Ministerin, ich denke, sie hat in Vorabsprache mit den Ländern da doch schon einiges erreicht. – Vielen Dank, Frau Ministerin! (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bundes­räten der SPÖ.)

Dieser Reformschritt, der ja ein weiterer Schritt in der Reform der Sicherheitsbehörden vom Jahr 2000 an ist, eine Fortsetzung ist, findet eigentlich unter neuen Rahmenbedin­gungen statt. Da ist einmal der Regierungsbeschluss einer Schuldenbremse, die Ein­richtung eines Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, die Schaffung von Landes- und Verwaltungsgerichtshöfen und die Umsetzung der Haushaltsrechtsreform bis spä­testens 2013. Diese Rahmenbedingungen bedingen diese Strategie und bedingen die­se Reform. Ich denke, wir sind gut beraten, wenn wir die nötige Unterstützung und bis spätestens 2013 die rechtlichen Voraussetzungen hier im Parlament schaffen, um die­se Strategie auch in die Realität umzusetzen.

Sehr geehrte Frau Ministerin, ich wünsche Ihnen auf diesem Weg, und ich glaube, es ist der einzig richtige Weg, alles Gute, den ÖsterreicherInnen in Zukunft mehr Sicher­heit und der Exekutive ein handlungsfähiges Instrument für die Zukunft, um die Krimi­nalität in Österreich weiterhin effizient bekämpfen zu können. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

9.12



BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 10

Präsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Gruber. – Bitte.

 


9.12.00

Bundesrat Manfred Gruber (SPÖ, Salzburg): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr ge­ehrte Frau Bundesministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuseher und Zu­hörer! Die heutige Aktuelle Stunde befasst sich mit dem Thema „Mehr Sicherheit – mehr Effizienz – neue Strukturen“.

Meine Damen und Herren, die Lebensqualität in einem Land ist auch entscheidend da­von abhängig, wie sicher sich die Bürgerinnen und Bürger in ihrem Land, in ihrer unmit­telbaren Umgebung, aber vor allem in ihrem Zuhause fühlen. Dieses primäre Grundbe­dürfnis der Menschen muss Auftrag und Ziel einer umfassenden Sicherheitspolitik sein. Ich betrachte es daher auch als eine besonders wichtige Aufgabe der Politik, da ent­sprechende Maßnahmen zu setzen.

Ich darf am Beispiel Salzburg anmerken, dass es durch einen ziel- und wirkungsorien­tierten Ressourceneinsatz den Sicherheitsbehörden des Landes gelungen ist, die lan­desweite Aufklärungsquote von 34,6 Prozent auf 43,8 Prozent anzuheben und gleich­zeitig durch verstärkte Präsenz auch die Straftaten von 35 880 auf 29 382 angezeigte Fälle zu senken. Diese positive Entwicklung, meine Damen und Herren, schlägt sich auch im subjektiven Sicherheitsempfinden unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger nie­der.

Werte Frau Bundesministerin, geschätzte Kolleginnen und Kollegen: Und sie bewegt sich doch! – Damit meine ich natürlich nicht die Frau Bundesministerin (Heiterkeit bei Bundesräten der ÖVP), sondern einen speziellen Teil der Verwaltungsreform im Be­reich Sicherheit, eine Reform, die neben den Bundessicherheitsbehörden auch die Ver­waltungsgerichtsbarkeit und das Bundesamt für Asyl und Migration betrifft.

„Aus 31 mach neun!“ – was sich anhört wie ein Kürzel, heißt in der Praxis, dass aus acht Sicherheitsdirektionen, aus 14 Bundespolizeidirektionen und neun Landespolizei­kommanden in Zukunft nur mehr neun Landespolizeidirektionen für die Sicherheit in unserem Land zuständig sind. Das heißt, es kommt zu einer Reform und Strukturver­änderung im obersten Führungsbereich der Exekutive. Polizeiinspektionen, Stadtpoli­zei- und Bezirkspolizeikommanden bleiben unverändert. Das heißt im Klartext: weniger Häuptlinge, mehr Indianer und Einsparungen im Bereich von 8 bis 10 Millionen €.

Zum Tragen soll diese Veränderung bei der Exekutive bereits im Herbst 2012 kommen. Zurzeit, meine Damen und Herren, arbeiten Experten und ein dafür eingerichteter Mit­arbeiterrat an den Details, wo auch die Anliegen der von den Strukturen betroffenen Mitarbeiter bearbeitet werden.

Lassen Sie mich noch einmal die wichtigsten Vorteile dieser Strukturreform zusam­menfassen. Erstens: Durch die Verringerung von 31 auf 9 Behördenleiter wird die Füh­rungsstruktur massiv verschlankt. Zweitens findet eine wesentliche Reduzierung der Schnittstellen statt, statt 31 Detailbudgets gibt es in Zukunft nur mehr neun. Drittens gibt es Investitionen in die Sicherheit statt in Strukturen. Gewinner dabei ist der Exeku­tivdienst. Viertens werden intern glasklar geregelte Abläufe geschaffen. Dies bedeutet in der Praxis mehr Effektivität und mehr Effizienz. Fünftens werden serviceorientierte Anlaufstellen für Bürgerinnen und Bürger sowie bessere Karrieremöglichkeiten für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen geschaffen.

Ich hoffe und gehe auch davon aus, dass bei den Ausschreibungen und Neubesetzun­gen die besten Leute zum Zug kommen. Eine Personalpolitik eines ehemaligen Innen­ministers würde diesem positiven Projekt massiv schaden. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Lieber Herr Kollege, ich habe mich bewusst sehr zurückgehalten und nur an-


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gedeutet, aber wir wissen alle, wovon wir reden, glaube ich. (Bundesrat Mag. Klug: Der Zwischenruf war eh ein Irrtum! Heiterkeit bei Bundesräten der SPÖ.)

Sehr geehrte Frau Bundesministerin, im Jahr 2001 wurde der jährliche Lagebericht zum Rechtsextremismus abgeschafft. Wenn wir jetzt sehen, was sich in der rechts­extremen Szene in Deutschland abspielt, müsste man diese Maßnahme eigentlich zu­rücknehmen. Auch bei uns in Österreich müsste diese Szene beobachtet, bekämpft werden, und darüber sollte es auch wieder einen Lagebericht geben. (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie des Bundesrates Kainz.)

Ich weiß nicht, ob Sie diese Unterlagen aus dem „profil“ kennen. Ich stelle sie Ihnen gerne zur Verfügung, man sollte sie gelesen haben. Auch der Bericht in der gestrigen „ZIB 2“ lässt aufhorchen. Also ich glaube, da haben wir dringenden Handlungsbedarf! (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Lassen Sie mich zum Schluss, meine Damen und Herren, danke sagen! Danke an die 27 000 Mitarbeiter, die durch ihren persönlichen Einsatz einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass Österreich zu den sichersten Ländern der Welt gehört. – Danke schön. (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie bei Bundesräten der ÖVP.)

9.18


Präsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als Nächster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Jenewein. – Bitte.

 


9.18.37

Bundesrat Hans-Jörg Jenewein (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Bundesminister! Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das heutige Thema erin­nert ein bisschen an den Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“. In regelmäßigen Ab­ständen hören wir von Reformen, hören wir von mehr Effizienz, und das seit vielen, vielen Jahren und immer wieder; und immer wieder wird neu reformiert, wird neu auf­gestellt, wird neu organisiert. Wenn man das ein bisschen Revue passieren lässt, dann muss man ja zu dem Schluss kommen, dass vor zehn, fünfzehn Jahren die Strukturen bei der Polizei der letzte Dreck gewesen sind, denn man muss ja dauernd reformieren und dauernd etwas neu machen.

Jetzt weiß ich natürlich auch, dass sich die Rahmenbedingungen geändert haben, das wissen wir alle. Der Herr Kollege Perhab hat im Vorfeld gesagt, Sicherheit ist kein Gratisprodukt, und das stimmt, denn im Endeffekt geht es immer nur darum, dass man die Strukturen, die man braucht, auch finanzieren muss. Und genau da, Frau Ministe­rin, hätte ich mir von Ihnen gewünscht, dass Sie einmal dem Herrn Finanzminister sa­gen: Her mit dem Zaster! (Rufe bei der ÖVP: Frau Finanzminister!) Da wäre es besser gewesen  (Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Lassen Sie mich einmal ausreden, hören Sie zu, vielleicht können Sie noch etwas ler­nen! (Zwischenrufe der Bundesräte Mag. Himmer und Mayer.Entschuldigung! Ich habe mich da versprochen, aber das ist Ihnen natürlich noch nie passiert! Aber wir kommen dann eh noch auf einen Themenkreis zu sprechen, der Sie, Herr Himmer, auch betrifft.

„Her mit dem Zaster!“ – das wäre in diesem Bereich natürlich auch nicht schlecht ge­wesen, denn dass die Polizei Geld braucht, zeigt sich ja daran, dass wir immer noch das Problem haben, dass mit rhetorischen Nebelschwaden versucht wird, eine Phanta­siepolizei herbeizureden.

Wir haben bis zum heutigen Tag keine Planstellenwahrheit. Es werden Grenzpolizei­dienststellen aufgelöst, die kommen dann in den „Schengen-Pool“, da wird dann neu verteilt, und unterm Strich kommt dann heraus, dass wir weniger Planstellen haben als


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vorher. Trotzdem versucht man, mit dieser Erklärung der Bevölkerung klarzumachen, jetzt gäbe es mehr Planstellen, jetzt gäbe es mehr Polizisten.

Faktum ist, dass es dort, wo man Polizisten wirklich bräuchte, am Ende des Tages we­niger geben wird. Und das ist eigentlich eines der großen Probleme. Wir wissen, dass es gerade im Grenzbereich vermehrt zu Bankomatsprengungen kommt, die einschlägi­gen Statistiken zeigen das auf, aber genau dort, wo man Exekutivbeamte bräuchte, gibt es dann in Zukunft einfach keine mehr. Und das ist ein großes Problem – gerade für den grenznahen Bereich in Ostösterreich, in Nordostösterreich, wo immer wieder solche Dinge auftreten.

Ich bin auch sehr gespannt, wie man zum Beispiel bei temporären Grenzkontrollen, die immer wieder vorkommen, zum Beispiel dann, wenn es einen Weltwirtschaftsgipfel gibt et cetera, das dann administrieren wird, nämlich dann, wenn die Strukturen abgebaut sind, wenn es diese Einrichtungen dann nicht mehr gibt. Da wird man sich dann etwas Neues überlegen müssen, wahrscheinlich werden dann wieder ein paar Container aufgestellt. Das wird dann so ähnlich wie in Wien mit den Container-Klassen sein: Da stellt man ein paar Container hin, und dort muss dann die Polizei ihren Dienst verse­hen. – Das kann ja nicht der Weisheit letzter Schluss sein!

Wenn wir schon von neuen Strukturen und von Effizienz sprechen, sollten wir vielleicht auch von den Strukturen und von der Effizienz in Ihrem eigenen Ministerium sprechen, Frau Minister. Es ist, glaube ich, einmalig in der Zweiten Republik, dass gegen einen aktiven Kabinettschef Ermittlungen wegen Amtsmissbrauch und Geheimnisverrat ein­geleitet werden. Das System, das sich da im Innenministerium manifestiert hat und das es da seit vielen Jahren gibt, ist überhaupt insofern interessant, als wir auf der einen Seite mit dem Telekom-Komplex, der jetzt sogar Thema eines parlamentarischen Un­tersuchungsausschusses werden wird, aber auch beim Blaulichtfunk durchaus hoch­interessante Entwicklungen haben, die es da zu beleuchten gibt.

Beim Blaulichtfunk sieht das so aus: Eigentlich hätte er schon im Jahr 2005 in Betrieb gehen sollen, er ist aber deshalb nicht in Betrieb gegangen, weil eine bestimmte Firma bei der Ausschreibung dann halt doch noch den Zuschlag bekommen sollte. Und da gibt es so hochinteressante Geschichten wie zum Beispiel die, dass in Bezug auf einen ge­wissen Generalmajor Peter S., der bei einer bestimmten Firma gearbeitet hat – er war im Innenministerium karenziert –, interveniert wurde, dass er wieder in das Innenminis­terium zurückkommen soll. Dann war er wieder im Innenministerium. Dann gab er an eine Firma K. einen Auftrag, und zufälligerweise werden ihm dann in weiterer Folge Unterlagen gestohlen. In diesen Unterlagen, die dem Herrn S. gestohlen wurden, waren die genauen Zahlen und Daten und die Vereinbarungen mit dem Finanzminis­terium drinnen, was denn die Neuausschreibung des Blaulichtfunks kosten darf. Und dann machte eigenartigerweise eine Firma eine Punktlandung bei dieser Ausschrei­bung, weil sie zufällig wusste, wie die Ausschreibungsmodalitäten vor sich gehen. (Bundesrat Gruber: Das muss der ehemalige Finanzminister gemacht haben!) Ja, der ehemalige Finanzminister! (Bundesrat Gruber: Grasser, glaube ich, war das!) Ja, der ist ja bei der ÖVP. Der wollte sogar einmal ÖVP-Obmann werden, oder? (Bundesrat Gruber:  BUWOG!) Ja, der wollte sogar ÖVP-Obmann werden, der Herr Grasser. Ja, Sie haben eh recht! Schauen wir einmal, was mit dem Pülcher in weiterer Folge passieren wird! (Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Der Reichhold hat aber nichts mit dem Blaulichtfunk zu tun. Tun Sie nicht ablenken! Wir sind noch immer beim Blaulichtfunk.

Es ist eigenartig, es ist sehr eigenartig, dass da auch Personen involviert sind – er kann sich ja zu Wort melden, er sitzt ja hier im Raum –, die offenbar, sagen wir es ein­mal so, einen höchst eigenwilligen Zugang dazu haben, wie mit öffentlichen Aufträgen in Österreich umgegangen wird. Und das, Frau Bundesministerin, wäre ebenfalls ein Punkt, der für mehr Effizienz und vor allem für neue Strukturen in diesem Innenministe-


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rium sprechen würde, denn das „System Strasser“ – ich weiß schon, dass es Ihnen un­angenehm ist, wenn man die Person Strasser hier nennt, aber ich kann es nicht än­dern, er war halt einmal ein ÖVP-Innenminister – und die damals handelnden Perso­nen sind nach wie vor in Ihrem Kabinett, in Ihrem Haus tätig. Die Person Strasser hat im Innenministerium ein System errichtet, das bis zum heutigen Tag  (Ruf bei der ÖVP:  der Herr Grasser!) Ja, der Herr Grasser auch, der gehört ja auch zu euch! Bitte, der wollte sogar Bundesobmann der ÖVP werden. (Bundesrat Gruber: Das ist ein bisschen eine Kindesweglegung!) Nein, das ist keine Kindesweglegung! Dass das ein Pülcher ist, das können Sie von mir schriftlich haben. (Neuerliche Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Aber es ist schon hochinteressant, dass dann alle möglichen Namen kommen, nur damit man die Person Strasser nicht beleuchtet. Nur: Es ist nun einmal Teil der ÖVP-Geschichte und es ist vor allem Teil des Innenministeriums. Und wenn man von neuen Strukturen und von mehr Effizienz spricht, meine sehr geehrten Damen und Herren, dann wird man mittelfristig nicht umhinkommen, auch das „System Strasser“ im Innen­ministerium einmal näher zu durchleuchten und vielleicht dort einmal die sauren Wie­sen trockenzulegen. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)

9.25


Präsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Zu einer einleitenden Stellungnahme zu Wort gemeldet hat sich die Frau Bundesministerin für Inneres. – Bitte, Frau Ministerin.

 


9.25.09

Bundesministerin für Inneres Mag. Johanna Mikl-Leitner: Sehr geehrter Frau Prä­sidentin! Geschätzte Mitglieder des Bundesrates! Liebe Zuschauerinnen und Zu­schauer! Ich freue mich, dass ich heute hier die Möglichkeit habe, über einige Bereiche der inneren Sicherheit zu sprechen, und darf auch ein herzliches Danke sagen für die Ausführungen des Kollegen, der hier dokumentiert hat, dass wir gerade im Bereich der Sicherheit gut unterwegs sind.

Ich sage hier ganz offen und ehrlich: Ich lasse mir die Arbeit unserer 27 Polizistinnen und Polizisten nicht schlechtreden (Bundesrat Gruber: 27 000!), denn die sind 24 Stun­den täglich und 365 Tage im Jahr unterwegs und leisten eine sehr, sehr gute Arbeit! (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten von SPÖ, FPÖ und Grünen.)

Weil heute der Fokus dieser Aktuellen Stunde das Thema „Mehr Effizienz – neue Strukturen“ ist, möchte ich auf unsere zwei neuen Strukturreformen eingehen – zwei Reformen, die meines Erachtens Meilensteine in der Geschichte der Sicherheitspolitik darstellen. Das ist zum einen das Bundesamt für Fremdenrecht und Asyl und zum an­deren die Behördenreform im polizeilichen Bereich, eine Reform, die die größte in der Zweiten Republik ist.

Ich sage Ihnen hier ganz offen und ehrlich, vor allem dem Herrn Bundesrat von den Freiheitlichen, der zuvor hier gesprochen hat: Gerade wir im Innenministerium nehmen unsere Verantwortung, wenn es um das Thema mehr Sicherheit für unsere Bürgerin­nen und Bürger, mehr Sicherheit für diese Republik geht, sehr ernst. Und wenn man diese Verantwortung ernst nimmt, dann muss man sich auch mit zukünftigen Entwick­lungen, zukünftigen Herausforderungen beschäftigen und muss dementsprechend auch konkrete Maßnahmen setzen, um derartigen Herausforderungen letztendlich ge­recht zu werden. Und das tun wir Tag für Tag und vor allem auch jede Stunde.

Und deswegen sage ich ein herzliches Danke an unseren Koalitionspartner, die SPÖ, was die Verhandlungen in den letzten Monaten zum Bundesamt für Asyl und Migration betroffen hat – jetzt ist eher passend der Name „Bundesamt für Fremdenrecht und Asyl“ – und wo es um die Behördenreform gegangen ist. Ich kann hier nur eines sagen:


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Es waren sehr konstruktive Verhandlungen. Es ist hier wirklich von einem gedeihlichen Miteinander zu sprechen. Wir haben uns entschieden, in beiden Bereichen diesen Weg gemeinsam zu gehen, weil dieser Weg letztendlich auch Sinn macht und richtig ist. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Wichtig war uns beim Bundesamt für Asyl und Migration, dass wir die Details betref­fend gewisse Vorgespräche mit den Landeshauptleuten und der Landeshauptfrau füh­ren, und zwar deswegen, weil es da auch zu einer Kompetenzverschiebung kommt und wir daher diesen Weg gemeinsam beschreiten müssen.

Warum ist uns dieses Bundesamt-neu so wichtig? – Es ist uns deswegen so wichtig, weil wir eben mit neuen Entwicklungen zu tun haben, weil gerade Europa, im Speziel­len Österreich, von den Migrationsströmen betroffen ist. Wir haben mittlerweile allein heuer 18 800 illegale Einwanderer. Das ist ein Zuwachs von 27 Prozent. Damit verbun­den ist natürlich auch ein Anstieg bei den Asylanträgen, und zwar im Ausmaß von 31 Prozent. Und um mit derartigen Entwicklungen zurande zu kommen, ist es wichtig, schlanke und effiziente Strukturen zu schaffen. Das heißt, es bedarf da ganz klarer Antworten, gerade im strukturellen Bereich, und deswegen haben wir uns für dieses Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl entschieden, das jetzt im Entstehen ist.

Jetzt kann sich der eine oder andere die Frage stellen: Ja was bringt denn das letzt­endlich für Vorteile? – Ich glaube, man kann das alles auf einen gemeinsamen Nenner bringen: Es gibt in Zukunft ein Amt, ein schnelleres Verfahren, eine Ansprechstelle. Das bedeutet einen Wegfall von zig Schnittstellen. Wir schaffen damit im wahrsten Sinne des Wortes ein Kompetenzzentrum mit kompetenten Mitarbeiterinnen und Mitar­beitern, die im Bereich Asyl- und Fremdenrecht eben sehr viel an Kompetenz aufwei­sen und dafür Sorge tragen werden, dass wir da vor allem ein Mehr an Qualität haben werden und letztendlich auch schnellere Abläufe zustande bringen.

Dieser Weg, den wir da gehen, ist letztendlich ein europäischer Weg – ein europäi­scher Weg, den auch viele andere EU-Mitgliedstaaten gegangen sind beziehungswei­se wo dieser in Umsetzung begriffen ist. Deswegen bin ich sehr glücklich, dass sich auch Österreich zur Schaffung eines Bundesamtes entschieden hat, weil das ein richti­ger und wichtiger Weg ist.

Ganz wichtig war es uns, aus Gründen der Bürgernähe und der Servicenähe dafür zu sorgen, dass es neben der Zentrale in Wien jeweils mindestens eine Außenstelle in den Bundesländern gibt. Das heißt, es wird mit dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Zentrale in Wien geben und in jedem anderen Bundesland mindestens eine Außenstelle, damit wir direkt am Puls der Bürgerinnen und Bürger sind, um für de­ren Bedürfnisse eine direkte Ansprechstelle zu sein.

Welche Aufgabe soll dieses Bundesamt haben? – Erstens: Selbstverständlich die Ab­wicklung aller erstinstanzlichen Asylverfahren. Zweitens: Natürlich den Großteil aller fremdenpolizeilichen Verfahren. Und drittens: Einen Teil des Aufenthaltsrechts, im Spe­ziellen den humanitären Aufenthalt, der sehr komplex ist und wofür es eben sehr viele Spezialisten braucht. Mit diesem Bundesamt schaffen wir effiziente und schlanke Struk­turen, die ein Mehr an Qualität bieten werden.

Wenn man diese Entwicklung weiterdenkt, wenn man in weiterer Folge an die zweite Instanz denkt, an die Berufungsinstanz, liegt es auf der Hand, dass man sich überle­gen muss, auch im Bereich der zweiten Instanz ganz klare und effiziente Strukturen zu schaffen. Und da gibt es Überlegungen, aus den 20 Berufungsbehörden eine einzige Berufungsbehörde zu machen. Das hieße, von neun Unabhängigen Verwaltungssena­ten, neun Sicherheitsdirektionen, einem Asylamt und einem Innenministerium hin zu ei­ner Berufungsbehörde zweiter Instanz zu kommen. Das wird der nächste Schritt sein, auf den wir unseren Schwerpunkt legen müssen.


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Mit diesem Bundesamt gehen wir einen richtigen Weg, wir schaffen damit im wahrsten Sinne des Wortes ein Kompetenzzentrum. Neben der Schaffung dieses Bundesamtes wird hart gearbeitet an der Schaffung der Landesgerichtshöfe. All diese neuen Struktu­ren stellen letztendlich auch für die Polizei neue Rahmenbedingungen dar, auf die man seitens der Polizei natürlich auch eingehen muss. Das heißt, wir haben jetzt die Chan­ce, die polizeilichen Strukturen auf neue Beine zu stellen, auf effizientere Beine zu stel­len.

Was ist da unser Ziel? – Unser Ziel ist es, die 31 Polizeidirektionen und -kommanden zu neun Landespolizeidirektionen zusammenzufassen, um schneller, rascher, effizien­ter und günstiger agieren zu können. Heute wurde hier schon von einer Einsparung von 8 bis 10 Millionen € gesprochen. Diese 8 bis 10 Millionen € sollen dazu führen, dass wir in diesem Bereich mehr Effizienz erreichen und dass wir vor allem auch die Chance haben, mehr Polizistinnen und Polizisten auf die Straße zu bringen, damit das subjektive Sicherheitsgefühl der Österreicherinnen und Österreicher gestärkt wird. (Bei­fall bei ÖVP und SPÖ sowie bei Bundesräten der Grünen.)

Wichtig ist, in diesem Zusammenhang auch einmal zu betonen, was von diesen struk­turellen Veränderungen unberührt bleibt beziehungsweise was nicht verändert wird. – Unverändert bleiben die Strukturen, was die Polizeiinspektionen, die Bezirkspolizei­kommanden und die Stadtpolizeikommanden betrifft. Das heißt, da gibt es keine struk­turellen Veränderungen. Und es kommt da auch zu keinen Veränderungen in Bezug auf die Bevölkerung, in Bezug auf die Bürgerinnen und Bürger.

Ebenso bleibt die Sicherheitsbehörde erster Instanz, sprich: unsere Bezirkshauptmann­schaften in den Ländern, aufrecht. Es ist mir ganz wichtig, das auch hier zu betonen, denn gerade die Bezirkshauptmannschaften haben sich in den letzten Jahren im wahrsten Sinne des Wortes zu direkten Bürgerservicestellen in den einzelnen Bezir­ken, in den Ländern entwickelt. Also diese Struktur bleibt unangetastet. Und es sei noch einmal der Ersparniseffekt von 8 bis 10 Millionen € erwähnt, auf den ich schon eingegangen bin.

Wichtig ist mir auch, hier zu betonen, dass es auch in Zukunft nur eine Ansprechstelle seitens des Landes geben wird. Die Landespolizeidirektion ist dann die erste und wich­tigste Ansprechstelle. Das heißt, es gibt nicht mehr verschiedene Ansprechstellen, son­dern eine einzige, was die Situation direkt vor Ort einfacher macht. Ganz entscheidend ist dabei: Dadurch schaffen wir es, Doppelgleisigkeiten, unnötige Schnittstellen zu be­seitigen und für klare Strukturen und klare Abläufe zu sorgen.

Wichtig ist es mir auch, unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Karrierechancen einzuräumen. Sie wissen, dass gerade in den letzten Jahren im Bereich der Aus- und Wei­terbildung unserer Polizistinnen und Polizisten sehr viel passiert ist. So haben wir mit der Gründung der Sicherheitsakademie ein Instrumentarium, eine Organisation ge­schaffen, mit der es uns möglich war, mehr Qualität im Bereich der Polizei zu errei­chen. Wie gesagt, mir ist es wichtig, dass unseren Polizistinnen und Polizisten Kar­rierechancen gegeben werden, dass unsere Polizistinnen und Polizisten die Möglich­keit haben, von der Polizeiinspektion über die Landespolizeidirektion bis hin in das In­nenministerium Karriere zu machen, denn: Die Menschen brauchen Perspektiven und Ziele!

Was bedeutet diese neue Struktur? – Diese neue Struktur hat zur Folge, dass es in Zu­kunft einen Landespolizeidirektor oder -direktorin mit zwei Stellvertretern geben wird, was auch dazu führen wird, dass Wachkörper und Behörde miteinander verschmelzen werden. Das heißt, es kommt da nicht nur zu einem professionellen Zusammenarbei­ten, sondern auch zu einer Verschmelzung.

Wichtig ist mir, dass wir – und das geschah in den letzten Monaten – die Grundstruktur der Landespolizeidirektion erarbeitet haben, und diese Grundstruktur muss jetzt im De-


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tail mit Leben erfüllt werden. Es gibt vier Arbeitsgruppen. Bei diesen vier Arbeitsgrup­pen werden im Speziellen die Expertinnen und Experten eingebaut, sprich: die Sicher­heitsdirektoren, die Bundespolizeidirektoren und die Landespolizeikommandanten, um dieses Know-how, dieses Expertenwissen bei der Ausgestaltung unserer Landespoli­zeidirektionen zu nutzen.

Von diesen vier Arbeitsgruppen wird sich eine Arbeitsgruppe mit dem Themenfeld „Or­ganisation“ beschäftigen, die zweite Arbeitsgruppe mit dem gesamten Bereich der le­gistischen Umsetzung, die dritte Arbeitsgruppe mit dem Bereich „Infrastruktur“, denn gerade dann, wenn Wachkörper und Behörde verschmelzen, bedarf es einer infrastruk­turellen Änderung, und die vierte Arbeitsgruppe mit dem Themenkomplex „Personal­entwicklung“.

Wir alle wissen, dass eine derartige Behördenreform natürlich auch Sorgen und Ängste mit sich bringt, und deswegen war es mir ganz wichtig, einen Mitarbeiterbeirat einzu­richten, zu dem jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin mit ihren Sorgen und Ängsten kommen sollen und können, wo jede Sorge ernst genommen wird und wo man danach trachten wird, in jedem Fall eine individuelle Lösung zu finden.

Entscheidend ist der Umstand, wie ich meine, dass von dieser Reform nur die oberste Führungsebene betroffen ist. Das heißt, dass 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von dieser Neuorganisation, von dieser Behördenreform betroffen sind. Und jetzt gilt es, diese entwickelte Grundstruktur umzusetzen. Und da möchte ich dem Herrn General Kogler, der heute hier anwesend ist, ein ganz großes und herzliches Danke sagen. Er hat bei der Erarbeitung dieser Reform in den letzten Monaten Großartiges geleistet, und unter seiner Federführung werden jetzt die Inhalte mit den Expertinnen und Exper­ten diskutiert und präzisiert. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sehen also, im Innenministerium und da speziell im Bereich der Sicherheitsstruktur tut sich einiges. Im Bereich des Bundes­amtes für Fremdenwesen und Asyl – ein Muss angesichts der aktuellen Entwicklungen auf europäischer und internationaler Ebene, vor allem, wenn man an die Asylströme denkt – werden wir in den nächsten Monaten und in den nächsten Jahren zweifelsohne sehr gefordert sein. Da geht es aber auch darum, auf europäischer Ebene dafür zu sor­gen, dass es ein einheitliches Asylsystem gibt. Wir sind in diesem Bereich gut aufge­stellt und sorgen dafür, dass auch die anderen EU-Mitgliedstaaten da nachziehen. Da gilt es, mit den anderen EU-Mitgliedstaaten enge Allianzen zu bilden, um die Migra­tionsströme bewältigen zu können.

Ich glaube, wir können sagen, Österreich hat im Bereich Hilfe und Unterstützung von Flüchtlingen eine sehr gute Tradition. Diese Tradition wollen wir auch weiterführen, und umso wichtiger ist das neue Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl.

Ein paar Worte noch zu der großangelegten Behördenreform: Diese wurde gut vor­bereitet. In den nächsten Wochen und Monaten werden noch die Details präzisiert, und im Herbst 2012 werden wir dann an die Umsetzung gehen. Da ist es mir vor allem wichtig, alle Expertinnen und Experten mit einzubeziehen, damit es eine gute Reform wird, auf die wir stolz sein können, wo wir sagen können: Wir haben eine Führungs­struktur, die gut funktioniert!

In diesem Zusammenhang sage ich ein herzliches Danke, dass das Thema Sicherheit heute im Fokus des Bundesrates ist, weil gerade das Thema Sicherheit – der erste Redner hat es angesprochen – zu den Grundbedürfnissen jedes einzelnen Österrei­chers zählt. Unsere Aufgabe ist es, dieses subjektive Sicherheitsbedürfnis auch zu stärken, und dem gilt all unser Tun und Handeln. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

9.40



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Präsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Danke, Frau Ministerin.

Ich mache darauf aufmerksam, dass die Redezeit aller weiteren TeilnehmerInnen 5 Mi­nuten möglichst nicht übersteigen sollte.

Als Erster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dönmez. – Bitte.

 


9.40.49

Bundesrat Efgani Dönmez, PMM (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zusehe­rinnen zu Hause! Der Deutsche Verfassungsschutz steht enorm unter Druck. Einige Mordtaten im Zusammenhang mit dem organisierten Rechtsextremismus sind zutage getreten, und in Österreich scheint man in diesem Punkt noch immer keinen Hand­lungsbedarf zu sehen.

Das erkennt man ganz deutlich an den Wortmeldungen der der ÖVP nahestehenden Kolleginnen und Kollegen inklusive der Innenministerin. Kein einziges Wort ist diesbe­züglich von ihrer Seite gesagt worden!

In der jüngsten Novelle sorgt die Politik auf Drängen der ÖVP und der FPÖ dafür, dass das BVT mit neuen Befugnissen ausgestattet wird, aber das Problem ist, dass das we­der von den Gerichten noch vom Parlament ausreichend kontrolliert werden kann.

Der laxe Umgang mit dem Rechtsextremismus oder mit den rechten Gefahren hängt zweifelsohne mit dem Umbau des Innenministeriums unter der damaligen ÖVP-Füh­rung von Ernst Strasser zusammen. Der ÖVP-Mann wandelte unter dem Deckmantel von wichtigen Reformen zunächst die Staatspolizei in den BVT um, und später erfolgte die Zusammenlegung von Polizei und Gendarmerie. (Bundesrat Mayer: Das war sinn­voll!) Fast alle – liebe KollegInnen von der SPÖ, ihr werdet mir das bestätigen kön­nen – roten Führungskader der Polizei wurden entfernt. Während Innenministerium und BVT schwarz eingefärbt wurden, erhielt das große und wichtige Wiener Landes­amt für Verfassungsschutz einen blauen Anstrich. Das erkennt man, wenn man sich die Zahlen der Personalvertretung ansieht.

Warum es demokratiepolitisch gefährlich ist, dass Freiheitliche im Verfassungsschutz an Bedeutung gewinnen, hängt damit zusammen, dass die FPÖ nachweisbar Ziel von Unterwanderungsversuchen durch Neonazis geworden ist. Man braucht sich nur die Umtriebe auf der Alpen-Donau.info-Homepage anzuschauen, um zu sehen, was da ein Netzwerk aus Neonazis, aus Burschenschaftern und FPÖ-Mitgliedern im Umfeld des Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf hier aufführt. (Beifall bei den Grünen.)

Im Verfassungsschutzbericht 2010 wird lapidar festgehalten, dass der Rechtsextremis­mus im Jahr 2010 keine ernste Bedrohung der inneren Sicherheit darstellt, obwohl sich in den letzten fünf Jahren die rechtsextremen Straftaten verdreifacht haben. Im Jah­re 2005, sehr geehrte Frau Innenministerin, gab es 209 Anzeigen, im Jahre 2010 wa­ren es bereits 580 Anzeigen. Und ein weiter Punkt: Wir haben in den letzten Jahren fünf Brandanschläge auf Asylwerberheime gehabt, bei denen es einen Toten gegeben hat und die bis heute zum größten Teil noch ungeklärt sind.

Ein drittes Beispiel, um zu untermauern, dass es leider Gottes im BVT und auch im In­nenministerium blinde Flecken gibt, was den Rechtsextremismus betrifft, ist der Um­stand, ist das Faktum, dass David Duke, ein Rechtsextremist und ein Holocaustleug­ner, ein von der Schweiz ausgestelltes Aufenthaltsverbot hat. Und was ist in Öster­reich? – In Österreich darf er sich niederlassen und hier seinen Aufenthalt haben, um diesen Mist und diese extremen Ansichten zu verbreiten.

Normalerweise – das wissen Sie als oberste Chefin der Fremdenbehörde am besten – dürfen jene Personen, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden, keinen Aufenthalt bekommen. Solche Leute schon? – Da müssen Sie sich leider Gottes einen


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berechtigten Vorwurf gefallen lassen. Ich hoffe, dass wir bei den nächsten Berichten, die wir dann noch besprechen werden, was die Sicherheit betrifft, auf diese Punkte noch genauer zu sprechen kommen werden.

Ein weiterer Punkt nur ganz kurz – unabhängig jetzt vom Rechtsextremismus –: das Bild der Polizei. Beworben wird es ja mit der Cobra, mit den Einsatzkräften. Ich verste­he das, das kommt bei den jungen Leuten gut an, aber hier entsteht auch ein verzerr­tes Bild. Was wir bei der Polizei brauchen, sind intelligente Menschen mit sozialen Kompetenzen, die auch hochkomplexe Kriminalfälle, etwa wenn es um Wirtschaftskri­minalität geht  (Bundesrat Kneifel: Heißt das, dass die Cobra-Leute unintelligent sind? Das ist ungeheuerlich!) Das habe ich ja nicht gesagt. Das ist eure Interpretation. (Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.) Ich habe gesagt, dass wir gute Leute brauchen, die auch Kompetenzen haben, um hochkomplexen Wirtschaftsfällen nachzugehen. Und da haben wir einen Handlungsbedarf, ob euch das gefällt oder nicht. (Beifall bei den Grünen.)

Einen zweiten Handlungsbedarf haben wir, was den Bereich der Technik angeht. Die Technik ist veraltet. Wenn wir heute einen Computer beschlagnahmen müssen und die Auswertung dieses Computers über ein halbes Jahr dauert, dann sind die Leute, die wir dingfest machen wollen, schon längst über alle Berge. Auch hier gibt es sicher noch Handlungsbedarf.

Es ist zwar außer Diskussion, dass diese Organisationsstruktur nur die Führungsebene betrifft, aber jeder, der sich auch nur ein bissen mit Organisationsstruktur und -kultur auskennt, weiß, dass sich Veränderung auf der oberen Führungsebene natürlich auch unten – wie hat es der Kollege bezeichnet? – auf die Indianer auswirkt. Also so unab­hängig voneinander darf man das nicht betrachten.

Ein großes Lob möchte ich natürlich auch aussprechen, was die AGM-Maßnahme be­trifft. Da bin ich mit dem Kollegen Hans-Jörg Jenewein von der FPÖ nicht einer Mei­nung. Ich glaube, dass es zielführend ist, dass man mit den BeamtenkollegInnen von Deutschland zum Beispiel gemeinsam Patrouillen macht und nicht punktuell am Grenz­übergang steht, wo die organisierte Kriminalität ohnedies schon weiß, wie sie sich ver­halten muss, sondern dass sie einfach Kontrollen im Zug oder auf der Straße gemein­sam durchführen können.

Hier braucht es aber für die Beamten und Beamtinnen, die tätig sind, auch die entspre­chenden Arbeitsmaterialien. Das sind vielleicht Peanuts, sehr geehrte Frau Ministerin, aber wenn man durch einen Zug geht und einen riesengroßen Laptop mitschleppen muss, ist das ziemlich umständlich, oder wenn man in Zivil auf Streife geht und mit der große 17er-Glock herumläuft, statt dass man die kleine 19er bekommt, sind das halt auch zwar kleine, aber doch bedeutende Veränderungen. Vielleicht könnte man auch dafür sorgen, dass die Beamten mit Fotoapparaten ausgestattet werden, damit sie ge­wisse Dinge gleich festhalten können.

Langer Rede kurzer Sinn: Was den Punkt Rechtsextremismus betrifft, Frau Innenminis­terin, insbesondere Kollegen der ÖVP – das ist kein Vorwurf, das ist eine Tatsache –, macht ihr die Räuberleiter für FPÖ und rechtsextreme Umtriebe, wenn ihr das nicht einmal hier im Bundesrat thematisiert. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Ich erwarte mir von euch, ich erwarte mir von jenen, die christlich-sozial sind, dass sie da genauer hinschauen, denn das ist absolut gefährlich für unsere Demokratie und für die Sicherheit. Sonst brauchen wir gar nicht von Sicherheit reden. (Beifall bei den Grü­nen.)

9.48


Präsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bun­desrat Kainz. – Bitte.

 



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9.48.46

Bundesrat Christoph Kainz (ÖVP, Niederösterreich): Geschätzte Frau Bundesminis­terin! Werte Kollegen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Dönmez, du kannst da am Rednerpult stehen und über Rechtsextremismus, der zweifellos ein großes Problem und auch eine große Bedrohung darstellt und worüber zweifellos alle hier im Saal völlig einer Meinung sind, dass wir alles daransetzen und tun müssen, um das zu verhindern und einzudämmen, reden, aber wir lassen uns das von diesem Rednerpult – nur weil du in den letzten Tagen vielleicht zu viel deutsches Fernsehen gesehen hast – nicht in die Republik und hier in den Bundesratssitzungssaal hereintragen. Das ist verwerflich, und das geht so nicht! (Beifall bei ÖVP, SPÖ und FPÖ. – Bundesrat Dönmez: Es gibt auch österreichische Minister, denen man das vorwerfen kann!)

Kollege, in Deutschland ist das ein Thema, das ist ein wirklich heißes Thema, ein ak­tuelles Thema, aber da kannst du dich auf die österreichische Exekutive, auf das öster­reichische Innenministerium, auf die Strukturen verlassen, dass wir hier in aller Qualität und auch aller Härte vorgehen. Das passiert bis jetzt und das wird auch weiter pas­sieren. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

Wenn sich das Szenario verschärft, dann bin ich überzeugt davon, dass unsere Struk­turen die richtigen Maßnahmen setzen, aber bitte trage nicht deutsche Situationen, die zweifellos jetzt aktuell sind, hier in diese Republik herein und zünde irgendetwas an, was nicht richtig ist, und mache vor allem einen Vorwurf nicht: Wirf der ÖVP-Fraktion nicht vor, wir machen für irgendwen die Räuberleiter! Das garantiert nicht! Das muss ich aufs Entschiedenste zurückweisen! (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenruf des Bun­desrates Schreuder.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in einem sind wir uns zweifellos allesamt ei­nig und auch der gleichen Meinung: dass Sicherheit auf der Prioritätenliste der Öster­reicherinnen und Österreicher an oberster Stelle steht. Und Sicherheit ist auch kein Zufallsprodukt, Sicherheit muss man organisieren, für Sicherheit muss man letztendlich auch die richtigen Strukturen zur Verfügung stellen, und man muss in einem modernen Sicherheitsapparat auf Veränderungen auch die richtigen Antworten geben.

Diese heutige Aktuelle Stunde zeigt ganz genau, dass Frau Bundesministerin Mikl-Leit­ner mit ihrem Ministerium, mit ihren hervorragend arbeitenden Beamtinnen und Beam­ten die Situation richtig erkennt und letztendlich die Strukturen auch richtig verändert, um hier modern und effizient eines für die Österreicherinnen und Österreicher zu ge­währleisten: ein Mehr an Sicherheit! Das ist das Ziel, das wir verfolgen, und das ist das Ziel, das wir mit dieser Strukturreform letztendlich auch hervorragend und punktgenau erreichen werden, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

Bevor ich aber auf die neuen Strukturen eingehen möchte, glaube ich, gilt es auch kurz innezuhalten und zu schauen: Wo liegen wir denn überhaupt? – Österreich zählt nun einmal – das haben meine Vorrednerinnen und Vorredner auch bereits erwähnt – zu den sichersten Ländern der Welt. Das ist ein Faktum, und das lassen wir uns auch nicht schlechtreden. Dass es hier natürlich immer wieder Situationen gibt, auf die wir Antworten geben müssen, ist ganz klar. Das erwarten sich die Bürger, aber da hat ge­rade der österreichische Polizeiapparat eine Struktur, die das auch hervorragend schafft.

Wenn wir nur den Sicherheitsbericht 2010 hernehmen, können wir mit Stolz vermelden und das auch dokumentiert ablesen, dass wir einen Rückgang der Kriminalität haben, nämlich einen Rückgang um 9,4 Prozent. Und wenn ich jetzt höre, was manche Kolle­ginnen und Kollegen behaupten, dass alles gefährlicher und unsicherer wird, muss ich sagen, wir haben, glaube ich, die richtigen Maßnahmen gesetzt, denn es ist kein Zu­fallsprodukt, dass sich die Kriminalität sich um 9,4 Prozent verringert hat.


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Wenn wir diese Landkarte hernehmen (der Redner hält eine solche in die Höhe), wo das grün dargestellt ist – das ist etwas, was wir auch hinterfragen sollten, warum gera­de die Kriminalitätsentwicklung grün dargestellt ist; aber ich hoffe, du schwenkst auch noch auf diesen Sicherheitskurs ein und bist jetzt zumindest von der Farbe her moti­viert, diesen positiven Kurs mitzutragen –, dann sehen wir, dass in Österreich die Kri­minalität, mit Ausnahme von zwei, drei Bezirken, rückläufig ist. Ich bin aber überzeugt davon, dass die dort verantwortlichen Bezirkspolizeikommandanten gemeinsam mit den Landesgremien und auch mit dem Ministerium punktgenau die richtigen Maßnah­men setzen müssen, um auch hier eine rückläufige Kriminalität zu erreichen. Auch die Karte von meinem Heimatbundesland Niederösterreich zeigt einen Rückgang der Kri­minalität.

Wenn wir uns die aktuelle Kriminalitätsentwicklung anschauen, dann können wir mit Stolz vermelden, dass dieser Rückgang der Kriminalität auch im Jahr 2011 anhält, denn wir haben im Jahr 2011 eine durchaus vernünftige Situation bei der Kriminalitäts­entwicklung und werden diesen Trend, den wir 2010 faktisch schon mit einer genauen Statistik belegen können, auch 2011 weiter fortsetzen können.

Was aber das besonders Schöne für mich ist und was eine wirkliche Erfolgszahl dar­stellt, ist, dass die Aufklärungsquote massiv gestiegen ist. Und wenn die Aufklärungs­quote massiv steigt, dann ist das das beste Beispiel dafür, dass wir hochqualifizierte, hochmotivierte und bestens ausgebildete Polizistinnen und Polizisten in dieser Repu­blik haben und nicht, so wie du sie darstellst, Mitarbeiter, die manche Fälle nicht lösen können. Du hast ihnen vorgeworfen, gerade im Bereich der Wirtschaftskriminalität soll­ten sie besser werden.

Wir sind stolz auf unsere Polizistinnen und Polizisten, die tagtäglich ihre Arbeit vor Ort leisten, die Sicherheit der Bevölkerung garantieren und Österreich zu diesem sicheren Land in der Welt machen, das wir heute vorfinden und wo sich auch unsere Bürge­rinnen und Bürger letztendlich wirklich wohlfühlen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, dass es richtig ist, dass man bei einem so großen und effizienten Apparat, wie ihn die österreichische Polizei darstellt, letztendlich auf Anforderungen und Herausforderungen immer wieder auch mit neuen Strukturen reagiert.

Ich bin Bürgermeister in Pfaffstätten im Bezirk Baden, Niederösterreich, in der Ostre­gion, und wir hatten vor Jahren ein Problem mit der Kriminalität. Aber genau hier hat man die richtigen Maßnahmen gesetzt und mit der Soko Ost jene Strukturen geschaf­fen, um den Einbrecherbanden und der organisierten Kriminalität auch effizient entge­genzutreten.

Der Erfolg gibt uns recht. Wenn ich jetzt nur daran zurückdenke, wie die Einführung der Soko Ost eigentlich am Anfang fast ein bisschen belächelt wurde: Die Zahlen sprechen auch hier für sich! Wir haben im Burgenland einen Rückgang der Kriminalität von 9,5 Prozent, in Niederösterreich von 7,9 Prozent und in der Bundeshauptstadt Wien von 0,4 Prozent. Letztendlich sind das Erfolgszahlen. Normalerweise ist eine Zahl mit einem Minus davor schlecht, beim Rückgang der Kriminalität ist das Minus ein ganz, ganz starkes Plus. Ich denke, dass auch das eine richtige Maßnahme war, die vernünf­tig funktioniert, weil man hier auf eine Herausforderung auch die richtigen strategischen Antworten gibt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deswegen ist ganz klar, dass auch die Zu­sammenführung von Polizei und Gendarmerie, mit der man 2003 begonnen hat und die 2005 abgeschlossen wurde, eine richtige Maßnahme war. Es war eine Maßnahme, die durchaus manche Hürden zu überwinden hatte, aber eine Maßnahme, die heute von allen Polizistinnen und Polizisten mitgetragen wird, auch wenn in manchen Herzen


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 21

der Polizistinnen und Polizisten sozusagen die Granate der Gendarmerie immer noch brennt, aber sie sind Polizisten, sie verstehen die Struktur und tragen diese Struktur mit.

Auch die Maßnahme, dass wir mit der Erweiterung der Schengen-Grenze tausend Zoll­beamte in den Exekutivdienst eingegliedert haben, ist etwas, woran man erkennt, dass wir aufgrund einer Veränderung die richtigen Schritte gesetzt haben.

Deswegen ist es logisch und richtig, dass wir jetzt mit der neuen Struktur acht Sicher­heitsdirektionen, neun Landespolizeikommanden und 14 Bundespolizeidirektionen in neun Landespolizeidirektionen vereinen, effizienter machen, bessere Strukturen schaf­fen, wodurch letztendlich auch ein Einsparungspotential vorhanden ist.

Deswegen verstehe ich auch nicht die Kritik von einem SPÖ-Landesgeschäftsführer aus Oberösterreich, der hoffentlich noch eingebunden wird. Er wird das auch mittra­gen. Aber ich denke, dass jede kritische Anmerkung durchaus auch etwas Positives ist und dass wir letztendlich alle in einem Boot haben, weil ja der Diskussionsprozess und der Prozess dieser neuen Reform in großkoalitionärer Einigung und Eintracht und mit der Mitarbeit aller auch gut gelungen ist.

Ich bedanke mich an dieser Stelle auch bei den beiden Sicherheitssprechern, Günter Kößl bei uns und Otto Pendl bei der SPÖ, die gemeinsam mit der Frau Bundesminister eine Struktur geschaffen haben, die jetzt mit den vier Arbeitsgruppen, glaube ich, gut weiter vorankommen wird, weil letztendlich diese heutige Diskussion mit dieser Struk­turreform auch aufsetzt auf der Polizeireform der Jahre 2003 und 2005, obwohl der Op­positionsführer Alfred Gusenbauer zwar seinerzeit diese Polizeireform nicht mitgetra­gen hat, aber ich denke, dass wir jetzt gut unterwegs sind und darauf aufbauen und dass diese Reform und diese Struktur ein Mehr an Sicherheit in dieser Republik bedeu­ten.

Einen kurzen Satz zum Bundesamt für Asyl und Migration. Auch diese Maßnahme, diese Struktur ist richtig. Auch dies ist eine Diskussion, die gerade zwischen den bei­den Koalitionsparteien ÖVP und SPÖ seit langem inhaltlich engagiert und auch mit dem richtigen Augenmaß geführt wurde. Mit dieser Struktur werden wir ebenfalls ef­fizient arbeiten können, wobei uns beiden ganz, ganz wichtig ist, dass das hohe Gut des Asyls auch hier ganz klar ist: Der, der Asyl braucht, wird Asyl bekommen. Aber wir haben klare Strukturen, wir haben nicht mehr hundert Behörden, die für Asyl, Aufent­halt und Fremdenpolizei in dieser Republik zuständig sind, sondern wir haben schlanke Strukturen, klare Strukturen, klare Rechtssicherheit für den Asylwerber, aber letztend­lich auch eine gute Struktur, um hier effizient arbeiten zu können.

Ich glaube, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass beide Maßnahmen eines ganz klar bringen, nämlich ein Mehr an Sicherheit in dieser Republik, und ich glaube, alle, die hier in diesem Raum sitzen, können ein Mehr an Sicherheit in dieser Republik auch mittragen.

In diesem Sinne unterstützen wir diese Reformschritte sehr, sehr gerne. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

9.59


Präsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Klug. – Bitte.

 


9.59.14

Bundesrat Mag. Gerald Klug (SPÖ, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Ich darf einleitend für die sozialdemokratische Bundes­ratsfraktion feststellen, damit die Aktuelle Stunde keine Schieflage bekommt: Die täg­lich Arbeit im Sicherheitsbereich ist für 27 000 Polizistinnen und Polizisten in Österreich


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 22

keine einfache, und ich darf im Namen der SPÖ vielen, vielen herzlichen Dank für den täglichen Einsatz sagen. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was heute dis­kutiert wird und vor uns liegt, ist ein Projekt, das am Beginn steht, ein Projekt, das sich im Wesentlichen mit einer Behördenreform auseinandersetzt. Insofern ist das heute vielleicht doch noch etwas zu kurz gekommen, insbesondere seitens der Opposition. Wenn es um Reformen im Bereich der Behördenstrukturen, im Bereich der mittelbaren und unmittelbaren Bundesverwaltung geht, dann sind wir in der Länderkammer immer besonders hellhörig, insbesondere wenn diese Behörden in unseren Bundesländern angesiedelt sind. Aber, Frau Bundesministerin, mit Ihnen als ehemaliger Landesrätin sind wir ja da quasi unter uns. Also insofern sind wir da sehr entspannt im Bundesrat und diskutieren das auch aus mehreren Blickwinkeln.

Ich möchte sagen, dass das Bundesamt für Asyl und Migration auf der einen Seite, die Realisierung der Landesverwaltungsgerichte und des Bundesverwaltungsgerichts be­ziehungsweise Finanzverwaltungsgerichts auf der anderen Seite im Kontext als verwal­tungsreformatorischer Ansatz betrachtet werden müssen. Genau dieser Ansatz im Zu­sammenhang gesehen ist mir in der jetzigen Debatte noch ein bisschen zu kurz ge­kommen, denn, sehr geehrte Damen und Herren, wir reformieren die Behördenstruktur meines Erachtens mit einem inhaltlich so starken reformatorischen Ansatz, der bisher in der Zweiten Republik in diesem Umfang noch nicht dagewesen ist. Ich glaube, dass die Beratungen im Ausschuss in weiterer Folge dies auch noch deutlich zutage bringen werden.

Ich sage daher Folgendes: Es wird sich, auch wenn wir am Start eines Projektes ste­hen, um ein Erfolgsmodell für den österreichischen Rechtsstaat handeln. Wie ange­sprochen wurde, reformieren wir aus heutiger Sicht Behördenstrukturen in materiell­rechtlich gesehen äußerst sensiblen Rechtsgebieten.

Alle wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir bisher in diesen Materien bis zu 180 Behörden-Einzelzuständigkeiten hatten. Und ich mache aus meinem Herzen auch keine Mördergrube: Durch die unterschiedlichen – in der Medizin spricht man in diesem Zusammenhang von Fallzahlen in den Bezirkshauptmannschaften – Fallzahlen ist es auch vorgekommen, dass man in ähnlich gelagerten Fällen nicht zu ähnlichen Ergeb­nissen gekommen ist, und das ist für uns, die wir dem Legalitätsprinzip verpflichtet sind, auf der einen Seite, aber auf der anderen Seite natürlich auch für die politischen Normen, auf deren Basis die Beamtinnen und Beamten zu arbeiten haben, eine wich­tige Frage in der politischen Einschätzung, wohin die Reise gehen soll, wenn ein neues Projekt aufgestellt wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage daher ganz deutlich, gerade in diesen sen­siblen Fragen Asyl- und Fremdenrecht geht es um so wichtige menschliche Aspekte, da geht es um aufenthaltsbeendende Maßnahmen, da geht es um Abschiebung – da kann man nicht salopp sagen: Das wird schon irgendwie gehen. Daher freuen wir uns, dass nach unserer Einschätzung diese neue Behördenreform mit mehr Qualität unterm Strich für die davon Betroffenen geleistet werden kann und dass wir es auch ermögli­chen, dass jene Beamtinnen und Beamten, die dann dafür zuständig sind, geeigneter ausgebildet werden, um diese Fragen mit noch mehr Qualität für die Betroffenen bear­beiten zu können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage daher ganz offen, es wird in diesem Zusam­menhang bei jedem neuen einzelnen Verfahrensabschnitt insbesondere der Artikel VIII der Europäischen Menschenrechtskonvention zu beachten sein. Auch das ist bisher in der Debatte noch zu kurz gekommen, darauf möchte ich ausdrücklich aufmerksam ma­chen. Insofern freut es mich auch, dass die Erfolge des Asylgerichtshofes in seiner bis­herigen dreieinhalbjährigen Tätigkeit – es ist ja kein Pappenstiel: 48 000 alte Fälle,


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 23

20 000 neue Fälle abgearbeitet – als Basis des neuen Bundesverwaltungsgerichtsho­fes dienen werden.

Ich glaube, dass es eine deutliche neue Instanzenstruktur bekommen wird, die für sich redend eine neue Qualität bringen wird. Wir werden in der ersten Instanz das Bundes­amt für Asyl und Migration haben, wir werden in der zweiten Instanz – und das ist jetzt ein beachtlicher Qualitätssprung – die Landesverwaltungsgerichte installieren und da­rüber hinaus in grundsätzlichen Angelegenheiten auch noch das Bundesverwaltungs­gericht installieren. Ich glaube, rechtsstaatlich betrachtet, werte Kolleginnen und Kolle­gen, schöner geht es fast nicht mehr.

Erlauben Sie mir, mit zwei abschließenden kurzen Bemerkungen dieses Projekt, das am Start steht, nicht nur zu unterstützen, sondern vielleicht noch ein bisschen anzurei­chern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da wir in der Steiermark bei unseren Behörden im Moment sozusagen auf Teufel komm raus reformieren, freut es uns auch, wenn der Bund bei seinen Behörden reformiert. Insofern kann ich sagen, es lebe die Bundesver­waltungsreform! – Das war die eine Bemerkung.

Die zweite: Sehr geehrte Frau Bundesministerin, nachdem Kollege Perhab angemerkt hat, wir werden heute noch unter einem anderen Tagesordnungspunkt über die Schul­denbremse diskutieren, sei mir – ich gebe zu, ein bisschen schnoddrig – ganz kurz noch ein Kommentar gestattet. Da Ihnen, sehr geehrte Frau Bundesministerin, eine er­frischende Art nicht wesensfremd ist, möchte ich Ihnen für den Fall, dass die inner­parteilichen Diskussionen – „her mit den Moneten, her mit der Marie!“ – zu anstren­gend werden, sagen, wir werden auf dieser Schiene gemeinsam kämpfen. – Vielen herzlichen Dank! (Beifall bei der SPÖ, bei Bundesräten der ÖVP sowie des Bundes­rates Dönmez.)

10.06


Präsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bun­desrat Ertl. – Bitte.

 


10.06.18

Bundesrat Johann Ertl (FPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Minister, ich darf Sie hier im Bundesrat recht herzlich begrüßen, es ist die erste Sitzung hier, an der Sie teilnehmen.

Vorweg möchte ich auf die Worte des Kollegen Dönmez eingehen: Wir lehnen den Rechtsextremismus genauso ab wie du, und wir lehnen auch den Linksextremismus ab. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Schreuder.)

Kollege Schreuder, deinen Zwischenruf „Kellernazis“ in unsere Richtung weise ich auf das Schärfste zurück! (Beifall bei der FPÖ. – Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Schreuder.)

Meine Damen und Herren! In einem demokratischen Staat muss die Polizei das si­cherste, das zuverlässigste und das ehrlichste Unternehmen sein; die Polizei soll frei von politischen Einflüssen und politischen Interventionen sein. Der Exekutivapparat in unserem Staate Österreich arbeitet auch zuverlässig, sicher und ehrlich. Genau dieses sichere, zuverlässige und ehrliche Arbeiten ist im Kabinett der Innenministerin nicht erkennbar. Das gab es in Österreich noch nie, dass gegen einen Kabinettschef des In­nenministers von der Staatsanwaltschaft Erhebungen wegen Amtsmissbrauchs und Geheimnisverrats eingeleitet wurden.

Im Wahlkampf 2008 versprachen die Spitzenkandidaten der ehemaligen Großparteien SPÖ und ÖVP, dass sie sich intensiv um die Sicherheit der Polizei kümmern werden.


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 24

Sie versprachen, es wird in Ausrüstung investiert, und die Arbeit der Polizei muss bes­ser honoriert werden. Aber was ist seit damals passiert? Damit die „guten Freunde“ – unter Anführungszeichen – der Polizei leichter herausfinden, wo sie Radmuttern von Autos lockern, wo sie gezielt Reifen zerstechen, den Lack zerkratzen oder Rattengift für die Hunde über den Zaun werfen können, wurden tausende private Daten von Exe­kutivbeamten veröffentlicht. Jetzt stellt sich die brennende Frage: Was tut der Dienst­geber, das Innenministerium, gegen diese Handlungen? Nur von mehr Effizienz und mehr Sicherheit zu sprechen und keine Taten zu setzen, ist zu wenig. Anscheinend ist die höchste Sicherheitsbehörde nicht in der Lage, die massive Gefährdung des eige­nen Personals abzustellen.

Das Innenministerium hat als Arbeitgeber die Pflicht, die Kolleginnen und Kollegen vor solchen Angriffen zu schützen, und die Pflicht, diese Angriffe sofort zu unterbinden und sofort abzustellen!

Meine Damen und Herren, heute beginnt der Probebetrieb in Schwechat am Flugha­fen, am neuen Skylink. Mit diesem neuen Skylink wird das Passagieraufkommen von zirka 20 Millionen auf zirka 30 Millionen gesteigert werden. Es ist fraglich, ob durch ei­ne neue Struktur der Exekutivdienststellen in Schwechat die Effizienz gesteigert wer­den kann.

Zahlreiche Industriebetriebe, darunter die größte Binnenraffinerie und der größte Kunststoffkonzern Österreichs, im Stadtgebiet Schwechat bestimmen das Handeln und das Leben der Schwechater Bevölkerung. Es gibt dort außerdem den größten Zentral­verschiebebahnhof Mitteleuropas, ein äußerst dichtes Autobahnnetz und natürlich den Flughafen mit seinen heute schon 20 Millionen Passagieren.

Obwohl heute der Probebetrieb am Flughafen beginnt, obwohl Schwechat fünf Seve­so II-Betriebe mit besonderen Anforderungen an den Zivil- und Katastrophenschutz, mit besonderen Anforderungen für Einsatz- und Verkehrsaufgaben hat, wird Exekutiv­personal von Schwechat abgezogen.

Der Posten des Stadtpolizeikommandanten ist seit über vier Monaten nicht mehr nach­besetzt worden. Zum Zeitpunkt einer großen Umstrukturierung in Schwechat bleibt der Posten des Stadtpolizeikommandanten verwaist. Im Gespräch ist ein Offizier eines Nachbarbezirkes, der sich am Flughafen nicht auskennt. Obwohl am Flughafen seit Jahren kompetente Offiziere eingesetzt sind, wird keiner von diesen für fähig gehalten, das Kommando zu übernehmen. Offensichtlich scheitert es bei diesen Offizieren an der Farbe.

Dafür wird dem neuen Kommandanten, der vermutlich kommen wird, nachgesagt, er traut sich nicht alleine auf den Flughafen, er stellt die Bedingung, zwei Vertrauensleute müssen mitkommen. Erst dann ist er mit einem Wechsel zum Flughafen einverstan­den. Vermutlich haben alle drei die richtige Farbe.

Abschließend darf ich noch auf ein Asylproblem in Unterwaltersdorf hinweisen. Seit über 30 Jahren werden von den Bewohnern der 2 500-Seelen-Gemeinde Unterwalters­dorf Asylwerber betreut. Jetzt haben 500 Bewohner in Unterwaltersdorf eine Unter­schriftenliste vorgelegt und fordern: Keine Asylanten in Unterwaltersdorf!

In einer Diskussion am Gemeindeamt in Ebreichsdorf wurde festgestellt, dass die Asyl­unterkunft vorbildlich geführt wird. Das wurde auch von der Caritas bestätigt, die sich auch vorbildlich um die Asylanten kümmert. Das Problem dabei ist jedoch, die Familie des Hotelbetreibers, die das Asylhotel vorbildlich führt, hat in Unterwaltersdorf Woh­nungen angekauft und diese Unterkünfte an vormalige Asylwerber, an „Ausgesteuerte“, wie diese in Unterwaltersdorf genannt werden – damit sind Asylanten, die aus der Bun­desbetreuung entlassen sind, gemeint –, vermietet.


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 25

Der Aufstand der Bevölkerung von Unterwaltersdorf richtet sich vor allem auf die zwi­schenmenschlichen Beziehungen, und die Bevölkerung fühlt sich einfach nicht mehr sicher. Die Bevölkerung von Unterwaltersdorf hat immer Verständnis für die Asylanten gezeigt. Jetzt sagt die Bevölkerung: 30 Jahre Asylbetreuung mit all ihren negativen Be­gleiterscheinungen an einem Ort sind genug!

Liebe Frau Minister, nehmen Sie sich dieses Problems an! Sie haben es in der Hand, Sie können das ändern! (Beifall bei der FPÖ.)

10.13


Präsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Zur Abgabe einer abschließenden Stellungnah­me hat sich die Frau Bundesministerin für Inneres zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihr.

 


10.13.52

Bundesministerin für Inneres Mag. Johanna Mikl-Leitner: Frau Präsidentin! Ich darf gleich auf die Ausführungen des Herrn Bundesrates Ertl replizieren. Sehr geehrter Herr Bundesrat! Sie haben von veröffentlichten Daten von Polizistinnen und Polizisten ge­sprochen. Ich darf hier noch einmal ganz klar festhalten, dass diese Daten von einem polizeinahen Verein stammen, dass das keine Daten vom Innenministerium sind, dass es kein Hacking des Innenministeriums gegeben hat und dass wir trotz dessen die Ver­antwortung wahrgenommen und sofort auf unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ge­schaut haben, indem wir ein Callcenter eingerichtet haben, um hier sofort zu infor­mieren und die Ängste und Sorgen zu nehmen. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundes­räten der SPÖ.)

Wir alle kennen die Berichterstattung der letzten Wochen, der letzten Monate, wonach es zu vielen Hacking-Angriffen gekommen ist, und es ist unsere ganz klare Verantwor­tung, hier gegenzusteuern. Aus diesem Grund gibt es einen ganz klaren Auftrag für uns, nämlich eine österreichweite Cyber-Sicherheitsstrategie auszuarbeiten, gemein­sam mit dem Verteidigungsministerium, mit dem Bundeskanzleramt, damit wir hinsicht­lich Gefahren aus dem Cyberspace und im Cyberspace auch agieren und reagieren können.

Das heißt: Machen Sie sich keine Sorgen, diese Verantwortung ist in guter Hand bei uns! (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

Zum Zweiten möchte ich auf Herrn Bundesrat Dönmez eingehen. Offensichtlich, Herr Bundesrat, haben Sie eine falsche Wahrnehmung. Offensichtlich haben Sie falsche In­formationen. Deswegen möchte ich hier heute die Chance nutzen, das eine oder an­dere richtigzustellen.

Ja, es gibt einen Rechtsextremismus, ja, es gibt einen Linksextremismus bei uns hier in Österreich – aber Gott sei Dank auf niedrigem Niveau. Lesen Sie nach im Verfas­sungsschutzbericht! Da haben Sie ganz klar dargelegt, dass die Straftaten in beiden Bereichen angestiegen sind, was eine Bestätigung dafür ist, dass wir weder auf dem linken Auge noch auf dem rechten Auge blind sind. Und wie Sie informiert sind, sind ei­nige Herrschaften aus der rechtsextremen Szene auch in U-Haft. Das ist die beste Be­stätigung dafür, dass wir am rechten Auge in keiner Weise blind sind.

In den nächsten Tagen und Wochen steht ein ganz wichtiges und sensibles Thema im Mittelpunkt, nämlich das Thema Sicherheitspolizeigesetz, das ganz wichtig und ent­scheidend ist, dass unsere Sicherheitsbehörden die wichtigen und richtigen Instrumen­tarien zur Hand bekommen, dass sie hier vor allem Gefahren abwenden können, dass sie weder am rechten noch am linken Auge blind sein müssen, dass sie nicht etwas übersehen. Da lade ich Sie dazu ein, bei diesem Sicherheitspolizeigesetz mitzustim­men.

Gerade Sie von den Grünen reden in diesem Zusammenhang von einem „Überwa­chungsstaat“. – Ich kann Ihnen hier ganz klar versichern, dass wir bei der Entwicklung


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 26

dieses Gesetzes sehr wohl darauf geachtet haben, eine Balance zwischen dem zu hal­ten, was unsere Sicherheitsbehörden brauchen, und dem Datenschutz und dem pri­vaten Schutz der einzelnen Personen. Das heißt, Sie können davon ausgehen, dass uns der Datenschutz ganz, ganz wichtig ist, dass er ganz oben auf der Prioritätenliste ist, aber es ist vor allem auch wichtig, die Bevölkerung vor neuen Gefahren und extre­mistischen Gefahren zu schützen.

Sie wissen aus dem Verfassungsschutzbericht, dass gerade extremistische Taten im­mer mehr von Einzeltätern ausgehen, dass es hier eine Notwendigkeit gibt, diese er­weiterte Gefahrenerforschung auch auf Einzeltäter auszuweiten. Deshalb lade ich Sie ein, hier zuzustimmen, damit wir auch weiterhin sehr erfolgreich gegen Rechtsextre­mismus und Linksextremismus arbeiten können. – Danke. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

10.18


Präsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Danke, Frau Ministerin.

Die Aktuelle Stunde ist beendet.

10.17.19Einlauf

 


Präsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Hinsichtlich der eingelangten, vervielfältigten und verteilten Anfragebeantwortungen 2629/AB bis 2633/AB beziehungsweise jener Verhandlungsgegenstände, die gemäß Artikel 42 Abs. 5 B-VG nicht dem Mitwirkungs­recht des Bundesrates unterliegen, und der

Mitteilungen des Ministerratsdienstes des Bundeskanzleramtes betreffend den Aufent­halt des Bundesministers für Landesverteidigung und Sport Mag. Norbert Darabos vom 29. November bis 1. Dezember innerhalb eines EU-Mitgliedstaates sowie den Aufent­halt der Bundesministerin für Finanzen Dr. Maria Fekter vom Abend des 1. bis 4. De­zember 2011 innerhalb eines EU-Mitgliedstaates und den Aufenthalt des Bundesminis­ters für europäische und internationale Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Michael Spin­delegger am heutigen Tage innerhalb eines EU-Mitgliedstaates

verweise ich auf die im Sitzungssaal verteilten Mitteilungen gemäß § 41 Abs. 1 der Ge­schäftsordnung des Bundesrates, die dem Stenographischen Protokoll dieser Sitzung angeschlossen werden.

Die schriftlichen Mitteilungen haben folgenden Wortlaut:

Liste der Anfragebeantwortungen (siehe S. 6)

*****

Schreiben des Bundeskanzleramtes betreffend Aufenthalt von Mitgliedern der Bundes­regierung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union:

„BUNDESKANZLERAMT ÖSTERREICH

Mag. Stephan LEITNER

MINISTERRATSDIENST                                                   Geschäftszahl: 350.200/0164-I/4/11

                                                                                                                                                 Abteilungsmail:

An die                                                                                          Sachbearbeiterin: Gabriele MUSCH

Präsidentin des Bundesrates                                      Pers. eMail: gabriele.musch@bka.gv.at

Parlament                                                                                                          Telefon: 01/531 15/2264

1017 Wien                                                                                                  Datum: 21. November 2011


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 27

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

Der Ministerratsdienst des Bundeskanzleramtes teilt mit, dass sich der Bundesminister für Landesverteidigung und Sport Mag. Norbert DARABOS innerhalb des Zeitraumes vom 29. November bis 1. Dezember 2011 in Brüssel aufhalten wird.

Mit freundlichen Grüßen“

„BUNDESKANZLERAMT ÖSTERREICH

Mag. Stephan LEITNER

MINISTERRATSDIENST                                    Geschäftszahl: BKA-350.200/0167-I/4/2011

                                                                                                                 Abteilungsmail: mrd@bka.gv.at

An die                                                                                               Sachbearbeiterin: Ingeborg HEIM

Präsidentin des Bundesrates                                        Pers. eMail: ingeborg.heim@bka.gv.at

Parlament                                                                                                          Telefon: 01/531 15/2217

1017 Wien                                                                                                  Datum: 23. November 2011

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

Der Ministerratsdienst des Bundeskanzleramtes teilt mit, dass sich die Bundesminis­terin für Finanzen Dr. Maria FEKTER innerhalb des Zeitraumes vom Abend des 1. bis 4. Dezember 2011 in Hamburg aufhalten wird.

Mit freundlichen Grüßen“

„BUNDESKANZLERAMT ÖSTERREICH

Mag. Stephan LEITNER

MINISTERRATSDIENST                                    Geschäftszahl: BKA-350.200/0169-I/4/2011

                                                                                                                 Abteilungsmail: mrd@bka.gv.at

An die                                                                                               Sachbearbeiterin: Ingeborg HEIM

Präsidentin des Bundesrates                                        Pers. eMail: ingeborg.heim@bka.gv.at

Parlament                                                                                                          Telefon: 01/531 15/2217

1017 Wien                                                                                                  Datum: 24. November 2011

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

Der Ministerratsdienst des Bundeskanzleramtes teilt mit, dass sich der Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Michael SPINDEL­EGGER am 1. Dezember 2011 in Brüssel aufhalten wird.

Mit freundlichen Grüßen“

*****

Beschlüsse des Nationalrates, die gemäß Art. 42 Abs. 5 B-VG nicht dem Mitwirkungs­recht des Bundesrates unterliegen:

Beschluss des Nationalrates vom 15. November 2011 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesfinanzgesetz 2011 geändert wird (1495 und 1501/NR der Bei­lagen)

Beschluss des Nationalrates vom 15. November 2011 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates (Geschäfts­ordnungsgesetz 1975) geändert wird (1657/A und 1445/NR der Beilagen)

Beschluss des Nationalrates vom 18. November 2011 betreffend ein Bundesgesetz über die Bewilligung des Bundesvoranschlages für das Jahr 2012 (Bundesfinanzge­setz 2012 – BFG 2012) samt Anlagen (1405 und 1510/NR der Beilagen)

*****

 



BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 28

Präsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Ich unterbreche die Sitzung für kurze Zeit bis zum Eintreffen der Landeshauptfrau. Sie ist schon im Hause, wird aber offensichtlich ir­gendwo aufgehalten.

*****

10.19.10 (Die Sitzung wird um 10.19 Uhr unterbrochen und um 10.26 Uhr wieder aufge­nommen.)

*****

Ankündigung einer Erklärung der Landeshauptfrau von Salzburg
gemäß § 38 Abs. 3 GO-BR

 


Präsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf und gebe bekannt, dass die Landeshauptfrau von Salzburg, Mag. Gabi Burgstaller, ihre Absicht bekundet hat, eine Erklärung gemäß § 38 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates zum Thema „Moderner Föderalis­mus – eine Herausforderung für die Reform des Bundesstaates“ abgeben zu wollen.

Ich begrüße unsere Landeshauptfrau aus Salzburg sehr herzlich bei uns im Bundesrat. Herzlich willkommen! (Allgemeiner Beifall.)

Bevor ich der Landeshauptfrau das Wort erteile, gebe ich bekannt, dass mir ein schrift­liches Verlangen von fünf Bundesrätinnen und Bundesräten im Sinne des § 38 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Bundesrates vorliegt, im Anschluss an diese Erklärung eine Debatte durchzuführen. Da dieses Verlangen genügend unterstützt ist, werde ich die­sem entsprechen.

Ich erteile nunmehr der Landeshauptfrau das Wort. – Bitte.

10.27.35Erklärung der Landeshauptfrau von Salzburg zum Thema „Moderner Föderalismus – eine Herausforderung für die Reform des Bundesstaates“

 


10.27.36

Landeshauptfrau von Salzburg Mag. Gabi Burgstaller: Sehr geschätzte Frau Präsi­dentin! Meine Damen und Herren BundesrätInnen! Sehr geschätzte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter! Ich stehe hier zum zweiten Mal als Landeshauptfrau von Salzburg im Rahmen meiner Aufgabe als Vorsitzende der Landeshauptleutekonferenz und hoffe, dass ich mit Ihnen heute eine ehrliche Aussprache nicht nur über den Zustand der Politik, sondern vor allem auch über die Herausforderungen für die nächsten Jahre füh­ren kann, soweit das eine Geschäftsordnung, die doch gewisse Rituale enthält, auch zulässt.

Zuallererst bedanke ich mich ganz herzlich bei der Frau Präsidentin nicht nur dafür, dass sie es mir ermöglicht, heute eine Stellungnahme abzugeben, sondern auch dafür, dass sie sich in den letzten Monaten gemeinsam mit Ihnen sehr bemüht hat, dass der Bundesrat seine Aufgaben vielleicht sogar ein Stück mehr, als in der Verfassung ein­gebettet, wahrnehmen kann.

Ich habe es als wohltuend empfunden, dass sich der Bundesrat zum Beispiel um die Frage der Gemeindekooperationen angenommen hat, und das über Bundesländer­grenzen hinweg, weil meine Erkenntnis ist, dass die Menschen die Grenzen schon lan­ge nicht mehr leben, sondern arbeiten, wohnen, zur Schule gehen, eine Weiterbildung machen unabhängig davon, ob sie gerade in Tirol, in Salzburg, in Oberösterreich, in


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Niederösterreich oder sonst wo sind, und es ist höchst an der Zeit, dass das auch die Politik nachvollzieht. Ich glaube, das war eine sehr gelungene Initiative.

Ich würde mir auch sehr wünschen, und würde vor allem auch dir wünschen, Frau Prä­sidentin, dass es dir gelingt, im Rahmen der dringenden Bildungsreformen, die anste­hen, einen gemeinsamen Antrag zustande zu bringen, weil auch hier gilt, dass das Ge­meinsame, nämlich auch das gemeinsame Interesse der Bundesländer, vorne hinge­stellt wird.

Frau Präsidentin, ich möchte dir vorab zu deiner Vorsitzführung gratulieren im Rahmen deiner, wenn auch nur sehr kurzen, Möglichkeit, hier den Ton anzugeben. Ich glaube, du hast diese Chance weidlich und positiv für den Bundesrat genutzt, und ich bedanke mich bei dir dafür. (Allgemeiner Beifall.)

Es wurde ja in den letzten Monaten auch immer wieder darauf hingewiesen, dass die Konstellation – hier eine Frau als Vorsitzende der Landeshauptmänner, wie manche noch sagen, da eine Präsidentin des Bundesrates – wahrscheinlich historisch ziemlich einmalig ist und auch bleiben wird. Ich gehöre nicht zu denen, die das sagen, aber ich kämpfe in der Politik dafür, dass es irgendwann einmal keiner mehr bemerkt, ob Män­ner oder Frauen an der Spitze sind, sondern der gemeinsame Nenner einfach nur ist, das Beste für Österreich zu tun. Zugegeben, das ist noch ein etwas weiter Weg, und insofern ist diese Konstellation noch besonders. In der nächsten Generation wird das wahrscheinlich normal werden.

Nun zu meinem Thema: moderner Föderalismus. – Eine Überschrift, die Sie wahr­scheinlich oft lesen, etwas, was Sie oft hören, wo Sie Ihre eigenen Vorstellungen dazu haben – ich meine auch –, und ich glaube, es ist höchst an der Zeit, dass wir uns damit beschäftigen, dass das auch an den Grundfesten unserer Verfassung rütteln wird, wenn wir es ernst nehmen damit, dass wir eine Verantwortung für das Ganze haben.

Ich komme gerade von einem sehr intensiven Gespräch mit unserer Finanzministerin und habe den Eindruck, dass die Krise uns nicht so sehr zusammenschweißt, sondern eher die Gefahr droht, auch aufgrund der Maßnahmen, die erforderlich werden und die ich später noch ansprechen muss, dass die Krise uns auseinanderbringt und nicht im Sinne eines modernen Föderalismus dazu führt, dass wir die Verantwortung für das Ganze übernehmen.

Aber eines bin ich mir sicher: Das ist die Erwartungshaltung der Bevölkerung, und da­her möchte ich auch einmahnen, dass es in schwierigen Zeiten so sein sollte, dass Bund, Länder und Gemeinden an einem Strang ziehen, und auch wenn es manchmal mühsam ist, sollte man hinter verschlossenen Türen bis zu einem guten Ergebnis ver­handeln und sich nicht gegenseitig ausrichten, wer wen gerade bremst oder über den Tisch zieht. Das können die Leute nicht mehr hören! (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Die aktuelle Fragestellung muss also lauten: Was bringt es den Bürgern, wenn wir be­stimmte Reformen angehen, und zwar nicht nur jedem Einzelnen subjektiv, denn das müssen wir uns abschminken, dass es jedem recht getan werden kann, sondern was bringt es den Bürgern? Darunter verstehe ich auch: Was bringt es für die nächsten Generationen für Chancen, wenn wir die Hebel richtig ansetzen? Das fehlt mir nach wie vor in der Politik. Und verantwortungsvoller Föderalismus heißt auch, dass wir die­jenigen nicht ausschließen, die vielleicht erst in einigen Wahlperioden zum Zug kom­men, dann ihre Ausbildung machen, dann auf den Arbeitsmarkt strömen oder dann vielleicht diejenigen zahlen, die viele Jahrzehnte in Pension sind.

Wir müssen unsere Systeme so rechtzeitig für die Zukunft fit machen, dass wir auch die Zeit haben, das umzusetzen, die Weichen so stellen, dass wir genug Anlauf haben, um auch für die nächsten Generationen die richtigen Entscheidungen getroffen zu ha­ben.


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Dazu braucht man einen langen Atem in der Politik, und da ist es wohl die falsche Ant­wort, wenn wir immer wieder zögerlich sind, obwohl wir uns schon ausrechnen können, wozu es führt, wenn wir uns in unseren Zuständigkeiten eingraben.

Ich verstehe unter modernem Föderalismus aber auch eine moderne Arbeitsteilung und meine, dass wir in unserem Staatsgefüge Verflechtungen abbauen sollten, dass wir mit Doppelgleisigkeiten endlich aufräumen sollten und dass die Kompetenzzersplit­terung in Österreich, so erwarte ich es mir, bald ein Ende findet. Ich würde mich sehr freuen, wenn der Bundesrat diesbezüglich Aktivitäten setzt, weil ich finde, dass der Bundesrat, solange er besteht – und ich gehe davon aus, das wird noch lange sein in unserem Österreich (allgemeiner Beifall) –, eine wichtige Aufgabe in diesem Bereich hat. – Nicht voreilig klatschen, meine sehr geschätzten Damen und Herren! Das war ein Befund, eine Analyse und eine Einschätzung der österreichischen Politik und hängt nicht 1 : 1 damit zusammen, was meine persönliche Meinung ist (Heiterkeit); aber dazu komme ich später.

Ich gehe davon aus, dass es so ist, nicht nur weil eine Verfassung beständig ist, son­dern weil auch der Reformwille in Österreich nicht unbedingt sehr ausgeprägt ist. Ich möchte Sie einfach bitten, solange Sie in diesem Staatsgefüge als Länderkammer eine wichtige Rolle spielen: Nutzen Sie die Chance und tragen Sie dazu bei, dass wir be­stimmte Reformen machen!

Ich würde mir nichts mehr wünschen, als dass wir beim Kompetenzkonflikt, nämlich nicht bei dem vor dem Verfassungsgerichtshof, sondern beim realen, endlich einmal Klartext sprechen. Und da gibt es kleine Themen, wo ich einfach kein Verständnis mehr dafür habe, dass wir uns eingraben. So ändern zum Beispiel neun Bundesländer innerhalb von zehn Jahren 26 Mal ihre Landarbeitsordnung, weil der Bund – zu Recht – das Arbeitsrecht weiterentwickelt und wir in unseren Ländern – für ein paar hundert in manchen Bundesländern, in Salzburg sind es ungefähr 1 000 Arbeitneh­mer – ein eigenes Arbeitsrecht machen. Jeder normale Mensch würde uns fragen, ob wir durchgeknallt sind. Oder? (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Und ich schaffe es nicht einmal, meine Landeshauptmännerkollegen davon zu über­zeugen, dass wir mit solchen Kompetenzzersplitterungen endlich aufräumen sollen. Wir haben Wichtigeres zu tun als „Rank-Xerox-Gesetzgebung“, wo wir in neun Bundes­ländern das abschreiben, was vorher im Nationalrat beschlossen wurde.

Also ich bitte Sie, treten Sie ein in die Koalition der Vernünftigen in der Politik und tragen Sie dazu bei, dass wir manches in diesem Staat verändern, was schon ges-
tern hätte geändert werden sollen, und dazu gehören eben solche Kompetenzbereini­gungen, aber auch Doppelgleisigkeiten.

Ich unterstütze Ihr Vorhaben übrigens sehr, dass wir es schaffen, Bildungsdirektionen einzurichten, worüber ja aktuell gerade verhandelt wird. Sie wissen vielleicht, wir haben in Österreich die Doppelgleisigkeit zwischen der Schulverwaltung der Länder und dem Landesschulrat als Bundesbehörde in den Bundesländern. Fünf Bundesländer haben das zusammengelegt. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass das leider verfas­sungswidrig ist – das geht halt nicht so einfach in Österreich.

Das heißt, dass das nicht für die Vertragsbediensteten gelten kann, die aber immer mehr werden, weil wir ja nicht mehr pragmatisieren. Also haben wir uns in Salzburg be­müht, eine Gesetzesnovelle auf den Weg zu bringen, eine BVG-Novelle, dass das end­lich geregelt wird. Wir haben sogar den Text selber ausgearbeitet und – siehe da! – ei­nen einstimmigen Landeshauptleutebeschluss zustande gebracht, dass der Bund das Thema endlich saniert, damit wir eine Bildungsdirektion haben statt einer Doppelglei­sigkeit, wo sich selbst Experten oft nicht mehr auskennen, wer denn zuständig sei.


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Jetzt gibt es diesen Landeshauptleutebeschluss, und es gibt auch Bemühungen des Bundesrates, das auf den Weg zu bringen. Und siehe da: Zu meiner Überraschung wird das wieder blockiert, in dem Fall von durchaus mächtigen Herren aus dem Natio­nalrat; ich verkürze es einmal so. Liebe Frau Präsidentin! Du hast meine volle Unter­stützung – aber sie braucht Ihre Unterstützung –, dass man in vernünftigen Dingen, wo man weiß, es ist richtig, nicht immer nur das tut, was vielleicht der Nationalrat möchte, sondern sich als Länderkammer versteht und sagt: Wenn das die Länder brauchen, dann unterstützen wir dieses Vorhaben auch, und dann bringen wir auch einen Antrag ein. Beschließen muss es ohnedies der Nationalrat.

Aber ein bisschen Mut würde ich mir wünschen in einer Zeit wie dieser, wo doch der Bundesrat so oft hinterfragt wird. Das ist mein sehnsüchtiger Wunsch in diesen Tagen: dass diese Initiative auch von Ihnen mitgetragen wird. Ich würde Ihnen auch mehr Kompetenzen geben, aber ich glaube nicht daran, dass das der Bundesverfassungs­gesetzgeber zum Beispiel mittragen wird; dazu später noch.

Aber diese Bildungsinitiative – wir sollten ja hier auch für das Land etwas weiterbrin­gen –, so glaube ich, wäre wichtig, und daher meine volle Unterstützung, dass das kommt, damit ein verfassungswidriger Zustand in fünf Bundesländern saniert wird und die anderen vier Bundesländer endlich einen Weg finden, diese Doppelgleisigkeiten, die dort noch bestehen, zu beseitigen. – So weit zu diesem ganz konkreten Thema ei­nes modernen Föderalismus.

Was wir alle miteinander brauchen, das ist eine offensive Haltung in diesen Fragen. Geben Sie doch zu, der Föderalismus ist sehr defensiv geworden, gerade auch in Fra­gen der Reform. Im Jahr 2007 bin ich hier gestanden, damals als Mitglied des Staats­ausschusses des Österreich-Konvents und war voller Optimismus: Jetzt ist die Zeit für die großen Reformen gekommen! Und das nicht nur, weil damals die Bundesregierung das auch politisch wollte, sondern auch weil die Bundesregierung damals eine Verfas­sungsmehrheit hatte – was sich ja geändert hat, zum Bedauern mit Sicherheit der Bundesregierung, nicht der Oppositionsparteien, die nach meinem Dafürhalten aber trotzdem nicht so sehr die Oppositionshaltung in schwierigen Zeiten des Staatsgefüges in den Vordergrund stellen sollten.

Faktum ist, damals waren die Voraussetzungen gut. Der Wille war da, die Verfas­sungsmehrheit war da, damals noch, als der Österreich-Konvent eingesetzt wurde, und so war die Hoffnung groß, dass er tatsächlich etwas realisieren wird. Ich könnte Ihnen jetzt seitenweise aus meiner damaligen Stellungnahme zitieren: Jetzt oder nie – noch nie waren die Chancen so groß.

Ich drehe das jetzt um und frage: Wann, wenn nicht jetzt? Noch nie war der Bedarf an Reformen in Österreich so groß, und zwar deshalb, weil wir auf unsere Zukunft zu ach­ten haben.

Manche werden darauf sagen: Na ja, es sind ja die Bedingungen schwieriger gewor­den, es gibt keine Verfassungsmehrheit mehr für die Bundesregierung – so ist es –, und der Wille – zumindest als gemeinsamer Wille – ist auch nicht unbedingt immer er­kennbar. Also: Es ist schwieriger geworden. Aber ich glaube, wer täglich die Zeitungen aufschlägt – und das tun Sie ja, davon bin ich überzeugt –, wer sich am Abend seriöse Nachrichtensendungen und Expertendiskussionen anschaut, wird in seinen Grundfes­ten erschüttert sein hinsichtlich dessen, was alles auf uns zurollt.

Niemand von uns, die wir hier herinnen sitzen, weiß, wie es in zehn Tagen weitergeht in Europa. Und wir alle haben das Bedürfnis, dass wir, dass die Politik nicht mehr hin­terherläuft und reagiert, sondern endlich wieder agiert. Agieren werden wir nicht vom Bundesrat, nicht von den Landeshauptleuten aus können, nicht einmal mehr vom ös­terreichischen Parlament aus, was die Entwicklung der Euro-Länder, aber auch das Handeln der Ratingagenturen betrifft.


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Jetzt kann man natürlich sagen: Ratingagenturen sind nichts anderes als Bewertungs­unternehmen, die bewerten, wie der Zustand eines Unternehmens oder eines Staates ist!, aber ganz so ist es nicht, und das wissen wir doch alle.

Wir alle wollen in diesen Tagen nichts mehr als ein starkes Europa, das nicht nach­hüpft, wenn schon etwas passiert ist, sondern das präventiv sagt: Wir wollen stark ge­nug sein, dass so etwas nicht mehr vorkommt! – Dafür wird es notwendig sein, dass es Politiker gibt, die an übermorgen denken und die richtigen Handlungen setzen. Da muss man halt auch einmal Dinge machen, wo vielleicht ein paar Länder eine Zeit lang außen vor bleiben, da muss man die Finanzmärkte entsprechend regeln, regulieren, ih­nen einen Rahmen geben und darf nicht mehr zulassen, dass gegen Länder spekuliert wird, dass viel Geld gemacht wird in Zeiten wie diesen, wo jeder von uns subjektiv den Eindruck hat, dass gar kein Geld mehr da ist.

Das Gegenteil ist übrigens der Fall. Es wird auf anderen Kontinenten sozusagen Geld gedruckt auf Teufel komm raus, und wir wissen doch auch, dass bei uns durch die Auf­käufe eine unglaubliche Bewegung gegeben ist.

Wir brauchen eine starke Politik, die offensiv ist – das brauchen wir in Europa genauso wie zu Hause, und das brauchen wir nicht nur im Nationalrat, sondern auch im Bun­desrat! Und dazu möchte ich Sie ermutigen. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen sowie der Bundesrätin Michalke.)

Ich weiß ja nicht, was den Bundesrat zum Beispiel daran hindern würde – ich glaube, das würde auch die Geschäftsordnung zulassen –, sich mit diesen Themen zu be­schäftigen. Ich habe 2007 schon die Überzeugung vertreten, dass sich der Bundesrat ein Stück weit emanzipieren muss davon, dass nur das, was von der Bundesregierung und vom Nationalrat kommt, seine Geschäftsgrundlage ist. Es war wohltuend, dass wir damals im Gasteinertal einen Tag lang zusammengesessen und mit einem ganzen Ka­talog an Forderungen quasi nach Hause gefahren sind, aber – Hand aufs Herz! – was davon hat sich denn geändert?

Was hat sich denn geändert aufgrund der berechtigten Vorstellungen, wie der Bundes­rat gestärkt und aufgewertet werden kann, nämlich weg von der Duplizität, zweite Kam­mer, die nur nachvollzieht, hin zu der Achse zwischen Bund und Ländern? Ich wäre immer bereit gewesen, dem Bundesrat sogar Aufgaben der Bundesländer zu übertra­gen im Sinne eines Konsultationsmechanismus hier an Ort und Stelle und nicht in den einzelnen Bundesländern und viele andere Aufgaben auch.

Ich bin auch offen in der Frage der Zusammensetzung, weil ich meine, dass nicht die Zusammensetzung entscheidend ist, sondern das, was man inhaltlich darf. – Es hat sich leider nichts getan! Das ist bedauerlich, aber unter dem Strich ist das wahrschein­lich auch einmal eine Aufforderung, Bilanz zu ziehen und sich zu überlegen, ob es so weitergehen kann.

Das gehört für mich auch zu einer Reformoffensive dazu, und daher bin ich jetzt bei meiner Meinung angelangt: Ich habe viel dazu beigetragen, dass es eine Aufwertungs­diskussion gibt, aber sie wird nicht wirklich ernst genommen. Wir haben eine Bundes­verfassung, die im Wesentlichen, in ihrem Rahmen in den zwanziger Jahren stecken­geblieben ist, und es gibt keine Bemühungen, hinsichtlich der Verteilung der Aufgaben große Schritte zu tun.

Daher muss ich Ihnen ganz ehrlich Bilanz legen und sagen: Ich glaube, unsere Bemü­hungen sind gescheitert, wenn nicht der Bundesrat selbst seine Kompetenzen, die er hat, so exzessiv und explosiv nutzt, dass auch der Nationalrat erkennt: Das ist eine Länderkammer!

Die zusätzlichen verfassungsrechtlichen Befugnisse würde ich Ihnen gerne geben, weil ich einfach meine, dass die Bevölkerung allmählich kein Verständnis mehr dafür hat,


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dass sich da so wenig verändert. Ich bedauere das sehr, weil in einer Demokratie letzt­endlich alle für die Bevölkerung arbeiten und nicht für sich selbst.

Ich möchte noch eine kurze Bilanz zum Vorsitz der Landeshauptleute legen. Wir haben in den letzten Monaten einiges zustande gebracht. Wir haben vor allem die lang er­sehnten Landesverwaltungsgerichte auf den Weg gebracht – zugegeben, kein einfa­cher Schritt, vor allem für machtbewusste Politiker, denn das heißt ja, dass wir Macht abgeben hin zu einem Gericht, aber ich halte es für richtig, dass hier die Rechtsstaat­lichkeit im Vordergrund steht.

28 Jahre Diskussion! Im 27. Jahr sind wir zu der Erkenntnis gelangt: Es hat noch nie jemand ausgerechnet, was das überhaupt kostet. Es kostet natürlich – wie viele Re­formen – in den Anfangsjahren mehr, aber ich bin überzeugt davon, dass es dann, wenn es läuft, durchaus funktionieren wird.

Zweiter wichtiger Punkt – ich weiß nicht, inwieweit Sie schon Gelegenheiten hatten, im Bundesrat darüber zu diskutieren – ist die Frage der Einrichtung von Bundesämtern für Asyl und Migration. Ich glaube, dass das Asylgericht gute Arbeit geleistet hat und dass es richtig ist, bei dieser schwierigen Materie eine Zusammenführung vorzunehmen. Es wird dann auch bei den Bundesländern zu Veränderungen kommen. Das heißt, wir ge­ben da Aufgaben an dieses neue Bundesamt ab.

Es soll eine Transparenzdatenbank geben, von der ich in Zeiten wie diesen gerne wüsste, was sie kostet. Ich bin aber der Meinung, dass Transparenz in einem Förder­dschungel, den der Föderalismus nach sich zieht und der nicht zwangsläufig so bleiben muss, schon wichtig ist.

Sehr froh bin ich darüber, dass es in einem modernen Föderalismus nach viel Mühe gelungen ist, eine Artikel-15a-Vereinbarung für die Basisbildung zustande zu bringen. Ich weiß nicht, inwieweit Sie involviert waren, aber das ist, denke ich, eine sinnvolle Kooperation zwischen Bund und Ländern, dass wir 50 Millionen € in die Hand nehmen und sagen: Wir wollen als erste Maßnahme, dass jeder Mensch in Österreich ei-
nen Schulabschluss hat. Dass man dafür Geld zusammenlegt, ist, denke ich, ein guter Schritt.

Dass die institutionelle Kinderbetreuung im Rahmen einer Artikel-15a-Vereinbarung verlängert wurde, ist auch richtig, ebenso die Weiterentwicklung der Nachmittagsbe­treuung und auch die Sprachförderung.

All das sind Artikel-15a-Vereinbarungen. Das heißt, das ist zum einen schon ein Si­gnal, dass moderner Föderalismus bedeutet, dass man Vereinbarungen, Verträge schließt – das ist meiner Meinung nach auch richtig –, zum anderen ist es aber so – und wenn Sie genauer hinschauen und hinhören, dann werden Sie auch zu der Er­kenntnis kommen –: All das sind Reformen, die etwas gekostet haben! Immer mehr wird aber die Frage gestellt: Wo sind denn die Reformen, die die Finanzen etwas ent­lasten? Und diese, glaube ich, sind in den nächsten Jahren wirklich angesagt.

Es gibt einen aus meiner Sicht wichtigen Schritt: Wir haben es geschafft, die Umset­zung, die Auszahlung des Pflegegeldes österreichweit zu vereinheitlichen. Das wäre auch noch fast gescheitert, aber es ist gelungen. Die Bundesländer haben gesagt, dass sie da eine Aufgabe abgeben, die durchaus schön ist; Geld zu verteilen ist für die meisten Politiker etwas Erfreuliches. Ich glaube, dass die Bürger nicht so sehr darauf schauen, wer der Absender ist, sondern eher darauf, ob der Inhalt passt, und insofern stehe ich auch zu dieser neuen Vereinbarung.

Es gibt einen Pflegefonds, aber es gibt noch immer keine nachhaltige Lösung. Viele von Ihnen waren wahrscheinlich früher in der Landespolitik oder sind auch in der Kom­munalpolitik tätig und wissen: Die Pflege wird uns noch viel an Kopfzerbrechen brin-


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gen. Vielleicht wäre es einmal an der Zeit, dass wir uns auch öffentlich darüber unter­halten, wie eine Lösung aussehen könnte. Ist zum Beispiel eine Lösung, die Pflegever­sicherung heißt, der richtige Weg, oder sollten wir unseren Pflegefonds fortsetzen? – Da das ein Thema ist, das in Österreich sehr föderal gesehen wird, anders als in ande­ren Ländern, wäre es sicher auch im Bundesrat richtig angesiedelt und wäre auch hier darüber zu diskutieren; aber auch über andere Fragen.

Was sind die großen Reformblöcke, die Sie hoffentlich in den nächsten Wochen und Monaten beschäftigen werden? – Erstens: Die Bildungsreform ist nicht vom Tisch! Und wer meint, dass man das auf reine Verwaltungsfragen oder Dienstrechtfragen redu­zieren kann, der irrt. Was es aber braucht, ist eine konsequente Haltung der Politik, dass es dabei um die Kinder, um die Jugendlichen, aber auch um die Erwachsenen geht.

Mit dem heutigen Tag tritt eine Artikel-15a-Vereinbarung in Kraft, still und heimlich, nämlich eine Zertifizierung aller Erwachsenenbildungseinrichtungen. Damit ist es in un­serem Föderalismus endlich gelungen, Weiterbildungsabschlüsse innerhalb Öster­reichs zu vereinheitlichen. Wir sind ja, kann man sagen, schon lange ein föderaler Staat, und trotzdem war es bisher möglich, in Oberösterreich eine Ausbildung zu ma­chen, die in Salzburg nicht anerkannt wurde, und umgekehrt. Damit ist jetzt Schluss, zumindest, wenn man sie bei zertifizierten Erwachsenenbildungseinrichtungen macht. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

Das sind die entscheidenden Reformen, nämlich stets mit der Frage im Hintergrund: Was brauchen die Menschen? – Die Menschen brauchen keine künstlichen Begren­zungen, sondern sie brauchen die richtige Mobilität, damit sie ihre Leistung erbringen können. Und Bildung heißt, dass wir den Menschen die Möglichkeit geben, ihre Fähig­keiten zu entwickeln, um ihre Chancen zu nützen. Und da dürfen der Ort und die Zu­ständigkeit keine Rolle spielen, sondern da kann es nur darum gehen, was für die Kin­der, für die Jugendlichen und auch für die Erwachsenen die beste Lösung ist.

Zur Gesundheitsreform. Auch bei diesem Thema wird in einem föderalen Staat nicht nur der Bund gefragt sein, sondern auch die Länder und die Kommunen. Letztere vor allem bei der Finanzierung. Wenn wir die Gesundheitsreform nach dem Maßstab der Macht angehen, werden wir nichts zustande bringen, denn wir haben eine anbieter­orientierte Gesundheitsorganisation, die es unmöglich gemacht hat, in diesem Dschun­gel noch irgendwo den Patienten zu finden – um diesen sollte es im Gesundheitsbe­reich aber eigentlich gehen und nicht um die Ärztekammer, die Millionen in Zeitungs­inserate steckt, um ELGA zu torpedieren statt sachlich mitzuwirken.

Es geht auch nicht um die Sozialversicherungen, die ihre berechtigten Anliegen haben, dass die Kassa stimmt bei den Kassen, es geht auch nicht um die Länder und um die Spitalerhalter, es geht auch nicht um die Frage, ob es ein einheitliches Bundesgesetz gibt – das ist meinetwegen ein Mittel zum Zweck einer Vereinheitlichung –, sondern es geht darum, was die Menschen brauchen. Und für die Menschen wäre es dringend not­wendig, dass wir das Geld, das wir dort einsetzen, wirklich zu ihnen hinbringen.

Wir haben eines der weltweit teuersten Gesundheitssysteme, wir haben ein weltweit sehr teures Bildungssystem, aber wir sind mittelmäßig. Und das ist für mich der Auftrag für Reformen: mit dem Geld, das wir hineinstecken, das Beste zu erreichen! Da sind wir gefragt in einer föderalen Struktur, dass jeder seinen Beitrag leistet, egal, wo er sitzt.

Das ist mein Wunsch, dass der Bundesrat als Klammer zwischen dem Nationalrat und den Ländern das Selbstbewusstsein hat, zu sagen – und das in einem Selbstverständ­nis –: Da wirken wir mit und stehen nicht auf der Seite des Bundes oder auf der Seite des Bundeslandes, sondern auf der Seite der Menschen! – Vielleicht können Sie sich


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den Luxus leisten, auf der Seite der Menschen zu stehen. Das würde mir gefallen. (All­gemeiner Beifall.)

Ich höre gerade, dass ich meine Redezeit überschritten habe. Ich bin ja eine Politikerin, die nicht so gerne Redezeiten einhält – der Landtag weiß ein Lied davon zu singen –, sondern ich wäre ja überhaupt der Meinung, im 21. Jahrhundert sollte man Politik et­was anders betreiben, also nicht mit Redezeiten und Ritualen, wer wann zu Wort ge­meldet ist. Darum war auch damals mein Angebot, dass wir uns im Gasteinertal einen Tag zusammensetzen. Das war ein fruchtbarer Tag.

Nach all den Jahren der Frustration in der Politik, das gebe ich zu, nämlich weil viel zu wenig weitergegangen ist, gebe ich trotzdem nicht auf und würde vorschlagen, dass wir, nämlich die Länder mit dem Bundesrat, versuchen sollten, der Bundesregierung ei­ne Reformpartnerschaft anzubieten. Das wäre doch etwas, wenn sich jeder löst von seiner Funktion und sagt: Schauen wir doch auf das gemeinsame Ganze – egal, ob es um die Reform des Bundesstaates und unserer Verfassung geht, um die Reform unse­res Gesundheitssystems oder auch unseres Pensionssystems. So ehrlich bin ich schon, dass ich da nicht in Rot oder Schwarz aufteile, sondern nach einer Analyse er­kenne, wo überall etwas zu tun ist.

Den Bundesrat gibt es seit 1920 als zweite Kammer, und viele sagen: Ja, es ist ein Jammer mit der zweiten Kammer! – Aber es ist so, es gibt den Bundesrat, und daher bitte ich Sie dringend, all Ihr Know-how, Ihre Zeit und Ihr Engagement dafür aufzuwen­den, dass wir genau diese Reformpartnerschaft in äußerst schwierigen Zeiten in unse­rer Republik Österreich tatsächlich schmieden können. Dafür reiche ich Ihnen meine Hand, da unterstütze ich den Bundesrat sehr gerne, und ich hoffe, Sie auch die Men­schen in unserem Land. Dabei wünsche ich Ihnen gutes Gelingen und ganz viel Mut! – Danke. (Allgemeiner Beifall.)

10.55


Präsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Ich danke der Landeshauptfrau für ihre Ausfüh­rungen.

Wir gehen nun in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Gruber. – Bitte.

 


10.55.24

Bundesrat Manfred Gruber (SPÖ, Salzburg): Frau Präsidentin! Ich bin heute der, der hier repariert, zuerst links, dann rechts, aber das lässt Rückschlüsse auf die Dynamik der Rednerin zu. (Vizepräsident Mag. Himmer übernimmt den Vorsitz.)

Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Herr Präsident! Liebe Landeshauptfrau! Liebe Kolle­ginnen und Kollegen! Ich möchte gleich auf das Letzte eingehen, das die Frau Landes­hauptfrau gesagt hat, auf den „Jammer mit der zweiten Kammer“. Wir werden das än­dern! In Zukunft wird es heißen: Die zweite Kammer ist ein Hammer! (Heiterkeit und allgemeiner Beifall.)

Sehr geehrte Frau Landeshauptfrau, du hast es ja angesprochen: Vor fünf Jahren durfte ich dich hier als Präsident des Bundesrates herzlich willkommen heißen. Dein Thema war: Föderalismus im 21. Jahrhundert – wohin gehen wir? Bedauerlicherweise muss ich sagen, wir sind ein bisschen stehen geblieben. Zwischenzeitlich war auch ein Landsmann aus früheren Zeiten, nämlich der oberösterreichische Kollege und Landes­hauptmann, bei uns und hat uns aus seiner Sicht erklärt, wie er den Föderalismus in Österreich sieht. Heute bist du dankenswerterweise wieder gekommen und widmest dich wieder dem Föderalismus, allerdings diesmal einem modernen, einem moderaten Föderalismus, dem Thema „Moderater Föderalismus – eine Herausforderung für die Reform des Bundesstaates“.


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Du hast uns damals – du hast ja selbst schon darauf hingewiesen – eingeladen und dazu angeregt, in Gastein eine Diskussion über den Bundesrat zu führen, was wir auch gemacht haben. Wir haben damals zehn Punkte erarbeitet. Es ist mir damals auch ge­lungen, die Landtagspräsidenten einzubinden. Was dann allerdings passiert ist, ist ge­nau das, was uns sehr oft passiert: Wir sind stehen geblieben und haben diese Punkte, die für den Bundesrat sehr wichtig wären, leider nicht umsetzen können, und zwar auf­grund verschiedenster Interessenlagen, wo auch immer die verschiedenen Interessen liegen; darauf möchte ich jetzt nicht eingehen.

Ich denke, es ist unser gemeinsames Ziel, das Ziel aller Bundesrätinnen und Bundes­räte, dem Bundesrat in Zukunft eine hörbare Stimme zu geben. Es ist nicht leicht, aber es muss nach wie vor unser Ziel bleiben.

Ähnlich ist es bei der Umsetzung einer großen Staats- und Verwaltungsreform. Du hast vorher angesprochen, dass 2007 die Chancen besonders gut waren, aber irgendwann ist dann jemand gekommen und hat gesagt: Das reicht!, und damit war eine große Staatsreform Geschichte.

Wir stehen heute wieder am Anfang. Kleinkariertes föderalistisches Denken, Kompe­tenzstreitigkeiten und Besitzstandsdenken verhindern leider Lösungen in wichtigen Be­reichen.

Föderalismus leben heißt im Vorfeld die Kompetenzen, aber auch die Zuständigkeiten klären. Föderalismus kann keine Einbahnstraße sein. Das betrifft insbesondere die Be­reiche – Frau Landeshauptfrau, du hast einige angesprochen – Schulverwaltung, Bil­dungsdirektionen, Gesundheitsreform, Jugendschutz, Auskunftspflicht, Amtsverschwie­genheit, unterschiedliche Standards der Bundesländer im Sozialbereich, unterschiedli­che Mindestsicherungen in den Bundesländern, Grundwertekatalog, Tierschutz. Diese Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, es gibt noch einiges mehr. Es sind dies Bereiche im Spannungsfeld von Kompetenzen und Föderalismus, die unbe­dingt einer Lösung zugeführt werden müssen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Frau Landeshauptfrau! Der Föderalismus ist ein Eckpfeiler unserer Demokratie. Er ist unverzichtbar für die Zusammenarbeit zwi­schen Bund, Ländern und Gemeinden – was du ja auch schon angeführt hast. Und es ist mir bewusst und ich bin mit dir einer Meinung: Dieser Föderalismus braucht einen Modernisierungsschub.

Föderalismus, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, heißt aber für mich auch Bürger­nähe. Ich verstehe unter modernem Föderalismus nicht das Zusperren von wichtigen infrastrukturellen Einrichtungen – wie Polizeistationen, Postämter, Bezirksgerichte, Forstverwaltungen – sowie das Reduzieren des öffentlichen Verkehrs bei Bahn und Bussen.

Ich verstehe unter modernem Föderalismus auch nicht das Infragestellen demokrati­scher Einrichtungen sowie Zwangszusammenlegungen von Gemeinden. Viele dieser Gemeinden haben keine Nahversorger mehr, und jetzt soll ihnen auch noch die letzte Anlaufstation, nämlich das Gemeindeamt, weggenommen werden. Ich weiß von die­nem ständigen Bemühen, Frau Landeshauptfrau, für die Menschen vor Ort da zu sein, daher verlasse ich mich auch auf dich, dass die Mitbürgerinnen und Mitbürger vor Ort von einem modernen Föderalismus profitieren. Das ist nämlich für mich die wahre He­rausforderung. – Danke. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

11.01


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gelangt Herr Bundesrat Saller. – Bitte.

 


11.01.07

Bundesrat Josef Saller (ÖVP, Salzburg): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Landeshauptfrau! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren!


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Ich habe mit Freude von dir, Frau Landeshauptfrau, vernommen, dass es uns noch lange gibt (Heiterkeit) und dass wir mehr Mut brauchen. Am Mut soll es nicht fehlen, aber darauf komme ich ganz zum Schluss nochmals zurück.

Ich möchte in aller Kürze zuerst ein bisschen das Spannungsfeld zwischen Parteien, Bund, Ländern, Parlamenten und Regierungen durchleuchten und darstellen, und das vielleicht ein bisschen symbolhaft.

Ich nehme dafür das Wort „Gräben“ – man könnte natürlich auch durchaus ein ande­res, verbindendes und besseres Wort nehmen. Allerdings, es ziehen sich derzeit drei Gräben durch die österreichische Innenpolitik, wobei, wenn man das genau betrachtet, der breiteste und flachste Graben jener zwischen den Parteien ist. Warum? – Breit, da­mit jeder klar sieht, was von den einzelnen Parteien zusammengebracht wird. Und flach deswegen, damit man ihn, wenn es größere Probleme gibt, möglichst schnell pla­nieren und zuschütten kann. Das ist ja vielleicht auch ganz interessant.

Der zweite und auch noch sehr bekannte Graben ist der zwischen Bund und Ländern. Da geht es eigentlich nicht so sehr, glaube ich, oder weniger um Föderalismus gegen Zentralismus, sondern viel mehr um die Erhaltung der Macht bei gleichzeitigem Ab­schieben von mancher Verantwortung – das muss man sehen – und auch von Kosten, so ein bisschen nach dem Prinzip: Sparen wir bei anderen, denn wir haben ohnedies wenig Geld! – Das könnte man hier wirklich sagen. Beide Seiten machen das an und für sich sehr gut, sowohl das Land als auch der Bund.

Der dritte Graben ist sehr schmal, sodass er meist übersehen wird. Viele Kommen­tatoren sagen, es gibt ihn gar nicht. Er geht aber ins Innerste der Demokratie hinein, es ist jener zwischen den Parlamenten und den Regierungen. Gerade entlang dieses Ris­ses gibt es in der letzten Zeit viele Aussagen, die ich für äußerst entbehrlich halte. Ich denke da nur an die Sendung „Im Zentrum“ kürzlich am 20. November. Ich weiß nicht, wer von Ihnen sie gesehen hat. Ich nenne nur ein paar Zitate daraus:

Ersatzlose Streichung des Bundesrates, Verschwendung öffentlicher Gelder, Zeichen der Einsparung. In den Landtagen gebe es laut den Tagesordnungen zu 80 Prozent Entschließungsanträge an den Bund – wofür gibt es sie dann überhaupt?, wurde ge­fragt –, und die Politiker würden nur dann reagieren, wenn sie Druck verspüren, weil sie sonst am Wahltag weniger Stimmen bekommen. – Diese Liste an Aussagen ließe sich noch fortsetzen.

Es war also nicht sehr gemütlich. Mich wundert in dieser Sache immer, warum solche hochverdienten Wirtschaftsmanager und Wirtschaftsbosse, die alles so genau wissen, nicht selber längst in der Politik sind. Das ist für mich immer erstaunlich. Aber vielleicht liegt es auch am Gehalt eines Bundesrates, der ein Brutto-Jahresgehalt von 57 120 € hat. Vielleicht liegt es auch daran.

Nun, sehr geehrte Damen und Herren, es darf auf alle Fälle nicht auf ein Wettrennen zwischen Landtagen und Bundesrat um den föderalistischen Restbestand hinauslau­fen. Das ist entschieden abzulehnen. Ich teile auch nicht die Ansicht von dir, Frau Prä­sidentin – und ich gratuliere dir auch noch einmal sehr herzlich zur Vorsitzführung von Salzburg hier in diesem Halbjahr –, dass bei einer Aufwertung des Bundesrates die Landtage verzichtbar werden oder bei der Stärkung der Regionen überhaupt überflüs­sig werden. Ich glaube, der Bundesrat und die Länder, die er vertritt, bedingen einan­der, was ihre Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit betrifft. Ohne Bundesrat wäre die Länder­autonomie längst abgeschafft, und umgekehrt wäre eine echte Beteiligung der Länder an der Gesamtgesetzgebung ohne eigene Autonomie auch kein Föderalismus. (Bun­desrätin Mag. Neuwirth: Genau!)

Nun darf ich noch ein bisschen den Blick nach Salzburg richten. Es gibt bei uns viel Positives, aber auch durchaus manche Anliegen und Probleme. Ich versuche noch


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zwei Dinge herauszustreichen, die besonders den Bund und das Land Salzburg be­rühren. Wir haben ja vor einiger Zeit in der Landesgesetzgebung das Salzburger Erd­kabelgesetz als ein positives Beispiel beschlossen. Landeshauptmann-Stellvertreter Haslauer und Sepp Eisl haben das Gesetz durchgetragen, gegen durchaus auch ei­gene Widerstände, gegen die Widerstände der Salzburger Sozialpartner und auch aus Reihen des Koalitionspartners, aber es hat zumindest bewirkt, dass der Verbund mit der Landesregierung verhandelt hat und eine Trasse gesucht hat, die weitgehend, sa­ge ich einmal – nicht überall –, die Vorstellungen des Landes berücksichtigt.

Wir haben offensichtlich so ein Druckmittel gebraucht, das muss man sagen, und es ist auch kein Wunder, wenn betroffene Bürger sehr enttäuscht sind, wie mit ihnen von­seiten des Verbundes umgegangen wird: Es sind verschiedene Varianten im Spiel, nie­mand weiß etwas, die Bevölkerung wird teilweise gegeneinander ausgespielt und so weiter. Da ist es natürlich schwierig, hier eine positive Stimmung zu erzeugen, und es ist daher dann auch nicht verwunderlich, dass sich so viele Bürgerinitiativen gebildet haben. Ich glaube, hier ist es besonders wichtig, an einem Strang zu ziehen. Das ist notwendiger denn je.

Es ist bereits angesprochen worden, wir haben hier im Bundesrat etwas gemacht, was uns Salzburger auch besonders betrifft, nämlich die gesetzliche Möglichkeit von Ge­meindekooperationen geschaffen. Wir in Salzburg brauchen keine unnötige Debatte über Gemeindezusammenlegungen, wie sie anderswo stattfinden. (Zwischenruf des Bundesrates Mag. Klug.) Bei uns werden sinnvolle und einsparende Kooperationen durchaus praktiziert – ich denke da an Abwasserbeseitigung, Schi-Verbund, Recycling, Seniorenheime, Pflegestationen; die Liste ließe sich fortsetzen. Ich glaube, da sind wir wirklich auf einem guten Weg.

Salzburg ist ein Land mit starkem Tourismus, Wirtschaft, Kultur, gesunder Umwelt – und auch diese Liste ließe sich sehr lange fortsetzen. Die Salzburg-Anleihe, initiiert von Landeshauptmann-Stellvertreter Haslauer, hat es möglich gemacht, viele Projekte zu verwirklichen: Wirtschafts- und Tourismusförderung, Seilbahnprojekte, Sonderimpuls­programme und vieles andere mehr. Es hat sich hier sehr, sehr viel getan.

Ebenso wichtig ist es natürlich auch, die gesetzlichen Voraussetzungen für den öffent­lichen Verkehr zu verbessern. Das ist ein besonderes Anliegen. Bahnausbau, Lärm­schutzmaßnahmen, die Bauoffensive am Radwegenetz, das sind viele Dinge, die uns sehr berühren, die man angegangen hat; ebenso auch die gesunde Umwelt und die gut strukturierte Landwirtschaft – das ist auch etwas Wichtiges; zu erwähnen ist da auch der Nationalpark.

Aber ganz wichtig ist natürlich auch die Kultur. Ich darf vielleicht noch etwas sagen, damit man auch die Dimension bei uns erkennt: Neben der Hochkultur wie die unver­zichtbaren Salzburger Festspiele ist auch unsere Volkskultur ein wichtiger Bestandteil unseres Landes. Wenn man sich die Zahlen vor Augen führt – ich habe sie mir ein-
mal herausgesucht: 109 Schützenkompanien, 318 Heimatvereine, 357 Chorverbände, 151 Musikkapellen, 58 Museen, an die 1 000 Vereinigungen; das muss man sich vor­stellen! –, dann ist klar, dass das auch ein wichtiger Faktor ist. Die Ehrenamtlichkeit ist hier in diesem Ausmaß – das kann man sich gar nicht vorstellen – auch eine beson­dere Sache. Diese Menschen und all diese Einrichtungen und Vereine tragen in einem geöffneten Europa wesentlich zur Erhaltung der eigenen Identität bei. Das ist auch et­was, was man besonders hervorheben muss. Es kann hier das Motto gelten: Tradi­tionelles bewahren und erhalten und für Neues aufgeschlossen sein.

Besondere Herausforderungen gibt es natürlich noch – sie sind ja schon angesprochen worden – in Bereichen wie Gesundheit, Soziales, Pflege, Raumordnung, Bildung.

Ich komme damit zum Schluss, und ich appelliere noch einmal an alle, die in irgend­einer direkten oder indirekten Form betroffen sind, die Möglichkeiten oder Aufgaben


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des Bundesrates neu festzulegen oder zu verändern. Da gibt es eine Reihe von Mög­lichkeiten. Entweder sind das wir selbst oder der Nationalrat, die Klubs, die Landes­parteiobleute aller Parteien, die in irgendeiner Form in ihren Gremien bestimmte Initia­tiven setzen und das Ganze beraten und vorantreiben. Die sind also auch mit in die­sem Boot und müssen etwas tun. Die Genannten haben natürlich keine besondere Freude, wenn wir recht gestärkt, verändert, aufgewertet werden (Landeshauptfrau Mag. Burgstaller: Genau!), denn damit beschneidet man wahrscheinlich auch einen Teil ihrer Macht. Deswegen wird von all diesen Leuten keine besondere Eile an den Tag gelegt. (Bundesrätin Mag. Neuwirth: Genau! Das sag’ ich auch!) Das ist aus Sicht der Betroffenen sehr klug, denn das ist alles weit weg und man kann dann darüber schimpfen und es in Frage stellen, aber andererseits sollte es den Bundesrat doch geben, denn irgendwo braucht man ihn ja, um auch im entfernten Wien entsprechend seine Stimme erheben zu können.

Also das ist nicht unsere Sache. Ich glaube, dass es hier sehr, sehr wichtig ist, dass da alle tätig werden, nicht nur wir, sondern auch alle anderen. Dann geht das sehr gut. Das wäre ganz einfach, wenn man uns auch beim Budget in die Gesetzeswerdung mit einbinden, wenn man uns mit einem anderen Vetorecht ausstatten würde. Dann wäre die Debatte um den Bundesrat sofort zu Ende, die gäbe es gleich nicht mehr.

Man kann also sagen, um jetzt auch mit einem Sprichwort aufzuwarten: Mut ist für alle gut! Und wenn alle Mut haben, hier etwas zu verändern, dann ist mir um den Bun­desrat nicht bange, denn ich glaube, er ist eine wichtige Säule bei der Vertretung der Länderinteressen auf Bundesebene und ist unverzichtbar. Und das ist nicht gegen den Landtag, sondern das ist gemeinsam mit der Landesvertretung.

In diesem Sinne ist wichtig: Sachpolitik vor Parteipolitik! Und unserem Bundesland Salzburg wünsche ich weiterhin alles Gute. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

11.12


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Mühlwerth. – Bitte.

 


11.12.29

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Landeshauptfrau! Das Thema Bundesrat beschäftigt uns ja schon seit seiner Entstehung. (Bundesrat Gruber: Uns nicht! Unsere Vorgänger!) 1920 hat Ihr Parteikollege, Ihr Vorgänger gesagt, der Bundesrat möge den Nationalrat bei seiner Gesetzgebung nicht allzu sehr behindern. Tatsache war das Spannungsverhältnis vor allem zwischen SPÖ und ÖVP: Die SPÖ wollte den Zentralstaat, die ÖVP wollte den Föderalismus, sprich die Rechte der Länder. – Und in diesem Spannungsverhältnis le­ben wir heute noch, allen schönen Worten und allen frommen Wünschen, die wir heute mannigfach gehört haben, zum Trotz.

Ich habe ja auch noch selten gesehen, dass die Kollegen von der SPÖ hier im Bun­desrat gegen irgendein Bundesgesetz gestimmt hätten. Das ist eher noch bei der ÖVP der Fall, die ja dem Föderalismus geneigter ist – aber auch die ÖVP-Bundesräte, wenn sie denn dagegen gestimmt haben, taten dies natürlich immer unter Bedachtnahme darauf, dass die Mehrheit nicht gefährdet ist. Da dürfen dann drei dagegen stimmen, zwei stimmen mit. (Bundesrat Gruber: Also waren wir ehrlicher!) Bei der SPÖ ist es eher so, dass dann eine gequälte kritische Zustimmung erfolgt. Das merkt man dann am Rednerpult bei den Kolleginnen und Kollegen, die sich wirklich schwertun, da zu­zustimmen, es aber letzten Endes aus Parteidisziplin tun. (Bundesrat Mag. Klug: Nein, aus Überzeugung!) – „Aus Überzeugung“, okay.

Der einzige Fall, wo es ein wenig anders war, war in der Zeit der blau-schwarzen Re­gierung, wo der Bundesrat eine rot-grüne Mehrheit hatte. Da hat man sich ein bisschen


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mehr getraut. Da war es auch lebendiger. (Bundesrat Mag. Klug: Da haben wir uns für die Regierung fitgemacht!)

Jetzt finde ich die Appelle wirklich wunderschön, aber es könnte ja auch einmal die SPÖ und die ÖVP der Mut übermannen, sodass sie sagen: Das ist gegen ein Länder­interesse, und wir stimmen jetzt gegen diesen Bundesgesetzvorschlag! – Aber wie ge­sagt, das habe ich noch nicht erlebt.

Der Bundesrat hat natürlich schon versucht, Chancen zu nutzen  (Bundesrat Gru­ber: Frau Kollegin, ich habe das aber von 2001 bis 2006 bei den FPÖ-Bundesräten auch nicht erlebt, dass sie gegen irgendwas gestimmt hätten! – Heiterkeit bei der SPÖ.) Das stimmt aber überhaupt nicht! Also das ist ja völlig unwahr, dass das bei uns nicht so ist, weil wir ja – es ist ja die Rolle der Opposition heute schon angesprochen worden – wirklich viele Male schon mit den Regierungsfraktionen gestimmt haben, weil wir von der Richtigkeit der Sache überzeugt waren. (Bundesrat Gruber: Ich hab’ Sie in Verdacht, dass Sie gern in der Regierung sitzen und dabei Opposition spielen wollen!)

Aber es ist selbstverständlich die Aufgabe der Opposition, der Regierung auch ordent­lich auf die Finger zu schauen, notfalls auch auf diese zu klopfen, und diese Aufgabe nehmen wir selbstverständlich und auch gerne wahr. (Beifall bei der FPÖ.)

Wir haben hier im Bundesrat beschlossen, was ich für ein wesentliches Element gehal­ten habe, im Zuge des Lissabon-Vertrags, bei den verfassungsändernden Lissabon-Begleitgesetzen, dass der Bundesrat dieselben Rechte hat wie der Nationalrat, wenn es darum geht, eine Subsidiaritätsrüge auszusprechen oder auch eine Subsidiaritäts­klage einzufordern. Das war nicht selbstverständlich. Da, sehr geehrte Frau Landes­hauptfrau, spiele ich jetzt den Ball ein wenig zurück, denn was uns im EU-Ausschuss auffällt, ist, dass da vonseiten der Länder nicht sehr viel kommt, die ja jetzt gerade den Bundesrat als ihre Lokomotive benützen könnten, um hier entsprechend gegenüber Brüssel tätig zu werden. Also das ist auch dringend verbesserungsbedürftig, das darf ich Ihnen vielleicht auf die Heimreise mitgeben. (Bundesrat Mag. Klug: Das ist im Wachsen!)

Das Zweite war die Gemeindekooperation, die wir auch mitgetragen haben, weil wir sie auch für richtig halten, wo man aber jetzt merkt – bei den Abstimmungen in der Steier­mark und in Oberösterreich –, dass da die Bevölkerung noch lange nicht überzeugt ist. Da war eine sehr große Mehrheit dagegen. (Landeshauptfrau Mag. Burgstaller: Das ist aber was anderes! – Bundesrat Todt: Da ging es um Zusammenlegung! – Bundes­rat Stadler: Über Kooperationen haben sie aber eh nicht abgestimmt!) – Über die Zu­sammenlegungen!

Aber wenn wir von Gemeindekooperationen sprechen, dann können wir ja schon se­hen, dass es genau dort, wo das relativ einfach und unproblematisch möglich wäre, ge­nau nicht funktioniert. Sie selbst haben den Bereich Schule, Bildung, Kindergarten an­gesprochen. Da sehen wir es genau in Wien, wie es nicht funktioniert: Wenn man am Stadtrand von Wien wohnt und der Kindergarten in Niederösterreich näher wäre, ist es ein riesiges bürokratisches Problem einerseits und ein finanzielles Problem anderer­seits zwischen Wien und Niederösterreich, dass man sein Kind ohne Weiteres dorthin schicken kann. Es ist umgekehrt nicht sehr viel besser. Aber das wäre relativ leicht möglich.

Es war auch nicht möglich, die U-Bahn, die U3 zum Beispiel, zum Flughafen Schwe­chat zu verlängern. Nein, wir müssten einen eigenen Zug bauen. Warum? – Weil Wien gesagt hat, nein, das machen wir nicht, und Niederösterreich gesagt hat, wir wollen da nicht mitzahlen.

Also wenn wir von Gemeindekooperationen reden, sollten wir es vielleicht dort einmal angehen, wo es noch am einfachsten wäre. Und da wäre es wichtig, die Parteipolitik außen vor zu lassen.


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Wenn ich diese Beispiele anspreche, merkt man immer wieder: Natürlich geht es um den Machterhalt. Jeder sitzt auf dieser Macht drauf und sagt, nein, nicht einen Millime­ter gebe ich davon her.

Sie haben gesagt, die Krise – Sie haben das bedauernd gesagt – treibt uns offensicht­lich mehr auseinander, als sie uns zusammenschließt, was eigentlich in Krisenfällen der Fall sein sollte. – Wenn wir uns jetzt die Verhandlungen mit den Ländern über die Schuldenbremse anschauen, dann stellen wir fest, dass da die Länder sich durchge­setzt haben. (Landeshauptfrau Mag. Burgstaller: Nein!) Der ORF hat das wie folgt be­titelt: „Länder setzen sich bei Schuldenbremse durch“. (Landeshauptfrau Mag. Burg­staller: Der ORF!) „So müssen sie das Haushaltsrecht des Bundes nicht übernehmen“, obwohl das Haushaltsrecht des Bundes strenger wäre. Die Solidarhaftung ist vom Tisch. Wir sind zwar solidarisch mit ganz Europa, aber innerhalb von Österreich sind wir nicht solidarisch.

Das, Frau Landeshauptfrau, hat aber in wesentlichen Teilen Ihr Landeshauptfrau-Stell­vertreter ausverhandelt. Also wovon reden wir denn da, wenn Sie sagen, dass die Kri­se uns zusammenschweißen sollte?

Dazu kommt noch, dass die Länder diese Schuldenbremse, also das Nicht-mehr-Ma­chen von Schulden, erst ab 2017 umsetzen wollen. – Ja bitte, worauf warten wir denn? Wir haben jetzt fast 2012, wir haben einen Riesenberg Schulden, wir wissen, wir müs­sen sparen – und dann einigen sich Länder und Gemeinden darauf, dass sie das erst ab 2017 umsetzen. Da gratuliere ich aber wirklich ganz herzlich zu diesem tollen Er­folg, den Sie da eingefahren haben.

Ich würde also sagen: Sagen Sie nicht alle nur schöne Worte! Und das, was die Frau Landeshauptfrau gesagt hat, hat sie ja im Wesentlichen 2007 schon gesagt. Es ist ja nun wirklich nichts Neues. Und wenn man der Frau Landeshauptfrau zuhört und nicht weiß, welcher Partei sie angehört, möchte man ja meinen, sie sei parteiunabhängig und sie hat überhaupt keinen Einfluss auf irgendwas.

Vier Landeshauptleute, Frau Landeshauptfrau, gehören Ihrer Partei an, und da könn­ten Sie Ihren Einfluss geltend machen. Das haben Sie bisher unterlassen, zumindest habe ich nichts davon gemerkt. Es ist ja nett, dass Sie uns ermahnen, selbst tätig zu werden und uns quasi selbst aufzuwerten, initiativ zu werden, aber ich vermisse die Unterstützung Ihrer Landeshauptleutekollegen, ich vermisse, dass Sie Ihren Einfluss geltend machen, damit endlich etwas weitergeht. Schöne Worte und Appelle allein wer­den nicht genügen. (Beifall bei der FPÖ.)

11.20


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Schreu­der. – Bitte, Herr Kollege.

 


11.20.38

Bundesrat Marco Schreuder (Grüne, Wien): Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Frau Landeshauptfrau! Vielen herzlichen Dank dafür, dass Sie heute am Welt-Aids-Tag – das wollte ich auch einmal gesagt haben; ein wichtiger Tag – den Weg in den Bundesrat gefunden und über ein sehr wichtiges und, wie ich glaube, viele Menschen interessierendes Thema gesprochen haben. Es ist aber kein neues Thema, denn über die Verfassungsreform, über Reformnotwendigkeiten und über einen schlanken, mo­dernen Föderalismus wird ja hierzulande schon sehr lange diskutiert. Ich habe heute extra die grünen Positionspapiere aus dem Jahr 2004 zum Österreich-Konvent hierher mitgenommen und kann sagen, da gibt es noch unendlich viele Beispiele für nicht fertig Diskutiertes und nicht Umgesetztes, leider! Es ist bedauerlich, dass damals aus einer neuen, aus einer schlanken Verfassung nichts geworden ist. Heute, da wir stärker un­ter Druck stehen, auch international unter Druck stehen, ist das natürlich umso bedau­erlicher. Daher auch vielen Dank für Ihre klaren, offenen Worte!


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Wir von den Grünen können vielem von dem, was Sie heute gesagt haben, unwider­sprochen zustimmen; nicht allem, aber vielem.

Es sind viele Anstrengungen nötig, haben Sie gesagt. – Ja! Es gab unzählige Vor­schläge vom Österreich-Konvent, die derzeit nur noch in Schubladen liegen oder schon längst in der Rundablage gelandet sind. Mittlerweile – das sei auch erwähnt, ich finde das ganz wichtig – hat auch der Rechnungshof gemeinsam mit IHS, Wifo und KDZ Zentrum für Verwaltungsforschung 599 Vorschläge für eine moderne Verwaltung. Es gäbe also wirklich sehr viel zu tun.

Der Kompetenzdschungel – Sie haben ihn angesprochen, aber ich will jetzt nicht auf alle einzelnen Bereiche eingehen, sie sind schon oft genug genannt worden – nervt die Bürger und Bürgerinnen. Die Bürger und Bürgerinnen haben nicht den Eindruck, dass es eine Verwaltung gibt, die für sie da ist, sondern eine, die alles verkompliziert. Die Bürgerinnen und Bürger haben einfach nicht den Eindruck, dass für sie gearbeitet wird, sondern dass es um Machterhalt in Einflussbereichen von verschiedenen Gebietskör­perschaften geht. Das gehört abgestellt, ganz dringend.

Sie haben auch den Mut des Bundesrates angesprochen. – Ja, wir nehmen den Ball sehr gerne auf, obwohl auch ich dieser Institution gegenüber bekanntermaßen skep­tisch eingestellt bin, das habe ich auch schon gesagt. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Ich fand es besser, es macht ein kritischer Mensch als ein unkritischer. Ich finde, ein Gremium hat auch kritische Menschen verdient. Sie können sicher damit leben, davon bin ich überzeugt. (Neuerliche Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Es stellt sich aber eine Frage: ob Parteien, die natürlich auch Eigeninteressen haben, Posten, Macht, Einfluss und so weiter, überhaupt noch fähig sind, eine moderne Ver­waltungs- und Verfassungsreform zu bewerkstelligen. Ich nenne als Gegenbeispiel ein Land, das schon eine schwere Krise durchlebt hat, und ich hoffe, dass wir nicht in die­se Krise geraten: Island. Island hatte eine veraltete Verfassung, und es war vollkom­men klar, dass es eine neue Verfassung braucht. (Bundesrat Mag. Klug: Die waren aber nicht deshalb in der Krise!) Die Krise kam durch etwas anderes, natürlich, aber die Krise hat verursacht, dass Island sich überlegt hat, welche Verfasstheit vorliegt und welche Reformen notwendig sind. Island hat bemerkt: So, wie es ist, kann es nicht weitergehen! Es ist noch einmal zu überlegen: Wie ticken wir eigentlich? Was sind die Spielregeln unserer Republik?

Darum ging es. Und was haben sie gemacht? – Sie haben einen Verfassungsrat einbe­rufen. Es durfte jede/jeder kandidieren, abgesehen von Parteifunktionären, Mandatarin­nen und Mandataren. Sie durften nicht kandidieren, sondern nur die übrige Bevölke­rung. Dort musste dann eine linke Aktivistin mit einem Dorfpfarrer darüber diskutieren: Wie wollen wir unser Land eigentlich gestalten? Was ist sinnvoll? Wie wollen wir De­mokratie in unserem Land leben? Dieser Verfassungsrat hat dann eine Webseite, You-Tube-Channels, eine Facebook-Seite, einen Twitter-Channel erstellt, und jeder und jede, der und die in Island leben, durften mitreden, mitformulieren, Vorschläge einbrin­gen, die in diesem Rat behandelt wurden. Daraus – siehe da! – entstand ein Verfas­sungsvorschlag, der jetzt fertig vorliegt. Sehr interessant, schauen Sie sich einmal die Webseite des isländischen Verfassungsrats an; es gibt sie auch in englischer Sprache! Ich habe nachgelesen und mir gedacht, wow, das ist eine gute Verfassung. Wenn wir schon Mut zu Reformen haben sollen, dann schauen wir doch zum Beispiel solche Mo­delle an, die tatsächlich modern sind!

In Bezug auf die Frage, ob Föderalismus in Österreich modern ist, möchte ich einen Aspekt herausheben. Sie haben schon die Landeshauptleutekonferenz angespro­chen – und ich möchte hinterfragen, ob die Landeshauptleutekonferenz ein Beispiel für modernen Föderalismus ist. Ich sage dazu ganz klar Nein! Die Landeshauptleutekon­ferenz steht nicht in der Verfassung, sie ist informell, die Protokolle sind geheim. Wenn


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ich als Bundesrat ein Protokoll von der Landeshauptleutekonferenz haben will – und ich meine, der Bundesrat und die Landeshauptleutekonferenz sollten eigentlich zusam­menarbeiten –, dann bekomme ich sie nicht. (Bundesrat Mag. Klug: Weil ihr nicht stark genug seid!) – Also wenn das eure Ansicht ist, dass nur Parteifunktionäre von Groß­parteien die Protokolle einer Landeshauptleutekonferenz bekommen sollen, die Bürge­rinnen und Bürger oder auch Journalistinnen und Journalisten aber keinen Einblick ha­ben dürfen, dann, kann ich nur sagen, ist die Landeshauptleutekonferenz ein Fall für WikiLeaks, dann hoffe ich, dass diese Protokolle demnächst im Internet veröffentlicht werden (Beifall bei den Grünen), weil alle Bürgerinnen und Bürger das Recht haben sollten, zu wissen, was in einem so mächtigen Gremium beschlossen wird und was die Pläne für dieses Land sind. Solange dieses Gremium nicht öffentlich, nicht transparent, sondern im Verborgenen, hinter verschlossenen Türen agiert, so lange ist das keine moderne Demokratie! – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen.)

11.27


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gelangt Frau Präsidentin Neuwirth. – Bitte.

 


11.28.00

Bundesrätin Mag. Susanne Neuwirth (SPÖ, Salzburg): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Landeshauptfrau! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin die letzte Red­nerin in dieser Debatte – nicht zufällig natürlich – und möchte mich zunächst einmal für die Glückwünsche, werte Landeshauptfrau, für meine Vorsitzführung hier im Bundesrat bedanken. Ich bedanke mich natürlich auch für deine Unterstützung, danke schön!

Gestern Abend waren einige von Ihnen/von euch gemeinsam mit mir als Bundesrats­präsidentin beim Empfang des Landes Salzburg anwesend. Diejenigen, die dabei wa­ren, wissen, dass ich mir dort gewünscht habe – in Analogie zu jenen, die durch den Abend geleitet haben, die Wort und Weise heißen, weitere viele weise Worte hier im Bundesrat, und ein paar davon, glaube ich, haben wir heute gehört. Ob sie alle weise sind, weiß ich nicht, aber ein paar waren es. Ich glaube, es ist eine ehrliche, eine wah­re Diskussion, die heute hier geführt wird. Ich möchte mich daran insofern beteiligen, als dass ich mir bei all diesen Reformvorschlägen, die heute schon angesprochen wor­den sind und die wir all die Jahrzehnte hindurch ja schon in Unmengen gehört, gelesen haben, wozu es Rechtsmeinungen gibt, Artikel, Bücher, ein Institut für Föderalismus, das uns ununterbrochen sagt, was Föderalismus ist, die Frage stelle, wer nun wirklich etwas verändern will jenseits all dieser Artikel und Sonntagsreden, für die wir zum Teil auch alle selbst verantwortlich zeichnen.

Ich möchte einmal beide Gebietskörperschaften beleuchten, die Länder und den Bun­desrat, natürlich auch die Kommunen, denn alle gemeinsam gehören zu Föderalismus, nicht immer nur ein Teil davon.

Kommen wir zu den Ländern. Ein paar Beispiele sind ja heute schon genannt worden, aber ich möchte das noch einmal verdeutlichen, Kolleginnen und Kollegen! Die Breite von Stiegen, die Schonzeit von Rehen, die Lustbarkeitsabgabe und viele andere Klei­nigkeiten sind länderweise geregelt. Dazu gehören natürlich auch der Jugendschutz – x-fach diskutiert, noch immer nicht verändert – die Ordensvergabe – wesentliche Be­deutung –, ein Fischereigesetz und die Bauordnung, auch darüber haben wir hier schon x-mal geredet. All das gibt es neun Mal. Sogar die Hundehaltungsvorschriften sind un­terschiedlich. Je nachdem, ob die Hunde in Wien oder in Niederösterreich bellen, hat das sozusagen eine unterschiedliche monetäre Bedeutung für die Halter. Ebenso gilt zum Beispiel ein Hund, der in einem Bundesland einfach ein netter Hund ist, in einem anderen Bundesland plötzlich als Kampfhund. Also das sind doch Beispiele dafür, dass sich der Bürger/die Bürgerin fragen muss: Was ist an all diesen Dingen noch sinnvoll?


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Das hängt alles mit unserer Verfassung zusammen. – Deshalb, ja, werte Landeshaupt­frau, an den Verfassungsgrundfesten zu rütteln, dafür bin ich sehr. Ich bin aber dage­gen, irgendwo plötzlich einen Stein herauszunehmen. Das ist wie bei einem Gebäude: Wenn man einen Stein herausnehmen will und nicht überlegt, was dann rundherum passieren kann, dann fällt das ganze Gebäude in sich zusammen. Und das halte ich nicht für eine sinnvolle Art und Weise, mit unserer Verfassung umzugehen.

Ebenso bin ich der Meinung, dass diese großen Ansagen in Wirklichkeit alle ge­scheitert sind. Alle! Ich kenne keine einzige große Ansage, die je wirklich zu einer Ver­fassungsreform, geschweige denn zu einer wirklichen Verwaltungsreform geführt hat. Das hat leider auch den Konvent getroffen. Diese über 1 100 Seiten, diese vielen, vie­len Stunden – irgendjemand wird auch einmal den Geldwert errechnet haben – haben im Grunde genommen zu nichts geführt. Ich glaube, dass das leider auch weiterhin so sein wird. Deshalb bin ich eine Vertreterin der kleinen Schritte, der machbaren, der realistischen Dinge, die uns weiterbringen.

Die Frage ist immer: Wer will an den Kompetenzen wirklich etwas verändern? Wer will denn wirklich die Bundeskompetenzen zum Beispiel zugunsten der Länder schmälern? Wenn wir nämlich über mehr Föderalismus für die Länder reden, dann geht es darum, dann geht es um Kompetenzen. Ehrlich gesagt sind ohne ewiges Tauziehen nicht ein­mal winzige Verfassungsänderungen möglich.

Die Gemeindekooperationen sind heute schon als positives Beispiel angesprochen worden – zu Recht! In die Angelegenheiten von Wien und Niederösterreich mische ich mich nicht ein, aber ich weiß, dass die Gemeindekooperationen in vielen Bundeslän­dern, Oberösterreich zum Beispiel, auch in Salzburg, wirklich perfekt funktionieren und natürlich jetzt noch ausgebaut werden können.

Mit demselben Gesetz – Gottfried Kneifel wird mir zustimmen – wollten wir eigentlich noch zwei andere winzige Dinge verändern, aber das war gleich wieder nicht möglich. Wir haben es nicht geschafft, die Verfassung so zu ändern, dass die Länder selbst ent­scheiden können, ohne den Bund sozusagen um Zustimmung fragen zu müssen, wer Landesamtsdirektor wird oder wie die Organisation der Ämter der Landesregierungen stattfindet, weil der Bund gemeint hat: Nein, nein, nicht so schnell! Gleiches gilt für die Zustimmung zur Festlegung der Änderungen der Sprengel politischer Bezirke, der Ge­richtsbarkeit. Das war alles nicht möglich. Nicht so schnell, hat es geheißen. Alles ist immer zu schnell – und das nach wie vielen Jahren? 75 oder so ähnlich.

Oder Dinge, die allein in Bundeskompetenz liegen: Zusammenlegung von Arbeitsin­spektorat und Verkehrsinspektorat. – Etwas, was jeder als sinnvoll empfindet. Was hat es auch für einen Sinn, Kolleginnen und Kollegen, wenn im Bundesland Salzburg – und diejenigen, die aus den Gauen kommen, wissen das noch besser als ich, die ich aus der Stadt komme –, wo es viele Seilbahnen gibt, für eine Inspektion Herren – es sind leider nur Herren – aus Wien angereist kommen, weil unsere in Salzburg das nicht machen dürfen? Was hat das für einen Sinn? – Das ist Verwaltungsaufblähung jenseits jeder Sinnhaftigkeit!

Danke, sehr geehrte Landeshauptfrau, dass du die Bildungsdirektionen angesprochen hast, danke auch für deine Unterstützung. Wie ich höre, hat es sich um ein kleines Missverständnis gehandelt, und ich hoffe sehr, dass es noch möglich ist, während mei­ner Funktionsperiode diese Bildungsdirektionen auf den Weg zu bringen.

Manchmal zweifle ich auch ein bisschen an uns, wenn wir zum Beispiel deshalb einen Verhandlungspunkt nicht auf die Tagesordnung setzen können, weil wir es in drei Wo­chen nicht schaffen, uns zu einigen, wer hier außer uns noch sprechen darf. Das ist nicht möglich, und das lässt mich manchmal verzweifeln, ganz ehrlich gesagt, wenn wir schon bei ehrlichen Worten sind.


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 45

Was hat das alles zu tun mit Föderalismus, mit modernem Föderalismus in einer Zeit von EU-Gesetzgebung, Vertrag von Lissabon, Subsidiaritätsprüfungen? Das sind ei­gentlich die großen Themen, über die wir uns unterhalten sollten – jenseits von Schein­diskussionen über Abschaffung des Bundesrates oder Abschaffung der Landtage, die ich so nie gefordert habe, jenseits von Missverständnissen, die irgendwelche Leute aus drei Zeilen in einer Zeitung herauslesen zu können glauben. Es stellt sich doch die Frage: Wer kann was auf welcher Ebene am besten lösen im Sinne der Bürgerinnen und Bürger, nämlich kosteneffizient, kundenorientiert, auch vonseiten der Verwaltung kundenorientiert, aber mit einer wirklichen politischen Zielsetzung? Und wenn man da­rüber diskutiert, muss man über den eigenen Tellerrand hinausschauen. Es darf keine Tabus geben in solch einer Diskussion. Man muss das Große und Ganze sehen und im Auge behalten. Nur dann werden wir wirklich eine Diskussion auf die Reihe bringen, die auch zu einem Ergebnis führt.

Ich sehe ein Ergebnis, das folgendermaßen ausschauen soll: Ich sehe Kommunen – die dürfen wir in all diesen Prozessen nicht vergessen –, ich sehe Kommunen, die heu­te zwar schon mehr Kompetenzen haben, als sie früher gehabt haben – nach dem Ver­trag von Lissabon noch mehr, das ist heute schon angesprochen worden –, nicht aber die nötige finanzielle Ausstattung, um all diese Kompetenzen wirklich so umsetzen zu können, wie das vorgesehen wäre. Kooperationen in diesem Zusammenhang sind sinnhaft, aber sie dürfen nicht gleich wieder bei Tabuthemen aufhören. Eines sage ich jetzt an dieser Stelle, obwohl ich weiß, dass ich auch in Salzburg damit nicht gut an­komme: Auch Feuerwehren sind kein Tabuthema, Leute, auch Feuerwehren nicht! (Demonstrativer Beifall der Bundesrätin Kerschbaum.) Aber es gibt natürlich noch an­dere Dinge.

Ich glaube auch, dass die Zukunft all dieses Föderalismus an den direktdemokrati­schen Mitbestimmungsrechten der Bevölkerung scheitern wird, wenn wir sie nicht mit einbeziehen. Das ist auf Ebene der Kommunen notwendig und auch auf Ebene der Länder. Die Landtage werden mit Sicherheit nicht so bleiben, wie sie sind. Ja, es mag sein, dass der eine oder andere Landesamtsdirektor das nicht gerne hört im Land Ös­terreich, in dieser Republik, aber ich bin trotzdem der Überzeugung, dass es in Zu­kunft – in fernerer Zukunft, nicht morgen – nicht mehr so viele gesetzgebende Kräfte beziehungsweise gesetzgebende Möglichkeiten in den Ländern geben wird. Welche Gesetze sollen sie noch erlassen? Sie sollen eine eigene Steuerhoheit, mehr eigene Steuerhoheit haben, ja, aber vor allen Dingen sollen auch die Länder lernen, grenz­überschreitend in Regionen zusammenzuarbeiten. Das wird in der einen oder anderen Region durchaus schon gemacht, weil auch vielen klar ist, dass nur aus regionalen Strukturen in einem Europa der Zukunft sinnvolle wirtschaftliche Konzepte, sinnvolle – um nur ein Beispiel zu nennen – Arbeitsmarktprogramme etwa erwachsen können. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass die Landtage zu Regionalparlamenten werden müssen, um ihre Legitimität zu behalten. Das heißt nicht, dass ich die Landtage ab­schaffen will. Nur verändern müssen sich diese Institutionen! Diesbezüglich kann es kein Tabu geben. Man kann nicht immer nur sagen, der Bundesrat müsse sich verän­dern, sonst niemand.

Ich habe meine Unterlagen auf meinem Platz liegen lassen, aber ich sage es euch trotzdem: 476 Vorschläge waren es insgesamt – ich habe sie chronologisch auflisten und zählen lassen –, die es seit Anbeginn, seit es den Bundesrat gibt, seit dem Jahr 1925, damals erfolgte der erste Vorschlag auf Veränderung, der niedergeschrie­ben worden ist, gegeben hat. Und wie viele davon sind verwirklicht worden? (Zwi­schenruf des Bundesrates Gruber.) – Keine 10 Prozent!

Ich gebe allen recht, die meinen, dass man eine wirkliche Veränderung nur dann her­beiführen kann, wenn man im Bundesrat, in eben dieser zweiten Kammer, von der Par­teienstruktur abgeht. Davon bin ich überzeugt, ob das jetzt manche hören wollen oder


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nicht. Ich bin überzeugt davon, dass Koalitionsfesseln in einer Länderkammer nichts zu suchen haben. Ich bin überzeugt davon, dass die Stimme der Regionen nur dann ge­hört und wirklich vertreten werden kann, wenn wir die Länderinteressen in den Vorder­grund stellen und nicht die Parteieninteressen.

Das ist das, worüber wir einmal ernsthaft, wirklich ernsthaft diskutieren sollten. Die Landeshauptfrau unternimmt ja gemeinsam mit den Landeshauptmännern ihrer Frak­tion auch Anstrengungen, darüber zu diskutieren. Die Reformen werden ja auch schon vor allen Dingen in jenen Bundesländern, die von Sozialdemokratinnen und Sozialde­mokraten geführt werden, durchgeführt. Bei uns in Salzburg geschieht das schon längst, in der Steiermark jetzt auch, und die anderen können durchaus auch nachzie­hen. (Ruf bei der ÖVP: Wir haben  Partnerschaften!) – Partnerschaften, ja, ich bin sehr für Partnerschaften. Das ist auch mein Schlusswort, das mit den Partnerschaften. Wie gesagt, man muss ernsthaft diskutieren.

Du, werte Landeshauptfrau, hast die Reformpartnerschaft angesprochen. (Ruf bei der ÖVP: Ja!) Ich bezweifle – ganz ehrlich, und wenn jetzt jeder kurz sein eigenes Ge­wissen erforscht und sich die Leute anschaut, die nicht nur hier herinnen sitzen, son­dern auch in seinem Umfeld –, dass, wenn Leute diskutieren sollen über das, wie in zwei Jahren die neue Verfassung ausschauen wird, das wirklich zu einem Erfolg führt. Deshalb plädiere ich dafür, dies unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft (in Richtung Bundesrat Schreuder), werter Herr Kollege von den Grünen ... – Jetzt hört er mir leider nicht zu. Einmal gebe ich ihm recht, und er hört mir nicht zu – schade! (Bundesrat Schreuder: Ich höre Ihnen zu, absolut!) – Ah, multitasking-fähig! Super!

Also: Unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft bin ich absolut dafür, eine Diskussion zu beginnen – aber auch zu beenden –, die dann auch einen Output hat, die über die Zu­kunft Österreichs in 20 oder 30 Jahren redet. Dann ist man selber nicht betroffen, weil wir dann sicher nicht mehr hier sitzen werden und wahrscheinlich auch sonst nirgends. Dann ist die eigene Interessengemeinschaft anders betroffen, als wenn es um morgen geht. Es ist nicht der Machterhalt im Vordergrund, sondern das, wie Österreich aus­schauen soll. Man hat nicht die Tageszwänge, um darüber zu reden, wie ein moderner, föderalistischer österreichischer Staat sich in Zukunft entwickeln wird.

Ich hoffe, dass dazu einmal ein paar Leute bereit sind – ein paar mehr, als es heute schon sind, denn ich weiß, dass die Landeshauptfrau zu jenen gehört, die zu so einer Debatte ihren Beitrag leisten, und ich weiß in meiner Fraktion einige, die dazu bereit sind, wie auch in anderen Fraktionen. Auch in der ÖVP weiß ich welche, die dazu be­reit sind, über den heutigen eigenen Tellerrand hinauszuschauen.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen ... (Ruf bei den Grünen: Wir auch!) – Genau, das habe ich ja schon lobend erwähnt. – In diesem Sinne wünsche ich uns allen einen wirklich modernen Föderalismus in der Zukunft. (Beifall bei der SPÖ und bei Bun­desräten von ÖVP und Grünen sowie des Bundesrates Zangerl.)

11.42


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Frau Landeshauptfrau Mag. Burgstaller hat sich noch einmal zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihr.

 


11.42.23

Landeshauptfrau von Salzburg Mag. Gabi Burgstaller: Sehr geschätzter Herr Mi­nister! Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist mir ein Anliegen, zu zwei The­men quasi eine Richtigstellung vorzunehmen.

Erstens (in Richtung Bundesrätin Mühlwerth): Frau Bundesrätin, ich möchte nicht, dass im Raum stehen bleibt, die Länder haben sich bei der Schuldenbremse durchgesetzt, weil ich glaube, dass das genau die Falle ist, in die die Politik ständig geht. Ich habe


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 47

mich auch nicht gefreut, dass der ORF das so getextet hat. Ich habe mich Tag und Nacht bemüht, dass wir eine gemeinsame Lösung finden, weil ich finde, dass wir auch eine gemeinsame Verantwortung haben: Bund und Länder.

Es ist für jeden nachvollziehbar – und für den Bund war es eigentlich eine kurze Dis­kussion –, dass es nicht so sein kann, dass jedes Bundesland für das Budget eines an­deren Bundeslandes verantwortlich ist; so viel muss ich ehrlich sagen. Wir bemühen uns seit Jahren! Seit ich in der Salzburger Politik bin, haben wir die Schulden reduziert. Zugegeben, in der Krise mussten wir sie leider auch ausweiten, unsere Schuldenquote ist aber 20 Jahre lang gefallen. Und dann sehe ich, ehrlich gesagt, nicht ein, warum ich für Bundesländer wie Punkt, Punkt, Punkt – Sie wissen, welche es sind (Bundesrat Mag. Klug: Hypo! – Bundesrätin Mühlwerth: Wien!); na ja, Kärnten und Niederöster­reich sind zurzeit führend – eine Solidarhaftung übernehmen soll. Ich glaube, das ver­steht jeder, und das ist auch so abgeschlossen worden.

Ich finde, dass wir in einer Zeit einer unglaublichen politischen Verunsicherung die Verantwortung haben, zu zeigen, was uns eint, und nicht, was uns trennt. Und das war meine Absicht dahinter. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen sowie des Bundesrates Pirolt.)

Für Salzburg kann ich nur sagen: Wir haben die Schuldenbremse jetzt schon gezogen, nicht 2012, sondern schon in den Jahren vorher. Wir brauchen dafür nicht 2017. Aber wir wissen genau, dass wir zwei Dinge zu tun haben: Das eine ist die Beruhigung der Finanzmärkte – das ist akut – und das Zweite ist die Erkenntnis, dass wir nicht auf Kosten nächster Generationen leben können. Die hätten wir schon früher haben kön­nen! Ich gehöre zu denen – Sie werden es vielleicht wieder als überparteilich bezeich­nen –, die schon lange fragen, auch wenn das bei den Sozialdemokraten nicht unbe­dingt immer üblich war: Wer soll das alles einmal bezahlen? Oder auch – anderes Bild –: Wenn wir in der strukturellen Verschuldung nicht achtgeben, dann haben wir ir­gendwann keinen Spielraum mehr. Oder drittens: Wenn wir so viele Schulden ma­chen – und das Geld geben uns ja die Bürger nicht direkt mit ihren Sparbüchern –, dann bedeutet das eine permanente Umverteilung nach oben. Das ist eigentlich die Schuldenpolitik, und das ist eine Erkenntnis für Sozialdemokraten, die ich auch für we­sentlich halte. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Zweites Thema: Landeshauptleutekonferenz. Ich sage ja manchmal unter Anführungs­zeichen, das ist ein „illegales“ Treffen, was die Verfassung betrifft, aber andererseits ist es zulässig, sich zu treffen und sich in seiner Politik zu koordinieren. Ich finde, es wird da rundherum viel zu viel Getue gemacht. Warum sollten wir uns nicht abstimmen ge­genüber dem Bund?

Ich glaube, dass die Stärke der Landeshauptleutekonferenz sozusagen das zweite Ge­sicht dazu ist, dass der Bundesrat keine Länderkammer ist, sondern eigentlich eine Bundeskammer. Hand aufs Herz, das ist doch so, oder? Daher ist es so, dass die Lan­deshauptleute in ihrer Konferenz nicht Parteien im Vordergrund haben (Zwischenruf der Bundesrätin Junker), sondern – ganz wesentlich! – bei den Landeshauptleuten geht es um die Landesinteressen. Das sollten Sie einfach wissen.

Und da teile ich den Vorschlag Ihrer Präsidentin: Wenn es im Bundesrat weniger um Parteiinteressen ginge, dann wäre wahrscheinlich der Bundesrat mehr eine Länder­kammer, und dazu ... (Bundesrat Kneifel: Aber die Landeshauptleutekonferenz könnte einmal einen Verfassungsvorschlag, dass man das ändert, vorlegen!) – Das Dilemma ist, dass wir uns ja selbst nicht einig sind. (Heiterkeit.)

Ich kann Ihnen nur so viel sagen: Ich diskutiere in unserer Partei zwei Themen. Ich ha­be mich mit meinen Kollegen über Jahre bemüht, zu erreichen, dass wir den Bundesrat tatsächlich aufwerten, und ich hätte auch Aufgaben, die wir jetzt haben – bis zu dem,


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 48

dass wir dann keine Landeshauptleutekonferenz mehr brauchen –, eingebracht. Reali­ter ist es so, dass viele nicht wollen, dass der Bundesrat aufgewertet wird. (Bundes­rätin Mag. Neuwirth: Genau das ist es!) Dann war mein Vorschlag: Dann schaffen wir ihn ab! – Das wird leider auch nicht geteilt, sage ich, obwohl ich finde – Hand aufs Herz, seien Sie einmal ganz ehrlich zu sich selbst! –, wenn es in Österreich eine dies­bezügliche Volksabstimmung geben würde, gäbe es keinen Bundesrat mehr. (Bundes­rat Gruber: Viele andere Sachen auch nicht mehr!) Und so ehrlich muss man sein: Das muss ein Alarmzeichen sein! (Unruhe im Saal.)

Das wollte ich einfach sagen zu den Landeshauptleuten. Ich bin auch überzeugt da­von, dass, wenn man die Bevölkerung fragen würde: Brauchen wir Landtage mit eige­ner, nämlich großer, Gesetzgebungsbefugnis?, sie genauso nein sagt.

Daher bin ich in der Politik: nicht um etwas schönzureden, sondern um manchmal auch die Wahrheit zu sagen, damit sie andere vielleicht aufrüttelt. Daher würde ich meinen, wenigstens im Bundesrat soll es in den wenigen Kompetenzbereichen um Landesin­teressen gehen und nicht um andere.

Ich lese Ihnen zum Schluss etwas Weises vor. Ich habe da so ein Büchlein (die Red­nerin hält ein Buch hoch) vom sehr geschätzten Herrn Professor Welan. Ich weiß nicht, ob er jemals im Bundesrat war, aber er war Wiener Stadtrat der ÖVP. Ich schätze ihn sehr, und so etwas kann man in Österreich auch noch über die Parteigrenzen hinweg sagen. Das ist übrigens ein tolles Büchlein, das kann man so nebenbei in der Pause lesen. Er hat Folgendes gesagt:

Der Bundesrat war meist Regierungskammer, manchmal Oppositionskammer – das war, als die SPÖ mit den Grünen dann eine Mehrheit hatte –, selten Länderkammer, immer Parteienkammer. Dieser Parteien-Bundesrat wurde für die einen Vorzimmer der Macht – für die Jungen wahrscheinlich –, für die anderen das Ausgedinge nach der Macht. Daher gibt es für die Parteien keinen großen Kummer mit der kleinen Kammer.

Wie wahr, oder? (Beifall des Bundesrates Schreuder.)

Damit schließe ich und wünsche Ihnen trotzdem alles Gute, und vor allem, dass Sie Ihre politische Verantwortung täglich wahrnehmen. – Danke. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

11.48


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Weitere Wortmeldungen dazu liegen mir nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Die Debatte ist ge­schlossen.

11.48.10 Antrag gemäß § 16 Abs. 3 GO-BR

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Ich gebe bekannt, dass von den Bundesräten Mag. Susanne Neuwirth, Gottfried Kneifel, Kolleginnen und Kollegen gemäß § 21 der Geschäftsordnung des Bundesrates der Selbständige Antrag 187/A-BR/2011 auf Ab­haltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 66 der Geschäftsordnung des Bun­desrates zum Thema „Föderalistische Aspekte in der österreichischen Entwicklungszu­sammenarbeit“ eingebracht wurde.

Es wurde gemäß § 16 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates beantragt, die­sen Selbständigen Antrag ohne Ausschussvorberatungen in Verhandlung zu nehmen.

Ich lasse daher über den Antrag der Bundesräte Mag. Susanne Neuwirth, Gottfried Kneifel, Kolleginnen und Kollegen, den Antrag 187/A-BR/2011 auf Abhaltung einer par-


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lamentarischen Enquete gemäß § 66 der Geschäftsordnung des Bundesrates zum Thema „Föderalistische Aspekte in der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit“ ohne Vorberatungen durch einen Ausschuss unmittelbar in Verhandlung zu nehmen, abstimmen.

Hiezu ist eine Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen er­forderlich.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem vorliegenden Antrag der Bun­desräte Mag. Susanne Neuwirth, Gottfried Kneifel, Kolleginnen und Kollegen ihre Zu­stimmung geben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag, den Antrag 187/A-BR/2011 ohne Vorberatungen durch einen Ausschuss unmittelbar in Verhandlung zu nehmen, ist somit mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenom­men.

Ich werde daher die Tagesordnung um den Antrag 187/A-BR/2011 ergänzen und die­sen als 7. Tagesordnungspunkt in Verhandlung nehmen lassen.

11.50.20 Ergänzung der Tagesordnung und Abstandnahme
von der24-stündigen Aufliegefrist

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Ich schlage vor, die Tagesordnung gemäß § 41 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates um das Vorhaben im Rahmen der Eu­ropäischen Union gemäß Artikel 23e B-VG betreffend KOM (11) 635 endgültiger Vor­schlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Ge­meinsames Europäisches Kaufrecht (60696/EU, XXIV. GP) und SEK (11) 1166 endgül­tiges Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen Zusammenfassung der Folgen­abschätzung Begleitunterlage zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (61178/EU, XXIV. GP) zu ergänzen.

Hiezu ist ebenfalls eine Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stim­men erforderlich.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Vorschlag ihre Zustim­mung geben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen.

Ich werde daher die Tagesordnung um das genannte Vorhaben im Rahmen der Euro­päischen Union gemäß Artikel 23e B-VG ergänzen und als 8. und somit letzten Tages­ordnungspunkt in Verhandlung nehmen lassen.

*****

Weiters schlage ich vor, hinsichtlich des Ausschussberichtes 8609/BR d.B. über das Vorhaben über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht gemäß § 44 Abs. 3 der Ge­schäftsordnung des Bundesrates von der 24-stündigen Aufliegefrist abzusehen.

Hiezu ist ebenfalls eine Zweidrittelmehrheit erforderlich.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Vorschlag ihre Zustimmung geben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Vorschlag, von der 24-stündigen Aufliegefrist für den gegenständlichen Ausschussbericht Abstand zu nehmen, ist somit mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen.

11.52.51Einlauf und Zuweisungen

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Eingelangt sind und den zuständigen Ausschüs­sen zugewiesen wurden jene Beschlüsse des Nationalrates beziehungsweise jener Be-


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 50

richt, die beziehungsweise der jeweils Gegenstand der heutigen Tagesordnung sind beziehungsweise ist. Die Ausschüsse haben ihre Vorberatungen abgeschlossen und schriftliche Ausschussberichte erstattet.

Behandlung der Tagesordnung

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Aufgrund eines mir zugekommenen Vorschlages beabsichtige ich, die Debatte über die Tagesordnungspunkte 5 und 6 unter einem durchzuführen.

Wird dagegen eine Einwendung erhoben? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann wer­den wir so vorgehen.

11.53.20Ankündigung einer Dringlichen Anfrage

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Bevor wir in die Tagesordnung eingehen, gebe ich bekannt, dass mir ein Verlangen im Sinne des § 61 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf dringliche Behandlung der schriftlichen Anfrage der Bundesräte Jenewein, Kolleginnen und Kollegen betreffend mysteriöse Pannenserie bei den Tat­ortermittlungen im Fall Kampusch an die Frau Bundesministerin für Inneres vorliegt.

Im Sinne des § 61 Abs. 4 der Geschäftsordnung verlege ich die Behandlung an den Schluss der Sitzung, aber nicht über 16 Uhr hinaus.

*****

Ich habe die zuvor genannten Verhandlungsgegenstände sowie den Selbständigen An­trag 187/A-BR/2011 der Bundesräte Mag. Susanne Neuwirth, Gottfried Kneifel, Kolle­ginnen und Kollegen betreffend Abhaltung einer parlamentarischen Enquete zum The­ma „Föderalistische Aspekte in der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit“ und das Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union gemäß Artikel 23e B-VG be­treffend Gemeinsames Europäisches Kaufrecht auf die Tagesordnung der heutigen Sit­zung gestellt.

Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht? – Ich sehe, das ist nicht der Fall.

Damit gehen wir in die Tagesordnung ein.

11.54.481. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 19. Oktober 2011 betreffend ein Bundesgesetz über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten (Emissions­zertifikategesetz 2011 – EZG 2011) (1393 d.B. und 1460 d.B. sowie 8608/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Wir kommen zum 1. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Konrad. – Bitte.

 


11.55.03

Berichterstatter Klaus Konrad: Geschätzter Herr Präsident! Herr Minister! Liebe Kol­leginnen und Kollegen! Ich nehme meine Verantwortung wahr und bringe den Bericht des Umweltausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 19. Oktober 2011 betreffend ein Bundesgesetz über ein System für den Handel mit Treibhausgasemis­sionszertifikaten.

Der vorliegende Beschluss des Nationalrates enthält folgende wesentliche Elemente:

Ausweitung des Geltungsbereichs des EZG auf weitere Sektoren und Gase im Ein­klang mit den Vorgaben der Emissionshandels-Richtlinie,


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 51

Aufnahme der geänderten Grundsätze für die Zuteilung in einem eigenen Abschnitt und Verordnungsermächtigung für die Festlegung der detaillierten Vorschriften zur Be­rechnung der übergangsweisen kostenlosen Zuteilung von Emissionszertifikaten,

Bündelung der Bestimmungen über die Nutzung von Gutschriften zur Erfüllung der Verpflichtungen und Anpassung an die neuen unionsrechtlichen Vorgaben für die Han­delsperiode ab 2013 sowie

Aufnahme weiterer Änderungen, die sich aus der Richtlinie 2009/29/EG ergeben.

Der Umweltausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 29. November 2011 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Jenewein. – Bitte.

 


11.56.41

Bundesrat Hans-Jörg Jenewein (FPÖ, Wien): Meine sehr geehrten Damen und Her­ren! Herr Minister! Herr Präsident! Um es gleich vorwegzunehmen: Wir werden gegen den vorliegenden Gesetzentwurf stimmen, und zwar aus folgendem Grund:

Wenn Sie heute eine repräsentative Umfrage auf der Straße machen, wer aus der Be­völkerung sich etwas darunter vorstellen kann, was der Emissionshandel oder der Zer­tifikatshandel mit Emissionen überhaupt ist, dann werden Sie vermutlich kaum eine Antwort bekommen. Ich bin mir gar nicht sicher, ob alle Leute hier im Hohen Haus oder alle Mandatare hier im Haus wirklich wissen, worum es da im Detail geht. (Bundesrat Perhab: Außer in der FPÖ!) – Außer in der FPÖ, selbstverständlich! Aber wenn Sie mir zuhören, Herr Kollege, erkläre ich es Ihnen auch. Das ist auch kein Problem. (Zwi­schenruf des Bundesrates Mayer.)

Nein, ich will nicht sagen, dass wir Alleswisser sind, aber wir schlucken zumindest nicht alles, was uns vorgelegt wird. (Ironische Heiterkeit des Bundesrates Stadler.) Und wir haben uns Gott sei Dank noch die Eigenschaft bewahrt, dass wir selbständig denken und nicht in einem Klubdenken verhaftet sind, sodass wir selbst noch eigene Entschei­dungen treffen können.

Herr Kollege, ich weiß schon, dass Sie ... (Bundesrat Stadler: Da lachen sogar deine Kollegen!) – Wirklich? Haben sie mich ausgelacht? (Bundesrat Stadler: Das weiß ich nicht! Aus Respekt wahrscheinlich nicht!) – Na, das hoffe ich doch, dass das Respekt war. Von denen ist ja Respekt zu erwarten. Dass das von Ihnen nicht zu erwarten ist, ist mir klar.

Wir hören laufend sprachliche Vergleiche mit Krieg und Terror, wenn wir uns auf der anderen Seite mit den Aussagen jener Leute beschäftigen, die von Konferenz zu Kon­ferenz jetten, die sich mit Klimaschutz und Klimarettung und sonstigen Dingen ausein­andersetzen.

Ein besonderer Jünger dieser Klimaretter ist ein gewisser Al Gore – er dürfte allgemein bekannt sein: ehemaliger Vizepräsident, Nobelpreisträger, Filmemacher, Oscar-Preis­träger et cetera –, der so nebenbei auf 1 000 Quadratmetern Wohnfläche wohnt und ei­nen Jahresenergieverbrauch von 220 000 Kilowattstunden auf seinem Anwesen hat. Kürzlich hat er sich ein Haus am Meer gekauft, obwohl er selbst in seinen Publika­tionen und seinen Filmen berichtet, dass demnächst der Meeresspiegel ansteigen wird. Das heißt, sein Haus am Meer ist dann wahrscheinlich irgendwo ein Urlaubsziel für Tiefseetaucher. Und dieser Al Gore lebt absolut klimaneutral, zumindest behauptet er das von sich, denn er kauft Klimazertifikate von einer Firma, bei der er selbst Mitbe-


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gründer und Vorsitzender ist. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist Ablass­handel mit sich selbst. Vielleicht ist das ein Weg für die Zukunft und auch ein Weg, wie man die Finanzen Europas sanieren könnte. Das ist genau der Punkt, warum wir hier größte Bedenken haben.

Wir wissen aus dem Ausschuss, Österreich lukriert aus diesem Emissionshandel jähr­lich zwischen 150 Millionen € und 300 Millionen €, genau kann man es nicht sagen. Das ist jetzt keine sonderlich konkrete Angabe.

Insofern muss man sich auch die Frage stellen, ob es wirklich sinnvoll ist, mit solchen Zahlen in einen Ausschuss zu gehen und die Mandatare so zu informieren. Denn ein Rückschluss auf sinnvolle Art und Weise, wie dieses Geld in weiterer Folge verwendet wird, konnte auch nicht gemacht werden. Hier spricht man dann davon: Das läuft ins allgemeine Budget, das wird nicht zweckgebunden verwendet. – Das heißt, es ist im anderen Fall nichts anderes als eine Geldbeschaffungsaktivität und fällt in diesem Fall nur dem allgemeinen Budget zu. Dem können wir uns eigentlich nicht anschließen. (Vi­zepräsident Todt übernimmt den Vorsitz.)

Ein weiterer Punkt ist wahrscheinlich auch für den Herrn Umweltminister nicht unre­levant; ich hoffe, er geht dann näher darauf ein. Kanada hat vor Kurzem mitgeteilt, oder sagen wir so, Kanada hat zumindest nicht dementiert, dass die Gerüchte stimmen sollen, dass es demnächst aus dem Kyoto-Protokoll aussteigen will. Das ist ja durch al­le Medien gegangen. Das Einzige, was Umweltminister Kent dazu gesagt hat, ist, dass derzeit nicht der richtige Zeitpunkt ist, darüber zu sprechen. Das ist zumindest kein De­menti, also dürfte an den Berichten durchaus etwas dran sein.

Die zu erwartenden Kosten, die in Österreich entstehen, hat der Herr Minister in einer der letzten Sitzungen mit rund 600 Millionen € beziffert – ich glaube, die Zahl habe ich mir richtig gemerkt –, wenn wir die Klimaziele 2012 nicht erreichen sollten. 600 Mil­lionen €! Es gibt aber Apokalyptiker, die davon reden, dass das Doppelte auf uns zu­kommen wird, nämlich fast 1,3 Milliarden €. Das sind Ausgaben, die wir uns mit dieser Form der Klimapolitik für unser allgemeines Budget einhandeln werden, und es stellt sich die Frage, ob wir uns diesen Luxus in dieser Form auf Dauer überhaupt leisten sollten.

Wesentlich sinnvoller ist – und ich glaube, es gibt hier darüber einen Konsens zwi­schen allen Parteien –, dass es gute Gründe gibt, warum Kraftwerke in Zukunft weni­ger Emissionen ausscheiden sollen. Es gibt gute Gründe, warum man in erneuerbare Energien investieren sollte. Das ist alles nicht die Frage. Die Frage ist vielmehr, ob das Geld, das wir derzeit dafür aufwenden, um einem internationalen Prozess zugeteilt zu sein, der ohnehin von vielen Ländern, von vielen Industriestaaten der Welt nicht ernst­genommen wird, richtig verwendet ist und ob dieser Weg der richtige ist.

Wenn wir heute davon ausgehen – und das ist vor zwei Wochen im „Standard“ ge­standen –, dass Gelder, die aus diesem Zertifikathandel erwirtschaftet werden, für die Errichtung von Kohlekraftwerken in China verwendet werden und Kohlekraftwerke in China dadurch finanziert werden, dann stelle ich mir schon die Frage, was denn hier noch klimaneutral sein soll.

Auf der anderen Seite kauft Österreich Zertifikate aus Tschechien. Tschechien inves­tiert massiv in Atomkraftwerke, in AKWs, das heißt, wir finanzieren dort AKWs oder zu­mindest den Ausbau weiterer AKWs mit. Das ist der Umkehrschluss dieser Geschichte. Ich denke, dass hier ein Zurück an den Start zumindest überlegt werden sollte und dass es in dieser Frage auch keine Denkverbote geben soll.

Abschließend möchte ich hier noch etwas zitieren, was ich im Zuge der Recherche zu diesem Thema gefunden habe. Das zeigt ein bisschen ein Sittenbild, wie diese Ge­schichten weltweit teilweise ernstgenommen werden.


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 53

Da schreibt zum Beispiel der deutsche „Focus“ – das ist durchaus eine ernstzuneh­mende Zeitung, und sie steht nicht im Verdacht, der FPÖ nahezustehen, ich glaube, da stimmen Sie mir zu –, dass Australien mit dem Abschlachten rülpsender Kamele zur Klimarettung beitragen will. Der Vorschlag, für die getöteten Paarhufer CO2-Zertifikate auszugeben, kommt nächste Woche – das war im Juni – ins Parlament und hat schon Zuspruch von allen Parteien. Die Zertifikate können im In- und Ausland an Firmen ver­kauft werden, die Verschmutzungsrechte brauchen.

Das hat mit ernsthafter Klimapolitik eigentlich nichts zu tun. Da wäre es ehrlicher, wenn man sagt, es geht hier um Geldbeschaffungsaktivitäten, es geht um Geldbeschaffungs­aktionen. Man kann auch durchaus sagen, es geht darum, dass man in Entwicklungs­ländern Entwicklungshilfe leistet. Aber das Ganze unter dem Deckmantel des Emis­sionshandels zu verstecken, das ist nicht nur auf der einen Seite unehrlich, sondern das zeigt auch, dass dieser Emissionshandel im Endeffekt, ohne wirklich der Umwelt zugute zu kommen, im allgemeinen Budget versickert.

Deshalb werden wir dem nicht zustimmen. (Beifall bei der FPÖ.)

12.04


Vizepräsident Reinhard Todt: Als Nächste gelangt Frau Bundesrätin Diesner-Wais zu Wort. – Bitte.

 


12.04.20

Bundesrätin Martina Diesner-Wais (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Prä­sident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren im Bundesrat! Zum Klima­schutz und zur CO2-Einsparung gehören das Klimaschutzgesetz, das wir ja in der letz­ten Sitzung schon verabschiedet haben, und auch der Emissionszertifikatshandel un­trennbar zusammen. So wie zu einem Baum die Blätter gehören, gehört auch das zu­sammen. Dieses Gesetz steigert das Bemühen, unsere Industrie am Klimaschutz teil­haben zu lassen und sich auch zu integrieren.

Für mich ist wichtig: Dieses Emissionszertifikategesetz bringt endlich eine Chancen­gleichheit in ganz Europa. Es gibt nun also europaweit gleiche Regeln und gleiche Be­dingungen, und das ist für ein einzelnes Land wie Österreich sehr wichtig. Es wird zu­künftig nicht mehr die Gratiszuteilungen für alle geben, sondern sie werden nach ge­wissen Benchmarks verteilt.

Leider können wir damit keine weltweite Chancengleichheit herbeiführen. Stark produ­zierende Länder wie China, Indien und Südamerika nehmen den Klimaschutz nicht als ihr vordringliches Ziel; nein, das ist für sie, glaube ich, überhaupt kein Ziel. Daher müs­sen wir besonders in Österreich aufpassen, die Balance zu finden, dass jene Industrie, die sehr stark mit Energieverbrauch beschäftigt ist, die viel Energie braucht, nicht ab­wandert, sondern hier bei uns bleibt. Da gilt es eben, den Spagat zwischen Wirtschaft, Industrie und auch Klimaschutz zu schaffen.

Ich glaube, das ist in diesem Gesetz ganz gut gelungen, denn wir können auf unsere österreichischen Betriebe stolz sein. Unsere Betriebe in Österreich zählen zu jenen, die am energieeffizientesten arbeiten und daher mit diesem Benchmarksystem, das jetzt kommen soll, auch einverstanden sind. Nein, sie haben es sogar gewollt und können dadurch auch Vorbilder für alle anderen Länder sein.

Die abwanderungsgefährdete Industrie bekommt weiterhin ihre Gratiszuteilungen. Das ist besonders wichtig, denn damit können wir die Arbeitsplätze in unserem Land si­chern, dass sie nicht gefährdet sind.

Die energieproduzierende Industrie, sozusagen aus fossilen Energiequellen, muss die Zertifikate in Zukunft kaufen beziehungsweise ersteigern. Dadurch entstehen auch neue Wettbewerbsverhältnisse zur erneuerbaren Energie, was ein wichtiger Faktor auch für unser Land ist.


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 54

Herr Bundesminister Berlakovich, ich möchte mich dafür bedanken, dass du gut ver­handelt hast, dass die Kyoto-Ziel-Verfehlungen, die bis 2013 anfallen, von der Finanz­ministerin beglichen werden. In der nächsten Periode ist ja das gesteckte Ziel an CO2-Einsparungen nicht mehr so hoch wie in dieser Periode, daher können wir erwarten, dass auch die Maßnahmen, die jetzt mit dem Klimaschutzgesetz gesetzt werden, zu greifen beginnen und daher weniger Kyoto-Ziel-Verfehlungen anfallen.

Als Bundesländervertreterin möchte ich festhalten, dass es auch Beteiligungen der Bundesländer am Zertifikatsverkauf geben muss. Erst vor zwei Tagen ist bei der Lan­desfinanzreferenten-Konferenz vereinbart worden, dass die Finanzfragen weiter im Ge­spräch bleiben werden, mit der Basis, dass 50 Prozent des Überlinks auf die Erlöse aus den Zertifikatsverkäufen und ‑versteigerungen den Ländern für deren Aufwendun­gen für die Maßnahmen, die sie setzen, zur Verfügung gestellt werden.

In diesem Sinne wollen wir heute dem Emissionszertifikategesetz zustimmen, denn es hilft uns, im Klimaschutz zusammen mit dem Klimaschutzgesetz und dem Ökostrom­gesetz Bedingungen zu schaffen, dass in Österreich auch weiterhin ein gutes Klima für unsere nächsten Generationen vorherrscht. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

12.08


Vizepräsident Reinhard Todt: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Schweigkofler zu Wort. (Bundesrätin Kerschbaum: Spricht er auch contra? – Weitere Zwischenrufe.)

Entschuldigung: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Kerschbaum. Ich erteile ihr das Wort. (Bundesrätin Kerschbaum – auf dem Weg zum Rednerpult –: Wenn der Kollege hätte contra reden wollen, dann wäre er dran! Vielleicht hätten wir ihn davon überzeugt!)

 


12.09.13

Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum (Grüne, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Jenewein, auch wir sind skeptisch, oder auch ich bin skeptisch gegenüber dem System des Emis­sionszertifikatehandels. Ich würde es aber jetzt nicht ganz so krass ausdrücken, und ich bin es nicht allein wegen Al Gore, weil er zu viele Emissionen verursacht. Ich mei­ne, im Prinzip hat das System schon seine Mucken und Macken, das ist keine Frage, aber es ist nicht an allem schuld.

Es ist nicht schuld daran, dass wir in Europa daran festgehalten haben, dass AKWs klimaneutral wären. Das sind sie nämlich nicht! Da könnte man sich auch dafür ein­setzen, dass Atomstrom nicht immer als „CO2-frei“ gehandelt wird, das ist er bekannt­lich nicht.

Das Emissionszertifikategesetz kann auch nichts dafür, dass wir unsere Klimaziele ab­solut verfehlt haben. Ich glaube, wir brauchen gar nicht darüber zu reden, ob wir 2012 vielleicht doch noch irgendwie auf eine Gesamtsumme kämen, die wir versprochen haben. Daran ist der Emissionszertifikatehandel nicht schuld. Natürlich gibt es da eine gewisse Verzerrung, und natürlich kann man es auch ein bisschen mit Ablasshandel vergleichen. Sinn und Zweck der Geschichte ist aber letztendlich, dass es einen Anreiz bietet, auf CO2-ärmere Methoden umzusteigen, ob es jetzt in der Energieproduktion oder in der Industrie ist. Ich denke schon, dass dieser Anreiz doch auch etwas bewirkt hat, ich würde das nicht ganz abstreiten.

Warum wir heute nicht zustimmen, wurde auch schon einmal kurz angesprochen. Aber unser Hauptgrund ist, dass die Mittel, die hier lukriert werden – und das sind zusätzli­che Mittel, in welcher Höhe auch immer –, nicht zweckgebunden werden. Das heißt, wir haben jetzt das Problem, dass unsere bisherige Klimapolitik leider nicht ausrei­chend untermauert war, ob mit gutem Willen oder auch mit Geld.


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 55

Jetzt würde zumindest Geld kommen. Wenn man guten Willen dazugäbe, könnten wir darauf achten, dass es künftig vielleicht doch gelingt, dass wir Ziele einhalten und nicht dafür zahlen, nicht für Ablasshandel zahlen. Aber diese Mittel, die wir hier zur Verfü­gung haben – und da geht es doch um 600 Millionen bis zu 1 Milliarde €, irgendwo da­zwischen –, werden einfach ins Budget laufen.

Ich habe mich gefreut, als ich beim letzten Mal gehört habe, es gäbe noch einmal Ver­handlungen aufgrund der Empfehlung der Umweltreferenten-Konferenz. Offenbar sind diese im Sand verlaufen. Ich habe voriges Mal hier am Podium versucht, Näheres da­rüber zu erfahren, warum es verschoben worden ist, aber nicht einmal diese Auskunft habe ich bekommen. Offenbar sind also diese Verhandlungen leider gescheitert.

Ich glaube nicht, dass es das Hauptziel sein muss, dass jetzt die Länder 50 Prozent und der Bund 50 Prozent bekommen. Hauptziel muss sein, dass es zielgerichtet einge­setzt wird, damit wir eben künftig unsere Strafzahlungen oder unsere Zahlungen für die Verfehlung unserer Ziele nicht mehr zu „pecken“ haben, sondern dass man einfach vorher schon investiert – das wird eine Menge Geld kosten, um einigermaßen auf die Linie zu kommen, auf der wir fahren sollten –, dass wir diese Mittel jetzt schon zur Ver­fügung stellen.

Ein Punkt, der gerade bei der Klimaschutzdebatte leider immer wieder untergeht: Wir reden jetzt von Emissionszertifikaten, da funktioniert es einigermaßen – nicht perfekt, aber doch einigermaßen. In einem Bereich, in dem auch sämtliche Klimaschutzberichte es bestätigen, funktioniert es leider überhaupt nicht, und das ist der Verkehr. Die Ver­kehrsemissionen steigen und steigen und steigen, und wir bremsen sie nicht ein.

Insofern finde ich es ganz witzig, dass Herr Bartenstein jetzt sagt, wir mögen bei den ÖBB einsparen. Keine Frage, es gibt Einsparungspotenzial bei den ÖBB, aber jetzt 3 Milliarden bei den ÖBB zu vermuten, und das sei mehr oder weniger die Rettung der Finanzen, das finde ich schon sehr eigenartig. Noch vor einigen Jahren – das ist gar nicht so lange her, es war 2008 – hat genau dieser Herr Bartenstein, damals Minister, in Verbindung mit der E-Control, über die E-Control gefordert, dass man öffentliche Verkehrsmittel künftig gratis zur Verfügung stellt.

Das ist vielleicht auch eine überzogene Forderung gewesen, aber ich glaube, dass man wirklich in diesen Bereich massiv hineingehen muss, denn sonst werden wir in den nächsten hundert Jahren keine Klimaschutzziele erreichen. Ich weiß schon, Herr Umweltminister, Sie sind nicht direkt zuständig für den Verkehr, aber möglicherweise sollten Sie doch auch in diesem Bereich, so wie beim Emissionszertifikatehandel, An­reize setzen. Ich glaube, diese sind in Österreich ganz besonders wichtig.

Wie gesagt: Was uns bei dieser Gesetzesvorlage fehlt, ist die Zweckbindung. Deshalb können wir nicht zustimmen.

12.14


Vizepräsident Reinhard Todt: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Schweigkofler. Ich erteile es ihm.

 


12.14.23

Bundesrat Johann Schweigkofler (SPÖ, Tirol): Herr Präsident! Herr Minister! Meine geschätzten Kolleginnen und Kollegen! Ich teile auch teilweise die Skepsis meiner Vorrednerin und meines Vorredners: Wenn man den Emissionszertifikatehandel ge­nauer hinterfragt, dann gibt es schon einige Probleme. Ich denke aber, darauf hat jetzt auch die EU reagiert, und zwar im Jahre 2009 mit einer neuen Richtlinie, die sie ja im Jahre 2003 erstmals vorgelegt hatte.

Wir müssen eigentlich zurückgehen auf das Jahr 1997: Kyoto. Ausgehend von diesen damaligen, völkerrechtlich verbindlichen Richtlinien, die man sich selbst auferlegt hat,


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 56

ist dann die erste Richtlinie gekommen, und aus dem heraus dann 2004 das erste EZG in Österreich. Ich glaube, die EU hat eben erkannt, dass es hier Probleme gibt, und hat neue Richtlinien erlassen, vor allem vor dem Hintergrund dessen, dass es auch neue klimapolitische Ziele geben soll. Man möchte ja gerne bis 2020 um 20 Prozent redu­zieren. Es sollen die Emissionszertifikate genauso reduziert werden. Letztendlich soll­ten sie ja – das ist das Idealziel – gegen null gehen, sodass dieser Handel dann nicht mehr stattfinden soll.

Man hat dann Folgendes festgelegt: 50 Prozent des Zieles sollten innerhalb der ein­zelnen Nationalstaaten erreicht werden, und 50 Prozent der Vorgaben kann man auch im Ausland erreichen. Wenn man da die Literatur liest, dann dürfte das mit China schon ein bisschen stimmen, das Ganze, was da passiert.

Was steht in dem Neuen? – In dieser Richtlinie steht zusätzlich drin, es kommen jetzt auch unionseinheitliche Regelungen und Vorschriften. Das ist äußerst positiv.

Unser EZG 2011 setzt ebendiese Richtlinien um. Es gibt einen neuen Mechanismus über die Verteilung. Bisher waren die Zertifikate gratis, jetzt müssen zum Beispiel die Energieunternehmen 100 Prozent der Zertifikate ersteigern. Es gibt also das Grund­prinzip der Versteigerung, und zwar nicht die Versteigerung in den einzelnen National­staaten, sondern es gibt eine einheitliche Behörde dafür, damit das zentral abläuft.

Weiterhin bekommen Industriesektoren auch noch gratis Zertifikate. Vor allem sind das jene, die abwanderungsgefährdet sind. So hat man in Europa geschaut, dass nicht Sektoren ins Ausland oder in Länder in Übersee abwandern, dorthin, wo die Klimaziele und die Klimapolitik einfach nicht so einen hohen Standard haben wie bei uns in Öster­reich oder auch in Europa. Diese Zertifikate, die vorerst noch gratis hergegeben wer­den, werden bis 2020 Zug um Zug auf 30 Prozent reduziert. Und wie es in den Zielen drinsteht: Bis 2027 sollte das Ganze dann gegen null gehen.

Diese nationalen Verteilungspläne gibt es in Zukunft nicht mehr, sondern es werden die einzelnen Nationalstaaten ihre Berechnungen nach Brüssel melden, und es gibt ei­ne zentrale Behörde, die dann wieder die Zertifikate verteilt. Es gibt auch harmonisierte Vorschriften für die neuen Marktteilnehmer und Markteinsteiger. Aus dem Gesamttopf werden 5 Prozent für neue Marktteilnehmer und für Erweiterungen der Anlagen reser­viert.

Man hat gesehen, dass es in der Abwicklung der Vorschriften Probleme gegeben hat. Diese sind im neuen EZG 2011 bereinigt worden, sodass man sagen kann, es ist ein äußerst positives Gesetz. Dem werden wir Sozialdemokraten auch schon deshalb zu­stimmen, weil man geschaut hat, dass Firmen nicht abwandern. Das ist für unsere Ar­beitnehmer wichtig.

Ich denke allerdings, die Klimapolitik ist eine Gesamtpolitik, und so sollte man sie ge­rade auch bei uns weiter fortführen. Wir wissen, wo wir die Probleme haben: Wir haben die Probleme im Verkehr, und wir haben die Probleme bei der Energie in den Häusern.

Da gibt es auch – Gott sei Dank, möchte man fast sagen – Best-Practice-Beispiele. Ich darf als Ländervertreter eines erwähnen: Das Land Tirol hat im Jahre 2009, also am Höchststand der Wirtschaftskrise, aufgrund einer Initiative der Bau- und Holzarbeiter­gewerkschaft ein Programm geschnürt. Für eine Sanierungsoffensive hat es damals 127 Millionen € ausgegeben, hat dafür aber Arbeiten in der Höhe von 445 Millionen € lukriert! Das heißt, 1 €, der über die Wohnbauförderung subventioniert wurde, hat letzt­endlich 3,5 € ausgelöst. Und was ist das Ergebnis? – 88 000 Tonnen CO2 werden da­mit pro Jahr eingespart! Ich glaube, das ist ein sehr gutes Beispiel, das man in den einzelnen Ländern fortsetzen sollte. Das ist Länderbefugnis, das kann also jedes Land für sich machen.


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 57

Ich denke auch, dass gerade die Gemeinden sehr bemüht sind, Energiemaßnahmen zu setzen, wenn wir, sage ich immer wieder, einen Anreiz dafür bekommen. Das gab es bei uns auch, dass vor vier Jahren das Land gesagt hat: Wenn die Gemeinden ihre Gemeindegebäude sanieren, werden sie dafür zu 20 Prozent bezuschusst. Es hat eine Welle von Sanierungsmaßnahmen an Gemeindegebäuden, Schulen und so weiter ge­geben, auch das ist wieder positiv.

Ich darf sagen, Herr Minister, auch das Ökostromgesetz hat schon einiges ausgelöst. Nur ein kleines Beispiel aus meiner Gemeinde: eine Photovoltaikanlage aufs Dach des Schulhauses, 155 000 € an Kosten, in elf Jahren amortisiert, und wir sparen wieder sehr viel CO2 ein. Das Beste daran ist, dass die Schüler jeden Tag, wenn sie ins Schulhaus gehen, das an einer großen Tafel ablesen: Wir haben heute oder gestern so und so viel CO2 eingespart.

Die Auswirkungen all dieser Maßnahmen sind in Österreich also positiv, aber wir sind damit nicht am Ende angelangt. Wir müssen weiterarbeiten, und wir werden diesem Gesetz daher zustimmen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten der ÖVP.)

12.20


Vizepräsident Reinhard Todt: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Zangerl. Ich erteile es ihm. (Zwischenruf bei der ÖVP.)

 


12.20.41

Bundesrat Stefan Zangerl (ohne Fraktionszugehörigkeit, Tirol): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzter Herr Minister! Hohes Haus! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Emissionshandel soll ab dem Jahr 2013 auf neue Beine gestellt werden. Die Än­derung bringt mit sich, dass ab übernächstem Jahr die Verschmutzungsrechte nicht mehr zum Großteil gratis sein werden, sondern in Versteigerungen erworben werden müssen. Die Erlöse fließen dann offensichtlich dem Bund zu. Ich halte jedoch eine Zweckbindung dieser Erlöse für Klimaschutzmaßnahmen in Österreich für unabdingbar und bedauere, dass dies nicht im Gesetz vorgesehen ist.

Zu hinterfragen sind auch die künftigen Ausnahmen. Bei energieintensiven Branchen, bei denen – wie der Kollege schon gesagt hat – bei großen finanziellen Belastungen eine Abwanderung aus dem EU-Raum droht, sind sogar weiterhin 100 Prozent Gratis­zertifikate möglich. Ebenfalls Freimengen gibt es bei energieeffizienten Anlagen. Strom­erzeuger sind hingegen verpflichtet, 100 Prozent ihrer Zertifikate zu ersteigern.

Verbunden mit diesem Emissionshandel muss aber das Klimaschutzgesetz schluss­endlich doch gesehen werden. Es soll verbindliche Bund- wie auch Ländervereinba­rungen für mehr Energieeffizienz, zur stärkeren Nutzung erneuerbarer Energieträger sowie für den Klimaschutz, für die Raumplanung, für das Mobilitätsmanagement und für die Abfallvermeidung bringen. Eingerichtet wird dazu ein Nationales Klimaschutz­komitee mit Ministerien, Ländern und Sozialpartnern samt einem Expertenbeirat, das zur Erarbeitung von Strategien herangezogen werden soll.

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Dieses Gesetz kommt mir trotzdem ein biss­chen leer vor. So heißt es im Gesetz, dass bei Nichterreichen der Klimaziele „auf Basis einer Evaluierung der gesetzten Maßnahmen umgehend weitere Verhandlungen über die Stärkung bestehender oder Einführung zusätzlicher Maßnahmen zu führen“ seien.

Sie sagen, es ist beschlossen, dann gratuliere ich Ihnen. Gut! Schauen wir einmal! Es wird aber nicht konkretisiert, wie diese Maßnahmen nun tatsächlich ausschauen – und das wäre interessant, Herr Minister. Positiv ist die Einführung von Höchstmengen von Treibhausgasemissionen, und zwar in Sektoren. Welche Sanktionen es bei der Über­schreitung gibt, muss erst festgelegt werden. Fakt ist, dass die Länder bis Ende 2012 nicht belangt werden können.


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 58

Österreich muss die Ziele der EU-Richtlinie bis 2020 erreichen. Das heißt, wir müssen den Ausstoß an Klimagasen um 20 Prozent senken. Die Energieeffizienz müssen wir um 20 Prozent steigern, und den Anteil an erneuerbarer Energie müssen wir auch auf 20 Prozent bringen. Bei letzterem Ziel ist Österreich offensichtlich EU-Meister – mit jetzt schon mehr als 30 Prozent. (Zwischenruf der Bundesrätin Kerschbaum.) Ein effi­zienterer Energieeinsatz soll mit den Vorgaben eines eigenen Gesetzes erreicht wer­den.

Der härteste Brocken – so will mir scheinen – wird aber der Klimaschutz sein. Zuletzt wurde Österreich ja vorgeworfen, seine im Kyoto-Protokoll eingegangenen Verpflich­tungen zu verfehlen – das heißt, minus 13 Prozent im Zeitraum von 2008 bis 2012; tat­sächlich plus 2,4 Prozent. Die Kyoto-Bedingungen werden durch Investitionen im Aus­land und durch Zukauf von Verschmutzungszertifikaten im Wert von ungefähr 530 Mil­lionen € – wenn es wahr ist – erfüllt.

Woher die Beiträge zum Klimaschutz kommen müssen, zeigt die Statistik der Verur­sacher. Jene der Wirtschaft beziehungsweise der Energieerzeuger werden durch das Emissionshandelssystem der EU erfasst – die Erzeuger von Stahl, Zement, Ziegel, Pa­pier und Strom müssen diese Verschmutzungszertifikate erwerben –, als großer Bro­cken bleiben aber der Verkehr und die Raumwärme.

Hohes Haus! Der weltweite CO2-Ausstoß hat 2010 nach kurzer Erholung im Krisen­jahr 2009 ein Allzeithoch erreicht. Der Weltklimarat der Vereinten Nationen hat einen neuen Statusbericht vorgelegt: Überschwemmungen, Dürren und ansteigende Meeres­spiegel werden das Leben hunderttausender, ja von Millionen Menschen noch unsi­cherer machen. Die Europäer – das haben wir auch schon besprochen – erwarten ei­nen Temperaturanstieg von zwei bis fünf Grad, doch das lässt uns – angesichts des bestehenden Problemgemenges – offensichtlich kalt.

Auch wenn Experten streiten, ob und in welchem Ausmaß der Klimawandel menschen­gemacht ist, sind Gegenmaßnahmen doch ein Gebot der Stunde. Wir vergeuden zu viele Ressourcen und auch viel zu viel Geld, das wir offensichtlich leider am falschen Platz ausgeben. Wir sollten es sinnvoller einsetzen, nämlich für neue kohlenstoffarme, lebensfreundliche Technologien und damit für neue Arbeitsplätze – und da gebe ich den Grünen recht. In sie zu investieren kann der Wirtschaft über die drohende Kon­junkturdelle hinweghelfen.

Aber wo investieren wir? – Die Industriestaaten haben im Jahr 2010 laut OECD Erdöl, Erdgas und Kohle um 409 Millionen US-Dollar gefördert. Ebenso wenig halte ich von der Strategie, Lebensmittel zu verspriten und sie damit zum Tanken heranzuziehen. Das ist für mich umweltpolitischer Unsinn und verteuert unsere Lebensmittel noch mehr. Neben den Spekulanten sind es die Biokraftstoffe, die die Lebensmittel so ver­teuern.

Geschätzte Zuhörer! Mit 25 Kilo Getreide kann man 30 Kilo Brot backen. Damit kommt eine vierköpfige Familie 10 Wochen aus. Man kann aber mit der gleichen Menge nur 10 Liter Biosprit produzieren, das sogenannte Ethanol. Mit einem sparsamen Mit­telklassewagen legt man damit gerade einmal 114 Kilometer zurück – und dennoch werden weltweit angesichts steigender Rohölpreise immer mehr Getreideäcker für den Anbau von Biospritpflanzen genutzt. Damit fehlen riesige Anbauflächen für Nahrungs­mittel. Die Folgen spüren die Konsumenten jetzt schon: Die Preise für Grundnahrungs­mittel wie Mehl steigen an, und in den ärmeren Ländern wird gehungert.

In Österreich werden derzeit jedem Liter Benzin 5 Prozent Biosprit beigemischt. Ich glaube, bis 2012 sollen es 10 Prozent werden, um unsere EU-Klimaziele zu erreichen. (Zwischenruf bei der ÖVP.) Geschätzter Herr Minister! Ich vertrete die Meinung: Le­bensmittel gehören auf den Teller, sie gehören nicht in den Tank. Das ist ein Irrweg.


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 59

Meiner Meinung nach ist es ein Missbrauch der Schöpfung, wenn man mit Lebensmit­teln so umgeht. Wir, das Bürgerforum Tirol, sagen Nein zu diesem Bioschmäh, der in Wirklichkeit eine riesige Lebensmittelverschwendung darstellt und an dem einige weni­ge verdienen. Gott bewahre unsere grundehrlichen, fleißigen und auch unterbezahlten Bauern vor so einer Entwicklung! – Ich danke für die geschätzte Aufmerksamkeit. (Zwi­schenruf bei der ÖVP.)

12.28


Vizepräsident Reinhard Todt: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Dipl.-Ing. Berlakovich. Ich erteile es ihm.

 


12.28.44

Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Dipl.-Ing. Nikolaus Berlakovich: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am Montag hat in Durban in Südafrika die Weltklimakonferenz begonnen. Auf Einladung der Vereinten Nationen sind 190 Staaten und diverse andere Institutionen dabei. Ziel ist, den Klimawandel zu bekämpfen, Klimaschutz zu machen und dass die ganze Welt mittut.

Derzeit ist die Lage so – das Kyoto-Protokoll wurde schon besprochen –, dass dem Kyoto-Protokoll zufolge nur die Europäische Union und ein paar andere Industriestaa­ten wie Kanada, Japan und Australien Verpflichtungen haben, Treibhausgase zu redu­zieren. Die großen Emittenten wie China, USA, Russland und Indien haben derzeit kei­ne Verpflichtungen, Treibhausgase zu reduzieren.

Wie entstehen Treibhausgase? – Sie entstehen durch die Verbrennung von fossilem Öl, Gas und Kohle. Dadurch steigt die Welttemperatur, und das UNO-Wissenschaf­tergremium sagt: Wenn die Welttemperatur Ende dieses Jahrhunderts mehr als zwei Grad Celsius ansteigt, treten extreme Wetterphänomene auf, die die Welt nicht mehr lebenswert machen – Hochwasser, Dürren, und, und, und in Afrika, in Asien, aber auch in Europa. Daher müssen wir mit vereinten Kräften den Klimawandel bekämpfen.

Jetzt ist es so, dass das Kyoto-Protokoll 2012 ausläuft und es ab 2013 keine interna­tionalen Verpflichtungen mehr gibt, Treibhausgase zu reduzieren. Bis jetzt sind die Ein­zigen, die bis 2020 Verpflichtungen eingegangen sind, die Länder der Europäischen Union. Österreich und die 27 EU-Mitgliedstaaten sind die einzige Region der Welt, die sich bereits jetzt verpflichtet hat, in den nächsten 10 Jahren Treibhausgase zu reduzie­ren, nämlich im Ausmaß von 20 Prozent. Der Rest der Welt nicht.

Der restlichen Länder sagen, dass sie freiwillig etwas machen, das ist aber nicht aus­reichend. Der UNO und auch der Europäischen Union geht es in Durban darum, dass in einem völkerrechtlich verbindlichen Weltklimaschutzabkommen vertraglich festgehal­ten wird, dass jeder einzelne Staat der Welt Treibhausgase reduziert.

Die Menschen in Österreich werden natürlich zu Recht sagen: Wir kleines Österreich müssen Treibhausgase einsparen, und die großen Verursacher wie China, USA und Russland machen nichts! Daher ist es das Ziel der Europäischen Union, in Durban
ein derartiges Weltklimaschutzabkommen zu erreichen, denn wenn das Kyoto-Proto­koll 2012 ausläuft, gibt es keine Nachfolgeregelung, und das kann es nicht sein.

Das ist ein harter Weg, weil viele Länder gar nichts oder zu wenig tun wollen und sich beim Klimaschutz auch nicht kontrollieren lassen wollen. Das ist das Ansinnen, und man darf diesen Prozess auch nicht abreißen lassen, denn es gibt Skeptiker, die sa­gen, das mit dem Klimawandel sei alles nicht so. Egal, was jemand sagt: Es ist trotz­dem richtig, auf erneuerbare Energien zu setzen, es ist trotzdem richtig, Umwelt und Wirtschaft zu vereinen.

Mein Anliegen ist, zu zeigen, dass ökologisches Verhalten sich ökonomisch rechnet. Wer in die Wirtschaft investiert, profitiert auch beim Umweltschutz. Ökologie und Öko-


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 60

nomie bringen etwas, nämlich Green Jobs, neue Arbeitsplätze, deren Zahl in Öster­reich sogar steigt. In der Krise, als Menschen ihren Arbeitsplatz verloren haben, ist die Zahl der Green Jobs gestiegen, und diese Strategie verfolgen wir auch weiterhin.

Wie steht es in Österreich mit dem Kyoto-Protokoll? – Wir erreichen heute unsere Kyoto-Verpflichtungen in der Abfallwirtschaft, wir erreichen sie in der Landwirtschaft, bei den fluorierten Gasen; wir erreichen die Kyoto-Ziele derzeit nicht im Verkehr, nicht bei der Raumwärme und nicht in der Wirtschaft.

Eines zum Verkehr, weil Sie, Herr Kollege Zangerl, das vorhin angesprochen haben: Wir müssen auch im Verkehr unsere Treibhausgasreduktionsziele erreichen. Dabei gibt es mehrere Wege. Ein Weg ist es, dem fossilen Treibstoff Biotreibstoffe beizumi­schen. Richtig ist – und darum ersuche ich Sie um Differenzierung –: Wir sind dage­gen, dass Dschungel in Brasilien, in Malaysien, in Indonesien gerodet wird und der Bio­sprit dann über tausende Kilometer zu uns kommt. Das wäre falsch, denn gerade in diesen Regionen hungern die Menschen.

Wir haben aber in Europa selbst ein gewisses Potenzial, um Biotreibstoffe zu erzeu­gen. Klar ist, dass es die erste Aufgabe der Landwirtschaft ist, die Menschen zu er­nähren. Es ist völlig übertrieben, zu sagen, wenn wir dem fossilen Sprit 10 Prozent Bio­treibstoffe beimischen – wie es im Übrigen ja auch EU-Ziel ist –, dann verhungern bei uns in Österreich die Menschen. Das glaubt ja niemand, das ist auch nicht der Punkt. (Bundesrat Zangerl: Habe ich auch nicht gesagt!) – Das haben Sie nicht gesagt, nein, aber es wird von manchen so dargestellt. Das ist falsch, denn alle anderen müssen sa­gen, wie wir im Verkehr die Treibhausgase reduzieren sollen. Hier wurde zu wenig ge­macht (Zwischenruf der Bundesrätin Kerschbaum), und genau deswegen war es ja die Intention, ein Klimaschutzgesetz zu machen.

Ich habe gehandelt, weil in Österreich die Anstrengungen in den einzelnen Sektoren zu gering waren und das lediglich darauf reduziert wurde, dass man gesagt hat, die Um­weltbewegten sollen beim Klimaschutz etwas tun. Jetzt zeigt sich, dass wir in den ein­zelnen Sektoren die Klimaschutzziele nicht erreichen. Daher war es mir ein Anliegen, im Rahmen des Klimaschutzgesetzes – das vom Bundesrat im Übrigen bereits be­schlossen wurde – die Bundesländer ins Boot zu bekommen. Das ist mir nach dreijäh­rigen harten Verhandlungen gelungen.

Es war mir auch wichtig, dass die Bundesstellen, die für Verkehr und Wirtschaft zu­ständig sind, und die anderen Ministerien, die für Klimaschutzsektoren Bedeutung ha­ben, im Boot sind, dass der Klimaschutz in Österreich verbindlich wird, dass man ernst­haft versucht, diese Ziele zu erreichen. Das Kyoto-Ziel ist ein sehr ehrgeiziges Ziel, und wir sind eben derzeit nicht auf Zielerreichungspfad, daher ist es mir ein Anliegen, dass wir bereits jetzt schauen, möglichst viel vom Kyoto-Ziel zu erreichen.

Das Klimaschutzgesetz wirkt ja auch in die nächste Periode, in den nächsten zehn Jahren, dass wir uns gemeinsam anstrengen, in den einzelnen Sektoren zu zeigen, dass sich Umweltschutz rechnet, wirtschaftlich einen Erfolg bringt. Vor allem geht es darum, dass wir Lebensqualität für die Gegenwart und für kommende Generationen absichern. Eine florierende Wirtschaft nützt nichts, wenn unser Land oder die Welt nicht mehr lebenswert ist, daher brauchen wir beides: lebenswerte Umstände und eine funktionierende Wirtschaft. Das ist die Intention des Klimaschutzgesetzes.

Im Klimaschutzkomitee, das inhaltlich im Gesetz verankert ist, sind wir erstmals zu­sammengekommen – die Bundesländervertreter, die Ministerien, die Sozialpartner –, und dort haben wir gesehen, wie zäh sich das Ganze gestaltet, dass manche sich noch widersetzen, Klimaschutz zu machen. Das ist traurig, und ich appelliere an alle, die Verantwortung in den Sektoren Verkehr, Wirtschaft und Raumwärme zu übernehmen, damit wir die Klimaschutzziele erreichen und dadurch für die Menschen die Lebensbe-


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 61

dingungen sichern. Klar ist: Der Klimaschutz geht uns alle etwas an, wir brauchen auch die Mithilfe der Bürger, der Menschen, dass sie hier ihren Beitrag leisten.

Ein wichtiger Punkt dabei ist das Gesetz, das wir jetzt diskutieren, das Emissionszerti­fikategesetz. Man kann über das Für und Wider dieses Systems streiten, das muss schon diskutiert werden, aber Faktum ist, dass wir derzeit nichts Besseres haben. Es wird beim Emissionszertifikatehandel der Versuch unternommen, dass die Wirtschaft, die Industrie in Europa Klimaschutzziele erfüllt, dass sie aber gleichzeitig wirtschaftlich überleben kann.

Auch mir als Umweltminister ist es wichtig, dass die Menschen einen Arbeitsplatz in Österreich haben, denn international ist es ein Wettbewerbsnachteil, wenn sich die Stahlindustrie in Europa Klimaschutzzielen unterwirft und die chinesische, die amerika­nische und die indische Stahlindustrie keine Verpflichtungen haben. Daher wurde das Emissionszertifikatehandelssystem geschaffen.

Bisher haben derartige Industriebetriebe Gratiszertifikate bekommen, die der Bund bezahlt hat. Ich sage das an die Adresse der Länder, weil sie jetzt gesagt haben, sie wollen auch einen Teil des Geldes haben. Bisher hat der Bund die ausschließliche Fi­nanzierung dieses Systems übernommen. Seitens des Umweltministeriums haben wir den Unternehmen Zertifikate gratis zur Verfügung gestellt, damit sie wirtschaften kön­nen, nach dem Motto: Wer wirtschaftet und Emissionen freisetzt, muss ein Zertifikat haben, sonst darf er das nicht tun! Wenn jemand kein Zertifikat hat, muss er es erstei­gern oder bekommt es zugeteilt.

Das ist das System! Es soll jene Industrieunternehmen belohnen, die in den Umwelt­schutz investieren, denn dann brauchen sie weniger Emissionszertifikate und können sich das ersparen. So funktioniert das System! Das soll sicherstellen, dass wir im inter­nationalen Wettbewerb wettbewerbsfähig bleiben und unsere Industrie in Europa nicht unter die Räder kommt.

Bei der Fortentwicklung – und daher war die Novelle wichtig – geht es darum, dass wir das System neu ordnen; das wurde schon von einigen Rednern erwähnt. Die Elek­trizitätswirtschaft muss jetzt zum Beispiel auch Zertifikate ersteigern, und es sind nur mehr jene Sektoren ausgenommen, die einem brutalen internationalen Wettbewerb un­terliegen, sogenannte Carbon-Leakage-Betriebe, die abzuwandern drohen, wenn der Wettbewerbsdruck zu groß wird. Daher ist es wichtig, dass wir dieses System überneh­men.

Österreich hat da federführend mitgearbeitet, weil es sich für ein Benchmarksystem eingesetzt hat. Der Orientierungsmaßstab sind die besten Unternehmen Europas – da­runter sind viele österreichische Unternehmen –, an diesen Unternehmen orientieren sich alle anderen; sie müssen so gut werden, wie die besten Unternehmen in Europa. Nach diesem System wurde der Zertifikatehandel organisiert, das neue System gibt es ab 2013. Da werden Einnahmen entstehen, und um diese ist es in den Verhandlungen gegangen.

Diese Einnahmen hätte das Lebensministerium gerne, hätte das Wirtschaftsministe­rium gerne, hätten die Bundesländer gerne – das verstehe ich. Wir haben uns zum ei­nen aber darauf geeinigt, dass das Finanzressort die Gelder bekommt; zum anderen ist auch vorgesehen – lesen Sie sich bitte das Gesetz durch! –, dass das Geld ins­besondere für Klimaschutzmaßnahmen und auch für internationale Verpflichtungen verwendet wird.

In den Verhandlungen um das Klimaschutzgesetz wurde sichergestellt, dass die Bun­desländer aus dem Kyoto-Protokoll keine finanziellen Verpflichtungen haben. Wir wer­den nach unseren Schätzungen im Jahr 2012 in etwa 600 Millionen € bezahlen müs­sen, wenn wir die Klimaziele nicht erreichen. Die Frage ist die: Wer zahlt das? Zahlt


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 62

das der Bund, zahlt das ein Ministerium oder zahlen das die Länder? In den Ver­handlungen wurde sichergestellt, dass die Länder aus dem Kyoto-Protokoll keine Ver­pflichtungen haben, und daher ist es auch gerechtfertigt, dass die Einnahmen aus dem Zertifikatehandel das Finanzressort bekommt, das dann ja auch diese Zahlungen über­nimmt. Es ist festgelegt, dass das Finanzressort diese möglichen 600 Millionen € über­nimmt.

In Südafrika werden vor allem auch weitere internationale Verpflichtungen diskutiert. Die Einrichtung eines Green Climate Fund ist erfolgt. Das ist ein internationaler Fonds, aus dem Klimaschutzbemühungen in Entwicklungsländern finanziert werden. Die Ent­wicklungsländer wollten bei der letzten Klimakonferenz Geld sehen, und wir als Indus­triestaaten haben gesagt, so könne es nicht sein, es müsse zuerst die Konstruktion dieses Green Climate Fund auf dem Tisch liegen, man müsse wissen, für welche Pro­jekte das Geld verwendet wird, und erst dann, wenn alle Bedingungen fix sind, sind die Industriestaaten bereit, Geld in die Hand zu nehmen.

Laut Schätzungen sind bis zum Jahr 2020 100 Milliarden US-Dollar jährlich dafür notwendig, und das werden die Industriestaaten dann bezahlen. Wenn auch auf Öster­reich Verpflichtungen zukommen, soll dieses Geld aus den Einnahmen aus dem Zertifi­katehandel kommen. Das wurde so festgelegt, und ich bitte, das in den Verhandlungen auch zu berücksichtigen, wenn die Bundesländer Anteile dieses Geldes fordern.

Abschließend: Mir ist es wichtig, dass wir den Klimaschutz als eine Chance begreifen, Österreich noch ökologischer zu machen, als eine Chance, dass die Wirtschaft Impulse bekommt, Green Jobs schafft und dass wir vor allem die Lebensqualität für die Men­schen absichern können. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der ÖVP.)

12.40


Vizepräsident Reinhard Todt: Zu Wort gemeldet ist als Nächster Herr Bundesrat Temmel. Ich erteile es ihm.

 


12.40.27

Bundesrat Walter Temmel (ÖVP, Burgenland): Sehr geehrter Herr Präsident! Ge­schätzter Herr Minister! Werter Herr Staatssekretär! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unbestritten ist, dass weltweit anerkannte Expertengutachten voraussagen, dass die Emission von Treibhausgasen die globale Mitteltemperatur bis zum Jahre 2100 um 1,4 bis 5,8 Grad Celsius erhöhen wird. Deshalb wird eine Stabilisierung des Anstieges um maximal zwei Grad Celsius angestrebt.

Zur besseren Erreichung dieses Zieles soll neben vielen anderen Aktivitäten und Aktio­nen die völlig überarbeitete Emissionshandelsrichtlinie der EU beitragen. Österreich setzt diese durch das neue Emissionszertifikategesetz 2011 in nationales Recht um. Vorgesehen sind unionsweit geltende einheitliche Vorschriften für die Zuteilung von Emissionszertifikaten und eine jährlich sinkende Höchstmenge. Ziel ist es, die Emissio­nen in der Energieproduktion und in der Großindustrie in der Handelsperiode von 2013 bis 2020 im Vergleich zu 2005 unionsweit um 21 Prozent zu reduzieren.

Zertifikate waren bisher weitgehend gratis, ab 2013 müssen sie per Versteigerung er­worben werden. Wie bereits erwähnt, müssen Stromerzeuger, die Energie aus fossilen Energieträgern gewinnen, ab 2013 100 Prozent ihrer Zertifikate ersteigern. Dadurch er­halten wir neue Wettbewerbsverhältnisse zwischen erneuerbaren Energieträgern und fossiler Herstellung. Andere Anlagenbetreiber erhalten zunächst weiterhin Gratiszertifi­kate. Maßgebend sind die effizientesten Anlagen und die Verlagerungsgefahr des je­weiligen Industriesektors. Solche Anlagen können Gratiszertifikate von 100 Prozent er­halten, nicht verlagerungsgefährdete Sektoren erhalten 80 Prozent. Dieser Wert wird bis 2020 auf 30 Prozent verringert. 2027 endet die kostenlose Zuteilung von Emissions­zertifikaten in der EU.


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 63

Wichtig ist dabei, dass mit diesem Gesetz der Klimaschutz europaweit ein Regelwerk bekommt. Da dieses Gesetz gut geplant und ausverhandelt ist und österreichische Unternehmen sehr gut liegen, findet es auch die Zustimmung der Industrie. Ganz wich­tig ist dabei, dass Arbeitsplätze gesichert werden und Unternehmen nicht in andere Staaten abwandern, die nicht so strenge Umweltauflagen haben.

Aus den Versteigerungen von Emissionszertifikaten sind zusätzliche Einnahmen zu er­warten. Je nach Entwicklung des Preises ist ab 2013 mit Einnahmen von 210 bis 350 Mil­lionen € pro Jahr zu rechnen.

Geschätzte Damen und Herren! Dieses Gesetz ist eine weitere notwendige Ergänzung zum Ökostrom- und Klimaschutzgesetz, das wir in der letzten Sitzung beschlossen ha­ben. Damals habe ich auf das Modell Güssing und die Umsetzung von Klima- und Energieregionen in Österreich hingewiesen, die von unserem Minister Niki Berlakovich initiiert wurden.

Das Emissionszertifikategesetz 2011 wird zu einer Reduktion der Emissionen beitra­gen. Aus Verantwortung der nächsten Generation gegenüber werden wir diesem Ge­setz selbstverständlich zustimmen. (Beifall bei der ÖVP.)

12.44


Vizepräsident Reinhard Todt: Zu Wort gemeldet ist als Nächste Frau Bundesrätin Kerschbaum. Ich erteile es ihr.

 


12.44.17

Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum (Grüne, Niederösterreich): Ich wollte nur abstrei­ten, dass ich die Rede dem Kollegen Zangerl geschrieben habe. (Heiterkeit bei der ÖVP.) Nein, mir fällt schon noch ein bisschen mehr dazu ein.

Herr Minister, so, wie Sie die Geldflüsse dargestellt haben, haben wir ein Problem. Wir haben eine ganze Menge Schulden. Alle neuen Einnahmen, die wir jetzt mit diesen Emis­sionszertifikaten lukrieren – die hätten wir früher auch schon versteigern können –, ge­hen in die Rückzahlung der Schulden.

Für alle neuen Projekte – und wir werden Geld brauchen, damit wir in die richtige Rich­tung kommen – müssen wir wieder einzeln verhandeln und bitten und betteln, damit etwas weitergeht. (Zwischenbemerkung von Bundesminister Dipl.-Ing. Berlakovich.) – Doch! Das wird so sein, denn der Rest ist nicht zweckgewidmet, das steht nicht im Ge­setz. Die Richtlinie der EU hätte es zugelassen, sogar empfohlen, aber es ist nicht in das Gesetz geschrieben worden, dass die Mittel zweckgebunden für den Klimaschutz eingesetzt werden.

Das Thema Biosprit ist in den Raum gestellt worden. Bio ist an diesem Sprit bekannt­lich nichts, er heißt deshalb üblicherweise Agrosprit. In diesem System sehe ich nicht wirklich eine Chance, dass wir die Emissionen im Verkehrsbereich ernsthaft in den Griff bekommen. Es wird sicher nicht so funktionieren, dass wir sagen, dass jeder, der mit dem Auto fährt, eben im Tank 10 Prozent Agrosprit dazubekommt. Ganz im Ge­genteil: Das wird am System nichts ändern. Was wir im Verkehr brauchen, ist eine Sys­temänderung.

Sie beklagen bei der Klimabilanz zwar den Tanktourismus immer wieder, aber nach wie vor freut sich die Finanzministerin über Einnahmen aus Umsatzsteuer und Mineral­ölsteuer aus dem Tanktourismus. Da denke ich mir schon, dass es in diesem Bereich sehr wohl Möglichkeiten gäbe, und zwar durch ein ökologisches Steuersystem, das nicht nur kassiert, sondern auf der anderen Seite auch in umweltfreundlichen Verkehr investiert.

Umweltfreundlicher Verkehr ist zum Beispiel Elektromobilität, da machen Sie ein bisschen etwas. Aber die effizienteste Elektromobilität ist nach wie vor die Bahn. In die-


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 64

sem Bereich geschieht leider nach wie vor wenig. Herr Bartenstein sagt, wir sollen ge­rade bei den ÖBB die 3 Milliarden einsparen; keine Frage, bei den ÖBB gibt es Ein­sparungspotenzial, aber nicht in diesem Ausmaß. Meine Meinung dazu ist: Wenn wir im Klimaschutz etwas weiterbringen wollen, müssen wir gerade im Bereich der Schiene und der Versorgung der Bevölkerung mit öffentlichem Verkehr massiv investieren. Mit Agrosprit alleine werden wir die Emissionsprobleme im Verkehr sicher nicht lösen. (Beifall des Bundesrates Zangerl.)

12.47


Vizepräsident Reinhard Todt: Zu Wort gemeldet ist als Nächster Herr Bundesrat Lampel. Ich erteile es ihm.

 


12.47.07

Bundesrat Michael Lampel (SPÖ, Burgenland): Sehr geschätzter Herr Präsident! Werter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Wenn man bei einem Tagesordnungspunkt am Schluss der Debatte und auch noch nach einem Bundesminister spricht, sind sämtliche Argumente natürlich bereits vorgebracht wor­den. (Ruf bei der ÖVP: Dann ist alles schon gesagt!)

Aus meiner Sicht ist dieses Emissionszertifikategesetz wie das Klimaschutzgesetz, das letztes Mal beschlossen worden ist, wieder ein sehr wichtiger Schritt nach vorne im Be­reich der Klimapolitik.

Ich möchte nur auf zwei Punkte eingehen: Einerseits stimmt es, dass die Einnahmen aus dieser Versteigerung dem Bund zufallen, aber sie sollten schon im Sinne der öster­reichischen Umwelt- und Klimapolitik verwendet werden.

Das Zweite, auf das wir besonders achten müssen – Frau Kollegin Diesner-Wais hat es bereits erwähnt –, ist, dass Produktionsstätten, die energieintensiv arbeiten, nicht in andere Gebiete abwandern, wo es nicht so strenge Umweltauflagen gibt, wo nicht so streng kontrolliert wird. Daher ist es wichtig, dass durch dieses Bundesgesetz für ab­wanderungsgefährdete, energieintensive Industrien Gratiszertifikate möglich sind und damit Arbeitsplätze gesichert werden können.

Wichtig wird in der Umweltpolitik aber auch hinkünftig sein, dass man Unternehmen, die in die Umwelt investieren, die durch den Einsatz von moderner Technik umwelt­schonend produzieren, entsprechend unterschützt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion wird diesem Bundesgesetz über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten, dem Emissionszertifika­tegesetz 2011, auf jeden Fall zustimmen.

Wie bereits eingangs erwähnt: Lieber ein kleiner Schritt nach vorne als gar kein Schritt. Allerdings werden weitere Schritte im Sinne der Klima- und Umweltpolitik für Österreich folgen müssen. – Danke. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

12.49


Vizepräsident Reinhard Todt: Weitere Wortmeldungen hiezu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen nun zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

*****


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 65

Ich begrüße im Bundesrat Herrn Staatssekretär Ostermayer. (Bundesminister Dipl.-Ing. Berlakovich: Ich verabschiede mich!) – Danke. Wir verabschieden Herrn Bundes­minister Berlakovich. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

12.50.142. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 15. November 2011 betreffend ein Bundesge­setz, mit dem ein EU-Vollstreckungsamtshilfegesetz und ein Bundesgesetz, mit dem zusätzliche Mittel für das Wärme- und Kälteleitungsausbaugesetz bereitge­stellt werden, erlassen sowie das Einkommensteuergesetz 1988, das Körper­schaftsteuergesetz 1988, das Umgründungssteuergesetz, das Grunderwerbsteu­ergesetz 1987, das Investmentfondsgesetz 2011, das Immobilien-Investment­fondsgesetz, das Stiftungseingangssteuergesetz, die Bundesabgabenordnung, das Zollrechts-Durchführungsgesetz, das Gerichtsgebührengesetz, das Nieder­lassungs- und Aufenthaltsgesetz, das Fremdenpolizeigesetz 2005, das Datenschutz­gesetz 2000, das Gesundheits- und Ernährungssicherheitsgesetz, das Bundes­museen-Gesetz 2002, das Wasserstraßengesetz, das Bundesgesetz über das Ös­terreichische Forschungs- und Prüfzentrum Arsenal Gesellschaft mit beschränk­ter Haftung, das Austria Wirtschaftsservice-Gesetz und das Außenhandelsge­setz 2011 geändert werden (Budgetbegleitgesetz 2012) (1494 d.B. und 1500 d.B. sowie 8602/BR d.B. und 8603/BR d.B.)

 


Vizepräsident Reinhard Todt: Wir gelangen nunmehr zu Punkt 2 der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Lampel. Ich bitte um den Bericht. (Ruf bei der ÖVP – in Richtung des den Saal verlassenden Bundesministers Dipl.-Ing. Berlakovich –: Ich verteidige dich !)

 


12.50.32

Berichterstatter Michael Lampel: Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Liebe Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Ich bringe den Bericht des Finanzaus­schusses über den Beschluss des Nationalrates vom 15. November 2011 betreffend Budgetbegleitgesetz 2012.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor; ich komme daher sogleich zur Antrag­stellung.

Der Finanzausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 29. November mit Stimmen­mehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Ein­spruch zu erheben.

 


Vizepräsident Reinhard Todt: Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Mag. Pisec. Ich erteile es ihm.

 


12.51.17

Bundesrat Mag. Reinhard Pisec (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn wir die Wirt­schaft global betrachten und in Segmente unterteilen – in die Realwirtschaft, die Fi­nanzwirtschaft und die Staatswirtschaft –, ist die Realwirtschaft der produktive Teil des Gesamtkomplexes, jener Teil, der am meisten zum Bruttoinlandsprodukt und damit zur Wirtschaftsleistung Österreichs beiträgt. Das sind die Tausenden österreichischen Kleinst-, Klein- und Mittelbetriebe, die insgesamt zirka 63 Prozent österreichischer Ex­porte und damit zwei Drittel des gesamten BIP ausmachen.

Wenn wir die Finanzwirtschaft betrachten, dann hat das schon eine andere Relation. Die Finanzwirtschaft zeigt, dass eigentlich der Staat einer der größten Börsenspieler ist und die Finanzwirtschaft am meisten bedient, zu diesem Punkt komme ich aber später.


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 66

Der dritte Punkt ist die Staatswirtschaft. Die Staatswirtschaft hat sich in den letzten drei Jahren durch eine katastrophale Performance ausgezeichnet, die beispiellos in der ös­terreichischen Geschichte ist. Dazu ein paar Daten: Die Cash-Verschuldung beträgt bereits 219 Milliarden € ohne Haftung, die Zinsen – das ist bekanntlich ein Sinnlos­posten – betragen bereits 9 Milliarden €, und die Neuverschuldung ist für nächstes Jahr wieder mit 10 Milliarden € prognostiziert. Diese Neuverschuldung liegt 10 Prozent über den Einnahmen.

Wir Freiheitlichen halten diese Schuldenbremse für absolut sinnlos, weil sie immer mit Verhältniszahlen zum Bruttoinlandsprodukt operiert. Wesentlich realistischer wäre es, Sie würden sich einer ganz banalen Einnahmen-Ausgaben-Rechnung annehmen, da­mit die Ausgaben einfach nicht höher sein dürfen als die Einnahmen. Dann kämen Sie zu wesentlich realistischeren Zahlen. Das Bruttoinlandsprodukt ist eigentlich eine Re­lativzahl, die man so und so darstellen kann. Sie päppeln das Bruttoinlandsprodukt ja künstlich auf, indem Sie permanent Fremdkapital von der Börse lukrieren. Sie sind ja – das habe ich zuvor erwähnt – der größte Börsenspieler an der Wiener Börse, über zwei Drittel des gesamten Emissionsvolumens handelt der österreichische Staat mit seinen Obligationen und Anleihen. Diese permanente Präsenz des österreichischen Staates an der Börse bedingt, dass die Kleinst- und Kleinbetriebe natürlich zurückgedrängt werden, weil sie ja die hauptgehandelten Zertifikate, Derivate und so weiter darstellen.

Ich darf auch gleich zu einem Punkt dieser Budgetbegleitgesetze kommen, und zwar zur Änderung des Körperschaftsteuergesetzes. Sie schreiben in der Begründung der Regierungsvorlage – ich zitiere –:

„Die Erweiterung soll insbesondere sicherstellen, dass auch ihrer Natur nach riskantere Investments, wie nicht verbriefte Derivate, besteuert werden, und so keine Anreize zum Erwerb solcher riskanten Investments durch Körperschaften öffentlichen Rechts ge­setzt werden.“

Punkt eins: Mit fremden Geldern sollte man überhaupt nicht spekulieren.

Punkt zwei ist, dass Sie diese Investments überhaupt verbieten sollten. Wie kann es ei­gentlich möglich sein, dass Körperschaften öffentlichen Rechts überhaupt solche Spe­kulationen durchführen dürfen? Ich erinnere an die Stadt Wien, die ja mit Fremdwäh­rungsspekulationsgeschäften 300 Millionen € in den Sand gesetzt hat, was ein Grund dafür ist, dass in Wien die Gebührenlawine rollt. Bereits über 70 Prozent sind von der rot-grünen Stadtregierung beschlossen worden. Dies lehnen wir Freiheitlichen vehe­ment ab!

Das Bruttoinlandsprodukt ist auch deswegen als Indikator nicht geeignet, weil nomi­nelles und reales BIP oft verwechselt werden. Die Inflation wird bekanntlich erst im Nachhinein ausgewiesen, und das BIP wird nominell prognostiziert, ohne die Inflation abzuziehen. Je höher Sie das BIP ausweisen, desto besser kommen Sie auch mit Ihrer Schuldenbremse zurecht. Das sind aber keine realen, sondern fingierte Zahlen. Auf reale Zahlen kommt man mit einer ganz banalen Einnahmen-Ausgaben-Rechnung.

Kombinieren könnten Sie diese Einnahmen-Ausgaben-Rechnung mit einer Ausgaben­quote, die in Österreich bereits 53 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmacht. Das heißt, dass der Staat omnipräsent ist und die Höchststeuersätze viel zu hoch sind. Mit dem Steueraufkommen, das Sie lukrieren, müssten Sie eigentlich ein wesentlich höhe­res BIP ausweisen, es müsste viel stärker nach oben steigen, wenn Sie die Wirt­schaftsleistung wirklich erfassen würden. Dies tun Sie aber nicht. Das ist ein Zeichen dafür, dass Sie mit niedrigeren Steuern, mit Steuersenkungen, ein wesentlich höheres BIP, eine höhere Wirtschaftsleistung schaffen würden. Daher fordern wir eine Entlas­tung der Wirtschaft in allen Bereichen. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenruf bei der ÖVP.)


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 67

Das betrifft die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer, das betrifft beide Seiten. Sehen wir uns die lohnabhängigen Abgaben an: Es hat sich bei den sozialpartnerschaftlichen Verhandlungen gezeigt, dass bei 100 € Zulage mit dem geringsten Steuersatz von 36,5 Prozent der Arbeitnehmer um die 53 € erhält und der Arbeitgeber insgesamt über 130 € zahlen muss. Also liegen die Lohnnebenkosten und die Lohnabgaben bei ins­gesamt über 150 Prozent, und da schlägt Sie in ganz Europa außer Frankreich keiner.

Daher fordern wir Freiheitlichen, dass Sie sich endlich der Sorgen und Nöte der öster­reichischen Bürgerinnen und Bürger, der Wirtschaft, der Unternehmerinnen und Unter­nehmer annehmen, auf eine massive Entlastung hinarbeiten und die Bürger entlasten.

Sie als Staat benötigen den Finanz- und Kapitalmarkt, Sie bedienen ihn. Man muss Frau Landeshauptfrau Burgstaller, so sehr sie in einem Punkt Interessantes gesagt hat, in diesem Sinne widersprechen, denn nicht die Finanzwirtschaft bedient den Staat, sondern umgekehrt benötigt die Staatswirtschaft den Finanzmarkt dringender als je zuvor. Das ist aber nicht der Sinn des Kapitalmarktes, denn der Kapitalmarkt ist dazu da, dass sich die Wirtschaft, die Realwirtschaft, finanziert, refinanziert und das Fremd­kapital, aber auch das Eigenkapital holt. Mit Fremdkapital kann man die Wirtschafts­leistung nicht ankurbeln. Das bleiben ominöse, das bleiben fingierte Zahlen, sehr ge­ehrter Herr Staatssekretär!

Arbeit wird in Österreich viel zu hoch besteuert. Freiheitliches Denken ist auch ein leis­tungsgerechtes Denken. Es kann nicht sein, dass die Staatswirtschaft mit dermaßen hohen Defiziten das ganze System ins Wanken bringt, so wie den Euro, der ursprüng­lich sicherlich eine gute Idee war. Der Euro wird aber dann zu seinem Ende kommen, wenn Sie der Abwertung des Euro – das können Sie aber gar nicht steuern – nicht mehr entgegenwirken können.

Es ist für österreichische Exporteure nicht leicht, mit einem Euro zu arbeiten, der der­maßen hohen Volatilitäten ausgesetzt ist. Sie können es gerne mit der zweiten Leit­währung, dem US-Dollar, in dem bekanntlich zwei Drittel aller Waren gehandelt wer­den, vergleichen. In Euro wird ein Drittel aller Waren gehandelt, der Anteil ist aber stark abnehmend. Sogar der US-Dollar und die viel kritisierten Amerikaner zahlen am Anlei­henmarkt wesentlich weniger Zinsen für zehnjährige Treasuries.

Frau Kollegin Winzig, Triple-A hin oder her – das war Ihr Zwischenruf vom letzten Mal; das können Sie gleich selbst beurteilen –: Für österreichische Anleihen, um jetzt die Emissionen am Markt unterzubringen, müssen Sie über 3,7 Prozent Zinsen zahlen; der Eckzinssatz liegt bekanntlich bei 1,25 Prozent. (Zwischenruf des Bundesrates Stein­kogler.) Die Zinsen steigen und steigen, und damit wird die Bonität Österreichs schlech­ter und schlechter.

Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Dieser Verantwortung können Sie sich nicht entzie­hen, das ist einer der Auswüchse der Politik der Bundesregierung, die Sie vor allem in den letzten zehn Jahren geleistet haben – zu Lasten der Bürger und Bürgerinnen, zu Lasten der Unternehmer. (Bundesrat Kraml: Vor zehn Jahren wart ihr aber noch da­bei! – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Aus diesem Grund lehnen wir das Budgetbegleitgesetz ab. Es ist einfach nicht zu­kunftsorientiert, sondern vergangenheitsorientiert und mit weiteren Belastungen, mit ei­ner weiteren Verschuldungsquote verbunden, was absolut unverständlich ist. – Danke. (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrat Lindinger: Nestbeschmutzung ist das!)

13.00


Vizepräsident Reinhard Todt: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Steinkogler. – Bitte.

 



BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 68

13.00.21

Bundesrat Josef Steinkogler (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Geschätzte Damen und Herren! Herr Kollege Pisec, es ist nicht gut, wenn man in Österreich alles schlechtredet. Ich glaube, die Zeiten sind schwierig genug, und es ist sicherlich nicht konstruktiv, das zu machen. Es ist ja ein altes Spiel von Ihnen, dass man auf der einen Seite gegen das Budgetbegleitgesetz ist, dass man über die Schulden schimpft, aber dann gegen die Schuldenbremse eintritt. Und wenn Sie die ganze Zeit sagen, es muss entlastet werden, dann wissen Sie auch: Entlas­tungen kosten Steuereinnahmen und erhöhen das Defizit und die Schulden. – Und das geht sich nicht aus. Das ist eine populistische Ansage. Aber ich glaube, die Zeiten sind zu ernst, als dass wir hier dieses Spiel und ein Vernebeln der Tatsachen betreiben.

Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates wurden beziehungsweise werden begleitend zur Erstellung des Budgets für 2012 eine Reihe von Bundesgesetzen in budgetwirksamer Weise geändert, in einzelnen Fällen sogar neu geschaffen.

Durch diese Regelung werden sich im Wege des Finanzausgleiches für die Länder Mindereinnahmen von 1,1 Millionen € und für die Gemeinden Mehreinnahmen von 4,2 Millionen € jährlich ergeben. Gewisse Maßnahmen haben günstige Auswirkungen auf die Beschäftigungslage und auf den Wirtschaftsstandort.

Der erste Abschnitt betrifft die Verwaltungszusammenarbeit, die natürlich auch einen entsprechenden Beitrag zu leisten hat. Ebenfalls im ersten Abschnitt vorgesehene Er­weiterungen der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Zuwendungen an bestimmte Einrich­tungen unterstützen die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes. Außerdem werden mit dem gegenständlichen Beschluss des Nationalrates darüber hinaus teilweise erforder­liche Maßnahmen aus dem Unionsrecht umgesetzt.

Dieses Budgetbegleitgesetz ist, wie gesagt, wichtig und richtig, es ist jedoch nicht aus­reichend für zukünftige stabile Finanzen. Es ist deshalb unerlässlich, mit der Schulden­bremse den eingeschlagenen Konsolidierungspfad fortzusetzen beziehungsweise ver­stärkt zu beschreiten.

Nur dann, wenn wir zukünftig nicht mehr ausgeben als wir einnehmen, sowohl der Bund als auch die Länder und die Gemeinden, werden wir langfristig stabile Finanzen und dadurch eine gesicherte Zukunft haben. Und deshalb stimmen wir dem Budgetbe­gleitgesetz 2012 als erstem Schritt zu. – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

13.03


Vizepräsident Reinhard Todt: Zu Wort gelangt Herr Bundesrat Schreuder. – Bitte.

 


13.03.15

Bundesrat Marco Schreuder (Grüne, Wien): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade zufällig ha­be ich mir einen kleinen Espresso in der Parlamentskantine bestellt. Ich fand es ganz bezeichnend: Ich bekam einen griechischen Euro als Wechselgeld zurück. Ich dachte mir, besser kann man ja gar nicht demonstrieren, dass wir alle in einem Boot sind.

Und daher kommt von meiner Seite, von der grünen Seite her der Appell an die Bun­desregierung, eine gesamteuropäische Lösung zu finden für die Schuldenkrise und für die Finanzkrise, die derzeit in Europa ein dramatisches Ausmaß erreicht hat, und solidarisch zu sein.

Ich erinnere daran, auch Österreich hatte es nach dem Krieg nicht leicht, brauchte ei­nen Wirtschaftsaufbau, einen Wirtschaftsaufschwung. Und es waren andere Staaten und andere Länder, die uns dabei halfen. Das sollte man nie vergessen, und ich finde es wichtig, das in diesem Zusammenhang zu erwähnen.


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 69

Aber sprechen wir jetzt, wenn wir über das Budget reden, über die angekündigte Schuldenbremse. Niemand kann sich jetzt eine Schuldenbremse wirklich vorstellen. Eine Bremse funktioniert ja auch nur, wenn es daneben ein Gaspedal gibt. Ohne dem einen funktioniert das andere ein bisschen schwer, denn wenn man nur bremst, steht man still und kommt nicht weiter. (Zwischenruf des Bundesrates Steinkogler.)

Das ist das Problem an diesem Bild der Bremse. Ich finde, es ist ein schlechtes Bild, das muss ich ganz ehrlich sagen. Aber wenn wir über Budgetkonsolidierung, über ein ausgeglichenes Budget diskutieren, und wir sollten darüber diskutieren – auch die Grü­nen bekennen sich zur Budgetdisziplin; es ist wichtig, das zu sagen –, dann muss man auch darüber nachdenken: Wer kann einen Beitrag leisten, und wo muss man inves­tieren? Diese zwei Grundfragen müssen gestellt werden, sonst funktioniert es nicht. Wenn wir nur dort bremsen, wo Zukunft vorhanden ist, dann bremsen wir uns tatsäch­lich aus, nämlich dort, wo die Zukunft ist und wo tatsächlich die Chancen Österreichs in der Zukunft sind. Und die Zukunft kann nur lauten: Wissenschaft, Forschung, Bildung. Wenn wir da nicht investieren, schaut es wirklich schlecht aus für Österreich.

Wer sollte aus unserer Sicht einen Beitrag leisten? – Erneut, und viele Grüne haben das gemacht, ein flammender Appell zu Steuergerechtigkeit und zu Vermögensteuern.

In Österreich gibt es insgesamt ein Vermögen von 1,4 Billionen €. 1 Prozent der Bevöl­kerung besitzt ein Drittel davon. 10 Prozent besitzen zwei Drittel, die restlichen 90 Pro­zent besitzen nur ein Drittel dieses Vermögens. Und das klafft immer weiter auseinan­der, da brauchen wir uns nichts vorzumachen. Wir sehen das, wir sehen das in den Ländern, die wirklich in der Krise sind: Die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien, in Grie­chenland ist enorm hoch. Zukunftshoffnung ist nicht vorhanden. Wenn wir das verhin­dern wollen, dann müssen wir über Gerechtigkeit sprechen und dann müssen wir darü­ber sprechen, wer einen Beitrag zu leisten hat.

Wenn Millionenerbschaften möglich sind, ohne dass Steuern bezahlt werden, dann ist das nicht gerecht, insbesondere nicht von einer ÖVP, die behauptet, eine Partei zu sein, die für Leistung steht. Leistung ist immer noch das, was am stärksten besteuert wird in diesem Land. Vermögen zu besitzen und damit nichts zu tun, außer vielleicht zu investieren, damit der Zinseszins der armen Bevölkerung das Leben schwer macht, das kann nicht die Lösung sein. (Bundesrätin Dr. Winzig: Was ist denn Vermögen?) Deshalb kommt hier der Appell, Vermögensteuern und für die Superreichen auch eine Erbschafts- und eine Schenkungssteuer einzuführen. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

Ich richte meinen Appell jetzt gar nicht an die ÖVP – es applaudiert ja jetzt, das ver­stehe ich auch, die Sozialdemokratie –, sondern an die Sozialdemokratie. Heute hat die Frau Landeshauptfrau Burgstaller gesagt, wir hier im Bundesrat sollten auch ein bisschen mehr Mut beweisen (Bundesrätin Dr. Winzig: Ja, Mut für Reformen!), wenn uns etwas nicht passt. Also, wenn ein Schuldenbremsen-Gesetz kommt, das keine Steuergerechtigkeit beinhaltet, bitte ich Sie: Stimmen Sie dagegen! – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

13.07


Vizepräsident Reinhard Todt: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Kraml. – Bitte.

 


13.08.02

Bundesrat Johann Kraml (SPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Mit der Opposition ist es eben immer so – beim Kollegen Pisec bin ich nicht ganz mitgekommen, das muss ich ehrlich zugestehen, denn alle Steuern senken und auf der anderen Seite Schulden abbauen, das wird nicht funktionieren. Wenn das ein Patent wäre, dann würden Sie nicht hier sitzen. (Bundesrat Mag. Pisec: Höhere Wirtschaftsleistung!)


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 70

Kollege Schreuder hat ja sehr viel Wichtiges gesagt. Es wird wirklich darauf ankom­men, wie wir Steuergerechtigkeit in der ganzen Sache herstellen. Denn wenn wir schon so sparen müssen, dann müssen, glaube ich, alle ihren Beitrag dazu leisten, und es sollen die, die mehr haben, auch mehr dazu leisten – das darf man auch einmal sagen.

Wir werden mit dem Budgetbegleitgesetz heute 21 Gesetze ändern, wenn ich mich nicht verzählt habe. Es ist schon besser geworden, wir haben schon 90 und über 100 Gesetze gehabt, die wir im Budgetbegleitgesetz abgehandelt haben. Aber das ist wichtig, damit wir das Budget dann so durchziehen können.

Gegenüber der Erstversion des Budgetbegleitgesetzes hat sich ja mit den Abände­rungsanträgen im Nationalrat ein bisschen etwas geändert. Für mich war ganz wichtig, dass die Pensionserhöhungen, die ja nicht linear durchgeführt werden, bei hohen Pen­sionen wesentlich geringer sind und das dadurch eingesparte Geld dafür genommen wird, dass die Absetzbeträge, wie der Alleinverdienerabsetzbetrag, bis zu einer gewis­sen Pensionshöhe wieder eingeführt wird. Das war ein Lapsus, der da voriges Jahr passiert ist – das kann man ohne Weiteres sagen. (Beifall bei der SPÖ.)

Es waren nur läppische 30 € im Monat, im Jahr hat das 360 € ausgemacht, und wer nicht viel hat, dem tun 360 € sehr weh, das muss man sagen. (Vizepräsident Mag. Him­mer übernimmt den Vorsitz.)

Es hat auch noch eine Änderung bei der AGES gegeben, damit die Finanzierung wie­terhin gesichert ist. Das, glaube ich, ist auch eine ganz gute Sache.

Zur Frage Budgetkonsolidierung kann man sagen, dass, wenn man sich die Eckdaten anschaut, Österreich wirklich „gut“ dasteht – „gut“ zwischen Anführungszeichen, weil wir auch Schulden haben, aber gegenüber den anderen Ländern in der Europäischen Union stehen wir gut da bei der Neuverschuldung, bei der Arbeitslosenrate und auch beim Schuldenstand. Ich glaube, das muss man auch einmal dazusagen.

Es ist eben die Zeit, die es so schwer macht, die richtigen Ansätze und Lösungen zu finden. Ich finde aber, dass das vorliegende Gesetz in seiner Kompaktheit uns sicher weiterhelfen wird, wobei es sicher auch zu Änderungen kommen wird, die dem einen oder anderen wehtun werden. Bereits am Dienstag hat sich die Regierung mit den Lan­desfinanzreferenten über die weitere Vorgangsweise bei der Schuldenbremse geeinigt, zumindest in den ersten groben Zügen, da wird es sicher noch weitere Gespräche ge­ben müssen.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Momentan ist „Schuldenbremse“ das Wort, das man immer wieder in den Medien liest und in den Nachrichten hört. Die Definition des Be­griffes „Schuldenbremse“ ist heute schon formuliert worden. Hier gebe ich dem Kolle­gen von den Grünen recht: Ohne Gas und ohne Bremse funktioniert das Ganze nicht.

Wir haben ja auch noch ein Sparpaket, das wir umsetzen müssen, und wir wissen auch, dass dieses Sparpaket nicht reichen wird.

Zuerst hat der Staat, das ist der Steuerzahler, die Banken gerettet, gesichert. Der Staat hat all das Geld noch nicht zurückbekommen, auch die bei den Bankengeldern anfal­lenden Zinsen wurden zumindest bis jetzt noch nicht geleistet. In der Zwischenzeit ha­ben einige Banken ihre noch im Keller lagernden Finanzleichen hervorgeholt und ent­sprechende Abschreibungen veranlasst. Die Bundesregierung hat bei der ersten Krise lenkend eingegriffen und neben den Banken auch die Kurzarbeit gefördert. Jetzt be­steht die Gefahr, dass, wenn wir weiterhin nur auf der Bremse stehen und nur spa­ren und das gilt nicht nur für Österreich, das gilt auch für alle anderen Länder –, die Wirtschaft zum Stillstand kommt. Und wenn die Wirtschaft zum Stillstand kommt, dann kommen auch keine Steuern mehr herein und es entwickelt sich eine Spirale nach un­ten.


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 71

Aber ich bin guten Mutes, dass wir diese Steuergerechtigkeit schaffen, weil ich weiß, wie in der Bundesregierung verhandelt wird. Es wird uns allen wehtun, das ist klar. Es hat noch nie eine solch schwierige Zeit gegeben. Ich denke, dass wir auf einem guten Weg sind und dass wir mit dem Budgetbegleitgesetz, mit den Maßnahmen, die in wie­terer Folge noch kommen werden, unser Land so positionieren werden, dass wir aus der Krise herauskommen und dass wir auch wieder einmal das echte Licht am Ende des Tunnels sehen werden. – Danke. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

13.13


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Brückl. – Bitte.

 


13.13.34

Bundesrat Hermann Brückl (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine bewegte, eine schnelllebige, eine politisch und auch wirtschaftlich schwierige Zeit, in der wir Österreicher heute leben, und die Bundesregierung ist dazu aufgerufen, diesen schwierigen Zeiten mit einem vorausschauenden und auch zukunftsträchtigen Budget, das ja nichts anderes ist als die in Zahlen gegossene Politik, und entsprechenden Bud­getbegleitgesetzen zu begegnen.

Leider erkennen wir Freiheitliche in den für das Jahr 2012 vorliegenden Budgetbegleit­gesetzen nicht diese vorausschauende Politik, die wir bräuchten. Um das zu veran­schaulichen, hebe ich einige Punkte hervor.

Der Bereich Justiz: Da komme ich gleich auf einen Artikel, der vor etwa zwei Wochen, genau am 16. November 2011, in der Tageszeitung „Heute“ abgedruckt war. Darin war zu lesen, dass es in Österreich für inhaftierte Straftäter Freizeitprogramme gibt, wie et­wa Theaterveranstaltungen, Bastelgruppen, orientalischer Tanz, Trommelgruppen oder auch Yoga-Übungen. Yoga erhöht ja angeblich die Konzentrationsfähigkeit und die Disziplin der Häftlinge, das wäre also durchaus noch zu verkraften, aber leider weiß man auch, dass gerade im Bereich des Justizwachedienstes, bei den Exekutivbediens­teten eine Erhöhung der Planstellen notwendig wäre. Tausende Überstunden fallen je­des Jahr in diesem Bereich an, und anstatt da mehr Personal zur Verfügung zu stellen, spart man 2012 wieder zehn Planstellen ein. Gleichzeitig gibt man aber Geld für Pro­jekte aus, die wir als weitaus weniger wichtig empfinden.

Auch bei den Gerichten ist die Situation im Planstellenbereich der Richter, der Beam­ten und auch der Vertragsbediensteten mehr als angespannt. Auch da darf es künftig nicht zu weiteren Kürzungen kommen, es sei denn, man überlegt sich, welche Leis­tungen die Justiz in Hinkunft nicht anbieten soll, kann oder darf.

Ebenfalls im Mittelpunkt der Kritik stehen nicht nur für uns, sondern für die gesamte Öffentlichkeit immer wieder die Gerichtsgebühren. Wenn man zum Beispiel für eine pflegschaftsgerichtliche Genehmigung weit über 100 € zahlen muss, dann klafft da ein­fach ein riesiges Loch zwischen dem tatsächlichen Aufwand und der Bezahlung dafür.

In diesem Zusammenhang darf ich auf die Senkung der Gebühren für die Anfertigung von Kopien und Ablichtungen hinweisen. Es wurde nämlich auch in den Medien scharf kritisiert, dass man für eine Kopie 1 € verlangt hat. Es war den Bediensteten, den Kos­tenbeamten bei Gericht manchmal sogar peinlich, wenn sie die Recht suchende Be­völkerung mit Gebühren in dieser Größenordnung konfrontieren mussten. Nun senkt man sie um 40 bis 50 Prozent. Das, was man da verlangt, ist aber leider immer noch viel zu viel.

Das Kapitel Landesverteidigung, zu dem ich jetzt komme, ist ein ganz besonderes, denn in keinem anderen Ressort wird dem zuständigen Minister so wenig Führungs-


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kompetenz zugesprochen, wie das dort der Fall ist. Und kein anderer Minister steht so sehr im Mittelpunkt der Kritik wie der Herr Verteidigungsminister, was jedoch auch nicht verwunderlich ist, das darf ich hinzufügen. Ich darf das in der Sprache des SC Kroa­tisch Minidorf sagen: Seinen Kritikern legt er auch immer wieder gerne einen Elfmeter auf.

Es gab Sager wie: „Für mich ist die Wehrpflicht in Stein gemeißelt“, und wenige Tage später wurde aus wahltaktischen Überlegungen, weil nämlich die Wien-Wahl vor der Tür stand, eine ganz andere Meinung dazu vertreten.

Über die rechtswidrige Absetzung des Chefs des Generalstabes Edmund Entacher war in den „Oberösterreichischen Nachrichten“ zu lesen, dass der Minister eine „Blamage“ erlebt hat, und im „Kurier“ wird von einem „Waterloo“ berichtet.

All das hat zu der Kritik von großen Teilen der Bevölkerung, der Politik, der Wirtschaft, den Medien und sogar aus den Reihen der eigenen Partei geführt.

Im Bereich der Untergruppe 14, Landesverteidigung, sind für 2012 Einsparungen in Höhe von 8,5 Millionen € vorgesehen. Diese Reduktion im Sachaufwand führt naturge­mäß auch zu einer massiven Reduktion bei der verfassungsmäßigen Aufgabenerfül­lung des Bundesheeres. Insbesondere der Milizverband als wichtiger Bestandteil des österreichischen Bundesheeres wurde in den vergangenen Jahren systematisch fi­nanziell ausgehungert. Die budgetierten Einsparungen führen zwangsweise zu weniger Übungseinsätzen, zu weniger Übungsmöglichkeiten für Milizsoldaten, was aber wieder zu einem Wissensverlust der Soldaten führt und damit auch die Frage nach sich zieht, welche Existenzberechtigung denn die Miliz noch hat, außer dass sie in der Verfas­sung verankert ist.

Die Attraktivierung des Grundwehrdienstes, die auch von der Bundesheerkommission vorgeschlagen beziehungsweise empfohlen wurde, lässt nach wie vor noch immer auf sich warten. Aber dafür initiiert der Herr Bundesminister Pilotprojekte, bei deren Ein­stieg offensichtlich nicht einmal der Koalitionspartner informiert war, von denen man nicht weiß, ob sie verfassungskonform sind, und hinter deren Finanzierbarkeit ein gro­ßes Fragezeichen steht. Solche Pilotprojekte dürfen, wenn man sie jetzt macht, nicht zu Lasten der Durchführbarkeit der verfassungsmäßigen Aufgaben unseres Bundes­heeres führen. Die Motivation und die Geduld der Truppe sind mittlerweile mehr als ausgereizt.

Daher ist es für uns auch besonders wichtig, dass man gerade in diesem Punkt alles unternimmt, um die Motivation der Soldaten, der Truppe zu heben. Und finanzielle Be­lohnungen, das weiß man aus allen Bereichen, stellen einen guten Anreiz dafür dar. Doch gerade da kommt es im Jahr 2012 zu massiven Kürzungen. 2010 wurden in die­sem Bereich noch 3,1 Millionen € an Belohnungen ausgezahlt, 2012 stehen allerdings nur mehr 1,4 Millionen € zur Verfügung. Gleichzeitig aber gibt man im Jahr 2012 für Werbemaßnahmen 2,8 Millionen € aus. Hier hätte es jedenfalls eine Umverteilung ge­ben müssen, weg von der Werbung hin zur Truppe. Das hätte es geben müssen, gibt es aber nicht.

Geschätzte Damen und Herren! Unser Bundesheer, unsere Soldaten, die zur verfas­sungsmäßigen Aufgabenerfüllung stets bereit zu sein haben, die im Katastrophenfall, wo ja im Übrigen zum überwiegenden Teil Rekruten zum Einsatz kommen, da sind und Hilfe leisten und die oftmals, wie erst vor wenigen Tagen ein Soldat aus der Kaserne Ried im Kosovo, bei einem Auslandseinsatz auch ihr Leben aufs Spiel setzen, brau­chen unsere Unterstützung und brauchen den Rückhalt der Bevölkerung und der Poli­tik. Es ist unsere Pflicht, ihnen diesen Rückhalt und diese Sicherheit zu geben. (Beifall bei der FPÖ.) Und es muss Schluss sein damit, dass man das Bundesheer als Spiel­ball der Tagespolitik benutzt.


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Wir Freiheitliche, Hohes Haus, werden unter anderem aus den von mir genannten Grün­den den Budgetbegleitgesetzen unsere Zustimmung verweigern. (Beifall bei der FPÖ.)

13.21


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gelangt Herr Staatssekretär Dr. Oster­mayer. – Bitte, Herr Staatssekretär.

 


13.21.11

Staatssekretär im Bundeskanzleramt Dr. Josef Ostermayer: Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Man sollte das Bundesheer nicht als Spielball in der Ta­gespolitik benutzen, auch nicht die Soldatinnen und Soldaten, die im Auslandseinsatz sind und für die Österreich hoch geachtet ist. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundes­räten der ÖVP.)

Ich möchte zu meinem Vorredner noch eine zweite kurze Anmerkung machen, nach­dem ich aus dem Burgenland komme: Es heißt nicht „Kroatisch Minidorf“, sondern Kroatisch Minihof. (Heiterkeit bei Bundesräten der SPÖ.)

Ansonsten möchte ich es kurz halten, da ich um 14 Uhr im Verfassungsausschuss sein sollte, dort wird dann nämlich über die Schuldenbremse verhandelt, worüber in den letzten Tagen eine intensive Diskussion stattgefunden hat, und wozu unter anderem auch heute der Rechnungshofpräsident die Meinung vertreten hat, dass es ein wich­tiges Instrumentarium im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit Österreichs ist. Ich glaube, alle, die Verantwortung für dieses Land tragen und tragen wollen, sollten dem zustim­men.

Ich möchte aber zu den Ausführungen von Herrn Pisec noch einige Anmerkungen ma­chen. Ich habe die Analyse an sich erstaunlich gefunden, muss ich schon sagen, denn wenn man das ernst nimmt, wäre die Konsequenz daraus, dass man zumindest aus der Euro-Zone austritt, da die Grundlagen, auf denen unser Budget erstellt wird, die Berechnungsparameter, Schuldenquote et cetera, Vorgaben sind, die Eurostat macht. Das ist sozusagen die Basis unseres Budgets.

Eurostat entscheidet auch darüber, welche ausgelagerten Einrichtungen zu den Staats­schulden dazugerechnet werden oder nicht. Da hat es in der Vergangenheit einen Fi­nanzminister gegeben, der aus Ihrem Bundesland gekommen ist, wo einige Dinge aus­gegliedert wurden, damit man auf ein Nulldefizit beziehungsweise mit den Schulden­quoten herunterkommt. Das ist nicht anerkannt worden, daher sind die im Nachhinein wieder dazugerechnet worden.

Es gibt ein zweites Faktum, warum natürlich die Schuldenquote jetzt höher ist, warum die Staatsschulden jetzt höher sind: Das hat schlicht und einfach mit der Finanzkrise zu tun. Wir haben – und da haben glücklicherweise alle Parteien zugestimmt – damals ein Bankenrettungspaket beschlossen, das letztendlich auch ein Rettungspaket für die Sparer und für die Einlagen der Sparer war, aber das hat natürlich Geld gekostet. Eine Bank kommt aus dem Bundesland, woher Sie kommen. Wir hatten damals eine Situa­tion, zu entscheiden, ob wir einschreiten, ob wir die Bank übernehmen. Ein ganz we­sentlicher Grund war übrigens die Haftung des Landes, die, glaube ich, größenord­nungsmäßig 19 Milliarden € betrug. (Bundesrat Mag. Pisec: Ich bin Wiener!) Sie sind Wiener, Entschuldigung! Ich dachte, Sie sind Kärntner. Gut, so kann man sich täu­schen! (Allgemeine Heiterkeit. Ruf: Sie meinen BAWAG!)

Aber trotzdem ist es ein Institut in einem Bundesland, wo Ihre Freunde jetzt in der Re­gierung sind.

Also diese Zurechnung zu den Staatsschulden und die Definition der einzelnen Para­meter gibt Eurostat vor. An die sind wir gebunden, wenn wir beim Euro bleiben wollen. Ich hoffe, dass es hier eine breite Zustimmung gibt, dass wir dabeibleiben, weil gerade


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die Mitgliedschaft in der Euro-Zone größenordnungsmäßig, es gibt Schätzungen, an die eine Million Arbeitsplätze gesichert hat.

Wir haben in den letzten drei Jahren viel gemacht, vieles davon war auch notwendig und hat dazu beigetragen, dass wir nach wie vor die niedrigste Arbeitslosigkeit in Eu­ropa haben. Auch die gestrigen Zahlen, die bekanntgegeben wurden, haben das wie­derum bestätigt, aber – und das ist vollkommen klar – wir haben viel zu tun und haben einiges vor uns, auch im kommenden Finanzrahmen bis 2016, damit wir weiterhin un­ter den Besten bleiben. Das sollten wir tun und darum sollten wir kämpfen! Daher in al­ler Kürze mein Appell:

Die Zeiten sind sehr, sehr schwierig, ich bitte darum, dass möglichst viele Verantwor­tung für dieses Land übernehmen und auch zustimmen, dass wir die notwendige ver­fassungsrechtliche Verankerung der Fiskalregeln, die jetzt als „Schuldenbremse“ be­zeichnet werden, gemeinsam schaffen. – Danke schön. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

13.25


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Zangerl. – Bitte.

 


13.26.04

Bundesrat Stefan Zangerl (ohne Fraktionszugehörigkeit, Tirol): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Mit vorliegendem Gesetz soll der bisherige Anwendungsbereich der Vollstreckungs­amtshilfe ausgeweitet, die Durchführung der Amtshilfe effizienter und effektiver ausge­stattet und auch dem technischen Fortschritt Rechnung getragen werden. Künftig, so heißt es, soll es möglich sein, um Amtshilfe auch bei regional oder lokal erhobenen Steuern und Abgaben zu ersuchen. Ich hoffe, dass mit den diversen steuerrechtlichen, abgabenrechtlichen Vereinfachungen auch das Problem mit den ausländischen Tem­posündern auf unseren Straßen spürbar verbessert wird.

Es ist ja gerade in meinem transitgeplagten Bundesland Tirol Tatsache, dass jährlich zehntausende Pkw-Lenker aus dem Ausland ungestraft auf unseren Autobahnen und Landstraßen entweder viel zu schnell oder hoch riskant unterwegs sind, ohne entspre­chend abgestraft zu werden. Dazu kommen noch Maut- und Vignettenflüchtlinge und jene Pkw- und Lkw-Fahrer, die die Bevölkerung durch überhöhte Geschwindigkeit in­nerhalb der Ortschaften massiv gefährden.

Lediglich beim Ertappt-Werden an Ort und Stelle hat die Exekutive eine Möglichkeit, eine Strafe auszusprechen, zu verhängen. Statistiken der Behörden zeigen, dass mehr als die Hälfte der Verkehrsdelikte ausländischer Lenker nicht geahndet werden kön­nen, und das ist gegenüber den österreichischen Verkehrsteilnehmern schlichtweg nicht in Ordnung und ein offensichtlich lange geduldetes Unrecht. Dieser unhaltbare Zustand wurde ja seit Jahren von ÖAMTC und ARBÖ wiederkehrend, doch leider bis­lang erfolglos aufgezeigt.

Ausländische Raser und Drängler durften straffrei durch Österreich fahren, sofern sie nicht an Ort und Stelle angehalten werden konnten. Das geht ja auch aus dem Bericht des Verkehrsministeriums über die Erfahrung der österreichischen Behörden auf dem Gebiet der grenzüberschreitenden Halter- und Lenkerauskunft hervor. Darin halten die befragten Behörden fest, dass das geltende Gesetz in der derzeitigen Form eine stumpfe Waffe zur Vollstreckung der Strafen im EU-Ausland ist. Theoretisch sollte es seit März 2008 nämlich schon möglich sein, nicht bezahlte Verkehrsstrafen ab 70 € von EU-Ausländern zwangsweise in deren Heimatland einzutreiben.

Die Praxis allerdings zeigt uns etwas ganz anderes. Vor einer allfälligen Zustellung des Strafzettels im Ausland und dessen Eintreibung, also dieses offenen Strafbetrages, muss klar sein, wer eigentlich der geblitzte Lenker ist. Dazu müssen die ausländischen


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Behörden zuerst einmal die Daten des Fahrzeughalters den österreichischen Behörden liefern. In weiterer Folge sollte der betroffene Lenker als Täter ausgeforscht werden, so das Procedere.

Österreich zählt bei der Amtshilfe zur Verfolgung von einheimischen Verkehrssündern natürlich wieder einmal, wie könnte es anders sein, zu den europäischen Musterschü­lern und muss aufgrund der heimischen Gesetzeslage anfragenden ausländischen Be­hörden die Daten sehr wohl mitteilen – nur bei den Ausländern geht es nicht, bei den Österreichern geht es sehr wohl. Während die Daten der österreichischen Lenker selbstredend geliefert werden, haben unsere Behörden im Gegenzug oft keinerlei Handhabe, an Daten ausländischer Verkehrssünder heranzukommen.

Der Bericht des Verkehrsministeriums zeigt eindeutig, dass sich ausländische Behör­den oft weigern, Halter- und Lenkerdaten ihrer eigenen Bürger bekanntzugeben. Die italienischen Behörden, und das sind ja in Tirol unsere Nachbarn, erteilen so gut wie überhaupt keinerlei Auskünfte über ihre Fahrzeughalter. Angeblich werden in Tirol ei­nige tausend Strafverfahren jährlich eingestellt, die Fahrzeuge mit italienischen Kenn­zeichen betreffen.

Dazu ist noch zu ergänzen, dass von der Autobahnpolizei in unserem südlichen Lan­desteil, sprich in Südtirol, schon bei geringsten, wirklich bei geringsten Verstößen rigo­ros abgestraft wird. Die Abnahme des Führerscheins oder die Beschlagnahmung des Fahrzeugs wegen eines nicht angezeigten Fahrbahnwechsels ist dabei wirklich keine Seltenheit.

Ungarn, unsere östlichen Nachbarn, lehnen ohnehin die Rechtshilfe gegenüber Öster­reich ab, weil die österreichischen Verwaltungsentscheidungen da offensichtlich über­haupt nicht akzeptiert werden. Frankreich verweigert die Zustellung österreichischer Strafzettel konsequent und systematisch. Mit Ausnahme von Deutschland bleibt die EU-weite Verfolgung von Verkehrssündern offensichtlich ein frommer Wunsch. Des­halb, glaube ich, ist es schon höchste Zeit, dass die Bundesregierung rasch und vor al­lem mit den Nachbarstaaten die Vereinbarungen über die gegenseitigen Auskunftser­teilungen und die Amtshilfe schließt.

Das gebietet nicht nur die Verkehrssicherheit auf heimischen Straßen, sondern für mich ist das auch ein Gebot der Fairness gegenüber den Österreichern. Mit der An­nahme eines einheitlichen Titels für Vollstreckungsmaßnahmen im Mitgliedstaat der er­suchten Behörde und der Annahme eines einheitlichen Standardformblattes für die Zu­stellung von Rechtstiteln und Entscheidungen sollten die formalen Probleme der Aner­kennung und Übersetzung von Rechtstiteln eines anderen Mitgliedstaates als eine der Hauptursachen der mangelnden Wirksamkeit der derzeitigen Amtshilfemodalitäten ausgeräumt sein  schauen wir einmal.

Ich persönlich werde mir erlauben, dieses Gesetz an seiner Umsetzung zu messen. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

13.32


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Dr. Winzig. – Bitte.

 


13.32.09

Bundesrätin Dr. Angelika Winzig (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsi­dent! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte einen Punkt aus dem Budgetbegleitgesetz herausnehmen, der vor allem die Unternehmer sehr verunsichert hat. Die Schuldenbremse hebe ich mir für das nächste Mal auf, und da haben auch Sie, Herr Kollege Schreuder, noch ein bisschen die Mög­lichkeit, fitter in den Begriffen „Vermögen“, „Kapitalertragsteuer“, „Kapital“ und „Einkom­men“ zu werden. (Zwischenrufe bei der SPÖ sowie des Bundesrates Schreuder.)


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 76

Ich möchte auf die AGES eingehen, und zwar auf das Gesundheits- und Ernährungs­sicherheitsgesetz, das ja bei unseren Lebensmittel verarbeitenden Betrieben zu großer Verunsicherung geführt hat. Das Gesundheitsministerium hatte vor, dass die Betriebe ihre Kontrollen selber bezahlen. Das wäre ungefähr so, wie wenn Sie von der Polizei aufgehalten werden und gleich einmal 50 € für die Kontrolle zahlen müssen.

Für unsere Betriebe wäre das eine Belastung von bis zu 50 000 € pro Betrieb gewe­sen. Es wären 100 000 Betriebe davon betroffen gewesen. Gott sei Dank haben wir diese Belastung vom Tisch, und die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit wird jetzt in ihrer Struktur und in ihrer Finanzierung reformiert. Das ist genau der rich­tige Weg, nämlich Reformen. Auch der Herr Kollege Pisec hat das vorhin angeschnit­ten: erneuern statt besteuern. Ich glaube, ich werde Sie bald beim Wirtschaftsbund be­grüßen können. (Heiterkeit bei Bundesräten der SPÖ.)

Aber auch Oberösterreich zeigt diesen Weg vor. Mich hat es heute ein bisschen von der Frau Landeshauptfrau gewundert, wie sie die sozialistisch geführten Länder bei Reformen hervorgehoben hat. (Rufe bei der SPÖ: Sozialdemokratisch heißt das! Ruf bei der FPÖ: Wo ist da der Unterschied?– Entschuldigung, sozialdemokratisch. Aber ich möchte nur eines sagen: Dort, wo diese Länder das Ziel haben, beginnen wir mit unseren Reformen.

Denken Sie nur daran: Wir haben die Spitalsreform bereits in der Umsetzung, die 2,3 Milliarden € bringt. Wir sind dabei, die Agrarbezirksbehörden zusammenzulegen. Wir haben in den letzten beiden Jahren 300 Dienstposten im Land abgebaut, werden bis 2013 weitere 200 abbauen und führen gerade die Schulorganisation Neu durch. Das heißt, wir legen Schulstandorte zusammen. Zusätzlich haben wir noch eine intelli­gente Zusammenführung aller Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationseinrichtun­gen in Oberösterreich geschaffen.

Weiters haben wir die Umsetzung der von uns beschlossenen Gemeindekooperation als einen Schwerpunkt für das kommende Jahr beschlossen. Es wurde im Übrigen auch im Wirtschaftsparlament Oberösterreich einstimmig beschlossen, dies in Zukunft zu fördern. All diese Reformmaßnahmen sollen bewirken, unseren Wirtschaftsstandort Oberösterreich zu sichern. (Vizepräsident Todt übernimmt den Vorsitz.)

Wir wollen kreative, innovative Unternehmen, die Arbeitsplätze in unserem Land schaf­fen und für die wir auch anziehend sind. Das gelingt uns mit Reformen und nicht da­durch, dass wir die Investoren in Zukunft verjagen beziehungsweise verschrecken. Man sieht diesen Erfolg auch am Beispiel FACC, die jetzt wieder 45 Millionen € in Oberös­terreich investiert. – Danke. (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Mag. Klug.)

13.35


Vizepräsident Reinhard Todt: Weitere Wortmeldungen hiezu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Die Debatte ist ge­schlossen.

Wir gelangen nun zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

13.36.033. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 15. November 2011 betreffend ein Bundesge­setz über Information in EU-Angelegenheiten (EU-Informationsgesetz – EU-InfoG) (1624/A und 1444 d.B. sowie 8606/BR d.B.)

 



BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 77

Vizepräsident Reinhard Todt: Wir gelangen nunmehr zum 3. Punkt der Tagesord­nung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Preineder. Bitte um den Bericht.

 


13.36.26

Berichterstatter Martin Preineder: Hoher Bundesrat! Der Bericht des Ausschusses für Verfassung und Föderalismus über den Beschluss des Nationalrates vom 15. No­vember 2011 betreffend ein Bundesgesetz über Information in EU-Angelegenheiten, EU-Informationsgesetz, liegt in schriftlicher Form vor.

Ich stelle daher den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates kei­nen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsident Reinhard Todt: Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Brückl. Ich erteile es ihm.

 


13.37.03

Bundesrat Hermann Brückl (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Geschätzte Damen und Herren dieses Hauses! Bei dem nunmehr in Verhandlung stehenden Tagesordnungspunkt geht es um die Verein­fachung des Informationsflusses zwischen der Bundesregierung einerseits und dem Nationalrat beziehungsweise dem Bundesrat andererseits, und die EU-Datenbank des Parlaments soll gesetzlich verankert, benutzerfreundlicher gestaltet und öffentlich zu­gänglich gemacht werden.

Kurz gesagt, es geht dabei um scheinbare Verbesserungen der Information von Parla­ment und Öffentlichkeit mit Materialien der Europäischen Union. Ich sage deshalb „scheinbare“ Verbesserung, weil man zwar von mehr Effizienz und Vereinheitlichung spricht, sich aber da tatsächlich ein Bürokratismus anbahnt, der nicht mehr oder kaum überschaubar ist. Man will den Eindruck von mehr Demokratisierung erwecken, tat­sächlich aber gleicht das alles eher einer Beschäftigungstherapie. Es gibt viele fehlen­de Antworten auf Fragen, die unter anderem im Ausschuss gestellt wurden, beispiels­weise die Frage nach den Klassifizierungsstufen, nach der technischen Umsetzung und so weiter. Die doch eher ungewöhnlich lange Diskussion im Ausschuss zeigt das schon und hat es auch bewiesen.

Tatsache ist, geschätzte Damen und Herren dieses Hauses, dass wir alle, die Bevöl­kerung und ganz besonders die Abgeordneten hier, von einem gewaltigen Informa­tionsüberschuss betroffen sind. Tatsache ist, dass der Aufwand, der da betrieben wird, enorm ist und in Wirklichkeit völlig unklar ist, was er bringen soll – insbesondere für die Öffentlichkeit und für die Bürger in unserem Land.

Tatsache ist, dass weder die Kosten noch der Personaleinsatz für die Umsetzung die­ses Gesetzes beziehungsweise den Betrieb der Datenbank bekannt sind und Tatsache ist auch, dass die Informationen betreffend Europäische Union ja bereits jetzt jederzeit, von jedermann und um jede Uhrzeit im Internet abrufbar und zugänglich sind.

Für uns Freiheitliche dient dieses Gesetz lediglich dazu, davon abzulenken, dass unser Land, dass Österreich immer mehr an Souveränität aufgibt. Wir Freiheitliche lehnen dieses Gesetz ab, weil für uns ein praktischer Nutzen kaum erkennbar ist, weil es ein Mehr an Demokratie bedeutet, weil es nur scheinbare Verbesserungen darstellt und weil es in Wirklichkeit von den großen Problemen Europas nur ablenken soll. (Beifall bei der FPÖ.)

13.39


Vizepräsident Reinhard Todt: Zu Wort gelangt Herr Fraktionsvorsitzender Bundesrat Mag. Klug. Ich erteile es ihm.

 



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13.39.43

Bundesrat Mag. Gerald Klug (SPÖ, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Werte Kolleginnen und Kollegen! Also wir hätten uns erhofft, Hermann (in Richtung des Bundesrates Brückl) – mit welchem Anspruch du dich immer den Themen näherst –, dass diese widersprüchliche Politik der FPÖ im Na­tionalrat wenigstens im Bundesrat aufgeklärt wird.

Ich lade dich ein, dich noch einmal in die Rednerliste eintragen zu lassen und uns dann zu sagen, welches Recht, welche Souveränitätsrechte Österreich an die Europäische Union mit dem EU-Informationsgesetz abtritt. Ich lade dich ein. Also mir fehlt da die Idee dazu, aber es wäre spannend für uns, das zu erfahren.

Und der zweite Punkt, wo man sagen muss, dass es auch de facto völlig irrsinnig im politischen Zugang ist, ist der: Dass die FPÖ immer dagegen ist, wenn wo „EU“ oben steht, ist naheliegend, aber beim EU-Informationsgesetz, Hermann, geht es doch da­rum, dass sowohl der Nationalrat als auch der Bundesrat mit den Instrumenten, die uns dankenswerterweise durch den Vertrag von Lissabon überantwortet wurden, gestärkt wird, und es ist daher für mich nicht nachvollziehbar, warum sich ein aktiver Parla­mentarier – und als solchen schätze ich dich ein – diesen weiteren Mitgestaltungsins­trumenten, auch wenn er sich kritisch der EU gegenüber äußert, verschließt.

Also das erschließt sich mir politisch wirklich nicht, und daher, sehr geehrte Damen und Herren und liebe Kolleginnen und Kollegen, stelle ich für unsere Fraktion fest: Die Bedeutung der europäischen Politik hat in den vergangenen Jahren, um nicht zu sagen in den vergangenen Wochen, rapide zugenommen. Wir brauchen nur die Tageszeitun­gen aufzuschlagen, dann wissen wir, worüber wir reden. Aber nicht nur die Tageszei­tungen und die Europäische Union, sondern auch die Tagesordnungen bei uns im EU-Ausschuss und auch die Tagesordnungen für die BR-Plenarsitzungen zeigen doch einen deutlichen Anstieg der Einflussmöglichkeiten und auch der Einflüsse der Euro­päischen Union auf einen ihrer Mitgliedstaaten, nämlich auf Österreich.

Und ich sage daher: Auch eindrucksvoll stellt sich für mich die Erkenntnis dar, dass mittlerweile pro Jahr rund 20 000 EU-Dokumente auch an den Bundesrat übermittelt werden. In diesem Zusammenhang wollen wir in Zukunft für die Länderkammer, für die zweite Kammer in der Bundesgesetzgebung unsere Verantwortung gegenüber den Ös­terreicherinnen und Österreichern, nämlich unsere Rolle als Mitgliedstaat und Mitge­stalter-Staat in der Europäischen Union aktiv wahrnehmen. Mit dem EU-Informations­gesetz und – ich stelle das gleich in den Raum – der noch zu beschließenden Ge­schäftsordnungs-Novelle des Bundesrates, die wir uns für den 15. Dezember gemein­sam vorgenommen haben, wird auch der Bundesrat gegenüber den politischen Aktivi­täten innerhalb der Europäischen Union rascher handlungsfähig, und wir werden ganz deutlich unsere parlamentarische Arbeit gerade in diesen Materien wesentlich quali­tätsvoller wahrnehmen können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da die EU-Datenbank angesprochen wurde: Ja, es ist richtig, es gab eine Diskussion im Ausschuss, aber klar ist – und das sage ich jetzt nicht nur schützend für die Parlamentsdirektion –, dass das ein Projekt ist, das jetzt mitten in der Entwicklung steht, und klar ist daher auch, dass wir uns gemeinsam ein­bringen müssen, um gerade den Effekt, Hermann, den du angesprochen hast, mög­lichst nicht zu erzielen. Es geht nicht darum, uns mit Dokumenten unnötig zu be­schäftigen, von deren Mehrwert wir politisch nicht überzeugt sind, sondern es geht da­rum, bei dieser Datenbank unterstützend, Hand in Hand – die Kolleginnen und Kolle­gen in der Direktion und wir in der Politik –, den vernünftigen Fokus zu entwickeln, auf welche Themen wir uns speziell vorbereiten und speziell einsteigen wollen.

Daher sage ich ganz deutlich – und da sei noch einmal die Lissabon-Begleitnovelle er­wähnt –: Subsidiaritätsklage und Subsidiaritätsrüge sind die beiden Instrumente, die


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uns in die Hand gegeben werden, und wir werden damit sorgsam umgehen, aber wir werden als Bundesrat klar und deutlich im Interesse unserer Bundesländer auf diese beiden Instrumente zurückgreifen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir machen damit meines Erachtens einen großen Schritt im Bereich der qualitativen Beratungen zum Thema EU-Vorhaben, und es ist aus meiner Sicht daher nicht einzusehen, warum gerade im aktiven Parlamentarismus diese Instrumente nicht gemeinsam in die Hand genommen werden. Wir laden daher alle Fraktionen ein, dieses Vorhaben gemeinsam zu unterstützen.

Ich erlaube mir, heute einen Punkt für die Tagesordnung der Bundesratssitzung am 15. Dezember 2011 vorwegzunehmen: Wir werden uns gemeinsam bemühen, einen Geschäftsordnungsentwurf auf Basis der Adaptierungen – auch der technischen Adap­tierungen – zum EU-Informationsgesetz des Bundesrates zu machen. Wir haben einen Gedanken, um Europa auch im Bundesrat ein bisschen zu beleben, den wir gemein­sam noch vervollständigen wollen. Wir werden das allen im Hause vertretenen Frak­tionen selbstverständlich rechtzeitig übermitteln. Und ich werde dann dazu einladen, ei­nen gemeinsamen Kraftakt im Sinne einer einstimmigen Beschlussfassung herbeizu­führen. – Herzlichen Dank. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

13.45


Vizepräsident Reinhard Todt: Zu Wort gelangt nun Herr Bundesrat Keuschnigg. – Bitte.

 


13.46.06

Bundesrat Georg Keuschnigg (ÖVP, Tirol): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr ge­ehrter Herr Staatssekretär! Hoher Bundesrat! Herr Kollege Brückl, Sie haben ja eine nicht ganz leichte Position hier im Bundesrat zu vertreten, denn Ihre Partei ist gegen die Europäische Union, und daher müssen Sie das immer wieder neu formulieren.

Sie haben, Herr Kollege Brückl, hier von einer Scheindemokratisierung gesprochen. Wir haben heute hier im Bundesrat als letzten Tagesordnungspunkt eine Subsidiari­tätsrüge, die wir als Europaausschuss dem Plenum des Bundesrates vorschlagen. Wir haben erstmals in der Geschichte der Europäischen Union mit dem Vertrag von Lissa­bon die Möglichkeit, direkt am Rechtsentstehungsprozess der Europäischen Union teil­zuhaben.

Weil Sie, Herr Kollege Brückl, auch das Thema „Bürokratisierung“ genannt haben: Wir müssen ja nicht – der Klubobmann von der SPÖ hat es gerade erwähnt, es sind an die 20 000 Dokumente – alle 20 000 Dokumente durchschauen, sondern wir können uns genau diejenigen herauspicken, wo Österreich betroffen ist, wo wir eine Position zu vertreten haben, wo wir österreichische Standpunkte durchsetzen wollen, und wir wer­den dann die Instrumente in Anspruch nehmen, bei denen uns das sinnhaft erscheint.

Diese Arbeit im Rahmen des Vertrages von Lissabon – und wir haben ja im Europa­ausschuss des Bundesrates, aber auch hier im Plenum einiges an Erfahrung sammeln können – stellt natürlich völlig neue Anforderungen an unsere Tätigkeit. Diese Vielzahl an Dokumenten, die letztlich hereinkommt, wird ja vom Internationalen Dienst sehr pro­fessionell gefiltert, mit Listen, wo alle eingehenden Dokumente draufstehen, und mit Listen, wo die Fristenläufe draufstehen, und auch mit Empfehlungen, ob wir da ge­nauer hineinschauen sollen oder nicht. Das heißt also, das Ganze ist sehr, sehr gut vor­bereitet.

Wir im Bundesrat brauchen natürlich diese Datenbank, von der heute die Rede ist, denn sie ist letztlich das zentrale Instrument der Europaarbeit. Es hat ja schon bisher sehr vieles gegeben, aber bisher war das nicht in einem Gesetz geregelt, sondern ist teilweise von der Bundesregierung und vom Internationalen Dienst einfach aufgrund


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der Erfordernisse und aufgrund der Entwicklungen zur Verfügung gestellt worden. Mit diesem Gesetz wird das jetzt sehr genau geregelt. Es ist kein Freiwilligkeitsprinzip mehr – zum Beispiel in Bezug auf die Informationszurverfügungstellung – seitens der Bundesregierung gegeben, sondern es ist jetzt verbindlich geregelt, dass diese Arbei­ten getätigt werden sollen.

Wir brauchen die Basisinformation zu den einzelnen Themen. Wir müssen wissen, wie die Beschlüsse der anderen Parlamente in Europa ausschauen, welche Parlamente für eine Vertiefung sind, welche Parlamente unserer Position den Rücken stärken. Wir er­leben eine Vernetzung unseres Parlaments mit anderen europäischen Parlamenten, und sobald in einer Materie zwei, drei, vier Parlamente Vorbehalte anmelden, merken wir schon sehr genau, wie Brüssel und wie der Europäische Rat und wie das Europäi­sche Parlament sehr vorsichtig zu reagieren und auf die Bedenken hinzuhorchen be­ginnen, weil die sich natürlich keinesfalls dem Risiko aussetzen möchten, einer Sub­sidiaritätsklage unterworfen zu werden. Dieser Peinlichkeit – Sie können davon ausge­hen – wird sich keine europäische Institution aussetzen.

Für uns von ganz entscheidender Bedeutung ist vor allem auch deswegen, weil diese Materien sehr komplex sind, die Informationsverpflichtung seitens der Bundesregie­rung, denn das ermöglicht uns den Zugang zum Sachverstand.

Es hat sich im Europaausschuss des Bundesrates eine wirklich vorbildliche Vernetzung der österreichischen Institutionen entwickelt. Wir laden im Bundesrat nicht nur die fe­derführenden und andere betroffene Ministerien ein. Zu uns kommen auch die Sozial­partner, die ihren Sachverstand bei uns einbringen können. Es sind auch die Bundes­länder über die Verbindungsstelle der Bundesländer im Europaausschuss des Bundes­rates vertreten. Wir laden auch den Städte- und den Gemeindebund in den Europaaus­schuss des Bundesrates ein. Das heißt, all diese Institutionen sind bei der Behandlung der relevanten Materien mit dabei.

Wir wissen, dass unsere Tagesordnung die wirklich kritischen Punkte, die Österreich betreffen, abzudecken in der Lage ist. Drei, vier Tagesordnungspunkte pro Monat, da­mit haben wir die Spitze jener Materien, die für unser Land entscheidend sind, erfasst. Es hat sich im Umfeld und im Vorfeld wirklich eine sehr gute Integration des gesamten Sachverstandes dieser Republik herauskristallisiert.

Und wir sind stolz darauf, dass wir hier im Bundesrat nicht nur die gleiche Kompetenz haben wie der Nationalrat – das ist das eine –, sondern dass wir wirklich in der Europa­arbeit federführend sein können, dass es an uns liegt, was wir daraus machen. Und das EU-Informationsgesetz ist ein ganz pragmatisches, verbindliches Dienstleistungs­gesetz, das das regelt, was wir an Informationen, an Unterlagen brauchen, und das da­zu dient, dass jede Oppositionspartei und jede Regierungsfraktion genau weiß, welche Rechte ihr zur Verfügung stehen.

Wir werden dieses Gesetz selbstverständlich unterstützen. Ich glaube, dass es ein wie­terer guter Schritt in Richtung Entwicklung der Europaarbeit im Bundesrat ist. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

13.52


Vizepräsident Reinhard Todt: Zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Kerschbaum. – Bitte.

 


13.52.06

Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum (Grüne, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gut Ding braucht Wie­le, und bei diesem EU-Informationsgesetz hat sich, denke ich, die Weile, die wir inves-


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tiert haben, gelohnt. Es ist in unseren Augen ein gutes Gesetz geworden – ein Gesetz, das gewährleistet, dass wir künftig jene Informationen bekommen, die wir brauchen, dass auch die Bürgerinnen und Bürger auf mehr Informationen zugreifen können und dass die Ministerinnen und Minister künftig ihre Standpunkte verpflichtend darlegen müssen, was ja bisher nicht immer funktioniert hat.

Ich denke, gerade in EU-Sachen war es bisher nicht unbedingt ein Mangel an Informa­tionen, der uns getroffen hat, sondern eher der Überfluss, wo sich die Frage stellte: Su­chen wir uns jetzt das Richtige heraus oder doch das Falsche?, und es war vor allem aus den vielen Papieren und aus den vielen komplizierten Formulierungen nicht leicht, verständliche Diskussionen zu machen. Und ich sehe es als unsere Aufgabe, die wir hier im Bundesrat verstärkt übernehmen sollen, diese Diskussionen hier zu führen, weil ich glaube, dass das die Grundvoraussetzung dafür ist, dass eine gewisse EU-Skepsis, die wir in unserem Land haben und die von manchen Medien noch verstärkt wird, ein­fach darauf beruht, dass es nicht verständlich ist, was da transportiert wird, was da be­schlossen wird.

Dieses EU-Informationsgesetz ist ein erster Schritt, dem entgegenzuwirken, ist ein wichtiges Werkzeug, das wir jetzt anwenden müssen, und eine der Anwendungen hat hier bei den Diskussionen im Plenum stattzufinden. Und insofern, lieber Herr Kollege Klug, muss ich dir sagen, die Hoffnung, dass es bei der Geschäftsordnungs-Novelle Einstimmigkeit geben wird, ist auf meiner Seite nicht so wie bei dir gegeben. Aber du hast ja noch ein paar Tage Zeit.

Für uns ist diese Arbeit hier ganz wichtig, und deshalb haben wir schon im Ausschuss so darauf gedrängt, dass wir jetzt die Rüge oder die Stellungnahme zum EU-Kaufrecht im Plenum diskutieren, denn der Vorwurf, den wir immer erhoben haben, war der, dass das sozusagen im stillen Kämmerlein diskutiert wird und man dann nicht weiß, wer wel­che Interessen vertritt und was am Schluss herauskommt, und wir dann damit einfach konfrontiert werden.

Ich finde es super, wenn wir jetzt sagen: Okay, wir diskutieren das hier im Plenum! Wir haben seit einiger Zeit beziehungsweise in letzter Zeit immer auch das Fernsehen hier, und ich bekomme immer wieder Rückmeldungen, wer da zuschaut und zuhört. Ich glaube, das ist ein Weg oder eine Möglichkeit, Diskussionen zu führen, sachliche Dis­kussionen zu führen und damit auch die EU-Skepsis ein bisschen beiseitezuschaffen. Nur, ich würde mir schon wünschen, dass man per Geschäftsordnung diese Möglich­keit eingeräumt bekommt. Für uns wäre es, wenn wir einer Geschäftsordnungsände­rung zustimmen sollten, schon notwendig, dass man das verpflichtend macht, dass zu­mindest Rügen und Klagen hier im Plenum besprochen werden und nicht nur im Aus­schuss.

Der Herr Kollege Klug hat heute schon am frühen Morgen zu uns gesagt, wir seien ein­fach zu klein, um die Protokolle der Landeshauptleutekonferenz lesen zu dürfen, wir seien zu klein, um über eine Geschäftsordnungsänderung reden zu dürfen. Leider gab es auch in diesem Fall nicht die Einbindung der Oppositionsparteien. Ich weiß nicht, wie es bei der FPÖ war, bei uns Grünen war sie jedenfalls nicht vorhanden. Es hat ein­mal die Frau Präsidentin mit mir kurz darüber geredet, welche Wünsche wir hätten. Am 27. Oktober 2011 haben wir dann einen Entwurf bekommen. Das war es!

Also wenn wirklich der Wunsch besteht, dass es einstimmig beschlossen werden soll, und es wäre schön, wenn die Geschäftsordnungs-Novelle einstimmig beschlossen werden würde, dann würde ich dem Herrn Klug empfehlen, dass er sich in diesem Fall ein Vorbild am Nationalrat nimmt, wo die Verhandlungen für das EU-Informationsge­setz gemeinsam mit den Grünen geführt worden sind und wo offensichtlich ein Gesetz herausgekommen ist, dem wir jetzt alle – bis auf die FPÖ, die da ganz andere Be-


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denken hat, die ich auch nicht verstehe – zustimmen können, und das ist erfreulich. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

13.56


Vizepräsident Reinhard Todt: Zu Wort gelangt nun Herr Fraktionsvorsitzender Bun­desrat Kneifel. – Bitte.

 


13.56.19

Bundesrat Gottfried Kneifel (ÖVP, Oberösterreich): Herr Präsident! Hohes Präsi­dium! Meine sehr geschätzten Kolleginnen und Kollegen! Zur Zusammenarbeit in Euro­pa gibt es keine ernst zu nehmende Alternative. (Beifall der Bundesräte Keuschnigg und Dönmez.) Ja, das ist durchaus einen Applaus wert, weil es, glaube ich, auch eine Werthaltung ausdrückt, dass wir in diesen Zeiten gerade in diesen Fragen sehr gefor­dert sind.

Von den Vorrednern wurde bereits auf die schwierige Entwicklung der gegenwärtigen Zeit hingewiesen, und ich glaube, gerade deshalb ist es notwendig, dass sich Mitglie­der auch der zweiten Kammer der Gesetzgebung des Bundes, des Bundesrates, inten­siv mit diesen Fragen auseinandersetzen.

Herr Kollege Brückl, ich frage mich wirklich allen Ernstes: Wie wollen Sie bei einer Ver­anstaltung oder bei einem Sprechtag oder wo immer Sie mit Ihren Wählerinnen und Wählern in Ihrem Bezirk oder Wahlkreis zusammenkommen, wirklich authentisch und verständlich die Zusammenhänge erklären, wie sie sich hier in diesem Haus oder im Zuge der Zusammenarbeit Österreichs mit der Europäischen Union gestalten? Sie kön­nen das nicht, wenn Sie nicht das Handwerkszeug dazu haben! Und dieses Werkzeug wird uns Mandataren mit diesem EU-Informationsgesetz gegeben. Das ist ja für uns Hammer und Beißzange, um entsprechende Werkstücke schmieden und formen zu können. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Abgeordneter auf dieses Hand­werkszeug verzichtet, denn dann kann er seine Aufgabe gegenüber den Wählerinnen und Wählern nicht ordentlich erfüllen. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

Jetzt komme ich von der Bundesebene zu unserer speziellen Rolle in der Länderkam­mer. Die Länder haben nicht die Möglichkeit, eine Subsidiaritätsrüge oder eine Subsi­diaritätsklage beim Europäischen Gerichtshof einzureichen. Das müssen wir für sie leisten! Und wie wollen Sie das tun, wenn Sie diese Informationszugänge ablehnen und sagen: Ich brauche das nicht, ich will mich mit dem gar nicht beschäftigen!? – Es ist Ihr Auftrag, sich damit zu beschäftigen, Sie sind Mandatar! (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen. – Zwischenrufe der Bundesräte Brückl und Mühlwerth.)

Schauen Sie, es geht ja in Europa gar nicht mehr um den Wettbewerb der nationalen Staaten, sondern es geht um den Wettbewerb der Regionen, und damit sind wir wieder bei den Ländern. Es geht beispielsweise darum: Wo kommen die TEN, die Transeuro­päischen Netze, hin? Geht das über Ungarn von Norden nach Süden oder geht das von Berlin über Prag, Budweis, Linz, Graz? Da sind schon zwei österreichische Bun­desländer sehr stark betroffen. Wir sind überall von diesen Dingen betroffen, und da kann ich mir nicht vorstellen, dass ein Mandatar sagt: Das alles interessiert mich nicht, ich bin gegen das Gesetz – so quasi nach dem Motto: Ich will mir meine Hände nicht schmutzig machen mit diesem Gesetz, wo vielleicht EU oben draufsteht, und wenn es auch nur das EU-Informationsgesetz ist!

Ich glaube, da besteht schon noch Nachholbedarf, Herr Kollege, wenn wir unsere Auf­gabe als Mandatare wirklich ernst nehmen wollen. Wenn wir uns ernsthaft mit den The­men der Europäischen Union, soweit sie unsere Länder betreffen, auseinandersetzen wollen, darf man sich an diesem Gesetz nicht vorbeischummeln wie bei der Vermei­dung von heißem Brei.


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Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind der verlängerte Arm der Länder. Ich habe schon erwähnt, dass die Länder keine Subsidiaritätsrüge und keine Subsidiari­tätsklage aussprechen können. Wir sind hier auch in der Pflicht der Länder. Europa ist nie ein abgeschlossenes Projekt. Europa ist immer im Fluss, Europa ist immer in Be­wegung und wir werden uns bei fast jeder Sitzung dieses Hauses mit europäischen Fragen beschäftigen müssen, denn sonst klinken wir uns aus. Und wer stillsteht, der fällt zurück, auch im europäischen Prozess! (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

Hier sollten wir daher den Auftrag der Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen und ent­sprechend dem von uns beschlossenen Lissabon-Vertrag, der Verfassung der Europäi­schen Union, und diesem EU-Informationsgesetz handeln.

Noch ein Wort zur Geschäftsordnung des Bundesrates, zu meiner Vorrednerin. – Ja, wir arbeiten intensiv daran und mir liegt auch sehr viel daran, dass die Bundesratsge­schäftsordnung nach Möglichkeit einstimmig beschlossen wird. Das Gesetz ist prak­tisch fertig, es geht noch um die Systematik der Kommentare dazu, die auch in einer logischen, systematischen Abfolge formuliert werden sollen. Wir werden die Vorlage für die neue Geschäftsordnung zeitgerecht weiterreichen. Ich bin da mit meinem Kollegen Klug einer Meinung. Wir werden das sicher so handhaben. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

14.02


Vizepräsident Reinhard Todt: Ich muss Herrn Staatssekretär Dr. Ostermayer, der einen ganz dringenden Termin hat und das auch vorher bekannt gegeben hat, jetzt entschuldigen.

Ich stelle fest, dass keine weiteren Wortmeldungen vorliegen.

Wünscht noch jemand das Wort? – Bitte, Frau Fraktionsvorsitzende Mühlwerth.

 


14.02.46

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Kneifel im Besonderen! Niemand von uns hat gesagt, dass uns Informationen egal seien, auch mein Kollege Brückl hat das nicht gesagt. Wir nehmen auch die Ausschussarbeit im EU-Ausschuss sehr ernst. Das ist auch daran zu erkennen, dass wir der Ausschussfeststellung nicht nur gestern im EU-Ausschuss zugestimmt haben, sondern ihr auch heute unsere Zustimmung geben werden.

Aber man darf natürlich schon kritisch sein, man darf auch gegenüber von Informatio­nen beziehungsweise der Informationsflut ein bisschen kritisch sein. Wenn du ehrlich bist, Kollege Kneifel, und wenn wir uns anschauen, wie viele E-Mails wir in Angelegen­heiten der Europäischen Union bekommen, was alles betreffend Europäische Union hereinkommt, wenn du da jedes einzelne E-Mail lesen würdest, dann hättest du so ei­nen Ballon. (Bundesrat Mayer: Reflexartig nein! Bei allem!)

Wir sind deswegen kritisch, weil wir sagen, man kann auch mit zu viel an Information das Wesentliche verschleiern. Ich unterstelle das jetzt nicht a priori, aber die Möglich­keit besteht natürlich. (Bundesrat Schennach: Wer soll es selektionieren?) Das ist un­ser Kritikansatz, dass da ein enormer Aufwand betrieben wird, auch ein enormer Infor­mationsaufwand, wo nicht sichergestellt ist, dass die Information dann tatsächlich die ist, die wir auch wirklich benötigen. Das ist der einzige Grund.

Ich möchte mich wirklich dagegen verwahren, dass gesagt wird, als Mandataren ist uns das alles egal, die Information ist uns wurst.

Im Übrigen: Wie wir das unseren Wählerinnen und Wählern erklären, das darfst du ge­trost uns überlassen. (Beifall bei der FPÖ.)

14.04



BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 84

Vizepräsident Reinhard Todt: Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Die Debatte ist ge­schlossen.

Wir gelangen nun zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

14.04.494. Punkt

34. Bericht der Volksanwaltschaft (1. Jänner bis 31. Dezember 2010) (III-436-BR/2011 d.B. sowie 8607/BR d.B.)

 


Vizepräsident Reinhard Todt: Wir gelangen nun zum 4. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Reisinger. Ich bitte um den Bericht.

 


14.05.08

Berichterstatter Friedrich Reisinger: Geschätzter Herr Präsident! Geschätzte Kolle­ginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Bericht des Ausschusses für BürgerInnenrechte und Petitionen über den 34. Bericht der Volksanwaltschaft über den Zeitraum vom 1. Jänner bis 31. Dezember 2010 liegt Ihnen in schriftlicher Form vor; ich komme daher gleich zur Antragsstellung.

Der Ausschuss für BürgerInnenrechte und Petitionen stellt nach Beratung der Vorlage am 29. November 2011 den Antrag, den 34. Bericht der Volksanwaltschaft zur Kennt­nis zu nehmen.

 


Vizepräsident Reinhard Todt: Ich begrüße in unserer Mitte Herrn Volksanwalt Kostel­ka, Frau Volksanwältin Brinek und Frau Volksanwältin Stoisits. Herzlich willkommen!

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Schennach. Ich erteile es ihm.

 


14.06.15

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr ge­schätzte Damen Volksanwältinnen! Sehr geschätzter Herr Volksanwalt! Sehr geschätz­te Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Volksanwaltschaft! Lassen Sie mich zu Beginn eines sagen – das ist nicht als Kompetenzanmaßung gemeint –: Ich denke, dass wir sowohl den Damen Volksanwältinnen und dem Herrn Volksanwalt als auch ihren Mit­arbeiterinnen und Mitarbeitern unsere uneingeschränkte Zustimmung zu und uneinge­schränkte Anerkennung für ihre unglaubliche Arbeit, die sie in ihrem Bericht dokumen­tieren, heute in dieser Sitzung mit allem Respekt und in aller Wertschätzung entgegen­bringen können.

Meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Zirka 15 300 Anliegen wurden im Berichtszeit­raum an die Volksanwaltschaft herangetragen. 15 300 Anliegen! Das sind – Minimum – 15 300 verzweifelte Bürger oder Bürgerinnen. In vielen Fällen stehen Familien dahin­ter, das heißt, wenn wir das hochrechnen: Wie viel auch oft vermutete Unrechtbehand­lung wird hier mit einer Art letzter Hoffnung an die Volksanwaltschaft herangetragen? Man kann diese Arbeit nicht hoch genug würdigen.

Ich denke, wenn wir bei diesen Zuwachsraten irgendwann die Zahl 16 000 erreichen, dann müssen wir langsam über eine vierte Person in der Volksanwaltschaft nachden­ken. Wir können uns das ja einmal im Detail anschauen. Das sind 15 000 Briefe, 7 600 persönliche oder telefonische Gespräche, 11 000 E-Mails, 1 800 Vorsprachen. Also die


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 85

Volksanwältinnen und Volksanwälte machen mindestens an jedem Werktag irgendwo in Österreich einen Sprechtag, 273 Sprechtage. Und 317 000 Menschen interessiert es wöchentlich, via Fernsehen dabei zu sein.

Verzweiflung ist immer berechtigt, wenn man verzweifelt ist, aber sie ist nicht immer rechtlich berechtigt. Und so sind ungefähr bei 50 Prozent dieser verzweifelten Anfragen auch Prüfungsverfahren in Gang gesetzt worden, das sind ein bisschen weniger als 7 000.

Was für uns jetzt als Länderkammer interessant ist, ist, dass davon ein Drittel die Lan­des- und Gemeindeverwaltungen betroffen hat, das heißt, da liegen wir eigentlich ganz gut bei einem Drittel, aber trotzdem sind auch 2 500 Fälle eben 2 500 Fälle.

Wenn wir diesen umfassenden Bericht von verzweifelten Bürgern und Bürgerinnen an­schauen, so sieht man, dass es hier Spitzenreiter gibt, etwa im Sozial- und im Asylbe­reich.

Interessant für uns: Als Gesetzgeber ist man immer bemüht – und ich glaube, das müssen wir blanko unterschreiben –, das Richtige zu tun. Natürlich ist manchmal das Richtige nicht unbedingt das Gute oder bringt die Wirkung eines Gesetzes, die wir woll­ten.

Und trotzdem ist der Bericht der Volksanwaltschaft über Missstände in der Verwaltung für uns ein ganz wichtiger Parameter, um eines zu sehen: Funktioniert unser Staat in diesen Bereichen? Deshalb bin ich zum Beispiel froh darüber zu sehen, dass bei die­ser Summe an Anliegen bei 4 000 Fällen kein Missstand seitens der Volksanwaltschaft festgestellt wurde. In 900 Fällen – und jetzt sage ich: nur in 900, aber jeder einzelne Fall ist immer ein Fall zu viel –, also in 900 Fällen lag ein Missstand vor. Und in 600 Fäl­len wurde offensichtlich nach Diskussionen – aber das ist eine zeitaufwendige Sache – die Beschwerde zurückgezogen.

Damit, meine Damen und Herren von der Volksanwaltschaft, leisten Sie nicht nur durch Ihre Empfehlungen an den Gesetzgeber einen enormen Beitrag zur Rechtspflege in unserem Land, sondern auch eine enorme Assistenz in der Findung des richtigen Ge­setzes, da Sie hier die Ansprechstelle für oft verzweifelte und – vom Gefühl her – um ihr Recht betrogene Bürger sind, damit leisten Sie aber auch einen unglaublichen Bei­trag zur Demokratiepflege in unserem Land. (Präsidentin Mag. Neuwirth übernimmt den Vorsitz.)

Aus dem vorliegenden umfangreichen Bericht möchte ich vier Bereiche ansprechen. Ein Bereich ist jener der Kinder- und Jugendrechte. Wir hatten vor wenigen Tagen den Tag der Kinderrechte.

Wenn ich im Bericht der Volksanwaltschaft lese, dass selbst die zentrale Garantie der UN-Kinderrechtskonvention, nämlich alle geeigneten Gesetzes-, Verwaltungs-, Sozial- und Bildungsmaßnahmen zu ergreifen, um Kinder vor jeglicher Form körperlicher und geistiger Gewaltanwendung, Schadenszufügung und Misshandlung, vor Verwahrlo­sung und Vernachlässigung, vor schlechter Behandlung oder Ausbeutung einschließ­lich des sexuellen Missbrauchs zu schützen, dass diese zentrale Garantie nicht erfüllt und nicht verwirklicht wird, muss ich mich wundern.

Warum wird das nicht erfüllt? – Nicht, weil der Gesetzgeber jetzt sagt, das ist für uns uninteressant, sondern, wie die Volksanwaltschaft hier feststellt, weil es keine syste­matische Herangehensweise an Kinderrechte in unserem Land gibt und es dadurch zu einer Kumulation von Benachteiligung in kindlichen Lebensläufen kommt.

Das ist eine erschreckende Feststellung der Volksanwaltschaft. Wir sind in diesem Jahr der Lanzarote-Deklaration betreffend den Schutz von Kindern vor sexueller Aus­beutung beigetreten. Wir sind der UN-Konvention für Kinderrechte beigetreten. Und trotz all dieser von Österreich bewusst gesetzten Maßnahmen schaffen wir es noch


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nicht, zum Beispiel im Gesundheitsranking der OECD Platz 27 von 30 Staaten zu ver­lassen.

Das ist kein gutes Zeugnis. Deshalb sollten wir, gerade auch als Bundesrat – Kinder- und Jugendfragen sind ja auch meistens föderale Fragen –, das hier als einen ganz besonderen Auftrag aus diesem Bericht mitnehmen.

Einen Punkt hält dieser Bericht auch noch fest. Der Kampf gegen die Kinderarmut in Österreich ist nicht gewonnen, sondern wir verlieren diesen Kampf immer und immer wieder.

Der zweite Punkt, den ich herausgreifen möchte, ist das Asylrecht. Von 2009 auf 2010 gab es da eine Verzehnfachung der Beschwerden. Da kann etwas nicht stimmen! Die Dauer und die Verschleppung der Asylverfahren ist zu lange. 23 000 Altfälle hat der Asylgerichtshof bei seiner Schaffung bekommen. Die hätten abgebaut werden sollen. Sie konnten nicht abgebaut werden – nicht, weil der Asylgerichtshof schlecht ist oder schlecht arbeitet, sondern weil er nicht die entsprechende personelle Ausstattung hat.

Wenn Rechtsmittelverfahren eine dermaßen lange Dauer haben, dann schafft es der Rechtsstaat, zu einer Art Rechtsverweigerung zu kommen, und das ist das Schlimms­te, was ein Rechtsstaat machen kann.

Das zeigt auch dieser Bericht. Wenn wir jetzt schon hören, dass im Bericht 2011 diese Verzehnfachung schon längst nur mehr eine untere Schwelle ist, weil es zu einer wie­teren Vervielfachung kommen wird, dann müssen wir hier alles unternehmen, um die­ser Rechtsverweigerung ein Ende zu bereiten, denn dahinter stehen überall soziale Bio­graphien.

Der Bundesrat hat 2006 Einspruch gegen das Staatsbürgerschaftsrecht erhoben. Das heißt, der Bundesrat hat damals mit Mehrheit erkannt, dass dieses Gesetz nicht das schafft, was es zu schaffen vorgibt, und nun bekommen wir in diesem Bericht eine kla­re Bilanz dieses Gesetzes, nämlich die dramatische Erhöhung der Zahl der Beschwer­den aus dem Staatsbürgerschaftsrecht.

Aber immerhin kann der Bundesrat sagen, wir haben damals durch unseren Einspruch gewarnt. Damals hat man uns im Nationalrat nicht gehört. Bei der Erhöhung der Zahl dieser Beschwerden geht es gerade um den finanziellen Aspekt. Da hat die Volksan­waltschaft dem Gesetzgeber einen Vorschlag gemacht, eine Anregung gegeben, wie man das regeln kann, damit es eben nicht zu dermaßen krassen Härtefällen kommt.

Leider hat der Gesetzgeber, und das sind auch wir, nicht gehört, was die Volksanwalt­schaft uns sagt, sondern wir haben diesen Punkt noch verschärft. Und dadurch kommt es jetzt gerade zu einer Lawine.

Der dritte Punkt, den ich heute hier ansprechen will, sind die Agrarförderungen. Im Agrarbereich, lieber Kollege Tiefnig, das wissen wir, liegt irrsinnig vieles im Argen. Die bestehenden Förderungen begünstigen oft diejenigen, die ohnehin zu viel bekommen, und diejenigen, die es notwendig hätten, bekommen bei der Agrarförderung zum Über­leben gerade zu wenig.

Aber – jetzt bin ich einmal bei euch, auf der agrarischen Seite –: Dass die Volksan­waltschaft feststellen muss, dass 4 500 Betriebe die Auszahlung im Bereich der Um­weltförderung und der Ausgleichszahlungen verspätet bekommen, was für viele dieser Betriebe existenzbedrohend ist – 4 500 Betriebe sind ja nicht wenig –, ist beachtlich. Wenn es hier hieße, in 20 oder in 30 Fällen, aber 4 500 Betriebe zeigt eigentlich, dass es einen extremen Handlungsbedarf des zuständigen Ministeriums geben sollte, das diesen Handlungsbedarf aber offensichtlich bis jetzt nicht erkennt. Die Verfahren sind noch anhängig.

Lapidar steht im Bericht der Volksanwaltschaft – man kann mich ja dann korrigieren –, dass die Bauern erst im Dezember 2010 über diese Verzögerungen informiert wurden.


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 87

Ein vierter Punkt, der mir auch sehr wichtig ist, ist folgender: Ich habe die Volksanwälte im Ausschuss gefragt, ob das eine Empfehlung oder nur eine Feststellung ist. Öster­reich ist, so wie der UN-Konvention für Kinderrechte, auch der UN-Konvention für Be­hindertenrechte beigetreten. Und bei der UN-Konvention für Behindertenrechte ist ei­nes der großen Prinzipien die Barrierefreiheit, nämlich Barrierefreiheit für Menschen mit allen Arten von Gebrechen.

Diesbezüglich stellt die Volksanwaltschaft eines fest – und das sollten wir mitnehmen, denn wir haben jetzt in diesem Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen, Zeit; es gibt ja nicht oft die Chance, dass wir Zeit haben –: Die Barrierefreiheit soll bis 2015 in Öster­reich weitestgehend verwirklicht werden.

Weil das nun gestreckt wurde auf 2019, warnt die Volksanwaltschaft, dass das ein wirklicher Bruch mit der UN-Konvention und mit unserer Verpflichtung aus der UN-Kon­vention ist. Und wir sollten hier sowohl auf den Bund als auch auf die Länder einwirken, am ursprünglichen Ziel, nämlich die Barrierefreiheit bis 2015 herzustellen, mit aller Kraft festzuhalten, anstatt zu sagen: 2019.

Nun komme ich zum Schluss. Ich beginne mit der Frau Landeshauptfrau Burgstaller, die den bemerkenswerten Satz gesagt hat, wir müssen aufhören, in Grenzen zu leben. Sie meinte damit die Landesgrenzen. In jedem Volksanwaltschaftsbericht, den ich aus den letzten zehn Jahren im Haus kenne, gibt es einen, zwei, drei, vier Fälle von extre­men Grenzen, aber das sind Grenzen, dagegen ist manchmal der frühere und nun­mehr gefallene Eiserne Vorhang nahezu eine überwindbare Grenze: das ist in der Schul- und Bildungsverwaltung.

Auch in diesem Bericht ist wieder so ein Fall festgestellt. Wenn es für Eltern aus Nie­derösterreich viel leichter ist, ihre Kinder in einem Kindergarten in Wien unterzubringen als in Niederösterreich, ist das unmöglich!

Mir hat heute ein Kollege von einer niederösterreichische Lehrerin erzählt, die aus ir­gendwelchen Gründen, und sei es die Liebe gewesen, in Tirol angefangen hat zu un­terrichten, aber jetzt nach Niederösterreich zurückwill – es ist nicht möglich! Die kämpft seit drei Jahren – seit drei Jahren! Sie will eigentlich nur Lehrerin sein. Sie war in Tirol Lehrerin, und jetzt möchte sie in Niederösterreich, dort, wo sie herkommt, weiter Leh­rerin sein. Wir haben in unserem Bildungssystem Grenzen aufgebaut ... (Bundesrat Kainz: Bewerben muss sie sich einmal!) – Nein, sie muss jemanden finden, der von Niederösterreich ersatzweise nach Tirol geht. (Volksanwältin Dr. Brinek: Ja, das ist die Regel!) Das ist die Regel! Bitte, die Frau Volksanwältin sagt es, das ist die Regel.

Jetzt musst du jemanden in Niederösterreich finden, der sagt, okay, tauschen wir, ich gehe nach Tirol. Und was passiert dann in Tirol? Die sagen demjenigen, ja, du kannst nach Tirol kommen, aber du verlierst deinen Rechtsstatus als Beamter – du kannst als Vertragsbediensteter anfangen! Da müssen Sie erst einmal jemanden finden, der Ich­nen den Ersatz macht! Das ist ein Irrsinn!

Da wir heute schon über einen bürgernahen, modernen Föderalismus gesprochen ha­ben: In jedem Bericht ist so etwas zu finden! Jedes Jahr erzählt uns die Volksanwalt­schaft von solchen Fällen! Und jedes Jahr schaffen wir es nicht, hier ein bisschen Fle­xibilität im Sinne der Bevölkerung hineinzubringen. Die Leute fragen ja uns, und wir ha­ben denen das zu erklären! Ich denke, im Bildungsbereich muss das einfach möglich sein.

Meine Fraktion nimmt diesen Volksanwaltschaftsbericht sehr gerne zur Kenntnis, weiß aber auch, dass er viel Arbeit für uns bedeutet. – Danke. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

14.23



BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 88

Präsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Mayer zu Wort. – Bitte.

 


14.23.33

Bundesrat Edgar Mayer (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Da­men Volksanwältinnen! Herr Volksanwalt! Herzlich willkommen bei uns im Bundesrat! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Schennach, dein ausführ­liches erstes Statement gibt mir jetzt die Möglichkeit, hier den Kurzbericht zu referieren (Heiterkeit), denn du hast ja den großen Bericht als Grundlage genommen. (Bundesrat Gruber: Du machst die Zusammenfassung!) – Eine Zusammenfassung, Herr Kollege Gruber, selbstverständlich!

Die Zahl jener Menschen, die sich mit einem Anliegen an die Volksanwaltschaft wen­den, ist ja wirklich unglaublich. Es sind immerhin 15 265, und das ist gegenüber 2009 wieder ein Anstieg um mehr als 400 Personen, und das trotz – das trotz, ich wieder­hole und verstärke es – eines vermeintlich hoch entwickelten Rechtssystems in Öster­reich. Trotzdem haben sich so viele Menschen an die Volksanwaltschaft gewandt.

Ich habe zwar nicht die Personalkompetenz so wie du, Herr Kollege Schennach, aber ich würde die Forderung nach einem vierten Volksanwalt unterstützen. Wie wir da dann zurande kommen, das müssen wir noch ausdiskutieren. Wenn das wirklich in dieser Tonart weitergeht, jedes Jahr eine derartige Steigerung, dann sind nicht nur viele Schichten der Bevölkerung überfordert mit dem Rechtssystem, sondern auch unsere Volksanwälte.

Es geht ja darum, dass sich Menschen nicht aus Jux und Tollerei an die Volksanwalt­schaft wenden, sondern weil sie von einer Behörde schlecht behandelt wurden oder unzureichend informiert sind. Von diesen 15 265 Fällen sind das immerhin 11 198 Fälle.

Ich darf mich deshalb im Namen meiner Fraktion – ich denke, ich rede da im Namen aller hier im Bundesrat vertretenen Fraktionen – sehr, sehr herzlich bei den Volksan­wältinnen und beim Volksanwalt für die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger be­danken und natürlich auch den Dank an die MitarbeiterInnen der Volksanwaltschaft hier entsprechend kundtun.

In 6 613 Fällen leitete die Volksanwaltschaft ein Prüfverfahren ein. Auch dies ist ein Anstieg um 6 Prozent. In 59,1 Prozent aller Fälle von Beschwerden über eine Behörde hat die Volksanwaltschaft eine detaillierte Überprüfung gemacht. Ich muss auch dazu sagen, dass 4 585 Beschwerden von der Volksanwaltschaft zwar behandelt wurden, bei diesen aber kein Missstand der Verwaltung festgestellt werden konnte.

Wie schon kurz erwähnt wurde, gibt es den Großteil, etwa 30 Prozent, dieser ganzen Prüfverfahren und Beschwerden im Sozialbereich. Wenn man sieht, dass es hier um Mängel bei der Pflegegeldeinstufung, um Probleme bei den Pensionszeiten oder um Beschwerden rund um das Arbeitslosengeld geht, dann wissen wir, dass sehr viele Menschen in diesem Bereich große Sorgen haben. Zuständig für diesen Bereich sind das Arbeits- und Sozialministerium, die Versicherungsträger und natürlich auch das AMS.

Wie schon erwähnt wurde, kontrolliert die Volksanwaltschaft sieben von neun Bundes­ländern. Es haben ja zwei Bundesländer eine eigene Landesvolksanwaltschaft, näm­lich Tirol und Vorarlberg, und ich glaube, hier dürfte die Zusammenarbeit entsprechend funktionieren, das kann man hier erwähnen. Dass es, so wie die Länder strukturiert sind, in den größeren Ländern mehr Beschwerdefälle gibt als in den kleinen Ländern, das ist, denke ich, auch nachvollziehbar.

Während die Anzahl der Fälle in Wien, Niederösterreich, Kärnten und der Steiermark stieg, war sie in anderen Bundesländern im Vergleich dazu rückläufig. Auffällig sind der


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 89

Anstieg der Beschwerden in der Steiermark mit plus 14 Prozent und der Rückgang im Burgenland. Da müssen wir wahrscheinlich einmal genauer nachsehen, was da in der Steiermark los ist, aber das werde ich jetzt von hier aus nicht näher beurteilen, Herr Kollege Perhab. Aber das ist vielleicht eine Momentaufnahme, kann man sagen.

Die Zahlen, die Kollege Schennach erwähnt hat, werde ich jetzt nicht noch einmal wiederholen, wie viele Hunderte und Tausende Kontakte es gibt, wie viele Sprechtage abgehalten werden. Bei den Sprechtagen gibt es auch noch immerhin 1 800 Vorspra­chen. Da muss man sich wirklich wundern, was hier im Staate Österreich oft abgeht.

Es ist einfach so, dass die Bürgerinnen und Bürger es sehr schätzen, mit der Volksan­waltschaft persönlich, telefonisch oder schriftlich und vor allem unkompliziert – das ist, glaube ich, ein entscheidender Faktor: unkompliziert – kommunizieren zu können.

Die Sendung „Bürgeranwalt“ – das möchte ich auch noch einmal erwähnen, obwohl es Kollege Schennach schon gesagt hat – ist eine besondere Sendung des ORF, die auch eine entsprechende Quote hat: Zirka 317 000 Zuseher interessieren sich jede Woche für die Probleme anderer Menschen. Das ist offensichtlich etwas, was bei den Zuschauern ankommt, weil sie oft schon selber von derartigen Problemen betroffen waren. Da kann man nur gratulieren dazu, wie diese Sendung gestaltet wird; ich schaue mir das selber öfter an. Es ist eine wichtige Plattform, in deren Rahmen sich die Volksanwaltschaft präsentieren kann.

So viel kurz zu den Zahlen, ich möchte das alles wirklich nicht wiederholen. Ich habe mir auch einige Bereiche herausgenommen, die die Barrierefreiheit betreffen, weil ich selber seit vielen Jahren in der Behindertenarbeit ehrenamtlich tätig bin, aber das brau­che ich jetzt auch nicht zu wiederholen. Das ist ein wesentlicher Punkt der Volksan­waltschaft, hier wurde Großartiges geleistet in den letzten Jahren, das möchte ich hier anmerken.

Ich habe etwas zum Thema Sachwalterschaft anzumerken, weil die Sachwalterschaft auch einen Schwerpunkt darstellt. 15 Prozent aller Beschwerden über die Justiz oder die Justizverwaltung betreffen den Bereich Sachwalterschaft. Im Brennpunkt der Kritik steht dabei die Vermögensverwaltung, aber auch die mangelhafte Betreuung durch die Sachwalterin/den Sachwalter.

Ein Beispiel aus Salzburg, weil wir heute sozusagen einen Salzburg-Tag haben: Eine seit 20 Jahren besachwaltete Salzburgerin brachte vor, dass sich ihr Sachwalter nicht um sie gekümmert hat. Das weitere Erfordernis der Notwendigkeit der Aufrechterhal­tung der Sachwalterschaft sei auch nie überprüft worden. Insbesondere zwischen 1999 und 2009 sei das Gericht untätig gewesen.

Dieses Vorbringen wurde jetzt vom Bundesministerium für Justiz bestätigt. Danach wurde ein Richteramtsanwärter 1994 von seinem Gericht zum Sachwalter für diese Salzburgerin bestellt. Für die Jahre 1995 und 1996 erstattete er, wie vorgesehen, Be­richt und legte auch entsprechend Rechnung. Mit Oktober wurde er dann vom Richter­amtsanwärter zum Richter ernannt. Da er sich dann für das Sachwalterverfahren nicht nur nicht mehr zuständig, sondern auch befangen fühlte, zeigte er das an, mit dem Er­gebnis, dass er von dieser Sachwalterschaft enthoben wurde.

Bericht und Rechnungslegung wurden 1997 vom Sachwalter und dem später ernann­ten Richter noch gemacht. Danach fehlt in diesem Verfahren mehr als 10 Jahre jeder weitere Aktenvorgang. Der Akt befand sich nicht in der zuständigen Abteilung, wo er hingehört hätte, sondern beim Richter und früheren Sachwalter, also vermutlich in ei­nem Aktenberg. Mehr als ein Jahrzehnt fiel dieser Missstand beim Bezirksgericht Salz­burg nicht auf.

Das Ganze war also eine endlose Geschichte, die dann dankenswerterweise von der Volksanwaltschaft in entsprechende Bahnen geleitet wurde.


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 90

Nun habe ich auch noch einen besonderen Fall aus dem Polizeibereich; heute wurde ja im Zuge der Aktuellen Stunde die Polizei schon öfters erwähnt. Hier geht es um eine vorschnelle Ablehnung einer Entschädigung nach einem Polizeieinsatz.

Ein Bürger – nennen wir ihn N. – wollte sich bei längerer Abwesenheit vor einem Ein­bruch schützen. Daher ließ er das Radio laufen und das Licht eingeschaltet. Die Krimi­nellen kamen nicht, aber dafür die Polizei. (Heiterkeit.) – Das ist Tatsache! – Sie glaub­te an einen Notfall und ließ die Türe gewaltsam von der Feuerwehr öffnen. Die Kosten für die Türreparatur wollte die Polizei aber nicht übernehmen. Schlussendlich wurde der Schaden in Höhe von 694 € – da wurde mit massivem Gerät vorgegangen – zur Hälfte vom Bundesministerium für Inneres übernommen. N. war zufrieden und ließ sich auf kein weiteres kostenintensives Verfahren ein. Er hatte recht damit!

Zum Asylverfahren; das darf ich noch kurz streifen, Kollege Schennach hat es ja schon erwähnt. Diese Problematik begleitet uns wirklich seit Jahren, und wir wissen auch um die Probleme, die es dort gibt, auch um diesen „Rucksack“, der immer wieder zitiert wird. Die Regierung hatte mit der Einrichtung des Asylgerichtshofs wirklich die Inten­tion, dass diese Asylverfahren bis 2010 endgültig abgearbeitet und abgebaut werden und diese Beschwerdeverfahren auch fristgerecht erledigt werden. Dieses Ziel konnte bisher nicht erreicht werden. Zahlreiche Asylwerber warten nach wie vor jahrelang auf den Abschluss ihrer Verfahren. Jetzt kommt dazu, dass inzwischen damit auch die Volksanwaltschaft ganz extrem belastet wird. Da kann ich dir wirklich nur recht geben, Kollege Schennach. Es gibt eine Verzehnfachung der Verfahren.

Abschließend, geschätzte Volksanwältinnen, sehr geehrter Herr Volksanwalt, darf ich mich nochmals sehr herzlich für diesen 320-seitigen Bericht bedanken und bedanke mich auch nochmals für Ihr großartiges Engagement im Sinne und zum Wohle unserer Bevölkerung. – Herzlichen Dank. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

14.34


Präsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Ertl zu Wort. – Bitte.

 


14.34.32

Bundesrat Johann Ertl (FPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Mei­ne Damen von der Volksanwaltschaft! Herr Volksanwalt! Schon in den ersten Jahren der Zweiten Republik wurde der Ruf nach Einführung eines „Ombudsmannes“ laut, wie es damals hieß, nach skandinavischem Vorbild. Dann dauerte es noch 30 Jahre, bis die Volksanwaltschaft endlich installiert war. Der Rest ist Geschichte – eine Geschich­te, die wir alle kennen und die uns stolz darauf macht, dass es diese Institution gibt, die wesentlich mehr gehalten hat, als sie je versprochen hat.

Die Erfolge sind auch international so hoch geachtet, dass sogar das Generalsekreta­riat des I.O.I. – International Ombudsman Institute – nach Wien verlegt und der Posten des Generalsekretärs von einem österreichischen Anwalt besetzt wurde.

Die problemlos als segensreich zu bezeichnende Arbeit der Volksanwaltschaft dient nicht nur dem Wohl und dem Recht der Bürger, sondern zeigt auch deutlich die Schwä­chen und Ungleichheiten unserer Verwaltung auf, welche ja eigentlich nach dem Gleichheitsprinzip ausgeübt werden sollte. Wäre das so, bräuchten wir die Volksan­waltschaft nicht, denn dann würden tatsächlich alle Bürger gleich behandelt werden. Aber die Unzulänglichkeiten des vorherrschenden Systems zeigen ein ganz beson­deres Bild und machen eine Volksanwaltschaft einfach unabdingbar. Der vorliegende Bericht der Volksanwaltschaft macht dies mehr als deutlich.

Deshalb sind wir alle mehr als froh, dass es sie gibt, die Volksanwaltschaft. Macht braucht Kontrolle. Obwohl dieser Spruch schon abgedroschen ist, hält die Volksanwalt­schaft ihn mit voller Berechtigung am Leben. Denn was täten die vielen ungerecht be-


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 91

handelten Bürger, wenn es nicht die Volksanwaltschaft gäbe? Aufgrund der wirtschaft­lichen Lage unseres Landes gibt es kaum noch Bürger, die sich einen selbst finanzier­ten Anwalt leisten können, um zu ihrem Recht zu kommen.

Aber nicht nur der einzelne Bürger ist gut beraten, wenn er sich an die Volksanwalt­schaft wendet, denn die Aufgaben der Volksanwaltschaft sind viel weitreichender und werden von den Bürgern des Landes meist gar nicht wahrgenommen, weil eben vieles hinterm Berg gehalten wird von dem, was da so alles passiert hinter den Kulissen der diversen Ämter und Staatsdiener.

Ein ewig wiederkehrendes Thema ist zum Beispiel das Problem mit den Verzögerun­gen bei Verfahren. Endlos in die Länge gezogene Verfahren jedweder Art, denen der einfache Bürger hilflos gegenübersteht. Ob es nun Gerichtsverfahren sind oder Asyl­verfahren, zu oft senkt sich der Dornröschenschlaf über so manchen Akt, und niemand hilft – außer der Volksanwaltschaft.

Sie schlägt sich unverdrossen mit oft inkompetenten Beamten herum und zerlegt oft völlig veraltete, nicht mehr zeitgerechte Bestimmungen, Verordnungen und sogar das eine oder andere Gesetz. Die Volksanwaltschaft hilft mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln, auch wenn ihr oft die Hände gebunden sind durch unbegreifliche Entscheidun­gen von Verantwortlichen, seien es Bürgermeister, Richter, Politiker oder nur missliebi­ge Nachbarn. Durch nichts lässt sich unsere Volksanwaltschaft abschrecken.

Aber wer hilft der Volksanwaltschaft? Wenn man die Berichte liest und die Zahl der auf­gelisteten Fälle anschaut – wir haben es ja heute schon gehört –, sticht ins Auge, dass die Zahl der Fälle, welche an die Volksanwaltschaft herangetragen werden, jedes Jahr beträchtlich steigt.

Was kann die Volksanwaltschaft dagegen aufbieten? – Gerade einmal einen Personal­stand von zirka 60. Ein Häuflein unverdrossener Menschen, vom Praktikanten bis zum Volksanwalt, steht einem Moloch von Regierungsbeamten, Anwälten und sonstigen Gegnern der Gerechtigkeit gegenüber. Mehr ist diesem System die kostenlose Rechts­pflege durch die Volksanwaltschaft nicht wert, denn von einer eventuell geplanten Auf­stockung des Personals hat man bis dato nichts gehört. So wenige Kämpfer für An­stand und Gerechtigkeit für ein Volk von beinahe 8 Millionen Bürgern und bei einer nicht überschaubaren Menge von Asylanten, Illegalen und Zugewanderten.

Wie wäre wohl der Stand der Dinge, wenn man den Personalstand der Volksanwalt­schaft verdoppeln würde? Vonseiten der jetzigen Regierung will sicher niemand etwas davon wissen. Deshalb wird es wahrscheinlich auch nicht zu einer Verstärkung des Teams kommen. Zu schmerzhaft sind die Siege, welche dieses Team der Volksanwalt­schaft schon errungen hat. Diese Erfolge wird die bestehende Regierung sicher nicht unterstützen, sie wird nichts tun, um dieses Team zu stärken.

Nichtsdestotrotz wird unsere Volksanwaltschaft weiterhin Siege einfahren, Siege gegen Unvernunft, gegen Inkompetenz und Unzulänglichkeiten. Kritik ist wohl angesagt, hef­tige Kritik sogar, aber nicht gegen die Volksanwaltschaft, sondern gegen die Verursa­cher der angesprochenen Auseinandersetzungen, Verursacher, die aus vielen Beam­tenbüros stammen, wenn es um die Einhaltung oft völlig sinnloser Regeln und Rege­lungen geht, Verursacher, die oft aber auch Strafreferenten heißen, wenn es um oft un­begreifliche und auch ungesetzliche Bestrafungen von Bürgern geht, Firmenanwälte, welche die Fairness und die Arbeitsgesetze mit Füßen treten, die Fremdenpolizei und deren zuständige Richter, die manche Verfahren einerseits oft endlos in die Länge zie­hen, andererseits aber Kinder oft im Blitztempo abschieben.

Ich könnte die Aufzählung solcher Problemzonen endlos in die Länge ziehen, aber das würde wohl meine Redezeit überschreiten. (Heiterkeit.)


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 92

Aus allen Fraktionen sind sie gekommen, die Volksanwälte der letzten 34 Jahre, na­türlich auch aus den Reihen unserer Fraktion, der FPÖ, und in seltener Einigkeit haben sich alle eingesetzt für das Recht des „kleinen Mannes“ und gegen die oft sonderbaren Auswüchse, welche aus den Amtsstuben so mancher sonst honoriger Beamten ge­krochen sind. Im Sinne des immer höher steigenden Anspruches der Bürger an Mitbe­stimmung und direkte Demokratie wäre es wohl hoch an der Zeit, die Volksanwalt­schaft als einziges unabhängiges Rechtsinstrument zu stärken und zu unterstützen, um so ein Zeichen zu setzen, dass es einen Weg zum Kräfteausgleich im Sinne einer Demokratie geben muss. Das kann – zumindest ansatzweise – erreicht werden, wenn man unabhängige Kontrollorgane schafft und stärkt, wie es eben nur der Rechnungs­hof und im besonderen Maße die Volksanwaltschaft sind.

Zum Abschluss sei noch hinzugefügt, dass die bestehende Koalition nicht unschuldig ist an der gesteigerten Notwendigkeit einer Volksanwaltschaft, denn die vorherr­schende Untätigkeit und Sturheit, erstarrte Strukturen und Unbelehrbarkeit würden auch zehn Volksanwaltschaften nicht aus der Welt schaffen. – Das nur zum Nachden­ken. Danke. (Beifall bei der FPÖ. – Heiterkeit bei ÖVP und SPÖ. – Bundesrat Kneifel: Da musst du aber selber lachen!)

14.44


Präsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Schreuder. – Bitte.

 


14.44.04

Bundesrat Marco Schreuder (Grüne, Wien): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Volksan­wältinnen! Sehr geehrter Herr Volksanwalt! Natürlich auch von der grünen Fraktion einen herzlichen Dank an Sie und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die wie im­mer großartige Arbeit, die Sie geleistet haben, gerade oder trotz dieser enormen Stei­gerung der Zahl der Fälle, die Sie zu verzeichnen haben. Wenn ich es richtig gelesen habe, sind es über 17 Prozent mehr, die Sie 2010 abhandelt mussten, als 2009. Wenn nicht, dann korrigieren Sie mich bitte.

Das sind natürlich ungeheure Zahlen, und ich habe medial noch keine Diskussion er­lebt über die Frage, ob man einen vierten Volksanwalt oder eine vierte Volksanwältin braucht. Ich halte das aber für einen guten Debattenbeitrag, denn eines ist klar: Ich weiß ja nicht, ob die Steigerungen wirklich nur damit zusammenhängen, dass die Ver­waltung so viel schlechter ist. Ich habe mit der Verwaltung durchaus gute Erfahrungen gemacht. Ich habe selbst einmal eine Jungunternehmerförderung gebraucht und war total überrascht, wie hilfsbereit und toll Behörden arbeiten. Man will etwas und be­kommt etwas, und das geschieht einfach. (Bundesrat Kneifel: Das ist der Normalfall!) Viele Behörden haben sich in Service-Center gewandelt, und das ist auch begrüßens­wert.

Ich habe keine Studien, keine Beweise, gar nichts, aber ich habe eine Theorie: Ich glaube einfach, die „Da-kann-man-nix-machen-Mentalität“ verschwindet. Ich glaube, dass immer mehr Bürgerinnen und Bürger einfach mündig werden und sagen: Ich las­se mir das nicht gefallen, ich wehre mich! Und wenn wir stärker zu dem gelangen, was früher einmal die ÖVP BürgerInnengesellschaft genannt hat, stärker zu einer zivilge­sellschaftlichen, mündigeren Gesellschaft gelangen, wo Menschen sagen: Nein, ich lasse mir nichts gefallen, ich wehre mich!, dann finde ich das gut. So gesehen ist eine Ausweitung der Volksanwaltschaft wirklich eine sehr gute Idee, die man vielleicht wie­ter diskutieren sollte auf breiterer Ebene. Das ist auf jeden Fall eine demokratische Dis­kussion wert.

Mein Kollege Dönmez wollte zum Thema Asyl- und Fremdenrecht vieles sagen. Er be­dankt sich beim Kollegen Schennach, denn dieser hat im Grunde alles gesagt, was zu sagen ist; er wird es also nicht mehr tun. Selbstverständlich ist auch uns aufgefallen,


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 93

dass es besonders in diesem Bereich, bei einer Steigerung von 61 Prozent – das muss man sich einmal vorstellen! –, wirklich im Gebälk kracht, und zwar an allen Ecken und Enden, sowohl in der Gesetzgebung als auch im Vollzug. Und wenn man dann sagt, wir haben Service-Center, wir haben gute Verwaltungsbereiche, dann muss man auch festhalten, wo es die nicht gibt. Das ist sicher ein Bereich, wo auf allen Ebenen alles noch einmal neu durchdacht werden muss, gesetzlich neu geregelt werden muss, hu­man geregelt werden muss und auch transparent vollzogen werden muss, damit sich Menschen auskennen und sich nicht ständig wehren müssen, weil einfach Prozeduren so unendlich lang dauern.

Viele Punkte, die ich herausstreichen wollte, wurden von den Kollegen schon ange­sprochen. Das ist der Nachteil, wenn man erst später drankommt. Erlauben Sie mir da­her, dass ich noch auf zwei Geschichten eingehe. Das eine möchte ich erwähnen, weil ich es prinzipiell interessant finde. Hier tut sich der Gesetzgeber schwer, weil es eben schwierig ist, aber er schummelt sich drum herum, und der Volksanwalt muss sich dann darum kümmern; in diesem Fall war es die Volksanwältin Stoisits.

Es geht um den § 113 Abs. 5 der Gewerbeordnung 1994. Worum geht es in diesem Gesetz? – Da geht es um die Vorverlegung von Sperrstunden von Lokalen. Das klingt jetzt noch nicht so aufregend, aber ! Das ist schon in vielen Berichten drinnen ge­wesen. Eine Gemeinde, die Lokale im Zentrum hat, will natürlich Lokale im Zentrum, denn je mehr Leben dort ist, je mehr Menschen auf der Straße unterwegs sind, je le­bendiger es ist, desto attraktiver ist ein Ort, desto lieber geht man hin. Und die Lokal­wirte sind ja auch eine Belebung des Wirtschaftslebens, sind eine Belebung der Infra­struktur, und wir alle haben das gerne.

Blöderweise wohnen halt darüber Menschen, und die haben zu Recht das Bedürfnis nach Nachtruhe. Das heißt, das sind zwei Interessen, die beide berechtigt sind. Des­wegen schummelt sich ja der Gesetzgeber drum herum und hat die Gewerbeordnung so kompliziert angelegt, dass, wenn man eine Vorverlegung der Sperrstunden bean­tragen will, vier Tatbestände erfüllt werden müssen. Das wirklich Interessante für den Gesetzgeber sind ja eigentlich in diesem dicken Bericht hinten die legislativen Anre­gungen. Das ist eigentlich das, was uns Politiker und Politikerinnen am meisten an­gehen sollte, weil da Handlungsbedarf herrscht. Dieser § 113 war drinnen im 27. Be­richt 2003, im 28. Bericht 2004, im 29. Bericht 2005, im 30. Bericht 2006, im 32. Be-
richt 2008, im 33. Bericht 2009 und eben auch wieder im Bericht 2010 – das heißt: sie­ben Berichte, keine Änderung.

Ich will eigentlich auf eines hinaus: Da gibt es so viele legislative Anregungen, und es wäre schon einmal gut, sich vonseiten der Ministerien, vonseiten der Verantwortlichen, vonseiten der Politiker und Politikerinnen das auch anzuschauen und für Veränderun­gen zu arbeiten. Es bringt ja nichts, wenn man es nicht tut, denn dieser Paragraph wird dann im Bericht 2012, im Bericht 2013, im Bericht 2014 und im Bericht 2015 wieder vorkommen. Es wird wieder Beschwerden geben. Es werden wieder Interessen aufein­anderstoßen, nämlich einerseits die der BewohnerInnen und andererseits die der Lo­kalbesitzerInnen und der Menschen, die dort gern fortgehen und ein bisschen laut sind da draußen. Das gehört gelöst, und zwar dringend.

Da heute, ich habe es heute schon einmal gesagt, der Welt-Aids-Tag ist, möchte ich auf einen Aspekt aus dem Bericht auch noch eingehen. Es gibt, und das finde ich auch lobenswert, ja auch im Bericht der Volksanwaltschaft den Grundrechtsteil, wo es um Menschenrechte, um Grundrechte, um Diskriminierungen geht, und ein Punkt, der hier behandelt wird, ist das Blutspendeverbot für schwule Männer. Wer es nicht weiß: Wer Blut spenden möchte, geht zum Roten Kreuz und muss einen Fragebogen ausfüllen. Und in diesem Fragebogen wird gefragt, ob man als Mann einmal Sex mit einem Mann hatte.


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 94

Es wird nicht gefragt: Sind Sie eine Person und hatten Sie ungeschützten Sex mit an­deren Personen?, nein, es wird nur gefragt nach Mann mit Mann. Das ist aus meiner Sicht natürlich eine klare Diskriminierung, weil, und gerade am Welt-Aids-Tag ist es wichtig, das zu sagen, Risikoverhalten gefährlich ist und nicht eine sexuelle Orientie­rung. Das halte ich für ganz wichtig. (Beifall der Bundesrätin Kerschbaum.) – Danke schön, Frau Kollegin!

Und ich appelliere hier auch: Lesen Sie diesen Bericht durch, liebes Rotes Kreuz, liebe Blutspenderorganisationen! Diese Frage ist nicht zeitgemäß, sie ist diskriminierend. Wenn man fragt, dann fragt man nach Risikoverhalten, bitte. Und schließt nicht Men­schen nur aufgrund ihrer sexuellen Orientierung aus, die nur eines machen wollen, nämlich Menschen helfen. – Vielen Dank. (Beifall der Bundesrätin Kerschbaum sowie bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)

14.51


Präsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Duzdar. – Bitte.

 


14.52.07

Bundesrätin Mag. Muna Duzdar (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Volksanwältin Brinek! Sehr geehrte Frau Volksanwältin Stoisits! Sehr ge­ehrter Herr Volksanwalt Kostelka! Werte Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte nicht mit einem Dankeschön sparen und mich wirklich auch recht herzlich bedanken für den 34. Bericht der Volksanwaltschaft aus dem Jahr 2010, der, muss man sagen, wirk­lich einfach und gut leserlich geschrieben ist und eine Fülle an Problemfällen dokumen­tiert, die sich im Jahr 2010 ereignet haben.

Kollege Ertl hat ja schon einen kurzen geschichtlichen Abriss gebracht. Die Volksan­waltschaft gibt es schon seit 1977 und ist zu einer besonders wichtigen Institution ge­worden, weil sie eben Probleme, Anliegen, Beschwerden von Bürgern und Bürgerinnen auch mit den Behörden, gerade mit den Behörden, formlos und in direktem Kontakt, in direktem Gespräch mit den Bürgern und Bürgerinnen aufnimmt. Sehr beliebt sind ja gerade die Sprechtage der Volksanwältinnen und des Volksanwaltes.

Die Schaffung der Volksanwaltschaft als eine Art Kontrollorgan wurde ja schon von Bruno Kreisky erstmals in der Regierungserklärung 1971 angekündigt. Es dauerte je­doch sechs Jahre, bis 1977 das Gesetz dann von allen Abgeordneten beschlossen wurde – es scheinen der Schaffung der Volksanwaltschaft im Vorfeld wirklich hitzige Debatten vorangegangen zu sein –, und es dauerte weitere vier Jahre, bis 1981 die Volksanwaltschaft dann auch eine verfassungsrechtliche Grundlage bekam.

An den Reden, die wir heute schon zum Bericht der Volksanwaltschaft gehört haben, zeigt sich ja auch, dass es hier einen parteiübergreifenden Konsens über die Wichtig­keit und Bedeutung der Volksanwaltschaft gibt. Es ist heute schon gesagt worden: Rund 15 000 Menschen haben sich im Jahr 2010 an die Volksanwaltschaft gewandt. Diese Zahlen sprechen für die Volksanwaltschaft. Wenn sich immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft an die Volksanwaltschaft wenden, dann erfordert das gerade auch von uns Abgeordneten und MandatarInnen eine besondere Aufmerksamkeit, und wir sollten versuchen, den Problembereichen in unserer Gesellschaft auf den Grund zu ge­hen.

Insofern ist der Bericht der Volksanwaltschaft eine wirklich wichtige und gute Pflichtlek­türe, weil er einen Gesamtüberblick gibt und aufzeigt, mit welchen Hürden und Proble­men Bürger und Bürgerinnen in unserem Land in ihrem täglichen Leben konfrontiert sind. So gesehen spiegelt der Bericht auch gesamtgesellschaftliche Probleme wider, Probleme der Menschen, ihre Rechte in der öffentlichen Verwaltung auch durchzusetzen.


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 95

Daran zeigt sich, wie wichtig die Volksanwaltschaft als Organ des Parlaments ist, weil sie die Auswirkungen der Gesetze auf die Bürger und Bürgerinnen prüft und uns, also dem Parlament, in ihrem Bericht ein Feedback gibt.

In den Berichten werden nicht nur die Missstände und Benachteiligungen der Bürger und Bürgerinnen aufgegriffen, sondern es werden auch die Empfehlungen und – es ist auch schon gesagt worden – die gesetzlichen Anregungen der Volksanwaltschaft auf­grund der durchgeführten Prüfverfahren aufgezeigt.

Ganz besonders wichtig ist es, in diesem Zusammenhang auch zu betonen, dass die Volksanwaltschaft ja auch von sich aus tätig werden kann, wenn sie zum Beispiel Missstände und Unregelmäßigkeiten vermutet. Die Volksanwaltschaft hat das Recht, ein Verordnungsprüfungsverfahren einzuleiten. Das heißt, sie kann die Aufhebung von Verordnungen, die sie als gesetzeswidrig erachtet, beantragen.

Die Kontrolltätigkeit der Volksanwaltschaft bezieht sich daher auf die gesamte öffentli­che Verwaltung, nicht auf die Gerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Justizverwaltung. Aber auch hier sind die Befugnisse der Volksanwaltschaft im Jahr 2008 ausgeweitet worden. So kann die Volksanwaltschaft dort, wo Gerichte säumig sind, auch eine Kon­trolltätigkeit ausüben, insbesondere eben bei Verfahrensverzögerungen.

Im Zusammenhang mit Verfahrensverzögerungen weist der Bericht auch auf übermä­ßig lange Verfahrensdauern in Unterhaltsverfahren hin. Diesen Punkt möchte ich nur kurz anreißen. Das trifft natürlich besonders unterhaltsberechtigte Kinder in Familien mit Alleinerziehenden, die auf das Geld natürlich sehr stark angewiesen sind, sehr hart. Viele Alleinerziehende leiden ja unter diesen langsamen und komplizierten Verfahren, wenn sie einen Unterhaltsvorschuss für ihre minderjährigen Kinder beantragen. Um hier nur eine Zahl zu nennen: In Österreich wird pro Jahr der Unterhalt von zirka 45 500 Kindern mit rund 103,6 Millionen € vom Bund bevorschusst.

In Entsprechung einer Empfehlung der Volksanwaltschaft hat es 2010 auch eine Ge­setzesänderung gegeben. Jetzt müssen unterhaltsberechtigte Kinder zum Glück nicht mehr den Nachweis eines erfolglos eingestellten Exekutionsverfahrens erbringen, son­dern da reicht mittlerweile auch der Nachweis, dass ein Exekutionsverfahren eingelei­tet wurde. Dies hat natürlich zu einer Beschleunigung des Verfahrens geführt. Diese Gesetzesänderung ist auch auf Empfehlung der Volksanwaltschaft erfolgt, und das zeigt natürlich wiederum die Wichtigkeit der Volksanwaltschaft.

Im Zusammenhang mit den langen Verfahrensdauern sei nur kurz erwähnt, dass es gerade in Kindschaftsrechtsstreitigkeiten immer wieder Probleme gibt. Es herrscht nämlich immer wieder ein großer Mangel an Sachverständigen im psychologischen und psychiatrischen Bereich. Gerade in so einem hochsensiblen Bereich wie in Kind­schaftsrechtsstreitigkeiten, wo es um Obsorge und Besuchsrechtsregelungen geht, ist die emotionale Belastung der Familien ja besonders hoch und ist daher eine zügige Verfahrensdurchführung notwendig. Daher ist es erforderlich, dass Familienrichtern und ‑richterinnen genügend Sachverständige zur Verfügung stehen.

Ich möchte nun einen weiteren Punkt anführen, nämlich die Jugendwohlfahrt. Hier for­dert die Volksanwaltschaft ja schon seit Jahren eine Neugestaltung. In den Medien ist leider immer wieder nur dann davon die Rede, wenn sich tragische Fälle von Gewalt in den Familien zutragen. Es wird aber kaum davon gesprochen, dass die Jugendwohl­fahrt mit ständig steigenden Anforderungen konfrontiert ist.

Es steigt die Zahl der Fälle von Vernachlässigung von Kindern in Familien, von kör­perlicher und seelischer Gewalt, es steigt auch die Anzahl sexueller Übergriffe. Also es fehlt der Jugendwohlfahrt an genügend Personal, um diesen Anforderungen gerecht zu werden. Und solange die Jugendwohlfahrt überlastet ist, ist die Wahrscheinlichkeit von Fehleinschätzungen und verzögerten Reaktionen natürlich höher. Also auch hier gibt


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 96

es großen Handlungsbedarf, und ich bin der Volksanwaltschaft auch dankbar für die Empfehlungen in diesem Bereich.

Ich möchte zum Schluss noch einen letzten Punkt ansprechen, der heute auch schon kurz erwähnt wurde, nämlich das Staatsbürgerschaftsgesetz. Dieser Punkt wird schon seit Jahren in den Berichten der Volksanwaltschaft behandelt. Seit Jahren weist die Volksanwaltschaft darauf hin, dass die Staatsbürgerschaftsnovelle 2005, gegen die der Bundesrat damals einen Einspruch erhoben hat, wie es Kollege Schennach heute auch gesagt hat, immer wieder zu sozialen Härtefällen führt.

Wenn vor der Gesetzesänderung Menschen unverschuldet in Not gerieten und keinen hinreichenden Lebensunterhalt nachweisen konnten, konnten sie bei Vorliegen aller anderen Voraussetzungen nach zehn Jahren rechtmäßigen Aufenthalts die Staatsbür­gerschaft erwerben. Die Gerichte hatten da einen Ermessensspielraum, dieser ist aber mit der Novelle 2005 gefallen. Wenn Menschen jetzt eine bestimmte Einkommensgren­ze in den letzten drei Jahren vor Antragstellung nicht nachweisen können, sind sie vom Erwerb der Staatsbürgerschaft ausgeschlossen. Das trifft natürlich gerade Menschen mit körperlicher Behinderung sehr hart, die nicht in der Lage sind, eine bestimmte Ein­kommensgrenze zu erreichen, aber auch alleinerziehende Frauen.

Leider muss ich schon zum Ende meiner Ausführungen kommen. Ich habe das Staats­bürgerschaftsgesetz auch deshalb erwähnt – das war mir irgendwie ein besonderes Anliegen –, weil es mittlerweile ein neues Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom September 2011 gibt. Mit diesem Erkenntnis wurde zwar nicht die Bestimmung, die ich genannt habe, aufgehoben, aber eine Bestimmung, die damit im Zusammen­hang steht. Ich möchte jetzt diesen Fall – ich habe die Zeit nicht mehr – nicht mehr schildern, aber ich glaube, dass dieses Erkenntnis rechtsstaatlich gesehen ein guter Schritt in die richtige Richtung ist.

Es zeigt sich auch insgesamt, dass zahlreiche Gesetzesänderungen in der Vergangen­heit nicht zuletzt auf Empfehlung der Volksanwaltschaft erfolgt sind, und das zeigt uns, dass die Volksanwaltschaft ein unverzichtbarer Bestandteil unseres demokratischen politischen Systems geworden ist und sich in den letzten drei Jahrzehnten gut bewährt hat.

Die sozialdemokratische Fraktion wird diesem Bericht der Volksanwaltschaft wohlwol­lend zustimmen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

15.02


Präsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bun­desrat Wenger. – Bitte.

 


15.02.14

Bundesrat Franz Wenger (ÖVP, Salzburg): Sehr geehrte Frau Präsidentin, die Da­men Volksanwältinnen! Herr Volksanwalt! Meine sehr verehrten Damen und Herren, geschätzte Kolleginnen und Kollegen! In den bisherigen Redebeiträgen wurde der vor­liegende Bericht hinsichtlich der wesentlichen Zahlen, einzelner Spezialfälle und der Struktur bereits ausführlich erläutert. Daher von meiner Seite nur noch einige Anmer­kungen zum gesonderten Bericht an den Salzburger Landtag. (Vizepräsident Mag. Him­mer übernimmt den Vorsitz.)

So wie in anderen Bundesländern auch prüft in Salzburg die Volksanwaltschaft Behör­den, Ämter und Dienststellen, die im Besonderen mit dem Vollzug der Bundesgesetze beauftragt sind, also im Wesentlichen die mittelbare Bundesverwaltung, darüber hinaus natürlich auch die Verwaltung des Landes und der Gemeinden. Über diese Prüfungs­tätigkeit wird dem Landtag alle zwei Jahre berichtet.

Im Berichtszeitraum, in diesen zwei Jahren, haben sich 352 Salzburgerinnen und Salz­burger mit ihren Anliegen an die Volksanwaltschaft gewandt. Dies bedeutet immerhin


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einen Anstieg um fast 34 Prozent gegenüber den Vorjahren, obwohl 352 Anliegen in­nerhalb von zwei Jahren doch eine eher kleinere Größe sind. In 206 Fällen, also in 83,4 Prozent, hat sich herausgestellt, dass das Vorgehen der Behörden korrekt war. In diesen Fällen wurden die Betroffenen – ich glaube, das ist auch ein ganz wichtiger Teil – von der Volksanwaltschaft über die Rechtslage entsprechend informiert, und es wurden auch mögliche Lösungsansätze gefunden, um das Problem zu lösen.

Letztlich wurde in 16,6 Prozent der Prüfverfahren ein Missstand aufgezeigt. Wie in den vergangenen Jahren betrafen diese meist Beschwerden betreffend Raumordnung, Baurecht, auch die Bereiche Soziales und Jugendwohlfahrt und – da ist allerdings eine Stagnation eingetreten – Staatsbürgerschaftswesen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir den Bericht der Volksanwaltschaft diskutieren, hier darüber diskutieren, welche Missstände bei uns in der Verwaltung aufgezeigt werden, dann ist es, meine ich, nicht angebracht, die Verwaltung bei uns in Österreich so darzustellen, wie du das gemacht hast, lieber Kollege Ertl. (Zwischenruf des Bundesrates Ertl.)

Ich glaube, dass wir in vielen Bereichen unserer Verwaltung in Österreich sehr wohl auf dem Weg zu einem Dienstleister am Bürger sind. Es wird immer schwarze Schafe geben, es wird immer Probleme geben, aber ich möchte hier auch einmal eine Lanze für unsere Verwaltung brechen, denn ich glaube, wir sind in vielen Bereichen der Ver­waltung bereits moderner Dienstleister.

Meine Damen und Herren, geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Kommunikation ist, wie bekannt, ein ganz wesentlicher Teil der täglichen Arbeit der Volksanwaltschaft. Es ist daher wichtig und richtig, die Kommunikationswege weiter auszubauen und für den Bürger so unkompliziert wie möglich zu gestalten.

Aufgrund der großen Nachfrage ist vor allem das Angebot an Sprechtagen in den Bun­desländern massiv ausgebaut worden. Die ORF-Sendung „Bürgeranwalt“ wurde be­reits erwähnt: eine Plattform für die Anliegen der Volksanwaltschaft, eine Sendung, die immerhin 320 000 Zuseherinnen und Zuseher pro Sendung hat.

In der Diskussion wird auch immer wieder auf den Zusammenhang zwischen Bürger­beschwerden und der Qualität der Normen, sprich der Gesetze verwiesen. Ich glaube, das ist ganz wesentlich. Dieser Zusammenhang ist unbestritten, und zwar deshalb, weil einerseits im Sinne einer höchstmöglichen Rechtssicherheit die Forderung nach möglichst präzisen Normen besteht, es andererseits aber aufgrund des dadurch ein­geengten Ermessensspielraums bei den Entscheidungen natürlich vielfach zu Härte­fällen kommt.

Von der Volksanwaltschaft wird diesbezüglich angemerkt, dass es auch aufgrund der komplizierten Materien oft überhaupt nicht mehr möglich ist, dass Bürgerinnen und Bürger die Gesetze verstehen oder auch richtig interpretieren. Auch darauf ist ein we­sentlicher Teil der Beschwerden zurückzuführen. Und wenn sich dann immerhin 83 Pro­zent sozusagen auflösen, dann besteht da, glaube ich, schon Handlungsbedarf, was die Information und die Formulierung der Gesetze betrifft.

Die Anregungen der Volksanwaltschaft sind eine never ending story. Bei jedem Bericht wird darüber diskutiert, dass die Anregungen der Volksanwaltschaft ernster genommen werden sollten. Die Volksanwältinnen und der Volksanwalt sagen immer wieder: Bitte, es wäre ein Anliegen, ein Anliegen und nochmals ein Anliegen. Es sind schon einige Bereiche erwähnt worden, wo das nicht richtig funktioniert, sagen wir es einmal so. Ich glaube, dass auch wir hier gefordert sind, diese Anregungen der Volksanwaltschaft ent­sprechend aufzugreifen und letztlich dafür Sorge zu tragen, dass sie umgesetzt werden.


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Und da ich gerade bei Anregungen bin: Ich erinnere mich an die Diskussion 2010 hier im Hohen Haus, in der Volksanwältin Stoisits einen Wunsch betreffend Schülertrans­port geäußert hat. Es ist nun einmal so, dass in einem Bus mit 54 Sitzplätzen nach wie vor zwischen 95 und 100 Schülern herumgefahren werden, da das Kraftfahrgesetz diesbezüglich nicht geändert wurde und auch die Linienkonzessionen diesbezüglich eine Lücke aufweisen. Sehr geehrte Frau Volksanwältin, die Busse fahren leider noch immer mit so vielen Schülern, und es wird, wie gesagt, auch an uns liegen, diese Dinge aufzugreifen.

Abschließend gilt natürlich auch mein Dank den beiden Volksanwältinnen und dem Volksanwalt sowie ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die engagierte Tätigkeit. Meine sehr verehrten Damen und Herren, geschätzte Kollegenschaft, der vorliegende Bericht ist mehr als ein Bericht. Er ist eine eindrucksvolle Leistungsbilanz der durchge­führten Prüftätigkeit und der Tätigkeit unserer Volksanwaltschaft. In diesem Sinne auch von mir ein ganz großes Dankeschön. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

15.09


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gelangt Herr Bundesrat Tiefnig. – Bitte.

 


15.10.01

Bundesrat Ferdinand Tiefnig (ÖVP, Oberösterreich):Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf mit einem Zitat beginnen: „Der Verstand kann uns sagen, was wir unterlassen sollen. Aber das Herz kann uns sagen, was wir tun müssen.“

Sehr geehrte Volksanwälte! 15 256 bearbeitete Bürgerfälle hatten Sie im letzten Jahr zu verzeichnen. Daher möchte ich im Namen aller Betroffenen ein Dankeschön sagen für die Arbeit, die Sie für die Menschen in Österreich vollbracht haben. Auch der Auftritt im Internet gibt den Menschen Zugangs- und Kontaktmöglichkeiten zu Ihnen.

Durch die ORF-Einschaltquoten bei Ihrer Sendung in den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, wie groß das Interesse der österreichischen Bürgerinnen und Bürger an der Arbeit der Volksanwaltschaft ist. Ja, die Zahl der Fälle steigt stetig. Insbesondere im Bereich Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz hat sich in den vergangenen Jahren die Kontaktaufnahme zur Volksanwaltschaft enorm erhöht – und da ganz besonders, was den Bereich Pflegegeld und dessen Zuteilung betrifft. Auch der Anstieg der Zahl der Fälle in den Bereichen Inneres, Justizministerium sowie Asylfragen und Sachwal­terschaft – meine Vorredner haben bereits darüber gesprochen – zeigt, wie wichtig die Arbeit der Volksanwaltschaft ist.

Stefan Schennach, der neue Agrarsprecher der SPÖ (Heiterkeit – Bundesrat Stadler: Der kennt sich aus!), hat aufgezeigt, dass, was den Bereich Landwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft anlangt, vergangenes Jahr 4 500 Fälle bei der Volksanwaltschaft anhängig waren (Bundesrat Schennach: Ich komme vom Land, aber ich !), und zwar insbesondere wegen verspäteter Ausgleichszahlungen, wobei meines Wissens die Ursache darin liegt, dass diese Betriebe noch unter der Kontrolle seitens der AMA standen und deshalb die Auszahlung noch nicht erfolgen konnte. Wenn dem so ist, bit­te ich um Bestätigung.

Jedenfalls möchte ich ein Dankeschön sagen jenen Bankinstituten, die aus diesem Grunde im vergangenen Jahr zinsenfreie Kredite zur Überbrückung zur Verfügung ge­stellt haben.

Erfreulich ist, dass, was den Bereich Gesundheitswesen anlangt, ein Rückgang der bei der Volksanwaltschaft anhängigen Fälle zu verzeichnen ist. Erschreckend ist jedoch, dass laut einer OECD-Studie, was die Gesundheit der Jugend in Österreich anlangt, Österreich von 30 untersuchten Ländern lediglich den 27. Platz einnimmt. Und was Dro-


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genkonsum, Selbstmord und das Rauchen betrifft, liegt Österreich im Vergleich zu an­deren Ländern fast an schlechtester Stelle.

Nun zu einem anderen Thema, und zwar zum Grundbuch, und auch da möchte ich der Volksanwaltschaft ein Dankeschön sagen, weil es doch so ist, dass in Sachen Grund­buch Menschen in Österreich sozusagen im Kreis geschickt wurden und Sie von der Volksanwaltschaft es erreicht haben, dass das nun sachgemäß und schnell abgewi­ckelt wird. Ein großes Dankeschön also Ihnen von der Volksanwaltschaft auch für die Arbeit, die Sie da geleistet haben.

Etwas, das uns alle Jahre wieder beschäftigt, ist das Thema Handymasten. Immer wie­der fühlen sich Bürgerinnen und Bürger zu wenig eingebunden im Zusammenhang mit der Errichtung von Handymasten; genauso sehen das auch die Bürgermeister. Und Sie von der Volksanwaltschaft haben die Empfehlung ausgesprochen: stärkere Einbindung aller Betroffenen!

Nun komme ich zum letzten Punkt, und zwar zum Thema Ferkelschutzkorb. (Heiter­keit. – Bundesrat Schennach: Bist du der neue Agrarsprecher der ÖVP oder wie? – Wei­tere Zwischenrufe bei der SPÖ.) – Es ist ganz klar, dass die Volksanwaltschaft Missstände aufzudecken hat, aber ein wichtiger Punkt wird sein, wie die politische Ent­scheidung bezüglich der Abwicklung beziehungsweise dieser Verordnung aussehen wird, denn wir wissen: In Schweden, wo ein Ferkelschutzkorb nicht mehr verwendet werden darf, sind die Schweineproduktion und somit auch die Zahl landwirtschaftlicher Betriebe zurückgegangen; viele Bauern haben also dort ihren Betrieb aufgegeben.

Im Interesse der Sicherheit in der Schweineproduktion, im Interesse der Sicherheit der Ferkel können wir den Ferkelschutzkorb in Österreich nicht verbieten! Und es ist doch so: Würde der Ferkelschutzkorb in Österreich aufgelassen und die Produktion zurück­gehen, würde trotzdem Schweinefleisch gegessen, das dann halt aus Brasilien kom­men würde, wo, wie wir wissen, gentechnikverändertes Eiweiß verfüttert und der Tier­schutz nicht so hochgehalten wird wie in Österreich.

Deshalb ersuche ich darum, auch in diesem Bereich die Einbindung der Betroffenen nicht zu vergessen. Ebenso gilt das für den Bereich Telekommunikation und Handy­masten: Überall sollten die Betroffenen eingebunden werden. Das gilt auch für das The­ma Ferkelschutzkörbe.

Abschließend: Liebe Volksanwälte, Ihre Tätigkeit ist aus der Gesellschaft nicht mehr wegzudenken, die österreichischen Bürgerinnen und Bürger brauchen Sie. Daher noch­mals ein herzliches Dankeschön!

Ich hoffe, Sie von der Volksanwaltschaft werden sich auch in Zukunft mit dem gleichen Engagement und der gleichen Begeisterung für die Menschen in Österreich einsetzen.

Unsere Fraktion wird natürlich diesen Bericht gerne zur Kenntnis nehmen. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP.)

15.15


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gelangt Frau Volksanwältin Dr. Bri­nek. – Bitte.

 


15.15.21

Volksanwältin Dr. Gertrude Brinek: Herr Präsident! Meine geschätzte Kollegin Stoi­sits! Herr Kollege Volksanwalt Kostelka! Meine Damen und Herren Bundesrätinnen und Bundesräte! Als derzeitige Vorsitzende der Volksanwaltschaft darf ich, wenn Sie ge­statten, auf einige hier aufgeworfene Themen und Bemerkungen eingehen.

Sehr gerne nehme ich Dank und Anerkennung mit, die Sie der Volksanwaltschaft ge­genüber hier zum Ausdruck gebracht haben. Insbesondere zum Jahresende, bei grö-


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ßeren Begegnungen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Volksanwaltschaft ergibt sich natürlich die Möglichkeit, diesen Dank allen Mitarbeiterinnen und Mitarbei­tern gegenüber zu kommunizieren, denn Sie alle wissen es ohnehin: Wir drei Volksan­wälte allein hätten viel zu wenig Ressourcen, um alle Beschwerdefälle, die an die Volksanwaltschaft herangetragen werden, zu bearbeiten.

Damit bin ich auch schon beim Arbeitsvolumen, beim Beschwerdeaufkommen. Ja, wir können feststellen: in den letzten Jahren konstant hohe Nachfrage mit einer leichten Tendenz nach oben. Jetzt fragen Sie sich natürlich als Gesetzgeber, worin da der Grund liegt. Als Antwort unsere Bitte, keine vorschnellen kausalen Zusammenhänge zu konstruieren und zu sagen, das wäre deshalb so, weil die Salzburger, Niederöster­reicher oder sonst jemand eine bessere oder schlechtere Verwaltung, mündigere oder unmündigere Bürger hätten. Nochmals: So einfach, so monokausal ist es nicht, aber es ist wahrscheinlich von allem etwas.

Wahrscheinlich ist es auch so, dass es uns eben gelingt, Präsenz zu vermitteln. Ich verweise da zum Beispiel nur auf die verschiedensten Formen des Auftretens der Volksanwaltschaft nach außen.

Wir sind hier auch auf unsere Homepage, auf moderne Medien und so weiter ange­sprochen worden, wobei wir uns da laufend bemühen, sozusagen auf der Höhe der Zeit aufzutreten sowie mit entsprechenden Mitteln unsere Dienste den Bürgerinnen und Bürgern anzubieten.

Jetzt meine Bitte an Sie: Wenn Sie da oder dort Verbesserungsvorschläge haben, dann scheuen Sie sich bitte nicht und schicken Sie uns ein E-Mail: Da könnte man noch das machen, und dort könnte man noch das machen!

Was Bürgerinnen und Bürger uns zurückmelden, ist: Die Volksanwaltschaft ist eine nie­derschwellige, eine unkomplizierte Dienstleistungseinrichtung. Und das wollen wir auf hohem Niveau bleiben.

Berichten darf ich hier auch, dass uns der Nationalrat demnächst – was ich aber jetzt natürlich nicht mit der Diskussion über den vorliegenden Bericht vermischen möchte – im Zusammenhang mit Ressourcen und Stellen – mehrere Volksanwälte, mehrere Mit­arbeiter, Aufstockung und so weiter – und, wie ich hoffe, auch der Bundesrat mit neuen Aufgaben betrauen wird. Wobei ich in diesem Zusammenhang gleich dazusagen möchte: Sie können sicher sein, dass wir – weil wir an der Vorbereitung gut mitgewirkt haben – mit den notwendigen Ressourcen ausgestattet sein werden, sodass ich glau­be sagen zu können, dass wir auch die künftigen Arbeiten bewältigen werden können, wenn wir alle Sparpotenziale und Möglichkeiten genützt haben.

In der Tat: Sparen ist das richtige Wort. Und wir wissen immer, dass wir mit dem Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler arbeiten und dass unser Gehalt und auch das unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – so wie eben auch Ihr Gehalt hier – von allen Österreicherinnen und Österreichern bezahlt wird.

Daher: Wir von der Volksanwaltschaft machen mit beim Sparprogramm, beim Effizienz­steigerungsprogramm der Bundesregierung.

Die verschiedensten Themen, mit denen wir uns beschäftigt haben, haben Sie ja hier angesprochen, eben sozusagen beginnend mit den Spitzenreitern Soziales, Inneres, Gemeinde und Justiz, wobei ich aber jetzt noch ein Augenmerk auf ein Problem lenken möchte, das uns alle betrifft: Ich weiß nicht, ob sich alle Bürgerinnen und Bürger im Klaren darüber sind, in welchem Rechtsstaat wir leben, wie die Rechtslage tatsächlich ausschaut. Daher kommen sie öfters mit überzogenen Erwartungen zu uns. Beispiele hiefür: Gemeinde: Bauordnung, Flächenwidmung. Das Entsetzen ist groß, wenn Bür­ger erfahren müssen, es gibt eine Flächenwidmungsänderung zu ihrem, wie sie oft sa­gen, Nachteil.


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Ein Beispiel: Ein Grundstücksstreifen wurde beispielsweise in ein Hochwasserschutz­gebiet oder in Grünland rückgewidmet. Bürgerinnen und Bürger erleben das oft als „Enteignung“. In der Tat ist das natürlich ein Eingriff in Grundrechte, aber gesetzlich gedeckt. Das Ganze wäre allerdings leichter zu kommunizieren, wenn Bürgermeister und Gemeinderäte dafür sorgten, dass die Bürgerinnen und Bürger in eine Entschei­dungsfindung von Anfang an eingebunden sind, beispielswiese auch im Falle einer weitreichenden Raumordnungsfrage.

Behinderung war ein Stichwort. In der Tat, wir können nicht gutheißen, dass bei der baulichen Adaptierung die Frist auf 2019 hinausgeschoben wurde. Wir stellen fest, dass manchmal in einer bestimmten strukturellen Ignoranz – so will ich es nennen – behindertenungerecht gebaut wird, im Zusammenhang mit Verkehrsmitteln, im Zusam­menhang mit öffentlichen Einrichtungen, die neu gebaut werden. Wenn man an ein Bauvorhaben von Anfang an auch mit dem Bewusstsein herangeht: wie ist das Ge­bäude für Menschen mit Behinderungen zu gebrauchen, wie ist es zu betreten, wie kann man sich darin autonom bewegen, dann kann von Anfang an Geld gespart wer­den, es können Fehler vermieden werden, und in Wirklichkeit ist allen geholfen. Darauf legen wir unser Augenmerk.

So wie Sie insgesamt auch wissen und uns auch darin unterstützen: Seit 2009 gibt es das Grundrecht auf gute Verwaltungspraxis in Europa, nicht nur für die Organe der Eu­ropäischen Union, sondern auch für uns. Österreich hat sich hier verpflichtend ange­schlossen, das heißt, Bürgerinnen und Bürger haben ein Grundrecht, ein Recht auf transparente, rasche, effiziente Auskunft, ein Recht, einbezogen zu werden in Verän­derungen, verständigt zu werden von Nachrichten und Mitteilungen. Es nutzt nix – sa­ge ich jetzt einmal auf Wienerisch –, dass man eine unangenehme oder für die Bürger mit einschneidenden Konsequenzen verbundene Nachricht verbirgt, versteckt, sagt, das mache ich erst in der nächsten Gemeindenachricht. Die Enttäuschung ist dann viel größer.

Zur Geschichte der Volksanwaltschaft muss ich auch keine näheren Ausführungen ma­chen. In der Tat gibt es die Idee der Volksanwaltschaft schon seit Hans Kelsen – Sie wissen, der Schöpfer der Verfassung. Spätestens 1929 ist so eine Idee wie „Anwalt des öffentlichen Rechts“ aufgetaucht, und heute stehen wir vor dem Eintritt in das 35. Jahr des Bestehens. Für uns ist das ein Auftrag, für uns ist es die Anstrengung wert, zu sehen, wie wir unsere Dienstleistung am Bürger, an der Bürgerin verbessern.

Letztes oder vorletztes Stichwort: die legistischen Anregungen. In der Tat, wir brau­chen einen langen Atem, Sie und wir: Sie, wenn Sie der Überzeugung sind und noch keine Mehrheit gefunden haben für eine legistische Änderung – wie am Beispiel des Staatsbürgerschaftgesetzes im Zusammenhang mit unverschuldeter Notlage, wie an vielen anderen Beispielen auch, finanzrechtlichen, mietrechtlichen und so weiter. Wir werden, solange wir meinen, das Problem ist ein Problem und ist als Problem, als zu lösender Missstand, als notwendige legistische Anregung aufrecht, auch eine legisti­sche Änderung anregen. In etwa, dürfen Sie sicher sein, 50 Prozent der Anregungen für legistische Änderungen, für Gesetzesänderungen werden gleich oder nach und nach berücksichtigt. Alle unsere Anregungen werden den Ministerien zugemittelt. Die­se nehmen Stellung, manchmal sind sie aber auch aus verschiedenen Gründen ande­rer Meinung und beharren darauf. Aber, wie gesagt: Wer hat den längeren Atem? Das ist vielleicht dann das, was zählt.

Ich schließe mit dem Hinweis auf unsere Themenreichweite bis hin zur Landes- und Gemeindeverwaltung. Sie sind herzlich eingeladen, über Auswirkungen von Föderalis­mus nachzudenken. Es gibt in Österreich insgesamt 42 Kategorien in der Raumord­nung, wenn eine Fläche als Bauland gewidmet wird. Wenn manchmal Freunde, Fami­lien an Landesgrenzen leben, an Gemeindegrenzen leben, ist die unterschiedliche Hand-


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habung von Bauordnungen auch eine Frage für die Bürgerinnen und Bürger, nicht nur für die Baumeister und für die Gewerbebetriebe. Hier möglichst rasch Bauberatung, Baubegleitung zu machen, ist auf alle Fälle eine Hilfe.

Wir werden in all den angesprochenen Themen – von Soziales, Gesundheit, Pflege, Gerechtigkeit in diesem Bereich über Inneres, Asylsuchende bis zu Justiz, Finanzen und Gemeinde- und Landesverwaltung – auch weiterhin mit derselben Kraft tätig sein, auch im neuen Jahr, zum neuen Bericht. Ich bedanke mich noch einmal und gebe Ich­nen die Gewissheit, dass ich den Dank, den Sie ausgesprochen haben, ins Büro, in die Volksanwaltschaft mitnehmen werde. – Danke schön und eine schöne Vorweihnachts­zeit! (Allgemeiner Beifall.)

15.24


Vizepräsident Harald Himmer: Weitere Wortmeldungen liegen mir dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Die Debatte ist ge­schlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den ge­genständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Bericht ist somit angenommen.

*****

Ich bedanke mich bei den Volksanwälten Brinek, Stoisits und Kostelka für ihr Kommen. Herzlichen Dank. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

15.25.165. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 15. November 2011 betreffend Vereinbarung über die Beendigung der Vereinbarung vom 27. Juni 1997 über die Bereitstellung und den Betrieb von Flugsicherungseinrichtungen und -diensten durch EURO­CONTROL in der Bezirkskontrollzentrale des oberen Luftraums für die zentraleu­ropäischen Flugsicherungsdienste und der Besonderen Vereinbarung zur Durch­führung von Artikel 6 der CEATS Vereinbarung (1396 d.B. und 1489 d.B. sowie 8604/BR d.B.)

6. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 15. November 2011 betreffend Übereinkommen zur Errichtung des Funktionalen Luftraumblocks „Zentraleuropa“ (1394 d.B. und 1490 d.B. sowie 8605/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Wir gelangen nun zu den Punkten 5 und 6 der Tagesordnung, über welche die Debatte unter einem durchgeführt wird.

Berichterstatter zu den Punkten 5 und 6 ist Herr Bundesrat Stadler. Bitte um die Be­richte.

 


15.26.06

Berichterstatter Werner Stadler: Herr Präsident! Geschätzte Frau Ministerin! Ge­schätzte Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht des Ausschusses für Verkehr, Innova­tion und Technologie über den Beschluss des Nationalrates vom 15. November 2011 betreffend Vereinbarung über die Beendigung der Vereinbarung vom 27. Juni 1997 über die Bereitstellung und den Betrieb von Flugsicherungseinrichtungen und -diensten durch EUROCONTROL in der Bezirkskontrollzentrale des oberen Luftraums für die


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zentraleuropäischen Flugsicherungsdienste und der Besonderen Vereinbarung zur Durchführung von Artikel 6 der CEATS Vereinbarung und der Bericht des Ausschusses für Verkehr, Innovation und Technologie über den Beschluss des Nationalrates vom 15. November 2011 betreffend Übereinkommen zur Errichtung des Funktionalen Luft­raumblocks „Zentraleuropa“ liegen in schriftlicher Form vor. Daher komme ich sogleich zur Antragstellung:

Der Ausschuss für Verkehr, Innovation und Technologie stellt nach Beratung der Vorla­gen am 29. November 2011 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen die beiden Beschlüsse des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Ich danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Füller. – Bitte.

 


15.27.20

Bundesrat Christian Füller (SPÖ, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! In Anbetracht der Tatsache, dass diesen Tagesordnungspunkten alle fünf Parteien zustimmen wer­den, werde ich versuchen, die Punkte so kurz wie möglich anzudiskutieren.

Die hier vorliegende Vereinbarung schafft eine bessere Koordination innerhalb des eu­ropäischen Luftraumes. In erster Linie geht es um eine Verbesserung des Sicherheits­standards in der Luftfahrt sowie um eine Steigerung der Effizienz im Flugverkehrs­management und der Flugverkehrsdienste. Die steigenden Flugverkehrszahlen legen nahe, dass die Nationalstaaten mit ihren Kapazitäten langsam an ihre Grenzen stoßen und dass nur die Schaffung des größeren mitteleuropäischen Luftraumblocks zusam­men mit Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Slowenien, der Slowakei, der Tschechischen Republik und Ungarn gegen diese bevorstehenden Engpässe in der Luftraumkapazität Abhilfe schaffen können.

Aus den gegenwärtig 36 zum Teil sehr kleinstrukturierten Lufträumen werden in Zu­kunft neun Lufträume werden. Am Beispiel des neuen Luftraumblocks Zentraleuropa, an dem sich in Zukunft auch Kroatien und Bosnien-Herzegowina beteiligen werden, se­hen wir, dass dieses Übereinkommen auch für Nicht-EU-Staaten offen steht.

Diese Kleinstrukturiertheit hat aber auch zusätzlich zu Verspätungen, Umwegen, höhe­ren Kosten, die wiederum die Passagiere tragen mussten, oder auch zu höheren Kero­sinverbräuchen geführt. Diesen Weg zu beschreiten ist daher wichtig, um von einer bisherigen Fleckerlteppichlösung wegzukommen, hin zu einer notwendigen kunden­orientierten und den jetzigen Erfordernissen angepassten Flugsicherung.

Trotz dieses gemeinsamen Schrittes bleibt die nationale Hoheit der Vertragsstaaten unberührt, insbesondere der Sicherheits- und Verteidigungsbereich bleibt voll im Ver­antwortungsbereich der jeweiligen Staaten. Die bisherige Vereinbarung, die inhaltlich mit den geltenden EU-Verordnungen inkompatibel war, wird beendet. An ihre Stelle tritt jetzt der EU-konforme Luftraumblock „Zentraleuropa“.

Unter der Zusammenarbeit mehrerer Ministerien, der Kammern, der Airlines, Flughäfen und internationaler Experten wurde an der für uns wichtigen Luftfahrtstrategie, an die­ser Roadmap gearbeitet. Ich bin mir sicher, dass diese Luftfahrtstrategie für den öster­reichischen Wirtschaftsstandort, für den österreichischen Tourismus und für viele Tau­sende Arbeitsplätze von großer Bedeutung ist. Daher wird die SPÖ-Fraktion dieser wichtigen Vereinbarung ihre Zustimmung erteilen, und wir freuen uns, dass sämtliche Parteien, die hier vertreten sind, ebenfalls die Zustimmung erteilen werden. – Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten der ÖVP.)

15.29



BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 104

Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Köberl. – Bitte.

 


15.30.27

Bundesrat Günther Köberl (ÖVP, Steiermark): Geschätzter Herr Präsident! Ge­schätzte Frau Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich werde versu­chen, diese Thematik, weil es eine große Einigkeit darüber nicht nur im Nationalrat ge­geben hat, sondern anscheinend auch bei uns im Bundesrat gibt, so kurz wie möglich zu fassen.

Viele von uns haben schon einmal nicht nur Österreich, sondern auch Europa aus der Luft betrachten können, und viele haben sich gefragt, wie denn das alles funktioniert, denn der Luftraum über Europa ist einer der am dichtest gefüllten. Wenn man weiß, dass hier doch Tausende von Flugbewegungen täglich abgewickelt werden, dann wird klar, dass da schon eine Menge dahinter steckt.

Wir haben es gehört, Österreich teilt künftig mit den Nachbarländern im Osten und Südosten einen Luftraumblock, den „Zentraleuropa“-Block. Bisher, haben wir gehört, waren es viele, viele kleine und auf nationaler Ebene verankerte Luftraumüberwa­chungen, die nicht nur zu wirtschaftlichen Mehraufwendungen, sondern auch zu doch erheblichen Verspätungen geführt haben.

Was hat das in der Praxis geheißen? – Die Flugsicherung wird derzeit von etwa 50 Flug­verkehrskontrollstellen und einigen hundert Anflugskontrollen und Kontrolltürmen in über 650 Sektoren überwacht, deren Grenzverläufe sich oft den Ländergrenzen anpas­sen müssen. Beim Einfliegen in einen neuen Sektor muss der Pilot die Funkfrequenz ändern und zum nächsten Fluglotsen Kontakt aufnehmen. Er braucht grünes Licht von allen betroffenen Behörden, die dem Flugzeug die Flugroute und vor allem auch die Flughöhe vorschreiben.

Im Vergleich mit anderen Flugsicherungssystemen der Welt wird sichtbar, dass Europa in Sachen Pünktlichkeit, Kosteneffizienz, Produktivität und Sicherheit schlecht ab­schneidet. Dadurch entstehen auch Zehntausende zusätzliche Flugstunden, die das Flugaufkommen in Europa weiter ansteigen lassen und die Umwelt zusätzlich belasten. Pro Tag – ich habe es schon gesagt – passieren rund 25 000 Flugzeuge den europäi­schen Flugraum. Davon verspäten sich im Schnitt etwa 20 Prozent um durchschnittlich 22 Minuten.

Die Zersplitterung ist ein Kostenproblem. Durch diese zusätzlichen Belastungen, durch die Nichtvereinheitlichung entstehen Mehrkosten von rund 1 Milliarde € pro Jahr.

Die Frage der Staatshoheit hat Kollege Füller, glaube ich, schon ausreichend beant­wortet. Lassen Sie mich nach den Ausführungen zur europäischen Ebene noch ein paar Worte auch zur österreichischen Ebene sagen.

Die Austro Control ist für die Luftraumüberwachung in Österreich zuständig. Die Aus­tro Control ist eine österreichische Gesellschaft für Zivilluftfahrt mit beschränkter Haf­tung und ist privatwirtschaftlich organisiert. Sie ist ein Unternehmen, welches für den sicheren und wirtschaftlichen Ablauf des Flugverkehrs in Österreich verantwortlich ist. Die Fluglotsen in der Überflugszentrale im 3. Wiener Gemeindebezirk und in den Flug­sicherungsstellen in allen österreichischen Verkehrsflughäfen sorgen für eine sichere Abwicklung des Verkehrs.

Ganz kurz noch ein paar Daten: Was heißt das in Österreich? Wie viele Flugzeuge
sind in diesem Flugraum unterwegs? – Insgesamt waren es im Jahr 2010 rund 1,142 Mil­lionen Flugbewegungen, das entspricht zirka 3 100 Flugbewegungen pro Tag.

Was kostet so eine Bewegung? – Das wird pro 100 Kilometer angegeben. Es sind in Österreich derzeit 69 € – damit liegt Österreich im Mittelfeld, könnte man sagen –, in


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der Schweiz sind es 90 €, in Ungarn, konnte ich den Unterlagen entnehmen, sind es nur 40 €. Welche Umsatzerlöse werden damit erzielt? – Es sind rund 230 Millionen € pro Jahr, eben 73 Prozent als Streckengebühren, 17 Prozent als An- und Abfluggebüh­ren und 10 Prozent in sonstigen Einnahmenbereichen.

Die Zuständigkeitsbereiche von Austro Control gliedern sich in zwei Unternehmens­bereiche: in den Bereich Air Navigation Service mit vorwiegend operativen Aufgaben und in den Bereich der behördlichen Agentur als Luftfahrtagentur.

Das Air Traffic Management ist sowohl für die operative Verkehrssteuerung als auch für die Planung von Verfahren und Kapazitäten zuständig. Rund 300 Fluglotsen der Austro Control sorgen für den sicheren Ablauf des Flugverkehrs über Österreich bezie­hungsweise in allen österreichischen Flughäfen.

Die Abteilung AES betreibt und wartet mit rund 200 Flugsicherungsingenieuren und -technikern auch sämtliche Flugsicherungsanlagen in Österreich wie beispielsweise Funk- und Navigationsanlagen, Datenübermittlungssysteme, Radarstationen wie am Buschberg, Feichtberg und auf der Koralpe. – Nun, das waren die Fakten.

Dazu gibt es aber trotzdem auch eine Anmerkung. Es hat eine Diskussion rund um die vorgegebenen Leistungsziele im Rahmen von Single European Sky gegeben. Da ist Österreich im internationalen Vergleich sehr gut unterwegs, hört man vonseiten der Austro Control.

Auf der anderen Seite gibt es die Diskussion, ob Musterschüler oder durchgefallen. Warum durchgefallen? – Vor allem gehört Österreich laut dem Bericht zu fünf von 28 Mitgliedsländern, bei denen im evaluierten Bereich für Kosteneffizienz und Kapazi­tät vonseiten der EU ein „Nicht genügend“ erstellt wurde. Ebenfalls komplett durchge­fallen sind – wir befinden uns da also im prominenten Kreis – Deutschland, Spanien, Frankreich und das Vereinigte Königreich.

Vonseiten der EU wird das Jahr 2012 als das Entscheidungsjahr für einen einheitlichen europäischen Luftraum gesehen, denn trotz der bisherigen Anstrengungen gehe aus der Ampelbewertung der Kommission hervor, dass die große Mehrheit der Mitglied­staaten im orange-/rotfarbenen Bereich liegt, also die kritischen Ziele verfehlt hat.

Die Austro Control sieht das eigene schlechte Abschneiden relativ gelassen. Eine erste Analyse der nationalen Performance-Pläne zeigt, dass der österreichische Plan mit einer durchschnittlichen jährlichen Reduzierung der Unit Rate von 2,8 Prozent Verspä­tung pro Flug einen sehr guten Verlauf nimmt.

Positiv zu erwähnen ist auch die Pünktlichkeitsvorgabe. Hier ist Österreich unter den fünf besten Flugsicherungen in Europa zu finden.

Aufgrund der Einführung eines völlig neuen Flugsicherungssystems werde die Austro Control während der Umstellungs- und Trainingsphase Kapazitätseinschränkungen in Kauf nehmen müssen, heißt es, die eine Erreichung der europäischen Kapazitätsziel­vorgabe nicht sofort möglich machen.

Die EU geht in ihrem aktuellen Bericht ebenfalls durchaus hart mit der heimischen Flugsicherung ins Gericht und zeigt aktuellen Handlungsbedarf auf. Für manche ist es unverständlich, dass es heißt, man wird auch dieses Ziel in den nächsten Jahren errei­chen.

Mein Appell an Sie, Frau Bundesminister: Sie werden das sicher in die Hand nehmen und darauf achten, dass wir zeitgerecht auch diese europäischen Standards erreichen, damit wir auch in der Flugsicherung zu den Besten in Europa zählen. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

15.37



BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 106

Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gelangt Herr Bundesrat Krusche. – Bitte.

 


15.37.57

Bundesrat Gerd Krusche (FPÖ, Steiermark): Hohes Präsidium! Sehr geehrte Frau Bundesminister! Die Steirer gehen offensichtlich besonders gerne in die Luft, denn ich bin jetzt hier der Dritte, der zu diesem Thema Stellung nimmt. Ich habe bei meinen Vor­bereitungen bereits eine Streichorgie vorgenommen, weil ja sehr viel an Richtigem schon von meinen Vorrednern gesagt wurde. Ich kann mich daher auf einige Ergän­zungen dazu beschränken.

Diese Zersplitterung mit den 650 Sektoren und den ganzen Anflugkontrolleinrichtungen funktioniert ja derzeit überhaupt nur deswegen noch, weil dieser Wechsel durch um­fassende Vereinbarungen zwischen den einzelnen Kontrollzentren sozusagen am Le­ben erhalten wird.

Auffallend ist ja auch, dass die derzeitige europäische Flugsicherung im Vergleich zum Beispiel zur US-amerikanischen äußerst ineffizient ist, was Pünktlichkeit, aber auch Produktivität und Sicherheit betrifft. Es ist ja so, dass die USA doppelt so viele Flüge abwickeln wie Europa, aber es dort um fast drei Viertel weniger Verspätungen und auch geringere Flugsicherungskosten gibt. Das alleine beweist schon, dass in Europa Handlungsbedarf besteht.

Diese Verspätungen – es wurde bereits erwähnt: durchschnittlich 22 Minuten – haben ja nicht nur Kosten zur Folge, die die Flugsicherungen selber betreffen, sondern auch weitreichende volks- und betriebswirtschaftliche Folgekosten.

Man kann sich vorstellen, was die Verspätungen alles mit sich bringen – den überwie­genden Teil im innereuropäischen Luftverkehr bilden ja Passagiere, die geschäftlich unterwegs sind –: Termine werden versäumt, Anschlussflüge werden versäumt und so wei­ter. Das heißt, Verspätungen führen zu enormen Folgekosten, die zulasten der Wirt­schaft gehen.

Man kann davon ausgehen, dass das Verkehrsaufkommen in der Luft in Europa zu­künftig ansteigen wird. Ich hoffe es zumindest, denn alles andere wäre ein Zeichen ei­ner Wirtschaftskrise, und das wollen wir alle nicht haben.

Interessant und auch traurig ist, dass nur ein Drittel der EU-Mitgliedstaaten derzeit zu­friedenstellende Unfallberichte veröffentlichen kann, die wiederum eine wichtige Grund­lage für das ganze Sicherheitsmanagement darstellen. Im globalen Vergleich müssen selbst die flächengrößten europäischen Mitglieder verhältnismäßig wenig Luftraum, da­für aber umso mehr Flüge kontrollieren, die Kapazitätsgrenzen sind erreicht. Es kommt auch zu hohen Unterhaltungskosten für die Flugsicherungszentren. Es gibt aufgrund der verschiedenen Systeme verschiedene Programmiersprachen, und das verkompli­ziert das Ganze sehr. Jedes Zentrum muss ständig mit einem Team von Fluglotsen be­setzt sein, die zwei bis vier Jahre für die Ausbildung brauchen, um in einer akzeptablen Zahl von Sektoren einsetzbar zu sein, und das mündet in eine sehr geringe Produk­tivität. Das Verhältnis von Flugstunde zu Flugsicherungsstunde liegt je nach Umstän­den in der jeweiligen Flugverkehrskontrollstelle im Durchschnitt zwischen 0,1 bis 1,6. Dass das natürlich verbesserungswürdig ist, brauchen wir nicht zu diskutieren.

Der Functional Airspace Block wurde bereits angesprochen. Wir schaffen heute eine alte Regelung ab und ersetzen sie durch eine neue, die hoffentlich tauglich sein wird, das ganze System effizienter zu gestalten. Es ist das nur der Rahmen, den wir heute beschließen, die praxisorientierte Umsetzung muss dann schlussendlich im Rahmen von bilateralen Gesprächen zwischen den Mitgliedstaaten in unserem Block noch aus­gehandelt werden. Hoffentlich gelingt es dabei, die wesentlichen Ziele zu erreichen, nämlich bestmögliche Sicherheit – ich darf an dieser Stelle an das Unglück vor einigen


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 107

Jahren in der Schweiz erinnern, das auf solche Probleme zurückzuführen war –, eine Kostenreduktion und vor allem weniger Verspätungen und damit auch eine Verrin­gerung der Folgekosten. Jeder, der schon einmal in Graz – da die bisherigen Debat­tenredner alle aus der Steiermark kommen, nehme ich an, jeder von ihnen war schon einmal betroffen – pünktlich in den Flieger gestiegen ist, dann aber eine Dreiviertel­stunde hat warten müssen, weil der Flugraum über Frankfurt überlastet war, dann end­lich abfliegen konnte, dann aber noch einmal eine halbe Stunde über Frankfurt in der Warteschleife kreisen musste, der weiß, wie wichtig es ist, hier zu mehr Effizienz zu kommen.

Positiv zu beurteilen ist auch, dass grundsätzlich keine Einschnitte in die Souveräni­tätsrechte der einzelnen Mitgliedstaaten vorgenommen werden, was die militärischen Flüge oder Überfluggenehmigungen betrifft.

Summa summarum also ein guter Ansatz, mit dem wir, wie wir hoffen, weiterkommen. Wir werden unsere Zustimmung erteilen. (Beifall bei der FPÖ sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

15.44


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gelangt Herr Bundesrat Beer. – Bitte.

 


15.44.29

Bundesrat Wolfgang Beer (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Sehr geehrte Bundesrätinnen und Bundesräte! Es war Ende der neunziger Jahre, als die EU erkannt hat, dass es in dem zerklüfteten Luftraum über Europa immer wieder zu Staus kommt, dass es immer wieder zu Verzögerungen kommt, dass es immer wieder zu Umwegflügen kommt. Das Ganze hat sich dann nach dem Jahr 2000 noch wesentlich verschärft. Wir haben durch die Vulkanausbrüche die Problematik zu spüren bekommen, dass die Koordination der verschiedenen Luftraum­überwachungen schleppend vor sich geht, ganz einfach keine Umleitungen geführt werden können und Flugzeuge auf dem Boden stehen bleiben.

Bis 2012 soll nun der europäische Luftraum, wie wir schon gehört haben, in neun Luft­raumblöcke aufgeteilt werden, welche dann die nationalen Bereiche ablösen sollen. Das Problematische dabei ist, dass sich die 36 bestehenden Lufträume auf 650 Luft­raumsektoren aufteilen. 650 Luftraumsektoren, das bedeutet, dass auch immer wieder andere Lotsen dafür zuständig sind. Wie wir schon gehört haben, kommt es daher im­mer wieder dazu, dass die Flugroute von einem Lotsen zum anderen weitergegeben wird und der Pilot sich jedes Mal mit einer Frequenzänderung zum neuen Lotsen an­melden muss.

Es wird weiterhin Flugverbotszonen geben, die auch diese neuen Luftraumblöcke nicht werden beseitigen können.

Es ist so – wie wir eben auch schon gehört haben, und das ist für Österreich, glaube ich, auch sehr wichtig –, dass auch die militärische Hoheit weiterhin erhalten bleibt. Wir sind immerhin ein Land, das eine Neutralität besitzt, und diese Neutralität gilt es auch zu schützen. Wir haben damals bei den Einsätzen im Kosovo erlebt, wie leichtsinnig versucht wird, über Österreich hinwegzufliegen. Die militärische Hoheit bleibt also, wie gesagt, auch aufgrund dieses Abkommens weiterhin aufrecht.

Die neuen Luftraumblöcke, die entstehen sollen – ich glaube, vier gibt es bis jetzt –, tei­len sich auf in einen baltischen Luftraum, dem Litauen und Polen angehören werden, einen mediterranen Luftraum, bestehend aus Griechenland, Italien, Malta, Zypern. Ge­plant ist, da ja auch Nicht-EU-Staaten daran teilnehmen können und sollen, dass auch Ägypten, Albanien, Jordanien und Tunesien miteingebunden werden. Wir bekommen noch einen Luftraum Donau, bestehend aus Bulgarien und Rumänien, und es wird ei­nen Luftraum Zentraleuropa geben, dem wir angehören, und auch noch Europa Zen-


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 108

tral. Europa Zentral umfasst die BENELUX-Länder, Deutschland, Frankreich und die Schweiz. Es wird weiters zwei Blöcke im Norden geben, bestehend aus Dänemark, Estland, Finnland, Island, Lettland, Norwegen, Schweden, einen Block bestehend aus Portugal und Spanien, und den Block United Kingdom/Ireland, der aus Irland und dem Vereinigten Königreich bestehen wird.

Es wird sich aufgrund dieser bestehenden Luftraumblöcke eine Vereinfachung durch die Koordination der einzelnen Staaten miteinander ergeben. Die Linien werden di­rekter geführt werden, und diese direkten Routen werden für kürzere und pünktlichere Flugzeiten und Flüge sorgen.

Es wird auch die Technik in diesen Luftraumblöcken – das ist zumindest geplant – an­gepasst werden, damit es einheitliche Systeme gibt.

Wir sollten auch nicht vergessen, dass bei kürzeren Flugzeiten das Einsparungspoten­zial beim Treibstoff eine wichtige Komponente für die Flugpreise ist. Nicht zuletzt wird die Verringerung des Treibstoffverbrauchs auch zu einer Reduktion der CO2-Emis­sionen führen. Man muss nur ein bisschen aufpassen. Vielleicht können wir auf güns­tigere Flugpreise hoffen – oder aber auch nicht, was ich eher befürchte –, aber eine Reduzierung der CO2-Emissionen ist uns sicher.

Da es eine Vorgabe der EU ist, die Schaffung dieser Luftraumblöcke umzusetzen, musste dieses Gesetz ganz einfach erarbeitet werden. Ich werde diesem Gesetz zu­stimmen, aber ich werde auch darauf achten, welche Auswirkungen und welche Folgen dieses Gesetz für die Menschen in Zukunft haben wird. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

15.51


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesministerin Bu­res. – Bitte, Frau Ministerin.

 


15.51.00

Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie Doris Bures: Herr Prä­sident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schon viel Richtiges zu der heute anstehenden Beschlussfassung gesagt worden. Es gibt starke Bemühungen, ei­ne Vereinheitlichung des europäischen Luftraumes zu erreichen. Es gibt eine große Vi­sion, nämlich einen Single European Sky, einen einheitlichen Luftraum in Europa, zu haben. Das klingt natürlich noch sehr visionär, aber auf den Straßen in Europa haben wir das in vielen Bereichen. Während wir offene Schengen-Grenzen haben, während wir auf den Straßen, was Personen- und Warenverkehr betrifft, in vielen Bereichen in Europa Grenzen aufgehoben haben, haben wir im Luftraum – Sie sind ja darauf ein­gegangen – noch viel mehr Grenzen, als es überhaupt EU-Mitgliedstaaten oder Länder in Europa gibt. Insofern bleibt diese Vision, einen einheitlichen Luftraum zu schaffen, aufrecht. Aber es soll einen Zwischenschritt geben, indem in Europa neun Luftraum­blöcke geschaffen werden. Österreich wird sich in FAB CE, Zentraleuropa, befinden.

Das wird auch viele positive Auswirkungen haben. Das wird zu noch mehr Sicherheit führen – in der Luftfahrt das Allerwichtigste. Es wurde darauf hingewiesen, dass es zu Verkürzungen von Flugzeiten und zu einer Verkürzung der Flugwege kommen wird. Die positiven Auswirkungen kennen wir. Davon profitieren Airlines, weil sie sich Geld sparen aufgrund eines geringeren Kerosin-Verbrauchs. Es profitiert die Umwelt, wenn wir einen geringeren CO2-Ausstoß haben, und es profitieren die Passagiere von mehr Sicherheit und kürzeren Flugzeiten.

Herr Bundesrat Krusche, Sie haben darauf hingewiesen, dass in dieser Debatte zu­nächst drei Steirer gesprochen haben, und jetzt hat ein Wiener Bundesrat gespro­chen. – Im Bereich von Luftfahrttechnologien bis zur Weltraumforschung gibt es tat-


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sächlich einen Schwerpunkt in diesen beiden Bundesländern; vielleicht deshalb zufällig diese Reihung bei den Debattenrednern. Es gibt die TU Graz und die Technische Uni­versität Wien, auch Kompetenzzentren, große Unternehmen, die in diesem Bereich ex­zellente Forschungstechnologien made in Austria haben, somit spielen diese zwei Bun­desländer tatsächlich eine Vorreiterrolle.

Ich möchte mich für die breite Zustimmung zu dieser Gesetzesvorlage, die wirklich viele Vorteile bringt, bedanken. Eine Win-Win-Situation wird in diesem Fall nicht nur vermutet, sondern am Ende des Tages gewinnen tatsächlich die Airlines, die Umwelt und die Flugpassagiere. Ich glaube, das ist eine gute Sache.

Wir werden in Zukunft keine einzelnen bilateralen Verträge mehr brauchen. In unserem FAB haben wir einen Staatsvertrag unterzeichnet und damit den rechtlichen Rahmen des gemeinsamen Luftblocks, in dem sich Österreich befindet, auch fixiert.

Ich bedanke mich für die breite Zustimmung und Ihre Unterstützung. (Allgemeiner Bei­fall.)

15.54


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Die Abstimmung über die gegenständlichen Beschlüsse des Nationalrates erfolgt ge­trennt.

Wir gelangen zunächst zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 15. November 2011 betreffend Vereinbarung über die Beendigung der Vereinbarung vom 27. Juni 1997 über die Bereitstellung und den Betrieb von Flugsicherungseinrich­tungen und -diensten durch EUROCONTROL in der Bezirkskontrollzentrale des oberen Luftraums für die zentraleuropäischen Flugsicherungsdienste und der Besonderen Ver­einbarung zur Durchführung von Artikel 6 der CEATS Vereinbarung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist angenommen.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 15. Novem­ber 2011 betreffend Übereinkommen zur Errichtung des Funktionalen Luftraumblocks „Zentraleuropa“.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

15.55.467. Punkt

Selbständiger Antrag der Bundesräte Mag. Susanne Neuwirth, Gottfried Kneifel, Kolleginnen und Kollegen betreffend Abhaltung einer parlamentarischen En­quete gemäß § 66 GO-BR zum Thema „Föderalistische Aspekte in der österrei­chischen Entwicklungszusammenarbeit“ (187/A-BR/2011)

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Wir gelangen nun zum 7. Punkt der ergänzten Tagesordnung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Es liegen keine Wortmeldungen vor. Wünscht jemand das Wort? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.


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Wir gelangen zur Abstimmung über den Selbständigen Antrag der Bundesräte Mag. Susanne Neuwirth, Gottfried Kneifel, Kolleginnen und Kollegen betreffend Abhal­tung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 66 GO-BR zum Thema „Föderalisti­sche Aspekte in der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit“ (187/A-BR/2011).

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag ihre Zustimmung geben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag auf Ab­haltung der gegenständlichen Enquete ist somit angenommen.

Hinsichtlich des Termins, der Tagesordnung und des Teilnehmerkreises für die soeben beschlossene Enquete darf ich auf den bereits allen Mitgliedern des Bundesrates zu­gegangenen Selbständigen Antrag 187/A-BR/2011 verweisen.

15.57.088. Punkt

Bericht des EU-Ausschusses über das Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union gemäß Art. 23e B-VG betreffend KOM (11) 635 endg. Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (60696/EU XXIV.GP) und SEK (11) 1166 endg. Arbeitsdo­kument der Kommissionsdienststellen Zusammenfassung der Folgenabschätzung Begleitunterlage zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (61178/EU XXIV.GP) (8609/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Wir gelangen nun zum 8. und letzten Punkt der ergänzten Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Mayer. Ich bitte um den Bericht.

 


15.57.58

Berichterstatter Edgar Mayer: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministe­rin! Ich bringe den Bericht des EU-Ausschusses über das Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union gemäß Art. 23e B-VG betreffend KOM (11) 635 endg. Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemein­sames Europäisches Kaufrecht (60696/EU XXIV.GP) und SEK (11) 1166 endg. Arbeits­dokument der Kommissionsdienststellen Zusammenfassung der Folgenabschätzung Begleitunterlage zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (61178/EU XXIV.GP).

Der Bericht liegt in schriftlicher Form vor. Ich komme deshalb zum Antrag:

Der EU-Ausschuss empfiehlt nach Beratung des Vorhabens im Rahmen der Europäi­schen Union gemäß Art. 23e B-VG am 30. November 2011, der Bundesrat wolle die dem schriftlichen Ausschussbericht angeschlossene begründete Stellungnahme ge­mäß Art. 23g Abs. 1 B-VG abgeben.

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Ich danke für den Bericht.

15.59.32Dringliche Anfrage

der Bundesräte Hans-Jörg Jenewein, Kolleginnen und Kollegen an die Bundes­ministerin für Inneres betreffend mysteriöse Pannenserie bei den Tatortermittlun­gen im Fall Kampusch (2861/J-BR/2011)

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Ich unterbreche nunmehr die Verhandlungen über die Tagesordnung, und wir gelangen zum Aufruf der Dringlichen Anfrage der Bun­desräte Jenewein, Kolleginnen und Kollegen an die Frau Bundesministerin für Inneres.


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Da die Dringliche Anfrage inzwischen allen Mitgliedern des Bundesrates zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch die Schriftführung.

*****

Zur Geschäftsbehandlung zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Kneifel. – Bitte.

 


16.00.04

Bundesrat Gottfried Kneifel (ÖVP, Oberösterreich) (zur Geschäftsbehandlung): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Es ist, glaube ich, jeder Fraktion in diesem Hause unbenommen, zu allen möglichen Themen Dringli­che Anfragen zu stellen.

Sie alle haben den Text dieser Dringlichen Anfrage gelesen, jeder hat das zugestellt bekommen. Ich darf namens der ÖVP-Fraktion, namens der SPÖ-Fraktion und na­mens der grünen Fraktion dieses Hauses feststellen, dass es natürlich auch andere Wertigkeiten gibt, als ein solches Thema hier öffentlich abzuhandeln.

Uns ist der Opferschutz und der Respekt vor der persönlichen Sphäre eines Menschen dieser Republik in diesem Fall ein wesentlich höheres Gut, weshalb wir, diese drei Fraktionen, in die Debatte meritorisch nicht einsteigen werden, und ich bitte dafür auch die Öffentlichkeit um Verständnis. Dies umso mehr, da heute der Ständige Unteraus­schuss des Innenausschusses einstimmig – mit den Stimmen aller im Parlament ver­tretenen Parteien – beschlossen hat, diese Angelegenheit zu untersuchen und eine entsprechende parlamentarische Behandlung vorzunehmen. Wir glauben, dass es da­mit sein Bewenden haben soll. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

16.01


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Ebenfalls zur Geschäftsbehandlung: Frau Kolle­gin Mühlwerth. – Bitte, Frau Kollegin.

 


16.02.06

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien) (zur Geschäftsbehandlung): Sehr ge­ehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Das kann ich so nicht stehen lassen. Mein Kollege hat heute vereinbart, dass, wenn der Ausschuss seine Arbeit aufnimmt, wenn die Aktenlage vorhanden ist und wenn al­les Material da ist, aus diesem Ausschuss dann auch von unserer Seite nichts heraus­getragen wird und keine Aktionen stattfinden.

Selbstverständlich werden wir uns an diese Vorgehensweise halten, wie wir das immer tun. Das ist aber von der heutigen Dringlichen überhaupt nicht berührt. Ich bitte wirklich darum, das nicht so darzustellen, als ob mein Kollege etwas vereinbart hätte, von dem wir dann 5 Minuten später nichts wissen wollen, weil es einfach nicht stimmt. (Beifall bei der FPÖ.)

16.02

*****

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Da es keine weiteren Wortmeldungen zur Ge­schäftsbehandlung gibt, arbeiten wir die Rednerliste ab.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Jenewein. – Bitte.

 


16.03.28

Bundesrat Hans-Jörg Jenewein (FPÖ, Wien): Meine sehr geehrten Damen und Her­ren! Wir haben gehört, die Fraktionen SPÖ, ÖVP und die Grünen werden in die De-


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batte nicht einsteigen. Diesbezüglich ist insofern interessant – nämlich auch zur Erklä­rung –, dass im Vorfeld dieser Debatte mein Bundesparteiobmann sogar in Stockholm angerufen wurde, und zwar vom Klubobmann der ÖVP, vom Herrn Kopf, und bis nach Schweden interveniert worden ist, dass wir doch bitte schön diese Dringliche Anfrage zurückziehen.

Es ist mir schon klar, warum: Es geht hier heute nämlich nicht um das Opfer Natascha Kampusch, das selbstverständlich Opfer ist, es geht heute hier einzig und allein um Pannen und um jene, die im Innenministerium die politische Verantwortung haben. Darum ist auch die Frau Innenministerin heute hier; ich begrüße Sie sehr herzlich und freue mich, dass sie hier ist.

Einer der Punkte, der dabei wesentlich ist – darum finde ich es ja so interessant, dass man hier immer den Opferschutz in den Vordergrund stellt und sich hinter dem Op­ferschutz versteckt, denn das, was in der gesamten Causa passiert, mutet eigentlich eher an, als ob es hier um den Täterschutz geht –, ist, dass nachweislich Pannen pas­siert sind, und zwar in einer Massivität und in einer Fülle, dass ich ganz einfach nicht mehr an Zufälle glaube, und zwar betrifft das auf der einen Seite die Tatortsicherung, das Innenministerium, und auf der anderen Seite das Justizministerium.

Jetzt werden Sie mir vielleicht vorhalten – nein, das tun Sie nicht, denn Sie melden sich ja nicht zu Wort; Sie wollen nichts davon wissen und nicht debattieren –, beziehungs­weise wird einem dann natürlich vorgeworfen: Also die Staatsanwaltschaft hat ja da das Ermittlungsverfahren gegen die fünf Staatsanwälte wegen Amtsmissbrauchs ein­gestellt. – Ja, ja, das ist schon richtig! Und auf der anderen Seite wird man hören: Ja, aber es ist ja alles bis zum Exzess durchermittelt worden, da gibt es überhaupt keine offenen Fragen mehr. – Auch das hören wir immer wieder, das kommt dann von der anderen Seite. Und im Endeffekt, wenn Sie die Wurzeln dessen, was da passiert ist, freilegen, kommen Sie drauf, dass da im Justizbereich von einer BSA-verseuchten Staatsanwaltschaft vertuscht wurde (Bundesrat Mayer: Aufpassen! – Bundesrat Mag. Klug: Aufpassen!) und Fehler gemacht wurden und auf der anderen Seite von der Volkspartei betreffend politisch nahestehende Persönlichkeiten, die im dringenden Verdacht stehen, mit dem Entführungsfall Kampusch im Zusammenhang zu stehen, einfach gemauert wird.

Und das sind ganz einfach ... (Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Ja, ja, ja! Ja, ja, ist schon recht! Ich werde Ihnen sogar den Namen sagen. Seien Sie nicht so aufgeregt! (Bun­desrat Kneifel: Beweise, Beweise!) – Ja, kommt schon, kommt schon! Das kommt schon! Echauffieren Sie sich nicht so! Es kommt alles, oder, kann man sagen, ... (Bun­desrat Mag. Klug: Aufpassen! Aufpassen!) – Na, gar nichts: „Aufpassen!“ Ich lasse mir von Ihnen nicht den Mund verbieten!

Herr Klug, passen Sie einmal auf! Sie machen Ihrem Namen wieder einmal keine Ehre. Ich brauche nicht aufzupassen. Ich stehe hier und ich werde diese Namen heute auch nennen, aber ich lasse mich von Ihnen auch nicht maßregeln und ich lasse mich von Ihnen vor allem nicht unterbrechen. Hören Sie lieber zu und passen Sie lieber auf! (Bundesrat Mag. Klug: Aufpassen!) – Na ja, da brauchen Sie keine Angst zu haben: Ich passe schon auf und ich weiß auch, was ich sage – im Unterschied zu anderen. (Ruf bei der ÖVP: ... präpotent!)

Wir haben in der Dringlichen Anfrage einen Aktenvermerk von Dr. Rudolf Keplinger vom LKA Oberösterreich vorliegen. Herr Keplinger ist nicht irgendwer, das ist nicht ir­gendein frisch gefangener Kriminalist, der sich da wichtigmachen wollte. Herr Keplinger ist Verfasser von Fachliteratur, von juristischer Fachliteratur, von Fachliteratur, die bei der Polizei verwendet wurde – also er ist durchaus ein Mensch, der weiß, wovon er spricht, und auch durchaus ein Mensch, der weiß, wovon er schreibt. Im Übrigen ist er auch Lektor der Uni Linz.


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Und bei dem, was Herr Keplinger da in seinem Aktenvermerk schreibt – das hat nichts mit Opferschutz zu tun, das braucht mir kein Mensch hier zu erklären, denn ich weiß ja genau, wie die Reaktionen sind: Die Freiheitlichen, die zerren das Opfer vor die Tür! –, geht es einzig und allein darum, dass hier Schlampereien aufgelistet sind, Schlampe­reien der Polizei, die passiert sind. (Bundesrat Mag. Klug: Es sei denn, er beleidigt noch ein paar!) – Ja, ja, mag schon alles sein. (Neuerlicher Zwischenruf des Bundes­rates Mag. Klug.) Sagen Sie es laut oder kommen Sie heraus! Verstecken Sie sich nicht in Ihrer Bank hinter irgendeinem Buch!

Hier steht drinnen, dass DNA-Spuren nicht genommen wurden, hier steht drinnen, dass aufgrund der Tatsachen, wie sie am Tatort festgestellt wurden, gewisse Schilde­rungen, die dann in weiterer Folge auch im Zuge des Rechtsverfahrens der Justiz so übernommen wurden, gar nicht passieren haben können, weil die Tatortrealitäten ei­gentlich ganz andere waren. Zum Beispiel wird die Frage des Gefängnisses der Frau Kampusch hier ganz deutlich und klar dargelegt. Es wird dargelegt, dass an der Tre­sortür keinerlei DNA-Spuren genommen wurden. – Sie können das selbst nachlesen.

Diese Pannenserie geht bis ins Jahr 1998 zurück, denn in Wirklichkeit hat sie ja schon zu diesem Zeitpunkt begonnen. Wir brauchen uns nichts vorzumachen: Im Jahr 1998 hat ein Polizeihundeführer einen klaren und deutlichen Hinweis auf den Entführer ge­geben. Kein Profiler der Welt hätte diesen Hinweis so klar und deutlich geben können. Was ist passiert? – Bei der Polizei ist ein Fehler passiert. Das war der erste Fehler, den lasse ich mir noch einreden, obwohl er natürlich schreckliche Auswirkungen auf das spätere Opfer hatte, aber wenn einmal ein Fehler passiert, dann kann man das durchaus noch als menschliches Versagen abschreiben.

Hier ist eine Fülle an Fehlern – und in dem Fall sind es 63 dokumentierte Fehler, in Summe 63 dokumentierte Fehler hintereinander! – passiert, und zwar vom Jahr 1998 über die Jahre, in denen das Cold Case Management tätig war, bis hin zu dem Zeit­punkt, als sich Frau Kampusch dann Gott sei Dank endlich selbst befreien konnte, und die Fehler, die dann in weiterer Folge passiert sind, eben dass man nicht entspre­chende DNA-Spuren genommen hat, dass man versucht hat, Polizisten auch unter Druck zu setzen, auch von Beamten des Innenministeriums.

Sie tun ja gerade so, als ob da nichts passiert wäre! Sie verstecken sich und sagen, darüber darf man nicht reden, das geben wir hinunter in den Keller des Parlaments, damit die Öffentlichkeit davon nichts erfährt. – Falsch! Ich sage Ihnen klar und deutlich: Die Öffentlichkeit wird davon erfahren, denn solch eine Schweinerei, wie sie hier pas­siert ist, lässt sich nicht in einen Keller sperren und lässt sich auch sicherlich nicht mehr verheimlichen. Da sind Dinge passiert, die schreien nach Konsequenzen!

Wenn Sie hier die Mauer machen (Zwischenruf des Bundesrates Kainz) und wenn Sie hier sagen, wir steigen in die Debatte nicht ein, denn das fällt alles unter Opferschutz und darüber wollen wir nicht reden, dann erklären Sie mir bitte (Zwischenruf des Bun­desrates Mag. Klug), warum fehlende DNA-Abriebe unter Opferschutz fallen! Das können Sie mir nicht erklären. (Bundesrat Dönmez: Aber es kommt darauf an, wie man darüber redet!) – Herr Dönmez, ich schätze Sie ob Ihrer präzisen Sprache hier he­raußen, aber Sie können mir persönlich nicht erklären, was ein fehlender DNA-Abrieb mit Opferschutz zu tun hat. (Bundesrat Dönmez: Ich erkläre Ihnen das gerne, aber nicht, wenn die Kameras dabei sind!) – Ja, dann reden wir nachher. Das können wir gerne machen, aber einen fehlenden DNA-Abrieb brauchen wir sicherlich nicht unter Opferschutz abzuhandeln. Ich glaube, darin sind wir uns einig. (Bundesrätin Kersch­baum: Aber die politische Relevanz eines fehlenden DNA-Abriebs ...!) – Na selbstver­ständlich sind die von politischer Relevanz, denn dieser Aktenvermerk des Herrn Kep­linger wurde streng unter Verschluss gehalten. Darüber durfte man nicht sprechen.


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Da durfte man nicht ... (Zwischenruf bei der ÖVP.) – Sie wissen nicht, was drinsteht? – Na dann lesen Sie den Zettel, den Sie bekommen haben, da steht es nämlich drinnen. Sie haben ihn ja vor sich auf dem Tisch liegen. (Bundesrat Mayer: Das wird Gegen­stand im Untersuchungsausschuss sein! – Weiterer Zwischenruf bei der ÖVP.)

Schauen Sie, da geht es nicht um politisches Kleingeld, sondern darum, dass Sie die­sen Fall hier in ein politisches Grab erster Klasse überführen wollen, indem Sie das al­les in den streng geheimen Stapo-Unterausschuss verfrachten wollen, und in weiterer Folge soll dann keiner mehr darüber reden. Und vielleicht gibt es dann Anzeigen – die Frage ist nur, wie es dann Anzeigen geben soll, wenn alles so streng geheim ist.

Wir wollen hier eine transparente Aufarbeitung. Wir wollen einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, und dagegen sperren Sie sich. Sie wissen auch ganz ge­nau, warum Sie sich sperren: weil in einem parlamentarischen Untersuchungsaus­schuss selbstverständlich Zeugen auch unter Wahrheitspflicht in einer relativ offensi­ven Art befragt werden können. Und das ist genau das, was Sie nicht wollen.

Gehen wir gleich in medias res: Sie wollten von mir Namen hören. Ich kann Ihnen ger­ne Namen nennen, das ist überhaupt kein Problem. Es ist nämlich Folgendes pas­siert – und das ist auch ein Versäumnis, und darum ist diese Dringliche Anfrage auch an die Innenministerin gerichtet –:

Das Innenministerium hat eine Evaluierungskommission ins Leben gerufen, und zwar im Jahr 2008. Und hätte es diese Evaluierungskommission nicht gegeben – was ja prinzipiell ein sehr guter Weg war –, wäre man nie draufgekommen und dann wären zum Beispiel die Telefonprotokolle der damals durchaus in Verdacht stehenden Perso­nen, dass sie etwas mit der Entführung zu tun haben könnten, überhaupt nicht ausge­wertet worden. Erst Herr Semler hat diese Telefonprotokolle ausgewertet. Erst im Nachhinein ist das geschehen! – Im Übrigen hat auch das nichts mit Opferschutz zu tun.

Das möchten wir hier diskutieren, aber Sie sperren sich ja dagegen; Sie wollen es of­fenbar nicht debattiert haben. (Bundesrat Dönmez: Wir sind in der Länderkammer!) Das zeigt natürlich schon auch ein gewisses Sittenbild. Aber das ist insofern ... (Bun­desrat Kneifel: Das ist für die Länderkammer sehr interessant!) – Schweigen Sie bitte, ich bin am Wort! Es wäre besser, Sie würden schweigen.

Und das ist insofern interessant ... (Zwischenrufe bei der ÖVP. – Bundesrat Gruber: Das sind Räubergeschichten, das, was Sie erzählen! Immer Räubergeschichten!) – Ja, selbstverständlich! Sie haben kein Benehmen, sonst würden Sie mich nicht ständig un­terbrechen. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Ja, ja, ich weiß schon.

Wesentlich ist, dass es da selbstverständlich eine Verbindung gibt zum Herrn Holzap­fel, der damals durchaus in Verdacht stand – die Polizei wollte ihn ja festnehmen. Es ist ja nicht so, dass wir uns das jetzt aus den Fingern saugen! Die Polizei hat gesagt: Festnehmen! – Daraufhin kam der Befehl: Nein, nicht festnehmen!, warum auch immer.

Und dann gibt es eben telefonische Verbindungen zum ehemaligen Vorsitzenden der Offiziersgesellschaft Herrn Peter Birkmayer, und ich denke, dass der zumindest der ÖVP nicht gerade fern steht, sagen wir es einmal so. Diese Querverbindung konnte bis zum heutigen Tag nicht plausibel erklärt werden. Der eine sagt: Ich kenne den anderen nicht!, der andere sagt: Ich hatte die Nummer nur zufällig in meinem Handy gespei­chert! – Das ist alles sehr glaubhaft, das wissen wir schon. Im Übrigen hat das nichts mit Opferschutz zu tun, da geht es um ganz andere Personen. Das hat nichts mit Frau Kampusch zu tun. Das dazu.

Ganz interessant ist, dass dieser Herr Holzapfel in weiterer Folge immer bei einer Sex-Shop-Besitzerin am Gürtel angerufen hat. Das ist sechsmal dokumentiert. Und das


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wird weggewischt und gesagt: Na ja, das ist ja nicht so wichtig, das kann ja einmal pas­sieren. – Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, ob Sie alle angemeldete Telefone haben oder jeder im Besitz eines Handtelefons ist, aber ich weiß, wahrscheinlich ist es nicht gängige Praxis, dass man es hie und da einmal seinen Nachbarn schenkt oder borgt und sagt: Telefonier mit wem du willst und gib es mir nachher wieder! Speicher mir halt eine Nummer ein, es ist mir eh wurscht, von wem die Nummer ist!, und dann nehme ich es mir wieder und telefoniere mit wem anderen.

Hier sind so viele offensichtliche Widersprüche, da braucht man kein Kriminalist zu sein, da braucht man nicht einmal der Herr Keplinger zu sein, um nachvollziehen zu können, dass hier Schweinereien passiert sind.

Wenn Sie das jetzt in dem streng geheimen Ausschuss versenken wollen, bitte, ma­chen Sie das, das ist überhaupt keine Frage. (Bundesrat Kneifel: Mit den Stimmen der FPÖ!) – Ja, das ist ja nicht die Frage. Wir wollen ja trotzdem einen Untersuchungsaus­schuss (Bundesrat Kneifel: Mit den Stimmen der Freiheitlichen Partei!), und Sie sper­ren sich gegen den parlamentarischen Untersuchungsausschuss. (Bundesrat Kneifel: Mit den Stimmen der Freiheitlichen Partei!) Sie, Ihre Partei, sperren sich dagegen, und Sie werden wissen, warum: weil Sie nicht wollen (Zwischenruf des Bundesrates Kainz), dass man hier das schwarze Innenministerium einmal genau unter die Lupe nimmt. (Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Kneifel.)

Wir haben heute in der Früh schon über Strukturen und Effizienz gesprochen, und da schauen wir uns einmal die Strukturen und die Effizienz an: Wie ist denn das gelaufen? Warum fehlen denn hier die DNA-Spuren? Warum wurden denn wichtige Zeugen nicht vernommen? Warum wurden denn Zeugen auf eine Anklageliste geschrieben und dann, einen Monat, bevor sie vernommen hätten werden sollen, wieder von dieser Lis­te gestrichen? – Da sind wir dann wieder bei der Staatsanwaltschaft. Das sind ja alles Dinge, da greift man sich an den Kopf!

Hätte mir vor zehn Jahren jemand gesagt: In Österreich geht es zu wie in Kambod­scha!, hätte ich ihn gefragt, ob er verrückt ist. Heute muss ich Ihnen sagen, wenn Sie sich diese Dinge anschauen, die da passiert sind, dann wäre das eine Beleidigung für Kambodscha, denn in einem Rechtsstaat ist so etwas völlig unmöglich. Das ist völlig unmöglich!

Und weil wir angegriffen werden und auch ich als Person angegriffen werde, denn es wird gesagt, da werden die intimsten Details an die breite Öffentlichkeit gebracht, werde ich Ihnen etwas sagen: Ich beschäftige mich mit diesem Fall sehr ausführlich und sehr intensiv, aber nichts von dem – nichts von dem! –, was ich inhaltlich thema­tisiere, ist etwas, das nicht an einem anderen Ort bereits publiziert wurde: entweder im Buch der Frau Kampusch, das zumindest von ihr autorisiert wurde, oder im Buch ihrer Mutter oder in anderen Büchern. Nichts von dem, was ich thematisiert habe, wurde nicht im Vorfeld schon einmal thematisiert.

Ich habe nicht damit angefangen, die Menarche der Frau Kampusch zu thematisieren, das hat sie selbst gemacht in ihrem Buch! Und wenn sie es selbst macht, dann muss man sich selbstverständlich auch die Frage stellen: Ja stimmt denn das, was sie ge­schrieben hat? Das ist ja ganz logisch, dass ich eine Frage stelle und sage: Es ist schön, dass du das behauptest, aber ist das überhaupt plausibel? Ist das überhaupt nachvollziehbar? – Nichts von dem ist passiert, und wir werden hier hergestellt als die­jenigen, die ein Opfer vor den Vorhang zerren wollen und hier intimste Details preisge­ben.

Und wenn Sie mir jetzt mit der Zeitung „Österreich“ von heute kommen, möchte ich im Übrigen gleich hier feststellen – auch vor Kameras, auch vor Zeugen –, hier wurde schon medienrechtlich eine Gegendarstellung verlangt. Dieses Interview in der Form,


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wie es heute in der Zeitung „Österreich“ publiziert wurde, hat nicht stattgefunden. (Bundesrat Perhab hält ein Exemplar der Zeitung „Österreich“ in die Höhe.) – Ja, es hat nicht stattgefunden! Sie können es in die Luft halten, es ist einfach falsch. Es ist nicht richtig. Sie können das hundertmal behaupten, es ist falsch.

Derjenige, der das geschrieben hat, hat das nicht autorisiert geschrieben. Es wurden diese Aussagen in der Form, wie sie hier publiziert wurden, niemals gemacht. Nehmen Sie das zur Kenntnis – oder auch nicht, es ist mir wurscht, denn Sie nehmen ohnehin nur das zur Kenntnis, was Sie zur Kenntnis nehmen wollen. Sie mauern ja auch, Sie sind ja die Meister des Mauerns.

Aber eines garantiere ich Ihnen: Es kommen andere Zeiten! Es kommen auch wieder Wahlen. Und es werden Zeiten kommen, in denen das Innenministerium nicht mehr schwarz verseucht ist, und dann werden wir uns das ganz genau anschauen (Zwi­schenrufe bei der ÖVP): anschauen, wie das mit dem Blaulichtfunk ist, anschauen, wie das war ... (Neuerliche Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Ja, selbstverständlich! Wir wer­den uns genau anschauen, wie das mit dem Blaulichtfunk war, wir werden uns an­schauen, wie das mit der Telekom war, und wir werden uns genau anschauen, wer hier versucht hat, Leute unter Druck zu setzen, auch in diesem Fall Kampusch.

Das wird sicherlich noch ein Nachspiel haben, davon können Sie ausgehen und das garantiere ich Ihnen. Da können Sie noch so sehr schimpfen, schreien, raunen, empört sein oder ich weiß nicht was, das ist völlig egal. Das ist völlig egal! Diese Geschichte wird nicht mehr unter den Tisch zu kehren sein, darauf können Sie Gift nehmen. Es ist ganz einfach so. (Zwischenruf bei der ÖVP.) – Ja, das mag sein.

Wir haben heute 36 ... (Der Redner trinkt aus dem Wasserglas. – Ruf bei der ÖVP: ... trinken!) – Ja, ich bin ein bisschen verkühlt. Ich weiß, es wäre Ihnen lieber gewesen, ich würde zu Hause im Bett liegen. (Zwischenruf des Bundesrates Mag. Klug.) Diese Freude mache ich Ihnen nicht, und ich werde Ihnen auch nicht erspart bleiben, das ga­rantiere ich Ihnen ebenso. (Bundesrat Mag. Klug: Wir werden Ihnen nicht erspart!)

36 Fragen wurden heute an die Innenministerin gestellt, 36 Fragen, von denen wir im Vorhinein schon wissen, dass sie wahrscheinlich nicht beantwortet werden, weil man sich da auf ganz eigentümliche Rechtsgrundlagen beruft.

Ich sage Ihnen aber auch etwas, und das können Sie auch Ihrer Kollegin Karl ausrich­ten (Bundesrat Mag. Klug: Schön anstrengend!), das können Sie auch dem Koalitions­ausschuss berichten: Wir werden dermaßen lange Anfragen – auch im Plenum – ma­chen, bis Sie sich wieder einmal des Interpellationsrechtes besinnen und wir wieder or­dentliche Anfragebeantwortungen aus den Ministerien bekommen. Denn es kann nicht sein, dass es bei den Fragen seiner eigenen Parteikollegen, die man gerne beantwor­ten möchte, drei-, vier-, zehn-, zwölfseitige Anfragebeantwortungen gibt, und man sich dann auf der anderen Seite, wenn es Fragen gibt, die die politische Verantwortung nach einem Vertuschungsskandal offenbaren, auf irgendeine Rechtsgrundlage zurück­zieht und sagt: Das können wir leider nicht sagen, das dürfen wir nicht sagen!

Das sind keine Fragen, wo es darum geht, den Opferschutz in irgendeiner Form in­frage zu stellen. Die Frage, warum beim Tresor keine DNA-Spuren genommen wurden, hat nichts mit Opferschutz zu tun, da geht es um eine rein technische Frage.

Und wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie zugeben: Ja, es ist ein Fehler passiert. – Wir wissen es ja ohnehin, dass Fehler passiert sind! Wenn die nicht passiert wären, dann wäre der Fall ja längst geklärt. Aber sich darauf zu versteifen und zu sagen: Nein, wir sagen nichts – wie die Volksschüler: Nein, mit dir rede ich nicht, nein, will ich nicht, auf Wiederschauen! –, das ist keine Art.


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Glauben Sie wirklich, dass Sie damit durchkommen? Glauben Sie wirklich, dass das der Weg sein wird, wie künftig das Innenministerium zu führen sein wird, nämlich dass man sich einfach hinstellt und sagt: Nein, das wird nicht debattiert, das ist mir wurscht!?

Das können Sie vielleicht in Ihren Parteisitzungen machen: „Hände falten, Goschen halten!“, das kennen wir alles, aber im Parlament schaut es doch noch ein bisschen anders aus. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Aus diesem Grund haben wir heute 36 Fragen an die Innenministerin gestellt, wobei ich davon ausgehe, dass sie uns diese nicht beantworten wird. Es war aber insofern wichtig, diese Debatte abzuführen, als Sie damit auch gezeigt haben, dass Sie nicht willens sind und dass Sie keinen Willen dazu haben, diesen Fall aufzuklären. Sie ver­stecken sich hinter Ihren Büchern, hinter Ihrer Geschäftsordnung, Sie verstecken sich ganz klar und deutlich in Ihrem parteipolitischen Klüngel, und im Endeffekt wollen Sie das Ganze unter den Teppich kehren. Das wird Ihnen nicht gelingen! (Beifall bei der FPÖ.)

16.20


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Herr Bundesrat Kneifel zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


16.21.00

Bundesrat Gottfried Kneifel (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Bundesrat Jenewein! Sie haben am Anfang Ihrer heutigen Rede versucht, den Eindruck zu erwe­cken, als habe Herr Klubobmann Kopf mit Klubobmann Strache ein Telefonat mit dem Ziel der Zurückziehung der Dringlichen Anfrage geführt.

Ich berichtige tatsächlich: Ein solches Telefongespräch hat nicht stattgefunden. (Ruf bei der ÖVP: Lüge! Glatte Lüge! – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.)

16.21


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zur Beantwortung hat sich die Frau Bundesmi­nister für Inneres zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Bundesminister.

 


16.21.49

Bundesministerin für Inneres Mag. Johanna Mikl-Leitner: Sehr geehrter Herr Präsi­dent! Geschätzte Bundesrätinnen und Bundesräte! Ich glaube, einer Meinung sind wir hier auf alle Fälle darin, dass es sich um eine äußerst sensible Causa handelt, die sehr viel an Sensibilität verlangt.

Ich bin ein bisschen betroffen über die Tonart, die hier am Rednerpult an den Tag ge­legt worden ist, und zwar deswegen, weil es sich hier wohl um einen der schlimmsten Fälle der letzten Jahrzehnte handelt und gerade das Opfer wohl wirklich das Recht auf Opferschutz und auf äußerst sensiblen Umgang hat!

Aber ich möchte heute die Chance nutzen und hier einmal einen Bogen spannen: Wie kam es letztendlich zu den verschiedenen Evaluierungen? – Sie alle wissen, dass nach dem Auftauchen von Natascha Kampusch mit der Evaluierung begonnen worden ist. Dieser Evaluierungsausschuss wurde im Februar 2008 unter Minister Platter ins Leben gerufen.

Die Aufgabe dieses Evaluierungsausschusses war ganz klar definiert, nämlich diesen Fall auf mögliche Defizite der kriminalpolizeilichen Ermittlungen zu beleuchten. Es gab hier zahlreiche Zwischenberichte und selbstverständlich auch einen Endbericht. Im Endbericht wurden tatsächlich Defizite festgestellt. Es gab hier in keinster Weise Vertu­schungen, denn sonst wäre es wohl nicht möglich, dass darin 16 Defizite aufgelistet und im Detail erklärt worden sind.


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Selbstverständlich gab es seitens der Evaluierungskommission auch Empfehlungen. Diesen Empfehlungen wurde auch nachgekommen. Sie haben eine Maßnahme bereits angesprochen, nämlich das Cold Case Management im BKA. Weiters wurden zahlrei­che organisatorische Regelungen aufgrund dieser Empfehlungen, aufgrund dieser Evaluierung getroffen.

Faktum ist auch, dass am 12. Dezember 2008 Frau Ministerin Fekter den Herrn Vor­sitzenden Professor Dr. Adamovich gebeten hat, diese Evaluierungskommission fortzu­führen und fortzusetzen, weil es auch sehr viel an Berichterstattung gegeben hat, wo­bei man auch gebeten hat, mehr an Aufklärung zu bieten. Auch dem wurde selbstver­ständlich Folge geleistet. Das heißt, wir können hier von einer zweiten Kommission sprechen, wobei auch zahlreiche Zwischenberichte gelegt worden sind und es selbst­verständlich zu einem Endbericht gekommen ist.

Die Erkenntnisse wurden dem Bundeskriminalamt und der Staatsanwaltschaft über­mittelt. Auch aus dieser Evaluierung gab es natürlich Erkenntnisse und gab es eine ganz klare Empfehlung, nämlich dass die Zusammenarbeit zwischen Justiz und dem Inneren entsprechend der StPO neu optimiert werden soll. Selbstverständlich hat man auch dieser Empfehlung Folge geleistet.

Wie hat man dem Folge geleistet? – Indem es in weiterer Folge zu laufenden Gesprä­chen zwischen den Staatsanwaltschaften und den korrelierenden Sicherheitsbehörden gekommen ist. Seither gibt es, meine sehr verehrten Damen und Herren, regelmäßige Qualitätszirkel auf Bundesebene zwischen dem Bundesministerium für Inneres und dem Justizministerium und auch auf Ebene der Gerichtshöfe in den Ländern. Das heißt, es wird hier permanent daran gearbeitet, es gibt regelmäßige Treffen, um eben in der Sa­che auch im Detail enger und noch besser zusammenzuarbeiten.

Im Zuge der Evaluierungskommission wurden auch Fragen nach der Bewertung der Tatortarbeit gestellt. Auch Sie haben das in Ihren Ausführungen angesprochen. Dazu hat der Herr Vorsitzende Professor Adamovich Herrn Dr. Keplinger, dem Leiter des Landeskriminalamtes Oberösterreich, den Auftrag gegeben, die Evaluierung betreffend Tatortarbeit vorzunehmen. Sie haben hier korrekterweise auch betont, dass es sich bei Herrn Dr. Keplinger nicht um irgendjemanden handelt, sondern um eine Persönlichkeit geht, die gerade im Bereich der Kriminalisten wohl zu den Besten in ganz Österreich und weit darüber hinaus zählt.

Herr Dr. Keplinger hat diesbezüglich selbstverständlich Fragestellungen erarbeitet. Es gab dazu auch diesen Aktenvermerk. All das ist in diesem Aktenvermerk letztendlich festgehalten worden. Dieser Aktenvermerk steht auch heute hier im Fokus dieser Dringlichen Anfrage.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Aktenvermerk, sprich der Inhalt, wur­de dann selbstverständlich von der Kommission und der Staatsanwaltschaft, Staatsan­walt Dr. Mühlbacher und dem Leiter der SOKO, Oberst Franz Kröll, im Detail erörtert. In der Folge erwuchsen daraus weitere Ermittlungsaufträge an die Staatsanwaltschaft, von der Staatsanwaltschaft an die SOKO. Die Ermittlungsergebnisse, die dabei he­rausgekommen sind, sind von der Staatsanwaltschaft im Detail beleuchtet worden und haben selbstverständlich auch im Abschlussbericht Eingang gefunden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe heute schon betont, dass es sich hier wohl um eine der schlimmsten Opfergeschichten der letzten Jahrzehnte handelt, dass es wahrlich ein Martyrium gab, dass es da acht Jahre Gefangenschaft im wahrs­ten Sinne des Wortes gab. Wir alle können uns gar nicht in die Lage versetzen, was das letztendlich heißt beziehungsweise welch schlimme und harte Jahre das waren. Deswegen bitte ich hier um sehr große Sensibilität, stehe aber auch nicht an, ganz klar und offen zu sagen, dass ich gerade in dieser sensiblen Causa für vollkommene Trans­parenz und für vollkommene Aufklärung stehe.


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Deswegen begrüße ich es auch, dass heute bereits im Unterausschuss des Ständigen Ausschusses beschlossen worden ist, dass diese Causa, diese so sensible Causa, auch dort noch einmal im Detail beleuchtet und im Detail diskutiert wird. Ich glaube, dass die Behandlung im Ausschuss richtig ist, und zwar deswegen, weil dort letztend­lich völlige Geheimhaltung vereinbart worden und Gott sei Dank diese Geheimhaltung in der Vergangenheit auch eingehalten worden ist. Deswegen verstehe ich nicht, wa­rum es heute hier seitens der Freiheitlichen eine Dringliche Anfrage gibt, ob dieser Ver­einbarung zwischen allen politischen Parteien.

Ich ersuche Sie, hier auch anzuerkennen, dass es für uns selbstverständlich ist, dass wir seitens des Bundesministeriums für Inneres alle Akten in dieser Causa zur Ver­fügung stellen. Das ist für uns eine Selbstverständlichkeit. Wir haben hier in keinster Weise etwas zu verbergen. Sie wissen, dass die Tatortarbeit im Detail von Herrn Dr. Keplinger analysiert worden ist, dass diese Causa auch mehrmals evaluiert worden ist, wir uns aber zweifelsohne dazu bekennen, dass diese Causa im Unterausschuss noch einmal umfassend und intensiv diskutiert werden wird.

Ich ersuche Sie um Verständnis dafür, dass ich in diesem Gremium, hier im Bundesrat, keine weiteren Informationen geben kann. Die weiteren Stellungnahmen erfolgen selbstverständlich im Unterausschuss. Die Fragen, die heute hier im Detail gestellt worden sind – es waren Dutzende an der Zahl –, werden selbstverständlich im Unter­ausschuss behandelt, wenn diese Fragen kommen, wenn diese Fragen gestellt wer­den. Das heißt, dort gibt es auf alle Fälle Antworten. Ich bitte Sie aber um äußerste Sensibilität.

Ich glaube, gerade Opferschutz ist hier wichtig und sollte ganz oben auf unserer Priori­tätenliste stehen. Ich sage auch allen politischen Parteien ein herzliches Danke dafür, dass man sich darauf verständigt hat, im Unterausschuss unter vollständiger Geheim­haltung diese Causa noch einmal zu bearbeiten. Ich glaube, das Opfer hat es sich ver­dient, dass man so auch mit diesem Opfer umgeht. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

16.30


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Krusche. – Bitte.

 


16.30.53

Bundesrat Gerd Krusche (FPÖ, Steiermark): Hohes Präsidium! Sehr geehrte Frau Bundesminister! Meine Damen und Herren Kollegen! Es ist schon eigenartig, welche Ausreden Sie verwenden. Ich habe in meinem Leben schon viele Ausreden gehört, aber die, hier faktisch mit der Argumentation des Opferschutzes die Diskussion zu ver­weigern, ist eine der skurrilsten, die ich jemals gehört habe. (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrat Mag. Klug: Nein! – Bundesrat Kneifel: Opferschutz ist ein hoher Wert in unserer Republik!) Es verwundert mich ganz besonders, dass da auch die grüne Frak­tion mitmacht. Man sieht also, was das Gieren nach Regierungstöpfen alles bewirkt. (Bundesrätin Kerschbaum: Dann schaut euch die Fragen an!) Das ist schon interes­sant. (Bundesrat Kneifel: Sensationslüstern ist das, was Sie machen!)

Es geht nämlich nicht nur um Opferschutz. Es geht sehr wohl auch darum, zukünftige Opfer zu schützen. Zu dem, was hier vorliegt, muss ich sagen: Wenn man sich das an­schaut, dann wird jeder das Vertrauen verlieren, das Vertrauen in unsere Polizei und das Vertrauen in die Justiz! Das gilt es auch zu behandeln!

Zum Opferschutz im Fall Kampusch: Wenn da so einfache Fragen stehen wie bei­spielsweise: „Wurde das Konto des Wolfgang Priklopil ... überprüft?“, Frage Nummer 21 – diese Kontenüberprüfung ist bis heute nicht erfolgt, ich bin gespannt, was da heraus­kommt –, dann hat das überhaupt nichts mit Opferschutz zu tun! (Zwischenrufe bei


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ÖVP und SPÖ.) Dieser Fall ist nun medial und sogar in einem Buch so weit aufbereitet, dass es bei diesen Fragen nichts gibt, was nicht schon irgendwann einmal öffentlich diskutiert und debattiert worden wäre. Meine Damen und Herren, wir haben es da ja nicht mit irgendeinem, ich sage jetzt einmal unter Anführungszeichen, „Wald-und-Wie­sen“-Fall zu tun. Es ist kein Einbruch, es geht um Kindesentführung – Gott sei Dank nicht alltäglich in Österreich!

Wenn man sich diese enorme Zahl von Fehlern anschaut, die ja auch dokumentiert ist und von Ihnen nicht einmal in Abrede gestellt wird, so ergeben sich daraus für mich ei­gentlich zwei Schlüsse oder zwei Fragen. Erstens: Ist das wirklich Unfähigkeit der Er­mittler in einem so hohen Maß (Bundesrätin Kerschbaum: Diese Frage steht nicht da drin!), dass über Jahre hinweg, von der Entführung bis zum Gott sei Dank glücklichen Abschluss – einigermaßen glücklich, sage ich einmal, acht Jahre danach –, eine Reihe, eine Verkettung von Ermittlungspannen passiert?

Wenn das wirklich so ist, dann ist es eine Katastrophe, vor allem eigentlich eine Kata­strophe für alle Eltern, die womöglich in eine ähnliche Situation kommen oder Angst davor haben, einmal in der Situation zu sein, dass ihr Kind plötzlich verschwindet. Das kommt ja jährlich vor; oft stellt sich dann Gott sei Dank glücklicherweise heraus, dass es nur Ausreißer sind, aber es passieren leider Gottes auch immer wieder schwere Verbrechen. Ich möchte nicht in der Situation dieser Eltern sein, wenn sie glauben müssen, dass ihr Fall dann gleich behandelt wird wie der Entführungsfall Kampusch.

Noch erschütternder ist eigentlich, dass alle diese Pannen auch noch in Anbetracht dessen passiert sind, dass das Medieninteresse und die Öffentlichkeitswirksamkeit so groß waren. Aus aller Welt sind Fernsehstationen vor dem Haus gewesen, und trotz­dem wurde es verabsäumt, dort Spuren ordnungsgemäß zu sichern. Da frage ich mich schon, ob man in so einem Fall wirklich die besten Ermittler dorthin schickt. Und wenn es das war (Bundesrätin Kerschbaum: Die Frage haben Sie der Ministerin nicht ge­stellt!): Ist das die Qualität unserer besten Ermittler? (Bundesrat Jenewein – in Rich­tung der Bundesrätin Kerschbaum –: Lesen Sie einmal nach im Aktenvermerk! – Wie­tere Zwischenrufe.)

Der zweite Schluss oder die zweite Frage, die sich daraus ergibt, ist, ob da nicht wis­sentlich vertuscht wird. Mein Vorredner hat es ja bereits angesprochen, ich darf noch einmal auf das hinweisen, was er kurz angerissen hat: Bereits 14 Tage nach der Ent­führung hat sich ein Polizeihundeführer gemeldet und völlig korrekte und konkrete An­gaben zum späteren Entführer gemacht. Innerhalb der Polizei ist dieser Hinweis aber nicht weiterverfolgt worden, da man den Täter Priklopil in der Zwischenzeit bereits we­gen seines Kastenwagens überprüft hätte.

Dieser Hinweis wurde abgelegt. Erst 2006 wird auf Druck des Ministerbüros der Poli­zeihundeführer zu Hause aufgesucht und ihm unmissverständlich nahegelegt, dass er in der Öffentlichkeit über seinen damaligen Hinweis zu schweigen habe. Die Art und Weise, meine Damen und Herren, wie man da einen korrekten Beamten unter Druck setzt – offensichtlich in Anbetracht der bevorstehenden Wahlen –, ist erschütternd. Dass da noch persönliche Naheverhältnisse der ermittelnden Beamten bestanden, möchte ich im Detail nicht näher erwähnen.

Es gibt widersprüchliche Angaben zum Wortlaut der damaligen Meldungen. Bereits 14 Tage nach dem Verschwinden der Natascha Kampusch hat es einen klaren Hinweis auf den Entführer gegeben. Diesem wird nicht nachgegangen, und das ist grob fahrläs­sig  und nachher wird das Ganze auch noch vertuscht.

Wenn man sich das alles im weiteren Umfeld ansieht, auch mit der Justiz – die zwar hier heute nicht Thema ist, aber bei der Gesamtbetrachtung dieses Bildes schon äu­ßerst mysteriös ist –: Der Oberst Kröll, den Sie ja bereits erwähnt haben, Frau Bun-


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desminister, ist unter mysteriösen Umständen aus dem Leben geschieden. Er war es eigentlich, der den Vergleich mit der Lucona-Affäre gezogen hatte. Auch bei der Luco­na-Affäre hat man anfänglich vielleicht geglaubt, es handelt sich um einen Roman von Grisham, aber es hat sich dann herausgestellt: Das war leider österreichische Realität.

Auch in diesem Falle scheinen sich Dimensionen zu ergeben, die es nun wirklich wert wären, in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss behandelt zu werden und nicht in einem streng geheimen Kammerl hinter verschlossenen Türen. Natürlich haben wir dem zugestimmt, weil es noch besser ist, als gar nichts zu tun, und man die Hoffnung hat, dann vielleicht wirklich etwas dabei herauszubringen über die Verflech­tungen einerseits zwischen SPÖ-nahen Kreisen aus dem BSA, zwischen ÖVP-nahen Tatverdächtigen aus der Offiziersgesellschaft. (Ruf bei der ÖVP: Das ist ja lächerlich!)

Auch das ist erwiesen (Bundesrat Mag. Klug: Vorsicht bei der Wortwahl! – Bundesrat Kneifel: Was ist erwiesen? – weitere Zwischenrufe), dass ein Tatverdächtiger (Bun­desrat Mag. Klug: Vorsicht!) hier (Bundesrat Kneifel: Was ist erwiesen?) Kontakte, enge Kontakte hatte und auch diese Sache vertuscht wird. Das lässt also schon den Schluss zu, dass da wirklich mehr dahintersteckt als nur ein paar Ermittlungsfehler.

Jedenfalls ist es aufklärungswürdig, nicht nur, um die Vergangenheit zu bewältigen, sondern um solche Dinge, solche Verquickungen und solche Pannen für die Zukunft – hoffentlich – vermeiden zu können. Nicht nur die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, sondern – da sind wir wieder beim Opferschutz – auch das Opfer hat ein Recht darauf, dass gewissenhaft ermittelt wird und dass wirklich alle Hintergründe ans Tageslicht ge­bracht werden. Man kann sich nicht dahinter verstecken und sagen: Um Gottes Willen, Opferschutz, darüber darf ich nicht reden.

Ich habe nichts anders erwartet, als dass Sie diese Liste von Fragen nur mit vagen Hinweisen – eigentlich gar nicht – beantworten werden, aber wir sind sehr gespannt, was die Zukunft in diesem Fall weiter bringen wird. Wir werden jedenfalls dranbleiben und auf lückenlose Aufklärung in dieser Angelegenheit drängen. (Beifall bei der FPÖ.)

16.41


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

16.41.45Fortsetzung der Tagesordnung

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Wir nehmen damit die Verhandlungen zur Ta­gesordnung wieder auf und setzen die Verhandlung über den Tagesordnungspunkt 8 betreffend ein EU-Vorhaben über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht fort.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Keuschnigg. – Bitte.

 


16.42.04

Bundesrat Georg Keuschnigg (ÖVP, Tirol): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bun­desministerin! Hoher Bundesrat! Ich glaube, wir alle müssen emotional wieder etwas umsteigen und uns zukunftsorientierter Europapolitik widmen. Ich glaube, das tut dem Hohen Haus ganz gut.

Der EU-Ausschuss des Bundesrates hat in seiner gestrigen Sitzung beschlossen, dem Plenum des Bundesrates die Verabschiedung einer Subsidiaritätsrüge zu empfehlen. Das ist die dritte Subsidiaritätsrüge, die wir seit 2010 fassen. Das ist der Hinweis von uns darauf, dass wir eine Materie in subsidiärer Hinsicht selbst besser regeln wollen und können.


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 122

Wir haben am 6. April 2010 einen Vorschlag über die Regelung des Rechts auf Dol­metsch- und Übersetzungsleistungen in Strafsachen beschlossen. Es ging damals da­rum, wie weit die Dienstleistungen der Republik Österreich bei in Österreich anhängi­gen Strafverfahren gehen sollen. Wenn zum Beispiel Ausländer bei uns gegen andere Ausländer Prozesse führen, wie weit müssen dann die Dolmetsch-Leistungen gehen?

Im Herbst 2010, am 5. Oktober, haben wir einen Verordnungsvorschlag gerügt, der die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zwecks Ausübung saisonaler Beschäftigung – also eine Saisonnier-Richtlinie – regelt.

Ich möchte vorab ganz kurz erörtern, was solche begründeten Stellungnahmen bewir­ken, was sie beeinflussen und was wir in der Europäischen Union damit auslösen. Wir haben anschließend an diese Subsidiaritätsrüge die Saisonnier-Beschäftigung betref­fend eine Einladung in den LIBE-Ausschuss des Europäischen Parlaments bekom­men – das ist der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres –, um un­sere Bedenken zu begründen.

Es ist nicht dazu gekommen, weil der Flughafen Frankfurt Ende November des Vor­jahres im Schneechaos versunken ist, aber man sieht an diesem Beispiel, dass in der Europäischen Union sehr hellhörig auf die Einwendungen der nationalen Parlamente eingegangen wird, dass die Institutionen der Europäischen Union, wenn mehrere Par­lamente solche Subsidiaritätsrügen verabschieden, sehr sensibel auf diese Initiativen reagieren.

Zum Kaufrecht, zur vorliegenden begründeten Stellungnahme: Wir sind nicht aus Prin­zip gegen die Verabschiedung eines europäischen Kaufrechts, aber wir sind sehr wohl in der vorliegenden Form dagegen. Wir wollen in erster Linie die Verwendung einer an­deren Rechtsgrundlage. Diese andere Rechtsgrundlage hat vor allem den Nebeneffekt, dass dann das Einstimmigkeitsprinzip im Europäischen Rat zum Tragen kommt und wir damit eine wesentlich bessere Rechtsstellung haben.

Weiters sind wir dagegen, dass Parallelrechte geschaffen würden. Wenn man dem vor­liegenden Vorschlag folgt, hat ein Rechtsanwender es mit drei Rechtsordnungen zu tun: mit dem Recht des eigenen Mitgliedslandes, mit dem Recht jenes EU-Mitgliedslan­des, aus dem der Widerpart kommt, und optional dann möglicherweise noch mit dem Recht, das die Europäische Union da normieren möchte – mit dem Effekt, dass da doch einiges an Rechtsunsicherheit entsteht.

Wir wollen auch mehr Rechtssicherheit, als in diesem Vorschlag drinnen steht. Es sind einige unbestimmte Begriffe drinnen, die bewirken würden, dass die Rechtssicherheit erst im Laufe von verschiedenen Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof herge­stellt werden könnte. Das heißt, dass wir über Jahre hinweg keine gesicherte Recht­sprechung hätten. Es sind einige Bereiche nicht geregelt, zum Beispiel die Stellvertre­tung oder die Geschäftsfähigkeit.

Wir glauben auch, dass die Optionalität, dass man das sozusagen auf Wunsch in An­spruch nehmen kann oder auch nicht, Schwierigkeiten mit sich bringt, wenn zum Bei­spiel der stärkere Partner in einem Rechtsgeschäft einfach die Optionalität wählt und der zweite Partner nicht mehr die freie Wahl hat.

Wir sehen auch nicht wirklich einen Bedarf an dieser Regelung. Wir glauben, der wirk­liche Zweck ist, dass man zwischenstaatliche Wirtschaftsbeziehungen, Exporttätigkei­ten ankurbelt. Wir glauben, dass da wesentlich stärkere Argumente vorher zu be­handeln sind, wie zum Beispiel Sprachbarrieren, Zahlungssicherheitsfragen, Betrugs­ängste, Währungen, steuerrechtliche Fragen und so weiter.

Wir stemmen uns nicht prinzipiell dagegen, wir glauben, dass die Sache in der vor­liegenden Form unausgegoren ist und dass sie unseren Bürgern keinen Mehrwert bringt.


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 123

Wir sind da in guter Gesellschaft mehrerer europäischer Parlamente – der Bundesre­publik Deutschland, wie wir hören auch Frankreich und England –, wir glauben daher, dass wir mit dieser Subsidiaritätsrüge auf dem richtigen Weg sind. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

16.48


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Schennach. – Bitte.

 


16.48.15

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kol­legen und Kolleginnen! Der EU-Ausschuss hat gestern beschlossen, unsere zweit­stärkste Möglichkeit, die Subsidiaritätsrüge zur Anwendung zu bringen. Die stärkste ist die Subsidiaritätsklage.

Wie der Vorsitzende des EU-Ausschusses Kollege Keuschnigg bereits gesagt hat, ist es die dritte, die der Bundesrat nach Brüssel schickt. Damit es auch die anderen wis­sen: Der Nationalrat hat das bisher einmal gemacht. Das zeigt auch die intensive Ar­beit des EU-Ausschusses des Bundesrates, der oft in der Behandlung der Materien vor dem Nationalrat ist.

Diese begründete Stellungnahme ist etwas, das so viele, die den Lissabon-Vertrag ver­teufelt haben, gefordert haben – und deshalb ist es gut, dass wir einmal alle mitein­ander diskutieren können –, nämlich eine ganz konkrete Mitwirkung der nationalen Par­lamente. Wir haben sie hier im EU-Ausschuss vorbereitet.

Worum geht es? – Ich will jetzt nicht die vielen Argumente des Kollegen Keuschnigg wiederholen, aber vielleicht noch einmal zur Darstellung: Wir haben 27 Vertragsrechts­ordnungen in Europa, und die Kommission sagt, wir wollen eine 28. Nun, das EU-Recht sagt, wenn man eine Vereinheitlichung der Rechtsmaterien schafft, kann man dies mit Mehrheit im Rat abstimmen – aber das ist keine Vereinheitlichung.

Wenn wir schon 27 haben und wir geben eine 28. dazu, so kommt etwas Zusätzliches dazu, was in diesem Sinn keine Vereinheitlichung ist, sondern in der EU-Sprache so­gar in Kollision gerät; die 28., die gemeinschaftlich geregelt ist, gerät mit den 27 unter­schiedlichen Vertragsrechtsordnungen der Nationalstaaten in Kollision.

Das heißt, wir kommen plötzlich in eine Kollision. Diejenigen, die das Kaufrecht anwen­den, können nun Rosinen picken, sie können sich herausnehmen, was für sie am bes­ten ist; am besten heißt aber im Geschäftsleben oft – Entschuldigung, Frau Kollegin Zwazl –, dass der Verbraucher vielleicht schlechtergestellt ist.

Das Interessante bei diesem Vorhaben ist, dass es sich auf die EU-Verbraucherrechte­richtlinie beruft. Das ist aber sozusagen etwas, was uns besonders bewogen hat, diese Rüge auszusprechen. Die Verbraucherrechterichtlinie ist nämlich in vielen Mitgliedslän­dern überhaupt nicht umgesetzt. Das heißt, die Sicherheit, die man eigentlich für die Verbraucher haben wollte, ist in vielen Mitgliedsländern gar nicht gegeben, dadurch be­steht für die Verbraucher und Verbraucherinnen eine höhere Rechtsunsicherheit.

Wir haben gesagt, der Verbraucher- und Verbraucherinnenschutz ist eines der ganz wichtigen Dinge, und EU-weit ohnedies sehr schwierig zu regeln – das Schutzniveau –, deshalb hat sich auch die europäische Verbraucher- und Verbraucherinnenorganisa­tion an die nationalen Parlamente gewandt und gebeten, das Instrument der Rüge zur Anwendung zu bringen. Aus dem nationalen Bereich hat sich zum Beispiel die Öster­reichische Notariatskammer an uns gewandt.

Mit dieser heutigen Rüge zeigen wir als Bundesrat Flagge für die Verbraucher und Ver­braucherinnen, und wir zeigen, dass wir Klarheit wollen, dass wir dort harmonisieren


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wollen, wo wir harmonisieren wollen und dass wir keine zusätzlichen Unsicherheiten brauchen. Ich freue mich, dass es so aussieht, dass diese Rüge von allen Fraktionen getragen wird. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

16.52

16.52.10Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort er­teile und nach dem Studium des Stenographischen Protokolls möchte ich eines schon noch einmal kurz festhalten, Herr Kollege Jenewein: Bei allem Verständnis für notwen­dige Härte in der Diskussion und bei allem Verständnis dafür, dass eine Diskussion le­bendig und konkret geführt werden soll, meine ich doch, dass mit Wortwahlen wie „BSA-verseuchte Staatsanwaltschaft“ und „ÖVP-verseuchtes Innenministerium“ – im Zusammenhang mit Parteien von Seuchen zu sprechen – die Grenzen des guten Ge­schmacks überschritten sind, und ich erteile Ihnen dafür einen Ordnungsruf. (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrat Jenewein: Danke schön!)

*****

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Kerschbaum. – Bitte. (Bundesrat Krusche – in Richtung SPÖ –: Ihr müsst ja applaudieren! – Zwischenrufe bei der SPÖ.)

 


16.53.01

Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum (Grüne, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich kann meinen Vorrednern im Prinzip in allen Punkten recht geben, ich würde das auch unterstützen.

Ich möchte nur kurz zusammenfassen. Es geht um die Subsidiaritätsrüge, die mit der Tatsache begründet ist, dass durch eine 28. Vertragsrechtsordnung kein Mehrwert er­zielt wird und dass vor allem auch auf den falschen Paragraphen Bezug genommen wurde, wodurch das Einstimmigkeitsprinzip mehr oder weniger ausgeschaltet wurde.

Zum Inhalt der Richtlinie selbst möchte ich auch noch ein paar Worte sagen. Ich den­ke, es ist ganz wichtig, dass insbesondere im Bereich des Online-Verkehrs Regelun­gen gefunden werden. Ich glaube aber auch, dass es etwas anderes sein muss als ei­ne 28. Regelung. Im Gegenteil, es geht um Information, die Leute müssen wissen, auf welche Verträge sie sich einlassen.

Insbesondere auch im Hinblick darauf, dass einige Paragraphen, die aus der Verbrau­cherschutzrichtlinie rausgefallen sind, jetzt ins Kaufrecht hineingenommen werden soll­ten, denke ich, ist die Richtlinie auch inhaltlich abzulehnen, denn sie sind nicht ohne Grund rausgefallen. (Vizepräsident Todt übernimmt den Vorsitz.)

Ich möchte eines ganz kurz noch erwähnen. Es wurde jetzt dreimal gesagt, das sei die dritte Subsidiaritätsrüge – vielleicht sollten wir uns einen anderen Ausdruck dafür ein­fallen lassen (Heiterkeit und Zwischenrufe bei Bundesräten von SPÖ und ÖVP) –, die der Bundesrat verabschiedet hat, zwei davon wären im Ausschuss gefällt worden. Es ist schon sehr eigenartig, denn uns habt ihr im Ausschuss immer gesagt, das sei ja nur eine Stellungnahme und keine Rüge; die Rüge hätten wir ja eigentlich im Plenum aus­sprechen müssen und nicht im Ausschuss – es war eine lange Diskussion –; plötzlich sind es drei Rügen. (Bundesrat Mag. Klug: Klage!) – Nein, auch die Rüge.

Im Prinzip geht es uns vor allem darum, dass im Ausschuss einfach nicht alle vertreten sind. Wenn ihr im Ausschuss Rügen erteilt, dann erteilt ihr sie mit der Stimmenmehr­heit von ÖVP und SPÖ. Manchmal würden die Grünen auch gerne zustimmen, und manchmal würde vielleicht auch gerne der Kollege – wie heißt die Partei? FRITZ heißt sie, oder? (Heiterkeit und Rufe bei der ÖVP: FRITZ! Liste Fritz! Liste Fritz!) – von der FRITZ oder den FRITZ mitstimmen. Ich finde es sehr schade, wenn man das jetzt mit


BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 125

einem neuen Geschäftsordnungsbeschluss mehr oder weniger verfestigt, aber das ist eine Entscheidung, die ja noch vor uns liegt. (Beifall bei den Grünen.)

16.56


Vizepräsident Reinhard Todt: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Michalke. Ich erteile es ihr.

 


16.56.33

Bundesrätin Cornelia Michalke (FPÖ, Vorarlberg): Ich möchte ebenfalls nicht noch einmal alles wiederholen, was Kollege Keuschnigg schon gesagt hat. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass wir gerne aus dem Lissabon-Vertrag diese Möglichkeit der Rü­ge – obwohl wir nicht dafür waren – unterstützen, weil sie speziell in diesem Falle an­gebracht ist und wir ganz stark darauf hoffen dürfen, dass sie ein bisschen ernster ge­nommen wird als die erste, bei der dann leider Gottes auch noch der Schneefall am Flughafen die Teilnahme in Brüssel verhindert hat. Also wir hoffen, dass das in Zukunft nicht mehr passiert. Wenn Deutschland, Frankreich und vielleicht auch noch andere Länder diese Rüge ebenfalls nach Brüssel schicken, dann hat sie aber wahrscheinlich doch noch ein bisschen mehr Kraft. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.)

Die Begründung in der Stellungnahme hat mir eigentlich sehr gut gefallen; da steht: „Daher sollte anstelle eines optionalen Instruments vertrauensbildende Maßnahmen auf europäischer Ebene vorangetrieben werden, die den tatsächlichen Hemmnissen des grenzüberschreitenden Verkehrs entgegenwirken. Der vorgelegte Kommissions­vorschlag erfüllt daher nicht die Anforderungen des Subsidiaritätsprinzips, da er zur Zielerreichung nicht notwendig und überdies nicht erwiesen ist, dass durch die Schaf­fung einer 28. Vertragsrechtsordnung ein Mehrwert erzielt werden könnte.“

Ich glaube, diese Begründung sagt alles.

Noch ein kurzer Ausflug zu dem Vorschlag für eine Richtlinie und für eine Verordnung über Anforderungen bei Kreditinstituten und Wertpapierfirmen: Auch dort ist natürlich das Ziel, dass diese Richtlinie oder auch die Verordnung eine Stärkung des Vertrauens der Anleger in das Finanzsystem und die Hebung der Resistenz des Finanzsystems in Finanzkrisen darstellen soll.

In Vorarlberg würde man dazu sagen: Es ischt scho fast nachegjassert, scho fast a glei z’spat. (Heiterkeit und Zwischenrufe bei ÖVP, SPÖ und Grünen, darunter: Übersetzung bitte! – Bundesrätin Kerschbaum: Aber, Frau Kollegin !) – Das war jetzt auch eine autochthone Gruppe, die das geäußert hat; die Übersetzung folgt, wenn Sie sie wün­schen. Auf gut Deutsch heißt das schlicht und einfach: Das ist nach Karten gespielt – oder irgend so etwas –, zu spät, schlicht und einfach, aber man soll es trotzdem versu­chen.

Zum Punkt Basel III: Wir freuen uns darüber, dass die USA sich offensichtlich auch noch bereit erklärt haben, Basel II umzusetzen. (Bundesrat Schennach: Das ist aber nicht !) Was ein bisschen interessant ist, ist, dass bei Corporate Governance steht, die Risikomanagement-Funktionen in Kreditinstituten sollen weiter gestärkt werden, ein breiter Pool gut informierter, kompetenter Aufsichts- und Verwaltungsräte solle die Effi­zienz der Erfassung und Steuerung von Risiken verbessern. – Also ich hoffe, dass die Kompetenz und die gut informierten Aufsichts- und Verwaltungsräte in der Vergangen­heit nicht gefehlt haben.

Ein kleiner Hinweis noch zum Lissabon-Vertrag: Ich möchte jetzt noch einmal – zum wiederholten Male natürlich – auf den eigentlichen Vertragsbruch hinweisen, der da­mals von den Regierungsparteien einfach mit dem Rettungsschirm beschlossen wurde. In § 122 – den habe ich schon öfters zitiert – steht eben einfach, dass das nicht mög­lich ist. Somit noch einmal der kurze Hinweis, vielleicht hilft es. – Danke schön. (Beifall bei der FPÖ.)

17.00



BundesratStenographisches Protokoll802. Sitzung / Seite 126

Vizepräsident Reinhard Todt: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen nun zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag, dem Bundesrat die Abgabe der dem schriftlichen Ausschussbericht angeschlossenen begründeten Stel­lungnahme gemäß Art. 23g Abs. 1 B-VG zu empfehlen, die Zustimmung erteilen, um ein Handzeichen. – Ich stelle die Stimmeneinhelligkeit fest.

Der Antrag, dem Bundesrat die Abgabe einer begründeten Stellungnahme gemäß Art. 23g Abs. 1 B-VG zu empfehlen, ist somit angenommen.

Die Tagesordnung ist erschöpft.

17.01.09Einlauf

 


Vizepräsident Reinhard Todt: Ich gebe noch bekannt, dass seit der letzten bezie­hungsweise in der heutigen Sitzung insgesamt sieben Anfragen, 2855/J bis 2861/J, eingebracht wurden.

*****

Die Einberufung der nächsten Sitzung des Bundesrates wird auf schriftlichem Weg erfolgen. Als Sitzungstermin ist Donnerstag, der 15. Dezember 2011, 9 Uhr, in Aussicht genommen.

Für die Tagesordnung dieser Sitzung kommen insbesondere jene Beschlüsse in Be­tracht, die der Nationalrat bis dahin verabschiedet haben wird, soweit sie dem Ein­spruchs- beziehungsweise dem Zustimmungsrecht des Bundesrates unterliegen.

Die Ausschussvorberatungen sind für Dienstag, den 13. Dezember 2011, ab 14 Uhr, vorgesehen.

Diese Sitzung ist geschlossen.

17.01.58Schluss der Sitzung: 17.02 Uhr

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1017 Wien