2952/J-BR/2013

Eingelangt am 26.06.2013
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Bundesrätlnnen Marco Schreuder, Efgani Dönmez; Heidi Reiter; Nicole Schreyer an die Bundesministerin für Justiz

betreffend Justiz und homophobe Gewalt

BEGRÜNDUNG

In den vergangenen zwei Jahren hat die EU-Grundrechtagentur (www.fra-europa.eu) 93.000 homo- und bisexuelle sowie transidente Personen (LGBT) in der gesamten Union befragt und hat die Ergebnisse dieser historisch und weltweit einzigartigen Studie am diesjährigen Internationalen Tag gegen Homophobie (IDAHO) in Den Haag der Öffentlichkeit präsentiert (http://fra.europa.eu/de/event/2013/prasentation-der-erqebnisse-der-bisher-qrossten-umfrage-zu-hassverbrechen-und). Auch die UNO erhebt ihre Stimme markant gegen Homophobie (http://www.youtube.com/watch?v=sYFNfW1-sM8).

Die Ergebnisse der EU-Studie sind erschreckend. Die übergroße Mehrheit der LGBT- Personen hat Diskriminierung erfahren müssen, sowohl in als auch außerhalb der Arbeitswelt. Mehr als 25% wurden in den letzten 5 Jahren Opfer von Gewalt, und nur weniger als jedes fünfte Gewaltopfer hat Anzeige erstattet, was angesichts der Erfahrungen, die Opfer homophober Gewalt immer wieder mit der Justiz machen müssen, nicht verwundert. In zwei aktuellen Fällen wird dies eindrucksvoll bestätigt.

Wie ein Hund nach draußen gejagt

J.E. wurde im Sommer des Vorjahres bei einem Musikfestival in St. Pölten Opfer schwerer homophober Übergriffe durch zwei Securities. Am frühen Morgen gegen Ende der Veranstaltung saß er in der nur noch schütter besuchten Festhalle und tauschte mit einem anderen Mann Zärtlichkeiten aus. Plötzlich wurde er von den beiden Securities grob und aggressiv aufgefordert, dieselben zu beenden und in der Folge vom Festivalgelände getrieben. Unter wüstesten Beschimpfungen und schweren homophoben Beleidigungen, mit Faustschlägen und Fußtritten haben ihn die beiden Securities wie einen Hund nach draußen gejagt. Aufgrund der massiven Aggressivität und der schwulenfeindlichen Beschimpfungen hatte der Mann reale Todesangst, umgebracht oder zumindest schwer verletzt zu werden, sobald außerhalb des Festivalgeländes keine ZeugInnen mehr anwesend sind.


Tatsächlich hat J.E. durch den Gewaltexzess erhebliche Verletzungen davon getragen. Obwohl er die Polizei gerufen hatte, verhielt sich diese ihm gegenüber voreingenommen und aggressiv nachdem die Täter ihn ihrerseits plötzlich (fälschlich) beschuldigten, in der Festhalle mit dem anderen Mann sexuelle Handlungen vorgenommen und dadurch ein Sexualdelikt begangen zu haben. Deshalb hätten sie ihn nach draußen gebeten und begleitet.

Opfer zum Täter gestempelt

Das Opfer fand sich nun plötzlich in der Rolle des beschuldigten Sexualstraftäters wieder, was ihn nicht nur finanziell sondern auch psychisch schwer belastet und gedemütigt hat. Schlussendlich hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen ihn eingestellt. Allerdings ebenso auch gegen die Gewalttäter (StA St. Pölten 30 BAZ 1026/12k). Das Opfer beantragte die Fortführung des Verfahrens doch das Gericht hat die Einstellung bestätigt (Landesgericht St. Pölten 15.04.2013, 20 Bl 8/13a), weil es, so die Begründung, keine unmittelbaren TatzeugInnen gibt und die Verletzungen des Opfers auch von jemand anders stammen könnten.

Diese Begründung kommt einer Verhöhnung des Opfers gleich. Denn zum einen hatte die Polizei, wie aus dem Akt ersichtlich, keinerlei Anstalten gemacht, unmittelbare Tatzeuginnen ausfindig zu machen sondern konzentrierte sich auf die Verfolgung des Opfers als angeblicher Sexualstraftäter. Zum anderen stellt es trauriges Allgemeinwissen dar, dass Passantlnnen derartiger Vorfälle regelmäßig bestrebt sind, nicht involviert zu werden und sich nur selten als ZeugInnen zur Verfügung stellen. Die durch mehrfache Befunde nachgewiesenen Verletzungen konnten auch von niemand anderem verursacht worden sein. Wie aus dem Akt ersichtlich ist, hatte der Notarzt sofort an Ort und Stelle Verletzungen festgestellt. Das Opfer hatte sogleich die Polizei herbeigerufen und auch den VeranstalterInnen per SMS und in einem Telefongespräch sofort an Ort und Stelle die soeben erfolgten Übergriffe ihrer Securities gemeldet. Die SMS-Nachrichten befinden sich im Gerichtsakt.

Massive Vorstrafen völlig ausgeblendet

Weder die Polizei noch die Staatsanwaltschaft noch das Gericht interessierten sich auch nur ansatzweise für das homophobe Motiv des Gewaltexzesses. Sogar die Vorstrafen der Securities (!) wegen Körperverletzung, gefährlicher Drohung, Besitzes verbotener Waffen sowie Suchtgifthandels als Mitglied einer kriminellen Vereinigung haben sie völlig ausgeblendet.

Ein ähnlicher Vorfall ereignete sich letzten Sommer in Wien. R.M. besuchte ein Gay­Clubbing in einer Innenstadtdiskothek. Besonders freizügig gekleidete (bis hin zu nackten) Personen wurden laut Bewerbung mit freiem Eintritt belohnt. Obwohl das Bewachungsunternehmen zuvor auf den Charakter der Veranstaltung hingewiesen worden war, kam es an diesem Abend wiederholt zu homophoben Aggressionen seitens des Wachpersonals. R.M. wurde wegen seines nackten Oberkörpers gestellt und rüde aufgefordert, ein Hemd überzuziehen. Als er sich weigerte, stießen ihn die Securities zu Boden, malträtierten ihn, griffen auch seinen ihm zu Hilfe eilenden Freund an und würgten diesen, schleiften R.M. nach draußen und ließen ihn dort mit voller Wucht auf den Asphaltboden fallen.

R.M. erlitt erhebliche Verletzungen, seine Kleidung wurde zerfetzt und sein Mobiltelefon zerstört. Er rief die Polizei und die Diskothek erteilte in der Folge ihm Hausverbot.


Milder behandelt als eine Wirtshausrauferei

Im Gegensatz zur St. Pöltner Polizei hat die Wiener Polizei vorbildlich ermittelt. Doch die Staatsanwaltschaft Wien hat keine Anklage erhoben sondern den Gewaltexzess als Bagatelle eingestuft. Sie hat das Verfahren gegen die Täter gegen eine bloße Probezeit von einem Jahr (bei möglichen 2 Jahren) eingestellt, ohne in irgendeiner Weise wenigstens zu verlangen, dass die Täter Schadenersatz leisten, gemeinnützige Arbeiten verrichten, eine Geldbuße zahlen oder sich zu einem außergerichtlichen Tatausgleich bereitfinden (StA Wien 118 BAZ 1304/12a). Ein Jahr Probezeit ohne irgendwelche Weisungen, die absolut geringste „Sanktion“, die das österreichische Strafrecht überhaupt vorsieht: für einen homophoben Gewaltexzess durch Wachpersonal.

Auch die Staatsanwaltschaft Wien interessierte sich nicht einmal ansatzweise für das homophobe Motiv des Gewaltexzesses. Sie behandelte den homophoben Gewaltexzess wie eine gewöhnliche Wirtshausrauferei; und sanktionierte ihn überdies so milde wie kaum jemals eine Wirtshausrauferei.

Gegen einen solchen Rücktritt von der Verfolgung (§§ 200-204 StPO) hat ein Opfer keine Rechtsmittel.

Das Rechtskomitee LAMBDA (RKL) forderte angesichts dieser beiden Fälle im Zusammenhalt mit den Ergebnissen der EU-Homophobiestudie, homophobe Gewalt endlich als solche bekämpfen. Straftaten, deren Motiv Hass ist, sei es auf Grund von Rasse, nationaler oder ethnischer Herkunft, Hautfarbe, Sprache, Staatsangehörigkeit, Abstammung, sexueller Orientierung, Geschlecht(sidentität), Religion, Weltanschauung, Behinderung oder Alter, müssen im Gesetz als solche benannt werden (Hate-Crimes) und mit strengen Strafen belegt werden.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verlangt, dass homophobe Straftaten und andere Hassdelikte nicht wie gewöhnliche Straftaten behandelt werden dürfen; die staatlichen Behörden müssen die Möglichkeit des Vorliegens eines homophoben Motivs untersuchen und TäterInnen angemessen und wirksam sanktionieren (X v Turkey judg. 09.10.2012; BS v Spain judg. 24.07.2012; Virabyan v Armenia judg. 02.10.2012; Milanovic v Serbia judg. 14.12.2010).

Die unterfertigenden Bundesrätlnnen stellen daher folgende

ANFRAGE

1.    Erachten Sie die Vorgangsweise der Staatsanwaltschaften Wien und St. Pölten in den oben angeführten Verfahren (StA St. Pölten 30 BAZ 1026/12k, StA Wien 118 BAZ 1304/12a) für angemessen und als wirksame Erfüllung der staatlichen Pflicht zum Schutz der Opfer homophober Gewalt?

a.    Wenn ja: Wie begründen Sie diese Ansicht im Hinblick auf die dargelegten konkreten Umstände der beiden Fälle?

b.    Wenn nein: Durch welche konkreten und zu welchen Zeitpunkten gesetzten Maßnahmen werden Sie seitens der Staatsanwaltschaften künftig die wirksame Erfüllung der staatlichen Pflicht zum Schutz der Opfer homophober Gewalt sicherstellen?


2.   Werden Sie Initiativen setzen, damit Straftaten, deren Motiv Hass ist, sei es auf Grund von Rasse, nationaler oder ethnischer Herkunft, Hautfarbe, Sprache, Staatsangehörigkeit, Abstammung, sexueller Orientierung, Geschlecht(sidentität), Religion, Weltanschauung, Behinderung oder Alter, im Gesetz ausdrücklich als solche Hassdelikte benannt (Hate-Crimes) und mit angemessenen strengen Strafen belegt werden?

a.  Wenn ja: Welche Schritte werden Sie wann konkret setzen?

b.  Wenn nein: Warum nicht?

3.    Erachten Sie es als im Sinne des Gesetzes, angemessen und als wirksame Erfüllung der staatlichen Pflicht zum Schutz der Opfer homophober Gewalt, wenn Staatsanwaltschaften in Strafverfahren wegen an Homosexuellen begangenen Gewalttaten ein homophobes Motiv ausblenden, nicht untersuchen und die Gewalttat wie eine gewöhnliche Gewalttat behandeln?

a.    Wenn ja: Wie begründen Sie Ihre Ansicht im Hinblick auf die gegenteilige Judikatur des EGMR?

b.   Wenn nein: Welche Schritte werden Sie wann konkret setzen, um sicherzustellen, dass die Staatsanwaltschaften in allen Fällen von Gewalttaten an Homosexuellen die Möglichkeit des Vorliegens eines homophoben Motivs untersuchen?

5.    Erachten Sie es als im Sinne des Gesetzes, angemessen und als wirksame Erfüllung der staatlichen Pflicht zum Schutz der Opfer homophober Gewalt, wenn Staatsanwaltschaften homophobe Gewalttaten wie gewöhnliche Gewalttaten behandeln und den TäterInnen Diversion angedeihen lassen, insbesondere in Form eines Rücktritts von der Verfolgung gegen nur ein Jahr Probezeit (§ 203 StPO) ohne irgendwelche Weisungen (die absolut geringste Reaktion, die das österreichische Strafrecht bei Erwachsenen überhaupt vorsieht), und ohne auf die Bereitschaft der TäterInnen zum Schadenersatz hinzuwirken?

a.    Wenn ja: Wie begründen Sie Ihre Ansicht im Hinblick auf die gegenteilige Judikatur des EGMR?

b.   Wenn nein: Welche Schritte werden Sie wann konkret setzen, um sicherzustellen, dass die Staatsanwaltschaften in allen Fällen von homophoben Gewalttaten eine angemessene Reaktion setzen und solche Straftaten nicht wie eine gewöhnliche Gewalttat behandeln?

6.   Sind Sie der Ansicht, dass rassistische, homophobe und andere Hassmotive, die im Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zu einer der in § 283 StGB genannten Gruppen stehen, bei Gewalttaten in der Regel eine schwere Schuld begründen, die diversioneile Maßnahmen ausschließen?

a.  Wenn nein: Wie begründen Sie Ihre Ansicht, insbesondere im Hinblick auf § 33 Z. 5 StGB?

7.     Sind Sie der Ansicht, dass nicht nur rassistische und fremdenfeindliche Beweggründe sondern auch homophobe und andere Hassmotive, die im

Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zu einer der in § 283 StGB genannten Gruppen stehen, einen besonders verwerflichen Beweggrund und damit einen besonderen Erschwerungsgrund bei der Strafbemessung darstellen (§ 33 Z. 5 StGB)?

a.  Wenn nein: Warum nicht?

b.     Welche Initiativen werden Sie wann setzen, damit Hassmotive, die im Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zu einer der in § 283 StGB genannten Gruppen stehen, im Gesetz ausdrücklich einen besonders verwerflichen Beweggrund und damit einen besonderen Erschwerungsgrund bei der Strafbemessung darstellen?


8.  Erachten Sie es als angemessen und als wirksame Erfüllung der staatlichen Pflicht zum Schutz gegen Hassverbrechen, dass Opfer rassistischer, homophober und ähnlicher Gewalttaten keine Möglichkeit haben, die Entscheidung einer Staatsanwaltschaft, TäterInnen von Anklage zu verschonen und ihnen stattdessen den Genuss von Diversion (bspw. Rücktritt von der Verfolgung gegen bloße Probezeit) zu ermöglichen, durch ein Rechtsmittel überprüfen zu lassen?

a.  Wenn ja: Warum?

b.   Wenn nein: Welche Schritte werden Sie wann konkret setzen, um Opfern ein solches Rechtsmittel an die Hand zu geben?

9.   Erachten Sie es als angemessen und als wirksame Erfüllung der staatlichen Pflicht zum Schutz gegen Hassverbrechen, dass Opfer − anders als TäterInnen − im Strafverfahren keine Möglichkeit haben, wegen Grundrechtsverletzungen den Obersten Gerichtshof anzurufen?

a.  Wenn ja: Wie begründen Sie Ihre Ansicht?

b.  Wenn nein: Welche Schritte werden Sie wann konkret setzen, um sicherzustellen, dass auch Opfer − wie TäterInnen − im Strafverfahren die Möglichkeit haben, wegen Grundrechtsverletzungen den Obersten Gerichtshof anzurufen?

10.     Inwiefern und in welchem Ausmaß sind Homophobie im allgemeinen und homophobe Straftaten im besonderen Gegenstand der staatsanwaltschaftlichen und richterlichen Fortbildung?

a. Erachten Sie dieses Maß als ausreichend und wirksam?

aa. Wenn ja: Bitte geben Sie an anhand welcher tatsächlichen Erkenntnisse Sie dieser Ansicht sind, insbesondere im Hinblick auf die in Frage 1. angeführten Problemfälle.

bb. Wenn nein: Welche Schritte werden Sie wann konkret setzen, damit diese Thematik ausreichend und wirksam in die staatsanwaltschaftlichen und richterlichen Fortbildung Eingang findet?