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„Mehr direkte Demokratie, mehr Chancen für die Bürgerinnen und Bürger in den Ländern und Gemeinden“

 

 

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Parlamentarische Enquete des Bundesrates

Dienstag, 9. April 2013

 

(Stenographisches Protokoll)

 

 


 

 

 


 

Parlamentarische Enquete des Bundesrates

Dienstag, 9. April 2013

(XXIV. Gesetzgebungsperiode des Nationalrates)

Thema

„Mehr direkte Demokratie, mehr Chancen für die Bürgerinnen und Bürger in den Ländern und Gemeinden“

Dauer der Enquete

Dienstag, 9. April 2013: 10.07 – 15.41 Uhr

*****

Tagesordnung

I. Eröffnung

Präsident des Bundesrates Edgar Mayer

II. Eingangsstatement

Landeshauptmann von Vorarlberg Mag. Markus Wallner

III. Referate

Modul 1: Grundsatzfragen

Em. Univ.-Prof. Dr. Theo Öhlinger: „Direkte Demokratie und BürgerInnenbeteiligung in der österreichischen Bundesverfassung – unter Berücksichtigung aktueller Gesetzes­initiativen“

Univ.-Prof. Dr. Max Haller (Universität Graz, Institut für Soziologie): „Die Sicht der Bürgerinnen und Bürger zur direkten Demokratie“

Modul 2: Praxis und neue Instrumente

Dr. Manfred Hellrigl, Amt der Vorarlberger Landesregierung, Büro für Zukunftsfragen: „Das Modell der Vorarlberger Bürgerräte“

Ass.-Prof. Dr. Klaus Poier, Universität Graz: „Instrumente und Praxis direkter Demokratie in Österreich auf Länder- und Gemeindeebene“

Obersenatsrätin Dr. Christine Bachofner, Magistrat Wien: „Praxiserfahrungen zu den Volksbefragungen in Wien“

Modul 3: Europa und benachbarte Staaten

MMag. Dr. Alexander Balthasar, Bundeskanzleramt, Institut für Staatsorganisation und Verwaltungsreform: „Die Europäische Bürgerinitiative und andere Instrumente der direkten Demokratie in Europa“

Dr. Nadja Braun Binder, MBA, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer: „Instrumente der direkten Demokratie im Mehrebenensystem: Erfahrungen aus Deutschland und der Schweiz unter Berücksichtigung des Verfahrens im Vorfeld (Vorbereitungs- und Informationsszenarien)“

*****

Inhalt

I. Eröffnung

Vorsitzender Präsident Edgar Mayer ........................................................................... 4

II. Eingangsstatement

Landeshauptmann von Vorarlberg Mag. Markus Wallner ........................................ 6

III. Referate

Modul 1: Grundsatzfragen

Referent Em. Univ.-Prof. Dr. Theo Öhlinger ............................................................... 9

Referent Univ.-Prof. Dr. Max Haller ........................................................................... 14

Modul 2: Praxis und neue Instrumente

Referent Dr. Manfred Hellrigl ...................................................................................... 19

Referent Ass.-Prof. Dr. Klaus Poier ........................................................................... 25

Referentin Obersenatsrätin Dr. Christine Bachofner .............................................. 30

Diskussion

Bundesrat Gottfried Kneifel ........................................................................................ 36

Bundesrat Mag. Josef Taucher .................................................................................. 37

Bundesrat Hermann Brückl ........................................................................................ 38

Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum .......................................................................... 39

Abg. Christoph Hagen ................................................................................................. 41

Modul 3: Europa und benachbarte Staaten

Referent MMag. Dr. Alexander Balthasar ................................................................. 43

Referentin Dr. Nadja Braun Binder, MBA ................................................................. 49

Diskussion

Bundesrätin Monika Mühlwerth ................................................................................. 55

Bundesrat Reinhard Todt ............................................................................................ 56

Gerhard Schuster ......................................................................................................... 57

Landtagsabgeordneter Dr. Kurt Stürzenbecher ....................................................... 59

Univ.-Doz. Dr. Peter Bußjäger .................................................................................... 60

Mag. Ruth Ettl ............................................................................................................... 61

Abg. Mag. Daniela Musiol ........................................................................................... 62

Mag. Erwin Mayer ........................................................................................................ 63

Bundesrat Johann Schweigkofler .............................................................................. 65

Abg. Mag. Sonja Steßl-Mühlbacher ........................................................................... 66

Abg. Mag. Rainer Widmann ........................................................................................ 67

Abg. Mag. Wolfgang Gerstl ......................................................................................... 68

Landtagsabgeordneter HR Dr. Christian Dörfel ....................................................... 69

Bundesrat Georg Keuschnigg .................................................................................... 71

Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum .......................................................................... 71

Bundesrätin Mag. Bettina Rausch ............................................................................. 72

Schlussworte

Präsident Edgar Mayer ................................................................................................ 74

Geschäftsbehandlung

Unterbrechung der Sitzung .......................................................................................... 43

10.07.36Beginn der Enquete: 10.07 Uhr

Vorsitzende: Präsident des Bundesrates Edgar Mayer, Vizepräsidentin des Bundes­rates Mag. Susanne Kurz, Vizepräsident des Bundesrates Mag. Harald Himmer.

*****

10.07.50I. Eröffnung

 


Vorsitzender Präsident Edgar Mayer|: Guten Morgen und herzlich willkommen! Ich eröffne die Enquete des Bundesrates zum Thema „Mehr direkte Demokratie, mehr Chancen für die Bürgerinnen und Bürger in den Ländern und Gemeinden“ und danke Ihnen, dass Sie der Einladung so zahlreich gefolgt sind.

Kurz zur Struktur der heutigen Enquete: In drei Modulen – „Grundsatzfragen“, „Praxis und neue Instrumente“ sowie „Europa und benachbarte Staaten“ – behandeln die ReferentInnen rechtliche und politische Möglichkeiten der BürgerInnenbeteiligung, insbesondere auf Landes- und Gemeindeebene.

Natürlich werden verfassungsrechtliche Aspekte genauso zur Sprache kommen wie die Haltung von Bürgern und Bürgerinnen zur Form der direkten Demokratie und mehrere Praxisbeispiele aus dem In- und Ausland. So werden etwa das Modell der Vorarlberger Bürgerräte sowie die Umsetzung von Partizipationsverfahren in der Schweiz und in Deutschland vorgestellt.

Sehr verehrte Damen und Herren! Warum befasst sich gerade der Bundesrat mit diesem Thema? – Ganz einfach: weil wir als Länderkammer auch den Auftrag haben, zu versuchen, als starke Stimme der Länder in Wien aufzutreten, und weil das Rezept des Regionalismus und das Konzept des Föderalismus die Lösung vieler Probleme sein können, nicht nur bei uns in Österreich, sondern in ganz Europa.

Dies führt uns unweigerlich zur Stärkung der direkten Demokratie und zur Bürger­beteiligung. Das hat auch der Präsident des AdR, Ramón Luis Valcárcel Siso, der vergangenen Freitag im Bundesrat war, in seiner Rede immer wieder betont. Darin, sehr geehrte Damen und Herren, steckt auch ein unglaubliches Potenzial, das wir in Vorarlberg auszubauen begonnen haben – mit einem Demokratiepaket, mit Bürger­beteiligung, mit Bürgerräten in der Verfassung.

Ich sehe auch das Volksbegehren von „Mein Österreich“ sehr kritisch, weil eines der Themen die Abschaffung des Bundesrates beinhaltet und damit auch das bundes­staatliche Prinzip infrage gestellt wird. Damit würden wir eine Zentralisierung hervor­rufen, mit der eigentlich niemandem gedient ist, denn – das sei unseren Politikerkol­legen aus vergangenen Zeiten auch ins Stammbuch geschrieben –:

Bürgerbeteiligung braucht auch regionale Strukturen und föderale Voraussetzungen. Denken wir nur an die Subsidiaritätsprüfungsverfahren des Bundesrates für die Länder!

Süffisant könnte ich jetzt fragen, warum die Proponenten sich in ihrer aktiven Zeit nicht bemüht haben, mehr direkte Demokratie einzufordern – könnte ich fragen, frage ich aber nicht. (Heiterkeit.)

Jede Zentralisierung ist in diesen Fällen kontraproduktiv. Mehr direkte Demokratie bedeutet auch, dem Volk wieder Rechte zurückzugeben. Dennoch haben wir Vertreter der neuen Demokratiebewegungen – mehr demokratie!, MeinOE – Demokratie jetzt!, meinparlament, Volksgesetzgebung jetzt! – eingeladen; vielleicht ist das auch eine gute Gelegenheit für euch, den Bundesrat kennenzulernen. Deshalb ist unsere Devise im Bundesrat: aufwerten statt abschaffen, exakt nach dem Reformpapier, das alle Landeshauptleute und alle Landtagspräsidenten gemeinsam unterzeichnet haben – und dafür bedanken wir uns immer wieder.

Ich möchte jetzt meinem Landeshauptmann, Mag. Markus Wallner nicht weiter vorgreifen, sondern ihm für die Unterstützung und für sein Kommen danken und ihn herz­lich begrüßen. Guten Morgen, Herr Landeshauptmann! (Beifall.) „Gemeinsam Verantwortung tragen“ heißt unser Motto für den Vorsitz in der Landeshaupt­leute­konferenz und den Vorsitz im Bundesrat für das erste Halbjahr 2013 – und das leben wir auch gemeinsam.

Ich darf mit der Begrüßung fortfahren: Mein besonderer Gruß gilt dem Vorsitzenden der Landtagspräsidentenkonferenz, Landtagspräsident Ing. Hans Penz. Lieber Hans, herzlich willkommen, guten Morgen! (Beifall.) Ich begrüße sehr herzlich die Landtags­präsidenten Professor Harry Kopietz und Gerhard Steier – guten Morgen! (Beifall) – und den Vorarlberger Landtagsvizepräsidenten Peter Ritter, sowie die Referentinnen und Referenten, die dann im Einzelnen noch vorgestellt werden; auch Ihnen ein herzliches Grüß Gott! (Beifall.)

Ich darf auch alle Zuseherinnen und Zuseher, die heute die Enquete via Livestream im Internet verfolgen können, sehr herzlich begrüßen. Ich bedanke mich auch sehr, sehr herzlich bei allen, die uns heute die Ehre erweisen: Sehr viele Mandatare sind hier, Mitglieder des Bundesrates, des Nationalrates und der Landtage, Vertreterinnen und Vertreter des Bundeskanzleramtes und der jeweiligen Bundesministerien, sowie alle von den jeweiligen Institutionen namhaft gemachten Vertreterinnen und Vertreter, die als Expertinnen und Experten an der heutigen Enquete teilnehmen. Im Besonderen heiße ich auch die Vertreterinnen und Vertreter der Medien herzlich willkommen, stell­vertretend für alle Mag. Johannes Huber, den Chef der Parlamentsredakteure. Guten Morgen, Herr Mag. Huber! (Beifall.) – Es ist im Bundesrat so, dass auch Medien­vertreter Applaus erhalten, das ist eben ein besonderer Zugang.

Ferner begrüße ich alle Zuseherinnen und Zuseher, die die heutige Enquete via Livestream verfolgen. Das habe ich schon einmal erwähnt, darf es aber nochmals wiederholen, weil wir, wie gesagt, übertragen werden und einige schon den Antrag gestellt haben, Videoaufzeichnungen zu machen, aber das ist dann ohnehin im Internet abrufbar.

Ich möchte mich auch noch bei meinen Büromitarbeiterinnen bedanken, insbesondere bei Frau Dr. Susanne Bachmann und ganz besonders bei Frau Dr. Alice Alsch-Harant für die großartigen Vorbereitungsarbeiten. Vielen herzlichen Dank dafür! (Beifall.)

Eine Person möchte ich ganz besonders in den Vordergrund stellen, es ist Univ.-Doz. Dr. Peter Bußjäger, Direktor des Instituts für Föderalismus, der für die Gesamt­organisation und die Koordination der Referenten verantwortlich zeichnet. Lieber Peter Bußjäger, ein herzliches Dankeschön, ein ganz großes Kompliment! (Beifall.)

Wir werden natürlich im Anschluss an die Ausführungen der Referentinnen und Referenten auch eine Diskussion abhalten, zu der alle eingeladen sind. Zur Teilnahme möge man sich bei uns mit den vorgedruckten Karten, die den Tagesmappen beiliegen und dann hier bei uns am Pult übergeben werden sollten, anmelden. Jede Frage beziehungsweise Wortmeldung wird in eine Rednerliste aufgenommen und soll die Dauer von 3 Minuten nicht überschreiten. Ich darf Sie jetzt schon bitten, die Redezeit einzuhalten.

Noch einige technische und praktische Hinweise: Über die heutige Enquete wird ein Stenographisches Protokoll verfasst. Wir werden auch versuchen, dazu eine Broschüre herauszugeben, die in zirka sechs Wochen im Internet unter www.parlament.gv.at abrufbar sein wird. Ich ersuche deshalb alle, ihre Statements vom Rednerpult aus abzugeben.

Es gibt in der Mittagspause von 12.30 Uhr bis 13.30 Uhr auch eine Einladung zum Mittagessen. – So weit zur Einleitung und zu meinem Eingangsstatement.

10.15.37II. Eingangsstatement

 


Vorsitzender Präsident Edgar Mayer|: Ich darf nun unseren Landeshauptmann Herrn Mag. Markus Wallner um seine Grußbotschaft und sein Eingangsstatement bitten. – Bitte, Herr Landeshauptmann.

 


10.15.38

Landeshauptmann von Vorarlberg Mag. Markus Wallner|: Herr Präsident! Ge­schätzte Referenten! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf Sie zuerst herzlich begrüßen und mich auch dafür bedanken, dass es abermals eine Möglichkeit gibt, mit Vertretern des Bundesrates – und darüber hinaus natürlich – in Kontakt zu kommen und ein wichtiges Thema zu diskutieren, nämlich jenes der direkten Demo­kratie und die Frage, wie sinnvolle Instrumente entwickelt werden können, um direkte Demokratie voranzubringen.

Ich bedanke mich beim Präsidenten herzlich dafür, dass überhaupt die Initiative zu dieser Thematik ergriffen wird und dass wir auch die Möglichkeit bekommen, über die eine oder andere Erfahrung, die wir im eigenen Land gemacht haben – durchzogen natürlich; es gibt immer ein Für und Wider, aber wir haben auch positive Erfahrungen gemacht –, zu berichten und auch generell zu appellieren, dass man sich dieser Thematik etwas stärker annimmt.

Man kann sich natürlich fragen, wieso man sich ausgerechnet dort, wo repräsentative Demokratie am stärksten gelebt wird, damit befassen soll, aber es gibt eigentlich sehr viele Gründe dafür, warum es für die Gesamtentwicklung des Landes, für die Gesell­schaft insgesamt, von größter Bedeutung sein wird, dass wir gut überlegen, wie auch neue Instrumente – und ich betone neue Instrumente – der Bürgerbeteiligung ent­wickelt werden können.

„Mehr direkte Demokratie, mehr Chancen für die Bürgerinnen und Bürger“– „mehr Chancen“ heißt es – „in den Ländern und Gemeinden“, so ist der Titel der heutigen Enquete, und ich wünsche Ihnen jetzt schon einen regen Austausch zu dieser The­matik. In letzter Zeit hat das ein wenig Fahrt aufgenommen, vielleicht auch ausgelöst durch die eine oder andere Befragungsdiskussion oder überhaupt durchgeführte Volks­befragung, zuletzt natürlich zur Wehrpflicht. Es gäbe auch andere Beispiele anzu­führen, aber die Frage der Bürgerbeteiligung ist etwas mehr in Bewegung gekommen, und ich halte das prinzipiell für richtig, weil man sich dieser Thematik auch zu stellen hat.

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten des Zugangs, wie man über Beteiligung miteinander reden kann und auch miteinander reden soll. Die erste Möglichkeit – das trifft uns in der Politik vielleicht sogar am härtesten – ist die Frage, wie ein doch rasant anwachsender Vertrauensverlust im politischen System generell überwunden werden kann. Man könnte es auch als Politikverdrossenheit bezeichnen, ich sage jetzt einmal dazu: Wir haben mit einem Vertrauensverlust zu kämpfen. Die Ursachen und die Gründe dafür muss man jetzt nicht in epischer Breite diskutieren; sie sind vielfach bekannt. Da hat die Finanz- und Wirtschaftskrise ihren Teil, da hat die Korruption ihren Teil dazu beigetragen und viele andere Dinge auch noch. Jedenfalls – das zeigen eigentlich alle Befragungen, und man spürt es ja auch – hat man es mit einem Vertrauensverlust zu tun.

Und was kann die Antwort sein? – Ein Mehr an Bürgerbeteiligung ist eine mögliche Antwort darauf; das ist nicht die einzige und nicht die einzig mögliche, aber das ist ein Weg, den man beschreiten kann. Das ist eine Möglichkeit, das Thema anzupacken und zu sagen, wie wir gegen einen wachsenden Vertrauensverlust ankämpfen, der am Ende auch demokratiegefährdend sein kann; das muss man immer auch dazusagen.

Eine zweite Möglichkeit, sich dem Thema anzunähern, ist viel formaler. Man kann immer darüber diskutieren, welche Instrumente direkter Demokratie richtig sind. Sind jene Instrumente, die wir aus der Verfassung kennen, ausreichend? Wie ist der Zugang? Wie läuft das in Österreich überhaupt ab, und wollen wir das verstärken? – Im Prinzip Ja, wenn es nach mir geht. Das sind eher formale Fragen. Wie gehen wir mit Volksbegehren, mit Befragungen, mit Abstimmungen um? Wann sollen sie angewandt werden, wie sind die Zugänge? Das ist eine zweite Möglichkeit, sich dieser Frage­stellung anzunehmen.

Und dann gibt es eine dritte Möglichkeit, die will ich betonen, sozusagen als Gedanken mit auf den Weg geben, auch deswegen, weil wir uns mit dieser Frage eigentlich am intensivsten befassen. Abseits der Frage des Vertrauensverlusts, abseits der Frage­stellung betreffend formale Hürden und ob wir da Dinge erleichtern sollen, ist es im Kern die Überlegung, die wir jetzt eigentlich seit Längerem pflegen, muss ich sagen, und im Lande noch weiterzuentwickeln versuchen, wie es überhaupt gelingt, in einer Zeit, in der sich Verhinderungskultur ziemlich breitmacht, die positiven Kräfte der Gesell­schaft zu aktivieren.

Damit bin ich eher beim gesellschaftspolitischen Teil und der Frage angelangt, wie Gemeinschaft und Gesellschaft der Zukunft überhaupt funktionieren können und ob wir uns darum bemühen sollen – was ich meine, was richtig ist –, zu fragen: Gibt es neue Instrumente der Bürgerbeteiligung, um das Vertrauen aufzubauen, aber auch um eine bessere Beteiligung am politischen Prozess zustande zu bringen, im Sinne der Aktivierung des Sozialkapitals?

Mit dieser Frage beschäftigen wir uns in Vorarlberg besonders intensiv, aus mehreren Gründen: Im Kern steht die Überlegung: Was heißt es eigentlich, ein gemeinsames Bild – ich sage einmal, ein Gesellschaftsbild oder ein Zukunftsbild – zu entwerfen und sich darum zu bemühen, das auf möglichst breite Beine zu stellen?

Eine Erfahrung machen wir natürlich alle: Überall dort, wo es prinzipiell gelingt – ist ja nicht einfach –, ein gemeinsames Bild zu entwerfen, um das Gemeinsame statt das Trennende in den Vordergrund zu bringen, sind die Erfolge besser – bei aller Bedeutung des Wettbewerbs der Ideen, der Gedanken und der Parteien und so weiter. Dort, wo es gelingt, in wesentlichen Zukunftsfragen so etwas wie ein gemeinsames Bild herzustellen, lohnt es sich, darum zu kämpfen und das in die Breite der Gesellschaft zu bringen. Die Ergebnisse sind besser, eindeutig; und es warten noch viele darauf, dass sie aktiviert werden können.

Im Kern steht also die Überlegung: Stärkung des Sozialkapitals, die positiven Kräfte zu aktivieren und zu überlegen, mit welchen Instrumenten das überhaupt am besten möglich ist. Und wenn man diesen Zugang wählt, wird man sich auch darüber Gedanken machen müssen, welche neuen Instrumente angewandt werden können.

Für die generelle Fragestellung Aktivierung von Sozialkapital und dann auch für die Frage, mit welchen Instrumenten, haben wir schon länger ein eigenes Zukunftsbüro eingerichtet, als Stabsstelle des Landeshauptmanns, die sich genau mit dieser Fragestellung beschäftigt: Wie kann man Bürgerbeteiligung besser organisieren? Wie kann man die positiven Kräfte der Gesellschaft reaktivieren? Wie kann man Sozial­kapital stärken?

Dabei geht es nicht um allzu starke wahlpolitische Überlegungen, sondern die sind weit über den nächsten Wahltag hinaus gerichtet, weil es uns darum geht, auch langfristig zu überlegen, wie Gesellschaft und Gemeinschaft im Lande, sage ich jetzt zumindest, und in den Gemeinden positiv weiterentwickelt werden können.

Wir werden im Laufe dieser Enquete einige Beispiele dazu hören, weil wir Erfahrungs­werte sammeln, um es einmal so zu nennen, und uns bemühen, neue Instrumente der Bürgerbeteiligung anzuwenden; eines ist zum Beispiel der sogenannte Bürgerrat. Kollege Hellrigl, der heute unter uns ist, leitet dieses Zukunftsbüro, er wird Ihnen dann berichten können, wie die Erfahrungen damit sind, einen sogenannten Bürgerrat zu bestimmten Themenstellungen einzurichten oder dann auch offen die Ergebnisse zu beraten, Rückmeldungen den Bürgerinnen und Bürgern zu geben – das ist so eine Methode, mit der wir arbeiten, jetzt schon über vierzig Mal, regional, landesweit, auch überregional, im Vorarlberger Kontext überregional, also zum Beispiel mit unseren Nachbarkantonen oder auch mit den Bodensee-Regionen um uns herum. Also auch überregional das Ganze anzusetzen ist eine spannende Ergänzung.

Das, was wir gemacht haben, und das kann man nur zur Nachahmung empfehlen, muss natürlich immer im eigenen Land passen, um angewandt zu werden. Wir haben es in die Landesverfassung aufgenommen. Wir haben die partizipative Demokratie auch in der Begrifflichkeit und der Ausrichtung in die Landesverfassung aufgenommen, ein ganz bewusstes Zeichen nach außen dafür, dass wir mehr an Bürgerbeteiligung haben wollen und dass wir über die klassischen Instrumente, die wir alle gut kennen, hinaus auch ganz neue Formen anwenden wollen, zum Beispiel die Möglichkeit von Bürgerräten. Es gibt auch andere Formen, etwa Bürgergutachten.

Die Erfahrung ist, das kann funktionieren. Die Erfahrung ist, es kann sehr viel Positives eingebunden werden. Die Erfahrung ist, es wird auch vieles an Verhinderung oder an Negativem neutralisiert, wird in einen anderen Kontext gestellt, weil Bürgerinnen und Bürger eingeladen werden, wirklich mitzuarbeiten, und weil sie auch eingeladen wer­den, eigentlich verpflichtet werden, in den Verfahren auch zu einem Ergebnis zu kom­men.

Ein Bürgerrat funktioniert ja so, dass am Ende des Tages ein Ergebnis da sein muss und dass sich die Politik damit verpflichtend befassen muss. Das heißt nicht, dass sie das eins zu eins umsetzen muss, sondern sich damit befassen muss, der Landtag und auch die Landesregierung.

Das ist ein Versuch, es gäbe wahrscheinlich auch noch andere Methoden, aber das wenden wir im Moment an, um mehr Bürgerbeteiligung zu forcieren, weil wir der Meinung sind, es soll unter dem Strich helfen, auch die guten Kräfte der Gesellschaft zu aktivieren und viele einzuladen mitzumachen. Die Erfahrungen sind positiv, und ich kann nur sagen, wir werden das bei uns sicher weiter betreiben.

Ich hoffe, dass die Diskussion insgesamt aufzeigt, welche Möglichkeiten vorhanden sind und vielleicht auch zur Nachahmung empfohlen werden können. Jedenfalls ist es richtig, sich mit dieser Fragestellung sehr tief gehend zu befassen und sich über die formalen und rechtlichen Fragen hinaus auch diese Frage des Gesellschaftsbildes zu stellen, weil ich das für das eigentlich Wesentliche in diesem Zusammenhang halte, nämlich mit welchem persönlichen Bild man an die Frage: Beteiligung, ja oder nein?, wirklich herangeht. Also: Was will man damit erreichen? Was will man vielleicht auch nicht erreichen? Und wie kann man es am besten organisieren? Und da ist es angebracht, über die bestehenden Instrumente hinaus nachzudenken, was man noch besser machen könnte.

In diesem Sinne wünsche ich der Enquete einen interessanten, einen guten Verlauf, spannende Beiträge und hoffentlich viele Impulse in Richtung mehr an Bürger­beteili­gung. Es würde uns allen guttun, wenn man in der nächsten Zeit etwas mehr hereinbrächte. – Danke schön. (Beifall.)

10.26


Vorsitzender Präsident Edgar Mayer|: Herzlichen Dank, Herr Landeshauptmann, für dein Eingangsstatement und deine Ausführungen.

10.26.51III. Referate

 


Vorsitzender Präsident Edgar Mayer|: Es kommen nunmehr unsere Referentinnen und Referenten zu Wort, die ich dann im Einzelnen vorstellen werde.

Die Redezeit der ReferentInnen beträgt 20 Minuten.

10.26.54Modul 1: Grundsatzfragen

 


Vorsitzender Präsident Edgar Mayer|: Ich darf zunächst Herrn Univ.-Prof. Dr. Theo Öhlinger kurz vorstellen – ich bin geneigt, zu sagen: Wer kennt ihn nicht?

Professor Dr. Theo Öhlinger war von 1974 bis 2007 Professor für Öffentliches Recht an der Universität Wien, von 1977 bis 1989 Ersatzmitglied des Verfassungs­gerichts­hofes, von 1989 bis 1995 Direktor der Verwaltungsakademie des Bundes und von 1995 bis 2005 Vorstand des Instituts für Staats- und Verwaltungsrecht an der Uni­versität Wien.

Überdies war er Gastprofessor an vielen renommierten Universitäten in Europa und Übersee, so an den Universitäten Paris X, Aix-en-Provence, Fribourg sowie an der Dickinson School of Law, Carlisle, Pennsylvania.

Bitte, Herr Professor Dr. Öhlinger.

„Direkte Demokratie und BürgerInnenbeteiligung in der österreichischen Bundesverfassung – unter Berücksichtigung aktueller Gesetzesinitiativen“

 


10.28.16

Referent Em. Univ.-Prof. Dr. Theo Öhlinger|: Herr Präsident! Herr Landeshauptmann! Meine Damen und Herren! Ich bin zu dieser Enquete eingeladen worden, um über das Thema „Direkte Demokratie und BürgerInnenbeteiligung in der österreichischen Bun­desverfassung“ zu sprechen. Ich bin allerdings – ich deute das in meiner schriftlichen Fassung ja auch an – der Meinung, dass die Zukunft der direkten Demokratie oder, besser gesagt, der Bürgerbeteiligung – das ist ja ein weiterer Begriff in Österreich – in anderen Formen liegen würde, in Formen, die vor allem von unten wachsen.

Direkte Demokratie muss von unten heraufwachsen. Das zeigt ja gerade auch das Beispiel der Schweiz, weil auf dieser Ebene das Verständnis sowohl der Bürger als auch der Politiker für die Möglichkeiten, aber auch für die Grenzen einer direkten Volksbeteiligung besser entwickelt werden kann. Erst auf einer solchen Grundlage kann meines Erachtens direkte Demokratie auch auf der gesamtstaatlichen Ebene zufriedenstellend funktionieren, was derzeit in Österreich ganz offensichtlich nicht der Fall ist.

Damit bin ich bei dem mir vorgegebenen Thema. Die Bundesverfassung kennt be­kannt­lich drei Instrumente der direkten Demokratie: Volksbegehren, Volksabstimmung und Volksbefragung. Ich muss sie hier nicht näher vorstellen, ich möchte nur auf einen Punkt hinweisen: Alle drei Instrumente sind auf einen Gesetzesbeschluss des Nationalrats fokussiert. Es gibt auf der Bundesebene keine direkte Demokratie außer­halb der Gesetzgebung, und es gibt insbesondere keine direkte Demokratie gegen den Willen der Mehrheit des Nationalrates.

Für den Verfassungsgerichtshof bildet diese Dominanz des parlamentarischen Gesetz­gebers ein Element des demokratischen Grundprinzips der Bundesverfassung. Die Einführung eines Verfahrens, das einen Gesetzesbeschluss gegen den Willen des Nationalrates ermöglichen würde, wäre daher eine Gesamtänderung der Bundes-verfassung, bedürfte also selbst einer direktdemokratischen Legitimation.

Der Verfassungsgerichtshof hat diese These in Bezug auf die Landesgesetzgebung entwickelt, obwohl sich die einschlägigen Regelungen der Bundesverfassung, auf die er sich dabei beruft, ausschließlich auf die Bundesgesetzgebung beziehen. Das ist meines Erachtens zu Recht kritisiert worden, tut aber hier nichts zur Sache. Denn das, was der Verfassungsgerichtshof für die Länder aus Regelungen des B-VG ableitet, die explizit nur den Bund betreffen, muss selbstverständlich umso mehr für die Bundes­gesetzgebung selbst gelten. Das heißt, ein Ausbau der direkten Demokratie im Bund durch „einfaches“ Verfassungsrecht ohne Volksabstimmung stößt sehr rasch an verfas­sungsgesetzliche Grenzen.

Volksabstimmungen hat es in der Geschichte der demokratischen Republik auf Bundesebene bekanntlich nur zweimal gegeben, eine Volksbefragung überhaupt nur einmal, vor Kurzem, lediglich Volksbegehren kamen bereits mehr als 30 Mal zustande. Und weil das das einzige direktdemokratische Instrument ist, das von den Bürgern selbst initiiert werden kann, kann daraus durchaus auf ein Bedürfnis der Bevölkerung nach mehr direkter Demokratie auch auf dieser Ebene geschlossen werden.

Volksbegehren endeten allerdings bislang regelmäßig mit einem für die Initiatoren enttäuschenden Ergebnis. Ich erinnere nur an das letzte Volksbegehren, das vom Parlament behandelt wurde, das Bildungsvolksbegehren. Der Nationalrat hat auf die­ses Begehren in einer neuen Weise, nämlich mit der Einsetzung eines Besonderen Ausschusses reagiert. Nach Pressemitteilungen aus dem Parlament gab es in diesem Ausschuss auch viel Übereinstimmung, viel Zustimmung zu Punkten des Volksbe­gehrens über die Fraktionsgrenzen hinweg. Am Ende steht aber ein Ausschussbericht, der auf vier seiner sechs Seiten das Anliegen des Volksbegehrens in dessen eigenen Worten darstellt, dann über fast zwei Seiten aufzählt, welche Abgeordneten, Mitglieder des Bundesrates und Experten sich wann zu Wort gemeldet haben, ohne mitzuteilen, was sie gesagt haben. Allein diese Zahl deutet auf eine sehr intensive Diskussion hin. Aber das eigentliche Ergebnis beschränkt sich auf eine einzige Zeile, den „Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen“.

Der Nationalrat war – wie bei allen früheren Volksbegehren – offensichtlich nicht gewillt oder nicht in der Lage, unmittelbar aufgrund dieser Gesetzesinitiative – und das ist ja der Sinn eines Volksbegehrens – ein Gesetzgebungsverfahren einzuleiten.

Genau auf diese Schwäche des Volksbegehrens zielt ein Vorschlag ab, der nicht neu ist, der aber in jüngster Zeit in Österreich sehr intensiv diskutiert wurde und der auch Gegenstand eines aktuellen Volksbegehrens, des Demokratiebegehrens „Mein Öster­reich“ ist.

Über ein Volksbegehren, das die Hürde einer bestimmten höheren Anzahl von Unter­stützungserklärungen nimmt, soll zwingend eine Volksabstimmung stattfinden, wenn der Nationalrat dem Begehren nicht oder nicht ausreichend durch einen ent­sprechen­den Gesetzesbeschluss entspricht. „Mein Österreich“ setzt die Zahl der erforderlichen Unterstützungen mit 300 000 an, andere Vorschläge oszillieren zwi­schen 650 000 und 100 000.

Es gibt heute ein ähnliches Modell in allen deutschen Bundesländern, nicht allerdings auf Bundesebene, steht aber auch dort zur Diskussion. Die Praxis in Deutschland zeigt, dass die Wirkung eines solchen Modells nicht darin besteht, dass gewisser­maßen Volksabstimmungen am laufenden Band stattfinden – es gab bisher in den 16 deutschen Bundesländern nicht viel mehr als 20 derartige Abstimmungen. Die pri­märe Wirkung dieses Modells besteht vielmehr darin, dass sich der Landtag mit einem entsprechend unterstützten Volksbegehren – Volksinitiative, wie es in Deutschland heißt – intensiv auseinandersetzt und mit den Initiatoren auf Augenhöhe verhandelt. Die Volksabstimmung selbst ist gewissermaßen nur die Sanktion einer unzulänglichen Auseinandersetzung des Landtages mit einer solchen Initiative, die man aber regelmäßig nach Möglichkeit zu vermeiden versucht.

Dass ein solches Modell auch in Österreich in ähnlicher Weise funktionieren könnte, belegen jene ganz wenigen Volksbegehren, über die zwar nicht unmittelbar im Par­lament, aber mit den zuständigen Ministern verhandelt wurde und die dann auch zu einem für die Initiatoren akzeptablen Ergebnis geführt haben. So musste etwa das Gentechnik-Volksbegehren 1997 aus europarechtlichen Gründen sehr viele Abstriche hinnehmen, die man aber in diesen Verhandlungen den Initiatoren durchaus vermitteln konnte.

Die verfassungsrechtliche Umsetzung dieses Modells würde in Österreich, wie schon gesagt, selbst einer Volksabstimmung bedürfen. Ich hätte keinen Zweifel am positiven Ausgang einer solchen Abstimmung, aber es gibt auch sachliche Argumente gegen einen solchen Automatismus für Volksabstimmungen. Sie kommen indirekt in den Überlegungen über inhaltliche Grenzen der direkten Demokratie zum Ausdruck. Selbst radikale Protagonisten einer Volksgesetzgebung räumen ein, dass nicht über alles und jedes abgestimmt werden können soll, nicht über Grundrechte, nicht über Rechte von Minderheiten, nicht über finanzielle Fragen. Solche Negativlisten nicht-abstimmungs­fähiger Themen lassen sich aber nur sehr schwer präzise fassen. Ich erinnere nur an den leicht einer Farce ähnelnden Streit über die Frage, ob über das Parkpickerl in Wien abgestimmt werden darf, und an die sicher ernster zu nehmende Schweizer Volks­abstimmung über ein Minarettverbot.

Es ist bezeichnend, dass im Zusammenhang mit dieser Volksabstimmung der Euro­päische Gerichtshof für Menschenrechte zwar schon einige Male angerufen wurde, er es aber bislang offensichtlich bewusst vermied, dazu eine klare Stellungnahme abzu­geben. Man ist sich offenbar in Brüssel der Provokation bewusst, die es nun einmal darstellt, wenn ein mehr oder minder zufällig zusammengesetztes Gremium, jedenfalls nicht direktdemokratisch legitimierte Juristen, über einen direktdemokratischen Volks­entscheid entscheiden soll. Damit deute ich zugleich an, wie schwierig es ist, für solche Grenzen ein adäquates Kontrollverfahren einzusetzen.

Wer soll über das Volk richten können?, ist nun einmal eine Frage, die letztlich an der Grundidee der direkten Demokratie rüttelt.

Eine Bestimmung wie etwa jene der Wiener Stadtverfassung, dass über Gemeinde­abgaben, Entgelte und Tarife nicht einmal eine rechtlich unverbindliche Volksbefragung stattfinden darf, ist ein typisches Beispiel für eine von oben kontrollierte direkte Demo­kratie, bei der nicht die Bürger selbst bestimmen, worüber sie entscheiden wollen, sondern bei der sie um Erlaubnis fragen müssen, ob sie eben mitwirken dürfen.

Und wenn man sie in solchen Fragen nicht für abstimmungsfähig hält, dann ist meines Erachtens die logische Konsequenz, dass man auf direkte Demokratie überhaupt ver­zichtet.

Meiner Meinung – das will ich nur ganz kurz hier sagen – ließe sich einigermaßen in sich widerspruchsfrei nur zwingendes Völkerrecht und Europarecht als Grenze der direk­ten Demokratie normieren, weil Völkerrecht und Europarecht für jedes Staats­organ, also auch das Volk als Gesetzgeber, bindend ist. Aber es bleibt dann immer noch die schwierige Frage, wer kontrollieren soll, ob diese Grenzen eingehalten wer­den.

Es gibt meines Erachtens einen durchaus diskussionswürdigen Vorschlag, wie man diesem Dilemma entgehen kann, nämlich die Idee, dass über ein entsprechend stark unterstütztes Volksbegehren, dem der Nationalrat nicht Rechnung trägt, zwingend eine Volksbefragung stattfinden soll, wobei über die Art der Fragestellung natürlich Einig­keit zwischen den Initiatoren und dem jeweiligen Parlament, also auf Bundesebene dem Nationalrat, hergestellt werden müsste.

Das Ergebnis einer solchen Befragung ist bekanntlich rechtlich nicht bindend, sodass die Letztverantwortung beim Nationalrat bliebe. Daher wäre meiner Ansicht nach die Einführung einer solchen Befragung auch keine Gesamtänderung der Bundes­verfas­sung. Ob das allerdings der gegenüber der direkten Demokratie bislang äußerst skep­tische Verfassungsgerichtshof ähnlich sieht, will ich nicht mit Sicherheit vorauszusagen wagen.

Trotzdem würde aber das Ergebnis einer solchen Volksbefragung der Volksmeinung einen sehr kräftigen Ausdruck verleihen, dem sich der Nationalrat nur mit sehr starken Argumenten – aber, wenn solche bestehen, eben dann doch – entziehen kann. Ein solch komplexes Verfahren, das Volksinitiative und Volksbefragung kombiniert, würde also die positiven Seiten einer direkten Volksbeteiligung an der Gesetzgebung mit dem Vorzug der repräsentativen Demokratie, nämlich auf Argumente und Gegenargumente einzugehen, um Kompromisse finden zu können, kombinieren.

Sehr bescheiden bleibt in dieser Hinsicht der aktuelle Initiativantrag 2177/A, das sogenannte Demokratiepaket. Es sieht eigentlich nur zwei spezielle Plenarsitzungen über ein Volksbegehren vor, wobei in der ersten, aber eben nur in der ersten, auch ein Bevollmächtigter des Volksbegehrens maximal 10 Minuten vom Rednerpult aus sprechen darf. Es soll dann eine Beratung wiederum in einem Besonderen Ausschuss stattfinden. Da führt man die Erfahrung mit dem Bildungsvolksbegehren fort. Allerdings setzt gerade diese Regelung geradezu voraus, dass ein Volksbegehren nicht den ihm von der Bundesverfassung zugedachten Zweck, nämlich ein Gesetzgebungsverfahren zu initiieren, von vornherein erfüllt. Der Besondere Ausschuss ist kein Ausschuss, in dem über Gesetzesvorlagen beraten wird und diese beschlossen werden.

Ich meine daher, dass dieser Vorschlag nicht allzu weit an einer Verfassungswidrigkeit vorbeischrammt. Verfassungswidrig ist er meines Erachtens nur deshalb nicht, weil er nicht explizit verbietet, dass neben der Behandlung im Besonderen Ausschuss auch ein Gesetzgebungsverfahren im zuständigen Fachausschuss eingeleitet wird, das aber offensichtlich nicht intendiert wird.

Wenn es daher in der Begründung des Initiativantrages heißt, dass dadurch die parla­mentarische Behandlung von Volksbegehren aufgewertet wird, so mag das, gemessen an der bisherigen Praxis, zutreffend sein, gemessen am verfassungsrechtlichen Zweck eines Volksbegehrens bedeutet es aber eigentlich einen Rückschritt. Es ist jedenfalls zu erwarten, dass der Besondere Ausschuss auch nach dieser Neuerung zum gleichen „Ergebnis“ kommt wie eben im Fall des Bildungsvolksbegehrens und die Initiatoren daher die gleiche Enttäuschung erleben.

Positiv würde ich an diesem Antrag bewerten, dass die Unterstützung von Volks­begeh­ren sowohl im Einleitungs- als auch im Eintragungsverfahren in Zukunft auf elektro­nischem Wege erfolgen kann. Die direkte Demokratie ist damit – ich würde sagen: endlich – auch in Österreich im digitalen Zeitalter angelangt. Ich muss aber darauf hinweisen, dass auch in diesem Punkt der Verfassungsgerichtshof sehr enge Grenzen zieht.

Damit aus einem Volksbegehren im Parlament auch wirklich ein Gesetz entstehen könnte, was, wie gesagt, der verfassungsrechtliche Sinn eines Volksbegehrens ist, müssen freilich noch zwei weitere Punkte erfüllt werden. Ich will das hier nur ganz kurz andeuten.

Der erste Punkt: Es bedürfte natürlich eines rechtlich zumindest einigermaßen konkret ausformulierten Antrages. Es muss vielleicht nicht ein wirklicher Gesetzentwurf, vor allem kein in jeder Hinsicht legistisch perfekter Gesetzentwurf sein, wie das ursprüng­lich die Verfassung bis 1988 vorsah. Seither genügt auch ein formloser Antrag. Man wird hinter diese Neuerung, die natürlich eine Erleichterung der Einleitung von Volksbegehren bedeutet, nicht mehr zurückgehen können. Wenn aber die Initiatoren wirklich eine Behandlung im Nationalrat intendieren würden, dann müssten sie auch in der Lage sein, einen einigermaßen konkreten Gesetzentwurf vorzulegen.

Die zweite, noch wichtigere Voraussetzung wäre natürlich eine Verbesserung der legislatorischen Kompetenz des Parlaments. Auch da nur ganz kurz: Das würde einerseits einen Ausbau der parlamentarischen Hilfsdienste bedeuten. Eine Institution, die in etwa dem Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes gleichwertig wäre, wäre meines Erachtens im Parlament schon eine angemessene Einrichtung.

Ein zweiter Weg, den man nicht alternativ, sondern parallel entwickeln könnte, wäre ein leichterer Zugriff der Ausschüsse des Parlaments, des Nationalrates auf die legis­lativen Abteilungen der Bundesministerien, nämlich – aber das muss man natürlich rechtlich einführen – durch ein formloses Ersuchen, nicht erst in Form einer formellen Resolution, über die im Plenum des Nationalrates abgestimmt wird. Wenn man einen solchen Wunsch vonseiten der Gesetzgebung an die Verwaltung herantrüge, stünde das im Einklang mit dem parlamentarischen Regierungssystem, wie es unsere Bun­des­verfassung vorsieht. Ein solcher unmittelbarer Zugriff der Nationalratsausschüsse auf Einrichtungen der Bundesministerien entspräche diesem durchaus.

Ich habe nur noch wenige Minuten Zeit und will noch ganz kurz auf eine neue Form der Bürgerbeteiligung eingehen, die dieses Demokratiepaket ebenfalls vorsieht: die Bürger-Fragestunde. Sie wird an das parlamentarische Fragerecht angehängt, soll also so etwas wie eine „Direktdemokratisierung“ der parlamentarischen Kontrolle bedeuten.

Das entscheidende Element dieser Bürgeranfrage ist natürlich nicht, dass Bürger überhaupt eine Frage an einen Bundesminister stellen dürfen und ein Recht auf eine Antwort haben. Das haben sie schon nach der geltenden Rechtslage, nach dem Auskunftspflichtgesetz, wenn auch mit all den interpretatorischen Einschränkungen, die man diesem Gesetz unterstellt.

Das Wesentliche dieser neuen Institution besteht darin, dass eine Bürgeranfrage im Plenum des Nationalrates öffentlich zu beantworten ist. Sie soll elektronisch einge­bracht und von mindestens 10 000 Wahlberechtigten elektronisch mittels Verwendung der Bürgerkarte unterstützt werden. Das schließt wohl immer noch eine nicht unerhebliche Anzahl von Bürgern von vornherein aus und ist daher im Lichte des Gleichheitsgrundsatzes nicht ganz unproblematisch. Maximal 28 solcher Anfragen soll es jährlich geben, auf vier Sitzungen verteilt. Zusatzfragen dürfen nur Abgeordnete stellen, je einer pro Fraktion, nicht aber auch die Bürger selber.

Eine Anfrage, die nicht diese Voraussetzungen der Unterstützungserklärungen und so weiter erfüllt, soll nach dem Entwurf einfach gelöscht werden. Ich meine, eine solche Anfrage sollte zumindest nach den Regeln des Auskunftspflichtgesetzes beantwortet werden.

Es sind das nur Details einer Regelung, die auf zweieinhalb DIN A4-Seiten sehr genau und – das heißt logischerweise – auch sehr kompliziert diese neue Institution regeln. Eine solche komplizierte Regelung dürfte auf Bürger nicht gerade ermunternd, sondern eher abschreckend wirken. Ich meine, dass damit das Thema Bürgerbeteiligung auf Bundesebene nicht wirklich erledigt ist, sondern die Diskussion weitergeführt werden wird. – Danke. (Beifall.)

10.49

 


Vorsitzender Präsident Edgar Mayer|: Vielen Dank, Herr Professor Öhlinger. Sie waren genau in der Zeit. Kompliment, das kann man nicht besser „timen“.

Ich darf jetzt zum nächsten Vortragenden kommen, und zwar zu Herrn Univer­sitätsprofessor Dr. Max Haller von der Universität Graz.

Herr Dr. Haller ist seit 1985 Professor für Soziologie an der Universität Graz. Seine Forschungsschwerpunkte sind der internationale Gesellschaftsvergleich, Sozialstruk­tur- und Wertwandel sowie soziale Ungleichheit. Er ist Autor beziehungsweise Heraus­geber von 30 Büchern und über 100 Artikeln in wissenschaftlichen Zeitschriften. In den achtziger Jahren war er Mitbegründer der International Social Survey-Programme und der Europäischen Gesellschaft für Soziologie.

Er war Gastprofessor an mehreren Universitäten, darunter auch in Trient, Kalifornien und Tansania. Seit 1995 ist er korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Bitte, Herr Professor Dr. Haller.

„Die Sicht der Bürgerinnen und Bürger zur direkten Demokratie“

 


10.50.12

Referent Univ.-Prof. Dr. Max Haller (Universität Graz)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Sehr geehrte Damen und Herren! Es freut mich, dass ich hierher eingeladen worden bin. Man kann als Wissenschafter viele Bücher schreiben und über alles schreiben, aber meistens lesen sie nur andere Wis­senschafter.

Ich möchte zwei Vorbemerkungen machen. Ich bin kein Markt- und Meinungsforscher, ich bin Soziologe, ich betrachte Meinungsumfragen aus ein bisschen einer anderen Sicht. Erstens muss man die Ergebnisse von Meinungsforschung selbst hinterfragen, denn man bekommt nur sinnvolle Antworten, wenn die befragten Leute auch etwas über das Thema wissen. Ich habe selber ein Beispiel in den Unterlagen: Was halten Sie von der Arbeit des Nationalrates? – Ich würde sagen, die meisten Bürgerinnen und Bürger wissen darüber nicht wirklich viel Bescheid, also können sie das auch nicht gut beurteilen.

Das Zweite ist: Als Sozialwissenschafter, auch als Politikwissenschafter versuchen wir, Umfrageergebnisse in einen Kontext zu bringen, zu fragen, welche Gruppen der Bevölkerung sind dieser Meinung, sind informiert, welche Trends gibt es, und Ähn­liches.

Mein Ausgangspunkt ist die Frage, die der Herr Landeshauptmann schon ange­sprochen hat, nämlich den Rückgang des Politikinteresses betreffend. Das ist wirklich ein Problem in allen westlichen Gesellschaften, auch in den Vereinigten Staaten von Amerika. Es gibt weniger Parteimitglieder, die Wahlbeteiligung geht zurück. Die Par­teienlandschaft ist zersplittert, auch in Österreich. Neue Parteien haben oft nur Protest als Hauptprogrammpunkt.

Das Image der PolitikerInnen ist sehr negativ, dazu werden wir noch Daten sehen. Man muss das aber im Kontext sehen. Zum Ersten haben auch andere große Institutionen, die Gewerkschaften oder die Katholische Kirche gleiche Probleme. Es gibt den Trend zur Individualisierung, soziologisch gesprochen. Die Menschen heute, junge Men­schen, wollen mehr selbst bestimmen, wo sie mitarbeiten, wie sie mitarbeiten. Sie wollen für konkrete Ziele arbeiten, und da gibt es neue Formen der Aktivität. Es ist nicht so, dass das noch zurückgeht, aber man will eben, dass etwas dabei heraus­kommt, man will sich für ein Projekt nur auf Zeit binden.

Und das sollte man eben auch berücksichtigen. Ich glaube, die direkte Demokratie ist ein Weg, das ein bisschen zu unterstützen.

Es gibt ein paar Besonderheiten von Österreich, wenn man diese Frage des Interesses an der Politik anschaut. Österreich war wirtschaftlich, muss man sagen, extrem erfolgreich: niedrige Arbeitslosigkeit, gute Integration der Ausländer – trotz sehr hohen Anteils –, hoher Nationalstolz. Vielleicht problematisch ist: Es sind Dinge wie starker Parteieneinfluss, schwach ausgeprägter Föderalismus und eine generelle Unzufrieden­heit mit dem politischen System vorhanden. Ein Reformstau wird von politischen Kom­mentatoren beklagt.

Warum wird das beklagt? – Ich glaube, da muss man einerseits sehen, dass eine Unabhängigkeit zwischen wirtschaftlichen Leistungen und dem politischen System besteht. Man kann nicht sagen, weil es wirtschaftlich gut geht, sind die Leute auch mit der Politik zufrieden. Da muss auch die Politik selbst schauen, was dort vor sich geht, und da spielt natürlich das Anspruchsniveau eine Rolle. Wenn Sie in Ungarn oder Rumänien fragen, ob es legitim ist, mit einem Kuvert zu einem Beamten zu gehen, ist die Sicht zu diesem Verhalten anders als in Österreich oder in der Schweiz, wo wir viel höhere Standards haben. Man muss auch sagen, politische Skandale kann man auch als einen Reinigungsprozess in der Hinsicht sehen.

Ich komme nun zu der Umfrage, zu der ich Daten präsentieren will. Das war eine Umfrage, die ich selber initiiert habe, gemeinsam mit dem IFES in Wien, mit dem ich schon länger zusammenarbeite. Ich hatte ein wenig Geld von einem anderen Forschungsprojekt übrig. Das Thema direkte Demokratie, auch Föderalismus interes­siert mich schon lange. Ich komme aus Südtirol und da ist die föderalistische Auto­nomie inzwischen extrem stark ausgebildet.

Wir haben 2 000 Personen repräsentativ befragt. Wir haben neue Fragen entwickelt. Die Umfrage wurde im Spätsommer/Frühherbst 2012 durchgeführt. Es wurden Fragen zu politischem Interesse und auch zu direkter Demokratie und ihren Vor- und Nachteilen gestellt. Diese möchte ich jetzt darstellen. Sie haben das auch in den Unterlagen. Ich will nicht alle Zahlen, kann ich auch nicht, im Detail darstellen, aber ein paar Hauptergebnisse bringen:

Die Befunde zum politischen Interesse sind fast erschreckend, würde ich sagen. Da haben wir eine Frage: „Wie ist Ihre Einstellung zur Politik?“ – Als Antwort: Man kann sich „so gut wie gar nicht“ für Politik interessieren. Man kann sich „ungefähr auf dem Laufenden halten“ oder „politisch interessiert“ sein. – Da sagen im Jahre 2012 33 Prozent, sie sind gar nicht politisch interessiert, politisch interessiert sind 19 Pro­zent. Dieser Anteil war 2004 noch höher. Und etwa die Hälfte der Befragten sind in der Mitte. Das hängt stark ab von Alter und Bildung. Höher Gebildete sind mehr inter­essiert, aber sehr zu bedenken ist, dass junge Menschen viel weniger an Politik interessiert sind. Von den 15 bis 29-Jährigen sind 10 Prozent sehr interessiert, von den 60-Jährigen und älter 26 Prozent.

Die Zufriedenheit mit den gewählten Volksvertretern ist auch sehr bescheiden: 55 Pro­zent sind zufrieden, 39 Prozent nicht.

Ähnlich ist es betreffend die Zufriedenheit mit der Arbeit des Nationalrates. Sie wird eher negativ als positiv gesehen, 45 zu 50 Prozent. Aber, wie gesagt, das muss man cum grano salis sehen.

Auf der Folie 16 ist eine Tabelle, die aus dem Eurobarometer die Zufriedenheit mit der Demokratie in Europa zeigt. Ich habe ein paar Länder herausgegriffen. Da sehen wir, dass Österreich gar nicht so schlecht abschneidet: 75 Prozent sind insgesamt zufrieden mit der Politik. Da war eben auch eine andere Fragestellung. Das ist zwar deutlich weniger als zum Beispiel in Dänemark, aber auch deutlich mehr als in Deutschland, gar nicht zu sprechen von osteuropäischen Ländern, wo nur 20 bis 30 Prozent zufrieden sind.

Damit komme ich zur Frage der direkten Demokratie, da sind die Ergebnisse eigentlich sehr eindeutig. Auf die Frage: Sind Sie dafür, dass das Volk mehr mitentscheiden kann?, sagen 31 Prozent: ich bin „sehr dafür“, 48 Prozent: ich bin „eher schon dafür“. Also insgesamt 79 Prozent möchten mehr direkte Demokratie.

Das zweite hochinteressante Ergebnis ist, dass da das Alter und die Bildung keine Rolle spielen. Wenig gebildete junge Menschen wollen genauso sehr, dass die Demokratie gestärkt wird.

Es gibt aber auch Unterschiede. Besonders starke Befürworter der direkten Demo­kratie sind politische interessierte Menschen, eher Anhänger der Oppositionsparteien – zu 90 Prozent –, mit der aktuellen Demokratie Unzufriedene und die Vorarlberger; das finde auch sehr interessant. Ich glaube, die Rede vom Herrn Landeshauptmann hat ein bisschen geklärt, warum das so ist: weil sie mehr teilnehmen können und wahr­scheinlich auch die Schweiz besser kennen als wir in Ostösterreich. Aber, wie gesagt, auch junge Menschen und politisch Uninteressierte möchten mehr direkte Demokratie.

Ein zweiter wichtiger Befund ist, dass die Frage „Welche Art der Mitbestimmung?“ auch eine Rolle spielt. Wir haben die Volksentscheidung, das Volksbegehren und die Volksbefragung unterschieden; absteigend bindend in der Bindungskraft einer Abstimmung. Da sieht man deutlich, dass eine Volksentscheidung, wobei das Par­lament ein Gesetz erlassen muss oder das Volk über ein Gesetz abstimmt, das dann bindend ist, am stärksten befürwortet wird, die Volksbefragung am wenigsten; aber auch die noch von den meisten.

Wir haben auch gefragt: „Wenn es mehr direkte Demokratie in Österreich gäbe, würden Sie sich daran beteiligen?“ – Das ist so eine typische Frage, wo mögliches Verhalten fraglich ist, ob es immer realistisch ist. Aber ich würde sagen, unsere Umfrage hat das besser prognostiziert als die Meinungsforscher zum Beispiel vor dem Bundesheer-Volksbegehren. Diese haben damals prognostiziert, es werden nur 30 Prozent teilnehmen. Teilgenommen haben aber 52 Prozent, also ein sehr hoher Anteil, muss man sagen.

Eine weitere Frage ist: „Worüber soll das Volk abstimmen (dürfen)?“ – Das hat auch Herr Professor Öhlinger schon angesprochen. Es gibt natürlich Themen, die nicht für eine Volksabstimmung geeignet sind. Ein Argument gegen direkte Demokratie ist immer, dann würde vielleicht die Todesstrafe wieder eingeführt werden, oder Öster­reich hat zu 99 Prozent – das ist gerade aktuell – dem „Anschluß“ Österreichs an Nazi-Deutschland zugestimmt. Oder noch etwas, was im Hintergrund mitschwingt, die Deutschen stimmten mehrheitlich für Hitler.

Da zeigen aber, glaube ich, unsere Ergebnisse, dass diese Befürchtungen alle nicht begründet sind. Wir haben vier oder fünf Möglichkeiten eines heiklen Themas vor­gegeben, ob die Leute glauben, da sollte man abstimmen dürfen, und dann auch, wie sie selbst abstimmen würden.

Das Erste betraf einen Austritt aus der EU. Weitere Themen waren die Einführung einer Reichensteuer – ein bisschen ein populistisches Wort –, das Verbot der Abtrei­bung, die sofortige Abschiebung krimineller Ausländer oder die Einführung der Todes­strafe. Da sehen wir, dass für bestimmte Themen, wie etwa die Einführung der Todesstrafe, nur wenige dafür sind, aber dass eine deutliche Mehrheit dagegen ist. Das Gleiche gilt für das Verbot der Abtreibung.

Dann wollten wir wissen: Wie würden die Menschen selbst abstimmen? – Das Ergebnis war Folgendes:

Der Austritt aus der EU ist mehrheitlich als legitimes Thema angesehen worden. Aber 62 Prozent würden dagegen stimmen, wenn es eine Abstimmung gäbe.

Die Reichensteuer würde eine Mehrheit befürworten, genauso wie die Abschiebung krimineller Ausländer. Aber die Todesstrafe und das Verbot der Abtreibung würde eine große Mehrheit ablehnen. Diese Befürchtung ist irreal.

Man könnte sagen, die Abschiebung krimineller Ausländer ist auch menschenrechtlich problematisch. Ich habe ein bisschen recherchiert und erfahren, dass in England heute eine Debatte darüber stattfindet, ob die Verschärfung der Abschiebung von Ausländern erhöht werden soll. Jährlich werden aus Großbritannien 5 000 bis 6 000 Ausländer abgeschoben, und Großbritannien ist sicher keine unreife Demokratie.

Eine Frage war: Würden Sie es sinnvoll finden, dass man das Schweizer Modell in Österreich einführte? – Das wäre natürlich eine weitgehende Verfassungsänderung und ist eigentlich relativ unrealistisch. Aber sogar das haben drei Viertel der Befragten für richtig befunden oder für möglich und sinnvoll.

Weiters wurde gefragt: Wer sind die Gewinner und Verlierer der direkten Demo­kratie? –Da sind die Ergebnisse auch relativ eindeutig. Die große Mehrheit sagt, das wäre für die österreichische Bevölkerung insgesamt von Vorteil, und es wäre für ärmere Schichten und für mittlere soziale Schichten von Vorteil. Weniger von Vorteil wäre es für Politiker, Parlamentarier und Regierungsparteien.

Dann haben wir eine Reihe von Argumenten angeführt, welche Effekte mehr direkte Demokratie haben könnte. Da wurden eigentlich alle positiven Effekte von großen Mehrheiten befürwortet. Es wurde gefragt, ob man glaubt – das war zum Beispiel der Fall –, dass direkte Demokratie das Interesse der Bevölkerung an der Politik erhöht oder – ein zweiter Punkt – ob die Bevölkerung in der Lage ist, sich auch bei komplexen Fragen ein Urteil zu bilden.

Das ist eine ganz wichtige Frage, die auch oft gegen die direkte Demokratie vorge­bracht wird, mit gutem Grund. Aber ich glaube, dazu muss man sagen, dass es gerade bei wichtigen Fragen sehr viele Für und Wider gibt und man nicht sagen kann, das sei so richtig oder so richtig.

Es gibt auch Untersuchungen bei Bundestagsabgeordneten oder bei österreichischen Parlamentariern über diverse EU-Abstimmungen, wo man fand, dass diese oft sehr wenig über diese komplexen Sachverhalte wussten. Das ist kein Vorwurf an die Parlamentarier, aber man muss eben sagen, bei Grundfragen ist das Für und Wider sehr komplex und da kann sich auch ein einfacher Bürger eine gut begründete Mei­nung bilden.

Man meint, durch direkte Demokratie würde sich der gesellschaftliche Zusammenhalt verstärken und die Zufriedenheit mit dem System würde erhöht werden.

Es gibt auch negative Effekte, die einige sehen: dass es zum Beispiel Parteien ausnutzen könnten, um eigene Themen zu proponieren, dass populistische Führer an Einfluss gewännen, dass die Medien mehr Einfluss hätten. – Ich glaube, das alles ist richtig, aber das sind Einwände, die in jeder Demokratie gelten, mit denen man eben leben muss und wo man mit entsprechenden Gegenmaßnahmen darauf reagieren muss.

Ich habe von Reader’s Digest eine Untersuchung über die Zufriedenheit mit der Politik in Österreich, in Deutschland und in der Schweiz gefunden.

Eine Aussage lautet: „Der Einfluss der Bürger auf die Politik ist zu gering.“ – Das sagen 64 Prozent in Österreich, 73 Prozent in Deutschland und 49 Prozent in der Schweiz.

Oder: „Es wird zu häufig Politik gegen die Wünsche der Bevölkerung gemacht.“ – Das sagen 56 Prozent in Österreich, 60 Prozent in Deutschland und 31 Prozent in der Schweiz.

In der Schweiz werden jährlich oft ein Dutzend Volksabstimmungen gemacht, und durch jede Abstimmung erfolgt eine breite Diskussion – und das ist schon einmal ein sehr positiver Faktor, auch wenn dann kein Gesetz daraus folgt.

Ich komme jetzt zu ein paar Konklusionen, und zwar:

Erstens: Direkte Demokratie führt nicht zu einer verantwortungslosen Ausgaben­politik. – Es wurde auch von Politikwissenschaftern gezeigt, dass in Staaten oder Kantonen, wo es viele Abstimmungen gibt, das Budget ausgeglichener ist als in ande­ren, wo das nicht der Fall ist.

Zweitens: Direkte Demokratie führt auch nicht zu fragwürdigen, chauvinistisch- nationa­listischen Resultaten oder zu menschenrechtlich problematischen Entscheidungen.

Positive Wirkungen der direkten Demokratie habe ich schon erwähnt, zum Beispiel:

Erstens: Ich glaube, man kann wirklich sagen, eine Steigerung des Interesses der Bevölkerung wäre ganz sicher die Folge, und zwar schon allein aufgrund der breiten Diskussionen im Vorfeld.

Ein zweiter Punkt, der mir als Soziologe sehr wichtig ist: Es würden weniger gebildete, einfachere soziale Schichten stärker an der Politik teilnehmen können.

Professor Öhlinger hat gemeint, dass Demokratie von unten kommen muss. Das ist ganz sicher richtig. Aber sie kann nur dann von unten kommen, wenn institutionelle Bedingungen gegeben sind. Wenn ich ein Volksbegehren auf die Beine stelle und dann das Resultat null ist, werde ich bald einmal demotiviert werden. Wir wissen, dass neue Formen der Bürgerbeteiligung, der Bürgerbewegung großteils von mittleren und höheren Schichten initiiert werden.

Ein dritter Effekt wäre, glaube ich, dass der Reformstau in wichtigen Grundsatzfragen durch direkte Demokratie gelöst werden könnte. Ich denke da an die Frage der Gesamtschule, des Gymnasiums, an das duale Bildungssystem, an den Föderalismus, wo man weiß, dass es da einige wenige grundsätzliche Lösungen gibt, und wo man sich streitet und zu nichts oder zu wenig kommt, weil das eben offen ist. Wenn es da eine bindende Volksabstimmung gäbe, dann wüsste man, man muss davon ausgehen und dann Reformen durchführen.

Ich glaube, letztlich würden auch die gewählten Volksvertreter von direkter Demokratie profitieren, und zwar durch höheres Interesse und auch durch die angeführten As­pekte.

Letzter Punkt: Die Voraussetzungen für die positiven Wirkungen der direkten Demo­kratie wären aus meiner Sicht folgende:

Die Hürden für die Einleitung von Abstimmungen dürfen nicht zu hoch sein. In der Schweiz sind sie derzeit 50 000 oder 100 000.

Die Fragen müssen allgemein verständlich und eindeutig formuliert sein. – Bei der Bundesheer-Volksbefragung wurde gefragt: Sind Sie für die Beibehaltung von Bundes­heer und Zivildienst? Das sind zwei ganz völlig verschiedene Dinge. Das müsste man trennen.

Drittens: Es müssen die klar absehbaren Implikationen einer Entscheidung dargestellt werden. – In Wien wurde gefragt, ob man Olympische Spiele will. Da hätte man, meine ich, auch dazusagen können oder sollen, was allein die Werbung dafür kostet. Das sind 60 bis 80 Millionen €, wie zum Beispiel in London. Und die Spiele selber kosten vielleicht 10 Milliarden €. Aber das war eigentlich ohnehin nicht notwendig, weil das Ergebnis ja gegen die Spiele ausgegangen ist.

Weiters muss zu jeder Abstimmung eine umfassende Information der Bevölkerung gemacht werden. – In der Schweiz gibt es zu jeder Volksabstimmung eine Broschüre, wo alle Volksvertreter, alle Interessengruppen, Fachleute ihre Meinung darlegen und damit jeder Bürger informiert ist.

Und, letzter Punkt: Die Abstimmung muss natürlich direkt zu Konsequenzen führen.

Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

11.08


Vorsitzender Präsident Edgar Mayer|: Herzlichen Dank, Herr Professor Haller, für Ihre Ausführungen.

11.08.49Modul 2: Praxis und neue Instrumente

 


Vorsitzender Präsident Edgar Mayer|: Wir kommen nun zu Modul 2: Praxis und neue Instrumente.

Ich darf nun Herrn Dr. Manfred Hellrigl vorstellen, den Leiter des Zukunftsbüros beim Amt der Vorarlberger Landesregierung.

Herr Dr. Manfred Hellrigl hat an der Universität Salzburg Politikwissenschaft studiert. Seit 1999 leitet er das Büro für Zukunftsfragen der Vorarlberger Landesregierung. Sein Hauptfokus liegt dabei auf der Frage, wie man Menschen in Gemeinden und Regionen dafür gewinnen und dabei unterstützen kann, sich im Rahmen von gesellschafts­politischen Veränderungsprozessen aktiv zu engagieren und konstruktiv einzubringen.

Bitte, Herr Dr. Hellrigl.

„Das Modell der Vorarlberger Bürgerräte“

 


11.09.33

Referent Dr. Manfred Hellrigl (Amt der Vorarlberger Landesregierung, Büro für Zu­kunftsfragen)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist mir eine besondere Freude und Ehre, dass ich Ihnen heute dieses Modell der Vorarlberger Bürgerräte vermitteln kann. Ich möchte dazusagen, dass das keine Vorarlberger Erfindung ist. Die Bürgerräte kommen aus den USA. Sie heißen im amerikanischen Original Wisdom Councils, Weisheitsräte.

Das Spannende ist, dass dieses Modell erst dann den Durchbruch erfahren hat, als es eine Kombination gegeben hat zwischen zivilgesellschaftlicher Einbindung und einer Landesregierung, einer Landesverwaltung, die sich dieses Instruments bedient hat. Davor haben sich diese Bürgerräte eigentlich nicht durchgesetzt. Das ist, finde ich, eine ganz interessante Hypothese: dass, wenn wir Bürgerbeteiligung stärken wollen, es unbedingt dieses Zusammenspiel zwischen Zivilgesellschaft und staatlichen Stellen braucht; aber der Reihe nach.

Ich habe mir vorgenommen, mein kurzes Referat in drei Bereiche einzuteilen. Zuerst möchte ich Ihnen ein bisschen etwas über die Entstehungsgeschichte dieser Bürger­räte erzählen, denn die muss man kennen, um dieses Modell überhaupt verstehen zu können. Dann werde ich Ihnen im Detail erklären, wie die Bürgerräte funktionieren, wie das abläuft. Und am Schluss werde ich ein praktisches Beispiel bringen, um das Ganze zu illustrieren.

Der Herr Landeshauptmann hat es schon gesagt: Das Büro für Zukunftsfragen ist eine Stabsstelle in der Vorarlberger Landesregierung, direkt dem Landeshauptmann zuge­ordnet. Wir sind eigentlich schon seit über 20 Jahren mit folgenden Fragen beschäftigt: Wie kann man vonseiten der Regierung, vonseiten des Landes mit den Bürgern besser kooperieren? Wie können wir die Bürger begeistern und gewinnen? Wir wissen nämlich, dass wir diese ganzen Veränderungsprozesse nur dann bewältigen können, wenn es uns gelingt, mit den Bürgern an einem Strang zu ziehen. Die Bürger sind nicht nur Konsumenten, und es geht darum, wie wir sie aus dieser Rolle herausbringen können.

Meine Damen und Herren, Sie finden in den Unterlagen eine interessante Statistik aus einer Untersuchung, die die EU vor drei Jahren durchgeführt hat, und es ist frappant, zu sehen, welchen Zusammenhang es zwischen dem bürgerschaftlichen Engagement und dem Wohlstand, dem Wohlergehen von Ländern und Nationen gibt. Sie sehen in dieser Statistik, dass es genau in jenen Ländern, die von der Wirtschaftskrise beson­ders hart getroffen wurden, wie beispielsweise Italien, Griechenland oder Spanien, ein unterdurchschnittlich starkes bürgerschaftliches Engagement gibt – das liegt zum Teil unter 10 Prozent –, während jene Länder, denen es gut geht, über ein sehr starkes Engagement verfügen.

Es muss also unser Ziel sein, es muss ein Ziel von staatlicher Politik sein, dieses Engagement zu fördern, zu unterstützen. Die große Preisfrage lautet aber: Wie kann das gelingen? – Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass eine starke Zivilgesellschaft wünschenswert ist, aber worüber sich alle den Kopf zerbrechen, ist die Frage: Was sind da die besten Möglichkeiten und Maßnahmen?

Wir haben im Laufe der letzten 23 Jahre alle möglichen Mittel und Wege ausprobiert und haben relativ schnell feststellen müssen, dass die üblichen Zugänge nicht gut funktionieren. Mit „üblichen Zugängen“ meine ich den Top-down-Weg, nämlich den Weg über Gesetze und Verordnungen, über Appelle und Aufrufe, über Kampagnen. Diese Maßnahmen sind durchaus notwendig, aber sie sind mittel- und langfristig in ihrer Wirkung sehr beschränkt.

Wir sind dann Ende der neunziger Jahre auf ein hochinteressantes Modell von SPES aus Oberösterreich gestoßen, die damals schon mit dem Ansatz der Selbst­organi­sation gearbeitet haben. Wir haben dieses Modell übernommen, adaptiert – man muss es immer in den gesellschaftlichen Kontext bringen – und haben damals im Zuge von Gemeinde- und Regionalentwicklungsprozessen einmal geschaut, was es bringt, wenn zum Beispiel der Bürgermeister ein bisschen zurücktritt, nicht alles auf seine Schultern nimmt und einen Freiraum schafft, wo Bürgerinnen und Bürger Platz haben, sich zu engagieren.

Die Ergebnisse waren mehr als erstaunlich: Zwei Mal wurden Projekte mit dem Euro­päischen Dorferneuerungspreis ausgezeichnet, und zwar im Großen Walsertal und in der Gemeinde Langenegg. Der Dorferneuerungspreis ist so etwas wie der Oscar im Bereich der Gemeinde- und Regionalentwicklung.

Ermutigt durch diese Beispiele, was aktives Bürgerengagement bewirken kann, wenn man die Bürger lässt, haben wir dann im Jahr 2004 von der Landesregierung den Auftrag bekommen, noch einen Schritt weiterzugehen und Bürger einzuladen, die Regierung zu beraten. Es ging damals um das Thema der Kinderfreundlichkeit im Land. Wir haben insgesamt 2 000 Bürgerinnen und Bürger nach dem Zufallsprinzip ausgewählt und angeschrieben, eingeladen, ob sie nicht ein Gutachten erstellen wollen, wie man unser Land kinderfreundlicher machen kann.

75 Erwachsene und rund 50 Kinder haben sich bereit erklärt, da mitzumachen. Wir haben parallel dazu sicherheitshalber noch Experten eingeladen und konnten dann die Ergebnisse vergleichen. Wir waren wieder überrascht darüber, dass die Bürgerinnen und Bürger zu sehr guten Ideen und Maßnahmen gekommen sind, die sich gar nicht so stark unterschieden haben von dem, was die Experten ausgearbeitet haben, aber mit dem politisch großen Unterschied, dass natürlich das, was aus der Bevölkerung kommt, wesentlich höhere Akzeptanz in der Umsetzung hat.

Ich möchte nicht verschweigen, dass dieses Modell des Bürgergutachtens einen gravierenden Nachteil hatte, zumindest aus Vorarlberger Sicht, und zwar ist es ein sehr kostspieliges Verfahren. Wir haben uns dann damals auf den Weg gemacht, nach Alternativen zu suchen, und die Vorgabe, die Latte war hoch, nämlich: Wie sieht ein wirkungsvolles Beteiligungsmodell aus, das möglichst schnell und kostengünstig umgesetzt werden kann? Wir sind damals fündig geworden bei dem Modell mit den Bürgerräten, mit den Wisdom Councils.

Die Bürgerräte arbeiten im Unterschied beispielsweise zu den Citizen Juries, zum Bürgergutachten, mit einer sehr kleinen Auswahl von Bürgern. Es ist eine erstaunlich kleine Auswahl, und zwar sind es zwölf bis 16 Personen, die sich ein Wochenende lang treffen, und der wesentliche Punkt ist der, dass dieses Dutzend ganz strikt nach dem Zufallsprinzip ausgewählt ist.

Ein ganz wesentlicher Punkt ist: Wir machen jetzt im Laufe all dieser Jahre immer wieder die Erfahrung, dass es ganz wichtig ist, nicht wieder die üblichen Verdächtigen zu den Verfahren einzuladen, sondern da einmal ganz neue Leute anzusprechen. Wir machen dabei die erstaunliche Erfahrung, dass eigentlich sehr viele Leute auf so eine Einladung warten. Man erreicht diese Leute nicht durch Plakate oder Inserate, sondern unsere Erfahrung ist es, dass sich dann sehr viele Leute melden, wenn sie persönlich angeschrieben werden, einen Brief vom Landeshauptmann oder vom Bürgermeister bekommen. Sie sagen uns, dass sie sich geehrt fühlen und sich freuen, sich auch politisch engagieren zu können – aber außerhalb der Parteien! Das ist eine Marktlücke, die wir da entdeckt haben, die eigentlich weitgehend unbeachtet ist: Sehr viele Men­schen wollen sich einbringen, aber sie wollen es nicht im Rahmen der klassischen Parteien machen.

Dieses Dutzend an Personen trifft sich üblicherweise an einem Freitagnachmittag und am Samstag den ganzen Tag, um an einem Thema zu arbeiten. Da gibt es zwei verschiedene Möglichkeiten: Entweder wird das Thema vorgegeben – das kann ein umstrittenes Projekt sein, das kann eine heikle Fragestellung sein, mit der man sich schon länger beschäftigt –; man kann aber auch das Thema völlig offen lassen, es den Bürgern selbst überlassen, worüber sie sprechen wollen. Auch damit haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht. Das ist so quasi wie ein Seismograph, mit dem man ein bisschen untersuchen kann, was denn wirklich die Themen sind, die die Bürgerinnen und Bürger bewegen.

Die Herausforderung für diese Gruppe, für den Bürgerrat besteht nun darin, eine gemeinsam getragene Erklärung zu verfassen. Und das ist wieder ein ganz wichtiger Punkt: Es geht nicht um Mehrheitsentscheidungen des Bürgerrates, sondern es geht um Einstimmigkeit. Das bedeutet, dass diese zwölf bis 16 Personen wirklich intensiv miteinander sprechen müssen. Da gibt es ein sehr schönes Moderationsverfahren, das heißt Dynamic Facilitation, das es ermöglicht, dass die Bürgerinnen und Bürger wirklich konstruktiv miteinander reden.

Und da sind wir wieder auf eine Besonderheit gestoßen: Viele Modelle der Bürger­beteiligung gehen davon aus, dass die Bürger schon eine Meinung haben und dass man diese nur noch abfragen muss. Wir haben die Erfahrung gemacht, das, was uns wirklich fehlt, sind eigentlich die Begegnungsorte, wo man sich eine Meinung bilden kann. Und das ist wieder die große Chance, die hinter dieser Zufallsauswahl steckt: dass da ganz unterschiedliche Menschen zusammenkommen, aus unterschiedlichen Schichten, mit unterschiedlichem Bildungshintergrund, unterschiedlichen Alters und unterschiedlichen Geschlechts. Und da geschieht etwas, wenn die zusammenkommen: Sie werden gehört, sie werden ernst genommen. Es geschieht etwas in dieser Gruppe. Und es hat bisher immer funktioniert, dass diese Gruppe dann am Schluss mit einem einstimmigen Ergebnis diesen Bürgerrat beendet hat.

Die Ergebnisse werden dann im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung präsentiert und erörtert – wir machen das immer in Form eines World Cafés, das heißt an Tischen, mit jeweils fünf, sechs Personen an einem Tisch –, und hier sind natürlich die Stakeholder, die verschiedenen Interessengruppen eingeladen, sich aktiv einzubrin­gen, hier sind sie erwünscht. Aber auch hier haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Qualität der Diskussion eine andere ist, als wir es gewohnt sind, weil durch den Input des Bürgerrates eigentlich schon eine sehr starke Betonung auf dem Gemeinwohl liegt und sich alle Wortmeldungen eigentlich an dieser Latte messen müssen, und das hebt das Niveau der Auseinandersetzung.

Wir haben also drei Stufen: den Bürgerrat selbst, die öffentliche Erörterung, und dann gibt es meistens noch eine Resonanzgruppe, eine kleinere Gruppe mit den politisch Verantwortlichen, um dann darüber zu beraten: Was machen wir jetzt wirklich mit diesen Ergebnissen? Und, wie schon vom Landeshauptmann gesagt wurde, es ist nicht so, dass immer alles umgesetzt werden muss, was vom Bürgerrat kommt, was empfohlen wird, aber die Bürger erwarten sich zu Recht, dass man sich ernsthaft mit diesen Vorschlägen auseinandersetzt und auch erklärt, warum das eine oder andere nicht möglich ist.

Damit Sie sich das noch besser vorstellen können, habe ich Ihnen ein praktisches Beispiel mitgebracht. Und zwar wurde im Jahr 2009 in Bregenz ein neues Projekt initiiert. In Bregenz gibt es – wenn Sie einmal in die Landeshauptstadt von Vorarlberg kommen, wird Ihnen das auffallen – direkt neben dem Bahnhof, auf einer der teuersten Flächen, die wir in der Stadt haben, einen großen Parkplatz, und dieser Parkplatz existiert schon seit 30 Jahren. Der Grund ist, dass es sehr schwierig ist, sich politisch darüber zu einigen, was man mit dieser kostbaren Fläche machen soll.

Es hat sich eine Investorengruppe zusammengefunden – es handelt sich da um ein Investitionsvolumen von knapp 100 Millionen €, und die Stadt Bregenz hat schon in der Vergangenheit bei größeren Stadtentwicklungsprojekten immer wieder die Erfahrung gemacht, dass da eigentlich die parteipolitischen Wogen hochgehen. Es wurden auch in der Vergangenheit schon Beteiligungsverfahren durchgeführt, aber diese Beteili­gungs­verfahren haben nur zu einer weiteren Polarisierung geführt. Und das ist auch wieder eine wichtige Nebenbemerkung: Bürgerbeteiligung per se ist nicht immer geeignet, Konflikte zu lösen. Viele der klassischen Beteiligungsverfahren, die wir haben, führen sogar eher noch zu einer stärkeren Polarisierung, schaffen Gewinner und Verlierer – und das ist eigentlich nicht das, was wir wollen.

Aus diesem Grund waren sowohl der Bürgermeister als auch die Investoren sehr neugierig, als wir ihnen den Vorschlag gemacht haben, wir würden sie gerne kostenlos beraten. Es ist dann tatsächlich aus dieser Beratung der Auftrag gekommen, für dieses heikle Stadtentwicklungsprojekt einen Bürgerrat durchzuführen.

Da gibt es einige Parallelen zu Stuttgart 21. Der große Unterschied ist, dass dort zwar am Masterplan schon gearbeitet wurde, aber noch nichts beschlossen war – und wir waren jetzt in der glücklichen Situation, dass dieser Rohentwurf des Masterplans von einem Bürgerrat begutachtet werden konnte. Ich möchte nicht verhehlen, dass die Planer stirnrunzelnd beobachtet haben, was wir da machen, weil diese Fachleute schon zwei Jahre sehr intensiv mit sehr viel Expertise an diesem Thema gearbeitet haben – und jetzt kommen irgendwelche zufällig ausgewählte Bürger und maßen sich an, dieses Projekt zu beurteilen.

Zu unser aller Überraschung war das Ergebnis mehr als erstaunlich. Die Bürger haben sich das nämlich angeschaut, und sie haben nicht angefangen, über Architektur zu diskutieren, sondern sie haben nach relativ kurzer Zeit gesehen, dass ein wesentlicher Punkt bei diesem Projekt nicht beachtet wurde, nämlich die Verbindung – eine Brücke praktisch – zwischen diesem Stadtentwicklungsprojekt und dem See. Wer Bregenz kennt, weiß, dass Bregenz historisch durch eine Bahnlinie und durch die Straßen­führung vom See getrennt ist, und der Bodensee ist das Kostbarste, worüber Bregenz verfügt. Deshalb war es aus Sicht der Bürger eine Jahrhundertchance, wenn hier schon ein Stadtentwicklungsprojekt gemacht wird, dass man dann auch diese Ver­bindung mitdenkt.

Die Planer haben gesagt: Natürlich haben wir an das gedacht, wir haben da eine Unterführung vorgesehen. Und die Bürger haben gesagt: Nein, wir wollen keine Unterführung, wir wollen eine schöne Überführung! Das könnte so etwas wie ein neues Wahrzeichen der Stadt werden, ein Treffpunkt, wo man sich am Abend hinsetzt und den Sonnenuntergang beobachten kann, wo man auch einen Kinderwagen drüber­schieben kann und wo man sich in der Nacht nicht fürchten muss. – Und es hat nicht lange gebraucht, und Politik und Investoren waren überzeugt: Die Bürger haben recht, das ist ein wesentlicher Punkt, an den man denken muss. Und es wurde dann beschlossen, das zu einem wesentlichen Bestandteil dieses Projektes zu machen.

Was vielleicht für die Investoren noch wichtiger ist: Dies ist eines der wenigen großen Gemeindeentwicklungsprojekte, die praktisch ohne öffentlichen Widerstand, ohne die Bildung von Bürgerinitiativen über die Bühne gehen, weil dieses Bürgeranliegen von vornherein eingebunden war und die Bürger das Gefühl haben, das, was ihnen wirklich wichtig ist, wird dort berücksichtigt.

Das ist für mich wieder eine wichtige Lektion: Bürgerbeteiligung ist nichts, was als lästig für Politik und Investoren betrachtet werden muss, sondern das ist eigentlich eine unglaubliche Chance, um Geld zu sparen, wenn man es zum richtigen Zeitpunkt macht, nämlich möglichst früh, noch bevor die Entscheidungen getroffen wurden.

In der Zwischenzeit haben wir über 40 solche Bürgerräte durchgeführt, über 30 davon in Vorarlberg. Eine ständig wachsende Anzahl und großes Interesse gibt es auch aus anderen Bundesländern; beispielsweise in Tirol, Niederösterreich, Oberösterreich und Wien wurden schon Bürgerräte durchgeführt. Wir sind auch in engem Kontakt mit Baden-Württemberg und neuerdings auch mit der Bayerischen Staatsregierung, wo auch Interesse besteht, Bürgerräte durchzuführen. In Südtirol wird demnächst ein Bürgerrat stattfinden, in Finnland in Helsinki, in der Schweiz, in Liechtenstein; also das wird jetzt zum Exportschlager.

Man kann die Bürgerräte auf ganz unterschiedlichen Ebenen ansetzen. Man kann das für kommunale Themen verwenden, für regionale Themen, in Talschaften haben wir das auch schon gemacht, auf Landesebene. Wir machen jetzt halbjährlich Bürgerräte auf Landesebene. Sehr fruchtbar ist auch die Kooperation mit dem Landtag. Wir kombinieren einmal im Jahr eine Landtagsenquete mit einem Bürgerratsinput und haben dann eine World-Café-Diskussion im Foyer des Landtags, was auch wieder ein ganz wichtiges Signal an die Bürger ist und womit praktisch der Brückenschlag zur Öffentlichkeit erfolgen kann.

Es gibt da unterschiedlichste Anwendungsmöglichkeiten. Wir haben beispielsweise auch schon Mütterräte durchgeführt, um zu schauen: Wie geht es eigentlich den Müttern mit mehreren Kindern? Es gibt beispielsweise auch die Möglichkeit, eigene Jugendräte zu veranstalten. Auf diesem Gebiet ist momentan Oberösterreich führend, um zu experimentieren, was man mit Jugendräten machen kann. Wir haben auch schon zum Thema Energie regionale Bürgerräte durchgeführt, und demnächst, vor dem Sommer, wird es einen großen, landesweiten Bürgerrat zum Thema Bildung geben.

Ich bin sehr froh darüber, dass die Landesregierung dieses Thema sehr ernst nimmt. Es gab, wie es der Landeshauptmann schon gesagt hat, eine Verfassungsänderung, sodass diese Methoden oder Mittel der partizipativen Demokratie auch entsprechend in der Verfassung erwähnt sind. Es gibt auch eine eigene Richtlinie der Landesregierung zur Durchführung, in der also geregelt ist, wie solche Bürgerräte durchzuführen sind, und in der auch ein bislang wenig beachtetes Petitionsrecht vorkommt. Es ist praktisch beschlossen worden, dass 1 000 Bürgerinnen und Bürger aus Vorarlberg durch Leistung einer entsprechenden Unterschrift fordern können, dass ein Bürgerrat durchgeführt wird.

Zusammenfassend kann man sagen, dass wir als Gesellschaft vor großen Herausfor­derungen stehen: Wie gehen wir mit der wachsenden Diversität, der Politikverdrossen­heit um? Wir glauben, dass diese Bürgerräte ein sehr simples Mittel sind, um hier einen großen Schritt weiterzukommen. Ich möchte nicht verhehlen, dass wir noch ganz am Anfang stehen, obwohl wir schon insgesamt sieben Jahre damit experimentieren, aber das Feld, wie man diese Bürgerräte anwenden kann, ist so riesengroß, dass ich sehr gespannt bin, was da in den nächsten Jahren noch alles an konkreten Anwendungen entstehen wird. Ich freue mich, dass es da schon sehr viel Kooperation auch zwischen Ministerien und Ländern gibt, um diese Mittel auszunützen und aus­zuprobieren.

Zum Schluss möchte ich noch sagen, dass es einen Flaschenhals gibt bei den Bürgerräten, einen Engpass, eine kritische Stelle. Die kritische Stelle ist nicht, wie wir ursprünglich gedacht haben, die Bürgerin oder der Bürger – dass diese also vielleicht nicht reif oder nicht fähig sind, diese Methoden zu benutzen –, sondern unsere Erfah­rung hat gezeigt, dass es eigentlich die Entscheidungsträger sind. Es ist vor allem die Politik gefordert, ein bisschen loszulassen und Freiräume zu schaffen, wo die Bür­gerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, sich am politischen Spiel, am politischen System zu beteiligen und sich aktiv einzubringen. Da muss Vertrauen gebildet werden. Vertrauen entsteht durch Erfahrung, und ich bin sehr zuversichtlich, dass es uns mit einer wachsenden Zahl von konkreten Beispielen von Bürgerräten gelingen kann, dieses Vertrauen aufzubauen. – Vielen Dank. (Beifall.)

11.29

 


Vorsitzender Präsident Edgar Mayer|: Danke, Herr Dr. Hellrigl vom Vorarlberger Zukunftsbüro, für deine Ausführungen. Jetzt werden wir sehen, wenn die Bürgerräte schon in Finnland, in Südtirol, in Bayern und in Baden-Württemberg Anklang finden, ob wir Vorarlberger das auch über den Arlberg transportieren können. Das werden wir jetzt auch versuchen.

Wir kommen nun zum nächsten Vortragenden im Rahmen des Moduls 2, Praxis und neue Instrumente, Herrn Universitätsprofessor Dr. Klaus Poier von der Universität Graz. Er wird zum Thema „Instrumente und Praxis direkter Demokratie in Österreich auf Länder- und Gemeindeebene“ sprechen, und ich darf auch ihn kurz vorstellen:

Herr Dr. Klaus Poier ist Assistenzprofessor am Institut für Österreichisches, Euro­päisches und Vergleichendes Öffentliches Recht, Politikwissenschaft und Verwaltungs­lehre an der Universität Graz mit den Forschungsschwerpunkten Wahlrecht, direkte Demokratie und Verfassungsreform. Er war Mitglied des Österreich-Konvents und dort auch im Ausschuss 8, der sich mit direkter Demokratie und Partizipation befasste, tätig. Klaus Poier bringt immer wieder auch eigene Reformmodelle in die öffentliche Diskussion ein, wie etwa die Wahlrechtsvorschläge eines minderheitenfreundlichen Mehrheitswahlrechts oder das Modell der Personalisierung des Nationalratswahlrechts durch 100 Direktmandate.

Bitte, Herr Professor Dr. Poier.

„Instrumente und Praxis direkter Demokratie in Österreich
auf Länder- und Gemeindeebene“

 


11.31.46

Referent Ass.-Prof. Dr. Klaus Poier (Universität Graz)|: Herr Präsident! Herr Lan­deshauptmann! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich kann sehr gut an das zuvor Gesagte anknüpfen, und ich möchte einen weiten Bogen spannen.

Man kann heute auf die Landesverfassung Vorarlbergs fast 100 Jahre zurückblicken. Am 14. März 1919 wurde von der Provisorischen Landesversammlung des Landes Vorarlberg ein Landes-Verfassungsgesetz erlassen. Dieses ist sicher eine Beson­derheit der Verfassungsgeschichte in Österreich: Es ist wohl das Verfassungsdoku­ment mit den am weitesten ausgebauten Instrumenten der direkten Demokratie. Da hieß es im ersten Abschnitt, der mit „Rechte des gesamten Volkes“ übertitelt war und die §§ 1 bis 7 umfasste:

„Die gesetzgebende und Vollzugsgewalt des Landes steht der Gesamtheit des Vorarl­berger Volkes zu; sie wird ausgeübt teils unmittelbar durch Abstimmung des Volkes, teils mittelbar durch Landtag, Landesrat und Landesregierung.“

Also das Volk zuerst – das ist offenkundig der erste Weg –, und dann die repräsen­tativen Organe. Auch die Instrumente der direkten Demokratie waren sehr weit ausgebaut, und sie waren auch in den Händen des Volkes – also etwa: keine Volksabstimmung durch den Landtag, sondern nur durch die Bürger.

Ein Jahr später, meine Damen und Herren, wurde mit dem Bundes-Verfassungs­gesetz 1920 in der Ersten Republik in Österreich eine wesentliche Richtungsent­scheidung getroffen: Während zuvor in der Konstituierenden Nationalversammlung, in der März-Verfassung 1919, sogar eine obligatorische Volksabstimmung über jede einzelne weitere Verfassungsänderung vorgesehen war und obwohl es auch einige Verfassungsentwürfe gegeben hat, die sehr umfangreiche Instrumente der direkten Demokratie enthielten, nahm der Bundesverfassungsgesetzgeber 1920 die Weichen­stellung in Richtung einer durchwegs repräsentativdemokratischen Ausrichtung der Bundesverfassung vor, mit bloß dekorativer Anreicherung durch Instrumente der direkten Demokratie, wie es in der Literatur heißt. (Vizepräsidentin Mag. Kurz über­nimmt den Vorsitz.)

Auch die Bundesländer folgten dieser Grundorientierung. Auch in Vorarlberg wurde 1923 diese Landesverfassung 1919 beseitigt, und es wurde eine Anpassung an die Bundesverfassung vorgenommen, mit einer Reduktion und einer Abschwächung der Instrumente der direkten Demokratie. Neben Vorarlberg waren im Übrigen nur in Tirol und Salzburg in der Ersten Republik Instrumente der direkten Demokratie – und dort überall im üblichen Ausmaß, wie sie die Bundesverfassung auch gekannt hat – vorgesehen.

Erst ab den 1970er Jahren kam es zu einer Intensivierung der Diskussion, vor allem in den Ländern. Das hatte mehrere Folgen, aus meiner Sicht einerseits die gesellschafts­politische Entwicklung allgemein – Diskussion über mehr Partizipation – und zum anderen auch eine verfassungstheoretische Entwicklung. Es begann die Diskussion über die Landesverfassungsautonomie, und im Zuge dieser Diskussion entdeckten die Bundesländer auch den Bereich der inneren Demokratie und auch der Volksrechte quasi als attraktive Spielwiese der Verfassungspolitik und Verfassungsgestaltung.

Im Zuge dieser Entwicklung kam es flächendeckend zu einem Ausbau der direkten Demokratie in praktisch allen Bundesländern in Österreich auf Gemeinde- und Landesebene. Im internationalen Vergleich muss man sagen, dass hier eine durchaus beachtliche Palette an Instrumenten der direkten Demokratie geschaffen wurde. Sie sind wahrscheinlich weitgehend bekannt, seien aber dennoch hier kurz zusam­mengefasst. Was vorausgeschickt werden soll: Die Instrumente sind weitgehend unter­schiedlich gestaltet. Es gibt keinen einheitlichen Katalog, und es gibt Bundesländer, die sehr viel direkte Demokratie haben, und dann einzelne Länder, bei denen das doch wieder nicht der Fall ist. Es ist hier also der Spielraum in sehr heterogenem Maße wahrgenommen worden.

Das obligatorische Referendum kennen nur Salzburg und Vorarlberg, aber alle Bundesländer kennen das fakultative Referendum über Gesetze. Und von den neun Bundesländern kennen fünf auch die Möglichkeit, dass die Bürger selbst ein solches Vetoreferendum einleiten können. Die dafür erforderliche Unterstützung ist relativ niedrig, zwischen 1 Prozent und 5 Prozent der Stimmberechtigten sind notwendig, um so ein Referendum einzuleiten.

Es gibt das Instrument der Volksbefragung in sieben Bundesländern in Gesetzge­bungs­angelegenheiten, in acht Bundesländern in Vollziehungsangelegenheiten, und da können jeweils auch die Bürger diese Volksbefragung selbst einleiten.

Alle neun Bundesländer kennen den Gesetzesantrag durch das Volk in Form des Volksbegehrens, und in fünf Bundesländern gibt es ein solches Initiativrecht auch im Bereich der Landesvollziehung. Und wie Sie wissen, kennen die Landesverfassungen neben diesen traditionellen Instrumenten auch unterschiedliche andere Formen, wie etwa Bürgerbegutachtung – diese wurde heute schon erwähnt – oder Petitionsrechte, Informations- und Auskunftsrechte, Beschwerderechte oder etwa auch Kontrollrechte wie beispielsweise die Initiierung einer Prüfung durch den Rechnungshof.

Von den Typen der direkten Demokratie, die es auf Landesebene gibt, unterscheiden sich jene auf Gemeindeebene nur wenig. Was oft zu Verwirrung führt, ist, dass unterschiedliche Begriffe verwendet werden, etwa „Initiativrecht“ oder „Bürger­begeh­ren“ statt „Volksbegehren“, „Bürgerbefragung“ statt „Volksbefragung“. Zum Teil werden dann auch Begriffe falsch verwendet, dass etwa von einer „Volksabstimmung“ die Rede ist, wenn es sich eigentlich funktional nur um eine Volksbefragung handelt.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen der Länder- und der Gemeindeebene ist, dass es sich natürlich bei den Gemeindeangelegenheiten ausschließlich um Angelegen­heiten der Vollziehung handelt, weil es ja keine Gesetze auf Gemeindeebene gibt.

Sechs Bundesländer kennen auf Gemeindeebene das Instrument der Volksabstim­mung, wobei interessant ist, dass nur in zwei Fällen die Bürger selbst eine solche verlangen können. In der Steiermark wurde etwa dieses Recht erst 2005 abgeschafft – als eines von einigen Beispielen eines teilweisen Rückbaus von direkter Demokratie im letzten Jahrzehnt.

Alle Bundesländer kennen auf Gemeindeebene das Instrument der Volksbefragung, wobei in sieben Bundesländern auch die Bürger selbst eine solche initiieren können. In der Steiermark, in Vorarlberg – das erwähne ich, weil ich später noch einmal darauf zurückkommen werde – gibt es auch die Möglichkeit, dass ein Volksbegehren bei ausreichender Unterstützung automatisch in eine Volksabstimmung übergeht, wenn dem Volksbegehren vom Gemeinderat nicht Rechnung getragen wird; es handelt sich daher um ein echtes Initiativrecht der Bürger auf Gemeindeebene.

Ich möchte nun in weiterer Folge drei Problemfelder ansprechen, weil sie zum Teil kontrovers sind und weil sie in meinen Augen auch wichtig sind, wenn man über Reformen im Bereich der direkten Demokratie spricht. Zum einen ist dies die Frage der bundesverfassungsrechtlichen Grenzen der Ausgestaltung der direkten Demokratie auf Länder- und Gemeindeebene, zum anderen die Praxis in Ländern und Gemeinden und schließlich die Problematik der Dominanz der repräsentativen Organe auch im Bereich der direkten Demokratie.

Schon in den 1920er Jahren kam es zu Konflikten zwischen den Bundesländern und der Bundesregierung darüber, in welchem Ausmaß Instrumente der direkten Demokratie auf Länder- und Gemeindeebene verwirklicht werden dürfen, und später – im Zuge des schon angesprochenen Ausbaus in den 1970er und 1980er Jahren – kam es dann noch einmal zu derartigen Diskussionen, wobei insbesondere auch der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes da eine sehr enge Interpretation der Grenzen der Bundesverfassung vorgenommen hat.

Wie heute von Professor Öhlinger schon angesprochen, folgte der Verfassungs­gerichts­hof dieser engen Auslegung in seinem Erkenntnis im Jahr 2001 zur Vorarl­berger Referendumsinitiative und vertritt mit einer historisch-interpretativen Begrün­dung die Auffassung, dass das schon erwähnte repräsentativdemokratische parlamen­tarische Element der Bundesverfassung ein Grundelement der Verfassung sei und direktdemokratische Einschränkungen dieses Elements nur in engen Grenzen – eben dem Modell des Bundes folgend – möglich seien.

Wie schon erwähnt, sei ein Gesetzesbeschluss durch das Volk gegen eine Mehrheit des Parlaments nicht zulässig, und zwar auch dann nicht, wenn eine solche Möglichkeit etwa für die Länderebene durch die Bundesverfassung eigens eröffnet würde. Dafür bräuchte es eben eine Volksabstimmung, weil dies eine Gesamtänderung der Bundesverfassung sei. – Paradoxerweise braucht man eine Volksabstimmung, um eine Volksabstimmung zu ermöglichen.

Während durch dieses Erkenntnis vom Verfassungsgerichtshof für die Referendums­initiative als Gesetzesebene Klarheit geschaffen wurde, blieb allerdings offen, wie weit der Spielraum des Landesverfassungsgesetzgebers in anderen Bereichen geht. So blieb etwa offen, ob ein Vetoreferendum gegen Gesetze – also wenn man ein im Landtag beschlossenes Gesetz dann einem Vetoreferendum unterzieht – überhaupt zulässig ist oder ob schon das ein Overrulen der Parlamentsmehrheit durch das Volk ist, das den Grundprinzipien der Verfassung widerspricht.

Während diese Judikatur des Verfassungsgerichtshofes, Professor Öhlinger hat es auch schon erwähnt, auf Kritik – man kann sagen, der überwiegenden Lehre; nicht der ganzen Lehre, aber der überwiegenden Lehre – gestoßen ist, gibt es neuerdings vermehrt Stimmen, die dies auch auf die Gemeindeebene übertragen und sagen, dass auch auf Gemeindeebene die unmittelbare Entscheidung der Bürger unzulässig sei, wenn sie gegen die Mehrheit des Gemeinderates getroffen würde – und dies, obwohl es eine ausdrückliche Absicherung in Artikel 117 B-VG gibt und die Gemeinde überdies eben keinen Gesetzgebungsprozess, sondern nur Vollziehungsangelegen­heiten aufweist.

Die tatsächlichen bundesverfassungsrechtlichen Grenzen der Ausgestaltung der Instru­mente der direkten Demokratie auf Länder- und Gemeindeebene sind daher nach wie vor unklar. Interessant ist für mich auch, dass es bislang kaum politische Initiativen, insbesondere von Länderseite, gibt, eine Klarstellung dieses verfassungsrechtlichen Freiraums herbeizuführen – auffallenderweise auch nicht im Österreich-Konvent, der ja hier, in diesem Saal, getagt hat. Unter diesen Umständen muss die Verfassungs­rechtslage jedenfalls als Hemmschuh, eine Art Damoklesschwert der Fortentwicklung der direkten Demokratie in Österreich, angesehen werden.

Weitere Problemfelder der direkten Demokratie in Österreich ergeben eine empirische Betrachtung der bisherigen praktischen Erfahrungen.

Zum einen, und dies sei vorausgeschickt, ist die Datenlage äußerst spärlich. Bis vor Kurzem wurde kein Augenmerk auf die Praxis der direkten Demokratie auf Länder- und Gemeindeebene gelegt, und so fehlen bislang verlässliche Daten. Für die Länder­ebene hat sich das etwas gebessert, für die Gemeindeebene ist es noch immer äußerst schwierig. Überraschenderweise gibt es da allerdings keinen Unterschied zur Schweiz.

Man denkt, dort muss das alles schon gesammelt sein, aber dort wurde fast noch weniger gesammelt, kann man sagen, weil gerade auf lokaler Ebene so viele Referen­den stattfinden, dass sich bislang niemand imstande gesehen hat, da Klarheit zu schaffen oder dieses Problem anzugehen. Ich versuche jetzt seit drei Jahren, für die Gemeindeebene in Österreich eine Datenbank aufzubauen, und habe in mehreren Wellen schon alle mehr als 2 300 Gemeinden in Österreich mehrfach kontaktiert, habe bis jetzt eine Rücklaufquote von ungefähr drei Viertel, und ich bin bislang auf ungefähr 700 Referenden gestoßen.

Für die Vergangenheit wird es vielleicht nie eine vollständige Erfassung geben – das hängt auch damit zusammen, dass es durch Personalwechsel in kleinen Gemeinden fast unmöglich ist, diesbezüglich zu Informationen zu kommen –, aber es ist jedenfalls ein äußerst interessantes Unterfangen, und ich hoffe auch, dass ich in den nächsten Monaten hier einige Forschungsergebnisse vorlegen kann. Bislang, wie gesagt, fehlt die Information, welche Verfahren es gegeben hat, überhaupt wer sie eingeleitet hat, welche Themen das waren und etwa, welche Wirkungen es gegeben hat. Da gibt es eine große Zahl an Forschungsdesiderata.

Für die Länderebene, wo, wie gesagt, die Daten nun etwas besser vorhanden sind, zeigt sich interessanterweise, dass etwa das Instrument der Volksbefragung das am häufigsten genutzte Instrument ist – also nicht wie auf Bundesebene jenes des Volks­begehrens, sondern die Volksbefragung. So fanden von 1945 bis 2010 16 derar­tige Volksbefragungen auf Landesebene statt und nur vier Volkabstimmungen und zehn Volksbegehren. Wie gesagt, für die Gemeindeebene habe ich bislang etwa 700 Refe­ren­den gefunden; auch dort überwiegt das Instrument der Volksbefragung.

Wenn man diese Zahlen mit den rechtlichen Möglichkeiten vergleicht – ich habe schon gesagt, dass es eigentlich eine sehr große Palette an Instrumenten der direkten Demo­kratie auf Länder- und Gemeindeebene gibt –, dann muss man konstatieren, dass die Praxis wohl den rechtlichen Möglichkeiten hinterherhinkt. Und wenn man sich auch die Hürden und Schwellen anschaut – da kann man immer darüber diskutieren, dass man sie noch weiter senken kann –, dann muss man im internationalen Vergleich schon auch­ sagen, dass diese auf Länder- und Gemeindeebene in Österreich nicht über­mäßig hoch sind. Also es wird wohl nicht primär daran liegen, daher muss es wohl andere Gründe geben. Das könnte einerseits auf Bundesländerebene vielleicht mit der Kompetenzlage zusammenhängen – weniger gesellschaftspolitisch brisante Themen­felder –, aber andererseits gibt es, denke ich, wohl auch einen soziologischen, psycho­logischen Faktor.

Wir haben in Österreich nach wie vor eine Art Kultur des Etatismus: Wir rufen nach „dem Staat und der Politik“ – unter Anführungszeichen –, die Probleme lösen sollen, und zwar haben beide Seiten, Politiker und Bürger, diese Einstellung, und zivilgesell­schaftliches Engagement ist in Österreich wohl nach wie vor unterentwickelt. Dies wirkt sich in meinen Augen auch auf die Praxis der direkten Demokratie aus.

Ein letztes Problemfeld, und das knüpft daran an: Wie schon gesagt, hat der Bun­desverfassungsgesetzgeber 1920 eine Weichenstellung getroffen in Richtung reprä­sen­tativdemokratische Ausrichtung des politischen Systems in Österreich, und diese Ausrichtung stülpt er auch über die Instrumente der direkten Demokratie. Sie wurden nicht als wirksame Kontrollinstrumente der Bürger ausgestaltet, sondern im Wesent­lichen ebenso in die Hände der jeweiligen Parlamentsmehrheit und damit in die Hände der jeweils herrschenden regierenden Parteien gelegt. Eben nur eine Mehrheit im Parlament kann Volksbefragungen und Volksabstimmungen auf Bundesebene anord­nen. Volksbegehren ähneln funktional im Wesentlichen bloßen Petitionen.

Auch die Länder folgten grundsätzlich dieser Ausrichtung: Auch wenn im Zuge des schon angesprochenen Ausbaus in den 1970er und 1980er Jahren die Möglichkeiten der Bürger verstärkt wurden, sind die Rechte der repräsentativen Organe nach wie vor stärker. Also Landtage, Landesregierungen und Gemeinderäte oder auch direkt gewählte Bürgermeister haben mehr Möglichkeiten, Instrumente der direkten Demo­kratie einzuleiten, als die Bürger selbst. Die Umsetzung der Ergebnisse direkt­demo­kratischer Instrumente hängt, wie dargestellt, ohnedies bis auf ganz wenige Ausnah­men vom Wohlwollen der jeweiligen Repräsentativorgane ab.

Auch in der Praxis werden Volksabstimmung und Volksbefragung, soweit bislang untersucht, auf Länder- und Gemeindeebene zum überwiegenden Teil von den Repräsentativorgangen eingeleitet. Gerade im Falle der Volksbefragung, wo, wie ich schon ausgeführt habe, ja die Bürger rechtlich durchaus viele Möglichkeiten von Initiativrechten in den Ländern hätten, wird dieses Instrument in der Praxis von den Repräsentativorgangen eingeleitet, und damit, und das zeigen vor allem auch jüngere Beispiele, muss man in diesem Zusammenhang konstatieren, dass der Zweck und das Ziel dieser Instrumente oft nicht funktional erscheinen.

Diese Instrumente werden von den Repräsentanten viel zu selten im Sinne echter Partizipation im politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess eingesetzt, sondern vielmehr zur Legitimation von auf repräsentativer Ebene bereits getroffenen Entscheidungen oder zur Mobilisierung von Parteien im Hinblick auf bevorstehende Wahlen.

Einer derartigen Anwendung und Ausformung von direkter Demokratie muss wohl letztlich eine Fehlfunktion attestiert werden, wenn man nicht gar von Missbrauch sprechen will. Instrumente der direkten Demokratie werden derart zu zusätzlichen Instru­menten der Machtausübung der Herrschenden, und nicht zu Korrektivinstrumen­ten der Bürger.

Damit komme ich zum Schluss: Diese Problemfälle sollte man auch bei den Reform­überlegungen beachten. Man sollte die Instrumente der direkten Demokratie mehr zu tatsächlichen Instrumenten der Bürger als der Repräsentativorgane machen – immer im Zusammenspiel mit den Repräsentativorganen, um auch auf die Grenzen der direkten Demokratie Rücksicht nehmen zu können; aber man sollte die Initiierung viel, viel stärker in die Hände der Bürger legen, um ihnen damit auch klarzumachen, dass Politik keine Sache der Politiker ist, sondern Politik, wie es im Wortstamm ja auch heißt, die Sache der Bürger ist.

Die Instrumente der direkten Demokratie könnten da, wenn man sie richtig einsetzt, wohl durchaus ein guter Weg sein, um dieses Bewusstsein zu schärfen. – Vielen Dank. (Beifall.)

11.51

 


Vorsitzende Vizepräsidentin Mag. Susanne Kurz|: Danke, Herr Professor Dr. Poier, für Ihren Beitrag.

Wir kommen jetzt zum letzten Referat dieses Moduls. Im Anschluss an dieses Referat wird die erste Diskussionsrunde stattfinden, zu der sich fünf RednerInnen gemeldet haben.

Der Titel des nächsten Referats lautet: „Praxiserfahrungen zu den Volksbefragungen in Wien“, und darüber wird Frau Obersenatsrätin Dr. Christine Bachofner sprechen. Sie leitet seit 2002 die für Wahlen und verschiedene Rechtsangelegenheiten zuständige Magistratsabteilung 62. Zuvor war sie stellvertretende Leiterin des Verfassungs­dienstes in der Magistratsdirektion.

Bitte, Frau Dr. Bachofner.

„Praxiserfahrungen zu den Volksbefragungen in Wien“

 


11.52.07

Referentin Obersenatsrätin Dr. Christine Bachofner (Magistrat Wien)|: Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin des Bundesrates! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete zum Nationalrat und Mitglieder des Bundesrates! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Stadt Wien pflegt auf Gemeindeebene bereits seit langer Zeit eine Tradition der direkten Demokratie als ergänzendes Modell zur repräsentativen Demokratie.

Das Instrument der Volksbefragung ist in Wien seit 40 Jahren ein zentrales Element. Die Rechtsgrundlage für Volksbefragungen beruht in Wien auf den §§ 112a bis 112d der Wiener Stadtverfassung und auf dem Wiener Volksbefragungsgesetz vom 13. Dezember 1979 in der Fassung vom 30. Juni 2010, das die Rahmenbedingungen und Regeln für Volksbefragungen festlegt. Die Volksbefragungen in Wien können sich entweder auf ganz Wien oder auf einzelne Teile des Stadtgebietes beziehen.

Das Instrument der Volksbefragung kam in Wien bislang achtmal zum Einsatz. Es wurde dann angewendet, wenn es in der Bevölkerung zu engagierten Diskussionen mit vielfältigsten Argumenten und vielen Pros und Contras kam oder wenn sich bei offenen Fragen innerhalb der Stadtregierung keine eindeutige Mehrheitsmeinung für eine Lösung ergab und daher die Bevölkerung befragt werden musste. Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Bestimmungen nach der Wiener Stadtverfassung ist eine Volksbefragung vor allem ein unterstützendes Instrument zur Meinungsbildung und ein Ausdruck der gelebten Demokratie.

Ich zähle nun nicht alle Volksbefragungen auf, die es in Wien schon gab, sondern führe exemplarisch die bekanntesten beziehungsweise aktuellsten Wiener Befragungen an.

Im Jahr 1973:die Sternwartepark-Befragung. Bei einer Beteiligung von rund einem Drittel der Abstimmungsberechtigten sprachen sich 57,4 Prozent gegen die Verbauung des Sternwarteparks aus. Diese erste Wiener Volksbefragung nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte unmittelbar auf der Grundlage der Wiener Stadtverfassung und war Anlass für die Schaffung des Wiener Volksbefragungsgesetzes.

Im Jahr 1991: die EXPO-Befragung. Das EXPO-Projekt Wien-Budapest wurde mit rund 65-prozentiger Mehrheit von den Wienerinnen und Wienern abgelehnt. Die gleichzeitig zur Frage gestellte Errichtung des Wasserkraftwerkes Freudenau – die Staustufe Wien – wurde mit 72,64 Prozent angenommen.

Im Jahre 2010 wurden unter dem Titel „Wien will’s wissen“ folgende Themen im Rahmen einer Volksbefragung abgefragt: ob Wien eine Möglichkeit schaffen soll, neue Hausbesorgerinnen und Hausbesorger einzustellen – 84 Prozent der Wiener und Wienerinnen sagten Ja –, ob es ein flächendeckendes Angebot an Ganztagsschulen in Wien geben soll – 77 Prozent der Wienerinnen und Wiener stimmten mit Ja –, ob es zur Einführung der Citymaut kommen soll – eine Mehrheit von 77 Prozent sprach sich gegen die Citymaut aus –, ob es zur Einführung der Nacht-U-Bahn kommen soll – 55 Prozent stimmten mit Ja – und ob es zur Einführung eines verpflichtenden Kampfhundeführscheins kommen soll – 89 Prozent stimmten für diesen Vorschlag.

Die Beteiligung an der Volksbefragung im Jahr 2010 lag im Endeffekt bei 35,9 Pro­zent. – Auf die Umsetzung dieses damaligen Befragungsergebnisses gehe ich zu einem späteren Zeitpunkt ein.

Die aktuellste Wiener Volksbefragung vom 7. bis 9. März 2013 fand ebenfalls unter dem Titel „Wien will’s wissen“ statt. Folgende Themen wurden zur Diskussion und zur Abstimmung gestellt:

Wie soll die Parkplatzsituation und Lebensqualität für BezirksbewohnerInnen verbes­sert werden? – Variante A: durch Parkraumregelungen für jeden Bezirk, oder Va­riante B: einzelne Bezirkslösungen. – 63,48 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilneh­mer entschied sich für Variante B.

Soll sich die Stadt um die Austragung der Olympischen Sommerspiele 2028 bemühen? – 72 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren dagegen.

Sollen die kommunalen Betriebe der Stadt Wien vor einer Privatisierung geschützt werden? – 87,17 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sagten Ja.

Sollen nach dem Vorbild der BürgerInnen-Solarkraftwerke weitere Projekte im Bereich erneuerbare Energie realisiert werden? – 67,06 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sagten Ja.

An der letzten Wiener Volksbefragung vom 7. bis 9. März dieses Jahres nahmen 38,7 Prozent der Stimmberechtigten teil. Damit haben um 2,8 Prozent mehr Bürgerinnen und Bürger teilgenommen, als dies bei der Volksbefragung im Jahr 2010 der Fall war.

Ich konzentriere mich in weiterer Folge auf die beiden aktuellsten Volksbefragungen, nämlich jene aus den Jahren 2010 und 2013.

Bei diesen beiden letzten Volksbefragungen konnten rund 1,15 Millionen Wienerinnen und Wiener zu Themen, die das Leben und die Zukunft Wiens bestimmen, ihre Meinung abgeben. Die Fragestellungen wurden dabei von den beiden Regierungs­parteien durch einen Mehrheitsbeschluss im Wiener Gemeinderat festgelegt. Alle Wienerinnen und Wiener, die am Stichtag der Volksbefragung die österreichische Staatsbürgerschaft besaßen und ihren Hauptwohnsitz in Wien hatten sowie am letzten Tag der Befragung das 16. Lebensjahr vollendet hatten, durften an der Volksbefragung teilnehmen.

Rund zwei Wochen vor der Befragung wurden die Unterlagen – nämlich die persön­liche Stimmkarte, der Stimmzettel, ein Informationsblatt und ein kleines anonymes Innenkuvert – mit der Post an alle Stimmberechtigten, basierend auf der Wähler­evidenz, an den Hauptwohnsitz gesendet. Die Zusendung musste nicht beantragt werden und erfolgte, anders als bei der letzten bundesweiten Volksbefra­gung vom 20. Jänner dieses Jahres, automatisch.

Die Befragungen dauerten jeweils drei Tage, wobei den Bürgerinnen und Bürgern verschiedene Möglichkeiten der Stimmabgabe geboten wurden. Eine Möglichkeit der Stimmabgabe war direkt in den Annahmestellen. Diese Möglichkeit war vor allem für ältere Personen, die es jahrzehntelang gewohnt waren und sind, mit einer Wahlzelle, einer Urne und vor einer Sprengelwahlbehörde, einer Kommission, abzustimmen, von großer Wichtigkeit. Zusätzlich zu den üblichen Wahllokalen in Schulen oder in Heimen gab es auch Annahmestellen an stark besuchten Orten wie zum Beispiel Einkaufs­zentren.

Insbesondere bei den letzten beiden Befragungen der Jahre 2010 und 2013 hat sich gezeigt, dass der überwiegende Teil der stimmberechtigten Bürgerinnen und Bürger den Komfort einer Briefabstimmung bevorzugt. Aus diesem Grund wurde auch die Anzahl der Annahmestellen im Jahr 2013 gegenüber dem Jahr 2010 reduziert.

Als eine Möglichkeit der Stimmabgabe wurde auch die sogenannte fliegende Kom­mission beibehalten. Wer aus gesundheitlichen Gründen, aufgrund des Alters oder mangelnder Mobilität nicht persönlich eine Annahmestelle aufsuchen konnte und auch nicht per Brief abstimmen wollte, konnte – genauso wie auch bei allen Wahlen in Wien – beim zuständigen Magistratischen Bezirksamt den Besuch einer mobilen Annahmestelle an der von ihm gewünschten Adresse beantragen.

Der Hauptkanal war auch bei der Volksbefragung im Jahr 2013 die Briefwahl. Die Zusendung der Unterlagen – der Stimmzettel, der Stimmkarten – an die Bürgerinnen und Bürger erfolgt in Wien bereits seit 1973, also von Anfang an ohne vorherigen Antrag von Amts wegen mit der Post.

Seit der Einführung der Briefwahl auf Bundesebene wurde diese Form der Stimm­abgabe auch bei den direktdemokratischen Elementen der Stadt Wien nachgezogen, das heißt, seit 2010 können die Stimmzettel von den Stimmberechtigten auch per Post retourniert werden. Das ist eine enorm niederschwellige Form der Teilnahme an direktdemokratischen Instrumenten.

Nach Erhalt der Unterlagen für eine Volksbefragung kann man sofort per Brief abstim­men und die Stimmkarte portofrei per Post an die Wahlbehörde zurücksenden. Bei der Volksbefragung im Jahr 2010 haben 93 Prozent der teilnehmenden Personen per Brief abgestimmt, 2013 waren es schon 97,7 Prozent. Das ist eine der zentralsten prak­tischen Erfahrungen aus den letzten beiden Volksbefragungen: dass die Bürgerinnen und Bürger diese Form der Abstimmung sehr gut annehmen.

Ein entscheidender Punkt bei den Volksbefragungen war und ist vor allem die einge­hende und umfassende Information der Bürgerinnen und Bürger, und zwar erstens die rechtliche und organisatorische Information sowie zweitens die inhaltliche Information zu den Fragen.

Zum ersten Punkt habe ich schon erwähnt, dass zirka zwei Wochen vor der Befragung sämtliche Unterlagen – also die Stimmkarte, der Stimmzettel, ein Informationsblatt und ein anonymes Innenkuvert für die Stimmkarte – an alle Stimmberechtigten übermittelt wurde.

Was den zweiten Punkt, die inhaltlichen Informationen betrifft, sollte die Wiener Bevöl­kerung die Möglichkeit haben, die Fragen zu diskutieren, alle Für und Wider kennenzulernen, abzuwägen und eine Entscheidung zu treffen. Es war und ist wichtig, dass die Wiener und Wienerinnen ausreichend und ausgewogen mit inhaltlichen Informationen versorgt werden, und es war und ist die Pflicht der Stadt, diese inhaltlichen Informationen anzubieten und dies nicht an die Parteien oder an die Medien zu delegieren.

Es wurden verschiedenste Kanäle genutzt, um dieser Informationspflicht zu ent­sprechen. Es gab eine 32-seitige Sonderausgabe der Haushaltszeitung „wien.at“, die allen stimmberechtigten Bürgerinnen und Bürgern ins Haus gesendet wurde und Pro- und Contra-Informationen und auch Pro- und Contra-Bürgermeinungen zu allen vier Fragen enthielt.

Im Internet gab es die Informationsplattform „www.wahlen.wien.at“ und unter „www.wienwillswissen.at“ eine Diskussionsplattform mit Expertinnen und Experten. Es gab außerdem ein Video zum Handling der Briefstimmkarte, da wir leider aus Erfahrungen bei Wahlen wissen, dass es aufgrund von formalen Mängeln beim Handling der Stimmkarte manchmal immer noch zu einer Nichteinbeziehung der Stim­me kommt. Wir haben – wie schon bei den letzten Wahlen – versucht, das mit Videos in den Griff zu bekommen und Fehler hintanzuhalten. Es gab Kinospots, Radiospots, Plakate, Citylights, Rolling Boards, Inserate, und es wurden soziale Medien wie Facebook genutzt.

Das Informationsangebot, das ich jetzt aufgezählt habe, wurde von den Stimmberech­tig­ten gerne angenommen. Die Diskussionsplattform im Internet „www.wienwillswissen.at“ war sowohl 2010 als auch 2013 ein zentraler Bestandteil der Informations-, Interaktions- und Kommunikationsstrategie. Sinn der Diskussionsplattform war es, über die Diskussion für Information zu sorgen und den Menschen dabei zu helfen, sich eine Meinung zu bilden.

Es wurden für die Diskussionsplattform im Internet auch Gastkommentatoren eingeladen, die zu den einzelnen Fragestellungen mit den Bürgerinnen und Bürgern diskutierten und Pro- und Contra-Meinungen abgaben. Unter den Gastkommentatoren fanden sich unter anderem der Unternehmer und Blogger Helge Fahrnberger, der Sportjournalist Michael Fiala, der Kommunikationsberater Patrick Minar sowie weitere Unternehmerinnen und Unternehmer mit Pro- und Contra-Meinungen. Bei der Auswahl der Gastkommentatorinnen und -kommentatoren wurde bewusst darauf geachtet, dass diese nicht aus der Wiener Stadtverwaltung selbst kommen.

Mehrere 10 000 Zugriffe von Unique Clients, also technisch eindeutig identifizierbaren, den Zugang ermöglichenden Geräten wie PCs, Laptops oder Smartphones, wurden sowohl bei der heurigen als auch bei der Volksbefragung 2010 auf der Plattform verzeichnet. Mehr als 1 000 Benutzerinnen und Benutzer registrierten sich auf der Plattform, davon der Großteil über den Facebook-Account.

Im Jahr 2010 deklarierten sich noch rund 800 Personen als Fan der Facebook-Seite, 2013 lag dieser Wert bereits bei über 4 700. Insbesondere bei der heurigen Befragung zeigte sich, dass die Menschen im Internet vor allem dort diskutieren, wo sie es gewohnt sind – in diesem Fall in den sozialen Medien wie Facebook. Das Angebot eigens eingerichteter Diskussionsplattformen wurde zwar genutzt, aber nicht so intensiv wie die Facebook-Seite.

Eine wesentliche Grundbotschaft im Zuge der Information rund um die Volksbefragung war es, die Menschen zu motivieren, von ihrem Teilnahmerecht Gebrauch zu machen. Demokratiepolitisch ist es wünschenswert, wenn sich alle 1,15 Millionen stimm­berechtigten Wienerinnen und Wiener, gerade auch junge Menschen, verstärkt für die Stadtpolitik interessieren und eine Möglichkeit bekommen, diese auch mitzugestalten. Das Interesse an den Befragungen in den letzten 40 Jahren war aber natürlich unterschiedlich hoch.

Was war die Konsequenz der letzten beiden Volksbefragungen? Nach der Wiener Stadtverfassung haben aus rechtlicher Sicht Volksbefragungen in Wien keinen verbindlichen Charakter. Die Stadtregierung hat aber in beiden Fällen bereits vor der Durchführung der Volksbefragungen betont, dass das Ergebnis und damit das Votum der Wienerinnen und Wiener anerkannt und umgesetzt werden wird.

Im Falle des Bürgervotums 2010 lässt sich darstellen, dass alle Ergebnisse bereits umgesetzt wurden:

84 Prozent wollten eine Wiedereinführung der Hausbesorgerinnen und Hausbesorger. Mittlerweile sind 169 Wiener Hausbetreuerinnen und Hausbetreuer in den Ge­meindebauten beschäftigt. Damit ist es der Stadt in den letzten beiden Jahren gelun­gen, 1 616 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für diese Aufgabe zu gewinnen. So konnten die 144 Hausbesorgerinnen und Hausbesorger, die in den letzten beiden Jahren in Pension gegangen sind, deutlich kompensiert werden.

77 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer stimmten im Jahr 2010 für einen flächendeckenden Ausbau der Ganztagsschulen in Wien. Seitdem sind in Wien 13 neue Standorte dazugekommen, womit es nun stadtweit insgesamt 43 Ganz­tagsschulen gibt, davon 36 Volksschulen, vier Hauptschulen und drei AHS.

Mit Beginn des Schuljahres 2013/2014 sollen weitere fünf Volksschulen dazukommen. Das Ziel, bis 2017 mindestens einen Standort pro Bezirk vorweisen zu können, ist noch nicht erreicht. In den kommenden Jahren kommen aber weitere 11 ganztägige Campus-Standorte, wo Kindergarten und Schule unter einem Dach untergebracht sind, hinzu, womit der Großteil geschafft wäre.

Im Jahr 2010 wurde bei der damaligen Volksbefragung von 89 Prozent der Teilneh­merinnen und Teilnehmer der Hundeführschein gefordert. Dieser wurde im Juli 2010 eingeführt. Bei insgesamt 13 Hunderassen ist diese Berechtigung Pflicht. Inzwischen haben 4 818 Hundebesitzerinnen und -besitzer die dafür notwendige Prüfung absol­viert. Ende 2013 soll der Hundeführschein evaluiert werden.

Bei der Volksbefragung 2010 stimmten 55 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilneh­mer bei der Frage nach einer Nacht-U-Bahn mit Ja. Seit Anfang 2010 werden daher an Wochenenden und vor Feiertagen die U-Bahn-Züge rund um die Uhr eingesetzt. Die Anzahl der Fahrgäste hat sich bei rund 45 000 pro Nacht eingependelt.

Betreffend die Volksbefragung vom 7. bis 9. März 2013 wurden in der Sitzung des Wiener Gemeinderates am 4. April 2013 seitens der Stadtregierung folgende Umset­zungsschritte für die einzelnen Fragen vorgestellt:

Im Bereich der Parkraumregelungen soll die Expertenkommission, die bereits Ende 2012 grundsätzliche Empfehlungen für die Weiterentwicklung der Parkraum­bewirtschaftung abgegeben hat, basierend auf dem Ergebnis der Volksbefragung an der Neuregelung des ruhenden Verkehrs in Wien weiterarbeiten. Erste Ergebnisse sollen im Sommer 2013 von dieser Kommission präsentiert werden.

Bemühungen um eine Olympiabewerbung der Stadt Wien hat die Bevölkerung mehr­heitlich abgelehnt. Die Stadt Wien wird trotzdem beziehungsweise selbstverständlich auch in den kommenden Jahren in Sportstätten investieren und den Breiten- und Spitzensport fördern. Es sind ein neues Leichtathletikzentrum und ein neues Schwimmsportzentrum geplant.

Eindeutig fiel auch das Ergebnis zu der Frage aus, ob die kommunalen Dienst­leistungen der Stadt Wien geschützt werden sollen. 87,17 Prozent der teilnehmenden Bürgerinnen und Bürger beantworteten diese Frage mit Ja. In der letzten Gemeinde­ratssitzung vom 4. April 2013 wurde mittels eines Resolutionsantrages des Wiener Gemeinderates der Bundesgesetzgeber ersucht, die Verantwortlichkeit von Bund, Ländern und Gemeinden für die Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge in der Bundesverfassung zu verankern, sodass die von Gebietskörperschaften eingeführten und erbrachten Leistungen der Daseinsvorsorge auch in Zukunft aufrechterhalten und gewährleistet werden können.

Zur Verankerung der Daseinsvorsorge als Staatszielbestimmung in der Bundes­verfassung wurde im Resolutionsantrag auf den Textvorschlag aus dem Ausschuss 1 des Österreich-Konvents verwiesen. Darüber hinaus wurde der Bundesgesetzgeber ersucht, alle Möglichkeiten zum Schutz der kommunalen Grundversorgung, die durch die EU-Verträge möglich sind, umfassend zu nutzen. Unter Berücksichtigung der Volksbefragung sprach sich der Wiener Gemeinderat dafür aus, dass Gebietskörper­schaften Leistungen der Daseinsvorsorge auch weiterhin nach den Kriterien der Ver­sorgungssicherheit, sozialen Erreichbarkeit, Gesundheitsschutz und Nachhaltigkeit selbst erfüllen dürfen und auch bei Ausgliederungen der öffentliche Auftrag gewähr­leistet bleiben sollte.

Eine Mehrheit der Wienerinnen und Wiener unterstützte die Frage, ob die Stadt nach dem Beispiel der BürgerInnen-Solarkraftwerke weitere Projekte im Bereich erneuer­bare Energie entwickeln soll. Damit ist der weitere Ausbau der BürgerInnen-Solar­kraftwerke fix. Für weitere Alternativenergie-Projekte wurde von den zuständigen Stellen der Stadtverwaltung bereits eine Expertise über internationale Vorbildmodelle in Auftrag gegeben. Bis Mitte des Jahres soll feststehen, was in Wien realisiert werden soll.

Erst kürzlich wurden zwei neue BürgerInnen-Solarkraftwerke in Liesing und Simmering eröffnet. Vier weitere Standorte sind aktuell in Planung. Wien Energie errichtet die schlüsselfertigen Photovoltaikanlagen und betreibt diese. Die Bürgerinnen und Bürger können ganze oder auch halbe Paneele zu einem Preis von 950 € beziehungsweise 475 € erwerben. Wien Energie mietet die im Eigentum der Bürgerinnen und Bürger stehenden Paneele und bezahlt dafür eine Miete, die einer fixen jährlichen Vergütung des jeweiligen Investments in Höhe von 3,1 Prozent entspricht.

Die Eigentümerinnen und Eigentümer haben jederzeit die Möglichkeit, das Paneel für den vollen Kaufpreis an Wien Energie zurückzugeben. Auch nach Ende der Laufzeit der Anlage wird die ursprüngliche Investition von Wien Energie an die Beteiligten zurückerstattet.

Insgesamt kann ich insbesondere auf Basis der letzten beiden Volksbefragungen in Wien sagen, dass unsere Erfahrungen in Wien gezeigt haben, dass das Angebot von den Bürgerinnen und Bürgern, sich demokratiepolitisch zu engagieren und sich mit ihrer Meinung im Rahmen von Befragungen stadtpolitisch einzubringen, gut angenom­men wird – ein Faktum, das sich auch an den beiden respektablen Beteiligungs­ergeb­nissen der Jahre 2010 und 2013 ablesen lässt. Vielen Dank für Ihre Aufmerk­samkeit. (Beifall.)

12.15

 


Vorsitzende Vizepräsidentin Mag. Susanne Kurz|: Danke, Frau Dr. Bachofner, für diesen umfassenden Überblick, den Sie uns über die Geschichte und auch die Ergebnisse der Volksbefragungen in Wien gegeben haben.

Ich bin überzeugt davon, dass gerade die Information der Bürgerinnen und Bürger unter Einbezug der sozialen Medien in Zukunft bespielgebend für alle Formen der Bürgerbeteiligungen sein kann.

12.15.01Diskussion

 


Vorsitzende Vizepräsidentin Mag. Susanne Kurz|: Wir kommen nun zur ersten Diskussionsrunde.

Ich ersuche alle Rednerinnen und Redner, die Redezeit von 3 Minuten möglichst einzu­halten.

Zu Wort gelangt Herr Fraktionsvorsitzender Kneifel. – Bitte.

 


12.16.29

Bundesrat Gottfried Kneifel (ÖVP, Oberösterreich)|: Frau Präsidentin! Geschätzte Referentinnen und Referenten der heutigen Veranstaltung im Bundesrat! Sehr geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Diese Enquete könnte meiner Meinung nach terminlich nicht besser platziert sein. Warum? – Ich bin gestern mit dem Zug von meiner Heimatstadt Enns nach Wien gefahren, weil ich noch einige Besuchergruppen im Parlament zu betreuen hatte. Dabei bin ich zufällig zu einer Veranstaltung am Wiener Westbahnhof gelangt, im Rahmen derer der ersten Transporte von Gefangenen in das KZ Dachau vor 75 Jahren gedacht wurde. Das war eine sehr beeindruckende Veranstaltung. Heute sind wir zu einer Veranstaltung zum Thema Demokratieentwicklung zusammengekommen. Meiner Meinung nach hat beides einen sehr engen Zusammenhang, weil der Niedergang und der Verlust der Demokratie zu diesen Ereignissen vor 75 Jahren geführt hat.

Deshalb, glaube ich, ist es aktueller denn je, richtige Antworten zu geben und sich permanent damit auseinanderzusetzen, wie wir den demokratischen Prozess ver­feinern, verbessern und für den Bürger interessanter machen können. Deshalb be-danke ich mich auch beim Präsidenten des Bundesrates dafür, dass er dieses Thema ausgewählt hat, bei Professor Bußjäger, der ihn dabei unterstützt hat, ebenso wie bei den Referenten.

Ich glaube, dass die Analysen zu den Möglichkeiten der demokratischen Inan­spruchnahme, der Bürgerbeteiligung, der Partizipation, wie wir hier im Haus immer sagen – draußen verstehen das die Leute weniger –, richtig sind, aber dass wir daran arbeiten müssen, diese weiterzuentwickeln.

Ich bedanke mich auch für die Beiträge aus Vorarlberg. Die sind quasi die Überleitung, auf dass die direkte Demokratie in der Schweiz ansteckend auf jene in Österreich wirken möge. Sie sind Mutmacher. Alleine die Tatsache, dass die Bundesländer bei der Bereitstellung mehrerer demokratischer Teilnahmemöglichkeiten in diesem demo-kratischen Mitbestimmungsprozess voraus sind, wie die Analyse gezeigt hat, und alleine dass wir die Möglichkeit haben, in diesen kleinen Einheiten der Regionen diese Rechte wahrzunehmen und eigenständig auszubauen, rechtfertigt das föderalistische System in dieser Republik!

Die Demokratie in Österreich braucht neue Impulse, da sind wir uns ja alle einig. In der Analyse sind wir uns ja oft einig, aber was die Therapie betrifft, gehen die Meinungen meistens auseinander. Ich glaube aber, dass die Schritte, die die Bundesregierung jetzt gemeinsam setzen will, wirkliche erste Schritte sind. Das ist nicht das Gelbe vom Ei, sondern das ist ein Weg in die richtige Richtung, wie man mehr Bürgerinnen und Bürger in den Prozess einbinden kann.

Jetzt ist die Frage: Wie können wir das noch verbessern? Wie können wir das verfeinern? – Ich glaube, es geht immer darum, ob ein Bürger oder eine Bürgerin merkt, dass man einen persönlichen Nutzen hat, und sich fragt, ob es einen Sinn hat, wenn man sich beteiligt, und ob man etwas damit bewegen kann. Das, glaube ich, sollte uns auch begleiten bei den Maßnahmen, was das Wie betrifft.

Ich halte diese Ansätze, die in Vorarlberg praktiziert werden, für sehr gut. Ich kenne sie auch aus dem Bürgerbeirat. In Oberösterreich haben wir im Rahmen der Dorfent­wicklung bereits mehr als 50 solcher Prozesse durchgeführt. Da kann man Bürger zu einem gemeinsamen Projekt zusammenführen. Da wissen sie wirklich, warum sie ihre Zeit in Fragen der Demokratie investieren.

Ich glaube, wir sollten noch mehr Aspekte einbringen, was die europäische Mit­bestimmung betrifft. Europa ist ein Thema, das wir nicht draußen lassen dürfen; Stichwort Subsidiarität und Verhältnismäßigkeitsprüfung. Das machen Sie einmal einem Bürger klar! Subsidiarität – das klarzumachen ist nicht einfach, aber es ist der Zugang zu mehr Mitbestimmung.

Als Bundesrat habe ich überhaupt keine Angst vor mehr Mitbestimmung. Das entlastet mich meiner Meinung nach sogar in der Verantwortung, weil wir die Prozesse miteinander gestalten, die Verantwortung auf mehreren Schultern getragen und damit das Risiko einer schlechten Entscheidung in diesem Hause auch vermindert wird. Das soll uns auch immer klar sein. Das ist eine Chance, auch für uns Bundesräte, und ich glaube, wir brauchen das nicht zu fürchten.

Es geht um die besten Ideen für dieses Land. Die besten Ideen sind gerade gut genug, egal, von wem sie kommen. – Herzlichen Dank. (Beifall.)

12.22

 


Vorsitzende Vizepräsidentin Mag. Susanne Kurz|: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. Taucher. – Bitte.

 


12.22.08

Bundesrat Mag. Josef Taucher (SPÖ, Wien)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist mir eine besondere Ehre, in diesem Haus zu diesem Thema sprechen zu dürfen, denn ich glaube, Bürgerbeteiligung, direkte Demo­kratie, Partizipation, das wird ja alles immer in einen Topf geworfen, so als wäre das alles das Gleiche. Dem ist nicht so.

Ich glaube, wir müssen da sehr, sehr differenziert vorgehen und darauf achten, ob wir von Möglichkeiten der direkten Demokratie sprechen, die verfassungsmäßig verankert sind, wie Volksbefragungen, Volksabstimmungen, Volksbegehren, oder von Themen wie freiwilliges Engagement in irgendwelchen Vereinen, wo sich BürgerInnen betei­ligen – diese Bürgergesellschaft, das kommt sehr stark aus Deutschland, das ist wieder etwas ganz anderes –, oder auch von Möglichkeiten, wo von der Politik Frei­räume geschaffen werden, damit sich Menschen mit ihren Ideen einbringen können. Da ist Österreich, wie ich meine, durchaus nicht hintennach.

Wir wissen, dass es seit Rio weltweit etwas mehr als 7 000 Lokale-Agenda-21-Pro­zesse gibt, in deren Rahmen sich BürgerInnen im demokratischen Sinne basisorientiert vor Ort an einer nachhaltigen Entwicklung ihrer Region, ihrer Kommune beteiligen. In Europa gibt es rund 5 600 derartige Prozesse, davon österreichweit fast schon 500. Als Wiener Mandatar darf ich kurz darauf eingehen und sagen, dass in Wien zehn Bezirke seit 1998 Lokale Agenda machen, woraus bereits weit über 100 Projekte hervor­gegangen sind oder auch umgesetzt wurden. Das ist natürlich eine andere Form der Beteiligung oder der direkten Demokratie als die verfassungsmäßig verankerte.

Die Bürgerräte wurden in Vorarlberg jetzt verfassungsmäßig verankert. In Wien gibt es diese Bürgerräte genauso. Wir haben das jetzt gerade betreffend Zielgebiet Kagran und Aufwertung Wagramer Straße in der Donaustadt durchgeführt.

Ich würde gerne auch ein paar grundsätzliche Bemerkungen zur direkten Demokratie oder überhaupt zur Demokratie machen. Ein Grundsatz ist, wie ich meine, Demokratie braucht DemokratInnen, und DemokratInnen wachsen nicht irgendwie aus dem Boden heraus, sondern wir müssen alle Lebensbereiche mit Demokratie durchfluten und bereits bei unseren Kindern in der Schule und an den Universitäten beginnen, damit Menschen Demokratie lernen. Demokratie ist, glaube ich, eine Endlosschleife.

Wenn wir einmal nach 1945 oder in den fünfziger Jahren gelernt haben, wie Demo­kratie funktioniert, dann heißt das noch lange nicht, dass das die nächste Generation und die übernächste Generation wissen. Jede Generation muss sich aufs Neue das Wissen und den Umgang, die Streitkultur, auch die Dissenskultur, die darf ja auch sein, erwerben. Es muss nicht immer ein Konsens sein, man kann auch mit einem guten Dissens auseinandergehen. All das muss in einer Demokratie gelernt werden, damit Demokratie funktionieren kann.

Aber es fehlt mir als Sozialdemokraten in der Diskussion manchmal, dass wir nicht darauf Bedacht nehmen, dass es bei der Beteiligung auch um Schichten geht, für die es vielleicht manchmal schwierig ist, sich zu beteiligen, weil sie um ihre Existenz kämpfen, weil sie betreffend Wohnen, Einkommen, Essen, Einkaufen kämpfen, weil sie vielleicht nicht einmal im Monat ins Kino gehen können oder Leute nach Hause einladen können, weil es ihnen einfach schlecht geht. Das heißt, wir müssen auch soziale Teilhabe schaffen und eine soziale Sicherheit, einen sozialen Ausgleich, damit sich Menschen in unserer Demokratie überhaupt beteiligen können. Denn sonst werden sich nur Leute beteiligen, die halt einen hohen Bildungsstandard haben und gut sozial abgesichert sind; die können sich dann beteiligen und ganz tolle Vorschläge machen.

Wir brauchen alle in der Demokratie. Wir müssen alle mitnehmen. Mein Vorredner hat ja darauf hingewiesen, was in den dreißiger Jahren geschehen ist. Es gibt, wie ich meine, in unserer Zeit Anzeichen dafür, dass es auch manchmal in diese Richtung geht. Es werden die Institutionen der Demokratie abgewertet, kritisiert, der Verwal­tungs­gerichtshof, der Verfassungsgerichtshof, alles wird kritisiert, es wird von Fehlent­scheidungen gesprochen. Die Politik trägt manchmal auch das Ihre dazu bei. Also all das trägt eigentlich dazu bei, die Demokratie auszuhöhlen.

Ich plädiere daher dafür, dass die Demokratie DemokratInnen braucht. Schauen wir und arbeiten wir daran, dass wir überall, in allen Lebensbereichen den Menschen die Möglichkeit geben, zu diskutieren, zu streiten, Konsens, Dissens zu finden und sich mit zu beteiligen an der Entwicklung unserer Gesellschaft und auch am sozialen Wohl­stand. – Danke sehr. (Beifall.)

12.27

 


Vorsitzende Vizepräsidentin Mag. Susanne Kurz|: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Brückl. – Bitte.

 


12.27.14

Bundesrat Hermann Brückl (FPÖ, Oberösterreich)|: Geschätzte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Geschätzte Teilnehmer an dieser Enquete! Lassen Sie mich bitte ohne Umschweife gleich zu den drei zentralen Punkten kommen, die heute aufgeworfen wurden, die heute hervorgehoben wurden und die für mich die Grundlage jedweder Diskussion über mehr Demokratie darstellen.

Es ist zum einen die Frage, die Herr Landeshauptmann Mag. Wallner in seinem Ein­gangsreferat gestellt hat: Wie kann ich die positiven Kräfte aktivieren? Wie kann ich das Sozialkapital in diesem Land stärken? Das Zweite ist die Frage, die Herr Dr. Hellrigl gestellt hat: Wo findet die Meinungsbildung statt? Und das Dritte, und das ist für mich der wichtigste Punkt, ist etwas, das Sie, Herr Professor Öhlinger, gesagt haben: Direkte Demokratie benötigt ein Wachsen von unten.

Wenn man auf diese Punkte eingeht, wird man allerdings auch nicht an der Frage nach dem Föderalismus, nach einem Mehr an Föderalismus vorbeikommen. Ich bin der festen Überzeugung, dass mehr direkte Demokratie auch unbedingt ein Mehr an Föderalismus benötigt. Das eine wird ohne das andere nicht funktionieren.

Ich darf in diesem Zusammenhang auch auf die Erklärung der Präsidenten der Landtage vom 22. Mai 2012 hinweisen, die unter folgendem Titel gestanden ist: „Moderner Föderalismus = Demokratie + Bürgernähe“.

Und ich möchte auch darauf hinweisen, dass der Präsident des Ausschusses der Regionen Siso hier an dieser Stelle am vergangenen Freitag gemeint hat, die Regionen sind der Weg aus der Krise. Sie sind bürgernah. Sie wissen, wo die Armutsnischen sind. Sie wissen, wo man Arbeitsplätze schaffen kann. Sie wissen, wo man den Euro einsetzen kann und muss.

Ein Lösungsansatz wäre jetzt aus meiner Sicht auch dieses Schweizer Modell, das heute schon mehrmals angesprochen wurde; Herr Professor Öhlinger, Herr Professor Haller, Sie haben das ebenfalls angesprochen. Ich verstehe aber unter diesem Schwei­zer Modell nicht nur, dass man Entscheidungsbefugnis und Entscheidungsfindung nach unten trägt, sondern ich verstehe darunter auch, dass man vor allem die Verantwortung dorthin bringt, wo die Menschen zu Hause sind, wo die Menschen leben, ganz im Sinne dieses Wachsens von unten.

Als Beispiel sei eben die Mitsprache der Bürger bei den Gemeindebudgets angeführt. Das ist etwas ganz Kleines, aber ich denke, hier bestünde die Möglichkeit, dass man die Menschen in Fragen der Finanzhoheit der Gemeinden einbindet, wenn es zum Beispiel darum geht, dass eine Gemeinde Projekte umsetzen will, die nicht in den ordentlichen Haushalt fallen, zum Beispiel der Neubau einer Mehrzweckhalle, die Errichtung eines Schwimmbades.

Man könnte die Menschen dazu befragen und darüber abstimmen lassen und ihnen gleichzeitig klar machen, dass sie, wenn sie das wollen, auch mit höheren Abgaben rechnen müssen. Dies wiederum bedingt aber natürlich sozusagen eine geänderte Steuerhoheit für die Gemeinden.

Das bedingt auch ein Umdenken, was den Finanzföderalismus betrifft, in dem Sinne, was die kleine Einheit erledigen kann, das erledigt die kleine Einheit auch. Über diese Kompetenzverteilung bräuchte es aber Verhandlungen zwischen Bund und Ländern, Verhandlungen darüber, ob man will, dass die Gemeinden eben eine bessere Ausstattung mit finanziellen Mitteln erhalten.

Bedeuten würde dies auf jeden Fall, dass der Bund Kompetenzen abgeben müsste. Ob man das tatsächlich will, ist fraglich. Aber es wäre, so denke ich, ein Lösungs­ansatz für viele Probleme, und es wäre vor allem ein Weg zu mehr direkter Demo­kratie. Dass es richtig wäre, zeigt die Studie, auf die Herr Dr. Hellrigl hingewiesen hat, über das freiwillige Engagement von Bürgern in Europa.

Ich darf daher abschließend noch einmal zusammenfassen: Mehr direkte Demokratie braucht auch ein Mehr an Föderalismus. Diese Paarung könnte aus meiner Sicht die Probleme von heute lösen und wäre ein Weg auch für die Zukunft. – Danke. (Beifall.)

12.31

 


Vorsitzende Vizepräsidentin Mag. Susanne Kurz|: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Kerschbaum. – Bitte.

 


12.31.40

Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum (Grüne, Niederösterreich)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute sind sehr viele Themenkreise zur Bürgerbeteiligung und zum Bürger- und Bürgerinnenentscheid angeschnitten worden. Ich möchte nur ein paar Punkte einbringen, die mir in diesem Bereich immer wieder auffallen.

Das eine ist: die positiven Kräfte aktivieren. Dies ist eine ganz spannende Geschichte. Ich habe das in Vorarlberg auch sehr interessiert verfolgt, vor allem die Einladungs­politik. Was mir nämlich schon auffällt, ist Folgendes: Auf regionaler Ebene gibt es zwar sehr viele tolle Dinge, die Agenda 21 und Stadt- und Dorferneuerung, das Prob­lem ist allerdings, dass der Altersschnitt in diesen Gruppen meistens halt nicht unbedingt der Bevölkerung entsprechend ist. Es ist irrsinnig schwierig, die Jugend zu mobilisieren, die vielleicht andere Interesse hat oder sich vielleicht auch nicht so gehört fühlt. Ich denke, gerade in diesem Bereich ist es einfach wichtig, dass man auch schaut, dass es neue Systeme gibt, wie man die Jugend mehr reinbringt, wie sie bes­ser gehört werden kann und sich besser verstanden fühlt.

Ein Problem hat man auf jeden Fall, wenn man diese Dinge nicht ordentlich macht und die Leute dann ihre Meinungen und Ansätze nicht wiederfinden, das ist dann eher kontraproduktiv und sie geben auf. Ich weiß, so ein Prozess findet bei uns immer nur drei, vier Jahre statt, aber es tröpfelt dann schön langsam, weil die Menschen den Ein­druck haben, sie können zwar mitreden und dürfen sich zwar in Arbeitskreise setzen, aber es entscheiden letztendlich andere. Ob wirklich etwas in diese Richtung weiter­geht, ist dann fraglich.

Ein Punkt, auf den ich auf jeden Fall auch noch hinweisen möchte, ist folgender: Was sowohl bei der Bürgerbeteiligung, bei den Arbeitskreisen als auch bei den Bürger­entscheiden einfach total wichtig ist, ist die Transparenz. Wir können jetzt über die Mitwirkung an Gemeindebudgets diskutieren, das klingt spannend und toll, aber Gemeinde­budgets versteht Otto Normalbürger oder -bürgerin sicher nicht. Da braucht es schon noch viele neue Möglichkeiten, um so etwas darzustellen und um die Leute wirklich ins Boot zu holen, denn sonst diskutiert man immer wieder über Dinge, über die man eigentlich nicht zu diskutieren braucht.

Ein weiterer Punkt – und das hat man meiner Meinung nach besonders bei der letzten Volksbefragung zum Bundesheer beobachten können – ist die Information. Die Information war nämlich in Wirklichkeit in diesem Fall so gut wie nicht gegeben. Die Leute haben nicht gewusst, worüber sie abstimmen: Stimmen sie jetzt über den Zivil­dienst ab oder stimmen sie über die Wehrpflicht ab? Da ist sehr vieles vermischt worden, und ich glaube, dass, auch wenn sehr viele Menschen hingegangen sind und ihre Stimme abgegeben haben, die Unzufriedenheit mit dieser Volksbefragung nach wie vor sehr groß ist, einfach weil, wie gesagt, die Menschen zwar ihre Stimme abge­geben haben, aber großteils nicht wirklich gewusst haben, worüber sie abstimmen.

Noch ein Punkt, weil wir heute so viel gehört haben über die          Länder, die da sehr aktiv wären: Also bei uns in Niederösterreich habe ich noch nicht sehr viel von aktiver Einbindung der BürgerInnen in die Politik, weder in Form von Bürgerbeteiligung noch in Form von Bürgerabstimmung, mitbekommen. Auf Länderebene ist da, wie ich glaube, schon noch einiges zu erledigen.

Allgemein ist das Thema, auf welcher Ebene man worüber redet. Bei uns auf Ge­mein­de­ebene erfolgen die meisten Volksabstimmungen über Windräder. Da ist halt immer die Frage, in welcher Größenordnung man abstimmt, in welcher Größenordnung man darüber entscheidet, ob etwas gebaut oder nicht gebaut wird, denn der Einfluss der Betreiber dieser Projekte, über die da abgestimmt wird, ist ja meist viel weiter reichend als der Bereich, in dem abgestimmt wird. Dementsprechend fallen dann die Entschei­dungen oft so aus, dass man nicht wirklich zufrieden sein kann, weil nicht alle, die betroffen sind, gefragt wurden.

Die Transparenz, die Zuständigkeit, vor allem die regionale Zuständigkeit, und die Infor­mation sind, wie ich meine, ganz wichtige Punkte, auf die man in diesem Bereich nie vergessen darf. – Danke. (Beifall.)

12.35


Vorsitzende Vizepräsidentin Mag. Susanne Kurz|: Als Letzter in dieser ersten Diskussionsrunde ist Herr Abgeordneter zum Nationalrat Hagen vom Team Stronach zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


12.36.03

Abgeordneter Christoph Hagen (STRONACH)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit den Ausführungen von Herrn Professor Haller beginnen, der hier sehr treffend gesagt hat, das Programm von neuen Parteien habe nur Protestwählerpotenzial, deshalb werden diese gewählt. – Ich muss Ihnen leider schon wieder widersprechen. Parallel zu dieser Veranstaltung wurde heute das Programm des Team Stronach präsentiert. Sie werden sehen, dass da auch Inhalte drinnen sind.

Im Grunde genommen haben Sie aber nicht ganz unrecht, denn dieses Protest­wählerverhalten ist natürlich die Auswirkung oder die Folge des politischen Systems, und das haben Sie hier auch schon angesprochen. Jetzt kann man sich fragen: Warum? Ich möchte Ihnen das auch gleich beantworten: Die Wähler haben alle fünf Jahre Zeit, ihren Protest zum Ausdruck zu bringen. Mehr Möglichkeiten bestehen kaum. Warum auch?

Direkte Demokratie ist derzeit nur sehr schwer und sehr aufwändig zu machen. Das sieht man, wenn man auf die Bundesebene schaut. Die Folgen und die Ergebnisse davon sind sehr ungewiss. Am einfachsten, muss man sagen, geht das noch auf der Gemeindeebene und ist dort eventuell auch umsetzbar.

Natürlich bin ich als Vorarlberger – es ist hier schon angesprochen worden – ein großer Fan der direkten Demokratie, nicht nur aufgrund der Nähe zur Schweiz, sondern weil ich es auch selbst praktiziert habe. Ich darf Ihnen jetzt ein Beispiel dafür bringen, wie ich direkte Demokratie gelebt habe, und das Ergebnis steht hier, denn das hat mich in die Politik gebracht.

Meine Damen und Herren, folgendes Beispiel: Sie kennen die Gemeinde Hörbranz im Nordwesten von Vorarlberg sicher aus den Medien, und zwar meistens aus dem Ö3-Verkehrsfunk. Aber dort geschieht auch anderes. Ich bin dort seit 18 Jahren in der Gemein­devertretung – in Wien heißt es Gemeinderat – tätig. Dort hat es ein Projekt gegeben, das mir, ehrlich gesagt, nicht wirklich getaugt hat. Ich habe mich dann entschlossen, und das habe ich dann auch durchgesetzt, eine Volksabstimmung zu erzwingen. Das war damals, als ich das gemacht habe, noch schwieriger. Damals war es noch notwendig, dass 20 Prozent der Wahlberechtigten auf der Gemeinde unter­schreiben, damit man eine Volksabstimmung durchführen konnte.

Gegangen ist es um ein Bauprojekt in der Gemeinde, im Dorfzentrum. Trotz dieser Hürden – heute ist es ein bisschen einfacher, in Vorarlberg ist da schon wieder ein Schritt weitergegangen, also man braucht nicht mehr diese 20 Prozent – ist es mir gelungen, aufgrund des Bürgerentscheides mit 65 Prozent meine Meinung durchzu­setzen. Wir haben jetzt ein Dorfzentrum, wo jeder Gast, der zu mir kommt, sagt: Ihr habt aber ein tolles Dorfzentrum!, was mich bestätigt. Und das ist nur dieser Volksab­stimmung zu verdanken.

Also man sieht, man kann mit direkter Demokratie sehr viel bewirken, was sich dann jahrzehnte‑ oder vielleicht jahrhundertelang positiv auswirkt. So lange wird unser Dorfzentrum nicht in dieser Form bestehen bleiben, wie ich meine, aber immerhin Jahrzehnte, und das ist eine schöne Sache. Direkte Demokratie wird also belohnt.

Ich darf noch einmal auf die Ausführungen von Professor Haller zurückkommen, der hier angesprochen hat, wie es in der Schweiz funktioniert. Da sind 50 000 bis 100 000 Un­terschriften notwendig, um eine Volksabstimmung durchzusetzen, in Österreich sind es 300 000 für eine Volksbefragung. Es ist also bei uns irrsinnig schwierig, so etwas zu machen.

Punkt zwei: Dort wird eine Abstimmungsbroschüre zur Verfügung gestellt, damit jeder weiß, worüber er abstimmt. Frau Kerschbaum hat die Volksbefragung im Jänner erwähnt und ebenfalls darauf hingewiesen. Ich habe das damals bei der Fernseh­diskussion im Rahmen des „Bürgerforums“ schon angesprochen, dass hier ein Abstim­mungsbuch notwendig gewesen wäre, um die Bürger wirklich aufzuklären. Wie wir im Nachhinein erfahren haben, haben die meisten über den Zivildienst abgestimmt und nicht über den Wehrdienst.

Drittens: direkte Konsequenzen. Diese bleiben in vielen Fällen aus, wenn man heute direkte Demokratie in Österreich macht, und das ist sehr traurig. Also Aufklärung wäre notwendig, ein ganz wichtiger Punkt.

Dann darf ich noch, obwohl ich mich wahrscheinlich hier herinnen bei Ihnen nicht sehr beliebt machen werde, auf ein Thema zurückkommen, das Herr Bundesratspräsident Mayer vorhin schon kurz angesprochen hat, und zwar auf den Bundesrat.

Herr Dr. Hellrigl hat vorhin die Bürgerräte angesprochen. In Vorarlberg wird das massiv praktiziert. Man sieht, das ist ein Zeichen in Richtung mehr direkter Demokratie, und darüber sprechen wir ja heute. Direkte Demokratie muss forciert werden. Und wie mache ich das? Ich habe es von Herrn Dr. Hellrigl vorhin gehört, er hat es so ausgedrückt, dass die Politik und die Politiker der direkten Demokratie auf den Füßen stehen.

Das heißt, da wird blockiert, wird in vielen Bereichen direkte Demokratie nicht gelebt. Und da muss man auch über die Abschaffung des Bundesrates nachdenken und die Ersetzung durch die Landeshauptleutekonferenz, meine Damen und Herren. Das ist ein legitimes Thema. Da kann man natürlich auch so weit gehen, dass man sagt: Landeshauptleutekonferenz mit absoluten Vetorechten in verschiedenen Bereichen und mit Unterstützung durch Bürgerräte.

Das, meine Damen und Herren, wäre ein Modell, das einmal anzudenken ist. Ich weiß, ich werde mich damit nicht bei allen beliebt machen. Ich bin selber fünf Jahre hier im Bundesrat gewesen, habe damals schon gesagt – das war vor über zehn Jahren –, dass ich der Meinung bin, dass man den Bundesrat entweder aufwerten oder abschaf­fen soll. Bisher hat sich diesbezüglich nichts getan, trotz Verfassungsreferendums und verschiedener Möglichkeiten. Also darüber muss man sicher nachdenken.

Zum Abschluss möchte ich noch eines sagen: Parteien sind heutzutage leider zu sehr mit sich beschäftigt und stehen der direkten Demokratie beziehungsweise dem Volks­willen, dem Bürgerwillen in vielen Bereichen im Wege. Das könnte man mit diversen Reformen vielleicht verändern. Denken wir Politiker einmal weniger an unseren Posten, denken wir vielleicht an die Bürger! (Lebhafte ironische Heiterkeit. – Bundesrat Todt: Außer die vom Millionär! – Bundesrätin Mühlwerth: Der war gut!)

Direkte Demokratie, direkte Bürgerbeteiligung, weniger politische Tätigkeit, weniger Parteienpolitik – ich glaube, das wäre notwendig, und dann wären wir auf dem richtigen Weg. – Danke. (Beifall.)

12.42


Vorsitzende Vizepräsidentin Mag. Susanne Kurz|: Werter Herr Kollege, den Bun­desrat abzuschaffen mit dem Hinweis auf mehr Bürgerbeteiligung halte ich doch für etwas weit hergeholt – aber wir haben hier natürlich Meinungsfreiheit.

Ich unterbreche jetzt die Verhandlungen bis 13.30 Uhr und ersuche Sie alle, wieder pünktlich in den Saal zurückzukommen.

*****

12.43.10(Die Enquete wird um 12.43 Uhr unterbrochen und um 13.33 Uhr wieder aufge­nommen.)

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13.32.55Modul 3: Europa und benachbarte Staaten

 


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer| (den Vorsitz übernehmend): Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf.

Wir kommen zu den Referaten zu Modul 3. Die Redezeit der Rednerinnen und Redner beträgt 20 Minuten.

Erster Redner ist Herr MMag. Dr. Alexander Balthasar vom Institut für Staatsorgani­sation und Verwaltungsreform im Bundeskanzleramt.

Herr Dr. Alexander Balthasar war von 1998 bis 2008 Mitglied des Unabhängigen Bundesasylsenats, arbeitete von 2008 bis 2009 am Ludwig Boltzmann Institut für Men­schenrechte und war von 2010 bis 2012 nationaler Experte bei der Agentur der EU für Grundrechte. Er ist seit 1. Juli 2012 Leiter des Instituts für Staatsorganisation und Verwaltungsreform im Bundeskanzleramt. Überdies ist er seit 2011 Angehöriger des Österreichischen Instituts für Europäische Rechtspolitik in Salzburg.

Bitte, Herr Dr. Balthasar.

„Die Europäische Bürgerinitiative und andere Instrumente der direkten Demokratie in Europa“

 


13.34.17

Referent Mag. Dr. Alexander Balthasar (Bundeskanzleramt, Institut für Staatsorgani­sation und Verwaltungsreform)|: Das Thema der heutigen Enquete konzentriert sich natürlich auf Länder und Gemeinden, wird vom Bundesrat veranstaltet, daher ist mein Beitrag – „Die Europäische Bürgerinitiative und andere Instrumente der direkten Demokratie in Europa“ – vielleicht rechtfertigungsbedürftig, da vorrangig andere Ebe­nen in den Blick nehmend, nämlich das Niveau des Unionsrechts und die nationale Ausgestaltung direktdemokratischer Instrumente in den Mitgliedstaaten.

Man könnte natürlich auch Länder und Gemeinden dort betrachten; das habe ich auch aufgrund nicht in diesem repräsentativen Umfang vorliegender Untersuchungs­ergeb­nisse nicht getan. Ich glaube trotzdem, dass es sinnvoll ist, denn man erkennt, wenn man andere Rechtsordnungen betrachtet, Strukturen, die auch unter Einbeziehung des Niveauunterschiedes dann von Interesse sein können.

Klarstellung: Direkte Demokratie wird – das war in den bisherigen Beiträgen schon ganz unwillkürlich der Fall – nicht auch auf Wahlen bezogen. Auch wenn es direkte Wahlen von Repräsentanten gibt, hat man sich doch in der jüngeren Zeit auf eine Begriffsverengung verständigt. Direkte Demokratie bedeutet Entscheidung über Sach­fra­gen – Sachfragen in der Legislative, möchte ich vielleicht noch sagen, oder in gesetzgebungsähnlichen Formaten.

Bürgerbeteiligung kann – und wird zunehmend – auch in Formaten der Verwaltung diskutiert werden. Das ist nicht ohne Problematik, weil sich die Anforderungen doch deutlich unterscheiden. Ich konzentriere mich daher auch auf den Bereich der Legis­lative beziehungsweise der gesetzgebungsähnlichen Akte. Und ich betone auch den Bereich Entscheidung, und nicht den vorgelagerten Bereich der Informations­gewin­nung, der Transparenz, der eine eigene Veranstaltung rechtfertigen würde.

Angesichts der Redezeitbeschränkung verweise ich auch darauf, dass ich vielleicht nicht alles, was Sie in der schriftlichen Unterlage finden, jetzt hier mündlich vortragen werde. Sie haben die Gelegenheit, es nachzulesen.

Ich komme zum Unionsrecht: Das Unionsrecht ist aus verschiedenen Gründen besonders einschlägig, zunächst schon deswegen, weil es für uns alle den ent­sprechenden Rahmen bietet. Ich verweise auf Art. 2 des Unionsvertrages, der unter anderem den Grundwert der Demokratie normiert, und zwar nicht nur für die Union, sondern auch deklariert, dass dieser Wert allen Mitgliedstaaten gemeinsam sei. Und damit kommen wir schon in einen Bereich, in dem uns die spezifische Auslegung, die das Prinzip der Demokratie auf Unionsebene erfahren hat, für den engeren Bereich, auch für den nationalen Bereich nicht ganz gleichgültig sein kann, weil es eben dieses Postulat, diese Feststellung gibt, dass alle Mitgliedstaaten und die Union letztlich von einem gemeinsamen Verständnis der Demokratie ausgehen.

Darüber hinaus hat das Unionsrecht aber drei ganz konkrete Punkte, die ich hervor­heben möchte. Zum einen ist das der Grundsatz der repräsentativen Demokratie, und Sie merken vielleicht schon, worauf ich hinauswill. Das Unionsrecht hat erst vor kurzer Zeit ausdrücklich – obwohl Krisenphänomene ja bekannt waren – den Grundsatz der repräsentativen Demokratie verankert, hat ihn aber ergänzt durch andere Instrumente, die jedoch in Relation zu diesem Grundsatz zu sehen sind: durch die Europäische Bürgerinitiative, den offenen Dialog und durch Konsultationen.

Zunächst einmal: Die Arbeitsweise der Union beruht auf der repräsentativen Demo­kratie. Das ist klar der Komplementärbegriff zur direkten Demokratie. Diese Ansage, dass die Arbeitsweise der Union auf der repräsentativen Demokratie beruht, wird auch noch durch eine besondere Erwähnung der politischen Parteien verstärkt; politische Parteien – Sie erinnern sich an den deutschen Theoretiker und auch ersten Präsi­denten des Bundesverfassungsgerichts Leibholz – als „Surrogat der direkten Demo­kratie im modernen Flächenstaat“.

Das heißt, dadurch, dass die politischen Parteien in Art. 10 ebenfalls noch ausdrücklich hervorgehoben werden, akzentuiert das diesen Grundsatz der repräsentativen Demo­kratie auf der Unionsebene durch das Europäische Parlament und durch die Vertreter der Regierung im Rat.

Das bedeutet, dass die anderen Instrumente, die sich in Art. 11 finden, mit eben diesem Grundsatz auch kompatibel sein müssen und keinen Widerspruch beinhalten dürfen. Trotzdem hat Art. 11 Abs. 2 – offener regelmäßiger Dialog mit den repräsenta­tiven Verbänden und der Zivilgesellschaft – Elemente, von denen wir durchaus auch auf nationalstaatlicher Ebene lernen können. Das ist eine Neuheit des Unionsrechts, die der Ausgestaltung harrt. Das Programm allerdings verdient doch nähere Betrach­tung, vor allem, weil es ja unter sehr schwierigen Bedingungen verwirklicht werden soll, mit einer Unionsbevölkerung von über 500 Millionen Einwohnern. Trotzdem wird es den Institutionen zur Pflicht gemacht – vor allem auch den gesetzgebenden Institu­tionen, also Rat und Parlament, aber auch dem Europäischen Rat und der Kommis­sion –, mit keineswegs nur repräsentativen Verbänden, sondern der Zivilgesellschaft, die auch nicht nur organisiert sein muss, in einen Dialog zu treten.

Und Dialog bedeutet ja mehr als nur Konsultationen – das heißt, eine Information auf eine Website zu stellen, Stellungnahmen einzuholen und mehr oder weniger zu berücksichtigen –, Dialog bedeutet tatsächlich auch die Führung von Gesprächen.

Das ist etwas, das gerade für Österreich, das ja nach Ansicht des Verfassungsgerichts­hofes von der bundesverfassungsrechtlichen Grundordnung ebenfalls auf ein klares repräsentatives Modell fixiert ist, daher durchaus interessant sein kann, zumal die österreichischen Größenverhältnisse ja deutlich geringer sind. Das heißt, was auf der europäischen Ebene im Prinzip machbar ist, muss auf der österreichischen und auf der subnationalen Ebene natürlich umso leichter sein.

Wir haben in Österreich durchaus eine gewisse Tradition, die dem ähnelt. Wir haben die vor allem berufliche Selbstverwaltung. Wir haben auch in den letzten Jahren die sonstige Selbstverwaltung mit dem Schwerpunkt berufliche Selbstverwaltung in gene­reller Form in das Bundesverfassungsrecht – Art. 120a bis 120c – gehoben. Die europäische Ausgestaltung geht aber über dieses Modell vor allem durch die Herein­nahme der Zivilgesellschaft doch noch deutlich hinaus. Das heißt, hier können wir in der einen oder anderen Form tatsächlich von diesem Ansatz etwas lernen.

Auch die Anhörung der Betroffenen, die der Kommission in Art. 11 Abs. 3 zur Verpflich­tung gemacht wird, ist ambitiös. Wir haben das in manchen Landesverfassungen durchaus verankert, keineswegs in allen. Der Bund hat das auch nicht in der Verfas­sung verankert. Das heißt, auch hier können wir von dem europäischen Anstoß etwas für unser nationales Recht, unsere Ausgestaltung mitnehmen.

Ich komme zur Europäischen Bürgerinitiative. Diese ist uns zunächst von der Ziel­setzung her recht vertraut. Sie gleicht unserem nationalen Volksbegehren insofern sehr stark, als sie nicht auf einen schließlichen Volksentscheid, eine schließliche Volks­abstimmung, eine direkte Volksgesetzgebung abzielt, sondern auf die Erstattung eines Vorschlages. Sie ist ein minoritäres Instrument. Wie bei allen diesen Instrumen­ten ist eine relativ niedrige Schwelle von einer Million Unionsbürgern – die ein bisschen repräsentativ über Mitgliedstaaten verteilt sein müssen – in der Lage, der Kommission einen Vorschlag zu machen. Dahinter steht das Initiativmonopol der Kommission. Sie ist darauf angewiesen, durch überzeugende Argumente letztlich aber Mehrheiten in den politischen Institutionen beim Gesetzgeber zu finden. Und das ist letztlich auch das, was ja das österreichische Volksbegehren nur bewirken kann. Wenn es die Mindestschwelle erreicht und keine sonstige Überzeugungsarbeit leistet, dann verschwindet es eben in der Versenkung.

Wir haben heute Vormittag öfter gehört, dass das österreichische Volksbegehren doch vielleicht gar nicht so erfolgreich sei. Es sollte uns vielleicht doch zu denken geben, dass auf der europäischen Ebene ein dem österreichischen Instrument sehr ähnliches Instrument neu eingeführt wurde, man also durchaus schon auch davon überzeugt ist, dass es funktionieren könne. Dass die Kommission und nicht der Gesetzgeber direkt Adressat ist müsste gar kein Nachteil sein. Man könnte sich auch in Österreich überlegen, ob vielleicht nicht manches Volksbegehren – vor allem, da es ja nicht mehr in der Form eines ausformulierten Gesetzes erstattet werden muss – besser aufge­hoben wäre, wenn es sich mit einer bestimmten politischen Zielsetzung an die Bun­desregierung richtete, die dann einen ausformulierten Vorschlag erstatten müsste. Das ist nicht zwingend, aber es ist jedenfalls der Umstand, dass sich die Europäische Bürgerinitiative an die Kommission richtet, auch kein Nachteil.

Das, was die Europäische Bürgerinitiative gegenüber vielen anderen Instrumenten aus­zeichnet, ist, dass sie auch in elektronischer Form durchgeführt werden kann. Österreich ist gerade dabei, diesen Gedanken auch für das österreichische Volks­begehren zu adaptieren. Ich füge hinzu, in technisch wesentlich besserer Form, in glaubwürdigerer Form, als das bei der Europäischen Bürgerinitiative der Fall sein kann, da diese eine Weichenstellung vorgenommen hat, die ich ebenfalls nicht für gut halte, nämlich an die Stelle der staatlichen Verantwortung für die Sammlung und Überprü­fung der Unterschriften weitgehend die Verantwortung der Organisatoren zu setzen. Das ist ein Irrweg, der die Glaubwürdigkeit des Instruments – gerade wenn man es als demokratisch ernstes Instrument betrachtet – nachhaltig zu beschädigen geeignet wäre und auch haftungsrechtliche Fragen nach sich zieht. Also auch hier hat Öster­reich sogar in seiner bisherigen Struktur die bessere Form.

Die Frist ist beachtlich. Wir kommen mit acht Tagen Eintragungsfrist aus, die Euro­päische Bürgerinitiative sieht hier zwölf Monate vor. Acht Tage sind vielleicht sehr kurz, aber in unserer politisch schnelllebigen Zeit sind zwölf Monate auch sehr lang. Es können sich also hier Anliegen möglicherweise sogar überleben, während die Bürger­initiative noch läuft.

Ein weiterer Unterschied liegt in der Struktur der Union begründet. Die Bürgerinitiative kann sich nur auf Fragen richten, die der Umsetzung der Verträge bedürfen, also im Prinzip auf die Erlassung von Sekundärrechtsakten. Diese Beschränkung ist beim österreichischen Volksbegehren nicht der Fall und hätte auch keine sachliche Grund­lage.

Stellt man sich noch einmal die Frage, was Österreich aus der Europäischen Bürger­initiative lernen kann, dann würde ich meinen, vor allem eine Ermutigung, dass dieses Instrument, so wie es jetzt ausgestaltet ist, gar nicht so schlecht ist. Man sollte vielleicht den Akzent stärker auf den deliberativen Charakter legen, dass es sich hier um einen Anstoß von Bürgern handelt, die dem Gesetzgeber Vorschläge machen können. Das heißt, es muss das Argument wirklich im Mittelpunkt stehen. Wenn es zu Zwecken des Wahlkampfes verwendet wird, wenn es in die parteipolitische Auseinan­dersetzung gerät – das wurde schon gesprochen –, ist dieses Instrument natürlich fehl am Platze.

Tatsächlich wurde auch in jüngerer Zeit die Überzeugungskraft der österreichischen Volksbegehren in einer gesamthaften Schau als gar nicht so schlecht dargestellt. Immerhin fünf von 31 Volksbegehren sind vollständig umgesetzt worden, einige wenige andere hatten einen indirekten Effekt. Im europäischen Vergleich gibt es gar nicht so viele Staaten, die hier innerhalb dieser Zwischenstruktur – also keine direkte Volksge­setzgebung, aber ein Volksbegehren – infrage kommen. Gegenüber Spanien und Polen haben wir deutlich bessere Werte, sowohl was die Zulassung anlangt – viele der Volksbegehren scheitern dort schon an der ersten Schwelle – und auch was letztlich die Berücksichtigung durch die Politik anlangt.

Wenn ich auf die Instrumentarien der anderen Mitgliedstaaten zu sprechen komme – eine nähere Ausgestaltung entnehmen Sie bitte der schriftlichen Fassung –, möchte ich zu Beginn auf einen Punkt hinweisen, der uns auch zu denken geben sollte. Wenn wir vielleicht vor dem Hintergrund der Weimarer Reichsverfassung an das denken, was in der konstituierenden Nationalversammlung besprochen und dann nicht verwirklicht wurde, dann sind wir in der Ausgestaltung unseres Instrumentariums nicht so schlecht dran.

Von den derzeit 26 anderen Mitgliedstaaten bleiben 14 Mitgliedstaaten zumindest auf der nationalen Ebene deutlich hinter dem österreichischen Standard zurück, kennen entweder überhaupt keine direktdemokratischen Instrumente oder lediglich solche nicht bindender Art oder lediglich nur ganz ausnahmsweise, wie das für das deutsche Grundgesetz, Art. 146, gilt oder für dänische Verfassungsänderungen, die bislang noch nicht zustande gekommen sind. Nur eine Minderheit von Staaten hat demgegenüber überhaupt direkte Volksgesetzgebung. Dazwischen gibt es eine Gruppe von Staaten, die, wenn man es qualitativ gewichtet, mit Österreich ungefähr vergleichbar sind.

Betrachtet man die Strukturen, dann sind sie im Wesentlichen dem österreichischen Verfassungsrecht, wenn man dieses auf Bundes- und dann auch auf Landesebene kumuliert zusammenzieht, relativ ähnlich. Es gibt verpflichtende Volksabstimmungen bei einer Gesamtänderung in einigen Staaten. Es gibt Referenden auf Anordnung des Parlaments, manchmal auch auf Anordnung des Präsidenten ohne Parlament, dann eine Form, die wir bei uns nicht haben, Referenden, die zwar von den Organen ausgehen, aber dort nicht von der Mehrheit, sondern entweder von der Zweiten Kammer oder von einer parlamentarischen Minderheit initiiert werden können. Und es gibt auch Initiativen, Vetoreferenden gegen einen Gesetzesbeschluss, die teilweise vom Volk selbst oder allenfalls auch im Zusammenwirken mit einem Repräsentanten initiiert werden können.

Wenn man sich die Ausgestaltung der Instrumente anschaut, in denen es grundsätzlich direkte Volksgesetzgebung gibt, dann sehen wir, dass auch dort diese direkte Volks­gesetzgebung keineswegs schrankenlos ist. Wir haben manchmal den Einsatz dieses Instruments, wie in Italien, nur als eine Art verzögertes Vetoreferendum, also die Ab­schaffung eines bereits bestehenden Gesetzes. Wir haben häufig relativ hohe Partizi­pationsquoren als Schutz davor, dass letztlich eine numerische Minderheit der Staatsbürger an der passiven Mehrheit vorbei entscheidet, und wir haben – das wurde von Professor Öhlinger bereits angesprochen – eine erhebliche Anzahl qualitativer Ausschlüsse in vielen Staaten. Regelmäßig sind das Steuer- und Haushaltsfragen, häufig sind es internationale Angelegenheiten. Manchmal ist die direkte Demokratie auf die Ausführungsgesetzgebung beschränkt, also Verfassungsänderungen sind ausge­nommen. Es gibt Ausschlüsse in Bezug auf Grundrechte allgemein – Slowakei – oder hinsichtlich bestimmter Grundrechte, und damit verbunden auch etwa Amnestien.

Ein Staat hat die Frage der Bestandskraft von Volksabstimmung in besonderer Weise thematisiert: Art. 99 der slowakischen Verfassung verbietet eine Abänderung des Ergebnisses einer Volksabstimmung durch das Parlament vor dem Ablauf von drei Jahren und schreibt hiefür überdies eine Verfassungsänderung vor. Damit wird ein ganz neuralgischer Punkt angesprochen, nämlich wie, wenn es sie denn geben sollte, direkte Volksgesetzgebung und Parlamentsgesetzgebung miteinander in einem modernen Gesetzesstaat, bei dem Gesetzgebung zur Regel geworden ist und nicht nur eine Ausnahme darstellt, denn wirklich funktionieren soll.

Wenn man vor diesem jetzt hier kurz zusammengerafften Befund zur Evaluierung kommt, dann scheint es mir, dass der Art. 2 des Unionsvertrages, den ich einleitend genannt habe, in Verbindung mit der Betonung des repräsentativen Prinzips auf der Unionsebene, auf der mitgliedstaatlichen Verfassungsebene durchaus eine Ent­sprechung hat. Es sind zwar in einem etwas weiteren Umfang wohl von diesem Demokratiegrundsatz des Art. 2 des Unionsvertrages auch Instrumente erfasst, die nicht im Unionsvertrag enthalten sind, aber, wenn man sich die genannten Grenzen vor Augen führt, keineswegs schrankenlos.

Das muss jetzt noch nicht bedeuten, dass auch auf der Länder- oder gar Ge­mein­deebene diese Schranken gleicherweise zum Tragen kommen müssten. Denn klarer­weise, wenn es mit ein Grund ist, dass über bestimmte wesentliche Fragen wie zwingendes Völkerrecht, Grund- und Menschenrechte, auch Haushaltsfragen auf einer bestimmten Ebene nicht mit direkter Volksgesetzgebung abgestimmt werden kann, dann heißt das, dass die unteren Ebenen davon entlastet sind, weil ja auch erfor­derlichenfalls die obere Ebene korrigierend eingreifen könnte.

Daher wird man sicher nicht sagen können, dass, wenn ein Instrument auf der Unionsebene nicht verwirklicht ist, wenn es bei näherer Betrachtung auf der nationalen Ebene nicht zulässig sein sollte, es deswegen auch schon auf der Gemeinde- oder Landesebene nicht zulässig wäre, denn klarerweise, je stärker die Festlegungen des höherrangigen Rechts sind, umso weniger besteht die Gefahr, dass Tabuzonen durch einen Volksbeschluss auf unterer Ebene berührt werden.

Aber man muss sich dann eben auch dessen bewusst sein, dass man keinen Schluss von unten nach oben ziehen kann. Das heißt, wenn man unten mehr Volksgesetz­gebung macht, bedeutet das noch nicht, dass man das, ohne Beachtung des Unter­schieds, deswegen auch als Modell für die oberen Ebenen heranziehen könnte.

Wenn ich zur Frage komme, was wir – vor dem Hintergrund des sonstigen Verfas­sungsbestandes außerhalb Österreichs – für uns mitnehmen können, dann meine ich zunächst einmal, dass der kumulierte Verfassungsbestand auf Länder- und Bundes­ebene schon sehr reichhaltig ist. Allzu vieles, was wir übernehmen können, bietet sich nicht.

Am ehesten würde ich meinen, könnte man das proaktive Referendum, also die Initiierung einer Volksabstimmung nicht nur auf Beschluss der parlamentarischen Mehrheit, sondern vielleicht auch auf Initiative einer parlamentarischen Minderheit oder einer Zweiten Kammer, auch auf der Ebene des normalen, des einfachen Gesetzes­rechts übernehmen.

Man könnte auch an eine Verstärkung der Möglichkeiten des Vetoreferendums denken. Allerdings richtet sich ein Vetoreferendum – auch das ist heute Vormittag schon einmal angesprochen worden – auf die Beibehaltung des Status quo. Es ist daher vom Standpunkt des Inhalts her unbedenklich, weil ja die Gesetzgebung inhaltlich nicht verändert wird. Es kann nur die politische Gestaltungskraft darunter leiden, dass die zeitgerechte Abänderung von Normen durch eine Verstärkung der Bürgerpartizipation bei Vetoreferenden verstärkt wird.

 


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen!

 


14.01.48Referent MMag. Dr. Alexander Balthasar (fortsetzend)|: Sofort. – Danke.

Das Spezialproblem der Derogation habe ich bereits angesprochen. Die slowakische Lösung halte ich nicht für sinnvoll, denn sie führt zur Versteinerung der Rechtsordnung. Wenn jedes Overrulen einer Volksgesetzgebung durch einen Parlamentsbeschluss auf der nächsthöheren Stufe erfolgen müsste, hätten wir, die wir ja schon ein sehr reich­haltiges Verfassungsrecht haben, in weiterer Folge nur noch verfassungsrecht­liche Bestimmungen, die dann nicht nur in demokratischer Hinsicht schwer abänderbar wären, sondern natürlich auch für den Verfassungsgerichtshof einen veränderten Prüf­maßstab bedeuteten.

Nun habe ich noch eine letzte Bemerkung, auf die ich die Aufmerksamkeit richten möchte. Der Grund, warum es Ausschlüsse gibt, liegt natürlich schon auch in einer Befürchtung dazu, nach welchem Maßstab Bürger entscheiden. Wir haben in der politischen Theorie von Aristoteles bis heute immer den Hinweis, dass es eine Voraus­setzung sei, dass die Bürger nicht nach ihren individuellen Interessen, sondern gemein­wohlorientiert abstimmen. Das ist aber nicht so einfach. Das verlangt eine ethische Grundhaltung, von seinen eigenen Interessen abstrahieren zu können, den Ausgang eines Verfahrens, eines Gesetzgebungsaktes auf seine eigene Sphäre auszublenden. Rawls hat dafür als Grundbedingung den „Schleier des Nichtwissens“ formuliert.

Wir haben sehr viele Gesetzgebungsvorhaben, bei denen dieser Schleier nicht gilt. Daher ist es nicht zuletzt eine ethische Frage, ob wir schon die Voraussetzungen für eine Ausweitung der direkten Demokratie haben. – Danke sehr. (Beifall.)

14.03


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Danke schön.

Als Nächste wird Frau Dr. Nadja Braun Binder, MBA, von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer zum Thema „Instrumente der direkten Demokratie im Mehrebenensystem: Erfahrungen aus Deutschland und der Schweiz unter Berücksichtigung des Verfahrens im Vorfeld (Vorbereitungs- und Informations­szena­rien)“ referieren.

Frau Dr. Braun Binder verbindet sowohl praktische als auch wissenschaftliche Expertise im Bereich der direkten Demokratie. Sie war zehn Jahre lang in der Schweizer Bundeskanzlei tätig, wo sie unter anderem Initiativ- und Referendumgs­begehren betreute, Volksabstimmungen organisierte und das Projekt e-voting leitete. Seit 2011 arbeitet sie am Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer an ihrer Habilitation und befasst sich mit rechtlichen Fragestellungen rund um Finanzen und direkte Demokratie.

Bitte, Frau Dr. Braun Binder.

„Instrumente der direkten Demokratie im Mehrebenensystem: Erfahrungen aus Deutschland und der Schweiz unter Berücksichtigung des Verfahrens im Vorfeld (Vorbereitungs- und Informationsszenarien)“

 


14.05.13

Referentin Dr. Nadja Braun Binder, MBA (Deutsche Universität für Verwaltungs­wissen­schaften Speyer): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich danke dem Bundesrat der Republik Österreich für die Einladung und die Möglichkeit, heute hier im Rahmen dieser Enquete sprechen zu dürfen.

Mein Thema werde ich in drei Gliederungspunkte aufteilen. Zuerst gebe ich Ihnen einen kurzen summarischen, kursorischen Überblick über direktdemokratische Instru­mente in Deutschland und der Schweiz. In einem zweiten Schritt werde ich dann auf den Kernpunkt meiner Ausführungen kommen und Ihnen konkrete Beispiele von Vorbereitungsverfahren darstellen, einerseits in Bezug auf die Vorprüfung einer Volks­initiative und andererseits in Bezug auf die Information vorgängig einer Volksabstim­mung. Abschließend werde ich in einem dritten Punkt drei Kardinalfehler benennen, die Sie unbedingt vermeiden müssen, wenn es darum geht, direktdemokratische Instru­mente erfolgreich umsetzen zu wollen.

Ich komme somit zu meinem ersten Punkt: Direktdemokratische Instrumente in Deutschland und der Schweiz.

Grob gesagt gibt es in der Schweiz eine sehr ausgeprägte direkte Demokratie, das wird Sie jetzt nicht weiter erstaunen. Sie haben auf allen drei Staatsebenen – Bun­desebene, Ländereben und kommunale Eben – sehr ausgeprägte direktdemokratische Instrumente, wobei die Bundesebene noch ein bisschen hinter den Kantonen und Gemeinden zurücksteht. Sie finden auf allen drei Ebenen obligatorische Volksabstim­mungen – also verfassungsmäßig vorgesehene Volksabstimmungen – bei bestimmten Themen. Sie finden auf allen drei Ebenen Volksinitiativen. Diese sind allerdings – und das ist jetzt die Einschränkung – auf Bundesebene lediglich auf Verfassungsände­rungen gerichtet. Sie haben in der Schweiz auf Bundesebene keine sogenannte Gesetzesinitiative.

Volksabstimmungen werden in der Schweiz häufig auch durch sogenannte fakultative Referenden initiiert. Das ist das, was heute schon als sogenannte Vetoabstimmung angesprochen wurde, das heißt, wenn gegen einen Parlamentsbeschluss das Referen­dum ergriffen wird und dieser Parlamentsbeschluss – in der Regel ein Gesetzentwurf – der Volksabstimmung unterbreitet wird.

In Deutschland sieht es ein bisschen anders aus. Da haben Sie auf kommunaler Ebene und auf Länderebene eine sehr breite Institutionalisierung von direkter Demo­kratie. Im Grundgesetz sind auch zwei Fälle vorgesehen, die sind allerdings praktisch nicht von Bedeutung. Das heißt, in Deutschland spielt sich die direkte Demokratie hauptsächlich auf der Länderebene und der kommunalen Ebene ab. Sie finden in allen Bundesländern eine obligatorische Volksabstimmung. Diese finden Sie allerdings nicht auf kommunaler Ebene. Dafür haben Sie auf der Länderebene in Deutschland in der Regel keine fakultativen Referenden. Demgegenüber sind auf kommunaler Ebene fakultative Referenden gegen Gemeinderatsbeschlüsse teilweise vorgesehen.

Dies sind die wichtigsten Elemente zu den direktdemokratischen Verfahren in diesen beiden Ländern. Weitere Informationen finden Sie im Anhang zu meiner schriftlichen Dokumentation. Ich habe versucht, Ihnen eine vergleichende Zusammenstellung zu den Instrumenten in Deutschland, der Schweiz und Österreich zu machen.

Damit komme ich zum zweiten Gliederungspunkt meines Referates. Ich möchte Ihnen Vorbereitungsverfahren für direktdemokratische Instrumente anhand von praktischen Beispielen vorstellen.

Das erste Beispiel bezieht sich auf die Vorprüfung einer Volksinitiative. Ich gebe Ihnen hier das Beispiel einer eidgenössischen Volksinitiative in der Schweiz. Das ist eine Volksinitiative, die auf Verfassungsänderungen auf Bundesebene gerichtet ist.

Das zweite Beispiel bezieht sich auf ein Volksbegehren im Bundesland Berlin, also auf ein direktdemokratisches Instrument, das in Deutschland auf Länderebene besteht.

Vorgängig lassen Sie mich aber noch einmal etwas ausholen, und zwar möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass man Volksgesetzgebung in Deutschland und in der Schweiz grundsätzlich in zwei Arten von Volksgesetzgebungsverfahren aufteilen kann. Das eine wären die zweistufigen Volksgesetzgebungsverfahren, das andere die dreistufigen Verfahren.

In der Schweiz finden Sie hauptsächlich das zweistufige Verfahren. Das heißt, eine Volksabstimmung wird durch einen vorgelagerten Schritt ausgelöst. In Deutschland haben Sie auf Länderebene hauptsächlich dreistufige Verfahren. Das bedeutet, dass einer Volksabstimmung in der Regel zwei Stufen, zwei Verfahrensschritte voraus­gehen. Ich komme dann im Laufe meines Referates noch konkret darauf zu sprechen, was das nun bedeutet.

Die Vorbereitungsarbeiten vor einer Volksinitiative unterscheiden sich ganz funda­mental von jenen vor einem Volksbegehren in Berlin. Sie sehen auf der einen Seite am Schweizer Beispiel eine absolut minimale Kontrolltätigkeit, die sich hauptsächlich auf formale Aspekte beschränkt, auf der anderen Seite bildet dann die Vorabkontrolle in Berlin, wo schon in einem sehr frühen Stadium materiellrechtliche Aspekte überprüft werden, das Gegenbeispiel.

Bevor in der Schweiz mit einer Unterschriftensammlung für eine eidgenössische Volks­initiative begonnen werden kann, haben die Initianten logischerweise zuerst einmal einen Text, einen Initiativtext zu formulieren. Dieser ist ein absolut zentrales Element einer Volksinitiative, das versteht sich von selbst. Es versteht sich auch, dass so ein Initiativtext, der ja letztlich, wenn die Volksabstimmung positiv ausfällt, eins zu eins Verfassungstext wird, von vielen Bürgerinnen und Bürgern mit sehr hoher Zurück­haltung angegangen wir.

In meiner Tätigkeit in der Bundeskanzlei war ich täglich mit Telefonanrufen konfrontiert, bei denen mich Bürgerinnen und Bürger um Rat gebeten haben. Sie haben gesagt: Ich möchte eine Volksinitiative initiieren, ich habe da eine sehr gute Idee, wie man Steuern senken, Einnahmen erhöhen kann, aber ich weiß beim besten Willen nicht, wie man Verfassungstexte redigiert, können Sie mir da nicht einen Vorschlag machen? – Da war es meine Aufgabe, freundlich, aber bestimmt darauf hinzuweisen, dass ich das nicht darf und dass es auch nicht im Interesse der Initianten wäre, wenn ich das täte. Es muss absolut in der Hand der Initianten bleiben, den Initiativtext zu formulieren. Es darf nicht der Anschein erweckt werden, als würde eine Behördenstelle oder eine Mitarbeiterin einer Behörde in irgendeiner Weise – sei es auch noch so gut gemeint – mitbestimmen oder Einfluss auf die Formulierung des Initiativtextes nehmen wollen.

Letztlich ist die Behörde natürlich zur Auskunft und zur Unterstützung verpflichtet. Wir müssen Auskunft geben, damit die Initiative auf jeden Fall formal korrekt ist. Ich habe auch darüber Auskunft gegeben, ob es Paragrafen oder Artikel sind, oder darüber, wie sich ein Verfassungstext gestaltet. Was aber den Inhalt angeht: Hände weg! Da habe ich nichts dazu zu sagen.

Das Zweite, was ich zu tun hatte, wenn die Initiative dann eingereicht wurde, war die sogenannte formale Vorprüfung. Ich hatte zu prüfen, ob die Initiative den formalen Kriterien entspricht, ob sie richtig ins Französische und Italienische übersetzt worden ist – das ist selbstverständlich eine Schweizer Spezialität – und ganz konkret hatte ich auch zu prüfen, ob der Initiativtitel korrekt ist. Das heißt, dass er nicht irreführend ist, dass er noch einen Zusammenhang mit der Initiative hat, dass er auch keine Werbung enthält – es gibt findige Leute, die über eine Initiative versuchen, Werbung für ihre Ladenkette zu machen, das darf natürlich nicht sein – und dass nicht zwei Initiativen plötzlich denselben Titel tragen und damit Verwechslungen vorkommen.

Das war es dann aber auch schon. Mehr hatte ich nicht zu tun, mehr durfte ich auch nicht tun. Ich hatte die entsprechende Vorprüfungsverfügung vorzubereiten, die letzt­lich von der Regierung, vom Bundesrat verabschiedet und im Bundesblatt publiziert wurde.

Sobald diese Vorprüfungsverfügung zusammen mit dem Initiativtext im Bundesblatt publiziert ist, beginnt auch die offizielle Sammelfrist zu laufen. Sie haben es schon gehört: 100 000 Unterschriften braucht es in der Schweiz auf Bundesebene, und Sie haben 18 Monate – ganz lange – Zeit, um diese Unterschriften zu sammeln. Trotzdem schaffen es ganz viele Initianten nicht, diese Unterschriftenzahl hinzubekommen, auch wenn 18 Monate sehr lange sind.

Es gibt dann auch noch eine kleine materielle Prüfung, wenn Sie so wollen. Die kommt aber erst in dem Verfahrensstadium zum Tragen, in dem die Initiative tatsächlich eingereicht wird. Wenn Sie also wirklich diese 100 000 Unterschriften gesammelt haben, diese auch korrekt sind, bescheinigt wurden, et cetera, dann muss das Parla­ment noch einen sehr engen, restriktiven Katalog an Ungültigkeitsgründen überprüfen: Die Initiative darf nicht gegen zwingendes Völkerrecht verstoßen und sie muss die Einheit der Form sowie die Einheit der Materie wahren. Mehr Prüfungsmöglichkeiten hat das Parlament aber nicht.

Ich komme nun zu meinem zweiten Beispiel, dem Bundesland Berlin. Dort haben Sie, wie gesagt, ein dreistufiges Volksgesetzgebungsverfahren, wobei die erste Stufe darin besteht, dass Sie zuerst einen Antrag auf Volksbegehren stellen, und bereits für diesen Antrag Unterschriften sammeln müssen. Wenn dieser Antrag dann genehmigt wurde, können Sie endgültig mit der Unterschriftensammlung für Ihr eigentliches Volksbegeh­ren beginnen. Vor der ersten Stufe, also vor der Unterschriftensammlung für den Antrag auf Volksbegehren, haben Sie keinerlei amtliche Überprüfung.

Wenn Sie die notwendige Anzahl an Unterschriften zusammenhaben, reichen Sie diese bei der Senatsverwaltung in Berlin ein. Bei diesem Verfahrensschritt wird dann aber sehr detailliert auch in materieller Hinsicht geprüft, ob das Initiativbegehren nicht nur den formalen, sondern auch den inhaltlichen Kriterien entspricht. Diese bestehen etwa darin, dass das Volksbegehren selbstverständlich in der Zuständigkeit des Bun­deslandes liegen muss, dass es aber auch gleichzeitig in die Zuständigkeit des Abgeord­netenhauses fallen muss. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass inner­halb einer Wahlperiode ein bestimmtes Thema nicht zweimal Gegenstand eines Volks­begehrens sein darf. Dann gibt es zusätzlich noch einen Katalog an Themen­ausschlüssen, beispielsweise dürfen die Haushaltsgesetzgebung, finanzrechtliche Aspekte nicht Gegenstand eines Volksbegehrens sein.

Gleichzeitig mit der Prüfung der rechtlichen und materiellen Zulässigkeit werden auch noch die Unterschriften überprüft. Wenn das alles korrekt ist, dann gibt der Senat, die Landesregierung die Genehmigung, dass die Unterschriftensammlung für das eigent­liche Volksbegehren gestartet werden kann. Auch hier wird das Resultat wieder im Amtsblatt veröffentlicht. Die Unterschriftensammlung beginnt nicht am Tag der Veröffentlichung, sondern in der Regel zwei Wochen später und Sie haben vier Monate zur Unterschriftensammlung Zeit.

So viel zum ersten Beispiel, dem Vorprüfungsverfahren im Vorfeld einer Volksinitiative beziehungsweise eines Volksbegehrens. Sie haben gesehen, es gibt da unter­schiedliche Ausprägungen, hauptsächlich in der Tragweite der inhaltlichen, der formalen Prüfung.

Das zweite Beispiel, das ich Ihnen hier kurz vorstellen möchte, bezieht sich auf amtliche Informationen im Vorfeld einer Volksabstimmung. Ich bin überzeugt davon, dass eine Volksabstimmung ohne Information sinnlos ist. Die Stimmberechtigten müssen sich ihren Willen bilden können. Dazu benötigen sie Informationen, und Behörden haben logischerweise einen Informationsvorsprung. Diesen Informationsvor­sprung gilt es auszugleichen, mehr aber auch nicht. Die Rechtslage, was die Infor­mation im Vorfeld von Volksabstimmungen angeht, ist in der Schweiz und in Deutsch­land grundsätzlich sehr, sehr unterschiedlich.

Ich möchte Ihnen dazu zwei Beispiele geben. Das eine Beispiel bezieht sich wiederum auf die Bundesebene in der Schweiz und das andere Beispiel auf die Länderebene in Deutschland, dieses Mal aber anlässlich der Volksabstimmung in Baden-Württemberg über Stuttgart 21. Beide Beispiele und Erfahrungen zeigen, dass amtliche Information in der Tat sehr gefragt und sehr wichtig, aber eben auch ein sehr sensibler Punkt ist.

In der Schweiz gibt es das sogenannte Abstimmungsbüchlein, das sich seit mehreren Jahrzehnten bewährt hat. Ich habe auch einige Exemplare dabei, die Sie dann gerne mitnehmen können – ich muss die nicht zurücktransportieren. Diese Abstimmungs­erläuterungen werden zusammen mit den übrigen Stimmrechtsunterlagen drei bis vier Wochen vor der Volksabstimmung an die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger ver­schickt. Herausgeber dieser Abstimmungserläuterungen ist der Bundesrat, also die Regierung, und erarbeitet werden die Erläuterungen in der Regel unter der Feder­führung der Bundeskanzlei – also der Stabstelle der Regierung –, in Zusammenarbeit mit einzelnen Experten.

Wichtig ist, dass bereits in dieser Expertenarbeit versucht wird, eine möglichst neutrale, objektive, sachliche Sprache zu finden und die Inhalte hinreichend vollständig, aber auch nicht zu ausufernd dazulegen, und dass die Vorlage, die Informationen so formuliert sind, dass sie die Stimmberechtigten auch verstehen können.

Es ist darauf zu achten, dass Entscheid wesentliche Informationen in der Broschüre enthalten sind. Es gibt einen Fall, wo das Schweizer Bundesgericht jüngst eine solche Abstimmungsinformation auch kritisiert und gesagt hat: Nein, da waren nicht alle Entscheid wesentlichen Informationen enthalten, die notwendig gewesen wären, damit die Stimmberechtigten sich ein umfassendes Bild machen können. – Es ging um Auswirkungen finanzieller Natur einer Unternehmenssteuerreform. Details finden Sie auch in den Unterlagen.

Abgesehen jetzt von diesem Gerichtsurteil kann man sagen, dass die Abstimmungs­erläuterungen in der Schweiz eine sehr breite Zustimmung genießen, dass sie eigentlich parteiübergreifend als wirklich objektives Informationsinstrumentarium betrachtet werden. Dies hängt nicht zuletzt auch damit zusammen, dass sie vom Bun­desrat – also dieser Koalitionsregierung, dieser Mehrparteienregierung – herausgege­ben und verabschiedet werden. Sie haben es vielleicht schon gehört: In der Schweiz sind in der Regel vier Parteien an der Regierung. Das heißt, diese vier Parteien, die meines Wissens praktisch nie einer Meinung sind, müssen diese Informationen mittragen. Da wird allein schon dadurch dafür gesorgt, dass eine gewisse Aus­gewogen­heit hergestellt ist.

Der zweite Punkt, der zur großen Akzeptanz der Abstimmungserläuterungen beiträgt, ist die Tatsache, dass auch Initiativkomitees, Referendumskomitees Platz erhalten, ihre Argumente in ihren eigenen Worten darzulegen. Da hat der Bundesrat nicht dreinzureden, da wird nichts korrigiert – es sei denn, es sind eben irgendwelche rassistische oder widerrechtliche Äußerungen.

Das zweite Beispiel bezieht sich, wie erwähnt, auf Stuttgart 21. Auch da habe ich Ihnen zwei, drei Exemplare mitgenommen, die Sie gerne haben dürfen. Grundsätzlich ist es so, dass die Abstimmungsinformation in Deutschland nicht in allen Bundesländern vorgesehen ist. Nur die wenigsten Bundesländer kennen eine explizite rechtliche Grundlage. Baden-Württemberg gehört nicht dazu.

In Baden-Württemberg ist eine Abstimmungsinformation nicht vorgesehen, trotzdem hat die Regierung sich dazu entschlossen, im Vorfeld der Stuttgart 21-Abstimmung eine Informationsbroschüre herauszugeben. Sie durfte das aufgrund ihrer allgemeinen Informationspflichten, musste aber natürlich auch wieder darauf achten, dass es sich eben nicht um einseitige Informationen handelt, sondern dass alle Argumente auf den Tisch gelegt werden. Dies wurde in der konkreten Situation auch wieder dadurch erleichtert, dass innerhalb der Koalitionsregierung eigentlich das ganze Spektrum an Einstellungen zu Stuttgart 21 vertreten war. Also sowohl Befürworter wie Gegner sind in der Koalitionsregierung beteiligt, und allein schon dadurch ist natürlich die Motivation vorhanden, diese Information dann auch ausgewogen zu gestalten.

Die Informationsbroschüre konnte, da sie im Volksabstimmungsgesetz nicht vorge­sehen war, auch nicht mit den übrigen Stimmunterlagen verschickt werden. Das hat zu viel Unmut geführt. Da hat man die Abstimmungsunterlagen, also die Abstimmungs­karte et cetera, erhalten, und etwa zehn Tage später kam noch diese Informations­broschüre daher. Das war etwas unglücklich.

Unglücklich war auch, dass die Broschüre nicht nur an die Stimmberechtigten verteilt werden konnte. Die Landesregierung hatte aus datenschutzrechtlichen Gründen keinen Zugang zum Wählregister, weil eben keine solche Broschüre vorgesehen war, und sie musste sie dann einfach via Postwurfsendung an sämtliche Haushalte in ganz Baden-Württemberg verteilen. Ich lebe jetzt in Baden-Württemberg, ich habe auch eine erhalten, obwohl ich Schweizerin und damit in Baden-Württemberg nicht stimmbe­rechtigt bin. Aber ich fand das ganz interessant.

Die Broschüre wurde eigentlich mehrheitlich gut aufgenommen. Eine Studie kam zu dem Schluss, dass sie grundsätzlich informativ und verständlich gewesen sei. Aller­dings wurden verschiedene Kritikpunkte genannt, nicht zuletzt eben auch die fehlende gesetzliche Grundlage. Das ist einer der Punkte, die in Baden-Württemberg auch heftig diskutiert werden.

Ich komme zu meinem letzten Punkt: drei Kardinalfehler bei der Ausgestaltung direkt­demokratischer Verfahren. Aus dem Vorgesagten ergeben sich aus meiner Sicht drei grundlegende Fehler, die unbedingt zu vermeiden sind.

Fehler Nummer eins: Anfragen aus der Bevölkerung betreffend die Lancierung von Volksinitiativen werden nicht ernst genommen beziehungsweise werden nicht neutral genug behandelt.

Selbstverständlich kommen immer wieder Anfragen an die entsprechenden Behörden­stellen, die man vielleicht nicht so ernst nehmen muss, wo es um die üblichen Querulanten geht, die ein Anliegen haben und dieses dann eben auch noch in einer Volksinitiative formuliert sehen wollen. Natürlich gibt es das, aber trotzdem: Das ist ein Volksrecht, und es ist absolut zentral, dass die Behörde sich dem gegenüber profes­sionell verhält.

Beratungsdienstleistung ist eine Pflicht, Auskunftserteilung ist eine Pflicht, Zurver­fügung­stellung von Informationen nach öffentlichkeitsrechtlichen Prinzipien ist auch eine Verpflichtung. Dem hat die Behörde nachzukommen. Gleichzeitig muss man sich als Behördenstelle auch bewusst sein, dass Initianten in der Regel einen Status quo verändern wollen, und dieser Status quo wird häufig eben auch mit den Behörden­stellen quasi gleichgesetzt. Das heißt, Sie als Wahrer des Status quo – oder Sie werden als Wahrer des Status quo wahrgenommen – sollen jetzt Leute beraten, die den Status quo verändern wollen. Das ist eine sehr heikle Aufgabe, das muss man sich bewusst machen.

Fehler Nummer zwei: Unklare Spielregeln und breite Auslegungsspielräume führen zu unvorhersehbaren Ungültigkeitsgründen.

Ich habe Ihnen diese zwei unterschiedlichen Beispiele aus der Schweiz und dem Bundesland Berlin genannt, wo auf der einen Seite eine eher formale Prüfung stattfindet, auf der anderen Seite eine sehr weitgehende materiellrechtliche Prüfung. Ich nehme jetzt nicht dazu Stellung, was besser ist. Unabhängig davon, welche Rege­lung Sie haben: Absolut zentral ist, dass sie klar und vorhersehbar ist!

Wenn Sie Ungültigkeitsregeln haben, müssen diese von Anfang an klar auf dem Tisch liegen. Es darf kein breiter Auslegungsspielraum vorhanden sein, der es den Behör­denstellen, dem Parlament oder der Regierung dann ermöglicht, etwas für ungültig zu erklären, was man im Vorfeld eigentlich, wenn man sich die gesetzlichen Vorgaben durchliest, als zulässig eingestuft hätte. Also hier unbedingt Auslegungsspielräume minimieren, die Spielregeln klarmachen und unvorhersehbare Ungültigkeitsent­schei­dun­gen vermeiden. Diese stoßen im günstigsten Fall einfach auf Unverständnis, im schlimmeren Fall auf Frustration, und abgesehen davon sind sie ab einem gewissen Grad auch aus rechtsstaatlichen Erwägungen problematisch.

Fehler Nummer drei: Die amtliche Information vor Volksabstimmungen ist unvollstän­dig, unklar, einseitig oder unverhältnismäßig.

Ich denke, ich habe mich klar positioniert, dass ich persönlich der Ansicht bin, dass eine Behörde im Vorfeld von Volksabstimmungen zur Information verpflichtet ist. Es gibt da durchaus auch andere Meinungen in der Literatur.

Zentral ist aber, dass die Information dazu dient, die Abstimmungsfreiheit herzustellen. Die Stimmberechtigten müssen sich eine Meinung bilden können, dazu brauchen sie Informationen. Die Information darf aber nicht unverhältnismäßig sein in dem Sinne, dass sie über diese Grundlageninformationen hinausgeht, Partei ergreift, nur eine Sichtweise in den Vordergrund stellt und andere Argumente völlig im Hintergrund verschwinden lässt.

Also eine ausgewogene Darstellung der Information ist zentral; gleichzeitig ist auch zentral, dass den Trägern eines Initiativ- oder Referendumsbegehrens Platz zur Verfü­gung gestellt wird – idealerweise in gleichem Umfang wie den Behördenstellen –, um ihre eigenen Argumente in den eigenen Worten darstellen zu können.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und stehe auch gerne noch für Fragen zur Verfügung. (Beifall.)

14.28

 


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Vielen herzlichen Dank für Ihren Beitrag.

14.28.47Diskussion

 


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Wir gelangen nun zur zweiten Diskussionsrunde.

Bevor ich der ersten Rednerin/dem ersten Redner das Wort erteile, weise ich darauf hin, dass die Redebeiträge die Dauer von 3 Minuten nicht überschreiten sollen.

Zu Wort gemeldet ist die Fraktionsobfrau der Freiheitlichen, Frau Bundesrätin Mühlwerth. – Bitte.

 


14.29.35

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Referentinnen und Referenten! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte mich zuerst einmal beim Präsidenten des Bundesrates für diese Initiative bedanken, die zu der heutigen Enquete zum Thema direkte Demokratie geführt hat.

Für mich ist das wirklich ein sehr interessanter, sehr informativer und sehr lehrreicher Tag gewesen, weil sehr viele Aspekte der direkten Demokratie beleuchtet worden sind, die man beachten sollte, auch Fehler – wie Sie es gerade gesagt haben –, die man dabei begehen kann, wenn man vielleicht über das Ziel hinausschießt oder zu sehr von dem Wollen getragen ist, der direkten Demokratie Rechnung zu tragen; dann muss man eben aufpassen, dass man nicht in gewisse Fallen tappt. Also herzlichen Dank Ihnen allen für diese Fülle an Informationen, die wir heute bekommen haben!

Warum ist die direkte Demokratie in Österreich so ein Thema geworden? – Nicht nur in Österreich, aber in Österreich empfinden wir es eben am meisten. Ich glaube, es hat schon etwas zu tun – und das ist heute Vormittag schon angesprochen worden – mit der Unzufriedenheit der Bürger mit dem politischen System, aber auch mit der Politik der Regierenden.

Der Bürger hat das Gefühl, er kann alle fünf Jahre sein Kreuzerl auf einem Stimmzettel machen, und dann ist er dazu verdammt, die Politik, die Regierungspolitik auszuhalten, der er eben zur Mehrheit verholfen hat. Da ist, glaube ich, in den letzten Jahren der Unmut darüber, nicht direkt mitentscheiden zu können, nicht zu einzelnen Themen Stellung nehmen zu können, sehr groß geworden, auch – und ich orte das immer wieder in Diskussionen – weil die Menschen das Gefühl haben, dass an ihnen vorbeiregiert wird, dass Dinge geschehen, auf die sie keinen unmittelbaren Einfluss haben, mit denen sie aber nicht einverstanden sind.

Wir haben es ja erlebt – und auch das höre ich immer wieder –, wenn Entscheidungen gefällt werden, wo andere die Ursache sind oder es verursacht haben. Der ESM war gerade so ein großes Thema, wo viele Leute gesagt haben: Da beschließt die Politik irgendetwas, da sind die Banken mit an Bord, die das aber zu einem großen Teil verursacht haben, und die Zeche zahlt der Steuerzahler, oder er muss Haftungen dafür übernehmen. – Das ist aber nur ein Beispiel, es gibt ja auch viele andere.

Daher glaube ich, es tut uns gut, wenn mehr Initiativen – auch das ist ja heute schon angesprochen worden – von den Bürgern selbst kommen sollten. Ich glaube auch – Herr Dr. Balthasar, weil Sie erwähnt haben, dass man aufpassen muss, dass man nicht immer nur den Eigennutz im Vordergrund hat, sondern auch das Gemeinwohl –, das ändert sich, je mehr Informationen die Menschen bekommen. Wenn es um eine Abstimmung geht, dann holen sie sich auch freiwillig mehr Informationen und dann schaut eine Entscheidung schon wieder ganz anders aus, als wenn es nur darum geht, dass jetzt mein eigener kleiner Kreis betroffen ist. Das heißt, ich glaube, ein Mehr an Information – Sie haben ja so schön gesagt, dass es eine Pflicht der Behörde ist, diese Information weiterzugeben; ich würde das auch so sehen – kann auch dazu führen, dass der Bürger dann ein bisschen über seinen Tellerrand hinaussieht.

Wir haben jetzt einen Antrag mit einem Demokratiepaket der Regierungsparteien, wobei ich aber meine, dass das nur der Anfang sein kann. Man hat manchmal ein bisschen das Gefühl, dass die Regierung auf halbem Weg der Mut wieder verlässt, weil es vielleicht doch ein Zuviel an direkter Demokratie ist und man ein bisschen Angst davor hat, was die Menschen damit tun könnten.

Ich glaube aber, wir brauchen keine Angst zu haben. Die Menschen sind vernünftig genug. Wir haben schon viele Entscheidungen oder Befragungen erlebt, wo man am Anfang geglaubt hat, es geht ganz anders aus, als es dann letzten Endes erfolgt ist. Daher glaube ich, die Mündigkeit der Bürger, die wir sonst in den Sonntagsreden zitieren, kann man durchaus als gegeben annehmen, die ist auch tatsächlich da.

Spannend wird es sein – Professor Öhlinger hat das heute auch gesagt –, wenn es ein Mehr an Demokratie in einer umfassenden Art und Weise gibt, dass die Verfassung berührt ist, die dann ihrerseits wieder einer Volksabstimmung unterzogen werden müsste. Da muss ich sagen, ich würde es sehr interessant finden, wie die Menschen damit umgehen, wenn sie darüber befinden müssen, wie viel mehr an Demokratie sie denn tatsächlich haben wollen. Ausgang wahrscheinlich ungewiss, aber doch zumin­dest ein interessanter Aspekt!

Ich glaube insgesamt, dass es wichtig ist, auch mit dem Instrument der direkten Demokratie eine Politik mit den Bürgern zu machen und nicht an ihnen vorbei. (Beifall.)

14.34


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Als Nächster zu Wort gemeldet ist der Fraktionsobmann der Sozialdemokraten, Herr Bundesrat Todt. – Bitte.

 


14.34.37

Bundesrat Reinhard Todt (SPÖ, Wien)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zuerst einmal herzlichen Dank an den Präsidenten des Bundes­rates für die Initiative, diese Enquete durchzuführen!

Ich denke – und kann mich da durchaus der Meinung meiner Vorrednerin an­schließen –, dass wir sehr viel an Meinungsaustausch durchgeführt haben, dass wir sehr viel an Information bekommen haben, dass wir auch einiges gelernt haben und dass wir – und das halte ich für ganz, ganz wesentlich –, die Bundesländer untereinan­der, von den jeweiligen Möglichkeiten lernen können. So habe ich natürlich einiges von dem mitgenommen, was die Vorarlberger anbieten, habe aber auch festgestellt, dass wir in Wien ganz gut liegen und dass wir in Bezug auf direkte Demokratie auch schon einiges gemacht haben. Ich bin ganz stolz auf die Beteiligung bei den Volksbefragungen, die wir hier in Wien durchgeführt haben.

Vielleicht ein paar Sätze zum Bundesrat: Der Bundesrat sollte nach unserer Ansicht – und das ist ja fraktionsübergreifend die Ansicht – in Gesetzesverfahren früher einge­bunden werden. Daher spreche ich meinen ganz besonderen Dank dafür aus, dass diese Enquete uns die Möglichkeit gibt, hier eingebunden zu sein.

Kollegin Mühlwerth hat schon erwähnt, dass es morgen im Verfassungsausschuss des Nationalrates ein Hearing zum sogenannten Demokratiepaket gibt, und sie hat schon eine Reihe von Punkten genannt. Ich denke, dass die Regierungsparteien den Mut nicht verlieren werden und das Demokratiepaket durchaus auf den Weg bringen. Als Fraktionsvorsitzender der sozialdemokratischen Bundesrätinnen und Bundesräte möchte ich dieses Demokratiepaket, das in die richtige Richtung geht, begrüßen; es geht nämlich in die Richtung, den Bürgerinnen und Bürgern die direkte Demokratie schmackhafter zu machen.

Ich möchte gerne noch einmal den Slogan von Herrn Universitätsprofessor Öhlinger aufnehmen: Die direkte Demokratie in Österreich kommt mit diesem Paket im digitalen Zeitalter an. – Es ist nicht mehr zeitgemäß, für die Unterstützung eines Volks­begehrens aufs Amt gehen zu müssen. In Zukunft soll eine Unterstützung auch auf digitalem Weg möglich sein.

Es ist sicher ein Wermutstropfen, dass hierfür die digitale Signatur erforderlich ist, aber es muss eben sicher sein, dass jede Bürgerin, jeder Bürger nur einmal ein Volks­begehren, also eine Gesetzesinitiative unterstützen kann und dass es bei der Initiie­rung von Gesetzen nicht zu technischen Tricks und Tricksereien kommen kann.

Die gesamte Politik ist daher aufgerufen, die digitale Signatur oder die Bürgerkarte zu bewerben, damit möglichst viele Bürgerinnen und Bürger über eine digitale Signatur verfügen und Volksbegehren auf diesem einfachen Weg unterstützen können. Das Gleiche gilt für die Einführung der Bürgerfragestunde, womit den Bürgerinnen und Bürgern auch im Bereich der Interpellation eine direkte Mitwirkungsmöglichkeit ein­geräumt wird.

Abschließend möchte ich betonen, dass auch ich der Meinung bin, dass die direkte Demokratie in Österreich von unten wachsen muss. Beginnend bei den Gemeinden, über die Länder müssen Bürgerinnen und Bürger die direkte Demokratie erfahren und für die Politik gewonnen werden. Daneben muss aber von uns alles unternommen werden, damit die Politik selbst und die repräsentative Demokratie in Österreich wieder ein Ansehen erhält, das in einer demokratischen Republik geboten erscheint. Das kann die direkte Demokratie nicht ersetzen! (Beifall.)

14.39


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Schuster von Volksgesetzgebung jetzt!. – Bitte.

 


14.39.23

Gerhard Schuster (Volksgesetzgebung jetzt!)|: Guten Tag! Die Initiative Volksgesetz­gebung jetzt! hat im Jahr 2008 eine Bürgerinitiative an den Nationalrat eingebracht, in der sie ganz grundsätzlich ein direktdemokratisches Gesetzgebungsverfahren vor­schlägt, die sogenannte dreistufige Volksgesetzgebung – von der wir auch schon gehört haben – mit einer bestimmten Ausgestaltung, sodass auch die Medien einbe­zogen werden und die Diskussion über das Pro und Contra gewährleistet ist. Sie sieht darin in grundsätzlicher Weise eben die Notwendigkeit, Volksgesetzgebung nicht nur ausschließlich parlamentarisch zu realisieren, sondern auf zwei Säulen, direktdemo­kratisch und repräsentativ, im Sinne einer komplementären Demokratie, eines direkt­demokratischen und parlamentarischen Zusammenwirkens.

Wir halten das aufgrund verschiedener, hier nicht zu begründender Argumente für notwendig – rechtsphilosophisch, verfassungsrechtlich, menschenkundlich und so weiter. Gerade diese Zusammenhänge wurden noch nicht ausreichend diskutiert, im Vorfeld einer Entscheidung. Das wäre aber notwendig, damit die Urteilsgrundlage wirklich auf einer breiten Basis von Überlegungen und Erwägungen bezüglich des Ausbaus der Erweiterung der direkten Demokratie steht.

Wenn wir von Professor Öhlinger gehört haben, dass radikale Vertreter der Volksge­setzgebung auch Ausnahmekataloge fordern würden, so ist das zum Beispiel für unsere Initiative nicht der Fall. Direkte Demokratie, wo Vorschläge aus der Mitte der Rechtsgemeinschaft bis zum Volksentscheid kommen sollen, soll all die Materien betreffen können, die auch der Parlamentarismus betrifft. Es soll eine vollkommen selbständige Säule der Gesetzgebung sein, neben der vollkommen selbständigen Säule des Parlamentarismus. Sie wirken zusammen, aber sie sind beide autonom.

Um sich über solche Dinge überhaupt nachhaltig, ausgiebig ein Urteil bilden zu kön­nen, auch in der Öffentlichkeit, regen wir an, dass Runde Tische eingerichtet werden, öffentlich, so wie wir das bei Stuttgart 21 war. Da wurden zehn Sitzungen den ganzen Tag lang öffentlich auf PHOENIX übertragen. Es wurde immer eine Frage diskutiert, beispielsweise auch sehr ausführlich über die verschiedensten Aspekte der Fragen der Demokratie und der direkten Demokratie.

Das erfolgte unter dem Motto, das Heiner Geißler damals aufgestellt hat: Alle an den Tisch! Alle Fragen auf den Tisch! Unter diesem Motto wurde das übertragen, damit wir überhaupt zu einer Urteilsgrundlage kommen. Auch wenn man gegeneinander argu­mentiert, sollte man nicht die ewig gleichen Gegenargumente bringen, ohne auf die Argumente, die dafür sprechen, einzugehen. Seit Jahrzehnten werden Gegenargu­men­te wiederholt, denen längst widersprochen wurde, ohne dabei auf diesen Widerspruch einzugehen.

Ich möchte an das rot-grüne Regierungsabkommen in Wien erinnern. Dort steht der wunderbare Satz:

„Für die Weiterentwicklung der direkten und partizipativen Demokratie in Wien wird eine Enquete und in Fortsetzung ein regelmäßiger ‚Runder Tisch‘ unter Einbeziehung zivilgesellschaftlicher AkteurInnen eingerichtet.“

Es gab erste Schritte zur Realisierung, an denen ich auch mitgewirkt habe, aber das Ganze ist irgendwo in den Mühlen hängen geblieben. Wir haben jetzt Halbzeit, es ist also noch nicht ganz zu spät. Die Frage ist, ob das gewollt wird oder nicht; es muss ja nicht nur von Wien aus gehen, sondern es kann von allen Organen der Republik auf Bundesebene, auf Landesebene ausgehen.

Das ist einfach wichtig, weil wir in den nächsten Jahren einer Entwicklung entgegen­sehen, wo die Herausforderungen der Demokratieentwicklung noch viel größer werden, wenn es nämlich um die Frage geht, ob sich in Europa ein Bundesstaat oder ein ähnliches Staatswesen herausbilden wird, was dann auch die Kompetenz­kompetenz, die Weite der Kompetenzen betrifft. Wird das ein Europa sein, das auf dem Prinzip der Volkssouveränität beruht, oder wird es ein vormundschaftliches, von Ebene der Regierungen beherrschtes Gemeinwesen sein?

Wir werden in den nächsten Jahren klären müssen, wie das Verhältnis dieser euro­päischen Ebene zu den Nationalstaaten ist, und dazu brauchen wir eine tiefe, öffentlich diskutierte Urteilsgrundlage über die Prinzipien von Volksgesetzgebung, von direkter Demokratie, Volkssouveränität schlechthin und über die Balance von direkter und indirekter Demokratie. Auch der Bundesrat könnte eine Einrichtung sein, von der ein solcher Runder Tisch angeregt wird, eine solche Arbeit ausgeht, und das wollte ich gerne anregen. (Beifall.)

14.45


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Landtagsabgeordneter Dr. Stürzenbecher. – Bitte.

 


14.45.29

Landtagsabgeordneter Dr. Kurt Stürzenbecher (Wiener Landtag)|: Geschätzter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch ich danke dem Bundesrat, dass er diese wirklich interessante Veranstaltung hier organisiert hat. Man sieht schon, dass das wirklich eine gute Idee für die Weiterentwicklung unserer Demokratie war.

Erste Bemerkung: Wir brauchen mehr direkte Demokratie. Die Bürger wollen mehr direkte Demokratie. Die Frage ist aber: Muss man deshalb wirklich eine Gesamt­änderung der Bundesverfassung herbeiführen? – Ich bin nicht dieser Meinung. Wir sollten innerhalb der geltenden Bundesverfassung die Demokratie weiterentwickeln.

Zweite Bemerkung – auch weil Frau Dr. Braun Binder Erfahrungen aus der Schweiz gebracht hat –: Die UNO hat derzeit 193 Mitglieder, und nur in der Schweiz gibt es dieses sicher sehr beeindruckende Modell. Man muss aber auch dazusagen, dass es nicht so leicht ist, dieses Modell, das auf ganz anderen historischen und realpolitischen Erfahrungen beruht, auf andere Länder überzustülpen. Seit 1291, seit dem Rütlischwur hat die Schweiz ihre spezifische Geschichte. Es gibt 26 weitestgehend autonome Kantone. Es gibt 3 000 sehr autonome Gemeinden, und der Bund ist überhaupt erst seit 1848 verankert und außerordentlich schwach. Ich kann jetzt in drei Minuten nicht alles aufzählen, aber es ist de facto so, dass alle Parteien rotationsmäßig an allen Entscheidungsträgern beteiligt sind, auch im Bund gibt es diese Vierparteienkoalition, diese Zauberformel.

Mir ist bei einer Studienreise in der Schweiz – Herr Kollege Taucher war auch mit – gesagt worden, in der Schweiz sei es eher so: Alle Parteien sind in der Regierung, und das Volk ist sozusagen die einzige Opposition. Egal, ob das jetzt so genau den Kern trifft oder nicht, aber ich glaube, es ist nicht so einfach, dieses sicher interessante Modell der Schweiz auf alle anderen Demokratien überzustülpen.

Damit bin ich beim dritten Punkt – Fraktionsvorsitzender Todt hat es schon gesagt –: Wir müssen schauen, dass wir die direkte Demokratie von unten organisch wachsen lassen, dabei aber schon Erfahrungen nützen – ich glaube, da bin ich auch nicht im Gegensatz zu Dr. Balthasar –, und dann kann man sehen, inwieweit man das auf der obersten Ebene, im Bund, auch verwirklichen kann. Von Frau Obersenatsrätin Dr. Bachofner haben wir – das war sehr interessant – über die Erfahrungen im Zu­sammenhang mit den letzten Volksbefragungen in Wien gehört.

Zu meinem Vorredner: Das ist die erste Halbzeit, aber die zweite Halbzeit bringt ja auch oft interessante Ergebnisse und die werden Sie rechtzeitig mitgestalten. Ich hoffe, die Weiterentwicklung der direkten Demokratie in Wien wird weitergehen, aber auch schon bisher haben wir in Wien sehr gute und positive Erfahrungen gemacht. Ich finde, auch das Vorarlberger Modell mit den Bürgerräten ist ein wirklich sehr interessantes. Das haben wir aber teilweise auch schon in Wien, wie Kollege Taucher gesagt hat. (Bundesrätin Mühlwerth: Das ist aber etwas anderes!) Wir sollten wirklich im Rahmen des Föderalismus auf Länder- und auf Gemeindeebene die direkte Demokratie mit Dynamik weiterentwickeln.

Viertens: Auch im Bund sollen wir die direkte Demokratie weiterentwickeln. Dieses in der Literatur genannte Dezemberpaket der Klubobmänner der beiden Regierungs­parteien finde ich sehr interessant. Es ist auch nicht der Endpunkt. Vielleicht kann man zusätzlich auch eine Enquete-Kommission, wenn es genug Unterschriften bei Volks­begehren gibt, einführen, aber es soll eine organische Weiterentwicklung, eine evolutionäre Weiterentwicklung geben, und nicht einen totalen Bruch, denn so schlecht ist das politische System in Österreich nicht. Ich finde, es ist sogar ganz gut.

Es ist kein Zufall, dass Österreich innerhalb der EU bei allen für die Menschen wesentlichen Daten wie Arbeitslosigkeit, Wirtschaftsleistung, Gleichberechtigung im Spitzenfeld ist. Das liegt sicher auch am politischen System. Es liegt sicher auch – weil ich hier Wien vertrete – am politischen System, dass Wien laut Mercer-Studie die lebenswerteste Stadt der Welt ist, dass es nach einer Studie der UNO die Most Prosperous City in the World ist. (Präsident Mayer übernimmt wieder den Vorsitz.)

Ich denke, da ist die direkte Demokratie sicher ein Ansatz, ein noch besseres System zu schaffen, weitere Verbesserungen zu schaffen, aber wir brauchen keinen Bruch, sondern eine kontinuierliche Weiterentwicklung eines im Prinzip guten Systems. – Danke schön. (Beifall.)

14.50


Vorsitzender Präsident Edgar Mayer|: Nun gelangt Herr Universitätsdozent Dr. Bußjäger zu Wort. – Bitte.

 


14.50.38

Univ.-Doz. Dr. Peter Bußjäger (Institut für Föderalismus)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann eigentlich an das anknüpfen, was mein Vorredner gesagt hat. Es erinnert mich irgendwie an den Österreich-Konvent, wo wir auch immer wieder miteinander zu tun hatten.

Ich würde auch meinen, dass man das bestehende System evolutionär weiterent­wickeln sollte. Ich glaube, dass die Länder und Gemeinden eine ganz wesentliche Aufgabe dabei haben. Also sie sollen in diesem System die Träger des innovativen Föderalismus sein. Sie sollen zeigen, dass es geht, dass man auch keine Angst vor der direkten Demokratie haben muss. In dem Sinn möchte ich – ich glaube, der Bun­desrat ist hier schon der richtige Rahmen dazu – die Länder und Gemeinden, und vor allem natürlich auch die Länder als zuständige Gesetzgeber, auffordern, die Spiel­räume, die ihnen von der Bundesverfassung gegeben sind, auszunutzen. Die sind schon da, auch wenn es – es ist ja heute mehrfach angeklungen – vom Verfassungs­gerichtshof durchaus – teilweise auch berechtigte – Schranken gibt.

Ich bin auch der Meinung, man muss nicht gleich eine Gesamtänderung der Bun­desverfassung anstreben, aber man könnte schon zumindest die direktdemokratischen Elemente, die wir derzeit in den Landesverfassungen haben, zum Beispiel das Veto­referendum in verschiedenen Bundesländern, bundesverfassungsrechtlich absichern.

Da gesagt wurde, im Österreich-Konvent und in der Bundesstaatsreform hätte es dazu keine Vorschläge gegeben: Es hat sie schon gegeben, und ich lese die vorge­schlagene Ergänzung zu Artikel 99 der Bundesverfassung vor:

Die Landesverfassung „kann vorsehen, dass die zum Landtag Wahlberechtigten unmit­telbar an der Landesgesetzgebung mitwirken können.“

Mehr braucht es aus meiner Sicht eigentlich nicht. Vielleicht einigt man sich einmal auf eine solche Novelle zur Bundesverfassung. Den Bund würde es nichts kosten, und den Föderalisten würde es freuen. Dessen ungeachtet können die Länder auch auf Basis der bestehenden Verfassungsrechtslage Fortschritte erzielen.

Ich möchte noch einen Punkt ergänzen, weil das in den Referaten auch zur Sprache gekommen ist, nämlich bezüglich Abstimmungsinformation: Hier hat man sich in Vor­arl­berg in einer Arbeitsgruppe darauf verständigt, die rechtlichen Grundlagen dahin gehend zu ändern, dass eine solche Abstimmungsinformation, wie es sie in der Schweiz gibt, verwirklicht werden soll. Es soll auch ermöglicht werden, Unterschriften, Unterstützungserklärungen für Volksbegehren zu sammeln, ohne dass man auf das Gemeindeamt gehen muss, beispielsweise bei der Dornbirner Messe oder wo auch immer, so wie das auch in der benachbarten Schweiz und in Liechtenstein möglich ist. – Herzlichen Dank. (Beifall.)

14.53


Vorsitzender Präsident Edgar Mayer|: Danke, Herr Dozent Bußjäger. Beispiele aus Vorarlberg hört man immer wieder gerne im Bundesrat.

Als Nächste zu Wort gelangt Frau Mag. Ettl. – Bitte.

 


14.53.57

Mag. Ruth Ettl (Österreichischer Gewerkschaftsbund)|: Sehr geehrter Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vielen Dank an die Referenten und Referentinnen für den spannenden Tag. Der Österreichische Gewerkschaftsbund ist für eine Stärkung der direkten Demokratie, indem Instrumente wie Volksbegehren und BürgerInneninitiativen ausgebaut und diese auch verpflichtend im Parlament behandelt werden. Das soll eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Anliegen der BürgerInnen stärken und mehr Transparenz schaffen.

Ebenso bekennt sich der Österreichische Gewerkschaftsbund aber auch zur reprä­sentativen Demokratie. Das heißt, ein Volksabstimmungsautomatismus, wie wir ihn heute auch mehrmals andiskutiert haben, ist deshalb abzulehnen. Gründe wie Min­derheitenschutz, Grundrechte sind ja stark mitzubedenken.

Der Österreichische Gewerkschaftsbund schlägt folgende Elemente zur Stärkung der direkten Demokratie vor: Eine Idee ist, Volksbegehren ab 100 000 Unterschriften im Rahmen einer verpflichtenden parlamentarischen Enquete zu behandeln und eine öffentliche Diskussion mit VertreterInnen aus der Politik, ExpertInnen, VertreterInnen der Volksbegehren und interessierter Zivilgesellschaft zu ermöglichen. Ebenso soll im Rahmen einer Volksbegehrenssitzung eine Debatte im Parlament darüber stattfinden, hierbei wieder unter Berücksichtigung und Vertretung der VertreterInnen des Volksbegehrens. Es soll natürlich ausreichend Redezeit geben und die Möglichkeit, am Ende der Debatte ein abschließendes Resümee abzugeben.

Danach soll – so die Idee – der Nationalrat in einer Sondersitzung darüber abstimmen, ob in Bezug auf dieses Volksbegehren eine entsprechende Regierungsvorlage durch die Regierung erarbeitet werden soll. Falls in der Sondersitzung dafür gestimmt wird, wird die Regierung mittels Entschließungsantrag aufgefordert, einen Gesetzentwurf zu erarbeiten, der natürlich im Nationalrat wieder abgestimmt wird, aber da gibt es durchaus eine Möglichkeit, weitere Diskussionen und Initiativen zu starten.

Ein weiterer wichtiger Schritt ist natürlich – wie wir es heute schon gehört haben – die Möglichkeit des elektronischen Einbringens von Anliegen, aber auch der Abbau von finanziellen Hürden, die mit Anliegen der direkten Demokratie verbunden sind.

All dies soll getragen sein von mehr Transparenz, von Livestreams auf der Parla­mentshomepage oder Live-Übertragungen im ORF und parlamentarischen Enqueten in diesem Rahmen, und das regelmäßig. – Danke. (Beifall.)

14.56


Vorsitzender Präsident Edgar Mayer|: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Abgeord­nete zum Nationalrat Mag. Musiol. – Bitte.

 


14.56.58

Abgeordnete Mag. Daniela Musiol (Grüne)|: Ich muss zugeben, ich war heute Vormittag etwas überrascht darüber, wie die Diskussion gelaufen ist. Bei der ersten Runde nach den ExpertInnen – denen ich allen von meiner Seite und von grüner Seite noch einmal dafür danken möchte, dass sie hier wichtige Impulse gegeben haben – hatte ich den Eindruck, die Diskussion läuft anders als im Nationalrat, nämlich offener und durchaus konstruktiv in die Richtung: Wir wollen hier wirklich ernsthaft ein Demokratiepaket, wir wollen hier wirklich ernsthaft in Richtung mehr Demokratie arbeiten.

Ich muss sagen, diese optimistische Stimmung, die ich in die Mittagspause mitge­nommen habe, habe ich aufgrund der letzten Beiträge, vor allem von Fraktions­vertre­terInnen, jetzt nicht mehr, weil ich wieder genau diese Mechanismen bemerkt habe, die es auch im Nationalrat gibt.

Das Demokratiepaket, das Cap und Kopf vor Weihnachten vorgestellt haben, ist aus meiner Sicht kein Paket, das dazu neigt oder das dazu geeignet ist, direkte Demokratie schmackhaft zu machen, denn mit bitteren Pillen kann man Demokratie nicht schmackhaft machen.

Herr Professor Öhlinger hat das ja auch am Beispiel der BürgerInnenanfrage aus­geführt: Diese BürgerInnenanfrage ist kein Fortschritt und ist kein Mehr an Demokratie. Es gibt das Auskunftsgesetz. Es gibt schon jetzt die Möglichkeit für BürgerInnen, Anliegen an die MinisterInnen, an die PolitikerInnen im Gesamten zu richten. Aus meiner Sicht muss es selbstverständlich sein – für jeden Demokraten und jede Demo­kratin und jeden Funktionär und jede Funktionärin –, Anfragen, die er oder sie aus dem Volk bekommt, von einer BürgerIn, von einer WählerIn, zu beantworten.

Warum man hier 10 000 Unterschriften beziehungsweise die eigene ausgenommen 9 999 Unterschriften sammeln muss und dann nicht einmal die Möglichkeit hat, in das Parlament zu gehen, um nachfragen zu können, sondern wieder die Abgeordneten ´ die Möglichkeit bekommen, die Nachfragen zu stellen, das ist mir wirklich nicht ersichtlich und kann ich auch nicht als einen Fortschritt von direkter Demokratie sehen. Das werde ich auch morgen im Hearing des Verfassungsausschusses und bei den weiteren Behandlungen dieses Pakets sagen.

Das ist genau das Problem, das heute auch angesprochen wurde. Wir, die wir hier im politischen Geschäft sind, wissen alle, wie das läuft: Jetzt wird einmal dieses Demo­kratiepaket verabschiedet, so wie diese Wahlrechtsreform in der letzten Sitzung ver­abschiedet wurde, und dann ist wieder für Jahre Schluss. Es ist nicht so, dass hier die ersten Schritte gesetzt werden, und dann alle eifrig an den zweiten Schritten arbeiten, sondern üblicherweise hört man dann – nicht nur als Oppositionspolitikerin, sondern auch als Initiative, wie Sie hier sitzen und seit Jahrzehnten, viel länger als ich, dafür arbeiten und kämpfen, dass hier etwas weitergeht –: Wir haben doch eh gerade dieses und jenes und dieses beschlossen.

Insofern hier mein Appell, ohne mich jetzt inhaltlich weiter auszubreiten: Bitte, verkau­fen wir weder uns selbst, noch den Initiativen, noch den Bürgerinnen und Bürgern dieses Demokratiepaket als einen Fortschritt in Richtung direkte Demokratie, sondern nehmen wir uns selber ernst, nehmen wir die BürgerInnen ernst!

Wenn wir uns schon aufgrund irgendwelcher Motivationen nicht einigen können, weil es hier ideologische Unterschiede gibt, weil es hier vielleicht auch eine gewisse Be­harrungstendenz gibt, weil das auch bedeutet, dass sich Parlamentarismus, die parlamentarische Arbeit und die Arbeit der PolitikerInnen ändern müssen, wenn wir schon das nicht überwinden können, dann folgen wir doch den Vorschlägen, die auch von den Initiativen gemacht werden, zum Beispiel von mehr demokratie! Österreich, die sagt: Lassen wir doch die BürgerInnen ran! Machen wir einen BürgerInnenrat oder eine BürgerInnenversammlung, repräsentativ zusammengesetzt, durch Zufallsprinzip ausgewählt! Das ist beispielsweise auch in Island geschehen, wo eine ganze Verfassung in diesem Stile produziert wurde – nicht beschlossen, denn beschlossen werden muss es vom Parlament, aber sie wurde behandelt. Lassen wir die BürgerIn­nen doch erarbeiten, welche Form von direkter Demokratie, von direktdemokratischen Instrumenten sie sich vorstellen!

Ich als Verfassungssprecherin der Grünen weiß auch nicht, ob das, was ich hier fordere, das ist, was die BürgerInnen wollen. Wir werden es auch nicht durch Mei­nungs­umfragen herausfinden. Lassen wir sie arbeiten, und schauen wir, was heraus­kommt! (Beifall.)

15.01


Vorsitzender Präsident Edgar Mayer|: Frau Kollegin Musiol, es freut uns, wenn Sie Positives vom Vormittag mitgenommen haben, denn unser Thema ist ja auch „Mehr direkte Demokratie, mehr Chancen für die Bürgerinnen und Bürger in den Ländern und Gemeinden“, und das diskutieren wir vom Bundesrat. Wir sind aber froh und stolz, wenn Sie das mit in den Nationalrat nehmen, Frau Kollegin.

Als Nächster zu Wort gelangt Herr Mag. Mayer vom Verein mehr demokratie!. – Bitte.

 


15.01.46

Mag. Erwin Mayer (mehr demokratie!)|: Guten Tag! Zuerst einmal danke ich dem Herrn Vorsitzenden, dass diese Sitzung live übertragen wird, dass es einen Livestream gibt. Wir haben da einen intensiven Austausch gehabt, und man ist erstmals dieser Forderung nachgekommen. Das finde ich gut. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass das, was hier argumentiert wird, breit nach draußen getragen wird.

Jetzt zu zwei Punkten; zuerst zu einem ganz konkreten Punkt: Herr Bußjäger hat es schon angesprochen – ich brauche diesen Satz fast nicht mehr zu zitieren –: Ein Drittel des Bundesrates kann einen Gesetzgebungsprozess starten, einen Gesetzgebungs­vorschlag an den Nationalrat machen. Und von genau diesem Satz, nämlich dass die Länder sozusagen eine direkte Volksgesetzgebung einführen können, hätte ich gerne, dass ihn der Bundesrat in den Nationalrat einbringt.

Ich möchte hier quasi eine Zwischenabstimmung darüber machen, wer vom Bundesrat dem zustimmen kann. Ich habe gehört, ihm Bundesrat ist ein Handzeichen üblich. Wer von Ihnen kann diese Initiative mit Handzeichen unterstützen? Dann sieht man näm­lich, ob der Bundesrat wirklich gewillt ist, betreffend direkte Demokratie einen ersten konkreten Schritt zu setzen.

Warum ist das so notwendig? – Die Zeit eilt. Meine Vorrednerin hat schon gesagt, nach der Wahl ist leider nicht sozusagen der erste Tag, an dem zu arbeiten begonnen wird, sondern dann, wenn die Wähler nicht genau hinschauen, wenn der Druck der Wähler nicht da ist, ist es mit der direkten Demokratie im Normalfall vorbei, auch weil ehemalige Oppositionsparteien als Regierungsparteien sehr schnell die direkte Demo­kratie vergessen. Das soll schon einige Male vorgekommen sein.

Deswegen der Zeitplan: Der Bundesrat macht eine Initiative an den Nationalrat, drängt auf eine rasche Behandlung im Nationalrat, das Recht hat er. Vor der Sommerpause geht das durch, und wir haben eine Volksabstimmung, die zur Einführung der direkten Demokratie notwendig ist, mit dem Nationalratswahltermin im September.

Ich würde kurz um ein Feedback bitten, wer das unterstützen kann.

 


Vorsitzender Präsident Edgar Mayer|: Herr Mayer, ich habe einen kurzen Einwand: Derartige Abstimmungen werden normalerweise vom Präsidenten vorgeschlagen und nicht von Rednern. Außerdem sind zu wenige Bundesräte im Saal, wir sind nicht beschlussfähig, auch nicht gemeinsam mit den Abgeordneten zum Nationalrat. Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen.

Bitte, Sie sind am Wort.

 


15.04.10Mag. Erwin Mayer (fortsetzend)|: Aber es ist trotzdem wichtig, hier ein Meinungsbild einzuholen.

Das Zweite wurde jetzt auch schon angesprochen: Ich glaube, es braucht eine Ver­bindung von partizipativer, teilhabender Demokratie mit direkter Demokratie. Das ist für uns kein Gegensatzpaar, kein Entweder-oder, sondern partizipative Demokratie ist notwendig, um einen Vorschlag zu erarbeiten. Aber – und jetzt kommt ein ganz entscheidendes Aber – was nicht gehen kann, ist, dass dann die indirekte Politik sagt: Das ist ein netter Vorschlag, das nehmen wir gerne als Input auf, Gratis-Consulting ist jederzeit gefragt, aber wir entscheiden dann autonom, was mit diesem Vorschlag geschieht und was daraus zu machen ist! – So kann es nicht gehen!

Wenn die BürgerInnen wollen, dass ihr Vorschlag umgesetzt wird, dann muss es dazu zumindest eine Abstimmung geben. Und da ist es wichtig, dass es zu diesem ersten Instrument – Vorschlag machen – immer ein zweites Instrument einer Abstimmung mit Ja/Nein gibt.

Warum? – Es ist mehrfach angesprochen worden, Volksbegehren sollten öfter umge­setzt, besser behandelt werden. Das verstehe ich gar nicht, warum das der Fall sein sollte. Volksbegehren und Initiativen, auch Petitionen sind das Sammeln von Ja-Stim­men. Da haben Sie dann 1 000 Stimmen, 100 000 Stimmen, 1,5 Millionen wie beim Konferenzzentrum, aber Sie wissen überhaupt nicht, wie die Grundgesamtheit denkt. Sie könnten ja, wenn Sie das umsetzen, immer massiv gegen den Mehrheitswillen sozusagen ein Gesetz beschließen. Daher braucht es zwingend die zweite Stufe, manchmal ist es die dritte Stufe, bei der im Rahmen einer Volksabstimmung Ja- und Nein-Stimmen gesammelt werden, und das muss dann gelten.

Deswegen fordern wir, wie meine Vorrednerin auch schon angesprochen hat, dass ein BürgerInnenrat, repräsentativ nach dem Geschworenenprinzip ausgewählt – dafür gibt es eben das Vorbild aus Vorarlberg –, einen Vorschlag ausarbeitet. Die bekommen den Auftrag: Macht eine Verfassungsreform, im Speziellen zur Regelung der direkten Demokratie, auch im Zusammenspiel mit der indirekten Demokratie!, und über diesen Vorschlag gibt es eine Volksabstimmung. Daneben kann es auch einen Vorschlag aus dem Parlament geben – dann gibt es zwei Vorschläge, auch das ist in der Schweiz üblich –, oder es gibt eine Volksabstimmung nur über den Vorschlag des BürgerIn­nenrates.

Zu vermeiden ist, dass die indirekte Demokratie allein ein Paket ausarbeitet und dieses dann sozusagen nach dem Motto „Friss Vogel oder stirb!“ der Bevölkerung vorlegt, und die Bevölkerung kann das Paket als Ganzes annehmen oder ablehnen. So kann es nicht funktionieren!

Wir brauchen sozusagen eine Entscheidung der BürgerInnen – damit komme ich zum Ende – über folgende Punkte, denn nur dann können sie wirklich mitreden: die Anzahl der Unterschriften, in welchem Zeitraum, über den Wortlaut des Abstimmungstextes, ob der aus der Initiative oder aus dem Parlament kommt, ob die Volksabstimmung ein Recht der Bevölkerung, des Parlaments oder von beiden ist, ob es ein Beteiligungs- oder Zustimmungsquorum geben soll, und wenn ja, wie hoch das sein soll, und – last but not least – ob es Themenausschlüsse geben soll.

Über all diese Themen soll der BürgerInnenrat Vorschläge machen und in einer Volks­abstimmung entschieden werden. – Danke. (Beifall.)

15.06


Vorsitzender Präsident Edgar Mayer|: Danke, Herr Mag. Mayer. mehr demokratie! bekommt auch mehr Redezeit. Es waren 5 Minuten.

Zu Wort gelangt Herr Bundesrat Schweigkofler. – Bitte.

 


15.07.00

Bundesrat Johann Schweigkofler (SPÖ, Tirol)|: Herr Präsident! Geschätzte Damen und Herren! Da heute davon gesprochen wurde, dass aufgrund der Unzufriedenheit mit der Politik der Ruf nach mehr Demokratie in Österreich laut geworden ist, darf ich auf die unterste Ebene, die ich als direkt gewählter Bürgermeister repräsentiere, zu sprechen kommen. Egal, ob es die Befragungen durch den Österreichischen Städte­bund oder auch den Österreichischen Gemeindebund sind, alle sagen auf die Frage, mit welcher Politik der Bürger am zufriedensten ist: mit der Politik in den Gemeinden! Wir haben die höchste Akzeptanz in den Gemeinden, weil wir als Bürgermeister, als Gemeinderäte von den Bürgerinnen und Bürgern auch direkt kontaktiert werden können.

Ich darf ein Beispiel für direkte Demokratie aus meiner eigenen Gemeinde bringen. Ein großer Spanplattenbetrieb wollte eine Erweiterung vornehmen. Die Tourismus­wirtschaft im Bezirk Kitzbühel wollte das logischerweise nicht, hat eine Bürgerinitiative gestartet, dann eine Volksbefragung initiiert. Die Volksbefragung ging mit 65 Prozent gegen eine Erweiterung aus. Warum? – Weil weder das Werk informierte, noch die Gemeinde in der Lage war, entsprechende Informationen an die Bürger weiterzuleiten, sodass dann eben die Bürgerinitiative mit ihren Argumenten durchkam.

Drei Jahre später, es gab einen Wechsel in der Gemeindeführung, kam der Betrieb zur Gemeinde und sagte – der Betrieb hat 450 Arbeitsplätze in der Gemeinde –: Ich muss erweitern, um konkurrenzfähig zu sein! Lieber Bürgermeister, jetzt musst du etwas machen, sonst muss ich mit meinem Betrieb abwandern!

Meine Überlegung war: Was mache ich? – Es hat einen aufrechten Gemeinde­rats­beschluss gegeben, dass es keine Erweiterung des Werkes in Richtung Oberndorf gibt, auch wenn der Grundbesitzer dafür gewesen wäre. Also habe ich zu dem Firmen­besitzer gesagt: Du wirst jetzt einmal eine Informationspolitik betreiben, wo die Bür­gerinnen und Bürger genau wissen, a) was bei dir im Werk geschieht, b) was bei der Erweiterung geschieht, welche Auswirkungen das hat. Und du wirst natürlich auch, was das Problem bei Spanplattenwerken ist, entsprechend Geld einsetzen, um die Umwelt­situation in unserer Region zu verbessern.

Auf der anderen Seite stand die Frage an den Tourismusverband, an die Dorf­erneue­rung, an die Gemeinderäte und überhaupt an die Bürgerinnen und Bürger: Unter welchen Bedingungen kann dieses Werk erweitern? – Wir haben all diese Vorschläge der Bürgerinnen und Bürger gesammelt, und ich muss heute sagen, die besten Ideen und die besten Forderungen sind von der Dorferneuerung gekommen, von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Dorferneuerung.

Dieses Paket haben wir dann mit einem Rechtsanwalt zu einem Vertrag geschnürt. Dieser Vertrag musste mit der Firma abgeschlossen werden, und als dieser Vertrag abgeschlossen wurde, hatten die Bürgerinnen und Bürger eine Woche lang Zeit, in der Gemeinde darüber abzustimmen, ob sie unter den Voraussetzungen dieses Vertrages für die Erweiterung sind: Ja oder Nein? – Das Ergebnis war: 72 Prozent der Wähle­rinnen und Wähler haben mitgemacht, 78 Prozent haben sich für eine Erweiterung aus­gesprochen.

Solche Sachen würde ich mir auch auf Landes- und Bundesebene öfter wünschen. – Danke schön. (Beifall.)

15.09


Vorsitzender Präsident Edgar Mayer|: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete zum Nationalrat Mag. Steßl-Mühlbacher. – Bitte.

 


15.10.25

Abgeordnete Mag. Sonja Steßl-Mühlbacher (SPÖ)|: Herr Präsident! Geschätzte Expertin­nen und Experten! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich glaube, dass wir hier nicht über mehr oder weniger Demokratie diskutieren sollten, sondern uns auch fragen sollten, was überhaupt der Sinn und Zweck einer parlamentarischen Demokratie und auch der Sinn und Zweck einer reprä­sentativen Demokratie ist, warum wir uns in der Republik Österreich damals dazu entschlossen haben, auch ein repräsentatives Demokratiesystem neben den Volks­initiativen, Volksbegehren und Volksabstimmungen zu machen.

Ich denke, dass es insbesondere auch bei der repräsentativen Demokratie darum geht, einen sozialen und gesellschaftlichen Ausgleich zu finden. Direkte Demokratie wird oft, insbesondere in der letzten Zeit, in der politischen Diskussion als Allheilmittel bezeich­net. Das glaube ich eher nicht. Ich glaube, dass unsere österreichische Bundesver­fassung bereits sehr, sehr viele Elemente der direkten Demokratie kennt. Die Frage ist nur: Wie setzen wir diese ein, und insbesondere wie gestalten wir diese weiter?

Die Schweiz wurde heute öfters als Beispiel genannt, und auch die Expertin (in Richtung von Frau Dr. Braun Binder) hat uns von ihren Erfahrungen erzählt. Ich meine, in der Schweiz gibt es bezüglich Volksinitiativen, Volksgesetzgebung eine ganz andere Tradition, als wir sie hier in Österreich haben. Diese Volksinitiativen, Volksabstim­mun­gen dauern oft über Jahre, es gibt das sogenannte Abstimmungsbüchlein. So können wir auch durch die Volksbefragung, die wir heuer durchgeführt haben, doch einiges lernen, wie etwa dass das Volk schon auch eine objektive Information benötigt.

Insbesondere meine ich auch, dass es wichtig ist, dass wir derartige direktdemo­krat­ische Elemente aus dem politischen Alltags-Hickhack und auch aus Anlassfällen heraushalten, denn es ist wichtig, erstens einen Diskurs, aber auch einen ausführlichen Dialog zu führen.

Was bedeutet das nun für unser österreichisches System? Welche Systematiken kön­nen wir da herauslesen? – Die Herausforderung besteht darin, unsere Instrumente anders anzuwenden, als wir sie bis dato anwenden: einmal eine Volksbefragung, zweimal eine Volksabstimmung. Das Bildungsvolksbegehren wurde zwar im National­rat in einer Sitzung und auch in einem Sonderausschuss behandelt, aber ich glaube, dass es noch bessere Möglichkeiten gäbe, diese Themen zu behandeln. Und das werden wir auch morgen im Verfassungsausschuss ausführlich tun.

Ich möchte mich herzlich für die Möglichkeit bedanken, im Rahmen dieser Bundesrats-Enquete sprechen zu dürfen. Ich glaube, dass es ganz, ganz wichtig ist, dass wir uns auch auf den verschiedenen Ebenen in dieser Art und Weise austauschen, denn gerade auf kommunalen Ebenen und auch Länderebenen wächst die direkte Demo­kratie. Direkte Demokratie soll sich in einer offenen Gesellschaft weiterentwickeln, und das einzig Dauerhafte ist nach wie vor die Veränderung. – Herzlichen Dank. (Beifall.)

15.14


Vorsitzender Präsident Edgar Mayer|: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter zum Nationalrat Mag. Widmann. – Bitte.

 


15.14.20

Abgeordneter Mag. Rainer Widmann (BZÖ)|: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich bedanke mich bei den Experten, weil das Thema sehr tiefgehend ist, insbesondere wenn es von Juristen betrachtet wird. Es ist aber auch wichtig, dass direkte Demokratie von den Menschen verstanden wird. Da bin ich mir nicht ganz sicher, ob das, was wir heute besprochen haben, auch bei den Menschen draußen so angekommen ist, ob die ganzen Instrumente, die uns die Regierung von ÖVP und SPÖ jetzt vorlegt, überhaupt verstanden werden. Ich bezweifle das.

In Artikel 1 der Bundesverfassung steht: Alles Recht geht von den Menschen, von den Bürgern, vom Volk aus. – Ist das so in Österreich? Ich frage Sie: Ist das so? Oder geht das Recht vom Parlament aus? Geht das Recht vom Parlament aus oder geht es von den Parteisekretariaten aus, von den Sozialpartnerschaften? Ich sage nicht, dass das grundsätzlich schlecht sein muss, aber welche Aufgabe haben wir Parlamentarier und welche Rolle spielt der Mensch, der Bürger in diesem Land?

Ich glaube, wenn wir den Artikel 1 in diesem Land ernst nehmen, dann muss es auch eine Volksgesetzgebung geben. Und da muss darüber diskutiert werden, wie diese ausformuliert wird, verständlich formuliert wird und umsetzbar wird. Dann sind wir dort, was die Vertreter der Initiativen gesagt haben, dass man sich in Arbeitsgruppen, in Bürgerbeiräten, wie auch in Vorarlberg, zusammensetzen und schauen sollte, wie das funktionieren könnte. Ich denke, es ist in unser aller Sinne, zu schauen, was man tun könnte.

Da das Wort „Österreich-Konvent“ heute gefallen ist: Sie wissen alle, was davon übrig geblieben ist. Ich fürchte nur, dass die heutige Enquete auch das Schicksal haben wird, dass wir schöne Worte gefunden haben, alle wollen wir die Demokratie ausbauen, aber im Endeffekt geschieht dann nichts. Ja, was hält uns denn ab, etwas zu tun – es ist bereits angesprochen worden –, hier im Bundesrat initiativ zu werden, im Parlament initiativ zu werden? Wer bremst uns denn? Wer? Sind es die Parteivorsitzenden, die Parteisekretariate? – Die Bürger draußen mitnichten, die mit Sicherheit nicht, denn die wollen den Ausbau der direkten Demokratie!

Ich weiß schon, das kann man nicht von einem Tag auf den nächsten machen, aber man sollte es angehen. Wir sollten auch neue Techniken nutzen, Stichwort Internet-Volksbegehren zum Beispiel, die Bürgerkarte ist angesprochen worden, um den Zugang zu erleichtern, mit allen Problematiken, die Professor Öhlinger angesprochen hat, weil das auch in manchen Bereichen einschränkend ist.

Aber ich denke, Volksgesetzgebung und auch Volksveto sind ein Muss, darüber könnte man sich einigen. Alles andere, was wir darunter erledigen, sind im Prinzip kleine Teilchen, Peanuts, die auch dazugehören, die die richtige Richtung zeigen, aber mit Sicherheit nicht der große Wurf sind.

Was ist das für eine Demokratie, wo die Bürger auf Gemeinde- und auf Länderebene ungleiche Rechte haben, wo in manchen Statutarstädten eine Bürgerbefragung laut Statut gar nicht möglich ist, in anderen sehr wohl? Was sind das für Länder, wo man in Vorarlberg andere Bürgerrechte hat als im Burgenland oder in Oberösterreich? Sind hier wirklich alle Österreicher gleich vor dem Gesetz oder vor dem Recht? – Das sind die Dinge, über die wir nachdenken und die wir schleunigst ändern müssen.

Ich glaube, dass es auch ein gewisses Mindestmaß an Bürgerrechten und Standards seitens des Bundes festzulegen gilt. Es kann nicht sein, dass in manchen Ländern über Dinge abgestimmt werden darf und in anderen nicht! Das muss man in Hinkunft auch sicherstellen.

Es sollte neue Instrumente geben. Die Bürgerstellungnahmen zu allen parla­men­tarischen Materien, die Bürgeranfragen sind genannt worden, aber man muss das Instrument handhabbar und einfach gestalten. Daher glaube ich, dass wir auf dem richtigen Weg sein können, ich befürchte nur, dass in der heutigen Enquete zwar viel Richtiges gesagt wurde, aber die Umsetzung nicht stattfinden wird.

Daher meine Aufforderung an Sie: Tun Sie etwas gemeinsam mit den Bürgern in diesem Land für mehr direkte Demokratie! (Beifall.)

15.17


Vorsitzender Präsident Edgar Mayer|: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Abge­ordneter zum Nationalrat Mag. Gerstl. – Bitte.

 


15.18.05

Abgeordneter Mag. Wolfgang Gerstl (ÖVP)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Experten! Hoher Bundesrat! Ich bedanke mich für diese Initiative des Bundes­rates, die zeitlich nicht besser hätte gewählt werden können.

Heute diskutieren wir sozusagen über mehr Mitbestimmung für die Länder und Ge­mein­den, morgen diskutieren wir im Verfassungsausschuss des Nationalrates über die Stärkung der direkten Demokratie auf Bundesebene. Ich glaube, dass wir das sehr wohl auseinanderhalten sollten.

Wo die Österreichische Volkspartei steht, das ist ganz klar. Es ist rund ein Jahr her, als unser Obmann der Jungen Volkspartei, Staatssekretär Sebastian Kurz, einen sehr umfassenden Vorschlag für mehr Mitbestimmung, für mehr Persönlichkeitswahlrecht vorgestellt hat, weil es bereits acht Wahlkreise in Österreich gibt, die keinen Vertreter mehr im Nationalrat haben, weil die Parteien die Wahlzahl nicht mehr erreichen. Wir wollen mehr direkte Demokratie bis hin zur Gesetzesinitiative des Bundesvolkes.

Morgen diskutieren wir im Verfassungsausschuss einen Entwurf, der nun eine Mehrheit gefunden hat. Ich brauche Herrn Professor Öhlinger nicht zu erklären, dass man für jeden Vorschlag mindestens 50 Prozent plus eine Stimme braucht und daher ein Vorschlag dann zusammenkommt, wenn wir 50 Prozent plus eine Stimme haben. Aber wir laden alle Parteien dazu ein, auch an einem ersten Schritt mitzuwirken. Wir brauchen in einigen Bereichen der direkten Demokratie auch die Zustimmung der Opposition.

Das heißt, es ist nun auch Aufgabe der Opposition, wenn sie für mehr direkte Demo­kratie ist, diesem Entwurf einmal zuzustimmen, was nicht heißt, dass damit das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Ganz im Gegenteil! Ich habe bei der letzten Diskussion im Nationalrat auch schon gesagt, ganz wichtig ist es, den nächsten Schritt sofort weiterzuplanen, sofort zu Beginn der nächsten Legislaturperiode, um dann die nächs­ten Schritte zu setzen.

Aber ich möchte ein Wort von Ihnen, Frau Dr. Braun Binder, aufgreifen, weil ich glaube, dass das in der Diskussion fast ein bisschen zu kurz gekommen ist: Es kommt nicht nur darauf an, welche Gesetze wir machen und welche Möglichkeiten es gibt, sondern es kommt auch darauf an, wie ernst wir unsere Anliegen nehmen und wie ernst wir die Bürgerinnen und Bürger miteinbeziehen. Das, was in den vergangenen Monaten in Wien geschehen ist, war nicht ein Ernstnehmen der Bürgerinnen und Bürger. (Bun­desrat Todt: Selbstverständlich war es ein Ernstnehmen der Bürgerinnen und Bürger! Das ist Polemik, was Sie hier machen!)

Bürgerinnen und Bürger in Wien wollten mehr Mitbestimmung in der Parkraumbewirt­schaftungsfrage. Aber sie haben sie nicht bekommen. (Bundesrat Todt: Sie haben ja die Frage der Parkraumbewirtschaftung gehabt!) – Ich bedanke mich ganz herzlich, Herr Kollege. Diese Frage kam, sie wurde mit einer Mehrheit beantwortet. (Bundesrat Todt: Weil es Ihnen nicht gefällt, wie die Frage gestellt ist! Sie haben keine Mehrheit, daher stellen Sie die Frage nicht!) So, wie Frau Dr. Bachofner, versuchen wir, für die Bürgerinnen und Bürger ein Diskussionsklima zu schaffen, das die Bürgerinnen und Bürger auch wollen. Nicht hineinschreien, ausreden lassen! Das ist das, was sich die Bürgerinnen und Bürger wünschen. Lassen Sie die Leute einfach ausreden, dann sind wir bei richtiger Partizipation! (Bundesrat Todt: Die Bürgerinnen und Bürger lassen wir ausreden, Sie nicht!)

Da haben die Bürgerinnen und Bürger gesagt, es ist notwendig, dass die Bezirke entscheiden. Und was passiert gerade? – Die Bezirke dürfen weiter keine Volksbe­fragung bezüglich Parkraumbewirtschaftung machen. Also nehmen Sie die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger ernst! Dann ist direkte Demokratie etwas ganz Leichtes, dann kommt es nämlich aus dem Herzen heraus. Dann kommt es darauf an, wo man wirklich hinwill, und da kann man die Menschen mitnehmen, dann stimmen sie auch gerne mit.

Und dann gibt es nicht lange Fristen, noch acht Tage später, dass man ein Wahl­ergebnis danach noch nachfälschen kann, was es im Nationalrat schon lange nicht mehr gibt, dass in Wien auf einmal, acht Tage nach Ende des Wahltages, das Wahl­ergebnis in der Wahlbeteiligung noch um 10 Prozent steigen kann.

Meine Damen und Herren! Schlussendlich ist es wichtig, dass wir nicht nur auf das demokratische Prinzip schauen, wenn wir uns die Verfassung anschauen, sondern auf alle Prinzipien. Es nützt nichts, die beste Demokratie zu haben, wenn nicht das rechtsstaatliche Prinzip eingehalten wird, wenn nicht auch das liberale Prinzip einge­halten wird, wenn nicht das republikanische und das bundesstaatliche Prinzip einge­halten werden. Das ist ein wichtiger Punkt in der Zusammenschau, gemeinsam zu arbeiten, dann können wir nämlich die Politikverdrossenheit wieder nachhaltig ab­bauen. (Beifall.)

15.22


Vorsitzender Präsident Edgar Mayer|: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter zum Oberösterreichischen Landtag Dr. Dörfel. – Bitte.

 


15.23.03

Landtagsabgeordneter HR Dr. Christian Dörfel (Oberösterreichischer Landtag)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich herzlich bei den Referenten bedanken, die uns den ganzen Tag über schon sehr interessante Vorschläge gebracht haben, wie wir die Demokratie weiterentwickeln können. Das Hauptthema, unausgesprochen, ist eigentlich: Wie können wir die Bürger verstärkt in politische Entscheidungsprozesse einbinden? Und die Diskussion zeigt ja auch, dass es da von Bürgerbeteiligungsmodellen über Änderungen im Wahlrecht bis hin zur Schärfung der Instrumente der direkten Demokratie geht.

Ich möchte nur auf ein paar Dinge eingehen, die wir in Oberösterreich in dieser Richtung planen, und möchte hier bei den Bürgerbeiräten beginnen. Ich bin selber Bürgermeister von Steinbach an der Steyr, das liegt im Bezirk Kirchdorf an der Krems in der Nationalparkregion. Ich kenne zwei Beispiele aus unseren Gemeinden, wo dieses Modell der Bürgerbeiräte sehr gut funktioniert. Das eine ist meine Gemeinde selbst, was die Überarbeitung des örtlichen Entwicklungskonzepts betrifft. Für die Raumordnung werden Bürgerbeiräte gebildet, eigentlich schon seit Jahren gebildet, die uns Entscheidungsträger auf diesem Weg begleiten.

Weil am Vormittag irgendjemand das Gemeindebudget genannt hat: Hier gehören die Bürger … (Bundesrätin Mühlwerth: Das war der Herr Bundesrat Brückl!) – Gut, der Herr Bundesrat Brückl. – Ich verweise hier nur auf die Gemeinde Vorderstoder, die seit zwei Jahren den Bürgerhaushalt kennt und die Bevölkerung in die Budgeterstellung einbindet. Der Bürgerhaushalt ist nichts Neues, das gibt es in Köln auch. Aber Köln ist doch größer als Vorderstoder mit 800 Einwohnern. (Bundesrätin Mühlwerth: Das stimmt! Ich kenne beides!) In Köln entscheidet der Gemeinderat immer, welche Teile des Budgets einer öffentlichen Diskussion gestellt werden, in Vorderstoder probiert man jetzt, das Ganze auch so zu machen.

Ich möchte auch darauf hinweisen, dass wir in Oberösterreich in der Gemeinde­ordnung sehr viele Elemente haben, wo Bürger, die nicht für den Gemeinderat kandidieren, unmittelbar an der politischen Willensbildung teilnehmen können, zum Beispiel an den Ausschüssen. Hier können Personen – sie müssen nicht fachkundig sein – in die tägliche Ausschussarbeit eingebunden werden. Das funktioniert in den Gemeinden bestens.

Auf Landesebene darf ich auf das Bürgerinnen- und Bürgerrechtegesetz hinweisen, wo wir – ich habe da einige Parallelen festgestellt – das Instrument der Bürgerinitiative haben, wo praktisch das Unterschriftensammeln und die Eintragungsfrist des Volksbe­gehrens in einem verbunden ist und ein halbes Jahr Zeit besteht, die notwendigen Unterschriften zu sammeln. Auch da haben wir ein zweistufiges Verfahren, ab 3 Pro­zent – das sind bei uns ungefähr 38 000 Unterschriften – muss das im Landtag behandelt werden, ab 8 Prozent muss das einer Befragung unterzogen werden.

Damit bin ich jetzt bei einem Modell, das Herr Professor Öhlinger in der Früh erwähnt hat. Ab einer bestimmten Anzahl an Unterschriften ist eine Befragung durchzuführen. Da stoßen wir an Grenzen, denn eine Befragung ist nur dann durchzuführen, wenn der Landtag innerhalb eines halben Jahres dem Anliegen in den Grundzügen nicht entsprochen hat.

Und jetzt ist die Frage: Wer beurteilt das, wenn wir keine klaren Bestimmungen über die Konkretisierung des eigentlichen Begehrens haben? Ich glaube, wenn wir die direkte Demokratie weiterentwickeln möchten – und ich gehe davon aus, dass es so ist –, dann müssen wir uns darüber klar werden, wie konkret so ein Begehren formuliert sein soll, um es allenfalls in einer zweiten Etappe einer Befragung zu unterziehen. Auch da gibt es gute Ansätze in Deutschland, wie wir gehört haben.

Das Zweite ist die Frage der Verbindlichkeit. Herr Professor Haller hat sein Referat damit abgeschlossen. Ich glaube auch, dass die direkte Demokratie wirklich nur dann von den Bürgerinnen und Bürgern angenommen wird, wenn sie zu verbindlichen Lösungen führt.

Professor Bußjäger hat vorhin gesagt, die Länder können das Verfassungsrecht aus­reizen, beziehungsweise sei der verfassungsrechtliche Rahmen für die Länder groß, die direkte Demokratie zu gestalten. Das ist richtig. Wir in Oberösterreich be­mühen uns auch, das auszugestalten, wir stoßen aber trotzdem an Grenzen. Bei uns wird derzeit das Vetoreferendum diskutiert. Wir hatten das bereits einmal, eine Volks­abstimmung darüber, ob ein Gesetzesbeschluss in Kraft treten soll oder nicht. Das wurde im Lichte der Vorarlberger Erkenntnisse wieder abgeschwächt, wir machen jetzt einen neuen Anlauf dazu und werden uns hier an den Bund wenden.

Ich möchte hier nur appellieren, ohne jetzt gleich eine Diskussion über die Gesamt­änderung der Bundesverfassung herbeizuführen. (Präsident Mayer: Bitte um den Schlusssatz!) – Ich bin schon ganz am Ende meiner Rede. – Ich möchte darauf hin­weisen, dass eigentlich die Bundesländer den Bund gegründet und dem Bund Kom­petenzen übertragen haben.

Es würde uns schon helfen, wenn die Bundesverfassung so geändert würde, dass die Ausgestaltung der direkten Demokratie in der ausschließlichen Verfassungsautonomie der Länder liegt; dann könnten wir die Bürgerrechte auf Landesebene so weiter­entwickeln, wie es unsere Bevölkerung möchte. (Beifall.)

15.28


Vorsitzender Präsident Edgar Mayer|: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundes­ratspräsident a.D. Keuschnigg. – Bitte.

 


15.29.10

Bundesrat Georg Keuschnigg (ÖVP, Tirol)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die repräsentative Demokratie befindet sich in einer Krise, nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa und darüber hinaus. Ich hatte im vergangenen Jahr bei einem Parlamentspräsidententreffen die Gelegenheit, mir die Meinungen darüber anzuhören.

Der Landeshauptmann von Vorarlberg hat heute in der Früh hier einige der Ursachen dieser Entwicklung genannt: Wirtschaftskrise, Korruption und einiges weitere mehr. Ich glaube, das sind verschärfende Elemente. Das Grundelement ist eigentlich, dass die Entscheidungen immer weiter vom Bürger wegrücken. Die Europäisierung, die Globalisierung lässt grüßen. Der Bürger hat immer weniger Möglichkeiten, über seinen Abgeordneten oder auch über Regierungsmitglieder Einfluss auf Entscheidungen zu nehmen. Auch müssen wir, glaube ich, konstatieren, dass viele politische Zirkel in den Vorfeldern, wie sie in der Vergangenheit gegeben waren, jetzt durch eine Media­lisierung der Diskussion abgelöst wurden und dass diese Medialisierung teilweise nicht mehr jene Diskussionsqualität bringen kann, die wir brauchen.

Ich knüpfe hier an bei Herrn Dr. Hellrigl, der gesagt hat – auch zum Thema Bürger­räte –, dass viele Bürger zwar eine Grundmeinung haben, aber vor allem an einer Vertiefung dieser Meinung interessiert sind.

Ich glaube, die heutige Veranstaltung hatte vor allem die Aufgabe, über die Instru­mente auf den unterschiedlichen parlamentarischen und politischen Ebenen zu dis­kutieren. Wir haben heute gelernt, vor allem auch durch das Beispiel der Bürgerräte aus Vorarlberg, dass Bürgerbeteiligung auf der kommunalen, auf der regionalen Ebene vermutlich wesentlich leichter und bürgernäher zu bewerkstelligen ist, dass aber die gleichen Instrumente maximal noch auf der Länderebene, jedoch für die übergeord­neten Ebenen vermutlich nicht mehr so geeignet sind.

Diese Veranstaltung soll auch den Zweck haben, dass wir Mut machen, über neue For­men der direkten Demokratie, der Weiterentwicklung der Demokratie nachzudenken. Die Hauptbegründung dafür hat Professor Haller geliefert, der gesagt hat, dass in der Schweiz – aber auch in Vorarlberg –, wo ein gewisser Vorsprung in dieser Form der politischen Diskussionsführung besteht, die politische Zufriedenheit in einem höheren Maße gegeben ist.

Unabhängig von der Tagespolitik, die heute hier hereingeschwommen ist, glaube ich, dass es sich hier um ein politisch langfristiges Projekt handelt, auch um eine politisch-kulturelle Entwicklung, die uns noch viele Jahre beschäftigen wird. Ich danke dem Präsidenten, dass der Bundesrat mit dieser Veranstaltung einen wertvollen Anstoß für diese Diskussion gegeben hat. (Beifall.)

15.32


Vorsitzender Präsident Edgar Mayer|: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Kerschbaum. – Bitte.

 


15.32.54

Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum (Grüne, Niederösterreich)|: Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Was ich in der letzten halben Stunde so mitgenommen habe, war: Alle wollen eine Stärkung der direkten Demokratie, aber in Wirklichkeit fürchtet sich ein jeder ein bisschen davor. Zumindest die Regierungsparteien fürchten sich in erster Linie vor Volksentscheiden. Da hört man schon heraus: Wir brauchen keine Änderung, es ist eh alles gut, so wie es ist, wir lassen ein paar Bürgerräte mitarbeiten, und es ist dann schon besser!

Ich denke, wir brauchen nicht wirklich Angst zu haben vor direkter Demokratie und auch nicht vor direkter Mitentscheidung, denn ich glaube nicht, dass irgendein Politiker oder irgendeine Politikerin dadurch arbeitslos wird. Meine Erfahrung mit direkter Demokratie oder Bürgerbeteiligung ist eher die, dass es mehr Arbeit macht, aber dass dann die Bürgerinnen und Bürger besser verstehen, was wir hier machen, was wir hier tun. Deshalb glaube ich – im Gegensatz zur Kollegin von der SPÖ aus dem National­rat –, dass die direkte Demokratie ein ganz wichtiger Teil der Arbeit gegen Politik­verdrossenheit wäre. Wir haben derzeit in unserem Land eine Politikverdrossenheit, eine Politiker- und Politikerinnenverdrossenheit, und ich glaube, dass direkte Demo­kratie ein ganz, ganz wichtiger Weg wäre, um da herauszukommen.

Ich glaube, wir brauchen insofern auch keine Angst zu haben, als wir uns inhaltlich nicht festlegen müssen, worüber man nicht abstimmen kann. Darüber kann man diskutieren, da gibt es ja Mittel und Wege. Und es gibt übergeordnete Rechte, die man klarerweise berücksichtigen muss und über die wir nicht abstimmen müssen, das ist logisch und klar. Es gibt auch ausreichend Beispiele, dass es funktionieren kann und dass es funktioniert.

Was wäre die Alternative? – Der Status quo ist: Jeder von uns, der hin und wieder einmal auf die Straße geht, um Unterschriften zu sammeln, hört von den Leuten: Das mache ich nicht, das hilft eh nichts, das bringt eh nichts, das ist eh unnötig! Und genau das ist es: Die Leute unterschreiben nichts mehr, weil sie wissen, dass es eh nicht hilft und sie in letzter Konsequenz nichts zu entscheiden haben, sie zwar Anregungen bringen dürfen, aber nichts entscheiden können. Wenn wir jetzt diesen Status quo beibehalten, so ist die Konsequenz daraus, dass die Politikverdrossenheit steigt – und daran möchte ich eigentlich nicht schuld sein.

Letztendlich verstehe ich diese Panik vor einer Abgabe der Stimme an die BürgerInnen nicht. (Zwischenruf.) Na, o ja, letztendlich doch, denn zu dem, was ich jetzt so höre zu der Möglichkeit einer BürgerInnenanfrage als Instrument der direkten Demokratie, muss ich schon sagen: Bei aller Liebe, wenn ich als Abgeordnete eine Anfrage stelle, dann dauert es acht Wochen, bis ich eine Antwort darauf bekomme, und die Antwort ist meistens nicht zufriedenstellend. Also dieses Recht den BürgerInnen weiterzugeben, ist, glaube ich, nicht wirklich die Lösung. Die BürgerInnen brauchen schon das Recht einer Stimme bei einer Entscheidung. – Danke. (Beifall.)

15.35


Vorsitzender Präsident Edgar Mayer|: Als Letzte zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Rausch. – Bitte.

 


15.35.59

Bundesrätin Mag. Bettina Rausch (ÖVP, Niederösterreich)|: Herr Präsident! Ge­schätzte Damen und Herren! Ich möchte auf das eingehen, was Kollegin Kerschbaum zum Schluss gesagt hat. Es klingt so, als würden alle direkte Demokratie wollen. Das, was ich will, ist nicht zwingend direkte Demokratie als Selbstzweck, sondern das, was ich will, ist eine bessere Demokratie beziehungsweise ein besseres Gefühl der Bürge­rinnen und Bürger im Sinne eines höheren Vertrauens in die demokratischen Instrumente, die es gibt, und ein höheres Vertrauen auch darin, dass die Mechanis­men, mit denen wir unser Zusammenleben organisieren, die Politik im engeren und weiteren Sinn, für uns alle besser funktionieren.

Kollege Gerstl hat es heute schon angesprochen, dass es meine Organisation, die JVP, war, die den Koalitionsparteien – auch der eigenen Partei – ein Demokratiepapier vorgelegt hat, das aus der Überzeugung entstanden ist, es besser machen zu wollen.

Bessere oder mehr Demokratie heißt nicht in erster Linie nur direkte Demokratie, son­dern das heißt auch mehr Transparenz, echte Transparenz, nämlich ernst gemeinte Transparenz. Es heißt auch ein Wahlrecht mit mehr Persönlichkeitselementen. Und da ist schon einiges in Bewegung gekommen.

Die nächste Aufgabe, die wir gemeinsam zu bewältigen haben, ist, die Bürger­beteiligung besser zu machen. Was heißt für mich „besser machen“? – Es heißt, sie auf allen Ebenen zuzulassen. Wir haben heute einiges gehört: von Gemeindeebene über die Länderebene bis hin zur nationalen Ebene. Ich bin für geringere Einstiegs­hürden, klarere Konsequenzen, als wir sie jetzt haben, für mehr Transparenz, wo die Bürger eine Antwort bekommen auf die Frage: Was passiert dann mit meiner Unter­schrift, mit meinem Votum?, und für eine objektivere, vertrauenswürdigere, verständ­lichere Information und bessere Vorgaben dafür als die, die wir jetzt haben.

Insofern können wir, denke ich, voneinander lernen. Das heißt für uns Bundesrätinnen und Bundesräte – für mich bald nicht mehr –: Unsere Aufgabe ist es, hier vor allem diese Vermittlerrolle wahrzunehmen, nämlich zwischen den verschiedenen Ebenen zu vermitteln und auch Lernerfahrungen weiterzugeben.

Vielleicht – das nehme ich von heute mit; ich würde mir wünschen, wenn das mehrere von Ihnen mitnehmen würden – ist es ein Ausweg aus der momentanen Pattstellung oder Unsicherheit – ich glaube nicht, dass es Angst ist, aber vielleicht ein Nichtwissen, wie man mit der Situation umgehen soll –, es an die Bürgerinnen und Bürger in Form eines BürgerInnenrates weiterzugeben, sich darüber Gedanken zu machen und für die repräsentative Demokratie entsprechende Vorschläge zu erarbeiten. Ich hoffe, dass das gelingt.

Abschließend möchte ich sagen: Wenn wir eine bessere Politik und eine bessere Dialogkultur, die meiner Meinung notwendig wäre, wollen, dann brauchen wir auch einen entsprechenden Dialogpartner. Wir brauchen DialogpartnerInnen für die Bevöl­kerung, wenn es mehr direkte Demokratie geben soll. Und dazu braucht es aus meiner Sicht in Zukunft stärkere Parlamente auf allen Ebenen. Dazu benötigen wir in den Parlamenten entsprechende Ressourcen für alle Mandatarinnen und Mandatare – in Zeiten, wo Geld knapp wird, vielleicht kein rosiges Unterfangen beziehungsweise kein so leicht zu diskutierendes Thema, aber man kann auch überlegen, Verschiebungen vorzunehmen.

Zum Beispiel haben wir immer wieder vorgeschlagen, einen eigenen Legislativdienst hier im Parlament einzurichten, der auch unsere Arbeit hier im Bundesrat wesentlich erleichtern würde. Aber ich rede auch von der Zurverfügungstellung persönlicher Mitarbeiter, um die vielen Anfragen und den Dialog ernst nehmen zu können; auch dieses heikle Thema muss man ansprechen.

Ganz zum Schluss möchte ich sagen, dass das Parlament als Kammer der Volksver­treterinnen und Volksvertreter – und damit meine ich auch den Bundesrat, aber auch die Landtage – seine verfassungsmäßigen Rechte gegenüber der Regierung auch weiterhin ernst, ja noch ernster nehmen muss, weil ich glaube, dass nur dann ein Dialog mit der Bevölkerung und auch die direkte Demokratie wirklich Sinn machen können, denn ansonsten wird auch das eventuell nur gut gemeint, aber nicht gut gemacht sein. – Vielen Dank. (Beifall.)

15.39


Vorsitzender Präsident Edgar Mayer|: Danke, Frau Kollegin Rausch. Es war dies auch Ihre Abschiedsrede, denn Sie verlassen uns in Richtung Niederösterreichischen Landtag. Von hier aus alles Gute und weiterhin viel Erfolg!

Es ist niemand mehr zu Wort gemeldet, die Debatte ist daher geschlossen.

15.39.30Schlussworte des Präsidenten

 


15.39.37

Präsident Edgar Mayer|: Meine Damen und Herren! Ich meine, der Bundesrat hat sich nicht umsonst um dieses aktuelle Thema bemüht, wie die Diskussion und wie auch die Diskussionsbeiträge zeigten. Es wurden die Referenten immer wieder zitiert, und das bedeutet, dass sehr viel Inhalt und auch sehr viel Qualität in diese Diskussion mit eingeflossen sind.

Ich bedanke mich bei allen ReferentInnen für ihre großartigen Beiträge und für ihre Expertisen über die direkte Demokratie. Ich denke, es ist viel an Information gebracht worden und es sind auch Wege und Möglichkeiten aufgezeigt worden, direkte Demo­kratie umzusetzen und zu leben.

Wir sind da in Österreich, denke ich, am Beginn eines Prozesses, der Zeit braucht, aber ich bin auch der festen Überzeugung, dass dieses zarte Pflänzchen, das von vielen umsorgt und gepflegt wird, intensiv und rasch wachsen wird, weil dieses Thema wirklich ein aktuelles Thema ist. Wir als politische Mandatare sind aufgerufen, in all unseren Bereichen unsere Möglichkeiten zu nutzen, an der direkten Demokratie zu arbeiten.

Wir haben heute keine Resolution gefasst, weil wir nicht ein Thema spezifisch heraus­greifen wollten, sondern wir wollen das in seiner Gesamtheit in der Diskussion ausarbeiten. Wir werden diese Thematik in einen Antrag fassen, um das dann vielleicht auch im Verfassungsausschuss zu diskutieren und in einem gemeinsamen Beschluss in Form eines Entschließungsantrages dem Plenum zur Debatte vorzulegen.

Am Schluss nochmals ein Danke an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, insbeson­dere an Dozent Direktor Dr. Peter Bußjäger vom Institut für Föderalismus für die großartige Zusammenstellung der Referenten und für die Koordination. Lieber Peter, herzlichen Dank! (Beifall.)

Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Nachmittag!

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Die Enquete ist beendet.

15.41.33Schluss der Enquete: 15.41 Uhr