Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 95. Sitzung / Seite 109

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zur Beantwortung der Dringlichen Anfrage erteile ich dem Herrn Bundeskanzler das Wort. Die Redezeit soll 20 Minuten nicht überschreiten. – Bitte.

15.18

Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Ich hoffe, dass ich mit den Fragen in dieser Zeit auch durchkomme. Zunächst möchte ich Herrn Klubobmann Khol für die Gelegenheit danken, hier im österreichischen Parlament zum ersten Mal eine Grundsatzdiskussion darüber führen zu können – und das noch dazu am gleichen Tag, an dem der Europäische Konvent in Brüssel seine Arbeit aufnimmt.

Ich glaube, dass wir alle stolz darauf sein können, dass die Idee des Konvents eigentlich auch von uns aus ihren Ausgang genommen hat, denn wir haben den ersten kleinen Konvent im Mai 2001 abgehalten. Im Oktober hat es einen Vierparteienantrag, einen Antrag, der von allen Parlamentsfraktionen getragen wurde, gegeben, in welchem diese Idee unterstützt wurde. Damals war überhaupt noch nicht klar, ob die anderen vierzehn EU-Staaten dies akzeptieren werden. Wir haben dann durch sehr viel Lobbying und auch mit anderen Verbündeten dies letztlich in Laeken durchsetzen können. Daher ist es, glaube ich, schon sehr vernünftig, dass wir uns jetzt Gedanken darüber machen, was bei diesem Konvent, begleitet von den nationalen Diskussionen, herauskommen kann.

Andreas Khol! Herzlichen Glückwunsch zu dieser deiner in freier Rede vorgetragenen Grundsatzdiskussion. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.) Ich kann das leider nicht ganz so machen, aber ich werde mich bemühen, dem nachzueifern.

Es hat Samuel Huntington schon im Jahre 1988/89 gesagt: Wenn sich Europa politisch zusammenschließt, dann könnte dieses Europa im 21. Jahrhundert eine der herausragenden Mächte werden.

Die Frage ist: Sind wir das? Können wir das sein? Wie schaut die Realität aus? Roger de Weck hat in der Zeitung "Die Zeit" ein bisschen spöttisch über die Europäische Union geschrieben: Jeder macht, was er will, keiner macht, was er soll, aber alle machen irgendwie mit. – Das ist zwar ein wenig spöttisch, aber es trifft das ein wenig, was wir da tun.

Ich glaube, dass wir jetzt die Chance haben, verbindlich festzulegen, wie es besser werden könnte. Vielleicht ist es sogar die letzte Chance, denn wenn die Union einmal 25 oder 27 Mitglieder haben wird, dann wird es sehr viel schwerer sein, da fundamentale Veränderungen durchzusetzen.

Ich halte es mit Wolfgang Schäuble, der sagte, ohne eine verbindliche Klärung dessen, was auf Dauer den Mitgliedstaaten an Entscheidungszuständigkeiten bleibt, werde eine Reform der europäischen Institutionen – gleich, ob Rat, Parlament oder Kommission – nicht möglich sein. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Es muss jetzt geklärt werden, was in Brüssel oder in Wien oder in anderen europäischen Hauptstädten oder in St. Pölten, Graz oder Salzburg oder Innsbruck, Klagenfurt oder wo immer entschieden werden muss. Diese Frage: Wer entscheidet was?, ist entscheidend.

Es sind die drei Fragen, die Andreas Khol aufgeworfen hat, nämlich betreffend die Handlungsfähigkeit der Union, die Gleichheit aller Mitgliedstaaten, das Prinzip der demokratischen Gleichheit, aber auch die Bürgerrechte, jene Themen, mit denen wir uns jetzt auseinander setzen müssen.

Europa ist natürlich von der Wirtschaft her ein absoluter Global Player: Wir produzieren fast ein Drittel aller weltweit erzeugten Güter, wir haben mit 21 Prozent den höchsten Anteil am Welthandel, wir zahlen 57 Prozent der Entwicklungshilfemittel, die weltweit geleistet werden, wir leisten 55 Prozent der gesamten humanitären Hilfe, wir tragen 36 Prozent des UNO-Budgets, und trotzdem treten wir nicht gemeinsam auf, und zwar weder in der UNO noch im Währungsfonds, noch in der WTO, noch in anderen Fragen. Ich glaube, dass sich das ändern


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite