484 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXIII. GP

 

Bericht

des Verfassungsausschusses

über die Regierungsvorlage (417 der Beilagen): Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft samt Protokollen, Anhang und Schlussakte der Regierungskonferenz einschließlich der dieser beigefügten Erklärungen („Reformvertrag“)

Mit dem Ziel, die Europäische Union auch mit 27 Mitgliedstaaten leistungs- und entscheidungsfähig zu erhalten und sie gleichzeitig bürgernäher und demokratischer zu gestalten, fassten die Mitgliedstaaten im Jahr 2001 den Plan, eine umfassende Modernisierung der EU einzuleiten.

Die Reformarbeiten mündeten im Jahr 2004 in einen Entwurf für einen Verfassungsvertrag, der zwar von 18 Mitgliedstaaten, darunter Österreich, ratifiziert, aber in zwei Mitgliedstaaten abgelehnt wurde. Es folgte eine Nachdenkphase, in der zahlreiche nationale Debatten mit umfangreicher Informationstätigkeit unter Bürgerbefragungen durchgeführt wurden. Unter deutscher Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 wurden die Verhandlungen, die in enger Anlehnung an die wesentlichen Neuerungen des Verfassungsvertrages geführt wurden, wieder aufgenommen. Nach intensiven Konsultationen, die die Präsidentschaft mit den Mitgliedstaaten durchführte, gelang es beim Europäischen Rat am 21./22. Juni 2007, ein präzises Mandat für die nachfolgenden Arbeiten der einzusetzenden Regierungskonferenz zu beschließen.

Im Juli 2007 wurde das formelle Verfahren zur Einberufung der Regierungskonferenz gemäß Art. 48 EUV in die Wege geleitet. Nachdem die Europäische Zentralbank (EZB) am 5. Juli 2007, das Europäische Parlament (EP) am 11. Juli 2007, der Rat am 11. Juli 2007 und die Europäische Kommission (EK) am 13. Juli 2007 die erforderlichen Stellungnahmen abgegeben hatten, wurde die Regierungskonferenz am 23. Juli 2007 durch die Außenminister in Brüssel eröffnet. Die Kommission nahm an allen Tagungen teil. Das EP war bei allen Sitzungen auf Ministerebene durch drei Repräsentanten vertreten. Auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs nahm der Präsident des Europäischen Parlamentes an den Treffen teil. Ebenso war das EP bei den nachfolgenden Sitzungen der Rechtsexperten, in deren Rahmen das Mandat der Staats- und Regierungschefs auf rechtstechnischer Ebene umgesetzt wurde, eingebunden. Die Kandidatenländer wurden durch die Präsidentschaft laufend über die Arbeiten der Regierungskonferenz informiert. Die Sekretariatsaufgaben für die Konferenz wurden vom Generalsekretariat des Rates übernommen.

Aufgrund des präzisen Mandates war es möglich, die Arbeiten auf Ebene der Rechtsexperten, die zwischen 24. Juli und 3. Oktober 2007 tagten, weit voranzutreiben. Die wenigen offen gebliebenen Punkte (Art der Verankerung des sog. „Ioannina-Mechanismus“, kyrillische Schreibweise des Euro, Anzahl der Generalanwälte) konnten in der abschließenden Sitzung im Rahmen der Regierungskonferenz in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs und der Außenminister/innen in Lissabon am 18./19. Oktober 2007 gelöst werden.

Darüber hinaus wurde eine Erklärung zur Abgrenzung von Zuständigkeiten verabschiedet und eine Einigung über die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments für die Periode 2009 – 2014 erzielt. Der Vertrag wurde am 13. Dezember 2007 in Lissabon unterzeichnet. Als Datum des Inkrafttretens wird im Vertrag von Lissabon der 1. Jänner 2009 genannt.

Während der Verfassungsvertrag an Stelle der bisherigen Gründungsverträge (EGV, EUV) eine einzige Rechtsgrundlage der EU bilden sollte, verfolgt der Vertrag von Lissabon diese Zielsetzung nicht mehr. Dennoch konnte eine Vielzahl der im Verfassungsvertrag enthaltenen Änderungen - z. B. die Rechtsverbindlichkeit der Grundrechtecharta, eine klarere Kompetenzaufteilung zwischen Union und Mitgliedstaaten, die Schaffung einer einheitlichen Rechtspersönlichkeit der Union, eine verbesserte Kontrolle der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips durch die nationalen Parlamente - erhalten werden.

Im Vergleich zum Verfassungsvertrag wurde jedoch auch auf eine Reihe von Elementen verzichtet. So wurde von der Bezeichnung „Verfassungsvertrag“ abgegangen, die Streichung der Bestimmung über die Symbole der Union beschlossen und auf die ausdrückliche Verankerung des Vorranges des Unionsrechtes gegenüber dem nationalen Recht verzichtet. Darüber hinaus werden auch die Begriffe „Europäischer Außenminister“, „Europäisches Gesetz“ und „Europäisches Rahmengesetz“ nicht übernommen. Der „Europäische Außenminister“ wird „Hoher Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik“ heißen.

Mit dem Vertrag von Lissabon wird die Mitwirkung der nationalen Parlamente an den Entscheidungsprozessen der EU verstärkt. Besonders hervorzuheben ist der neue Mechanismus zur Subsidiaritätskontrolle durch die nationalen Parlamente. Die Rechte der nationalen Parlamente werden erstmals in einem eigenen Artikel übersichtlich dargestellt und in einem Protokoll näher ausgeführt.

Über österreichische Initiative einigte sich der Europäische Rat im Juni darauf, im Umweltkapitel einen Hinweis auf die besonderen Erfordernisse der Bekämpfung des Klimawandels auf internationaler Ebene aufzunehmen. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass für bestimmte Umweltmaßnahmen, vor allem betreffend die Nutzung der Wasserressourcen, das Einstimmigkeitserfordernis aufrecht bleibt.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Stärkung der Daseinsvorsorge. Über Initiative der Niederlande, Belgiens und Österreichs wird dem Artikel betreffend die Dienste von allgemeinem Interesse ein Protokoll beigefügt. Dieses enthält Auslegungsgrundsätze für die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse und legt ausdrücklich fest, dass die Mitgliedstaaten, insbesondere die regionale und lokale Ebene, für die Erbringung, Auftragsvergabe und Organisation nicht-wirtschaftlicher Dienste von allgemeinem Interesse verantwortlich sind.

Weiters wurden die Innovationen des Verfassungsvertrages zur Sozialen Dimension weitgehend übernommen. Hier ist insbesondere auf die soziale Querschnittsklausel und auf die Charta der Grundrechte hinzuweisen, die auch soziale Grundrechte enthält.

Im Vertrag von Lissabon wird auch die Bestimmung aus dem Verfassungsvertrag übernommen, die besagt, dass im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates, die anderen Mitgliedstaaten nach Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung schulden. Aufgrund seiner verfassungsrechtlich verankerten Neutralität wurde bereits im Zuge der Verhandlungen des Verfassungsvertrages von österreichischer Seite besonderes Augenmerk auf diese Bestimmung gelegt. Letztlich gewährleistet die Formulierung, dass die Hilfeleistungspflicht „den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt lässt“, dass die Verpflichtung Österreichs aus dem Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität Österreichs, BGBl. Nr. 1955/211, respektiert wird und die österreichische Neutralität auch durch den Vertrag von Lissabon gewahrt bleibt. Österreich wird auch in Zukunft selbst darüber entscheiden können, ob sowie auf welche Weise Unterstützung geleistet wird.

Die Erläuterungen zur gegenständlichen Regierungsvorlage legen im einzelnen folgende Themenschwerpunkte dar:

 

1. Architektur der Europäischen Union

Die Reform der Europäischen Union wird durch einen traditionellen Änderungsvertrag vorgenommen. Das bedeutet, dass die beiden Grundlagenverträge EUValt und EGV geändert werden. Der EGV wird künftig in „Vertrag über die Arbeitsweise der Union“ (AEUV) umbenannt. Beide Verträge sind rechtlich gleichrangig.

Der EUV wird in sechs Titel untergliedert:

I. Gemeinsame Bestimmungen,

II. Demokratische Grundsätze,

III. Organe,

IV. Verstärkte Zusammenarbeit,

V. Auswärtiges Handeln der Union und Gemeinsame Außen- und

Sicherheitspolitik (GASP),

VI. Schlussbestimmungen.

Wesentliche Änderungen des Vertrages von Lissabon (EUV und EGV/AEUV) gegenüber der geltenden Rechtslage sind u. a.:

• Abschaffung der 3-Säulen-Struktur bzw. Überführung der Bestimmungen über die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in den AEUV,

• Rechtspersönlichkeit der EU,

• Verankerung von gemeinsamen Werten,

• Einheitlicher Ziele-Katalog der Union,

• Verbesserung der Regeln im Bereich der Beziehung Mitgliedstaaten und EU,

• Klarstellung der Grundsätze für die Verteilung und Ausübung der Kompetenzen der Union (begrenzte Einzelermächtigung, Subsidiarität, Verhältnismäßigkeit),

• Rechtsverbindlichkeit der Grundrechtecharta,

• Rechtsgrundlage für den Beitritt der EU zur Europäischen

Menschenrechtskonvention (EMRK),

• Neuer Artikel über die Beziehung der EU zu ihren Nachbarn,

• Neue Bestimmungen zum demokratischen Leben in der EU,

• Definition der Rolle der nationalen Parlamente,

• Europäisches Parlament (EP): Neue Obergrenze für die Anzahl der Abgeordneten und Mindest- sowie Höchstzahl an Abgeordneten, die auf einen Mitgliedstaat entfällt,

• Europäischer Rat (ER): Einrichtung als Organ mit einem für zweieinhalb Jahre gewählten Präsidenten,

• Rat: Mehr Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit, Öffentlichkeit bei Annahme und Diskussion von Rechtssetzungsvorhaben, Einführung von Teampräsidentschaften,

• Kommission: Verringerung der Anzahl der Kommissare ab 2014, Kommissionspräsident wird vom Europäischen Parlament gewählt,

• Neue Funktion eines Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik,

• Europäischer Gerichtshof (EuGH): Ausweitung des sachlichen Zuständigkeitsbereichs infolge der Abschaffung der Säulenarchitektur der Union,

• Höherer individueller Rechtsschutz vor dem EuGH,

• Erhöhung der Anzahl der Mitgliedstaaten von acht auf neun, um eine „Verstärkte Zusammenarbeit“ zu beginnen,

• Neuer Artikel zur Austrittsmöglichkeit.

 

Im AEUV werden einige Titel aus Gründen der Übersichtlichkeit umgestellt (u. a. werden alle die auswärtigen Beziehungen betreffenden Bestimmungen zusammengeführt), ein neuer Titel enthält Zuständigkeitsarten und Zuständigkeitsbereiche der Union, ein weiterer fasst die bislang im Vertrag verstreuten Querschnittsklauseln zusammen. Ansonsten wird dieser Vertrag punktuell geändert: So werden u. a. die Rechtsgrundlagen im Hinblick auf den Anwendungsbereich der Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit und der Beschlussfassung im Mitentscheidungsverfahren sowie auf die Unterscheidung zwischen Gesetzgebungsakte und Rechtsakte ohne Gesetzescharakter angepasst. Die institutionellen Bestimmungen werden ebenfalls dem neuen, durch den EUV bestimmten Rahmen angepasst.

Die wichtigeren Änderungen der Politikbereiche betreffen u. a. Bestimmungen über den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, die Solidaritätsklausel, die Verbesserungen hinsichtlich der Währungspolitik, horizontale Bestimmungen wie die Sozialklausel, spezifische Bestimmungen wie öffentliche Dienstleistungen, Raumfahrt, Energie, Katastrophenschutz, humanitäre Hilfe, öffentliche Gesundheit, Sport und Tourismus, Regionen in äußerster Randlage, Verwaltungszusammenarbeit und Finanzbestimmungen (Eigenmittel, mehrjähriger Finanzrahmen, neues Haushaltsverfahren).

 

2. Rechtspersönlichkeit

Darüber hinaus besitzt die Europäische Union nun eine einheitliche Rechtspersönlichkeit (Art. 1 und Art. 46a (1 und 47 EUV)) und wird künftig als einheitliches Völkerrechtssubjekt nach außen auftreten können. Die Bezeichnung „Gemeinschaft“ wird durchgängig durch den Begriff „Union“ ersetzt. Die EU ist die Rechtsnachfolgerin der Europäischen Gemeinschaft.

Die mit dem Vertrag von Maastricht 1993 eingeführte Säulenstruktur wird beseitigt.

Die verschiedenen bisherigen Gemeinschaftspolitiken sowie die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen werden in einem einheitlichen rechtlichen und institutionellen Rahmen zusammengeführt. Für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) gelten weiters besondere Verfahren und Vorschriften.

 

3. Werte

Die Werte (Art. 1a (2 EUV)), auf die sich die Union gründet, werden ausdrücklich und für beide Grundlagenverträge einheitlich im EUV verankert: Die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte, einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten „in einer Gesellschaft gemeinsam“, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.

In der Präambel des EUV wird auf das „kulturelle, religiöse und humanistische Erbe Europas, aus dem sich die unverletzlichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen sowie Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit als universelle Werte entwickelt haben“ verwiesen.

 

4. Ziele

Die Ziele (Art. 2 (3 EUV)), welche die Union mit geeigneten Mitteln entsprechend den ihr zugewiesenen Zuständigkeiten zu verfolgen hat, werden im EUV teilweise neu formuliert und zusammengefasst:

- Förderung des Friedens, der Werte der Union und des Wohlergehens ihrer Völker;

- ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen;

- Errichtung eines Binnenmarktes; der freie und unverfälschte Wettbewerb wird als Ziel nicht mehr ausdrücklich erwähnt. Allerdings wird dem Vertrag ein „Protokoll über den Binnenmarkt und den Wettbewerb“ angeschlossen, wonach zum Binnenmarkt ein System gehört, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt und die Union zu diesem Zweck erforderlichenfalls nach den Vertragsbestimmungen tätig wird;

- die nachhaltige Entwicklung Europas, auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums und der Preisstabilität, eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt, ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität;

- Förderung des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts;

- Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung und von Diskriminierungen sowie Förderung von sozialer Gerechtigkeit und sozialem Schutz, Gleichstellung von Frauen und Männern, Solidarität zwischen den Generationen und Schutz der Rechte des Kindes;

- Förderung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts und der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten;

- Wahrung des Reichtums der kulturellen und sprachlichen Vielfalt der Union und Schutz und Entwicklung des kulturellen Erbes Europas;

- Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion (WWU), deren Währung der Euro ist;

- in ihren Beziehungen zur übrigen Welt schützt und fördert die Union ihre Werte und Interessen; Beitrag zum Schutz ihrer BürgerInnen; Beitrag zu Frieden, Sicherheit, weltweiter nachhaltiger Entwicklung, Solidarität und gegenseitiger Achtung unter den Völkern, freiem und gerechtem Handel, zur Beseitigung der Armut und zum Schutz der Menschenrechte, insbesondere der Rechte des Kindes sowie zur strikten Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts, insbesondere zur Wahrung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen;

- die Union verfolgt ihre Ziele mit geeigneten Mitteln entsprechend den Zuständigkeiten, die ihr in den Verträgen übertragen sind.

 

5. Grundrechtecharta

Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union wird in ihrer Fassung vom 12. Dezember 2007 (Tag der feierlichen Annahme durch die Präsidenten der drei Institutionen Rat, Kommission, Europäisches Parlament sowie der Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union – ABl. C 303 vom 14. Dezember 2007) aufgrund der Aufnahme eines Verweises im EUV verbindlich (Art. 6 (6 EUV)). Durch diese Verweisbestimmung hat die Charta denselben Rang wie die Verträge. Dies bedeutet, dass ihre Einhaltung Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe und der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung des Unionsrechts ist. Die so festgeschriebenen Grundrechte können in Verfahren vor dem EuGH sowie vor nationalen Gerichten bei der Umsetzung und Anwendung von Unionsrecht geltend gemacht werden. Die ausdrückliche Definition des Geltungsbereichs soll klarstellen, dass die in den Verträgen festgelegte Zuständigkeitsverteilung zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten durch die Bestimmungen der Charta in keiner Weise verändert wird.

Durch die rechtliche Verbindlichkeit der Grundrechtecharta wird ein bedeutsames Anliegen, das u. a. von Österreich vertreten wurde, erreicht. Derzeit stellt die Grundrechtecharta nur eine politische Absichtserklärung dar. Der Text der Charta selbst wird zwar nicht in den Verträgen enthalten sein, aus rechtlicher Sicht ist dies jedoch unerheblich.

Im „Protokoll über die Anwendung der Charta der Grundrechte auf Polen und das Vereinigte Königreich“ soll die Anwendung der Charta in Bezug auf die Gesetze und das Verwaltungshandeln Polens und des Vereinigten Königreichs und die Frage der Einklagbarkeit in Polen und im Vereinigten Königreich geklärt werden. Das Protokoll stellt die Rechtsverbindlichkeit der Grundrechtecharta nicht in Frage; diese gilt, einschließlich ihrer Bestimmungen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich, grundsätzlich auch für Polen und das Vereinigte Königreich und ist für diese anwendbar. Es handelt sich demnach nicht um ein generelles „Opt Out“ Polens und des Vereinigten Königreichs aus der Charta. Für die Durchsetzbarkeit der Rechte werden in den genannten Mitgliedstaaten jedoch Schranken aufgezeigt.

Für den Beitritt der Union zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) wird im EUV eine Rechtsgrundlage geschaffen. Der Beitritt wird vom Rat einstimmig beschlossen und muss von den Mitgliedstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften genehmigt, d. h. ratifiziert werden.

Es wird klargestellt, dass die Grundrechte, wie sie in der EMRK gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts sind.

 

6. Das demokratische Leben der Union

Der EUV legt zum demokratischen Leben der Union drei tragende Grundsätze fest – demokratische Gleichheit, repräsentative sowie partizipative Demokratie – und fügt erstmals eine Bestimmung über die Rolle der nationalen Parlamente hinzu (Art. 8 ff (9 EUV)).

Gemäß dem erstgenannten Grundsatz achtet die Union in ihrem gesamten Handeln den Grundsatz der Gleichheit ihrer BürgerInnen. Dieser wird durch die Regeln über die Unionsbürgerschaft ergänzt, die im Wesentlichen inhaltlich unverändert aus dem EGV übernommen werden.

Gemäß dem zweiten Grundsatz beruht die Arbeitsweise der Union auf der repräsentativen Demokratie. Die BürgerInnen sind auf Unionsebene durch das Europäische Parlament unmittelbar vertreten. Der Präsident der Kommission wird vom Europäischen Parlament über Vorschlag des Europäischen Rates, der bei seiner Nominierung die Stärke der im Europäischen Parlament vertretenen politischen Richtungen zu berücksichtigen hat, gewählt. Dadurch wird auch die demokratische Legitimation der Kommission mittelbar gestärkt. Es besteht eine mittelbare demokratische Legitimation des Europäischen Rates und des Rates im Wege der nationalen Parlamente (einige Mitglieder des Europäischen Rates werden auch direkt vom Volk gewählt). Europäische politische Parteien tragen zur Herausbildung eines europäischen politischen Bewusstseins bei.

Der dritte – partizipatorische – Grundsatz manifestiert sich einerseits dadurch, dass die Organe der Union einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit den repräsentativen Verbänden der Zivilgesellschaft, insb. den Sozialpartnern, pflegen und ihnen andererseits die Möglichkeit geben, ihre Ansichten in allen Bereichen des Handelns der Union öffentlich bekannt zu geben und auszutauschen. Die Kommission führt zu diesem Zweck umfangreiche Anhörungen der Betroffenen durch.

Neu eingeführt wird das Instrument der Bürgerinitiative: Bürger/innen der Union, deren Zahl mindestens eine Million beträgt und die Staatsangehörige einer erheblichen Zahl von Mitgliedstaaten sind, können eine Initiative ergreifen und die Kommission auffordern, im Rahmen ihrer Befugnisse geeignete Vorschläge zu unterbreiten, zu denen es nach Ansicht der BürgerInnen eines Rechtsaktes der Union bedarf.

Die Rechte der nationalen Parlamente werden gegenüber den derzeitigen Verträgen ausgeweitet und erstmals wird eine übersichtliche Darstellung der Rolle der nationalen Parlamente vorgenommen:

- unverzügliche Übermittlung von Vorschlägen an die nationalen Parlamente;

- Subsidiaritätskontrolle;

- Evaluierungen im Rahmen des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts; Beteiligung an der Kontrolle von Europol und Eurojust;

- Mitbeteiligung bei Vertragsänderungen;

- Unterrichtung über Anträge auf Beitritt zur Union;

- interparlamentarische Zusammenarbeit zwischen den nationalen Parlamenten und dem Europäischen Parlament.

Von besonderer Bedeutung ist der Mechanismus der Subsidiaritätskontrolle, der in einem eigenen Protokoll geregelt ist. Dabei haben die nationalen Parlamente acht Wochen Zeit, einen Rechtsetzungsvorschlag der Kommission zu prüfen. Jedes nationale Parlament hat zwei Stimmen. In einem Zweikammersystem hat daher jede der beiden Kammern eine Stimme. Durch dieses „Stimmensplitting“ haben in Österreich auch die Bundesländer die Möglichkeit über den Bundesrat an der Subsidiaritätsprüfung mittelbar mitzuwirken.

Erreicht die Anzahl der begründeten Stellungnahmen, wonach der Entwurf eines Gesetzgebungsaktes nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip in Einklang steht, ein Drittel der Gesamtstimmen, so muss die Kommission ihren Entwurf überprüfen. Im Bereich Justiz und Inneres ist bereits ein Viertel der Gesamtstimmen hinreichend, um die Überprüfung eines Kommissionsvorschlages zu erwirken. Die Kommission kann ihren Vorschlag in der Folge beibehalten, ändern oder zurückziehen. Dieser Beschluss muss begründet werden.

Wenn eine einfache Mehrheit der Parlamente Subsidiaritätsbedenken geltend macht, so gilt im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens Folgendes: Die Kommission muss die geäußerten Einwände prüfen und kann ihren Vorschlag beibehalten, ändern oder zurückziehen. Sofern sie sich für ersteres entschließt, hat sie dies schriftlich zu begründen. Die begründete Stellungnahme der Kommission wie auch die Bedenken der nationalen Parlamente werden sodann dem EU-Gesetzgeber (d. h. sowohl dem Rat als auch dem Europäischen Parlament) im Rahmen der ersten Lesung vorgelegt. Sofern entweder 55% der Mitglieder des Rates oder die Mehrheit der im Europäischen Parlament abgegebenen Stimmen ebenfalls Subsidiaritätsbedenken haben, wird das Rechtsetzungsverfahren eingestellt.

 

7. Institutionenreform

Im Vertrag von Lissabon werden substanzielle Neuerungen der institutionellen Architektur vorgesehen (Art. 9 ff (13 EUV)). Diese betreffen u. a.:

– Die neue Zusammensetzung und Stärkung des Europäischen Parlaments, das als Mitgesetzgeber auftritt (Art. 9a (14 EUV));

– die Umwandlung des Europäischen Rates in ein Unionsorgan und die Schaffung des Amtes eines Präsidenten des Europäischen Rates (Art. 9b (15 EUV));

– die Schaffung von Teampräsidentschaften (Art. 9c Abs. 9 (16 Abs. 9 EUV));

– die Einführung des Systems der doppelten Mehrheit als Abstimmungsmethode für qualifizierte Mehrheitsentscheidungen im Rat und Ausdehnung des Anwendungsbereichs (Art. 9c Abs. 4 und 5 (16 Abs. 4 und 5 EUV));

– die neue Zusammensetzung der Kommission und die gestärkte Rolle des Präsidenten der Kommission (Art. 9d Abs. 4 und 5 (17 Abs. 4 und 5));

– die Schaffung des Amtes eines Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik mit erweiterten Befugnissen und doppelter Verankerung in Rat und Kommission (Art. 9e (18 EUV)).

7.1. Europäisches Parlament

Das Europäische Parlament ist das von den BürgerInnen direkt gewählte Organ der Europäischen Union. Die Europawahlen finden alle fünf Jahre statt, das nächste Mal 2009.

Die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments wird nicht mehr im Vertrag selbst geregelt, sondern auf Initiative und mit Zustimmung des Europäischen Parlaments einstimmig vom Europäischen Rat beschlossen. Dabei kommt das Prinzip der - im Verhältnis zur Bevölkerungsstärke der einzelnen Mitgliedstaaten - degressiv proportionalen Verteilung der Sitze zur Anwendung. Jeder Mitgliedstaat verfügt über mindestens 6 und höchstens 96 Sitze. Die Obergrenze beträgt 750 Abgeordnete, zuzüglich des Präsidenten. Diese de facto Erhöhung der bereits im Verfassungsvertrag vorgesehen Grenze von 750 um ein weiteres Mitglied, war aufgrund des Einspruchs von Italien zum Aufteilungsvorschlag des Europäischen Parlamentes für die Wahlperiode 2009-2014 vom 11. Oktober 2007 notwendig.

Italien hatte gefordert, als Berechnungsbasis zur Aufteilung der Sitze das Kriterium "Bürger" anstelle von "Einwohner" zu verwenden. In einer Erklärung wird nunmehr festgehalten, dass der zusätzliche Sitz Italien zugewiesen wird. Der Europäische Rat hat sich bereits im Rahmen seiner Tagung am 14. Dezember 2007 politisch dazu verpflichtet, den überarbeiteten Vorschlag des EP zu beschließen. Österreich wird in der Wahlperiode 2009-2014 mit 19 Mandataren im Europäischen Parlament vertreten sein, d. h. mit zwei Abgeordneten mehr als im Vertrag von Nizza vorgesehen.

Darüber hinaus werden die Rechte des Europäischen Parlaments weiter ausgebaut und verstärkt:

Das derzeitige Mitentscheidungsverfahren, bei dem das Europäische Parlament gemeinsam mit dem Rat (in dem die jeweiligen FachministerInnen der Mitgliedstaaten vertreten sind) gleichberechtigter Gesetzgeber ist, wird zum Regelfall (ordentliches Gesetzgebungsverfahren). Lediglich in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sind grundsätzlich andere Entscheidungsprozesse vorgesehen. In speziellen Politikbereichen erhält das Europäische Parlament – unter anderem in der Gemeinsamen Agrarpolitik, der Handelspolitik und im Bereich Justiz und Inneres – mehr Entscheidungsbefugnisse.

Weiters werden auch die Entscheidungsrechte des Europäischen Parlaments bei den Finanzen der Union ausgedehnt. Es erhält das Zustimmungsrecht beim mehrjährigen Finanzrahmen der EU bzw. ein umfassendes Mitentscheidungsrecht beim jährlichen Haushaltsverfahren. Die Unterscheidung zwischen obligatorischen und nichtobligatorischen Ausgaben wird beseitigt.

Das Europäische Parlament erhält zudem ein erweitertes Zustimmungsrecht beim Abschluss internationaler Übereinkommen in Bereichen, die in der Union dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren unterliegen, sowie bei anderen wichtigen Abkommen (z. B. Assoziationsabkommen).

Das Europäische Parlament wählt künftig den Präsidenten der Kommission und bestätigt das Kommissionskollegium durch ein Zustimmungsvotum. Das Europäische Parlament kann einen Misstrauensantrag gegen die Kommission annehmen. Wird ein solcher Antrag angenommen, so müssen die Mitglieder der Kommission geschlossen zurücktreten. Der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik muss in diesem Fall gleichzeitig seine Funktion als Vizepräsident der Kommission niederlegen.

7.2. Europäischer Rat

Der Europäische Rat wird erstmals zu einem Organ der Union. Die entsprechenden Detailbestimmungen sind weitgehend analog dem Rat ausgestaltet.

Der Europäische Rat setzt sich aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten, seinem gewählten Präsidenten und dem Präsidenten der Kommission zusammen. Ferner nimmt der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik an den Arbeiten des Europäischen Rates teil. Entsprechend der Tagesordnung kann vorgesehen werden, dass sich die Mitglieder des Europäischen Rates durch eine Ministerin oder einen Minister – im Falle des Kommissionspräsidenten durch einen Kommissar – unterstützen lassen. Der Europäische Rat tagt zwei Mal pro Halbjahr, wobei sein Präsident erforderlichenfalls zusätzliche Tagungen einberufen kann.

Der Europäische Rat gibt der Union auch weiterhin die für ihre Entwicklung erforderlichen Impulse und definiert ihre allgemeinen politischen Ziele und Prioritäten, wird dabei aber nicht selbst rechtssetzend tätig. Falls nicht anders geregelt, erfolgen seine Entscheidungen im Konsens. Soweit der Europäische Rat Rechtsakte erlässt, unterliegt er der Kontrolle des EuGH.

Der Präsident des Europäischen Rates:

Der Europäische Rat wählt mit qualifizierter Mehrheit einen Präsidenten mit einer Amtsdauer von zweieinhalb Jahren. Damit wird der Vorsitz im Europäischen Rat erstmals grundlegend anders als die Vorsitzführung im Rat geregelt. Der Präsident des Europäischen Rates kann einmal wiedergewählt werden und darf kein einzelstaatliches Amt innehaben. Er führt den Vorsitz im Europäischen Rat, gibt Impulse und sorgt in Zusammenarbeit mit dem Präsidenten der Kommission auf Grundlage der Arbeiten des Rates „Allgemeine Angelegenheiten“ für die angemessene Vorbereitung und Kontinuität der Beratungen. Dabei wirkt er darauf hin, dass Zusammenarbeit und Konsens im Europäischen Rat gefördert werden. Darüber hinaus vertritt er die Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik auf seiner Ebene – unbeschadet der Zuständigkeiten des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik - nach außen. Nach jeder Tagung des Europäischen Rates legt er dem Europäischen Parlament einen Bericht vor.

Es wird eine Erklärung aufgenommen, wonach bei der Auswahl der Personen für die Ämter des Präsidenten des Europäischen Rates, des Präsidenten der Kommission und des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik auf die geographische und demographische Vielfalt der Union und ihrer Mitgliedstaaten entsprechend Rücksicht zu nehmen ist.

 

7.3. Rat

Der Rat übt zusammen mit dem Europäischen Parlament die Gesetzgebungs- und Haushaltsbefugnisse aus. Außerdem erfüllt er die ihm vom Vertrag zugewiesenen Aufgaben der Politikfestlegung und der Koordinierung.

Er setzt sich aus je einem Vertreter jedes Mitgliedstaats auf Ministerebene zusammen, der befugt ist, für seinen Mitgliedstaat verbindlich zu handeln (für Österreich kann dies weiterhin durch einen Vertreter der Bundesländer geschehen) und das Stimmrecht auszuüben. Falls nicht anders geregelt, entscheidet der Rat mit qualifizierter Mehrheit.

Ausdrücklich festgelegt wird, dass der Rat öffentlich tagt, wenn er Gesetzgebungsvorschläge berät und beschließt. Aus diesem Grund werden alle Ratstagungen in gesetzgeberische und nichtgesetzgeberische Beratungen geteilt. Der Rat kann die Kommission auffordern, Vorschläge für Rechtsakte zu unterbreiten. Legt die Kommission keinen Vorschlag vor, muss sie ihre Entscheidung künftig begründen.

Während bisher im EGV vom Rat im Allgemeinen die Rede ist, werden im EUV zwei konkrete Ratsformationen genannt: Der Rat „Allgemeine Angelegenheiten“ sorgt für die Kohärenz der Arbeiten der verschiedenen Ratsformationen. Er ist zusammen mit den Präsidenten des Europäischen Rates und der Kommission für die Vorbereitung der Tagungen des Europäischen Rates verantwortlich und sorgt für das weitere Vorgehen. Der Rat „Auswärtige Angelegenheiten“ formuliert die Außenpolitik der Union auf der Basis strategischer Leitlinien des Europäischen Rates und gewährleistet die Kohärenz des auswärtigen Handelns der Union. Die Liste der übrigen Ratsformationen wird vom Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit beschlossen.

Der Vorsitz im Rat wird von Vertretern der Mitgliedstaaten auf der Basis gleichberechtigter Rotation ausgeübt. Dabei führt ein Mitgliedstaat für jeweils sechs Monate den Vorsitz. Künftig werden jeweils drei aufeinanderfolgende Mitgliedstaaten gemeinsam eine Teampräsidentschaft bilden. Das diesbezügliche System wird in einem vom Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit anzunehmenden Beschluss festgelegt. Eine Sonderregelung für den Vorsitz gibt es neben dem Europäischen Rat auch für den Rat Auswärtige Angelegenheiten, den der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik leitet. Der Entwurf für den Beschluss des Europäischen Rates über die Ausübung des Vorsitzes im Rat liegt in Form einer Erklärung vor. Er soll am Tag des Inkrafttretens des Vertrags angenommen werden und enthält folgende Elemente:

- Prinzip der gleichberechtigten Vorsitzrotation zwischen den Mitgliedstaaten, mit Teampräsidentschaften von je drei Mitgliedstaaten (jeweils ein Mitgliedstaat hat sechs Monate lang den Vorsitz in den Ratsformationen und im AStV inne und kann dabei im Rahmen eines gemeinsamen Programms Aufgaben an die beiden anderen Mitglieder der Teampräsidentschaft delegieren);

- Zusammenstellung der Teams auf der Grundlage einer gleichberechtigten Rotation unter den Mitgliedstaaten, unter Berücksichtigung der Vielfalt und der geographischen Ausgewogenheit innerhalb der Union;

- Vorsitzführung im Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) von jenem Teammitglied, das dem Rat „Allgemeine Angelegenheiten“ vorsitzt;

- Vorsitzführung im Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSK) von einem Vertreter des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik;

- Vorsitzführung in den einzelnen Ratsarbeitsgruppen durch jenes Teammitglied, das den Vorsitz in den jeweils korrespondierenden Ratsformationen ausübt, sofern in einem Durchführungsbeschluss zur Vorsitzregelung nicht anderes festgelegt wird.

- Der Rat erlässt mit qualifizierter Mehrheit einen Durchführungsbeschluss zu diesem Beschluss.

Das Verfahren zur Durchführung des obigen Beschlusses soll gemäß einer gemeinsamen Erklärung bereits nach Unterzeichnung des Vertrags von Lissabon vom Europäischen Rat mit dem Ziel vorbereitet werden, innerhalb von sechs Monaten eine politische Einigung zu erzielen.

7.4. Änderung der Abstimmungsmethode bei qualifizierten Mehrheitsentscheidungen und Ausdehnung des Anwendungsbereichs

Der Rat entscheidet in der Regel - sofern nicht im konkreten Fall etwas anderes vorgesehen ist - mit qualifizierter Mehrheit. Die grundlegenden Änderungen der Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit im Rat und Europäischen Rat wurden bereits im Verfassungsvertrag festgelegt. Auf polnischen Wunsch wird nunmehr die Einführung des neuen Systems der „doppelten Mehrheit“ vom Jahr 2009 auf das Jahr 2014 verschoben. Gleichzeitig kann das derzeit geltende „Nizza- Stimmgewichtungssystem“ im Zeitraum vom 1. November 2014 bis 31. März 2017 optional auf Antrag eines Mitglieds des Rates verwendet werden. Darüber hinaus wird der „Ioannina – Mechanismus“ zur Sperrminorität auf unbefristete Zeit verlängert und seine Anwendung ab dem 1. April 2017 erleichtert.

Die ab dem 1. November 2014 zur Anwendung kommende Regelung sieht vor, dass qualifizierte Mehrheitsentscheidungen von mindestens 55% der Mitglieder des Rates (mindestens 15 Mitgliedstaaten), die gleichzeitig mindestens 65% der Unionsbevölkerung ausmachen, unterstützt werden müssen. Eine Sperrminorität, die das Zustandekommen eines Beschlusses verhindert, muss dabei zumindest vier Mitgliedstaaten umfassen. Drei große Mitgliedstaaten können somit auch dann nicht allein einen Beschluss blockieren, wenn sie mehr als 35% der Unionsbevölkerung repräsentieren.

Erfolgt ein Beschluss nicht auf Grundlage eines Vorschlages der Kommission oder des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, so ist für das Zustandekommen der qualifizierten Mehrheit ein erhöhtes Staatenquorum von 72% bei einem gleich bleibenden Bevölkerungsquorum von 65% erforderlich.

Im Zeitraum zwischen 1. November 2014 und 31. März 2017 kommt der sog. „Ioannina-Mechanismus“ mit folgenden Elementen zur Anwendung: Mitgliedstaaten können die Annahme eines Rechtsaktes, der mit qualifizierter Mehrheit zu entscheiden ist, dann ablehnen, wenn mindestens 75% der Bevölkerung oder 75% der Mitgliedstaaten, die für eine Sperrminorität erforderlich sind, erreicht werden. Dies hat die Wirkung, dass die Verhandlungen weitergeführt werden müssen, um eine breitere Zustimmung zu erreichen. Ab 1. April 2017 wird der Mechanismus erleichtert: Es sind dann nur mehr 55% der Bevölkerung und 55% der Mitgliedstaaten, die eine Sperrminorität bilden können, für die Auslösung des Mechanismus erforderlich. Polen forderte eine Verankerung des Ioannina- Mechanismus in Form eines Protokolls im Primärrecht. Dazu wurde folgende Lösung gefunden: Der Ioannina-Mechanismus wird inhaltlich unverändert in einem Entwurf für einen Ratsbeschluss festgeschrieben, der dem Vertrag von Lissabon in einer Erklärung beigelegt wird. Der im schriftlichen Verfahren von den Mitgliedstaaten der Union am 13. Dezember 2007 angenommene Ratsbeschluss, tritt gleichzeitig mit dem Vertrag von Lissabon in Kraft. Zusätzlich wird dem Vertrag von Lissabon ein Protokoll angeschlossen, in welchem festgehalten wird, dass der Ratsbeschluss zum Ioannina-Mechanismus nur einstimmig geändert werden kann.

7.5. Europäische Kommission (Kommission)

Die Kommission behält ihre Rolle als Förderin der allgemeinen, europäischen Interessen der Union und Hüterin des Unionsrechtes. Sie nimmt ihre Tätigkeiten in voller Unabhängigkeit wahr. Ihre Mitglieder dürfen keine Anweisungen von Regierungen oder anderen Stellen entgegennehmen und müssen sich jeglicher Tätigkeiten enthalten, die mit ihren Pflichten unvereinbar sind. Die Kommission agiert als Kollegium und trifft ihre Entscheidungen mit der Mehrheit ihrer Mitglieder, wobei sie das Quorum in ihrer Geschäftsordnung festlegt.

Das Initiativmonopol erstreckt sich – abgesehen von ganz wenigen Ausnahmen wie dem Direktwahlakt zum Europäischen Parlament und dem Abgeordnetenstatut des Europäischen Parlaments – auf alle Gesetzgebungsakte, den mehrjährigen Finanzrahmen und den Jahreshaushalt. Nur für den Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen bleibt ein paralleles Initiativrecht eines Viertels der Mitgliedstaaten bestehen. Außerdem erhält die Kommission das Vorschlagsrecht für die auf den Abschluss interinstitutioneller Vereinbarungen ausgerichtete jährliche und mehrjährige Programmplanung der Union.

Neben ihren Vorschlagsrechten obliegen der Kommission die Außenvertretung der Union mit Ausnahme des Bereichs der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, die Ausführung des Haushaltsplanes, die Verwaltung der Programme sowie die ihr übertragenen Koordinierungs-, Exekutiv- und Verwaltungsfunktionen, einschließlich der Annahme von Durchführungsrechtsakten.

Zusammensetzung der Kommission:

Die im Vertrag von Nizza vorgesehene Verkleinerung der Kommission bereits ab der ersten Amtsperiode nach dem Beitritt des 27. Mitgliedstaates (voraussichtlich ab 2009) wird um eine weitere Amtsperiode (voraussichtlich bis 2014) aufgeschoben. Bis 2014 wird somit das Prinzip beibehalten, dass sich die Kommission einschließlich ihres Präsidenten und des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik aus je einem Staatsangehörigen pro Mitgliedstaat zusammensetzt. Voraussichtlich ab dem 1. November 2014 wird die Zahl der Mitglieder der Kommission auf zwei Drittel der Anzahl der Mitgliedstaaten verkleinert, sofern der Europäische Rat nicht einstimmig eine Änderung dieser Zahl beschließt. Die Auswahl der Mitglieder der Kommission erfolgt dabei auf der Grundlage eines Systems der strikt gleichberechtigten Rotation, dessen genaue Modalitäten in einem vom Europäischen Rat einstimmig zu erlassenden Beschluss festzulegen sind. Dabei sind folgende Prinzipien zu beachten:

- Die Mitgliedstaaten werden bei der Festlegung der Reihenfolge und der Dauer der Amtszeiten ihrer Staatsangehörigen in der Kommission vollkommen gleich behandelt; demzufolge kann die Gesamtzahl der Mandate, welche Staatsangehörige zweier beliebiger Mitgliedstaaten in der Kommission innehaben, niemals um mehr als eines voneinander abweichen.

- Gleichzeitig ist jedes der aufeinander folgenden Kollegien so zusammengesetzt, dass das demografische und geografische Spektrum der Gesamtheit der Mitgliedstaaten der Union auf zufrieden stellende Weise zum Ausdruck kommt. Auf Wunsch von Dänemark und Österreich wird in einer gemeinsamen Erklärung festgehalten, dass die Kommission künftig eine besondere Verpflichtung zur Gewährleistung der Transparenz und der engen Verbindung mit jenen Mitgliedstaaten trifft, die in einem reduzierten Kollegium nicht vertreten sind. Dieser Verpflichtung soll durch „geeignete organisatorische Vorkehrungen“ entsprochen werden.

Verfahren zur Bestellung der Kommission und ihres Präsidenten:

Der Kommissionspräsident wird künftig vom Europäischen Parlament gewählt und nicht mehr wie bisher vom Europäischen Rat ernannt:

Der Europäische Rat schlägt mit qualifizierter Mehrheit dem Europäischen Parlament einen Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Kommission vor, wobei er das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament berücksichtigt. Dieser Kandidat wird vom Europäischen Parlament mit der Mehrheit seiner Mitglieder gewählt. Kommt diese nicht zustande, so muss der Europäische Rat dem Europäischen Parlament innerhalb eines Monats einen neuen Kandidaten vorschlagen, wobei die gleichen Verfahrensregeln zur Anwendung kommen. Die übrigen Mitglieder der Kommission werden von den Mitgliedstaaten vorgeschlagen und vom Rat mit qualifizierter Mehrheit im Einvernehmen mit dem Kommissionspräsidenten ausgewählt, wobei folgende Kriterien zu berücksichtigen sind:

- Kompetenz, Engagement für Europa und Gewähr für die Unabhängigkeit der Kandidaten.

- Das System der gleichberechtigten Rotation (ab der für 2014 vorgesehenen Verkleinerung der Kommission).

Für die Bestellung des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik gelten Sonderregeln. (siehe unter Punkt 7.6).

Das gesamte Kollegium der Kommission (wozu auch der Präsident und der Hohe Vertreter zählen) muss sich dem Zustimmungsvotum des Europäischen Parlamentes stellen. Erhält das Kollegium die Mehrheit der im Europäischen Parlament abgegebenen Stimmen, wird die Kommission vom Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit ernannt. Das Europäische Parlament kann die gesamte Kommission durch ein Misstrauensvotum zum Rücktritt verpflichten, wenn dieses mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, die zugleich die Mehrheit der Mitglieder des Europäischen Parlamentes ausmachen, angenommen wird. Einzelne Mitglieder der Kommission müssen auf Verlangen des Kommissionspräsidenten zurücktreten.

Zu den Aufgaben des Präsidenten der Kommission zählen die Festlegung der Leitlinien für die Aufgabenerfüllung der Kommission sowie der internen Organisation (unter Wahrung von Effizienz, Kohärenz und des Kollegialitätsprinzips) und die Ernennung der Vizepräsidenten aus dem Kreis des Kollegiums (abgesehen vom Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik).

7.6. Hoher Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik

Die bisherigen Funktionen des Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und des Kommissars für auswärtige Beziehungen werden in einer Person, dem Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik vereint. Dieser ist Mitglied der Kommission, einer ihrer Vizepräsidenten und gleichzeitig ständiger Vorsitzender des Rates „Auswärtige Angelegenheiten“. Er soll für die Kohärenz des gesamten auswärtigen Handelns der Union sorgen und die Delegationen der Union (in Drittstaaten und bei internationalen Organisationen) leiten.

Die Ernennung des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik erfolgt durch den Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit und mit Zustimmung des Präsidenten der Kommission (Entlassung erfolgt nach dem gleichen Verfahren, gegebenenfalls auch auf Verlangen des Kommissionspräsidenten). Er hat sich gemeinsam mit dem Kommissionspräsidenten und den übrigen Mitgliedern der Kommission dem Zustimmungsvotum des Europäischen Parlaments zu stellen. Im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), einschließlich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP), ist er dem Rat verantwortlich, unterbreitet Vorschläge zur Entwicklung dieser Politik und sorgt für deren Durchführung im Auftrag des Rates. In der GASP vertritt er die Union nach außen (gegenüber Drittstaaten und internationalen Organisationen) – soweit dies nicht dem Präsidenten des Europäischen Rates auf dessen Ebene obliegt – und empfiehlt dem Rat Verhandlungsmandate und führt Verhandlungen über internationale Abkommen.

In den übrigen Bereichen des auswärtigen Handelns, in denen er der Kommission zufallende Zuständigkeiten ausübt (Handelspolitik, Entwicklungszusammenarbeit, wirtschaftliche, finanzielle und technische Kooperation mit Drittländern, humanitäre Hilfe) handelt er als für die Koordination der Außenaspekte verantwortliches Mitglied der Kommission und ist an deren kollegiale Verfahren gebunden, soweit sich dies mit seinen Verantwortlichkeiten im Bereich der GASP vereinbaren lässt.

7.7. Weitere Institutionen

Der Wirtschafts- und Sozialausschuss und der Ausschuss der Regionen werden auch in Zukunft in ihrer Stellung als beratende Institutionen der Union uneingeschränkt bestätigt. Die Zusammensetzung der beiden Ausschüsse ist nicht mehr primärrechtlich geregelt, sondern wird vom Rat über Vorschlag der Kommission durch Beschluss festgelegt.

Der Europäische Bürgerbeauftragte, der Beschwerden über Missstände in der Verwaltungstätigkeit der Organe und Institutionen der EU untersucht, wird weiterhin vom Europäischen Parlament bestellt und bleibt von wesentlicher Bedeutung für das gute Funktionieren der Vollziehung in der Union.

 

8. Kompetenzen

Im EUV wird klargestellt, dass alle der Union nicht in den Verträgen übertragene Zuständigkeiten bei den Mitgliedstaaten verbleiben (Art. 3a (4 EUV)). Weiters wird ausgeführt, dass die Union ausschließlich innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig wird, die ihr die Mitgliedstaaten in den Verträgen übertragen haben. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um die Klarstellung des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung. Dieses besagt, dass die Union nur über jene Zuständigkeiten verfügt, die ihr ausdrücklich von den Mitgliedstaaten vertraglich übertragen werden. Das Subsidiaritätsprinzip sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergänzen dieses Prinzip (Art. 3b (5EUV)). In der Erklärung zur Abgrenzung der Zuständigkeiten wird bekräftigt, dass die Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeiten wahrnehmen, sofern und soweit die Union entschieden hat, ihre Zuständigkeiten nicht mehr auszuüben. Dieser Fall ist gegeben, wenn die betreffenden Organe der EU beschließen, einen Gesetzgebungsakt aufzuheben, insbesondere um die ständige Einhaltung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit besser sicherzustellen. Der Rat kann die Kommission auf Initiative eines oder mehrerer Mitglieder auffordern, einen Vorschlag zur Aufhebung eines Rechtsaktes zu unterbreiten. Weiters wird betont, dass es bei einer Vertragsänderung sowohl zu einer Ausweitung als auch zu einer Verringerung der Kompetenzen der Union kommen kann.

Im AEUV werden die Arten der Zuständigkeiten der Union definiert und die diesen jeweils zugeordneten Politikbereiche genannt:

• Ausschließliche Zuständigkeiten der Union, bei denen die Mitgliedstaaten nur noch über ausdrückliche Ermächtigung der Union, oder um Rechtakte der Union umzusetzen, tätig werden dürfen (abschließende Aufzählung):

- Zollunion,

- Festlegung der für das Funktionieren des Binnenmarkts nötigen Wettbewerbsregeln,

- Währungspolitik für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist,

- Erhaltung der biologischen Meeresschätze im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik,

- gemeinsame Handelspolitik,

- Abschluss internationaler Abkommen unter bestimmten Bedingungen.

• Geteilte Zuständigkeiten: Diese umfassen alle der Union zugewiesenen Zuständigkeiten, die nicht ausdrücklich als ausschließliche oder ergänzende Kompetenzen genannt sind (demonstrative Aufzählung):

- Binnenmarkt,

- Sozialpolitik,

- wirtschaftlicher, sozialer und territorialer Zusammenhalt,

- Landwirtschaft und Fischerei (ausgenommen Erhaltung der biologischen Meeresschätze),

- Umwelt,

- Verbraucherschutz,

- Verkehr,

- Forschung, technologische Entwicklung und Raumfahrt,

- Transeuropäische Netze,

- Energie,

- Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts,

- Gemeinsame Sicherheitsanliegen im Bereich des Gesundheitswesens.

• Den Mitgliedstaaten verbleibt in diesen Bereichen ihre Zuständigkeit, sofern und soweit die Union ihre Zuständigkeit nicht ausgeübt oder entschieden hat, diese nicht mehr auszuüben. In den Bereichen Forschung, technologische Entwicklung, Raumfahrt, Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe hindert die Wahrnehmung der geteilten Zuständigkeit durch die Union die Mitgliedstaaten nicht, ihre Zuständigkeit weiter auszuüben (siehe dazu auch das Protokoll über die über die Ausübung der geteilten Zuständigkeit und Erklärung Nr. 18 zur Abgrenzung der Zuständigkeiten).

• Unterstützende, koordinierende und ergänzende Maßnahmen: In den unter diese Zuständigkeitsart fallenden, abschließend aufgezählten Politikbereichen sind nur solche rechtsverbindliche Akte zulässig, die keine Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten beinhalten: Schutz und Verbesserung der menschlichen Gesundheit, Industrie, Kultur, Tourismus, allgemeine und berufliche Bildung, Jugend, Sport, Katastrophenschutz und Verwaltungszusammenarbeit.

Gesondert geregelt werden noch spezifische Zuständigkeiten der Union:

• Maßnahmen zur Koordinierung der Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten durch die Union und Unionsinitiativen zur Koordinierung der Sozialpolitik der Mitgliedstaaten;

• die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, einschließlich der schrittweisen Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik. Es wird explizit darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten ihre Wirtschaftspolitik innerhalb der Union selbst koordinieren und der Rat zu diesem Zweck Maßnahmen erlässt (insbesondere beschließt er die Grundzüge dieser Politik). Besondere Regelungen betreffen die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist. Die Union kann im Rahmen der festgelegten Politikbereiche (mit Ausnahme der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik) auch dann tätig werden, wenn dies notwendig ist, um eines der Ziele der Verträge (EUV, AEUV) zu erreichen und die dazu erforderlichen konkreten Handlungsbefugnisse im Vertrag nicht vorgesehen sind (dzt. Art. 308 EGV). Im Sinne einer möglichst zurückhaltenden Anwendung dieser Bestimmung erfolgt die Beschlussfassung im Rat einstimmig. Zusätzlich ist die Zustimmung des Europäischen Parlaments erforderlich.

 

9. Handlungsinstrumente und Verfahren (einschließlich Vertragsänderungsverfahren)

Die Instrumente der Union werden infolge der Abschaffung der Säulenarchitektur vereinfacht, zahlenmäßig beschränkt und genau festgelegt. Die besonderen Handlungsformen der bisherigen dritten Säule werden abgeschafft. Durch die Definition des Gesetzgebungsverfahrens, in dessen Rahmen Gesetzgebungsakte erlassen werden und die im Rang über Rechtsakten ohne Gesetzescharakter stehen, wird eine Normenhierarchie in die Unionsrechtsordnung eingeführt.

Die Rechtsakttypen des AEUV gelten in Zukunft für alle Politikbereiche: Verordnung, Richtlinie, Beschluss als verbindliche sowie Empfehlung und Stellungnahme als nicht verbindliche Rechtsinstrumente. Nicht zuletzt trägt das zur Verwirklichung der Ziele der Transparenz und Vereinfachung der Verträge bei. Weiters wird eine Unterscheidung in Gesetzgebungsakte und Rechtsakte ohne Gesetzescharakter getroffen. Gesetzgebungsakte sind Verordnungen, Richtlinien und Beschlüsse, die im (ordentlichen oder einem besonderen) Gesetzgebungsverfahren angenommen werden. Diese können nicht durch Rechtsakte ohne Gesetzescharakter abgeändert werden. Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren besteht in der gemeinsamen Annahme eines Rechtsaktes durch das Europäische Parlament und den Rat auf Vorschlag der Kommission. Dieses wurde bisher als „Mitentscheidungsverfahren“ bezeichnet und ist künftig der Regelfall der Gesetzgebung (qualifizierte Mehrheit im Rat). Bei einem besonderen Gesetzgebungsverfahren wird eine Verordnung, eine Richtlinie oder ein Beschluss durch das Europäische Parlament mit Beteiligung des Rates oder durch den Rat mit Beteiligung des Europäischen Parlaments angenommen (Anhörungsverfahren oder Zustimmungsrecht des Mitgesetzgebers). Das Verfahren der Zusammenarbeit (Art. 252 EGV) wird abgeschafft.

Besondere Vorschriften regeln die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) und den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Im Bereich der GASP und der GSVP haben die Mitgliedstaaten, der Hohe Vertreter bzw. der Hohe Vertreter mit Unterstützung der Kommission ein Initiativrecht. Grundsätzlich gilt hier die Einstimmigkeitsregel und das Europäische Parlament hat lediglich ein Anhörungsrecht. Für die strafrechtliche und polizeiliche Zusammenarbeit im Bereich Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts hat, neben der Kommission, ein Viertel der Mitgliedstaaten ein Initiativrecht.

Die Rechtsgrundlagen für die Handlungsinstrumente und die Rechtssetzungsverfahren finden sich in den Art. 249ff. (288ff. AEUV). Vertragsänderungsverfahren und Austritt aus der Union:

Der Vertrag kennt zwei Formen der Vertragsänderung:

Das ordentliche Änderungsverfahren (Konventsmethode), ergänzt durch zwei vereinfachte Änderungsverfahren.

Im Rahmen des ordentlichen Änderungsverfahrens hat jeder Mitgliedstaat, das Europäische Parlament oder die Kommission das Recht, Vorschläge zur Änderung der Verträge vorzulegen. Solche Vorschläge werden im Wege des Rates dem Europäischen Rat vorgelegt und allen nationalen Parlamenten zur Kenntnis gebracht. Inhaltlich können die Vorschläge unter anderem sowohl eine Ausweitung als auch eine Einschränkung der an die Union übertragenen Kompetenzen zum Gegenstand haben.

Spricht sich der Europäische Rat mit einfacher Mehrheit, nach Konsultation des Europäischen Parlaments, für eine Prüfung der Vorschläge aus, beruft der Präsident des Europäischen Rates einen Konvent aus Repräsentanten der nationalen Parlamente, Vertretern der Staats- und Regierungschefs, Repräsentanten des Europäischen Parlaments und der Kommission ein. Der Konvent prüft in der Folge die Vorschläge und unterbreitet einer Regierungskonferenz konsensual beschlossene Empfehlungen. Der Europäische Rat kann mit einfacher Mehrheit beschließen, von der Einberufung eines Konvents Abstand zu nehmen, wenn der Umfang der vorliegenden Vorschläge dessen Einberufung nicht rechtfertigen würde. Unabhängig davon, ob die Änderungsvorschläge von einem Konvent vorbereitet wurden oder nicht, beschließt eine Konferenz der Regierungsvertreter einstimmig über die vorzunehmenden Vertragsänderungen; die Regierungskonferenz wird vom Präsidenten des Rates einberufen. Jede Vertragsänderung muss danach entsprechend den jeweiligen nationalen Verfassungsvorschriften ratifiziert werden.

In Österreich bedürfen Vertragsänderungen der parlamentarischen Genehmigung des durch Art. 1 des Bundesverfassungsgesetzes mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert und ein Erstes Bundesverfassungsrechts-bereinigungsgesetz erlassen wird, novellierten Art. 50 Abs. 1 Z 2 B-VG iVm Abs. 4 leg. cit., BGBl. I Nr. 2/2008. Zusätzlich zum ordentlichen Änderungsverfahren sind zwei vereinfachte Änderungsverfahren vorgesehen. Im Rahmen des ersten vereinfachten Änderungsverfahrens (Art. 48 Abs. 6 EUV) hat jeder Mitgliedstaat, das Europäische Parlament oder die Kommission das Recht, Vorschläge zu unterbreiten, sofern sie sich auf Änderungen des Dritten Teils des AEUV beziehen (interne Politikbereiche).

Der Europäische Rat kann einstimmig Änderungen der internen Politikbereiche beschließen. Er muss dabei vor seiner Beschlussfassung das Europäische Parlament und die Kommission konsultieren. Inhaltlich können mit einem derartigen Beschluss die Kompetenzen der EU nicht ausgedehnt werden. Der Beschluss kann erst in Kraft treten, wenn er von allen Mitgliedstaaten ratifiziert wurde. In Österreich werden Beschlüsse des Europäischen Rates im Sinne des Art. 48 Abs. 6 EUV gemäß Art. 50 Abs. 1 Z 2 iVm Abs. 4 B-VG in der Fassung des Art. 1 des Bundesverfassungsgesetzes, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert und ein Erstes Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetz erlassen wird, als Staatsverträge behandelt und bedürfen der Genehmigung des Nationalrats und der Zustimmung des Bundesrats mit einem erhöhten Zustimmungsquorum von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen. Ein weiteres vereinfachtes Änderungsverfahren („Passerelle-Bestimmung“, Art. 48 Abs. 7 EUV) ist in zwei Fällen vorgesehen.

Sofern der AEUV oder Titel V des EUV (GASP) die einstimmige Beschlussfassung durch den Rat vorsieht, kann der Europäische Rat einstimmig beschließen, dass der Rat künftig mit qualifizierter Mehrheit entscheiden kann. Dies gilt jedoch nicht für Beschlüsse mit militärischen Implikationen. Wenn der Rat in einem Bereich nach einem besonderen Gesetzgebungsverfahren zu entscheiden hat, kann der Europäische Rat einstimmig beschließen, dass auf diesen Bereich künftig das ordentliche Gesetzgebungsverfahren Anwendung findet. Beschlüsse des Europäischen Rates nach Art. 48 Abs. 7 EUV werden den nationalen Parlamenten übermittelt, die innerhalb von sechs Monaten nach der Übermittlung die Möglichkeit haben, die Initiative abzulehnen. Der Europäische Rat kann den Beschluss nur erlassen, wenn kein Parlament die Initiative ablehnt. Damit ist die Einbindung der nationalen Parlamente gesichert, gegen deren Willen dieses vereinfachte Änderungsverfahren (Passerelle-Bestimmung) keine Anwendung finden kann, da schon die Ablehnung eines einzelnen nationalen Parlaments genügt, damit der Beschluss nicht zustande kommt. Weiters bedarf es für die Beschlussfassung auch der Zustimmung des Europäischen Parlaments mit der Mehrheit seiner Mitglieder. Die Rechtsgrundlage zu den Vertragsänderungsverfahren bilden die Art. 48 bis 49a (48 bis 50 EUV)).

 

 

10. Rechtsschutzsystem

Der sachliche Zuständigkeitsbereich des EuGH wird infolge der Abschaffung der Säulenarchitektur der Union ausgeweitet und erstreckt sich grundsätzlich auf alle Organe und Politikbereiche. Die derzeit bestehenden Ausnahmen, Abweichungen und geringfügigen Ergänzungen zu den Regelzuständigkeiten des EuGH im Bereich Justiz und Inneres (JI) werden weitgehend abgeschafft. Der EuGH wird in Hinkunft somit grundsätzlich für sämtliche Klagen, Vorabentscheidungsverfahren und Gutachtenanträge im Bereich Justiz und Inneres zuständig sein. Es gilt allerdings eine fünfjährige Übergangsfrist für die EuGH-Zuständigkeit im Hinblick auf zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Vertrags existierende Rechtsakte im Bereich des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Von der Zuständigkeit des EuGH ausgenommen bleibt die Überprüfung der Gültigkeit oder Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen der Polizei oder anderer Strafverfolgungsbehörden eines Mitgliedstaates oder der Wahrnehmung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit.

Eine Bereichsausnahme gibt es nach wie vor für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) einschließlich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP): Der EuGH ist nicht zuständig für die Bestimmungen hinsichtlich der GASP und für die auf der Grundlage dieser Bestimmungen erlassenen Rechtsakte. Zuständig hingegen ist er für die Kontrolle von Sanktionsbeschlüssen gegen natürliche und juristische Personen (u. a. des Terrorismus Verdächtige), sowie für Abgrenzungsfragen zwischen der GASP und anderen Politikbereichen.

Ein für Österreich besonders wichtiges rechtsstaatliches Anliegen war die Einbeziehung des Europäischen Rates als Organ in die Kontrollzuständigkeit des EuGH. Ebenso wird die Zuständigkeit des EuGH für die Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union (u. a. Agenturen) normiert. Der neue Vertrag verbessert den Rechtsschutz Einzelner gegen Rechtsakte der Union. Dies war auch eine wichtige österreichische Forderung. Die Klagemöglichkeit von Einzelpersonen wird ausgedehnt: Sie können in Zukunft gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die für sie unmittelbar gelten und die keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage erheben (eine individuelle Betroffenheit ist für diese Kategorie von Rechtsakten nicht mehr erforderlich). Die Rechtsgrundlagen zum Rechtsschutzsystem der Union finden sich in den Art. 9f (19 EUV) und 221 (251 AEUV).

 

11. Die Finanzen der Union

Die Finanzvorschriften regeln das Eigenmittelsystem, den mehrjährigen Finanzrahmen und Bestimmungen zum jährlichen Budget der Union. Das Eigenmittelsystem wird wie bisher einstimmig vom Rat erlassen, ebenso bleibt das Ratifikationserfordernis in den Mitgliedstaaten. Neu ist der ausdrückliche Hinweis, dass der Rat in der Verordnung über das Eigenmittelsystem neue Kategorien von Eigenmitteln einführen und bestehende abschaffen kann. Der mehrjährige Finanzrahmen ersetzt das derzeitige Instrument der „Interinstitutionellen Vereinbarung über die Haushaltsdisziplin und die wirtschaftliche Haushaltsführung“ (IIV). Die aktuelle IIV wurde 2006 zwischen Rat, Europäischem Parlament und Kommission abgeschlossen und legt Ausgabenobergrenzen und Details der Zusammenarbeit der Haushaltsbehörden Rat und Europäisches Parlament für die Jahre 2007 bis 2013 fest. Die Neuerung durch den Vertrag von Lissabon bewirkt eine Verstärkung der Haushaltsdisziplin: Während die IIV und die darin vereinbarten Ausgabenobergrenzen jederzeit von einer Institution aufgekündigt werden können, ist der mehrjährigen Finanzrahmen eine Verordnung, in der für einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren die jährlichen Ausgabenobergrenzen je Ausgabenkategorie festgesetzt werden. Der mehrjährige Finanzrahmen wird vom Rat mit Zustimmung des Europäischen Parlaments einstimmig beschlossen. Der Europäische Rat kann einstimmig eine Entscheidung erlassen, wonach der Rat auf das qualifizierte Mehrheitserfordernis übergehen kann. Das Europäische Parlament, Rat und Kommission werden verpflichtet, ihrerseits alles zu tun, damit das Verfahren zur Annahme des Finanzrahmens erfolgreich abgeschlossen wird. Die Praxis der engen Zusammenarbeit im Rahmen des Beschlussfassungsverfahrens soll damit beibehalten werden. Das Verfahren zum jährlichen Budget wird neu konzipiert. Wesentliche Neuerung ist die Aufhebung der Unterscheidung zwischen obligatorischen und nichtobligatorischen Ausgaben und die daran geknüpften unterschiedlichen Verfahrensbestimmungen, hier vor allem das „letzte Wort“ des Rates bei den obligatorischen Ausgaben und das „letzte Wort“ des Europäischen Parlaments bei den nicht-obligatorischen Ausgaben. Die Aufhebung dieser Unterscheidung war an die Verstärkung der Haushaltsdisziplin durch die Einführung des mehrjährigen Finanzrahmens geknüpft. Das neue Gleichgewicht zwischen den Haushaltsbehörden wird durch ein Verfahren eigener Art hergestellt:

• Jede Haushaltsbehörde führt eine Lesung durch.

• Im Falle abweichender Haltungen von Europäischem Parlament und Rat wird ein Vermittlungsausschuss einberufen mit dem Ziel, einen gemeinsamen Entwurf für den Jahreshaushalt auszuverhandeln.

• Kann sich der Vermittlungsausschuss auf keinen gemeinsamen Entwurf einigen, muss die Kommission einen neuen Vorschlag für den strittigen Jahreshaushalt vorlegen.

• Wird das Ergebnis des Vermittlungsausschusses entweder vom Europäischen Parlament und Rat oder nur vom Europäischen Parlament abgelehnt, so muss die Kommission einen neuen Vorschlag unterbreiten.

• Wenn jedoch der Rat ablehnt, das Europäische Parlament aber zustimmt, kann das Europäische Parlament seine Abänderungsvorschläge mit der Mehrheit seiner Mitglieder und 60% der abgegebenen Stimmen bestätigen.

Die in der Praxis bestehenden informellen Verhandlungs- und Konzertierungsverfahren im Rahmen des Haushaltsverfahrens werden anerkannt, um die im Laufe des letzten Jahrzehnts zwischen den Organen entstandene Kultur der Zusammenarbeit zu bewahren: Der Trilog, zu dem die Präsidenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission zusammenkommen, wird in flexibler Form verankert. Der Kommission in ihrer Rolle als Initiatorin des Verfahrens, aber auch als Vermittlerin zwischen Europäischem Parlament und Rat kommt die Aufgabe zu, den Trilog einzuberufen, wenn dies angemessen erscheint, um Fortschritte bei den Haushaltsverfahren zu erzielen. Die Rechtsgrundlagen zum Finanzsystem der Union finden sich im sechsten Teil, Titel II, Art. 268ff. (210ff.) des AEUV.

 

12. Verstärkte Zusammenarbeit

Die vorgenommenen Änderungen an den bisherigen Vertragsbestimmungen über die verstärkte Zusammenarbeit (vZ) ergeben sich zum überwiegenden Teil aus der Abschaffung der Säulenstruktur bei gleichzeitiger Beibehaltung des Sondercharakters der GASP (einschließlich der GSVP). Es wird ein einheitlicher Rahmen geschaffen (Sonderformen werden beseitigt), gleichzeitig wird das Prinzip der Offenheit der vZ gegenüber allen Mitgliedstaaten bekräftigt. Neu ist, dass auch für die vZ eine „Passerelle“ geschaffen wird, die es erlaubt, dass durch einen einstimmigen Ratsbeschluss der an der vZ teilnehmenden Mitgliedstaaten in Bereichen, in denen die Verträge Einstimmigkeit vorsehen, zu qualifizierten Mehrheitsentscheidungen übergegangen werden kann. Ausgenommen davon ist der Militär- und Verteidigungsbereich, aber nicht generell die GASP. Die allgemeinen Bedingungen für die Begründung einer verstärkten Zusammenarbeit (vZ) und für die spätere Aufnahme in eine solche werden aus Art. 43-45 EUValt mit folgenden Änderungen übernommen:

- Die Mindestanzahl der beteiligten Mitgliedstaaten muss mindestens neun EU-Mitgliedstaaten betragen, während es gemäß geltendem EUValt acht Mitgliedstaaten sein müssen.

- Das Initiativrecht zur Einleitung einer vZ liegt generell nur noch bei der Kommission. Die Annahme des Ermächtigungsbeschlusses erfolgt – wie bisher – durch den Rat mit qualifizierter Mehrheit. Das Europäische Parlament erhält ein generelles Zustimmungsrecht. Bislang gilt dieses nur für Bereiche, in denen das Mitentscheidungsverfahren zur Anwendung kommt.

- In das Verfahren betreffend spätere Beitritte weiterer Mitgliedstaaten zu einer bereits eingerichteten vZ, werden zusätzliche Sicherungen zugunsten beitrittswilliger Staaten eingebaut. Der Grundsatz der Offenheit der vZ gegenüber allen Mitgliedstaaten wird dadurch betont, dass die Kommission bei einer ablehnenden Stellungnahme zu einer neuerlichen Prüfung innerhalb einer von ihr gesetzten Frist verpflichtet wird und beitrittswillige Staaten bei einer zweiten ablehnenden Stellungnahme der Kommission dennoch einen Ratsbeschluss beantragen können. In diesem Fall ist für einen Ratsbeschluss die qualifizierte Mehrheit der an der vZ teilnehmenden Mitgliedstaaten erforderlich. Eine Erleichterung für die Einleitung einer vZ enthalten die Bestimmungen über die ‚Notbremse’ im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen. Für die Begründung (der Antrag zur Ermächtigung ist an den Rat zu richten) und spätere Aufnahme in eine vZ im Bereich der GASP werden die diesbezüglichen Sonderregelungen aus dem EUValt mit folgenden Änderungen übernommen:

- Die vZ kann auch Fragen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen umfassen.

- Die Ermächtigung zur Einleitung einer vZ erfolgt einstimmig durch den Rat, nachdem neben der Kommission, auch der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik Stellung genommen hat. Das Europäische Parlament wird unterrichtet.

- Die Feststellung, dass ein später beitrittswilliger Mitgliedstaat die notwendigen Teilnahmevoraussetzungen erfüllt, obliegt dem Rat in der Zusammensetzung der teilnehmenden Mitgliedstaaten, der nach Anhörung des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik einstimmig entscheidet. Im Falle einer negativen Entscheidung muss sich der Rat eine Frist für eine neuerliche Überprüfung des Antrags setzen und dem antragstellenden Mitgliedstaat angeben, welche Bedingungen er noch zu erfüllen hat. Die Bestimmungen über die vZ sind effizienter gestaltet, da

- bekräftigt wird, dass die vZ als „letztes Mittel“ anzuwenden ist, wenn ihre im Einklang mit den Verträgen stehenden Ziele nicht innerhalb einer vernünftigen Periode von der gesamten Union erreicht werden können;

- die Offenheit und Inklusivität der vZ sichergestellt wird;

- die „kleine Passerelle“ in Bereichen, in denen in absehbarer Zukunft ein Abgehen vom Einstimmigkeitsprinzip in der gesamten Union nicht wahrscheinlich ist, im Rahmen einer vZ die Einführung effizienterer Entscheidungsmechanismen erlaubt. Die vZ ist in den Art. 10 (20 EUV) und 280a bis 280i (326 bis 334 AEUV) geregelt.

 

13. Ausgewählte Politikbereiche

Damit die Europäische Union raschere und wirksamere Entscheidungen fällen und Handlungen setzen kann, wurde der Anwendungsbereich für qualifizierte Mehrheitsentscheidungen wesentlich ausgedehnt. Rund 20 bestehende Rechtsgrundlagen werden daher in die qualifizierte Mehrheitsentscheidung übergeführt. Darüber hinaus wird eine Reihe neuer Bestimmungen geschaffen, in denen die qualifizierte Mehrheit als Abstimmungsmodus festgelegt ist: In einigen Fällen wird ein neuer Politikbereich geschaffen (z. B. schwerwiegende grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren, Raumfahrt, Tourismus, Sport), um der Union Gelegenheit zu geben, in diesen Bereichen zu handeln, wenn ein Handeln auf EU-Ebene zielführend ist (Subsidiaritätsprinzip). In anderen Fällen wird lediglich eine eigene Rechtsgrundlage für Maßnahmen geschaffen, die bislang auf einer anderen Rechtsgrundlage verabschiedet wurden (z. B. humanitäre Hilfe, Katastrophenschutz). In diesen Fällen wird die bisherige Praxis untermauert und transparenter gemacht.

13.1. Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (Titel V AEUV – Art. 10a bis 28e (21 bis 46 EUV) und 188a ff (205ff. AEUV))

Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) ist der einzige Politikbereich, der im EUV definiert wird, womit sein intergouvernementaler Charakter betont wird. Für die GASP gelten besondere Bestimmungen und Verfahren: Sie wird vom Europäischen Rat und vom Rat grundsätzlich einstimmig festgelegt und durchgeführt. Der Erlass von Gesetzgebungsakten ist ausgeschlossen. Die GASP wird vom Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und von den Mitgliedstaaten durchgeführt. Das ausschließliche Initiativrecht der Kommission gilt hier nicht, und das Europäische Parlament besitzt lediglich ein Anhörungsrecht. Die Zuständigkeit des EuGH ist weitgehend ausgeschlossen (siehe Kapitel den Abschnitt Rechtsschutz). Außerdem wird im AEUV ausdrücklich festgehalten, dass die Lückenschließungsklausel nicht als Grundlage für die Verwirklichung von Zielen der GASP dienen kann.

Die neue Solidaritätsklausel konkretisiert die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, einander im Falle eines terroristischen Angriffs, einer Naturkatastrophe oder einer von Menschen verursachten Katastrophe zu unterstützen (inklusive militärischen Mitteln). Durch den neuen Vertrag wird die EU auf internationaler Ebene einheitlicher und stärker auftreten können und mehr Sicherheit bieten. Einige Beispiele seien hier

erwähnt:

- Die Union bekommt eine einheitliche Rechtspersönlichkeit und wird nun als Völkerrechtssubjekt einheitlich in allen Außenbeziehungen der Union auftreten können.

- Der neue Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik wird dem Rat Auswärtige Angelegenheiten, in dem die Außenminister der EUMitgliedstaaten vertreten sind, vorsitzen (d. h. keine wechselnde Vorsitzführung mehr in diesem Bereich) und wird gleichzeitig Vizepräsident der Kommission sein. Unterstützt wird der Hohe Vertreter von einem Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD), der sich aus Beamten der Kommission, des Ratssekretariats und Diplomaten der Mitgliedstaaten zusammensetzen wird.

- Die bereits bestehende breite Palette an Missionen (sog. „Petersbergaufgaben“, die die Union im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) außerhalb der Union im zivilen, militärischen und humanitären Bereich zur Friedenssicherung, Konfliktverhütung und Stärkung der internationalen Sicherheit durchführen kann) wird bestätigt. Es wird auch festgehalten, dass diese Missionen zur Bekämpfung des Terrorismus beitragen können.

- Es ist eine Ständige Strukturierte Zusammenarbeit in der GSVP vorgesehen. In Bezug auf die Durchführung von EU-Missionen bedeutet dies u. a., dass eine Gruppe von Staaten in Zusammenarbeit mit dem Hohen Vertreter grundsätzlich eine bestimmte Mission durchführen kann, wobei sie den Rat über den Ablauf der Mission regelmäßig informieren müssen.

- Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates schulden die anderen Mitgliedstaaten im Einklang mit Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung. Aufgrund seiner verfassungsrechtlich verankerten Neutralität wurde von österreichischer Seite besonderes Augenmerk auf diese Bestimmung gelegt. Letztlich gewährleistet die Formulierung, dass die Hilfeleistungspflicht den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Mitgliedstaaten unberührt lässt, dass die Verpflichtung Österreichs aus dem Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität Österreichs, BGBl. Nr. 1955/211, respektiert wird und die österreichische Neutralität auch durch den Vertrag von Lissabon gewahrt bleibt. Österreich wird auch in Zukunft selbst darüber entscheiden können, ob sowie auf welche Weise Unterstützung geleistet wird.

- Die Europäische Verteidigungsagentur (EVA) wird in den Vertrag aufgenommen. Sie soll die Beschaffungsvorgänge der nationalen Armeen sowie den Bereich der Forschung besser koordinieren und effizienter gestalten. Die Entscheidungsfindung bleibt hingegen unverändert: Insbesondere für alle Entscheidungen, die militärische Fragen betreffen, muss der Rat weiterhin einstimmig vorgehen. Das Initiativrecht der Kommission geht nunmehr auf den Hohen Vertreter (allenfalls in Abstimmung mit der Kommission) über, jenes der Mitgliedstaaten bleibt erhalten.

13.2. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Dritter Teil, Titel IV AEUV – Art. 61ff (67 AEUV))

Mit der Auflösung der Säulenarchitektur wird die bisherige dritte Säule (polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen) mit Titel IV EGV (Visa, Asyl, Einwanderung und die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen) im AEUV zusammengeführt und umfassend überarbeitet. Damit gilt für den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in seiner Gesamtheit mit wenigen Ausnahmen die bisherige Gemeinschaftsmethode. Die wesentlichen Elemente der Gemeinschaftsmethode sind u. a. die Zuständigkeit des EuGH und die bisherige Rechtsprechung, die Beschlussfassungsmodalitäten, die Transparenzregeln und die Handlungsformen. Dadurch können Maßnahmen im Bereich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts wesentlich effizienter getroffen werden. Rechtsschutzdefizite werden beseitigt und die parlamentarische Kontrolle wird eingeführt. Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren wird grundsätzlich auch auf die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen ausgedehnt, allerdings mit bestimmten Sonderregelungen, die dem besonderen Charakter dieses Politikbereichs Rechnung tragen sollen, u. a.:

• Neben dem Vorschlagsrecht der Kommission behält in diesen Bereichen auch ein Viertel der Mitgliedstaaten das Initiativrecht;

• Einstimmigkeitserfordernis für bestimmte Maßnahmen;

• sogenannte „Notbremse“ in zwei Bestimmungen (Befassung des Europäischen Rates unter bestimmten Voraussetzungen);

• die Auslöseschwelle im Frühwarnmechanismus zur Überprüfung der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips beträgt nur ein Viertel – anstelle eines Drittels – der den nationalen Parlamenten bzw. deren Kammern zukommenden Stimmen;

• die Rechtsakte der bisherigen dritten Säule behalten ihre Rechtswirkungen, bis sie aufgehoben, für nichtig erklärt oder geändert werden; die gegenwärtigen Sonderregelungen für die EuGH-Zuständigkeit werden für 5 Jahre beibehalten;

• „Opt-Out“-Möglichkeiten für das Vereinigte Königreich und Irland einerseits und für Dänemark andererseits.

Einstimmigkeit mit Anhörung des Europäischen Parlaments gilt für Maßnahmen zum Familienrecht mit grenzüberschreitenden Bezügen. Der Rat kann einstimmig eine Überführung einzelner Aspekte des Familienrechtes mit grenzüberschreitenden Bezügen in das ordentliche Gesetzgebungsverfahren beschließen. Die nationalen Parlamente haben jedoch die Möglichkeit, binnen sechs Monaten zu dem Überführungsvorschlag Stellung zu nehmen. Wird der Vorschlag auch nur von einem nationalen Parlament abgelehnt, kann die Überführung nicht vorgenommen werden. Im Strafrechtsbereich gilt Einstimmigkeit für die Ausweitung auf schwere Kriminalität, in dem die EU Mindestvorschriften zu Straftaten und Strafen festlegen kann, sowie für die Einsetzung einer Europäischen Staatsanwaltschaft.

In der Polizeikooperation gilt Einstimmigkeit im Rat und Anhörung des Europäischen Parlaments bei Maßnahmen betreffend die operative Zusammenarbeit der zuständigen Behörden und bei der Festlegung von Bedingungen und Grenzen für die Tätigkeit von Behörden eines Mitgliedstaats auf dem Territorium eines anderen Mitgliedstaates. Dazu kommt eine „Notbremse“ für den Bereich der gegenseitigen Anerkennung, für Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen, für die Einrichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft sowie für operative Zusammenarbeit zwischen Polizeibehörden. Der Notbremsenmechanismus kommt zur Anwendung, wenn ein Mitgliedstaat, welcher der Auffassung ist, dass ein Entwurf grundlegende Aspekte seiner Strafrechtsordnung berührt, es fordert oder wenn kein Einvernehmen im Rat besteht und mindestens neun Mitgliedstaaten es verlangen. Dann wird der Europäische Rat befasst. Das Verfahren im Rat bleibt in diesem Fall vier Monate ausgesetzt. Danach kann der Europäische Rat im Konsens entscheiden, den Entwurf an den Rat zur Annahme zurückzuverweisen. Trifft der Europäische Rat binnen vier Monaten keine Entscheidung, so gilt auf Wunsch von mindestens neun Mitgliedstaaten – die dies dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission mitteilen – die Ermächtigung zu einer verstärkten Zusammenarbeit auf der Grundlage des Entwurfs als erteilt. Außerdem werden Voraussetzungen für eine Erweiterung des Tätigkeitsbereichs von Eurojust geschaffen und die Einrichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft durch eine vom Rat nach Zustimmung des Europäischen Parlaments einstimmig zu erlassende Verordnung vorgesehen. Die Zuständigkeit dieser Staatsanwaltschaft beschränkt sich auf die Bekämpfung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union, sofern der Europäische Rat nicht bei der Einrichtung oder später einstimmig nach Zustimmung des Europäischen Parlaments eine Ausdehnung der Zuständigkeiten auf andere schwerwiegende Straftaten mit grenzüberschreitender Dimension beschließt.

Opt-Out Regelungen gelten für Dänemark sowie für das Vereinigte Königreich und Irland. Dänemark erhält ein auf den gesamten Bereich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ausgedehntes Opt-Out (bislang gilt dieses Opt-Out nur für Visa, Asyl, Migration und justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen). Gleichzeitig wird aber die Möglichkeit verankert, diese Opt-Outs – auf eigenen Wunsch – in Opt-In- Regelungen überzuführen. Die Bestimmungen des Teils I des Protokolls über die Position Dänemarks werden dann – mit Ausnahmen – automatisch jenen des Protokolls über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands angepasst. Der Anwendungsbereich des Protokolls über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands und die darin festgelegten Opt-Out/Opt-In-Regelungen betreffend Grenzkontrollen, Asyl, Migration und Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen werden auf den gesamten Bereich des Raums Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ausgedehnt. Die Opt-Out-Möglichkeit gilt auch für bestehende Maßnahmen der bisherigen dritten Säule, wenn sie geändert werden (wobei der gesamte Rechtsakt auf das Vereinigte Königreich/Irland unanwendbar wird, sollte das jeweilige Land binnen zwei Monaten nach Aufforderung durch den Rat, doch noch teilzunehmen und nach weiterer eingehender Diskussion im Rat an seinem Opt-Out festhalten), sowie für datenschutzrechtliche Sonderregelungen. Auch im Schengenbereich wird eine Opt-Out Möglichkeit für das Vereinigte Königreich und Irland vorgesehen.

Eine weitere Ausnahmeregelung für das Vereinigte Königreich sieht nach Ablauf der Übergangsfrist von fünf Jahren – die für die Anwendbarkeit der vollen EuGH-Zuständigkeit auf geltende Rechtsakte der bisherigen dritten Säule gilt – vor, dass das Vereinigte Königreich mitteilen kann, dass es die Befugnisse der Organe weiterhin nicht anerkennt. Als Folge wird der gesamte Rechtsbestand der bisherigen 3. Säule auf das Vereinigte Königreich unanwendbar (was einem Opt-Out aus dem bis dahin auf das Vereinigte Königreich anwendbaren bisherigen dritten Säule Rechtsbestand gleichkommt).

13.3. Soziale Dimension und Dienste von allgemeinem Interesse („Daseinsvorsorge“) (Dritter Teil, Titel IX AEUV – Art. 136 (151 AEUV))

Das soziale Profil der EU wird gestärkt. Eine soziale Marktwirtschaft und Vollbeschäftigung werden als Ziele der Union verankert. Weiters ist festgeschrieben, dass die Union soziale Ausgrenzung und Diskriminierungen bekämpft und soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz, die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Solidarität zwischen den Generationen und den Schutz der Rechte des Kindes fördert. Eine Neuerung ist die „Soziale Querschnittsklausel“. Die Union trägt bei der Festlegung und Durchführung ihrer Politik (d. h. in allen Politikbereichen) und ihrer Maßnahmen den Erfordernissen im Zusammenhang mit der Förderung eines hohen Beschäftigungsniveaus, der Gewährleistung eines angemessenen sozialen Schutzes, der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung sowie mit einem hohen Niveau der allgemeinen und beruflichen Bildung und des Gesundheitsschutzes Rechnung. Die Union kann Initiativen zur Koordinierung der Sozialpolitik ergreifen. Dabei wird die Sozialpolitik erstmals gemeinsam mit der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik in einer Bestimmung erwähnt, wodurch ihre Bedeutung unterstrichen wird. Wichtig für die Soziale Dimension ist die rechtsverbindliche Charta der Grundrechte und hier insbesondere Titel IV, der soziale Grundrechte enthält. Diese sind:

• Recht auf Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Unternehmen,

• Recht auf Kollektivverhandlungen und Kollektivmaßnahmen,

• Recht auf Zugang zu einem Arbeitsvermittlungsdienst,

• Schutz bei ungerechtfertigter Entlassung,

• Gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen,

• Verbot der Kinderarbeit und Schutz der Jugendlichen am Arbeitsplatz,

• Familien- und Berufsleben,

• Soziale Sicherheit und soziale Unterstützung,

• Gesundheitsschutz,

• Zugang zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. Im AEUV wird die derzeitige Bestimmung zu den Diensten von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse um folgende Aspekte ergänzt:

• Achtung der in der regionalen und kommunalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommenden nationalen Identität der Mitgliedstaaten;

• ausdrückliche Ermächtigung für die Union, im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Verordnungen zu erlassen, in denen Grundsätze und Bedingungen für das Funktionieren der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse festgelegt werden;

• Klarstellung, dass durch solche Verordnungen nur solche Regelungen erlassen werden dürfen, die nicht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten beeinträchtigen, Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zur Verfügung zu stellen, in Auftrag zu geben und zu finanzieren. Über Initiative der Niederlande, Belgiens und Österreichs wurde dem Artikel betreffend die Dienste von allgemeinem Interesse ein Protokoll beigefügt. Dieses enthält u. a. folgende Auslegungsgrundsätze für die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse:

• Betonung der wichtige Rolle und des weiten Ermessensspielraum der nationalen, regionalen und lokalen Behörden in der Bereitstellung und Organisation von Diensten von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse;

• Unterschiede bei den Bedürfnissen der Nutzer;

• hohes Niveau in Bezug auf Qualität, Sicherheit und Bezahlbarkeit. Außerdem wird ausdrücklich festgelegt, dass die Mitgliedstaaten für die Erbringung, Auftragsvergabe und Organisation nicht-wirtschaftlicher Dienste von allgemeinem

Interesse verantwortlich sind.

13.4. Energie, Umwelt- und Klimaschutz (Dritter Teil, Titel XIX und XX AEUV – Art. 174 ff. (191 AEUV))

Die europäische Energiepolitik wird sich künftig auf eine eigene Rechtsgrundlage stützen können. Die neue Kompetenzgrundlage legt vier inhaltliche Parameter fest:

- Funktionieren des Energiemarktes,

- Energieversorgungssicherheit,

- Energieeffizienz (Energieeinsparungen) – erneuerbare Energiequellen,

- Interkonnektion der Energienetze.

Der Energieartikel sieht weiters vor, dass die Energiekompetenz im Geist der wechselseitigen Solidarität wahrzunehmen ist. Ebenso wird im Zusammenhang mit Maßnahmen im Falle gravierender Versorgungsschwierigkeiten mit bestimmten Waren eine Bezugnahme auf den Geist der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten, insb. im Fall von Versorgungsschwierigkeiten bei Energie, verankert. Im Hinblick auf die Wichtigkeit der Energiepolitik war für Österreich eine eigene europäische Kompetenzgrundlage immer ein wesentliches Anliegen. Über österreichische Initiative wird im Umweltbereich das Ziel der Bekämpfung des Klimawandels auf internationaler Ebene als Aufgabe der Union in den AEUV aufgenommen. Es wird auch eine horizontale Tierschutzklausel in den Vertrag eingefügt, die normiert, dass in den Politikbereichen Landwirtschaft, Fischerei, Transport, Binnenmarkt, Forschung und technologische Entwicklung sowie Raumfahrt, die Mitgliedstaaten und die Union auf das Wohlergehen der Tiere, die ausdrücklich als „empfindungsfähige Wesen“ bezeichnet werden, Bedacht zu nehmen haben.

13.5. Wirtschafts- und Währungspolitik (Dritter Teil, Titel VII AEUV – Art. 97b (119 AEUV))

Die Bestimmungen zur Wirtschafts- und Währungspolitik bleiben in weiten Bereichen, insbesondere der Währungspolitik, materiell unverändert, sie werden jedoch umstrukturiert und bereinigt. Obsolete Bestimmungen über die Vorstufen zur Einführung der Währungsunion werden gestrichen. Die Wirtschaftspolitik bleibt weiterhin Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, die allerdings zur Koordinierung innerhalb der Union verpflichtet sind. Die Koordinierung obliegt dem Rat. Die Union hat ausschließliche Zuständigkeit im Bereich der Währungspolitik für jene Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist. Die Europäische Zentralbank (EZB) und die nationalen Zentralbanken jener Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, bilden das Eurosystem und betreiben die Währungspolitik der Union. Aufgaben, Rechte und Stellung der Europäischen Zentralbank werden gegenüber dem EGV nicht abgeändert. Bei der Koordination der Wirtschaftspolitiken sieht der Vertrag Änderungen in zwei Bereichen vor, durch die Kohärenz und Konsistenz der europäischen Wirtschafts- und Budgetpolitik gestärkt werden:

– Autonome Handlungsfähigkeit für die Eurozone

Die Euro-Gruppe wird in einem Protokoll verankert. Jenen Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, werden erweiterte Kompetenzen eröffnet, indem sie künftig ihre eigenen Grundzüge der Wirtschaftspolitik ausarbeiten und darüber hinaus auch Maßnahmen beschließen können, um die „Koordination und Überwachung ihrer Haushaltsdisziplin“ zu verstärken. Diese Änderungen ermöglichen eine Vertiefung der Zusammenarbeit innerhalb der Eurozone. Zur Gewährleistung der Stellung des Euro im internationalen Währungssystem sind bei der Festlegung gemeinsamer Standpunkte zu Fragen, die für die Wirtschafts- und Währungsunion von Bedeutung sind, nur die Euro-Teilnehmerstaaten stimmberechtigt. Weiters erhalten Euro-Staaten ein stärkeres Mitspracherecht bei der Aufnahme neuer Mitglieder in die Eurozone.

– Verstärkte Rolle der Kommission bei der Koordination der Wirtschafts- und Budgetpolitiken

Bei den Grundzügen der Wirtschaftspolitik kann die Kommission künftig Verwarnungen direkt und nicht mehr nur ausschließlich im Wege des Rates an die Mitgliedstaaten richten. Im Verfahren bei übermäßigen Defiziten kann die Kommission einem Mitgliedstaat ihre Stellungnahme künftig ebenfalls direkt übermitteln, wenn sie zur Auffassung gelangt, dass dieser Mitgliedstaat in die Situation eines übermäßigen Defizits kommen könnte. Die anschließende Entscheidung des Rates, ob tatsächlich ein übermäßiges Defizit vorliegt, wird auf Basis eines Kommissionsvorschlags (anstatt der bisherigen Kommissionsempfehlung) erfolgen, sodass der Rat nur mehr einstimmig vom Kommissionsstandpunkt abweichen kann. Schließlich wird der betroffene Mitgliedstaat von den Abstimmungen ausgeschlossen, wenn der Rat über die Veröffentlichung einer Verwarnung in Zusammenhang mit den Grundzügen der Wirtschaftspolitik oder über das Vorliegen eines übermäßigen Defizits entscheidet. Die Verfahrensregelungen im Bereich der Wirtschaftspolitik spiegeln die primäre Zuständigkeit des Rates wider und sind überwiegend auf nicht-legislative Rechtsakte ausgerichtet. In diesem Politikbereich handelt der Rat vielfach nicht auf Vorschlag der Kommission. In diesen Fällen sind für das Zustandekommen der qualifizierten Mehrheit bis 31. Oktober 2014 weiterhin 255 Stimmen erforderlich, welche die Zustimmung von zumindest zwei Drittel der Mitgliedstaaten umfassen, erforderlich; ab 1. November 2014 - mit Einführung des Systems der doppelten Mehrheit – kommt das erhöhte Staatenquorum von 72% zur Anwendung. Dies betrifft etwa Empfehlungen bei Frühwarnungen sowie Empfehlungen an einen Mitgliedstaat, bei dem das Bestehen eines übermäßigen Defizits festgestellt wurde. Auch bei Rechtsakten des Rates auf Empfehlung der EZB zur Änderung ihrer Satzung oder Durchführungsmaßnahmen gilt das Staatenquorum von 72%. Keine Änderungen gibt es im Bereich Steuern: Der Rat beschließt weiterhin einstimmig.

 

14. Genehmigungsverfahren des Vertrags von Lissabon:

Der Vertrag von Lissabon ändert das durch den Staatsvertrag über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union (im Folgenden: Beitrittsvertrag), BGBl. Nr. 45/1995, und durch die nachfolgenden Änderungen (Vertrag von Amsterdam, BGBl. III Nr. 83/1999, Vertrag von Nizza, BGBl. III Nr. 4/2003; Beitrittsvertrag 2003, BGBl. III Nr. 20/2004, und Beitrittsvertrag 2005, BGBl. III Nr. 185/2006) von Österreich übernommene Primärrecht der Europäischen Union. Für das parlamentarische Genehmigungsverfahren zum Abschluss des Beitrittsvertrags wurde mit Art. II des Bundesverfassungsgesetzes über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union (im Folgenden: EU-Beitritts - BVG), BGBl. Nr. 744/1994, eine eigenständige Rechtsgrundlage geschaffen. Darin wurden sowohl für die Genehmigung durch den Nationalrat als auch für die Zustimmung durch den Bundesrat jeweils erhöhte Präsenz- und Konsensquoren (Zweidrittelmehrheit) vorgesehen. Die gleiche Vorgangsweise hinsichtlich einer besonderen Rechtsgrundlage für das Verfahren der Genehmigung wurde auch anlässlich des Abschlusses des Vertrags von Amsterdam, des Vertrags von Nizza sowie des Beitrittsvertrags 2003 und des Beitrittsvertrags 2005 gewählt. Auf Grund der genannten verfassungsrechtlichen Sonderbestimmungen wurde bisher die Anwendung des bis zur B-VG Novelle, BGBl. I Nr. 2/2008, in Kraft stehenden Art. 50 B-VG, ausgeschlossen. Von einer gesonderten Bezeichnung allfälliger verfassungsändernder Bestimmungen der Beitrittsverträge bzw. der Verträge von Amsterdam und Nizza konnte daher abgesehen werden. Die Genehmigung des Vertrags von Lissabon erfolgt nunmehr auf Grundlage des durch Art. 1 des Bundesverfassungsgesetzes, mit dem das Bundes- Verfassungsgesetz geändert und ein Erstes Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetz erlassen wird, novellierten Art. 50 Abs. 1 Z 2 B-VG iVm Abs. 4 leg. cit., BGBl. I Nr. 2/2008.

Um der bisherigen Praxis von dem EU-Beitritts - BVG angeglichenen Sonderverfassungsgesetzen zu begegnen und diese hinkünftig entbehrlich zu machen, wurde durch die Neuregelung in Art. 50 Abs. 1 Z 2 in Verbindung mit Abs. 4 B-VG eine generelle Regelung eingeführt, Staatsverträge, durch die die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union geändert werden, abzuschließen. Nach der neu geschaffenen Regelungssystematik des Art. 50 Abs. 1 Z 2 in Verbindung mit Abs. 4 B-VG handelt es sich bei der Genehmigung eines die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union ändernden Staatsvertrags grundsätzlich um einen Genehmigungsbeschluss im Sinne des Art. 50 Abs. 1 B-VG, wobei – neben weiteren sich aus Art. 50 Abs. 2 und 3 B-VG ergebenden Besonderheiten sowie unbeschadet Art. 44 Abs. 3 B-VG – der Genehmigungsbeschluss des Nationalrats und der Zustimmungsbeschluss des Bundesrats jeweils der Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen bedürfen. In Hinblick auf die Neuregelung des Art. 50 B-VG stellt sich die Frage der Bezeichnungspflicht verfassungsändernder Bestimmungen nicht mehr.

 

15. Zur Frage einer Gesamtänderung der Bundesverfassung nach Art. 44 Abs. 3 B-VG:

Gemäß Art. 50 Abs. 4 B-VG in der Fassung des Art. 1 des Bundesverfassungsgesetzes, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert und ein Erstes Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetz erlassen wird, BGBl. I Nr. 2/2008, dürfen Staatsverträge, durch die die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union geändert werden, „unbeschadet des Art. 44 Abs. 3“ nur mit Genehmigung des Nationalrats und mit Zustimmung des Bundesrats mit einem erhöhten Zustimmungsquorum von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen abgeschlossen werden. Durch diesen Verweis auf Art. 44 Abs. 3 B-VG wird klargestellt, dass der Abschluss eines Staatsvertrags im eben genannten Sinn, durch den etwa eines der „Baugesetze“ der Verfassung grundlegend geändert würde, einer bundesverfassungsgesetzlichen Regelung bedürfte, über die eine Volksabstimmung durchzuführen wäre.

Nach herrschender Meinung liegt eine Gesamtänderung der Bundesverfassung dann vor, wenn diese so umgestaltet wird, dass eines ihrer „Baugesetze“ aufgehoben oder geändert wird oder wenn das Verhältnis dieser „Baugesetze“ zueinander eine wesentliche Änderung erfährt. Über die Anzahl der „Baugesetze“ und deren Inhalt bestehen in Lehre und Rechtsprechung zum Teil erhebliche Meinungsverschiedenheiten; weitgehende Einigkeit besteht jedoch darüber, dass zu diesen das demokratische Prinzip, das republikanische Prinzip, das bundesstaatliche Prinzip, das rechtsstaatliche Prinzip und das gewaltentrennende Prinzip gehören (vgl. Adamovich/Funk/Holzinger, Österreichisches Staatsrecht Bd. 1. Grundlagen [1997], Rz 10.001 ff; Öhlinger, Verfassungsrecht7 [2007], Rz 62 ff; Retter, Der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union im Lichte der Bundesverfassung, JAP 1994/95, 80 [81 ff]; Rill/Schäffer, Art 44 B-VG, in: dies., Bundesverfassungsrecht. Kommentar [2001], Rz 21 ff; Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts10 [2007], Rz 146ff.). Was im Einzelnen unter „Gesamtänderung“ zu verstehen ist, konnte freilich auch schon vor Erlassung des EU-Beitritts-BVG nicht eindeutig gesagt werden (vgl. Ringhofer, Bundesverfassung [1977], 151 sowie nunmehr, unter ausdrücklicher Bezugnahme auf diesen, Öhlinger, Verfassungsrecht, Rz 65). Fest steht jedenfalls, dass das demokratische Prinzip, das bundesstaatliche Prinzip, das rechtsstaatliche Prinzip und das gewaltentrennende Prinzip durch das EU-Beitritts - BVG geändert worden sind (vgl. RV 1546 d. B. XVIII. GP, 3 f; AB 1600 d. B. XVIII. GP, 13f.).

Zur Frage einer verfassungsrechtlichen Verankerung inhaltlicher Integrationsschranken wird in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage des EU-Beitritts - BVG (RV 1546 d. B. XVIII. GP, 6 f) festgehalten, dass „auch ohne eine derartige ausdrückliche inhaltliche Bezugnahme auf bestimmte verfassungsrelevante Wesenselemente des Gemeinschaftsrechts das vorliegende Bundesverfassungsgesetz über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union in Verbindung mit dem Stand der Entwicklung des Unionsrechts zum Zeitpunkt des österreichischen Unionsbeitrittes den Maßstab einer verfassungsgerichtlichen Nachprüfung künftiger Entwicklungen des Unionsrechts bilden wird: Durch den EU-Beitritt Österreichs werden die Grundprinzipien der österreichischen Bundesverfassung (insbesondere das demokratische Prinzip, aber auch das gewaltenteilende, das rechtsstaatliche und das bundesstaatliche Prinzip) zwar modifiziert, sie bleiben jedoch in der durch den Beitrittsvertrag (dessen Abschluss sich auf das im Entwurf vorliegende Bundesverfassungsgesetz stützt) umgestalteten Ausprägung bestehen. Auch künftige Gesamtänderungen der solcherart modifizierten Grundordnung des Bundesverfassungsrechts bedürften somit vor ihrem Inkrafttreten neuerlich einer Volksabstimmung. Dies trifft auch auf den Fall zu, dass eine künftige Änderung des Unionsvertrages abermals gesamtändernden Charakter haben sollte (es versteht sich von selbst, dass Änderungen des Unionsvertrages nicht in jedem Fall, sondern wohl nur ausnahmsweise in Bezug auf die österreichische Bundesverfassung gesamtändernd wären).“

Auch im Bericht des Verfassungsausschusses (AB 1600 d. B. XVIII. GP, 14) wird betont, „dass die erwähnten Grundprinzipien in dieser ihrer modifizierten Form nach wie vor weiter gelten werden. Dieser Umstand ist vor allem für die Beurteilung der folgenden Frage von Bedeutung: Im Zuge der Ausschussberatungen ist insbesondere auch erwogen worden, ob es notwendig bzw. zweckmäßig wäre, bundesverfassungsgesetzliche Bestimmungen vorzusehen, die als „Integrationsschranken“ wirken können. Wenn davon letztlich Abstand genommen wird, so geschieht dies im Wesentlichen in Übereinstimmung mit den Erläuterungen zur Regierungsvorlage. Weiters ist zu bemerken, dass nicht von den Gemeinschaftsverträgen gedeckte Rechtsakte schon im Hinblick auf die Gemeinschaftsverträge unzulässig sind und daher auch ohne derartige Integrationsschranken von der bundesverfassungsgesetzlichen „Integrationsermächtigung“ von vornherein nicht gedeckt wären. Derartige Rechtsakte wären daher von den in Betracht kommenden innerstaatlichen Organen insbesondere am Maßstab der genannten Grundprinzipien zu messen und gegebenenfalls – wie in der Regierungsvorlage näher ausgeführt – als nichtig anzusehen. Zum anderen hätten auch künftige Änderungen der Gemeinschaftsverträge unter der Voraussetzung, dass sie diese modifizierten Grundprinzipien maßgeblich berühren, gleichfalls gesamtändernden Charakter und wären diesfalls – auch ohne besondere Festschreibung von Integrationsschranken – nur im Wege einer Gesamtänderung der Bundesverfassung unter Einschluss einer Volksabstimmung zulässig. Einer Wiederholung der durch das Beitritts – BVG modifizierten Grundprinzipien in Form von Integrationsschranken bedarf es daher nicht.

Auch so wird sichergestellt, dass im gegenständlichen Verfahren keine Blankovollmacht erteilt wird, die österreichische Rechtsordnung gegenüber dem Gemeinschaftsrecht beliebig zu öffnen. Künftige Veränderungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts können für und in Österreich nur Wirksamkeit entfalten, wenn auch über diese künftigen Veränderungen in der dem österreichischen Verfassungsrecht entsprechenden Weise entschieden wird: In der Form eines Gesetzes, eines Verfassungsgesetzes oder allenfalls wieder in Form eines gesamtändernden Bundesverfassungsgesetzes.“

Die Existenz von Integrationsschranken ist auch in der (österreichischen) Literatur nahezu einhellig anerkannt (siehe Adamovich/Funk/Holzinger, Staatsrecht, Rz 17.061; Baumgartner, EU-Mitgliedschaft und Grundrechtsschutz [1997], 104ff.; Öhlinger, Verfassungsrechtliche Aspekte des Vertrags von Amsterdam in Österreich, in: Hummer [Hrsg.], Die Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam [1998], 297 [299f.]; Öhlinger, EU-Beitritts – BVG, in: Korinek/Holoubek, Bundesverfassungsrecht [1999], Rz 19; Pernthaler, Die neue Doppelverfassung Österreichs, FS Winkler [1997], 773 [795]; Stolzlechner, Die Auswirkungen einer Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union auf die österreichische Verfassungsordnung, in: Hummer [Hrsg.], Die Europäische Union und Österreich. Europarechtliche, völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Perspektiven [1994], 163 [177]; Thun-Hohenstein, Das Verhältnis zwischen österreichischem Recht und dem Recht der Europäischen Union, SWA-Studienarbeit Nr.107 [1995], 65; Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht, Rz 246/10; vorsichtiger Griller, Verfassungsfragen der österreichischen EU-Mitgliedschaft, ZfRV 1995, 89 [96], demzufolge der Umstand, dass dies nur aus den Materialien erschlossen werden könne und im Text des EU-Beitritts-BVG in keiner Weise zum Ausdruck komme, „zumindest als legistischer Mangel bezeichnet“ werden müsse; zweifelnd Retter, Beitritt, 87f.).

In welchem Ausmaß die „Baugesetze“ durch das EU-Beitritts - BVG modifiziert worden sind, ist freilich außerordentlich unklar und dogmatisch letztlich wohl auch nicht eindeutig zu beantworten (vgl. Baumgartner, Grundrechtsschutz, 105; Öhlinger, EU-Beitritts – BVG, Rz 21; Pernthaler, Doppelverfassung, 795). In einer sehr allgemeinen Formulierung kann gesagt werden, dass sich die österreichische verfassungsrechtliche Grundordnung gegenüber der Rechtsordnung der Europäischen Union nur soweit geöffnet hat, als die Widersprüche zwischen dieser Rechtsordnung nach ihrem Stand von 1995 und der verfassungsrechtlichen Grundordnung reichten (Öhlinger, Aspekte, 300; ähnlich Adamovich/Funk/Holzinger, Staatsrecht, Rz 17.061).

Daraus folgt jedoch auch, dass nicht jede vertragliche Änderung des Primärrechts einer neuerlichen Volksabstimmung bedarf (so ausdrücklich RV 1546 d. B. XVIII. GP, 7 und implizit AB 1600 d. B. XVIII. GP, 8; ausdrücklich auch Öhlinger, EU-Beitritts – BVG, Rz 20; im Ergebnis Adamovich/Funk/Holzinger, Staatsrecht, Rz 17.061; vorsichtiger Griller, Verfassungsfragen, 96 und Rill/Schäffer, Art. 44 B-VG, Rz 52). So bestand etwa aus Anlass des Abschlusses der Verträge von Amsterdam und Nizza, der EU-Erweiterungsverträge und des Verfassungsvertrags nicht die Notwendigkeit der Durchführung einer Volksabstimmung (so auch ausdrücklich hinsichtlich des Vertrags von Amsterdam Öhlinger, Aspekte, 299ff; hinsichtlich der Verträge von Amsterdam und Nizza Winkler, Integrationsverfassungsrecht, 55; hinsichtlich des Verfassungsvertrags etwa Schäffer, Gemeinschaftsrechtskonforme Interpretation, in: Holoubek/Lang [Hrsg], Abgabenverfahrensrecht [2006] 34 [58]).

Die Änderungen des Vertrags von Lissabon gegenüber dem geltenden Primärrecht wurden in den Punkten 2 bis 13 bereits ausführlich dargelegt. Hinsichtlich der Frage einer etwaigen gesamtändernden Wirkung dieser Neuerungen gilt es darüber hinaus auf folgende Punkte hinzuweisen:

– Werte und Ziele der Union

Die Bestimmungen über die Werte und Ziele der Union (Art.1a (2 EUV) und Art. 2 (3 EUV)) entsprechen im Wesentlichen der geltenden Rechtslage. Die „Baugesetze“ der österreichischen Bundesverfassung bleiben daher unberührt.

– Vorrang des Unionsrechts

Der Verfassungsvertrag enthielt in Art. I-6 eine dezidierte Verankerung des Vorrangprinzips, indem festgehalten wurde, dass „die Verfassung und das von den Organen der Union in Ausübung der der Union übertragenen Zuständigkeiten gesetzte Recht […] Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten [haben]“. Diese ausdrückliche Verankerung des Vorrangprinzips löste eine wissenschaftliche Debatte hinsichtlich der Frage einer Gesamtänderung der Bundesverfassung aus (vgl. die Darstellung unter RV 789 d. B. XXII. GP, 4f.; vgl. weiters Schäffer, Gemeinschaftsrechtskonforme Interpretation, in: Holoubek/Lang [Hrsg], Abgabenverfahrensrecht [2006] 34 [58]; Schramm, Gesamtänderung der Bundesverfassung durch die EU-Verfassung? ZÖR 61 [2006] 41; Hummer, Zum weiteren Schicksal des Vertrages über eine Verfassung für Europa, JRP 2005, 257 [277ff.]; Öhlinger, Der Vorrang des Unionsrechts im Lichte des Verfassungsvertrages, in: Bröhmer/Bieber/Calliess/Langenfeld/Weber/Wolf (Hrsg), FS Ress [2005] 685 [692ff.]; Hammer, EU-Verfassungsvertrag, Gesamtänderung der Bundesverfassung und pouvoir constituant, juridikum 2004, 112; Öhlinger, Referendum über Verfassung nötig? Die Presse vom 5. Juli 2004, 20; Griller, Referendum über EU-Verfassung Pflicht? Keine Argumente in Sicht, Die Presse vom 12. Juli 2004, 10).

Im Vertrag von Lissabon wurde nunmehr von einer expliziten Normierung des Vorrangprinzips abgegangen und lediglich die Verabschiedung der Erklärung Nr. 17 zum Vorrang vorgesehen, die darauf hinweist, dass „die Verträge und das von der Union auf der Grundlage der Verträge gesetzte Recht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der EU unter den in dieser Rechtsprechung festgelegten Bedingungen Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten haben“.

Erklärungen entfalten keine normative Wirkung. Da nunmehr – mangels rechtlicher Verbindlichkeit der genannten Erklärung – an der bisherigen Rechtslage festgehalten wird, die ohne eine ausdrückliche Verankerung des Grundsatzes des Vorrangs des Gemeinschafts- bzw. Unionsrechts auskommt, stellt sich die Frage einer etwaigen Gesamtänderung der Bundesverfassung in diesem Kontext nicht mehr. Auch Öhlinger, der im Zusammenhang mit dem Verfassungsvertrag die Auffassung vertreten hatte, dass die „Baugesetze“ der Bundesverfassung durch die explizite Verankerung des Vorrangs ihren obersten Rang verlieren würden (Öhlinger, Die Presse vom 5. Juli 2004, 20), geht nunmehr davon aus, dass der Vertrag von Lissabon keine Gesamtänderung der Bundesverfassung bewirkt („Grund für Volksabstimmung ist weg“, Die Presse vom 18. November 2007, 2).

– Auflösung der Säulenstruktur

Mit der Abschaffung der 3-Säulen-Struktur und der damit einhergehenden Überführung der Bestimmungen über die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in den AEUV und der Schaffung von besonderen Verfahren und Vorschriften für die GASP geht keine die Schwelle zur Gesamtänderung der Bundesverfassung überschreitende Übertragung von mitgliedstaatlichen Zuständigkeiten auf die Union einher. Vielmehr ist davon auszugehen, dass auch weit reichende Kompetenzverschiebungen zugunsten der Union als vom EU-Beitritts - BVG gedeckt anzusehen sind, sofern die Union dadurch nicht von einem „Staatenverbund“ zu einem echten „europäischen Bundesstaat“ wird (vgl. Öhlinger, EU-Beitritts – BVG, Rz 30). Dies ist nach dem Vertrag von Lissabon jedoch nicht der Fall, da keine weitreichenden Kompetenzverschiebungen stattfinden und der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 3b (5 EUV), Art. 2f. (7 AEUV)) im Vertrag von Lissabon aufrecht erhalten wird.

– Aufrechterhaltung des EAG-Vertrags

Die im Protokoll Nr. 2 zur Änderung des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft vorgesehenen Änderungen des EAG-Vertrags beschränken sich im Wesentlichen auf technische Anpassungen. Im Übrigen werden die „Baugesetze“ der Bundesverfassung durch die Aufrechterhaltung des EAG-Vertrags nicht berührt.

– Neuerungen im institutionellen Bereich

Obwohl der Vertrag von Lissabon umfangreiche Neuerungen im institutionellen Bereich vorsieht, sind diese sowohl für sich allein als auch in ihrer Gesamtheit nicht so tiefgreifend, dass von einer Gesamtänderung der Bundesverfassung gesprochen werden könnte. Von diesen Neuerungen seien im Folgenden nur jene hervorgehoben, bei denen Rückwirkungen auf die Bundesverfassung zumindest denkmöglich sind, nämlich die Änderung der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission sowie die Beschlusserfordernisse im Europäischen Rat und im Rat.

Änderung der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments

Die Mitglieder des Europäischen Parlaments haben ein europäisches Mandat und vertreten die UnionsbürgerInnen in ihrer Gesamtheit und nicht nur das Volk, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen. Sieht man dessen ungeachtet die Mitgliedschaft österreichischer Abgeordneter im Europäischen Parlament als von dem durch das EU-Beitritts–BVG modifizierten demokratischen Prinzip umfasst an, sind die Auswirkungen der vorgesehenen Änderung der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments jedenfalls als derart geringfügig einzustufen, dass damit keine Gesamtänderung der Bundesverfassung einhergeht.

Änderung der Zusammensetzung der Europäischen Kommission

Durch die Änderungen der Zusammensetzung der Europäischen Kommission – und dabei insbesondere durch die Reduktion der Zahl der Mitglieder der Kommission – wird kein „Baugesetz“ der Bundesverfassung berührt.

Änderungen der Beschlusserfordernisse im Rat

Der Übergang vom Einstimmigkeitsprinzip auf das Mehrstimmigkeitsprinzip im Rat hat insofern indirekte Auswirkungen auf die Mitwirkung des Nationalrats und des Bundesrats an Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union gemäß Art. 23e B-VG, als damit die Möglichkeit entfällt – von diesen in einer bindenden Stellungnahme als solche identifizierte – österreichische Interessen gegebenenfalls auch gegen die Stimmen aller anderen Mitgliedstaaten durchzusetzen. Ob das demokratische Prinzip dadurch überhaupt berührt ist, erscheint zumindest fraglich; fest steht jedenfalls, dass das Primärrecht bereits im Zeitpunkt des Beitritts Österreichs zur Europäischen Union zahlreiche Bestimmungen enthielt, wonach bindende Beschlüsse auch gegen den Willen einzelner Mitgliedstaaten zustande kommen können. Regelungen dieser Art müssen daher jedenfalls als vom EU-Beitritts - BVG gedeckt angesehen werden.

– Kompetenzrechtliche Neuerungen

Die Kompetenzverteilung zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten beruht auch nach dem Vertrag von Lissabon auf den Grundsätzen der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 3b (5 EUV), Art. 2f (7 AEUV)), der Subsidiarität (Art. 3b (5 EUV)) und der Verhältnismäßigkeit (Art. 3b (5 EUV)). Darüber hinaus wird die Rechtmäßigkeit der Kompetenzausübung durch spezifische prozedurale Kontrollmechanismen abgesichert, die – durch den Vertrag von Lissabon verstärkt – im Protokoll über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union und im Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit geregelt sind. Die „Baugesetze“ der Bundesverfassung werden durch diese Regelungen offensichtlich nicht berührt.

– Rechtsetzung

Da die neuen Regelungen hinsichtlich der Verfahren und Handlungsinstrumente der Union im Wesentlichen der geltenden Rechtslage im Bereich der ersten Säule entsprechen, werden die „Baugesetze“ der Bundesverfassung durch sie nicht berührt.

– Rechtsschutz

Durch die im Vertrag von Lissabon vorgesehene Erweiterung der Rechtsschutzmöglichkeiten werden die „Baugesetze“ der Bundesverfassung nicht berührt.

– Austrittsklausel

Durch die Normierung eines Austrittsrechts (Art. 49a (50 EUV)) werden die „Baugesetze“ der Bundesverfassung nicht berührt.

– Verfahren zur Änderung der Verträge

In beiden Formen der Vertragsänderung bleiben die Mitgliedstaaten „Herren der Verträge“. Jede Änderung des Primärrechts, das heißt auch ein Beschluss des Europäischen Rates im Sinne des Art. 48 Abs. 6 EUV, wird gemäß Art. 50 Abs. 1 Z 2 in Verbindung mit Abs. 4 B-VG in der Fassung des Bundesverfassungsgesetzes, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert und ein Erstes Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetz erlassen wird, BGBl. I Nr. 2/2008, als Staatsvertrag behandelt und bedarf der Genehmigung des Nationalrats und der Zustimmung des Bundesrats mit einem erhöhten Zustimmungsquorum von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen. Eine Gesamtänderung der Bundesverfassung geht somit mit der Änderung der Vertragsänderungsverfahren nicht einher.

– Grundrechtsschutz

Der Anwendungsbereich der Grundrechtecharta ist nach wie vor unverändert auf die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union beschränkt, die Mitgliedstaaten sind an sie ausschließlich bei Durchführung des Rechts der Union gebunden. Die Charta begründet weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Union. Bei der Anerkennung der Grundrechte als allgemeine Grundsätze des Unionsrechts handelt es sich im Wesentlichen um eine Kodifikation der Rechtsprechung des EuGH zum Grundrechtsschutz im Gemeinschaftsrecht. Die „Baugesetze“ der Bundesverfassung werden durch diese Regelungen nicht berührt.

– Wirtschafts- und Währungsunion

Auch nach dem Vertrag von Lissabon bleibt die Wirtschaftspolitik Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, die allerdings zur Koordinierung innerhalb der Union verpflichtet sind (Art. 2d (5 AEUV)); die Koordinierung obliegt dem Rat. Die sonstigen Regelungen in diesem Bereich berühren die „Baugesetze“ der Bundesverfassung nicht.

– Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik

Die Neuregelungen des Vertrags von Lissabon auf diesem Gebiet berühren die „Baugesetze“ der Bundesverfassung nicht. Die im Rahmen der engeren Zusammenarbeit im Bereich der GSVP bestehenden Regelungen, wonach die Mitgliedstaaten einander, im Fall eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats „alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung“ schulden, lässt den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt (Art. 28a Abs. 7 (42 Abs. 7 EUV)). Diese so genannte „irische Klausel“ soll insbesondere den neutralen Staaten die Möglichkeit geben, ihren Verpflichtungen aus der Neutralität nachzukommen.

– Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts

Die Neuregelungen des Vertrags von Lissabon auf diesem Gebiet berühren die „Baugesetze“ der Bundesverfassung nicht.

Insgesamt gesehen ist somit davon auszugehen, dass die im Vertrag von Lissabon vorgesehenen Änderungen des Unionsrechts die Grenze zu einer Gesamtänderung der Bundesverfassung nicht überschreiten.

 

16. Finanzielle und wirtschaftspolitische Auswirkungen:

Die finanziellen Auswirkungen, die sich aus den institutionellen Neuregelungen des Vertrages von Lissabon ergeben, im Rahmen der bestehenden Obergrenzen des Eigenmittelsystems zu finanzieren. Der Vertrag von Lissabon belässt die primärrechtlichen Bestimmungen zur Festlegung des Eigenmittelsystems (siehe Art. 269 AEUV) im Wesentlichen unverändert. Insbesondere bleiben weiterhin die einstimmige Beschlussfassung im Rat und das Erfordernis der Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften erhalten.

Der Vertrag von Lissabon wird die europäische Integration weiter voranbringen und auf diese Weise, wie bereits erwähnt, zu einer weiteren Stärkung des Wirtschaftsund Beschäftigungsstandortes sowie der Wettbewerbsfähigkeit Österreichs beitragen. Die Auswirkungen der Verwaltungslasten für Unternehmer bzw. die sonstigen wirtschaftspolitischen Auswirkungen sind aus derzeitiger Sicht nicht seriös abschätzbar. Auf Grund der Weiterführung der Initiativen zur Verminderung der Verwaltungslasten auf europäischer Ebene sind jedenfalls positive Auswirkungen zu erwarten.

 

Der gegenständliche Staatsvertrag hat gesetzändernden bzw. gesetzesergänzenden Charakter und bedarf daher gemäß Art. 50 Abs. 1 Z 2 B-VG der Genehmigung durch den Nationalrat. Gemäß Art. 50 Abs. 4 B-VG ist die Zustimmung des Bundesrates erforderlich.

Die Beschlüsse des Nationalrates sowie des Bundesrates bedürfen gemäß Art. 50 Abs. 4 B-VG jeweils der Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen.

 

Der Verfassungsausschuss hat den gegenständlichen Staatsvertrag sowie die Anträge 284/A(E), 343/A(E), 394/A und 407/A(E) in seinen Sitzungen am 5., 6. und 27. Februar sowie am 25. März 2008 in Verhandlung genommen.

Den Beratungen am 5. Februar 2008 wurden im Sinne des § 40 Abs. 1 GOG Univ. Prof. Dr. Michael Holoubek, Univ. Prof. Dr. Stefan Griller, Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider und das Mitglied des Europäischen Parlaments Johannes Voggenhuber zum Themenkreis „Grundsätze und Ziele des Vertrages (institutionelle Reformen, Aufwertung des Europäischen Parlaments, Einbindung nationaler Parlamente, Auswirkungen auf die Österreichische Rechtsordnung und Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung) als Experten beigezogen. Die Anhörung und Debatte wurde im Sinne des § 37 Abs. 9 GOG öffentlich abgehalten. An der Debatte beteiligten sich außer der Berichterstatterin Abgeordneter Mag. Elisabeth Grossmann die Abgeordneten Dr. Michael Spindelegger, Dr. Robert Aspöck, Dr. Eva Glawischnig-Piesczek, Mag. Dr. Manfred Haimbuchner, DDr. Erwin Niederwieser, Dr. Wolfgang Schüssel, Dr. Alexander Van der Bellen, Dr. Reinhard Eugen Bösch, Marianne Hagenhofer und Sonja Ablinger sowie der Staatssekretär im Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten, Dr. Hans Winkler, die Staatssekretärin im Bundeskanzleramt, Heidrun Silhavy sowie der Staatssekretär im Bundesministerium für Finanzen, Dr. Christoph Matznetter.

Die am 5. Februar vertagten Beratungen wurden am 6. Februar 2008 fortgesetzt und wiederum im Sinne des § 37 Abs. 9 GOG öffentlich, unter Beiziehung von Experten gemäß § 40 Abs. 1 GOG durchgeführt. Die Debatte wurde in folgende Themenschwerpunkte gegliedert:

- Umwelt und Energiepolitik

- Soziale Dimension

- Außen- und Sicherheitspolitik

- Stärkung der Grund- und BürgerInnenrechte

 

Zum Thema „Umwelt und Energiepolitik“ fungierten als ExpertInnen Mag. Gunda Kirchner, Univ.-Doz. Dr. Stephan Schwarzer, Ass.Prof. Dr. Verena Madner und Dr. Fritz Binder-Krieglstein. Im Anschluss an die Ausführungen der ExpertInnen ergriffen die Abgeordneten Erwin Hornek, Peter Marizzi, Dipl.-Ing. Karlheinz Klement, MAS, Dr. Ruperta Lichtenecker, Dkfm. Dr. Hannes Bauer, Karl Donabauer und Dr. Eva Glawischnig-Piesczek sowie der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Dipl.-Ing. Josef Pröll das Wort.

An der Debatte zum Thema „Soziale Dimension“ beteiligten sich nach den Ausführungen der ExpertInnen Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Mazal und Mag. Evelyn Regner, die Abgeordneten Dr. Johann Georg Schelling, Sonja Ablinger, Mag. Albert Steinhauser, Herbert Kickl, Mag. Dr. Beatrix Karl, Marianne Hagenhofer und Dr. Eva Glawischnig-Piesczek sowie der Bundesminister für Soziales und Konsumentenschutz, Dr. Erwin Buchinger und die Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, Christine Marek.

Zum Thema „Außen- und Sicherheitspolitik“ waren Univ.-Prof. Dr. Theo Öhlinger, Botschafter Dr. Thomas Mayr-Harting und Dr. Franz Leidenmühler als Experten eingeladen. In der Debatte ergriffen die Abgeordneten Stefan Prähauser, Dr. Peter Fichtenbauer, Dr. Peter Pilz, Dr. Michael Spindelegger, Marianne Hagenhofer, Mag. Elisabeth Grossmann, Mag. Albert Steinhauser und Dr. Reinhard Eugen Bösch sowie der Staatssekretär im Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten, Dr. Hans Winkler das Wort.

Nach den Ausführungen der Experten Ass. Prof. Dr. Walter Obwexer, Univ.-Prof. Mag. Dr. Bernd-Christian Funk und Dr. Adrian Hollaender zum Schwerpunkt „Stärkung der Grund- und BürgerInnenrechte“ meldeten sich die Abgeordneten Mag. Elisabeth Grossmann, Dr. Eva Glawischnig-Piesczek, Dr. Peter Fichtenbauer, Mag. Dr. Beatrix Karl, Marianne Hagenhofer, Mag. Albert Steinhauser, Dr. Robert Aspöck und Sonja Ablinger sowie der Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer zu Wort. Danach wurden die Vorberatungen neuerlich vertagt.

 

An der am 27. Februar 2008 fortgesetzten Debatte beteiligten sich nach den einleitenden Statements des Bundeskanzlers, Dr. Alfred Gusenbauer und der Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten, Dr. Ursula Plassnik die Abgeordneten Dr. Reinhard Eugen Bösch, Mag. Elisabeth Grossmann, Dr. Michael Spindelegger, Dr. Alexander Van der Bellen, Mag. Andreas Schieder, Franz Morak, Dr. Robert Aspöck, Mag. Ulrike Lunacek, Mag. Dr. Martin Graf, Karl Donabauer, Marianne Hagenhofer, Sonja Ablinger und Dr. Wolfgang Schüssel. Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer und die Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten Dr. Ursula Plassnik nahmen zu den aufgeworfenen Fragen Stellung. Danach erfolgte die Vertagung der Beratungen.

 

Am 25. März 2008 wurden die vertagten Verhandlungen wieder aufgenommen. In der Debatte meldeten sich die Abgeordneten Dr. Josef Cap, Dr. Michael Spindelegger, Dr. Robert Aspöck, Mag. Ulrike Lunacek, Mag. Elisabeth Grossmann, Mag. Dr. Manfred Haimbuchner, Mag. Andreas Schieder, Dr. Wolfgang Schüssel, Marianne Hagenhofer, Dr. Reinhard Eugen Bösch, Hannes Fazekas und DDr. Erwin Niederwieser zu Wort.

 

Bei der Abstimmung wurde mit Stimmenmehrheit beschlossen, dem Hohen Haus die Genehmigung des Abschlusses dieses Staatsvertrages zu empfehlen.

 

Ferner wurde mehrstimmig beschossen, dass die bulgarische, dänische, englische, estnische, finnische, französische, griechische, irische, italienische, lettische, litauische, maltesische, niederländische, polnische, portugiesische, rumänische, schwedische, slowakische, slowenische, spanische, tschechische und ungarische Sprachfassung dieses Staatsvertrages dadurch kundzumachen sind, dass sie zur öffentlichen Einsichtnahme im Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten aufliegen.

 

Ein von den Abgeordneten Dr. Eva Glawischnig-Piesczek, Kolleginnen und Kollegen eingebrachter Entschließungsantrag betreffend den EU-Reformvertrag fand nicht die Zustimmung der Ausschussmehrheit.

 

Als Berichterstatterin für das Plenum wurde Abgeordnete Mag. Elisabeth Grossmann gewählt.

 

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Verfassungsausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle beschließen:

1.      Der Abschluss des Staatsvertrages: Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft samt Protokollen, Anhang und Schlussakte der Regierungskonferenz einschließlich der dieser beigefügten Erklärungen (417 der Beilagen)

         wird genehmigt.

2.      Die bulgarische, dänische, englische, estnische, finnische, französische, griechische, irische, italienische, lettische, litauische, maltesische, niederländische, polnische, portugiesische, rumänische, schwedische, slowakische, slowenische, spanische, tschechische und ungarische Sprachfassung dieses Staatsvertrages sind gemäß Art. 49 Abs. 2 B-VG dadurch kundzumachen, dass sie zur öffentlichen Einsichtnahme im Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten aufliegen.

Wien, 2008 03 25

                       Mag. Elisabeth Grossmann                                                    Dr. Peter Wittmann

                                 Berichterstatterin                                                                          Obmann