„Medienrecht und Opferschutz“

 

 

 

 

Parlamentarische Enquete des Nationalrates

Donnerstag, 3. Juli 2008

 

(Stenographisches Protokoll)

 

 

 


Parlamentarische Enquete

Donnerstag, 3. Juli 2008

(XXIII. Gesetzgebungsperiode des Nationalrates)

Thema

„Medienrecht und Opferschutz“

Dauer der Enquete

Donnerstag, 3. Juli 2008: 9.09 – 17.01 Uhr

*****

Tagesordnung

Einleitung

Bundesministerin für Justiz Dr. Maria Berger

Bundesministerin für Inneres Dr. Maria Theresia Fekter

Bundesministerin für Frauen, Medien und Regionalpolitik Heidrun Silhavy

Themenblock I: Medienrecht – Medienfreiheit und Persönlichkeitsschutz

Schutz der Privatsphäre, Strafen/Sanktionen, Behörden-/Polizeiarbeit/Judikatur

Themenblock II: Viktimisierung und Opferschutz

psychologische Wirkung bei Veröffentlichung, psychologische Betreuung, Neue Identi­tät und materielle Hilfe, Prävention, Selbstkontrolle der Medien

*****

Inhalt

Einleitung

Bundesministerin Dr. Maria Berger ............................................................................. 4

Bundesministerin Mag. Dr. Maria Theresia Fekter .................................................... 6

Bundesministerin Heidrun Silhavy .............................................................................. 9

Themenblock I: Medienrecht – Medienfreiheit und Persönlichkeitsschutz (Schutz der Privatsphäre, Strafen/Sanktionen, Behörden-/Polizeiarbeit/Judikatur)                                                   11

Impulsreferat:

Referent o. Univ.-Prof. Dr. Walter Berka ................................................................... 11

Panels:

Dr. Gerald Ganzger ...................................................................................................... 14

Dr. Thomas Höhne ....................................................................................................... 16

Univ.-Prof. Dr. Karl Korinek ........................................................................................ 18

Univ.-Prof. Dr. Gottfried Korn .................................................................................... 19

Hofrat Dr. Hans Peter Lehofer .................................................................................... 21

Hon.-Prof. Dr. Fritz Zeder ............................................................................................ 23

Oberst Mag. Rudolf Gollia .......................................................................................... 25

Dr. Michael Rami .......................................................................................................... 26

Dr. Maria Windhager .................................................................................................... 27

Dr. Johannes Hübner ................................................................................................... 29

Allgemeine Diskussion:

Mag. Franz C. Bauer .............................................................................................  31, 48

Dr. Herbert Laszlo ........................................................................................................ 32

Abg. Mag. Albert Steinhauser .................................................................................... 33

Mag. Harald Waiglein ................................................................................................... 35

Claus Reitan .................................................................................................................. 36

Univ.-Prof. Dr. Roman Hummel ................................................................................. 37

Mag. Michael Pilz .......................................................................................................... 38

Michael Kress ............................................................................................................... 39

Abg. Sonja Ablinger ..................................................................................................... 40

Mag. Maria Rösslhumer .............................................................................................. 41

Abg. Barbara Riener .................................................................................................... 42

Bundesrat Dr. Andreas Schnider ............................................................................... 43

Abg. Ing. Peter Westenthaler ...................................................................................... 43

Abg. Franz Morak ......................................................................................................... 45

Abg. Dr. Johannes Jarolim ......................................................................................... 46

Bundesrat Stefan Schennach ..................................................................................... 47

Dr. Johannes Hübner ................................................................................................... 49

Hon.-Prof. Dr. Fritz Zeder ............................................................................................ 49

Hofrat Dr. Hans Peter Lehofer .................................................................................... 50

Univ.-Prof. Dr. Gottfried Korn .................................................................................... 50

Dr. Thomas Höhne ....................................................................................................... 51

Dr. Gerald Ganzger ...................................................................................................... 52

Referent o. Univ.-Prof. Dr. Walter Berka ................................................................... 52

Themenblock II: Viktimisierung und Opferschutz (psychologische Wirkung bei Veröffentlichung, psychologische Betreuung, Neue Identität und materielle Hilfe, Prävention, Selbstkontrolle der Medien)             ............................................................................................................................... 56

Statement:

Abg. Maria Rauch-Kallat (in Vertretung von BM Dr. Kdolsky) ................................... 54

Impulsreferat:

Referent Holger Eich ................................................................................................... 56

Panels:

Univ.-Prof. Dr. Rotraud Perner ................................................................................... 60

Mag. Hedwig Wölfl ....................................................................................................... 61

Hon.-Prof. Dr. Udo Jesionek ....................................................................................... 62

Primarius Dr. Paulus Hochgatterer ........................................................................... 65

Dr. Eva Plaz ................................................................................................................... 67

Dr. Ludwig Bauer ......................................................................................................... 70

Prof. Heinz Nußbaumer ............................................................................................... 72

Armin Thurnher ............................................................................................................ 74

Univ.-Prof. Dr. med. Dr. phil. Klaus M. Beier ............................................................ 76

Mag. Gerald Grünberger ............................................................................................. 78

Martin Blank .................................................................................................................. 80

Fritz Wendl .................................................................................................................... 81

Allgemeine Diskussion:

Abg. Maria Rauch-Kallat ............................................................................................. 83

Claus Reitan .................................................................................................................. 84

Dr. Christoph Herbst ................................................................................................... 84

Monika Pinterits ........................................................................................................... 86

Abg. Mag. Albert Steinhauser .................................................................................... 87

Abg. Sonja Ablinger ..................................................................................................... 88

Abg. Mag. Heribert Donnerbauer ............................................................................... 89

Friedrich Dungl ............................................................................................................. 91

Oberst Mag. Rudolf Gollia .......................................................................................... 92

Dr. Astrid Zimmermann .............................................................................................. 92

Dr. Ludwig Bauer ......................................................................................................... 93

Hon.-Prof. Dr. Udo Jesionek ....................................................................................... 93

Univ.-Prof. Dr. Rotraud Perner ................................................................................... 93

Prof. Heinz Nußbaumer ............................................................................................... 94

Armin Thurnher ............................................................................................................ 94

Univ.-Prof. Dr. med. Dr. phil. Klaus M. Beier ............................................................ 95

Mag. Gerald Grünberger ............................................................................................. 96

Martin Blank .................................................................................................................. 96

Fritz Wendl .................................................................................................................... 97

Schlussworte

Vorsitzender Abg. Dr. Johannes Jarolim .................................................................. 97

Geschäftsbehandlung

Antrag im Sinne des § 98 Abs. 5 GOG, das Stenographische Protokoll dieser Enquete dem Nationalrat als Verhandlungsgegenstand vorzulegen – Annahme                                                        4, 4

Unterbrechung der Sitzung ...................................................................................  31, 53


 

09.09.08Beginn der Enquete: 9.09 Uhr

Vorsitzende: Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer, Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim.

*****

 


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Meine sehr verehrten Da­men und Herren! Ich eröffne die Enquete des Nationalrates zum Thema „Medienrecht und Opferschutz“.

Ich darf mich bei Ihnen bedanken, dass Sie unserer Einladung so zahlreich gefolgt sind und bereit sind, heute mit uns dieses doch sehr aktuelle Thema zu diskutieren. – Es gab auch einige aktuelle Anlassfälle, aber man ist versucht zu sagen, fast wöchentlich gibt es neue, und es ist das sicher ein Thema, das vielen auch irgendwie unter den Nä­geln brennt.

Ich begrüße Sie alle sehr herzlich zu dieser Enquete und freue mich auf eine intensive Diskussion.

Neben unseren Referentinnen und Referenten darf ich die anwesenden Mitglieder der Bundesregierung sehr herzlich begrüßen: Frau Bundesministerin Dr. Maria Berger, Frau Bundesministerin Dr. Maria Theresia Fekter, Frau Bundesministerin Heidrun Sil­havy, und am Nachmittag wird uns auch Frau Bundesministerin Dr. Andrea Kdolsky zur Verfügung stehen und eine Stellungnahme abgeben. Ich darf auch alle Kolleginnen und Kollegen des Nationalrates und des Bundesrates sehr herzlich begrüßen, die Ver­treterinnen und Vertreter des Bundeskanzleramtes, verschiedener Bundesministerien, aller Institutionen, die sich mit diesem Thema aus verschiedenen Blickwinkeln beschäf­tigen, und darf nicht zuletzt auch die Vertreter und Vertreterinnen der Medien sehr herzlich willkommen heißen.

(Es folgen technische Mitteilungen durch den Vorsitzenden.)

Es liegt ein Fünf-Parteien-Antrag vor, dass das Stenographische Protokoll, das von dieser Enquete erstellt wird, gemäß § 98a Abs. 5 der Geschäftsordnung dem National­rat als Verhandlungsgegenstand vorgelegt werden soll.

Über diesen Antrag lasse ich sofort abstimmen.

Ich ersuche die anwesenden Mitglieder des Nationalrates, die stimmberechtigt sind, wenn sie für diesen Antrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist einstim­mig angenommen.

09.14.21Einleitung

 


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Ich darf nun Frau Bundes­ministerin für Justiz Dr. Maria Berger das Wort erteilen und sie um ihr Statement ersu­chen.

 


9.14.28

Bundesministerin für Justiz Dr. Maria Berger|: Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Da­men und Herren Abgeordnete! Sehr geehrte Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Enquete! Ich darf mich zunächst beim Nationalrat sehr herzlich dafür bedanken, dass diese Enquete stattfindet. Ich denke, es war Klubobmann Dr. Schüssel, der den Vor­schlag zu dieser Enquete aus Anlass der Debatte um den Fall F. gemacht hat. Ich bin auch deshalb besonders dankbar, weil die Beratungen in dieser Enquete sehr syn­chron laufen können mit Überlegungen, die wir im Justizministerium derzeit anstellen.

Wir haben ja gemäß dem Regierungsübereinkommen den Auftrag, über die Weiterent­wicklung des Medienrechts nachzudenken. Der unmittelbare Anlass für diesen Auftrag im Regierungsübereinkommen war allerdings eine etwas andere Facette des Span­nungsfeldes zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz – eine andere Fa­cette, als wir sie beim Schutz von Verbrechensopfern haben –: Wie Sie wissen, ist Ös­terreich wiederholt vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt wor­den, weil der Meinungsfreiheit, dem Artikel 10 EMRK, zu wenig Raum eingeräumt wor­den ist. Der Europäische Gerichtshof hat bei all diesen Entscheidungen insbesondere die wichtige Rolle der Medien – die Medien in ihrer wichtigen Rolle als Public Watch­dog in der demokratischen Gesellschaft – sehr hervorgehoben.

Es sind auch jetzt noch einige Klagen beim Europäischen Gerichtshof für Menschen­rechte anhängig. Da es – richtigerweise – so ist, dass ich nicht direkt in die Rechtspre­chung der Gerichte eingreifen kann, haben wir uns bemüht, durch die Anregung bei der Generalprokuratur hier Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes oder eine außerordentliche Wiederaufnahme beim Obersten Gerichtshof einzuleiten. Dadurch ist es uns gelungen, durch zwei Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes, die die Be­schlüsse der Untergerichte aufgehoben haben, hier eine mit der Europäischen Men­schenrechtskonvention konforme Auslegung sicherzustellen.

Ich sage das deshalb, weil daraus ersichtlich ist, dass sich die österreichischen Gerich­te, insbesondere auch der Oberste Gerichtshof, derzeit sehr an den Grundrechten, wo immer sie verankert sind, orientieren.

Die Überlegungen, die darüber hinaus zum Medienrecht bei mir im Haus derzeit ange­stellt werden, sind natürlich auch durch aktuelle Vorfälle, durch Berichterstattungen in Medien motiviert, die ganz klar vor Augen geführt haben, dass hier Grenzen des Opfer­schutzes, Grenzen des Persönlichkeitsschutzes überschritten worden sind.

Wir müssen feststellen, dass die derzeitige Rechtslage für die Medien durchaus schwierig ist – das möchte ich hier durchaus konzedieren. Wir haben derzeit ein Ne­beneinander von strafrechtlichen, zivilrechtlichen, urheberrechtlichen und medienrecht­lichen Ansprüchen. Die Medien sehen sich daher potenziell mit den verschiedensten Klagsmöglichkeiten konfrontiert: Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche nach dem ABGB sowie unter Umständen nach dem Urheberrechtsgesetz, wenn es um das Recht am eigenen Bild geht; dazu können Strafverfahren und die Entschädigungsver­fahren nach dem Mediengesetz kommen.

Werden von den Betroffenen all diese Möglichkeiten ausgeschöpft, kann dies die Me­dien durchaus in unangemessener und unkalkulierbarer Weise belasten. Ein Anliegen der Reform müsste es daher sein, das aktuelle System, das Nebeneinander von straf-, zivil-, urheber- und medienrechtlichen Ansprüchen zu vereinfachen und hier klarere und eindeutigere Regelungen zu haben.

Andererseits ist aber auch festzustellen, gerade auch anhand der aktuellen Fälle, dass die derzeit im Mediengesetz vorgesehenen Entschädigungsbeträge – 20 000 € in der Regel – zu wenig präventiv wirken. Einigermaßen auflagen- und finanzstarke Medien­unternehmen können diese Entschädigung relativ leicht zahlen. Das heißt, wir werden in der Debatte nicht darum herumkommen, über die Erhöhung dieser Entschädigungs­beträge nachzudenken. Ich betone noch einmal, dass das in eine Vereinfachung der Vorschriften aus den verschiedenen Rechtsgebieten eingebettet sein soll.

Da es sich bei den Opfern um Personen handelt, die aufgrund der Opferrolle nicht so­fort handlungsfähig – was die Wahrung ihrer Interessen betrifft – sein können, ist auch darüber nachzudenken, ob die derzeit nur sechsmonatige Frist für die Geltendma­chung dieser Rechte auf Entschädigung nicht verlängert werden könnte.

Wie Sie wissen, bereiten wir derzeit gerade das 2. Gewaltschutzgesetz vor, in dem wir verschiedenste Instrumente zivilrechtlicher und strafrechtlicher Natur zum besseren Schutz vor Gewalt vorschlagen. Einer der Aspekte ist die Ausdehnung der Prozessbe­gleitung auf zivilrechtliche Verfahren, die Opfer im Anschluss an ein Strafverfahren füh­ren. Hier stellt sich die Frage, ob wir nicht diese Prozessbegleitung auch auf medien­rechtliche Verfahren der Opfer ausweiten könnten. Und was ein besonderes Problem betrifft, das sich auch im aktuellen Fall gezeigt hat, nämlich jene unerträgliche Situa­tion, dass die Kinder, die im Krankenhaus in Amstetten untergebracht worden sind und die zuvor jahrelang im Keller leben mussten, dann erst wieder das Krankenhaus nicht verlassen konnten und eingesperrt waren, weil sie von Fotografen und Journalisten er­barmungslos verfolgt wurden – die sich sozusagen in die unmöglichsten Situationen begeben haben, auf Bäume geklettert sind, dem Krankenhauspersonal Geld für Fotos und für Berichte angeboten haben –, so sollten wir überlegen, ob wir nicht analog zur Schutzzonenregelung, die wir im Sicherheitspolizeigesetz haben, zum Schutz der Op­fer vor solchen Zuständen hier ebenfalls rechtliche Möglichkeiten schaffen sollten, um hier Wegweisemöglichkeiten zu haben und damit noch besser für den Schutz der Op­fer sorgen zu können.

Ich habe mit Freude vernommen, dass es von den Medien Überlegungen gibt, wieder eine funktionierende Selbstregulierung, Selbstkontrolle aufzubauen, Bestrebungen, auch den Presserat zu reaktivieren. Ich möchte das hier ausdrücklich unterstützen. Ich könnte mir auch vorstellen, dass wir von der staatlichen Gesetzgebung her diesen Selbstregulierungsprozess so gut wie möglich unterstützen und ein allenfalls verschärf­tes Medienrecht so quasi als Rute ins Fenster stellen, um diese Selbstregulierungspro­zesse möglichst nachhaltig zu unterstützen.

Da wir im Justizministerium, so wie jetzt geschildert, derzeit diesen Fragen nachgehen, nach neuen Lösungen suchen, sind wir natürlich in einem besonders hohen Ausmaß am Ergebnis Ihrer Beratungen interessiert, und ich darf uns allen eine sehr fruchtbare Veranstaltung wünschen. – Danke.

9.22


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Ich bedanke mich bei der Frau Justizministerin für ihren Beitrag und darf jetzt die Frau Bundesministerin für Inne­res Dr. Fekter um ihren Beitrag ersuchen.

 


9.22.44

Bundesministerin für Inneres Mag. Dr. Maria Theresia Fekter|: Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Werte Kolleginnen und Kollegen! Werte Experten! Sehr geehrte Abge­ordnete! Ich begrüße diese Enquete sehr, weil es doch in jüngster Vergangenheit auf­grund der sehr unerfreulichen Verhältnisse oder kriminellen Taten – und dann dazu der schrecklichen Opfersituationen – zu einer intensiven Medienberichterstattung gekom­men ist, in deren Verlauf die Polizei in die Situation geraten ist, die Opfer vor den Me­dien zu schützen. Um hier vielleicht eine bessere, klarere Abgrenzung hinsichtlich der Frage: Was ist in Österreich möglich, was nicht?, zu bekommen, ist diese Enquete ein­berufen worden, und daher begrüße ich diese sehr.

Lassen Sie mich vorweg ein paar Dinge aus der Vergangenheit erwähnen, die dieses Konfliktpotenzial deutlich werden lassen.

Es ist so, dass uns die schrecklichen Ereignisse in Amstetten schmerzlich vor Augen geführt haben, wie wichtig der Opferschutz in diesem Zusammenhang ist, und ich möchte vorweg ein Bekenntnis dafür abgeben: Mir geht der Opferschutz vor dem Infor­mationsbedürfnis! Es muss um jeden Preis verhindert werden, dass Opfer von derart schrecklichen Verbrechen noch einmal zu Opfern werden.

Ein wichtiger Fokus meiner Arbeit in diesem Zusammenhang wird sich mit den Begleit­umständen befassen – nicht so sehr mit den Medien. Sie kennen die Debatte um die Berufsverbote, damit es sogleich einmal nicht zu weiteren Taten kommt. Sie kennen die Diskussion um die Sexualstraftäterdatei, damit im Hinblick auf sensible Bereiche, wie Arbeit mit Kindern, hier sozusagen kriminelle Energie nicht ausgelebt werden kann.

Wir wollen auch, dass die Tilgungsfristen im Strafregister bei gewissen Delikten, insbe­sondere bei schweren Sexualdelikten, ausgeweitet werden, beziehungsweise werden wir darüber nachdenken, ob es nicht gerechtfertigt ist, manche Verurteilungen über­haupt nicht zu tilgen. Man muss sich aber anschauen, inwieweit das EMRK-konform bewerkstelligt werden kann.

Ich erwähne diese drei Bereiche, nämlich Berufsverbot, Sexualstraftäterdatei und Straf­register, deshalb, weil da wieder Begehrlichkeiten der Medien auftauchen und wir hier Lösungen finden müssen im Hinblick auf die Zugänglichkeit dieser Dateien, damit wir nicht einen modernen Pranger schaffen, der uns pro futuro mehr Probleme bringt, als er löst.

Daher hat bereits das Koalitionsübereinkommen relativ klar festgelegt, dass derartige Dinge wie die Sexualstraftäterdatei nicht öffentlich zugänglich sein sollen, damit nicht Hetzkampagnen gegen einzelne Personen stattfinden können, sondern diese Maßnah­men Opferschutzmaßnahmen sind – oder Opfer eigentlich gar nicht erst entstehen lassen sollen, weil man hier präventiv vorgeht.

Es ist so, dass die eigentliche Medienarbeit im Innenressort, speziell im Zusammen­hang mit der Exekutive, mit der Polizeiarbeit, geprägt sein muss von klarem Daten­schutz, Unschuldsvermutung und Amtsgeheimnis. Es ist dies in der jüngsten Vergan­genheit so nicht immer wahrgenommen worden, und diese verfassungsrechtlich ge­währleisteten Rechte sind nicht jedermann wirklich bewusst, insbesondere wenn es um die mediale Berichterstattung geht.

Wie Präsident Adamovich ja in der Evaluierungskommission festgehalten hat, ist die Medienarbeit der Sicherheitsexekutive gesetzlich nicht eindeutig geregelt. Es gibt punktuelle Ansätze im Hinblick auf die StPO, es gibt ein paar wenige Entscheidungen der Judikatur, die man als Rechtsgrundlage heranziehen kann, aber keine klare Rechtsgrundlage hinsichtlich der Fragen: Was ist den Medien zugänglich, was nicht? Wo liegt die Abgrenzung im Hinblick auf Ermittlung und Opferschutz, im Hinblick auf das Informationsbedürfnis, das gleichfalls ein verfassungsrechtlich gewährleistetes Recht ist?

Ich möchte kurz zwei Aspekte ansprechen. Das Innenressort ist in zwei Bereichen mit Medien konfrontiert: einmal bei der Medienberichterstattung über die Polizeiarbeit, und das Zweite ist die Reaktion der Behörde im Hinblick auf eine Berichterstattung, die nicht den Fakten entspricht, wobei es um die Frage geht, inwieweit sie aufgrund des Amtsgeheimnisses das richtig stellen darf, dort Sachverhaltsdarstellungen geben darf.

Zum ersten Bereich: Medienberichterstattung und Polizeiarbeit sind selbstverständlich in gegenseitigem Respekt abzuwickeln, haben – und zwar muss das von beiden außer Streit gestellt werden – den Schutz der Opfer im Vordergrund. Die Sensationsgier ist dem hinderlich, ich weiß das. Die Frau Bundesministerin hat erwähnt, welch unange­nehme Vorfälle es diesbezüglich gegeben hat. Es ist nicht sinnvoll, wenn Journalisten sich in versiegelte Räumlichkeiten, wo noch Spurensicherung betrieben wird, einschlei­chen, nur um ein Sensationsbild zu bekommen. Ich halte eine derartige Vorgangsweise für nicht korrekt, und es sollen sich die Medien und die Berufsgruppe derer, die die Me­dien mit Informationen versorgen, hier nicht hinter dem Mediengesetz verschanzen. Der Abschlussbericht von Präsident Adamovich hat sehr deutlich gezeigt, dass beide, sowohl die Sicherheitsexekutive als auch die Medienvertreter, in solch schwierigen Si­tuationen gefordert sind. Die Öffentlichkeit hat ein Bedürfnis nach Information – ich sa­ge, nicht nur ein Bedürfnis, sie hat auch ein Recht auf Information. In einer Demokratie leben wir davon, dass die Bürger informiert werden. Aber bei bestimmten Handlungen und Vorgangsweisen, insbesondere von Polizeibehörden, Polizeiangehörigen, bezie­hungsweise bei Ermittlungen ist ganz genau abzuwägen, inwieweit dieses Informa­tionsbedürfnis auch ad hoc befriedigt werden kann.

Es ist so, dass im Hinblick auf Mitteilungen an die Presse der – sage ich jetzt einmal – Mitarbeiter meines Ressorts immer unter dem Aspekt „Datenschutz und Amtsgeheim­nis“ steht und es dadurch eine Abgrenzungsschwierigkeit gibt, inwieweit ein befriedig­tes Informationsbedürfnis der Medien, indem man ihnen Informationen zur Verfügung stellt, unter Umständen den Beamten in die Schwierigkeit bringt, er hätte etwas preis­gegeben, was er nach der rechtlichen Situation eigentlich nicht tun darf.

Fälle in jüngster Vergangenheit, wie etwa jener in Amstetten, haben eindrücklich ge­zeigt, welch großes mediales Interesse an aufsehenerregenden Kriminalfällen besteht. Dabei lässt sich oft der Eindruck nicht vermeiden, dass in einigen Medien die Berichter­stattung unter dem primären Aspekt der Befriedigung der Sensationsgier der Leser­schaft gepaart ist – und das ist eine gefährliche Paarung – mit einem ökonomischen In­teresse, nämlich der Auflagensteigerung.

Ich habe kein Problem damit, dass Medien ökonomische Interessen verfolgen, ich bin die Letzte, die das sozusagen nicht goutiert, aber wenn es zu Lasten von Opfern geht, dann ist für mich die Grenze überschritten. Das große Interesse und die Allgegenwär­tigkeit der Presse können zu Irritationen bei den Ermittlungsarbeiten führen. Das ist weder im Interesse der Opfer noch im Interesse der Strafverfolgung.

Es hat sich die Medienarbeit geändert. Es haben sich die Informationsübertragungen professionalisiert, wiewohl auch – ich habe es schon erwähnt – der Umfang der Amts­verschwiegenheit dem Innenressort diesbezüglich doch ein Korsett anlegt. Dafür ersu­che ich hier im Rahmen dieser Enquete für Verständnis bei den Medien.

Ich lege aber auch größten Wert darauf, dass die Medien ihrer Verantwortung nach­kommen und den zuständigen Ermittlern ein ungestörtes Arbeiten im Sinne der Aufklä­rung ermöglichen und Fairness dem Verdächtigen oder dem Beschuldigten wie auch dem Opfer gegenüber entgegenbringen.

Strukturierte seriöse analytische Ermittlungen bedürfen naturgemäß einer gewissen Zeit und Ruhe. Ich ersuche um Verständnis bei den Medien dafür. Ich ersuche aber um viel mehr Verständnis bei den Medien für das Leiden der Opfer und die – sage ich jetzt einmal – Maßnahmen, die für das Opfer gesetzt werden. Das ist sozusagen die Arbeit von Polizei und Medien.

Ein zweiter Aspekt ist in jüngster Vergangenheit aufgetaucht, nämlich dass es eine fal­sche Berichterstattung gab, dass in den Medien ein nicht den Fakten entsprechender Eindruck erweckt wurde, es dann zu Informationen an die Medien kam, die diesen fal­schen Eindruck aufgrund der Fakten korrigiert haben, und dass der Beamte, der eigentlich nichts anderes getan hat, als die Fakten preisgegeben hat, im Hinblick auf das Dienstrecht, auf die Amtsverschwiegenheit jetzt ein Verfahren hat. Da halte ich es für klärungsbedürftig, inwieweit man nicht Falschdarstellungen doch durch Sachver­haltskorrekturen wird machen können müssen. – Danke.

9.35


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Ich bedanke mich bei der Frau Innenministerin für ihren Redebeitrag und darf nun Frau Bundesministerin Silhavy das Wort erteilen.

 


9.35.39

Bundesministerin für Frauen, Medien und Regionalpolitik Heidrun Silhavy|: Herr Vorsitzender! Geschätzte Damen und Herren Abgeordnete! Werte Expertinnen und Ex­perten, die Sie an dieser Enquete teilnehmen! Auch ich möchte mich dem Dank an­schließen für die Ausrichtung dieser Parlamentarischen Enquete zu einem ganz zen­tralen und bedauerlicherweise auch höchst aktuellen Thema.

Frau Bundesministerin Berger hat ja bereits über die österreichische Rechtslage ge­sprochen und auch die strafrechtlichen Implikationen erwähnt, die im österreichischen Mediengesetz geregelt sind. Einen möglichen Adaptierungsbedarf zu erörtern, dazu dient auch diese heute stattfindende Parlamentarische Enquete.

Betonen möchte ich – das ist mir in meiner Funktion als Medienministerin besonders wichtig –, dass hinter der heutigen Debatte zwei zentrale Fragen stehen, nämlich einer­seits: Wie weit reicht die Meinungs- und Medienfreiheit?, und auf der anderen Seite: Wo beginnt der Persönlichkeitsschutz? Wir bewegen uns in einem Spannungsfeld, in dem diese beiden zentralen Schutzgüter angemessen gegeneinander abgewogen wer­den müssen. Frau Bundesministerin Fekter hat in ihren Ausführungen einige dieser Spannungsfelder angesprochen.

Hier einen Interessenausgleich herzustellen liegt einerseits im Verantwortungsbereich des Gesetzgebers – ich darf insbesondere an das Mediengesetz erinnern –, anderer­seits aber auch ganz klar im Verantwortungsbereich der Journalistinnen und Journalis­ten beziehungsweise der Herausgeberinnen und Herausgeber. „Medienethik“ und „Selbstregulierung“ sind zwei Schlagwörter, die ich in diesem Zusammenhang in den Raum stellen möchte.

Unabhängig davon, dass ich erst seit wenigen Tagen das für Medien zuständige Mit­glied der Bundesregierung bin, kann ich Ihnen versichern, dass meine Überlegungen hier mit jenen meiner Amtsvorgängerin übereinstimmen. Doris Bures hat wiederholt be­tont, dass es schlicht und einfach einer entwickelten Demokratie nicht ansteht, keine Selbstkontrollinstanz im Medienbereich zu haben. Gerade die aktuellen Fälle, die uns allen schmerzhaft in Erinnerung sind, zeigen diese Notwendigkeit auf drastische Weise auf.

Ich denke, dass diese Meinung auch von einer großen Mehrheit der österreichischen Journalistinnen und Journalisten geteilt wird, deren tägliche Arbeit ja in Wirklichkeit nichts mit den obszönen und der Menschenwürde hohnsprechenden Praktiken eines sogenannten Enthüllungsjournalismus zu tun hat.

Ich möchte in diesem Zusammenhang kurz aus einem Kommentar von Alexandra Fö­derl-Schmid zitieren, der im „Standard“ erschienen ist. Die Chefredakteurin des „Stan­dard“ hat darin unter dem Titel „Pressefreiheit hat ihre Grenzen“ unter anderem Fol­gendes festgehalten – ich zitiere –:

„Das Mediengesetz schützt die Privatsphäre, den höchstpersönlichen Lebensbereich. Die Öffentlichkeit hat ein Recht auf Information. Und Missstände gehören aufgeklärt. Das sind die Rechte und Pflichten der Medien, die Grundpfeiler der Pressefreiheit. Die­se Freiheit darf nicht als Freiheit ohne Verantwortung verstanden werden. Sie ist kein Freibrief. Keine Freiheit ist grenzenlos. Die juristischen Grenzen der Pressefreiheit setzt das Medien- und Strafrecht, es reicht nicht, lediglich die Regeln des Anstandes einzuhalten. Es kann nicht sein, dass alles erlaubt ist, was medienrechtlich – noch –nicht verurteilt ist.“

Sie endet mit dem Satz: „Die Presse braucht Freiheit, deren Grenzen sie selbst verant­wortungsvoll setzen muss.“ – Ende des Zitats.

„Die Presse braucht Freiheit, deren Grenzen sie selbst verantwortungsvoll setzen muss“, oder, um den ersten Satz des Ehrenkodex der österreichischen Presse zu zitie­ren: „Journalismus bedingt Freiheit und Verantwortung.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das heißt aber auch, dass Medien – damit meine ich HerausgeberInnen und JournalistInnen – eine große Verantwortung haben. Und diese Verantwortung kann nur von den Medien in Eigenregie übernommen wer­den.

Ich denke, eine institutionalisierte freiwillige Selbstkontrolle, wie sie in den meisten europäischen Staaten seit vielen Jahren besteht und auch in Österreich bis zum Jahr 2002 mit dem Presserat existierte, wäre ein wesentliches Instrument, um dieser Verantwortung gerecht zu werden und insbesondere ethische Standards durchzuset­zen. Ich halte sie im Lichte der verfassungsrechtlich garantierten Freiheit der Medien – und hier insbesondere der Presse, die ja keinerlei staatlicher Konzessionierung unter­liegen darf – geradezu für unverzichtbar. Hinzu tritt, dass auch auf europäischer Ebene die Instrumentarien der Selbst- und Koregulierung erfreulicherweise einen ganz we­sentlichen Stellenwert erlangt haben, so durch die neue Audiovisuelle Mediendienste Richtlinie, die wir gerade in Österreich umzusetzen beginnen und bis zum Jahresen­de 2009 umzusetzen haben werden und welche die Mitgliedstaaten ausdrücklich auf­fordert, Regulierung – wo möglich und angemessen – den beteiligten Kreisen selbst zu überlassen.

Es freut mich daher umso mehr, dass von den betroffenen Branchen ein neuer ernst­hafter und, wie ich meine, auch erfolgversprechender Versuch unternommen wird, in Österreich wieder eine Selbstregulierungsinstanz auf die Beine zu stellen. Frau Bun­desministerin Berger hat das in ihren Ausführungen schon angesprochen.

Die Zeichen scheinen gut dafür zu stehen, dass Österreich im Herbst wieder einen neuen Presserat bekommen wird. Ich kann nur betonen, dass ich diese jüngsten Ent­wicklungen sehr begrüße und so weit wie möglich auch unterstützen werde.

Im Rahmen meiner Zuständigkeit für Medien möchte ich daher den Appell an alle Be­teiligten richten, diese Chance, dieses Zeitfenster gewinnbringend zu nützen und einen Neustart für einen Presse- oder vielleicht künftig einen Medienrat zu versuchen – Me­dienrat deshalb, weil wir in diesem Bereich der neuen digitalen Medien, vor allem dem Internet, das ja nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken ist, mit völlig neuen Di­mensionen konfrontiert sind und die Probleme, die sich daraus ergeben, erst im Ansatz zu spüren beginnen. Diese Diskussion müssen wir führen, aber nicht nur in Österreich. So werden etwa bei der nächsten MedienministerInnenkonferenz des Europarates, die im kommenden Jahr in Reykjavik stattfinden wird, ganz zentral diese Fragen erörtert.

So wie meine Amtsvorgängerin werde auch ich das Gespräch mit allen Beteiligten su­chen und mich – sollte es gewünscht sein – auch als Mediatorin zur Verfügung stellen.

Meine Damen und Herren! Ich hoffe, dass dieser Appell nicht ungehört bleiben wird. Nützen wir die sich auftuenden Chancen, nützen wir den Sommer!

Ich hoffe, dass auch aus der heutigen Enquete und aus der parlamentarischen Diskus­sion zu dieser Thematik viele neue Aspekte kommen, die ich gerne bereit bin in meiner täglichen Arbeit aufzugreifen und, wenn es möglich ist, auch umzusetzen. – Danke für die Aufmerksamkeit.

9.42


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Ich bedanke mich für Ihren Beitrag, Frau Bundesministerin.

09.43.20Themenblock I:

Medienrecht – Medienfreiheit und Persönlichkeitsschutz (Schutz der Privatsphä­re, Strafen/Sanktionen, Behörden-/Polizeiarbeit/Judikatur)

 


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Ich darf für das Impulsrefe­rat Herrn Universitätsprofessor Dr. Berka um seinen Beitrag ersuchen.

Impulsreferat

 


9.43.30

Referent o. Univ.-Prof. Dr. Walter Berka (Universität Salzburg; Verfassungs- und Verwaltungsrecht)|: Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung! Meine Damen und Herren! Fast könnte man glauben, dass diese Enquete schon ein Erfolg geworden ist, bevor sie richtig begonnen hat. Damit beziehe ich mich auf die gestrige Meldung, dass es einen neuen österreichischen Presserat im Herbst geben wird, eine Meldung, die in den bisherigen Beiträgen auch sehr stark begrüßt worden ist.

Was aus diesem Presserat werden wird, das wissen wir alle noch nicht genau. Wir soll­ten vielleicht darüber reden. Aber ich glaube jedenfalls, dass es ein Ansatz ist, um den Schutz jener Personen zu verbessern, die zu Medienopfern werden.

Wenn man über Medienopfer spricht, dann muss man sich freilich dessen bewusst werden, dass es ganz verschiedene Medienopfer gibt. Wenn die Massenmedien ihren öffentlichen Auftrag wirklich wahrnehmen, nämlich das zu sein, was man mit dem Schlagwort „Public Watchdog“ bezeichnet, dann müssen, meine ich, die Medien zwangsläufig Opfer produzieren. An der Aufdeckung eines Korruptionsskandals be­steht ein öffentliches Interesse, und den bestechlichen Beamten, den korrupten Unter­nehmer muss man als solchen bezeichnen können, und er darf sich nicht selbst zum Medienopfer stilisieren.

Bei den Opfern aber, denen sich diese Enquete zuwendet, liegen die Dinge, wie wir wissen, freilich ganz anders. Opfer strafbarer Handlungen werden ohne ihr Zutun und ohne irgendeine Schuld in ein Geschehen verwickelt, für das sich die Medienöffentlich­keit interessiert. Sie laufen Gefahr, zum zweiten Mal zum Opfer zu werden, wenn sie medial bloßgestellt werden, wenn sie zu körperlichen oder seelischen Verletzungen noch ein zweites Trauma, nämlich ein medial bewirktes, erfahren.

Dies vorausgeschickt, möchte ich meine Aufgabe, Impulse zu geben, in der Form erfül­len, dass ich versuche, drei Feststellungen zu treffen, über die man sich vielleicht – bei allen übrigen Kontroversen – einig sein könnte.

Zunächst – und das wird meine erste Feststellung sein – sollte man als Ausgangspunkt festhalten, dass die Massenmedien eine verfassungsrechtlich geschützte öffentliche Aufgabe erfüllen, und zwar auch im Bereich der Kriminalberichterstattung, ob uns die konkrete Art der Kriminalberichterstattung gefällt oder nicht. Straftaten, die Aufklärung von Straftaten, der Umgang der Gesellschaft mit Tätern, mit Opfern sind Teil des Zeit­geschehens, über das uns die Massenmedien informieren sollen und dürfen.

Dazu gehören auch die handelnden Akteure. Das heißt, eine gute, eine professionelle Kriminalberichterstattung kann und darf die Motive des Täters, des Verdächtigen, nä­here Umstände der Tat nicht aussparen, wenn das Geschehen, das so oft unfassbar, aber Teil der gesellschaftlichen Realität ist, verständlich gemacht werden soll. Daher sind auch das Opfer, über das wir hier reden, sein Leid und die ihm zugefügte Verlet­zung ein Teil des Geschehens, für das sich die Öffentlichkeit interessieren darf und soll – jedenfalls im Prinzip und innerhalb gewisser Grenzen. Das scheint mir ein Aus­gangspunkt zu sein.

Dieser ersten Feststellung, dass die Massenmedien ein Recht auf eine professionelle Kriminalberichterstattung haben, weil die Straftaten Teil unserer gesellschaftlichen Realität sind, über die uns die Medien informieren sollen, muss daher zugleich eine zweite Feststellung folgen, damit sie nicht missverständlich ist. Niemals war, glaube ich, die Gefahr so groß wie heute, dass die Medien die ihnen gesetzten Grenzen über­schreiten. Das gilt gerade auch für den Schutz von Verbrechensopfern vor einer bloß­stellenden Medienpublizität.

Die Gründe dafür sind bekannt: Es ist die Kommerzialisierung der Massenmedien, der sich nun auch der Rundfunk und die neuen Online-Medien nicht mehr entziehen kön­nen – eine Kommerzialisierung, die einen ungeheuren Konkurrenzdruck erzeugt. Der Kampf um die Aufmerksamkeit des Publikums muss mit immer härteren Mitteln geführt werden, weil diese Aufmerksamkeit immer schwieriger zu erlangen ist, und früher noch akzeptierte Grenzen von Scham und Anstand haben längst ihre Gültigkeit verloren.

Das gilt vor allem auch für den Opferschutz. Für den Opferschutz ist es besonders fa­tal, dass die Strategien der medialen Aufmerksamkeitserweckung, die Strategien, zu personalisieren, zu emotionalisieren, sich gerade für den Opferschutz nachteilig aus­wirken. Es ist die persönliche Tragik, das zudringliche Bild von sensiblen Emotionen, das im Kampf um Auflagen oder Einschaltquoten den Erfolg auf dem Markt verheißt – auf einem Markt, der zudem ein globalisierter Markt geworden ist, auf dem internatio­nale Agenturen das Geschäft mit Sensationen mit einer unglaublichen Aggressivität betreiben.

Wir alle haben noch die Wagenkolonien mit den Satellitenübertragungswagen in der Ybbsstraße in Amstetten vor Augen, die die Wohnzimmer der Familie Fritzl belagert haben. Wer das vor Augen hat, der weiß, was ich meine: Wie die Marodeure früherer Kriege ziehen scharen von Journalisten durch die Welt von Sensation zu Sensation, von Schauplatz zu Schauplatz, bis das Exklusivinterview erlangt oder das intime Foto geschossen worden ist. Und bei der Wahl der Mittel, ob Scheckbuch oder Hausfrie­densbruch, ist niemand mehr wählerisch, es zählt nur mehr der Erfolg.

Dies vor Augen komme ich zu meiner dritten Feststellung: Diese Realitäten der moder­nen Medienwelt haben das Risiko für eine Berichterstattung enorm erhöht, die tief in Persönlichkeitsrechte eindringt, gerade auch beim Opferschutz. Darauf muss, glaube ich, der Staat reagieren. Und das ist nicht nur eine Frage der verantwortungsvollen Me­dienpolitik, sondern – und darauf lege ich Wert – auch eine verfassungsrechtliche Ver­pflichtung.

Dass der Staat zum Schutz der Privatsphäre vor einer indiskreten Medienöffentlichkeit verpflichtet ist, hat der Europäische Gerichtshof im Fall Caroline von Monaco festge­stellt. Und von einer vergleichbaren Schutzpflicht ist der Straßburger Gerichtshof zu­letzt im Hinblick auf die persönliche Ehre im Fall Pfeifer gegen Österreich ausgegan­gen. Nichts anderes kann für den Opferschutz gelten. Und ich würde meinen, dass hier, wo es vor allem um die Menschenwürde geht, die staatliche Schutzpflicht noch viel ernster zu nehmen ist.

Wenn man schon die monegassische Prinzessin gegen Fotos schützen muss, die sie beim harmlosen Einkaufsbummel zeigen, wenn die liebevolle Umarmung eines frühe­ren Politikers am Flughafen von Orly dessen Privatsphäre betrifft und vor Medienpubli­zität wirksam geschützt werden muss, um wie viel mehr muss, meine ich, das für die Opfer von Straftaten gelten, wenn intime Details aus der Familiengeschichte ausge­breitet werden, wenn mit der Verwicklung in sexuelle Ereignisse spekuliert wird und wenn das Opfer sein zukünftiges Leben nicht neu ausrichten kann, ohne immer wieder aufs Neue mit der Straftat konfrontiert zu werden, und damit der Lebenschance be­raubt wird, der Chance, wieder in die Normalität zurückzukehren, eine Normalität, die auch Anonymität voraussetzt. Es war mir zunächst wichtig, darauf hinzuweisen, dass es eine verfassungsrechtliche Verpflichtung gibt, die Opfer von Straftaten, die nicht zum zweiten Mal zum Opfer gemacht werden dürfen, vor Medienpublizität zu schützen. Dies ist eine Verpflichtung, die sich an alle Staatsorgane, den Gesetzgeber, aber auch an die Vollziehung, die Justiz und die Verwaltung, richtet.

Ob es da Handlungsbedarf gibt, ist Gegenstand unseres Gespräches, dem möchte ich nicht vorgreifen, sondern meine Position zum Schluss nur schlagwortartig andeuten.

Ich glaube erstens, dass, soweit es um den Schutz vor Veröffentlichungen geht, wie er vor allem im Mediengesetz angelegt ist, dieser Schutz im Großen und Ganzen ausrei­chend ist. Einzelne Verbesserungen im verfahrensrechtlichen Bereich sind zu diskutie­ren. Ich persönlich glaube, dass eine stärkere Annäherung an das zivilrechtliche Ver­fahren da Verbesserungen bringen würde.

Ein Ausbau der Tatbestände, die ich für ausreichend erachte, müsste zwangsläufig zu Lasten der Medienfreiheit gehen und würde sich sehr schnell auf trügerisches verfas­sungsrechtliches Terrain begeben.

Vielleicht gibt es eine Lücke bei den Tatbeständen, auf die ich hinweisen möchte: Das ist der Umstand, dass es im Rahmen des Anonymitätsschutzes nach § 7a Medienge­setz zwar einen Schutz des Täters und des Verdächtigen und des eigentlichen Opfers von Straftaten gibt, dass aber die Zeugen, die als Familienangehörige sehr oft auch Medienopfer werden, von diesem Tatbestand nicht erfasst werden – eine Lücke, die sich unschwer schließen ließe.

Eine Erhöhung der Entschädigungsbeträge halte ich für diskussionswürdig. Aber zu­nächst sollten die vorhandenen Beträge von den Gerichten ausgeschöpft werden.

Zweitens meine ich, dass wir neben dem Schutz vor Veröffentlichungen viel mehr den Schutz vor Übergriffen diskutieren sollten, die bei der Beschaffung von Informationen vorkommen. Das ist die Paparazzi-Problematik, das betrifft die Belagerung von Opfern und Zeugen durch Meuten sensationshungriger Journalisten, das sind sonstige illegale Praktiken bei der Erschleichung von Informationen. Hier ist vor allem eine professionel­le Medienarbeit der Sicherheitsbehörden gefordert. Für diese professionelle Medienar­beit gibt es gute Ansätze, aber es gäbe hier noch sehr vieles, was sich besser machen ließe.

In krassen Fällen, wie etwa in Amstetten, sollte man sich, meine ich, außerdem fragen, ob die Belagerung von Opfern und ihrer Familien nicht den Stalking-Tatbestand des Strafgesetzbuches – § 107a Strafgesetzbuch – verwirklicht und ob in solchen Fällen – und ich meine jetzt wirklich nur die krassen Fälle – nicht schärfere sicherheitspolizeili­che Maßnahmen, eine Wegweisung, ein Platzverbot eingesetzt werden könnten bezie­hungsweise ob man dafür Grundlagen schaffen müsste, wenn das Sicherheitspolizei­gesetz in diesem Punkt nicht ausreichen sollte.

Schließlich – und das ist jetzt meine letzte Bemerkung – komme ich zurück zur Me­dienselbstregulierung. Ich glaube, wir brauchen eine Diskussion über eine funktionie­rende Medienselbstregulierung in Österreich, eine Diskussion, die nicht abgeschlossen werden sollte nach der Ankündigung von gestern, dass es einen neuen Presserat ge­ben wird, und eine Diskussion über eine Medienselbstregulierung, in die sich auch die Medienpolitik stärker einschalten sollte.

Was aus dem neuen österreichischen Presserat wird, fünf Jahre, nachdem der alte sein unrühmliches Ende gefunden hat, wissen wir noch nicht. Ich bin optimistisch, aber es wird letztlich davon abhängen, ob es gelingt, bei diesem Neuanfang die Geburtsfeh­ler des alten Presserates zu vermeiden, und ob es gelingt, bei diesem Neubeginn die internationalen Standards einer Media Accountability zu erreichen.

Ob der Weg, eine sozialpartnerschaftlich organisierte Selbstkontrolle zu installieren, diesen internationalen Standards entspricht, ist für mich zweifelhaft. Außerdem sollte man nicht übersehen, dass Medienselbstregulierung mehr ist als nur die Installation eines Presserates.

Medienselbstregulierung setzt – auch wieder international betrachtet – voraus, dass es in den einzelnen Medien selbst eine Qualitätskontrolle, ein Qualitätsmanagement gibt, von dem wir jetzt noch sehr weit entfernt sind. Und da kommt, glaube ich, jetzt die staatliche Medienpolitik ins Spiel. Sie sollte sich ins Spiel bringen mit Anreizen und mit der Vorgabe von Qualitätsmaßstäben. Instrumente dafür gibt es, glaube ich, genug – wenn man etwa an die in Österreich nicht kleinlich ausgestattete Presseförderung denkt, zu der künftig noch eine Förderung privater Rundfunkanstalten kommen wird, wenn man an steuerliche und tarifliche Vergünstigungen oder auch an die Entschädi­gungsbeträge des Mediengesetzes denkt, über deren Erhöhung ich dann diskutieren würde, wenn es der Branche nicht selbst gelingt, eine funktionierende Qualitätskontrol­le aufzubauen, die wir für den Opferschutz brauchen.

Wichtig ist es aber noch viel mehr, über den Opferschutz hinaus die Medien wieder dorthin zu bringen, wo wir sie haben wollen, nämlich dass sie im Dienste der Demokra­tie einen Public Service erfüllen. – Danke schön.

9.56


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Ich bedanke mich für die­ses interessante Einleitungsreferat.

Panels

 


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Wir kommen nun zu den Stellungnahmen der einzelnen Experten.

Ich darf zunächst Herrn Rechtsanwalt Dr. Ganzger um sein Statement bitten.

 


9.56.52

Dr. Gerald Ganzger (Rechtsanwalt; Wien)|: Sehr geehrte Mitglieder der Bundesregie­rung! Sehr geehrte Damen und Herren! Zentrales Thema für das Opfer im Verhältnis zur Öffentlichkeit und zu den Medien ist das Selbstbestimmungsrecht des Opfers, ob, in welcher Form und in welchem Umfang das Opfer an die Medien, an die Öffentlich­keit gehen möchte. Dieses Recht gilt es mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu schützen.

Es geht hier um das Recht auf Schutz der Identität. Angesichts von heraneilenden Journalisten und Fotografen aus aller Welt, die die Einrichtungen, wo die Opfer in der ersten Zeit untergebracht worden sind, belagern, erweist sich dieser Schutz – dieser elementare Schutz! – als schwierig, wenn nicht gar unmöglich.

Ein Opfer, dem es gelungen ist, sich selbst zu befreien, oder ein Opfer, das befreit wor­den ist, beispielsweise ein Opfer, das jahrelang in einem Keller eingesperrt war, oder ein Opfer, das sich von häuslicher und sexueller Gewalt lösen und befreit werden konnte, sitzt nun in der Regel in einer psychiatrischen Krankenhauseinrichtung – und draußen tobt der Medienkrieg, draußen tobt die Medienhysterie.

Auch wenn das Opfer von diesem Medienkonsum ferngehalten wird oder darüber gar nicht lesen möchte, ahnt es natürlich, was es zu erwarten hat. Jetzt hat das Opfer zwei Möglichkeiten: Es kann sich entscheiden, teilweise an die Öffentlichkeit zu gehen, kon­trolliert, auch auf die Gefahr hin, dass man ihm Geschäftemacherei à la longue unter­stellt, und um den Preis, dass es einen Teil seiner Privatsphäre hergibt.

Das ist der Preis, den das Opfer dafür bezahlen muss, dass es sich eine Erleichterung von dem Druck, der auf dem Opfer lastet, erkauft. Oder aber die Alternative ist, dass sich das Opfer entscheidet, auf Dauer den Medien fernzubleiben, unter Umständen eine neue Identität anzunehmen. Das ist der Preis, den wir jetzt am aktuellen Fall in Amstetten deutlich sehen. Da ist der Preis auch sehr hoch.

Das Opfer beziehungsweise die Opfer haben nun nach jahrelanger Gefangenschaft eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Man kann sich gar nicht vorstellen, was das für Opfer bedeutet, wenn sie nach jahrelanger Gefangenschaft wiederum eine Ein­schränkung ihrer persönlichen Bewegungsfreiheit in Kauf nehmen müssen.

An dieser Stelle muss eines gesagt werden: Opfer ist nicht gleich Opfer. Opfer sind kei­ne homogene Gruppe, sondern Opfer sind individuelle Menschen mit individuellem Schicksal, mit individuellen Wünschen, mit individuellen Zielen und Bedürfnissen, auch therapeutischer Natur.

Wir nehmen dem Opfer, wenn man sagt, es soll verborgen bleiben, es soll seine Identi­tät wechseln, die Gelegenheit, seine Geschichte zu erzählen. Ein kurzer Einschub: Eine professionelle Informationspolitik durch die Behörden und befassten Ärzte ist si­cher zu begrüßen, aber es ist ein sehr schmaler Grat. Man stürzt hier leicht ab und ver­letzt die Opfer in ihren Persönlichkeitsrechten. Jedenfalls sollten nur professionell aus­gebildete Beamte diese Informationspolitik betreiben, und sie sollte im Zweifel äußerst restriktiv sein.

Als Zweites muss hier festgehalten werden: Die Verletzung der Amtsverschwiegenheit ist kein Kavaliersdelikt und muss gerade in solchen Fällen vehement verfolgt werden.

Jetzt sollen wir in einem Rechtsrahmen dem Opfer die Möglichkeit bieten, frei zu ent­scheiden, welche „Strategie“ – unter Anführungszeichen – es einschlägt. Im Vorfeld dieser heutigen Veranstaltung und in den vorangegangenen Referaten wurden schon einige Ideen geäußert. Ich befürchte, dass diese Ideen im Einzelnen gut sind, in ihrer Gesamtheit auch wirksam sind, aber das Grundproblem nicht lösen werden – das Grundproblem, dass das Opfer in seinem Identitätsschutz vollkommen geschützt wer­den muss. Schutzzonen – denken wir darüber nach! –, aber der große Nachteil ist, dass mit diesem Schutzzonen- und Wegweiserecht der Bewegungsfreiraum des Op­fers wiederum nur etwas vergrößert wird.

Eines habe ich in den letzen Jahren durch die Betreuung von Opfern gelernt: Opfer wollen und müssen sich aus der Opferrolle lösen. Mit dem Schutzzonen- und Weg­weiserecht, das nur eine kurzfristige Wirkung hat und nur eine kurzfristige Maßnahme sein kann, werden Opfer eigentlich auf Dauer in ihre Opferrolle gedrängt, aus der sie sich jedoch lösen wollen.

Auch das Abschotten von den Medien, auch das Verweigern der Medien ist noch lange keine Gewähr dafür, dass das Opfer nicht geoutet wird. Ein aktueller Fall hiezu: Im Jahre 2006 wurde eine junge Frau, die vor zehn Jahren von ihrer Mutter wie ein Tier in einer Kiste gehalten wurde, von einer österreichischen Tageszeitung ohne Nachrich­tenwert mit Foto geoutet. Dieser jungen Frau ist es zuvor gelungen, ein neues Leben aufzubauen, und viele in ihrem Umfeld, in ihrem beruflichen Umfeld haben ihre Ge­schichte gar nicht gekannt. Das Dramatische daran war, dass diese junge Frau in ihre Opferrolle, aus der sie sich mühsam gelöst hatte, wieder zurückgedrängt wurde.

Betreffend höhere Entschädigungen: Denken wir auch darüber nach, aber geben wir uns nicht der Illusion hin, dass höhere Entschädigungen, egal, wie hoch sie sind, bei­spielsweise die britischen Journalisten, die britischen Boulevardmedien auch nur an­satzweise von ihrer Berichterstattung abhalten. Wenn die Summen, die kolportiert wer­den, nur halbwegs stimmen, dann können die Entschädigungen gar nicht so hoch sein.

Ein nächster Vorschlag war die Abschöpfung des Gewinns. – Das würde zu sehr lang­wierigen Prozessen mit großem Kostenrisiko führen.

Ein weiterer Vorschlag war der Presserat. – Ich begrüße den Presserat, aber ich bin et­was skeptisch, was aufgrund der vergangenen Erfahrungen sicherlich berechtigt ist. Es ist eine Sanktion anzudenken, beispielsweise die Presseförderung daran zu binden, dass das Medium auch tatsächlich Mitglied im Presserat ist und diese Mitgliedschaft aufrechterhält.

Wenn sich ein Opfer entschließt, an die Medien zu gehen, zahlt es den Preis, dass es à la longue „Teil des öffentlichen Lebens“ wird, wie die Gerichte dann so schön sagen. Ein Opfer möchte kein Sonderrecht, ein Opfer soll aber Verständnis finden. Deswegen wäre es gut, wenn es Seminare für Richter, für uns Anwälte unter Mithilfe von Psycho­logen und auch Opfern gäbe, in denen Opfer ihre Situation schildern können, dass wir es lernen, die Bedürfnisse, die individuellen Bedürfnisse von Opfern zu verstehen. – Danke schön.

10.04


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Ich bedanke mich für Ihren Beitrag.

Als Nächstem darf ich das Wort Herrn Rechtsanwalt Dr. Höhne erteilen. – Bitte.

 


10.04.49

Dr. Thomas Höhne (Rechtsanwalt; Wien)|: Wäre ich als Rechtsanwalt ausschließlich Vertreter von Medien, würde ich jetzt sagen: Sehr gut, jetzt haben wir jahrelang ge­braucht, um über den Umweg über Straßburg den österreichischen Gerichten klar zu machen, was Medienfreiheit ist, und jetzt wird die ganze Sache wieder von hinten auf­gerollt, und wir sollen wieder eingeengt werden.

Da ich aber nicht nur Vertreter von Medien bin, sondern auch immer wieder Vertreter von Personen, die von der Medienberichterstattung betroffen sind, sehe ich das ganze Spannungsfeld vor mir und sehe, wie schwer sich sowohl die Praxis als auch die rich­terliche Praxis sowohl einerseits mit der Medienfreiheit als auch andererseits mit dem Schutz von Persönlichkeitsrechten tun.

Ich sehe das an Beispielen wie einem Artikel über Frau Kampusch, wo das Oberlan­desgericht Wien überhaupt nichts Beanstandenswertes darin sieht, dass sie, als sie küssend in einer Diskothek fotografiert wird, in einer Artikelserie geradezu groß heraus­gebracht wird: „So schön ist Nataschas erste Liebe.“ – Das Oberlandesgericht Wien sagt: Na und? Das ist doch bei jungen Leuten normal.

Das scheint auch in der Öffentlichkeit als kein Problem gesehen zu werden, aber schon, wenn Leute, die Täter oder „mutmaßliche Täter“, wie es so schön heißt, sind, in gewisser Hinsicht zu Opfern gemacht werden. Es scheint kein Problem – wieder das Oberlandesgericht Wien – zu sein, wenn über Herrn Elsner, in Südfrankreich mit dem Porsche durch die Gegend flitzend, berichtet wird und ihm in ziemlich hetzerischer Weise unterstellt wird, er sei pumperlgesund, während er behauptet, sich wegen einer Herzkrankheit dem österreichischen Richter nicht stellen zu können. Tatsache war, der Mann im Porsche war nicht Herr Elsner. Das Oberlandesgericht Wien sieht darin nichts Schlimmes.

Ich verstehe die Medien, wenn sie sagen, wenn die Polizei die Bilder des Herrn Osber­ger in die Kamera hält, dann werden wir diese wohl auch bringen dürfen. – Die Polizei ist nicht der Sittenwächter der Medien.

Herr Reitan, Sie sind damit zitiert worden, dass die Leser fragen: Wie komme ich dazu, dass ich für den vollen Preis einer Zeitung nur ein verpixeltes Foto sehe? – Vielleicht geht es aber auch darum, dass Bewusstsein geschaffen wird. Die Medien, die gerne ihre öffentliche Funktion ins Treffen führen, haben vielleicht auch die Aufgabe, ihren Lesern zu erklären, warum das Foto verpixelt wird, und sie haben vielleicht auch die Aufgabe, den Lesern zu erklären, warum Herr Osberger eben nur „Herr O.“ heißt und vorläufig einmal ohne Bild gebracht wird.

Ich glaube, dass das Informationsbedürfnis, die Freiheit der Medien oft mit Erwerbsfrei­heit verwechselt wird. Auch diese ist ein Grundrecht, aber im Einzelfall, wenn es um die Abwägung mit den Rechten der Betroffenen geht, ist sie vielleicht doch etwas weni­ger schützenswert.

Ich habe den Eindruck – und die Gefahr liegt natürlich auch beim Presserat, weil da die Frage mitschwingt, wer mitmacht –, dass sozusagen ein Ethik-Dumping stattfindet, dass es natürlich Zeitungen gibt wie zum Beispiel den „Standard“, der in vorbildlicher Weise Herrn O. weiterhin als „Herrn O.“ bezeichnet hat, aber dann gibt es andere Zei­tungen, die den Namen nicht abkürzen und das Foto abdrucken. Die Befürchtung ist, die Konsumentenmasse wendet sich dann dorthin. Voyeurismus kann man schulen, aber auch Ethik, sozusagen Medienethik.

Das Mediengesetz selbst, so glaube ich, hat hier am wenigsten beizutragen. Es ist so, wie es ist, ganz in Ordnung. Wenn Walter Berka meint, dass die Höchstbeträge für Ent­schädigungsbeträge erst einmal ausgeschöpft werden müssen, so sage ich, dass man die Dynamik, die psychische Dynamik, die sich bei einem Richter abspielt, nicht unter­schätzen darf. Dort, wo es einen Höchstbetrag gibt, hält man sich immer noch den schlimmeren Fall sozusagen in Reserve und sagt, das, was ich da habe, ist schon schlimm, aber es gibt sicher noch etwas Schlimmeres, daher darf ich nicht ausschöp­fen. Ich halte eine Deckelung der Schadenersatzbeträge im Schadenersatzrecht für systemwidrig. Das haben wir ja im bürgerlichen Recht im Allgemeinen auch nicht, ich würde daher für eine Aufhebung dieser Deckelung plädieren.

Tatsächlich meint das Mediengesetz ja ganz offenbar, dass hier den Entschädigungs­beträgen auch ein punitiver, also ein Strafcharakter zukommt, sonst wäre ja keine Be­zugnahme auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mediums. Gerade vor diesem Hintergrund des punitiven Aspekts würde ich einen Entfall der Deckelung in Erwägung ziehen.

In die Diskussion ist auch eingebracht worden, ob nicht die Staatsanwaltschaft aktiv werden sollte. Also als Offizialdelikt würde ich Verletzungen der Persönlichkeitsrechte nicht sehen. Es soll nach wie vor das Selbstbestimmungsrecht auch der Opfer gewahrt bleiben, aber diese sind, wie Ganzger richtig gesagt hat, oft lange Zeit gar nicht in der Lage, ihre Selbstbestimmung wahrzunehmen. In die Diskussion würde ich werfen, ähn­lich dem § 117 des Strafgesetzbuches, die Formulierung als Ermächtigungsdelikt in be­sonders gravierenden Fällen. Worum geht es? – Es geht um die Störung der Sozialord­nung. Wenn eine Störung der Sozialordnung bereits bei einer fahrlässigen Körperver­letzung bei einem Verkehrsunfall oder bei einem Ladendiebstahl gesehen wird, dann wird doch eine Störung der Sozialordnung in den Fällen, die Ganzger aufgezählt hat, wohl noch eher zu erblicken sein. Das ist aber auch schon das Einzige, was ich von der Legistik her ändern würde.

Wenn – und das abschließend – Frau Eva Dichand sagt, wie man mit heiklen Situatio­nen umgeht, das zu beurteilen ist eine Sache des Presserats beziehungsweise von Menschen, die selbst Medien machen, aber sicher nicht von Außenstehenden, so ist das meiner Meinung nach abermals ein Missverständnis.

Es geht genau um die Außenstehenden, denn es geht um das gesellschaftliche Be­wusstsein. Dieses wird vom Gesetz mitgeformt. Gesetze sind gleichzeitig Ausdruck ge­sellschaftlichen Bewusstseins. Man wird sich aber wohl auch überlegen müssen, wer da noch mitreden kann. In dieser Hinsicht ist die Frage, so glaube ich, berechtigt, ob in einem Presserat ausschließlich Mitglieder von Medien sitzen sollen oder nicht doch ge­nau die zitierten Außenstehenden. – Danke.

10.11


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Ich bedanke mich für Ihren Beitrag.

Es freut uns natürlich, dass uns der Präsident des Verfassungsgerichtshofes – seit Kurzem außer Dienst – Herr Universitätsprofessor Dr. Korinek auch seinen wertvollen Beitrag zu diesem Thema bringt. Ich darf ihm das Wort erteilen.

 


10.11.51

Univ.-Prof. Dr. Karl Korinek (Präsident des Verfassungsgerichtshofes i. R.)|: Herr Vor­sitzender! Mitglieder der Bundesregierung! Meine Damen und Herren! Ich kann es eigentlich recht kurz machen, denn ich kann alles unterstreichen, was Dr. Berka gesagt hat. Ich möchte nur zwei Aspekte hinzufügen.

Erstens: Wenn in den Einleitungsstatements der Bundesministerinnen für Inneres und für Justiz gesagt worden ist, dass es um dieses Spannungsverhältnis geht, um das Ab­wägen zwischen Berichterstattungsfreiheit und Opferschutz, dann muss man sich schlicht dessen bewusst sein, dass dahinter zwei Grundrechtspositionen stehen. Wir haben die Medienfreiheit, die nur aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden darf zu einem Zweck, der in der Menschenrechtskonvention – in diesem Fall im Artikel 10 Absatz 2 – ausdrücklich genannt ist, und wenn er zur Erreichung des Zwecks erforder­lich, also nicht unverhältnismäßig ist.

Die Medienfreiheit im Verhältnis zum Persönlichkeitsschutz ist eines der klassischen Beispiele für ein mehrpoliges Grundrechtsproblem, denn auf der anderen Seite hat man genauso ein Grundrechtsproblem, nämlich den Schutz der Privatheit. Auch dieser darf nur durch Gesetze oder auf gesetzlicher Grundlage eingeschränkt werden, und auch er muss einem der Zwecke – in diesem Fall im Artikel 8 Absatz 2 Menschen­rechtskonvention aufgezählt – entsprechen, und auch da darf die Maßnahme nicht un­verhältnismäßig sein.

Es geht also letztlich, grundrechtlich gesehen, um die Abgrenzung der kollidierenden Interessen, und dafür ist in unserer Demokratie in erster Linie der Gesetzgeber verant­wortlich und da, einzugreifen. Wenn es generalklauselartige Regelungen auf Gesetzes­ebene gibt, wenn weite Spielräume für Entschädigungen oder Strafen vorhanden sind, dann ist es Sache der Gerichte, diese Interessenabwägung vorzunehmen – wie man so schön sagt –, unter der nachprüfenden Kontrolle des Straßburger Gerichtshofs, die ja ihrer Wirkung nach nicht Kontrolle, sondern Vorgaben sind. Die Judikatur des Straß­burger Gerichtshofs muss man ja als Vorgaben für den Gesetzgeber und die österrei­chischen Gerichte sehen.

Dort allerdings tritt ein Problem auf, nämlich das Problem, dass sich die Judikatur in Straßburg in den letzten Jahren so entwickelt hat, dass sie nicht mehr vorhersehbar ist. Das hängt damit zusammen, dass der Straßburger Gerichtshof unglaublich heterogen zusammengesetzt ist, dass es dort Senate gibt, die völlig anders denken als andere Senate. In mehreren Gesprächen – auch im privaten Gespräch – mit Straßburger Rich­tern hat man diesen Eindruck ganz stark bekommen. Nicht nur ein Mal habe ich den Satz gehört: Na ja, wenn der Fall in den Senat Sowieso gekommen wäre, wäre er völlig anders ausgegangen. – Daher ist es in Wirklichkeit sehr schwierig, Linien der Judikatur von Straßburg nachzuvollziehen.

Da gibt es letztlich nur zwei Lösungen: Entweder der Gesetzgeber wird genauer, um die Entscheidung hier zu treffen, oder wir entschließen uns doch, eine verfassungsge­richtliche Kontrolle im innerstaatlichen Bereich einzuführen.

Der zweite Punkt, den ich sagen möchte, ist: Der Gesetzgeber ist vor allem auch gefor­dert, dass er Regelungen der Grundrechte sichert. Da Professor Holoubek aus irgend­einem Grund heute ausgefallen ist, habe ich mir gedacht, das Wort „Gewährleistungs­aufgaben“, das er so gerne in den Mund nimmt und erläutert, muss hier wenigstens fal­len. Der Gesetzgeber hat eine Gewährleistungspflicht zur Realisierung der Grundrech­te.

Das, was Professor Berka in seinem dritten Punkt gesagt hat, ist völlig zutreffend: Es gibt eine verfassungsrechtliche Verpflichtung zum Schutz der Persönlichkeitsrechte.

Da dürfte es in einigen Bereichen – ich bin in diesen Bereichen kein Fachmann – Defi­zite geben. Die Identität und die zentralen Elemente des Persönlichkeitsschutzes von Opfern aller Art, die hier genannt worden sind, müssen wir immer als ganz wesentli­ches Anliegen sehen.

In der Diskussion wird manchmal gefragt: Ist es noch gerechtfertigt, überhaupt eine strafrechtliche Sanktion vorzusehen, kann man das nicht aus dem Strafrecht heraus­nehmen?, dazu muss ich schon sagen, der Schutz der Persönlichkeit, die durch Be­richterstattung betroffen sein kann, ist ein höchst wertvolles Gut. Man soll da durchaus Sanktionen haben, die im Verletzungsfall auch wehtun.

Kleine Schlussbemerkung – gar nicht zum Thema gehörend, aber in den letzten Tagen ganz stark aufgestoßen; noch eine Aufforderung an den Gesetzgeber, im Rahmen sei­ner Gewährleistungspflichten etwas zu tun –: Wenn das wahr ist, was man sich über die Übertragungen der Fußball-Europameisterschaft an Einfluss der UEFA auf den un­abhängigen Österreichischen Rundfunk erzählt, dann schrammen wir in der Nähe des Zensurverbots herum und bräuchten dringend auch in diesem Bereich Gewährleis­tungstätigkeit des Gesetzgebers. – Danke schön.

11.18


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Herzlichen Dank, Herr Präsident.

Ich darf das Wort Herrn Universitätsprofessor Dr. Korn erteilen. – Bitte.

 


10.18.53

Univ.-Prof. Dr. Gottfried Korn (Rechtsanwalt; Wien)|: Meine Damen und Herren! Las­sen Sie mich mit Karl Valentin beginnen: „Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen.“ (Heiterkeit.)

Daher bin auch ich legitimiert, etwas zu sagen, etwas systemwidrig: Lieber Karl! Das, was du zur Fußball-Europameisterschaft gesagt hast, das stimmt nicht, es ist noch viel ärger: Es ist reinste Zensur, der Vertrag ist – ja, es läuft einem kalt den Rücken herun­ter.

Jetzt zum eigentlichen Thema: Die Problematik ist viel zu komplex, als dass man mit 5 Minuten – habe ich in meinem Manuskript, Gott sei Dank sind es 7 Minuten – das Auslangen finden könnte. Ich darf daran erinnern: Wir haben 20 Jahre lang zum Me­diengesetz 1981 beraten.

Das Thema der Enquete lautet „Medienrecht und Opferschutz“. Schon der Titel ist zu hinterfragen. Welche Opfer sind gemeint? Nur die Opfer einer strafbaren Handlung, so wie es Berka gesagt hat? Oder sind nicht auch Medienopfer, deren Persönlichkeits­rechte verletzt werden, ohne dass der Betroffene Opfer einer strafbaren Handlung ge­worden wäre, Thema? Ich glaube, Herr Berka, man kann diese Problematik nicht tren­nen und nicht ausblenden. Wenn wir über Medienrecht und Opferschutz sprechen, dann müssen wir auch über die genuin geschaffenen, durch die Medien geschaffenen Opfer sprechen.

Jeder hat das Recht auf Achtung seiner Menschenwürde, seiner persönlichen Ehre, seines guten Rufes sowie den Schutz seines Namens. – Nicht, dass Sie glauben, dass das österreichisches Recht wäre. Das ist Artikel 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte und -freiheiten der föderalen Tschechoslowakei 1992.

Ich stelle eine provokante These auf: Wir leben in einem Land, in dem nicht die Opfer vor ihren Tätern, sondern die Täter vor ihren Opfer geschützt werden.

Die Zeit ist viel zu knapp, daher nur drei Schlaglichter: erstens: Paparazzi-Unwesen. – Diesem Unwesen gehört Einhalt geboten. Wenn die Polizei in Amstetten – es war nicht die Polizei, sondern die Security – Fotografen von den Bäumen holen musste, dann belegt dies vielleicht, dass wir auf dem besten Wege sind, uns dorthin zurückzuentwi­ckeln, woher wir angeblich stammen. Eine Lösung ist das nicht.

In Deutschland hat man versucht, dieses Problem in den Griff zu bekommen. Im § 201a deutsches Strafgesetzbuch steht:

„Wer von einer anderen Person, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet, unbefugt Bildaufnahmen herstellt oder über­trägt und dadurch deren höchstpersönlichen Lebensbereich verletzt, wird mit Freiheits­strafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“

Ich habe mich bei meinen deutschen Kollegen erkundigt. Es gibt zwar keine Entschei­dungen dazu, aber die Sorge, die Angst vor einer Strafe hat dazu geführt, dass das Problem der Paparazzi-Fotos in Deutschland weitgehend – nicht zur Gänze – in den Griff bekommen wurde.

Zweitens: Standesrecht. – Dass der Presserat vor fünf Jahren abgeschafft wurde, halte ich für einen Segen, denn der Presserat war in seiner damaligen Konstruktion nicht einmal – verzeihen Sie bitte! – ein Salzamt. Wenn jetzt ein Presserat aktiviert wird, dann bitte nicht reaktivieren, sondern einen neuen Presserat schaffen!

In Deutschland gibt es einen Presserat seit 1956. Wissen Sie, warum der Presserat 1956 gegründet wurde? – Adenauer hat 1952 durch einen Gesetzentwurf – damals war es noch eine sehr dirigistische Gesetzgebung – der Presse die Rute ins Fenster ge­stellt, und zwar eine Presseaufsichtsbehörde. Da waren dann plötzlich alle einer Mei­nung: Wir brauchen eine Selbstkontrolle, bevor wir uns vom Staat kontrollieren lassen.

Ich warne nur davor, dass das ein Altherrenverein wird. Da gehören Leute mit Akzep­tanz her! Da gehören ein Professor Adamovich, ein Professor Korinek her – Leute, die in der Öffentlichkeit gehört werden.

Diese Institution gehört organisiert. Sie muss etwa auch bei Gesetzesvorhaben gehört werden. Sie muss in der Öffentlichkeit anerkannt werden, nicht nur die Aufgabe haben, jetzt sozusagen Selbstreinigung, innere Regulierung zu betreiben, sondern auch die Anliegen der Presse der Politik gegenüber vertreten.

Drittens: Justiz. – Frau Justizminister! Der Befund eines Infanteristen an der Front ist ein bisschen ein anderer, als Sie ihn hier geschildert haben. Ich persönlich halte über­haupt nichts von Anlassgesetzgebung. Die Vorfälle und Auswüchse in Amstetten sollen nicht zu überstürztem Handeln verleiten. Das, was Thomas Höhne gesagt hat, die Ab­schaffung der Höchstgrenzen – das ist ohnedies schadenersatzrechtlicher Unsinn, eine Höchstgrenze ist auch dogmatisch nicht zu rechtfertigen –, das unterstütze ich. Aber sonst sehe ich aktuell keinen Handlungsbedarf. Das Mediengesetz kann verbessert werden, aber bitte langfristig und wohl überlegt, keine überstürzten Handlungen.

Wir haben in Österreich ein europaweit vorbildhaftes Mediengesetz. Wenn sich aber ein Beschuldigter – das hat Thomas Höhne schon gesagt – wahrheitswidrig den Vor­wurf gefallen lassen muss, sich durch Vortäuschen einer Krankheit seiner Einvernah­me durch die Behörden zu entziehen, weil es für einen Beschuldigten nicht ehrenrührig ist, zu lügen, oder wenn sich die Geschwister Jukić – immerhin haben sie Österreich zwei Medaillen gebracht – oder die österreichischen Biathleten Sumann, Gredler und Mesotitsch gefallen lassen müssen, dass eine anonyme Anzeige unter Nennung ihrer Namen in vollem Wortlaut veröffentlicht wird, in welcher sie des Blutdopings und des Versicherungsbetrugs bezichtigt werden, weil sogar am Inhalt anonymer Anzeigen bei entsprechendem Clamor öffentliches Berichtsinteresse besteht, dann frage ich mich, wie es um den Schutz der Persönlichkeitsrechte in Österreich wirklich bestellt ist.

Ich orte das Kaninchen-Schlange-Syndrom. Das Kaninchen sitzt in Wien, die Schlange in Straßburg. Sicherlich ist es nicht angenehm, wenn Österreich in den letzten Jahren wegen angeblicher Verstöße gegen Artikel 10 verurteilt wurde, wobei einige dieser Ent­scheidungen mehr als hinterfragenswert sind. Karl Korinek hat ja bereits auf die Pro­blematik hingewiesen. Nur: Die in letzter Zeit geradezu offensive Verneinung der Ver­letzung von Persönlichkeitsrechten in Fällen, die vor fünf oder zehn Jahren noch genau konträr entschieden worden wären, ist die falsche Umsetzung. Wenn wir aus Angst da­vor, in Straßburg wieder verurteilt zu werden, im Zweifel für den Täter und gegen das Opfer entscheiden, dann läuft dies auf eine kalte Enteignung des Persönlichkeitsschut­zes hinaus. Wir gehen damit den falschen Weg, weil wir den schlechten Journalismus schützen, statt dem guten Journalismus das Rückgrat zu stärken.

Lassen Sie mich zum Schluss Frau Dr. Griss, Präsidentin des Obersten Gerichtshofes, zitieren:

Es wäre daher wünschenswert, wenn sich ein übernationales Gericht darauf be­schränkte, zu prüfen, ob die Leitlinien befolgt werden, und nur eingriffe, wenn diese und damit der Menschenrechtsschutz in seinem Kern verkannt und verletzt werden, und daran die Hoffnung anschließen, dass die österreichische Justiz bei der Feinjustie­rung im Konflikt zwischen Meinungsäußerungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz ihr Augenmerk wieder mehr dem Persönlichkeitsschutz zuwendet und die Opfer vor ihren Tätern, Schreibtischtätern, schützt und nicht umgekehrt. – Zitatende. – Danke.

10.27


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Ich bedanke mich für Ihren Beitrag.

Es freut uns, dass jetzt auch ein Mitglied des Verwaltungsgerichtshofes einen Beitrag liefert. Ich darf Herrn Hofrat Dr. Lehofer das Wort erteilen. – Bitte.

 


10.27.14

Hofrat Dr. Hans Peter Lehofer (Mitglied des Verwaltungsgerichtshofes)|: Herr Vorsit­zender! Sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung! Sehr geehrte Damen und Her­ren! Das österreichische Medienrecht ist degeneriert, verkommen, schikanös, formalis­tisch, hilflos, kleinlich und übel, und es schützt die „Ehre“ – „Ehre“ unter Anführungszei­chen – von Verbrechern.

Das ist nicht meine Ansicht. Das ist eine Zitatensammlung aus jener Zeitung, deren Blattlinie der Bundeskanzler bestimmt. Damit keine Missverständnisse entstehen: Ich zitiere keine Gastkommentare, sondern den Chefredakteur selbst. An dieser schlim­men Situation wird sich, so meint der Herr Chefredakteur in der heutigen Ausgabe, auch nichts ändern, denn er schreibt über diese Enquete: „Doch man kann sicher sein, es wird nichts dabei herauskommen.“

Hätte ich mir die Teilnahme ersparen sollen? – Ich glaube nicht, denn abgesehen vom selbstverständlichen Respekt, einer Einladung des Hohen Hauses zu folgen, möchte ich schon auch einige Aspekte hier erwähnen, wobei es mir ähnlich geht wie Herrn Professor Korn: Es wurde schon fast alles gesagt, und fast allem kann ich mich an­schließen. Herr Präsident Korinek weiß wahrscheinlich, welchem Punkt ich mich nicht anschließen kann.

Selbst dann, wenn der Herr Chefredakteur recht hat und bei dieser Enquete nichts he­rauskommt, nämlich nichts herauskommt in dem Sinn, dass es zu keiner umfassenden Reform des Mediengesetzes kommen sollte, steht der Untergang Österreichs – da meine ich jetzt die Republik – nicht bevor.

Die abschreckende Wirkung einer Entschädigungsobergrenze von 20 000 € ist natür­lich relativ gering, darüber wurde schon gesprochen. Das kann bei manchen Übergrif­fen, bei kalkulierten Übergriffen in Persönlichkeitsrechte zu wenig sein, um eine ab­schreckende Wirkung zu schaffen. Ich glaube, dem kann man sich anschließen.

Aber abgesehen davon meine ich, dass man schon überlegen muss: Wo kann man mit Anlassgesetzgebung wirklich eingreifen? – Anlassgesetzgebung ist ja nicht grundsätz­lich schlecht, sofern es einen Anlass gibt und eine gesetzliche Methode, diesem wirk­lich beizukommen, und zwar mit einem Gesetz, das nicht bloß eine Placebo-Norm ist, dass man sagt, ich habe jetzt etwas beschlossen, damit das so ausschaut, als ob et­was geschehen wäre, und man weiß dann, es wird nicht angewandt, sondern mit einer konkreten, auf die Missstände abzielenden Maßnahme.

Ich sehe – wie schon einige Vorredner – im Mediengesetz selbst keinen echten An­haltspunkt für tief greifende Änderungen. Entschädigungsgrenze, Verfahrensfristen – einiges wurde schon genannt –, da kann man an Schrauben, vielleicht an kleinen Räd­chen drehen, aber eine grundlegende Reform des Mediengesetzes halte ich nicht für erforderlich. Ich glaube, es wäre auch nicht Sinn der Sache, eine Verschärfung des Medienrechts vorzusehen, sondern umgekehrt eine Stärkung der Rechte der Betroffe­nen. Da kann man einiges tun. Man kann einiges dafür tun, dass die Betroffenen in die Lage versetzt werden, ihre Rechte wahrzunehmen, dass sie sowohl in der Betreuung als auch in der Durchsetzung entsprechend unterstützt werden. Ich glaube, da ist auch schon einiges auf den Weg gebracht.

Abgesehen davon gibt es natürlich – das ist eine Lehre, die man als Jurist immer zie­hen muss – keine „gaunersicheren“ Gesetze. Es gibt keine Gesetze, mit denen auto­matisch die Probleme aus der Welt geschafft sind, sondern es gibt immer Situationen, in denen sich Personen, aus welchen Gründen auch immer, über die Gesetze hinweg­setzen. Damit muss die Demokratie leben und auch die entsprechenden Sanktionen vorsehen.

Ich möchte natürlich darauf hinweisen – Professor Korinek hat mir sozusagen schon al­les aus dem Mund genommen –: Die Abwägung der Grundrechtspositionen ist eine heikle Frage, eine schwierige Frage; wie schwierig sie ist, zeigt sich nicht nur an den Sondervoten. Wenn wir Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Men­schenrechte lesen, zeigt sich, dass hier ernsthaft und genau und manchmal vielleicht zu genau aus österreichischer Sicht abgewogen wird. Nicht alle Entscheidungen, die fallen, weder in Straßburg noch in Wien, sind Entscheidungen, die man als Jurist oder als Betroffener vorbehaltlos unterschreibt. Das ist bei vielen Gerichtsentscheidungen so, ich glaube aber, dass man der Justiz – gerade in letzter Zeit – nicht vorwerfen kann, dass sie es sich mit dieser Abwägung zu leicht macht.

Tatsächlich gibt es Entscheidungen, die diskussionswürdig sind. Es gab früher Ent­scheidungen, die diskussionswürdig waren, es gibt auch jetzt welche, und in jedem Einzelfall kann man Argumente in die eine oder andere Richtung finden. Es ist eine Ab­wägungsentscheidung, wobei man zwischen Grundrechtspositionen abwägt, und da kann man zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Ich glaube nicht – und das ist der Punkt, bei dem ich nicht übereinstimme –, dass die Einführung eines weiteren Rechtszugs von den Justizgerichten zum Verfassungsgerichtshof zu einer konsistente­ren Rechtsprechung beitragen wird. Letztlich wäre die Abwägung dann eine, die der Verfassungsgerichtshof treffen muss. Natürlich ist das ein Gerichtshof, der sich mit die­sen Fragen besonders beschäftigt, aber auch der Oberste Gerichtshof oder das OLG Wien sind Gerichtshöfe, die es sich nicht leicht machen.

Ich glaube daher, dass es nicht nur um eine juristische Frage geht, sondern ich glaube, wenn wir über Medienrecht und Mediengesetz sprechen, sprechen wir auch über ge­sellschaftliche Fragen. Ich würde daher davon abraten, ad hoc irgendwelche Placebo-Normen zu schaffen. Die Demokratie muss einiges aushalten, so auch, dass manch­mal Meinungen pointiert vorgebracht werden, dass Positionen mit Vehemenz verteidigt werden und dass es auch zu medienrechtlichen Auseinandersetzungen kommen kann.

Ich glaube aber, vieles kann man auch mit Kulturfragen ansprechen. Das Beispiel mit dem Fußball ist für mich ein sehr interessantes Beispiel: die Sensibilität, die dann auf­taucht, wenn sich der ORF plötzlich unterwirft. Vielleicht hat er es nicht freiwillig ge­macht, aber der ORF hat diesen Vertrag mit entsprechenden Einschränkungen abge­schlossen. In vielen anderen Punkten gehen viele andere Betroffene von Berichterstat­tung ähnlich vor. Wenn Sie als Medium ein Interview machen wollen mit Wirtschafts­vertretern oder auch politischen Vertretern, dann kommt es immer häufiger vor, dass Vorgaben gemacht werden, wo man sich trifft, welche Fragen gestellt werden, was im Vorhinein ausgemacht wird.

Ich glaube, dass in der Gewaltenteilung – wenn man die Medien als vierte Gewalt sieht –, dass zwischen den drei Gewalten und den Medien doch vielleicht einiges ver­bessert werden könnte. Das ist eine Kulturfrage und keine Rechtsfrage. – Danke.

10.33


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Ich bedanke mich für Ihren Beitrag und darf als Nächsten den Experten des Justizministeriums, Herrn Leitenden Staatsanwalt Professor Dr. Zeder, um seinen Beitrag ersuchen.

 


10.33.54

Hon.-Prof. Dr. Fritz Zeder (Leitender Staatsanwalt; Bundesministerium für Justiz)|: Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Ich kann mich den Ausführungen meiner Vorredner insofern anschließen, als es zunehmend schwierig wird, jetzt noch etwas ori­ginell Neues zu sagen.

Das Spannungsverhältnis im Medienrecht zwischen Persönlichkeitsschutz auf der einen Seite und Medienfreiheit auf der anderen Seite hat uns in den letzten Jahren in Atem gehalten. Sie alle wissen, dass es gerade vor ein bis zwei Jahren eine Häufung von Verurteilungen Österreichs in Straßburg wegen Artikel 10 MRK-Verstößen gege­ben hat. Vor einiger Zeit ist die Überraschung besonders groß gewesen in Österreich, als in dem Fall Pfeifer, der schon angesprochen wurde, die Verurteilung in Straßburg genau in die Gegenrichtung gegangen ist, nämlich: zu wenig Schutz der Persönlich­keitsrechte durch österreichische Gerichte.

Man kann jetzt natürlich – wie auch schon angesprochen worden ist – einzelne Ge­richtsentscheidungen des OLG Wien beispielsweise aus der letzten Zeit sicher kritisie­ren, aber ich möchte doch darauf hinweisen, dass es vom Obersten Gerichtshof gera­de in letzter Zeit ein paar richtungweisende Entscheidungen gegeben hat, sodass ich keine Notwendigkeit sehe, noch eine weitere Instanz einzuziehen.

Das Konfliktfeld zwischen Persönlichkeitsschutz und Medienfreiheit spiegelt sich auch wider in der Frage: In welchem Rechtsbereich soll sich das Ganze abspielen? Gerade vom Europarat her kommt immer wieder die Tendenz, zu sagen: Gehen wir mit dem Ehrenschutz völlig raus aus dem Strafrecht! Die Diskussion, die wir jetzt in Österreich haben, geht fast wieder ein bisschen in die Gegenrichtung, auch wenn niemand aus­drücklich sagt, dass mehr Strafrecht sein muss. Jedenfalls zeigt sich, dass Verbre­chensopfer doch erhöhten Schutz des Staates brauchen.

Medienrecht, Mediengesetz – mein Zuständigkeitsbereich. Es gab zuletzt im Jahr 2005 eine große Mediengesetznovelle, und es haben jetzt hier vom Podium aus viele ge­meint, im Großen und Ganzen gibt es eigentlich im Mediengesetz keinen großen Re­formbedarf. Professor Berka hat gemeint, man sollte das Medienrecht mehr, noch mehr zivilisieren. Wir werden in nächster Zeit eine Arbeitsgruppe einrichten, die sich mit dieser Grundsatzfrage befasst, nämlich diesem Problem, dass es eben mehrere Ansprüche geben kann und dass es für die Medien dann ein Zuviel an Ansprüchen gibt, bis hin zum Recht am eigenen Bild im Urheberrecht etwa, Unterlassungsansprü­che im Zivilrecht, strafrechtliche Verfolgung unter Umständen und die medienrechtliche Geschichte.

Persönlichkeitsschutz, Opferschutz. – Was könnte man konkret tun? Wir haben bei uns im Haus schon ein paar Dinge überlegt, die man relativ kurzfristig machen kann. Ich weiß schon, dass dann immer der Vorwurf kommen kann: Anlassgesetzgebung.

Die Entschädigungsbeträge zum Beispiel sind schon mehrfach angesprochen worden. Ich habe versucht, zu verstehen, warum wir im Mediengesetz bei verschiedenen Ent­schädigungstatbeständen einmal 20 000 €, einmal 50 000 €, in einem bestimmten Fall 100 000 € als Höchstgrenze haben. – Die übliche Antwort, die man dann gibt: Das kann man eigentlich nur historisch erklären: weil eben die Tatbestände im Laufe der Zeit dazugekommen sind. Da könnte man sich wahrscheinlich doch überlegen, etwas einheitlichere Regeln zu schaffen.

Zu dem Argument, das heute gekommen ist: Die Gerichte sollen die Höchstgrenzen, die es gibt, ausschöpfen. – Das Problem ist natürlich, dass die Gerichte auch im Hin­terkopf haben, was es im allgemeinen Schadenersatzrecht für Entschädigungsansprü­che gibt, was es für Schmerzensgeldansprüche gibt, wie da die Sätze sind. Wenn man das berücksichtigt, dann entstehen im Vergleich unter Umständen Entschädigungsbe­träge, die aus heutiger Sicht – die gesellschaftliche Entwicklung geht sicher in die Rich­tung, dass man sagt, man muss Persönlichkeitsrechte noch viel mehr schützen – viel­leicht doch nicht ausreichend sind.

Förderung der Fähigkeit des Opfers, seine Rechte geltend zu machen. – Die Frist von sechs Monaten, die im Gesetz vorgesehen ist, ist wahrscheinlich relativ kurz. Und es ist auch die Frage, ob wir die Prozessbegleitung auch im Bereich des Medienrechts vorsehen können.

Ein Thema, das mir sehr wichtig ist, wo ich mich frage, was man im Gesetz als Legist dazu beitragen kann, ist die Frage der Selbstkontrolle. Ich habe jetzt mit Interesse ver­nommen, dass in den fünfziger Jahren in Deutschland die Rute ins Fenster gestellt wurde. Ich war vor einigen Tagen auf einer Veranstaltung des Verbandes der Österrei­chischen Zeitungsherausgeber, wo die Rute verständlicherweise zurückgewiesen wur­de, wo gesagt wurde: Wir machen das schon selbst!Ich denke, dass es von staatlicher Seite unter Umständen doch einen sanften Druck geben sollte. Neben der Rute gibt es ja auch noch die Möglichkeit der Karotte, und es wäre interessant, hier zu Lösungen zu kommen. Einige interessante Dinge sind heute ja angesprochen worden.

Abschließend darf ich daran erinnern, dass derzeit im Parlament eine Mediengesetzno­velle vorliegt, die nicht den Justizteil betrifft, und man könnte sich überlegen, in diese allenfalls kurzfristig vielleicht noch einzelne Punkte aufzunehmen, aber das ist natürlich die Entscheidung dieses Hauses. – Danke schön.

10.41


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Ich bedanke mich für Ihren Beitrag. Es ist Ihnen nach meinem Dafürhalten durchaus gelungen, noch etwas Neues beizutragen. Wir sind daher zuversichtlich, dass das auch den vier restlichen Experten beziehungsweise Expertinnen gelingen wird.

Ich darf nun dem Vertreter des Innenministeriums, Herrn Oberst Mag. Gollia, das Wort erteilen.

 


10.41.30

Oberst Mag. Rudolf Gollia (Bundesministerium für Inneres)|: Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung! Werte Teilnehme­rinnen und Teilnehmer an dieser Enquete! Polizei und Medien – sie brauchen einan­der, sie sind aber gleichzeitig zwei Institutionen, die in einem ständigen, in einem per­manenten Spannungsfeld zueinander stehen. So sehen wir uns im Innenministerium beziehungsweise bei der Polizei immer wieder dazu veranlasst, über das Verhältnis mit den Medien nachzudenken und uns neu zu orientieren. Anlässe dafür sind natürlich unter anderem die Kriminalfälle der letzten Vergangenheit, wie etwa der Fall Natascha Kampusch oder zuletzt, ganz aktuell, der Fall in Strasshof.

Grundsatz bei unserer Arbeit muss es sein, keine zweite Viktimisierung von Opfern zu­zulassen beziehungsweise zu unterstützen.

Wir müssen immer wieder feststellen, dass wir, Sicherheitsbehörden und Polizei, oft­mals davon ausgehen, dass Medien dankbare Sprachrohre für unsere Warnungen vor drängenden und aktuellen Problemen der Kriminalitätsentwicklung sind, dass sie uns bei der Fahndung nach Straftätern unterstützen beziehungsweise Bürger darüber auf­klären, wie sie sich gegen Einbrüche, wie sie sich gegen Kriminalität schützen können. Aber Medien sind selbstverständlich nicht nur Träger der polizeilichen Medienarbeit, sondern wir selbst, die Polizei, und unsere Arbeit können uns einer ständigen kriti­schen Beobachtung durch die Öffentlichkeit und dabei natürlich speziell durch die Me­dien sicher sein. Polizei und Medien leben also in einem permanenten Spannungsfeld, das zwar nicht auflösbar, aber doch beherrschbar scheint.

Sehr geehrte Damen und Herren! Welche Rahmenbedingungen finden wir, die Polizei, für die Medienarbeit vor? – Die Pressestellen bei den Sicherheitsbehörden und bei der Polizei arbeiten in einem Bereich, der durch rechtlich fundierte Richtlinien nur schwer erfassbar und regelbar zu sein scheint. Während nämlich für den Medienmitarbeiter wie für alle Privaten der Grundsatz gilt, dass er nur das nicht tun darf, was ihm gesetz­lich verboten ist, verlangt die österreichische Bundesverfassung von der Verwaltung, dass sie nur dort handeln darf, wo ihr das vom Gesetz her aufgetragen ist.

Der Mitarbeiter der Sicherheitsbehörde oder des Wachkörpers Bundespolizei hat sich daher zunächst zu fragen, worauf er seine Tätigkeit dann, wenn er Medienarbeit be­treibt, stützen kann; dies umso mehr, als er sich immer wieder in einem Spannungsver­hältnis zwischen Informationsbedürfnis der Medien, Informationsbedürfnis der Öffent­lichkeit einerseits und natürlich einem Geheimhaltungswunsch beziehungsweise einer Geheimhaltungspflicht andererseits befindet.

Es soll nun versucht werden, den Weg der Medienarbeit der österreichischen Sicher­heitsbehörden und des Wachkörpers Bundespolizei zwischen Informationspflicht und Amtsgeheimnis, zwischen Transparenz und Datenschutz aufzuzeigen. Gerade die Si­cherheitsbehörden, die Polizei, dürfen als ein dem demokratischen Prinzip besonders verpflichteter Verwaltungszweig um kriminalpolizeiliche Maßnahmen, um Erhebungen, aber auch um ihre sonstige Tätigkeit keine Mauer des Schweigens errichten. Transpa­renz ist angezeigt. Allerdings sind wir in der Medienarbeit naturgemäß Grenzen ausge­setzt. Die wichtigsten Schranken erwachsen der behördlichen Öffentlichkeitsarbeit aus den Persönlichkeitsrechten des Einzelnen, der jedenfalls einen Anspruch darauf hat, dass ihn die Sicherheitsbehörde, die Polizei, nicht einer Publizität ausliefert, die gren­zenlos ist und nicht mehr beherrscht werden kann.

Im Zweifelsfall muss der Schutz personenbezogener Daten Vorrang genießen. Den Si­cherheitsbehörden obliegt es daher, im Rahmen ihrer Medienarbeit keinen Ansatz­punkt für eine Missachtung der Rechte der Betroffenen durch die Medien zu schaffen. Dies gilt insbesondere für den Schutz der Unschuldsvermutung, weshalb auch in den Fällen, in denen ein Kriminalfall aus der Sicht der Sicherheitsbehörden als geklärt zu betrachten ist, trotzdem nur von Tatverdächtigen zu sprechen ist.

Für den Bereich des Identitätsschutzes verpflichtet das österreichische Recht die Si­cherheitsbehörden, insbesondere darauf Rücksicht zu nehmen, dass keine unmittel­bare, aber auch keine mittelbare Identitätspreisgabe von Betroffenen erfolgt. Gibt es aber eine amtliche Veranlassung – sei es, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, die Veröffentlichung von Identitätsdaten würde der Begehung weiterer gefährlicher An­griffe durch den Betroffenen entgegenwirken, oder gegen den flüchtigen Betroffenen wurde ein Haftbefehl erlassen oder der Strafprozessordnung würde zum Durchbruch verholfen werden –, dann haben die Sicherheitsbehörden und die Justizbehörden, aber auch die Medien das Recht, Identitätsdaten zum Zwecke der Strafrechtspflege oder der Sicherheitspolizei zu veröffentlichen.

Die Führungskräfte der Polizei, wie auch alle anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen sich des öffentlichen Aspekts ihrer Tätigkeit und der Realitäten der heutigen Mediengesellschaft bewusst sein. So wie in der polizeilichen Alltagsarbeit oder im Ein­satz ständig kriminaltaktische, rechtliche, technische und organisatorische Faktoren zu beachten sind, ist es auch notwendig, sich auf diese Herausforderungen, auf die He­rausforderungen im Rahmen der Pressearbeit einzustellen.

Nur durch die Garantie von Öffentlichkeit und Professionalität kann das für die polizeili­che Arbeit besonders notwendige Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit der Polizei erreicht und erhalten werden. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit wird schließlich nur er­folgreich sein, wenn sich alle Mitarbeiter bewusst sind, dass sie mit ihrem persönlichen Verhalten in allen Arbeitsbereichen, mit jedem Auftreten in der Öffentlichkeit das Bild ihrer Institution nach außen entscheidend prägen, und wenn gleichzeitig das notwendi­ge Wissen und Können des richtigen Umgangs mit den Medien vorhanden ist.

Ziel der Medien- und Öffentlichkeitsarbeit der Polizei kann und muss es daher sein, das Vertrauen der Bevölkerung in die professionelle Aufgabenerfüllung der Polizei zu gewinnen und zu erhalten, denn dieses Vertrauen ist eine wichtige Grundlage für den polizeilichen Erfolg. Das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf den Empfang und die Mitteilung von Nachrichten bilden eine Grundsäule einer demokrati­schen Gesellschaft. Der Umgang mit diesen Freiheiten, mit Pluralismus, Toleranz und Großzügigkeit bringt auch Verantwortung und Pflichten mit sich, und diese Verantwor­tung muss und kann man von der Polizei, von den Strafverfolgungsbehörden, aber auch von den Medien einfordern. – Danke.

10.49


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Ich bedanke mich für den Beitrag und darf nun Herrn Rechtsanwalt Dr. Rami um seine Ausführungen ersuchen.

 


10.49.29

Dr. Michael Rami (Rechtsanwalt; Wien)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Da schon so viel gesagt wurde, verzichte ich gleich vorweg auf vier meiner sieben Redeminuten. Dr. Lehofer hat vorhin die „Wiener Zeitung“ zitiert, und ich muss sagen, die „Wiener Zeitung“ hat schon recht. Das österreichische Medienrecht ist zersplittert, unübersicht­lich, schwer verständlich; sie finden nämlich Teile des Medienrechts zum Beispiel im Urheberrechtsgesetz, im ORF-Gesetz, im Mediengesetz, im Privatfernsehgesetz und auch im uralten ABGB. Aber dennoch, trotz dieser Zersplitterung, trotz dieser unüber­sichtlichen Rechtslage kann ich als Praktiker, der Opfer und Täter und Medien vertritt, sagen, man kann mit diesen Gesetzen recht gut arbeiten; nicht sehr gut, es ist keine überragende Rechtslage, aber es funktioniert eigentlich recht gut. Oft hinkt es ein biss­chen oder reibt es ein bisschen, aber es geht recht ordentlich. Mehr nicht, aber immer­hin.Österreich wurde in den letzten zwei Jahren von zwei einzigartigen, grauenhaften Verbrechensfällen erschüttert, nämlich dem Fall Kampusch und dem Fall Fritzl. Ich fin­de es gut, dass man jetzt diese Fälle zum Anlass nimmt, das Medienrecht zu verbes­sern, zu überlegen, ob man die Entschädigungshöchstbeträge anhebt oder überhaupt beseitigt, ob man die Verjährungsfristen verlängert. All das sind gute Ideen, ich glaube nur, man darf sich eines nicht versprechen: Man darf sich nicht versprechen, dass man mit dem Medienrecht so monströse, so schreckliche Fälle wie diese aus der Sicht des Opferschutzes in den Griff bekommen kann. Das wird in solch großen Kriminalfällen niemals befriedigend möglich sein. Damit bin ich auch schon am Ende meiner Ausfüh­rungen. – Danke.

10.51


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Ich bedanke mich für Ihre konzentrierten Ausführungen und darf Frau Rechtsanwältin Dr. Windhager das Wort erteilen.

 


10.51.22

Dr. Maria Windhager (Rechtsanwältin; Wien)|: Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung! Sehr geehrte Damen und Herren dieses Ho­hen Hauses! Gleich zu Beginn muss ich meiner Verwunderung darüber Ausdruck ver­leihen, dass hier auf diesem Podium der Name der Familie F. ausgesprochen wird. Das verwundert mich doch einigermaßen, weil es geradezu ein ganz wichtiges Anlie­gen des Opferschutzes ist, diesen Namen nicht öffentlich zu machen, nicht öffentlich zu nennen. Ich bitte die anwesenden Medienvertreter, wenn sie darüber berichten, das nicht zu übernehmen, so quasi, es ist gerechtfertigt, darüber zu berichten, weil der Na­me auch genannt wurde. Davor möchte ich gleich eingangs warnen.

Es ist hier in dieser Runde sehr viel gesagt worden. Ich freue mich sehr über die Aus­führungen der Frau Bundesministerin für Justiz. Diese Ansätze, Vorschläge, Ideen, die bereits erarbeitet worden sind, gehen meiner Ansicht nach in die ganz richtige Rich­tung. Es gibt nämlich sehr wohl Handlungsbedarf. Den Handlungsbedarf sehe ich aber weniger bei der Reform des Mediengesetzes – hier bin ich weitgehend der Meinung meiner Vorredner; ich glaube, dass das im Regelfall sehr praktikabel ist –, sondern vielmehr bei der Stärkung der Opferrechte.

Da möchte ich auf einen Aspekt hinweisen, der mir in der Praxis sehr wichtig zu sein scheint und mich immer wieder sehr betroffen macht: dass nämlich generell ganz we­nig Bewusstsein für den Opferschutz vorhanden ist. Das liegt nicht nur bei den Me­dien – wobei ich die Medien gar nicht pauschal verurteilen oder anprangern möchte, denn es gibt hier erhebliche Unterschiede –, aber es ist doch so, dass man wenig Ah­nung hat, was eigentlich Opferschutz ist, was eine Opferschutzproblematik ist.

Es wird sehr oft über die sehr schwierige Abwägung zwischen diesen Grundrechtsgü­tern, Meinungsäußerungsfreiheit auf der einen Seite, Persönlichkeitsschutz auf der an­deren Seite, gesprochen, wir müssen aber auch noch bedenken, dass es eben ganz spezielle Problematiken im Zusammenhang mit dem Opferschutz gibt. Ich begrüße da­her diese Veranstaltung sehr und wünsche mir, dass diese öffentliche Debatte wirklich auch dazu beiträgt, das Bewusstsein dafür zu stärken, dass die Opfer nicht gleich stark den Medien gegenüberstehen, sondern schon angesichts der zersplitterten Rechtsord­nung vor einer Problematik stehen, die sie schwer in den Griff bekommen können, wenn sie nicht professionelle Hilfe haben.

Ein ganz wichtiger Aspekt ist schon angesprochen worden. Die Opfer, von denen wir hier jetzt in erster Linie sprechen – ich spreche jetzt nicht von Politikern als Opfer, die sich darüber aufregen, wenn ihre Persönlichkeitsrechte sozusagen einmal verletzt wer­den, was durchaus strittig sein kann –, sind Opfer von Kriminalfällen. Diese müssen verstärkt Hilfe bekommen, damit sie überhaupt zu ihrem Recht kommen. Das Hauptde­fizit sehe ich darin, dass sie gar nicht zu Gericht gehen. Die meisten Ansprüche wer­den gar nicht verfolgt. Somit stehen wir vor der Situation, dass von den Gerichten gar keine Strafen verhängt werden können, weil die Opfer ihr Recht gar nicht in Anspruch nehmen. Wenn eine wirksame Prozessbegleitung stattfinden würde, die sich auch auf diese medienrechtlichen Fragestellungen ausdehnen würde, dann wäre das ein ganz wichtiger erster Schritt. – Das soll man einmal sehen.

Der zweite Punkt ist sicher, dass die Gerichte den Strafrahmen zu wenig ausschöpfen. Ich war schon auch einige Male in der Situation, in der Betroffene mit sehr, sehr gerin­gen Beträgen abgespeist worden sind. Das ist sehr unbefriedigend. In Deutschland zum Beispiel hat sich die Rechtsprechung für Verstöße so etwa bei 10 000 € bis 15 000 € eingependelt. Das wird in Österreich nicht judiziert. Also hier wäre schon auch die Rechtsprechung gefordert. Ob man einen zusätzlichen Anreiz schafft, dass die Rechtsprechung großzügiger wird, indem man die Höchstgrenzen überhaupt ab­schafft oder sozusagen erweitert, darüber kann man diskutieren, aber bitte in aller Ru­he. Auch ich bin gegen Anlassgesetzgebung. Man soll sich das sehr gut überlegen.

Einen Aspekt möchte ich auch erwähnen – eine sehr unbefriedigende Situation. Ich komme noch einmal auf das fehlende Bewusstsein im Zusammenhang mit dem Opfer­schutz zu sprechen. Besonders drastisch wirkt sich das bei der Behördenarbeit, bei der Polizeiarbeit aus. Es ist wirklich erschreckend und bestürzend, was hier preisgegeben wird – offenbar aus mangelnder Professionalität, offenbar aus Überforderung, ich möchte hier gar keine böse Absicht unterstellen. Jedenfalls bedarf es da dringend Schulungsmaßnahmen, einer entsprechenden Professionalisierung auch auf dieser Ebene.

Ich finde, man kann von den Medien nicht erwarten, dass sie etwas nicht bringen, wenn es einmal im Rahmen einer Pressekonferenz verlautbart wurde. Das kann man einfach nicht verlangen. Die Medien berichten natürlich, und man kann von ihnen nicht verlangen, dass sie noch einmal prüfen, worüber davon sie berichten dürfen und worü­ber nicht.

Also hier würde ich mir sehr wünschen, dass es Verbesserungen und auch einen Rechtsschutz gibt. Denn was passiert, wenn die Behörden, die Polizei oder andere, persönliche Details preisgegeben haben? Wie kann sich das Opfer dagegen wehren? Also diesbezüglich sollten wir auch Überlegungen anstellen.

Abschließend: Ich würde mir sehr wohl eine höchstgerichtliche Kontrolle wünschen. Ich erwarte mir von einer höchstgerichtlichen Kontrolle, dass in Zukunft die sehr, sehr schwierigen Abwägungsfragen im Einzelfall besser gelöst werden können, dass eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung stattfindet. Es ist unerträglich für uns Medienan­wälte in der Beratung, dass wir eigentlich nicht vorhersehen können, wie die Fälle ent­schieden werden. Das ist ein unzumutbares Prozessrisiko, das für Betroffene mit doch enormen Kosten verbunden ist, und das ist, finde ich, auch ein sehr unerträglicher Zu­stand. Man müsste sich schon auch überlegen, wie man da in Zukunft mehr Rechtssi­cherheit schafft. – Danke.

10.58


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Ich bedanke mich für Ihren Beitrag.

Ich darf nun Herrn Rechtsanwalt Dr. Hübner das Wort erteilen.

 


10.58.22

Dr. Johannes Hübner (Rechtsanwalt; Wien)|: Ich möchte angesichts der Ausführungen der Kollegin Windhager, die sehr rigoros für den Opferschutz eingetreten ist, noch ein­mal ganz an den Anfang zurückkommen, nämlich zum ersten Referat von Professor Berka, zu seinen Ausführungen zur Frage des von ihm sogenannten verfassungsrecht­lich gewährleisteten Rechtes und der Pflicht der Medien, über Kriminalfälle zu berich­ten. – Das ist im Prinzip vorhanden und richtig, ist aber so auch wieder zu generell.

Ich glaube, man sollte das Recht und die Pflicht und die Notwendigkeit, über Kriminal­fälle zu berichten, spalten. Es gibt einen Teil, wo ich zugebe, da muss den Medien weitgehend freie Hand gelassen werden, und das ist der Teil, der in die öffentliche Sphäre hineinspielt, wenn es um öffentliche Gelder geht oder wenn öffentliche Perso­nen oder Personen, die sich selbst in die Öffentlichkeit begeben haben, wie etwa im BAWAG-Prozess, involviert sind. Da ist es klar, da muss man die Schutzschwelle für die Betroffenen, für die Opfer und auch für die Täter – man muss auch die Täter immer wieder als Opfer der Medien sehen –, sehr niedrig ansetzen.

Aber wir haben ein zweites Paket, und darum – so verstehe ich die Tagesordnung – geht es heute im Wesentlichen: jene Menschen, die wirklich reine Privatpersonen sind; „rein“ im Sinne von: Menschen, die nicht in die Öffentlichkeit hineinspielen, die nicht der Öffentlichkeit angehören, die keine Promis sind und dergleichen. Da kann man, glaube ich, das mediale Recht und die mediale Pflicht auf Information der Öffentlichkeit so generell nicht stehen lassen. Es mag wohl sein, dass es erforderlich ist, über wichti­ge Kriminalfälle zu berichten, aber es ist meiner Ansicht nach sicher nicht so, dass es dazu erforderlich ist, die ganze Geschichte zu personalisieren und emotionalisieren.

Natürlich, wenn man das jetzt demokratisch ansieht, was die Öffentlichkeit möchte, dann müsste ich darüber geistig abstimmen, und dann würde ich zur Conclusio kom­men, dass es für die Öffentlichkeit wichtiger ist, ob der Opa F. sexuelle Beziehungen mit seiner Enkelin K. gehabt hat. Das interessiert sicherlich weit mehr als die Enquete und viele Details aus dem BAWAG-Prozess.

Aber da sind wir genau dort, wo wir sagen müssen, da müssen wir uns auch als Demo­kratie und als Öffentlichkeit selbst zensurieren und sagen – wir mögen noch so viel Sensations- und Begeilungspotenzial und -interesse haben, und als Medium mögen wir noch so viel Geschäftsinteresse haben, dieses Interesse zu befriedigen –: Das darf nicht sein!

Wenn wir diese Disziplin nicht aufbringen, dann kommen wir dazu, dass wir Personen wirklich auf Dauer zerstören. Und wenn ich in der Zeitung, wenn auch mit verwasche­nem Bild, aber mit Geburtsdatum, Vor-, Zunamen, Adresse und so weiter, als „Inzest-Kind“ beschrieben bin, dann ist mir eine Rückkehr in das allgemeine Leben nur nach einer Änderung der Persönlichkeit, das heißt einer Änderung des Namens, wahr­scheinlich nur nach einer Auswanderung möglich.

An diesem sicher sehr extremen Beispiel der Familie F. kann man allgemein sehen, dass wir hier viel zu weit gegangen sind in der Befriedigung des Sensationsbedürfnis­ses – nicht nur in Österreich, das ist im Ausland teilweise viel schlimmer – und dass wir hier zu klaren und allgemein verbindlichen Regelungen kommen müssten. Und da ist sicherlich Reparaturbedarf der gesetzlichen Bestimmungen vorhanden. Wir brauchen Bestimmungen, die das einfach untersagen, die die Medien verpflichten, in der Bericht­erstattung über Kriminalfälle der rein persönlichen Sphäre – und das ist natürlich der heute in den Medien berichtete Fall genauso wie der Fall K. und der Fall F. – zu anony­misieren, und zwar in einer Weise zu anonymisieren, dass auch nicht für die größere Umgebung der Rückschluss auf die Identität möglich ist. Es darf dann auch nicht ste­hen, dass die Betreffenden in der Ybbsstraße wohnen, und so weiter.

Durch welche Änderungen im Gesetz wir das in den Griff bekommen, ist natürlich eine sehr schwierige Frage.

Ich möchte noch ganz kurz die Vorschläge, die heute gemacht worden sind, streifen. Da ist der Presserat genannt worden, und ich glaube, da hat Kollege Korn durchaus recht: Das ist ein Alibi, das gar nichts bringt, denn der Presserat wird natürlich von den Medien im Wesentlichen beschickt, organisiert, benutzt von den Medien, die eigentlich kontrolliert werden sollen. Und da ist schon aufgrund der wirtschaftlichen Interessen ein großer Druck da, diese Kontrolle nicht in dem Sinne auszuüben, wie ich es ange­regt habe, weil natürlich für die Verkaufszahlen ein Fall F. oder ein Fall K. Gold ist. Je­des Medium würde massiv gegen seine eigenen wirtschaftlichen Interessen oder die des Verlegers oder Aktionärs handeln, wenn es sich solche Themen „abschießt“.

Nicht denkbar ist für mich auch, dass etwa eine staatliche Qualitätskontrolle eingeführt wird im Zusammenhang mit der Presseförderung, denn das würde wiederum dazu füh­ren, dass der Staat seine Medien bevorzugt oder benachteiligt. Also über dieses Wort „Qualitätskontrolle“, das natürlich nur ein Gummiwort sein kann und das nicht wirklich definierbar ist, könnte wieder eine arbiträre Zuteilung von Mitteln nach politischen Ge­fälligkeiten erfolgen. Davor sollten wir uns hüten. Der Staat sollte eine solche Kontrolle im Rahmen seiner Verwaltung natürlich nicht ausüben.

Was bleibt, was ich mir vorstellen könnte, ist, dass man generell zum Beispiel verbie­tet, geheime Unterlagen, also Unterlagen und Dokumente, die einer Geheimhaltungs­pflicht unterliegen, zu veröffentlichen. Das könnte generell verboten sein. Die Veröf­fentlichung eines vertraulichen Vorberichtes des Rechnungshofes – ich nehme jetzt ir­gendein Beispiel, damit ich vom Fall F. wegkomme – ist natürlich sehr problematisch. Das kommt irgendwie heraus, wie, wissen wir nicht, jedenfalls nicht auf legale und or­dentliche Art, und steht in den Medien. Wenn wir hier eine klare Regelung hätten, dass es den Medien untersagt ist, Dinge und Dokumente zu publizieren, die geschützt sind, dann wären wir sehr viel weiter.

Und da komme ich zu einem zweiten Punkt. Wenn wir solch klare Vorschriften und Re­gelungen hätten, dann könnten wir auch eine öffentliche Verfolgung, eine öffentliche Disziplinierung der Medien nach klaren rechtsstaatlichen Richtlinien ermöglichen, denn dann könnte, sei es jetzt straf- oder verwaltungsrechtlich, das Medium auch von der öf­fentlichen Hand zur Verantwortung gezogen werden. Und das ist ein Faktum, das kei­ner Auslegung bedarf. Wenn geheime Dokumente drinnen stehen, wenn Fotos von Opfern, teilweise auch von Tätern in den Medien abgedruckt werden oder wenn Daten, die eigentlich anonymisiert werden sollen, nicht anonym gebracht werden, dann könnte es eine öffentliche Verfolgung geben.

Das ist meiner Meinung nach – da schließe ich wieder an die Kollegin Windhager an – sehr wichtig, weil der Einzelne bei der Verfolgung seiner Ansprüche, vor allem wenn er einer geschlossenen Medienfront gegenübersteht, überfordert ist. Man muss eines se­hen: Abgesehen davon, dass die Leute nicht die Kenntnisse, nicht die finanziellen Res­sourcen haben, stehen Sie ja oft auch unter einem Druck der Medien, die ja – das weiß ich aus persönlichen Vertretungsfällen – indirekt andeuten, dass es noch viel schlim­mer wird, wenn man sich zur Wehr setzt. Wenn man hier Verfahren einleitet, dann be­kommt man Vergleichsanbote und Drohungen, die man sich gar nicht vorstellen kann.

Das führt dazu, was Kollegin Windhager gesagt hat, dass viele Sachen gar nicht ge­richtsanhängig werden und damit überhaupt nicht verfolgt werden, weil die Leute, um noch Schlimmeres zu vermeiden, das scheinbar Gelindere, nämlich das, was schon in den Medien gestanden ist und noch stehen wird, hinnehmen.

Ich bitte daher, wenn es Überlegungen in die Richtung gibt, auch das einzubeziehen, dass man hier zu einer Art von öffentlicher Verfolgung kommen muss. – Danke.

11.06


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Ich bedanke mich auch für Ihren Beitrag und insgesamt für die Zeitdisziplin.

Ich unterbreche jetzt die Enquete bis 11.30 Uhr und ersuche Sie, um 11.30 Uhr pünkt­lich wieder hier zu sein, damit wir dann in die allgemeine Diskussion einsteigen kön­nen.

*****

(Die Sitzung wird um 11.07 Uhr unterbrochen und um 11.33 Uhr wieder aufgenom­men.)

*****

 


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Ich nehme die Sitzung wieder auf.

Allgemeine Diskussion

 


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Als Ersten darf ich Herrn Mag. Bauer ans Rednerpult bitten.

 


11.35.36

Mag. Franz C. Bauer (Gewerkschaft Druck, Journalismus, Papier)|: Geschätzte Kolle­ginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zunächst muss ich dafür um Ent­schuldigung bitten, dass meine Ausführungen sicher länger dauern werden. Ich bin im­merhin der erste Betroffene, nämlich Journalist. Die Journalistengewerkschaft, das ist nur das eine Leben, ich bin Redakteur von „trend“ und „profil“ in meinem anderen Le­ben, und das ist für mich das Wichtigere.

Als Betroffener zunächst einmal: Natürlich bekennen wir als Journalistinnen und Jour­nalisten uns zum Thema Opferschutz, zu all diesen Dingen, die wichtig sind. Ich tue mir allerdings ein bisschen schwer, wenn hier zum Thema Opferschutz über ein Bild geredet wird. Da gibt es einen Menschen, der nichts dabei findet, ein Bild von sich in einem Rüscherl-Nachthemd in ein Hochglanzmagazin hineinzustellen, aber wenn er am Flughafen fotografiert wird, dann findet er das nicht mehr so klass. Dies in Zusam­menhang mit Opferschutz zu sehen ist ein bisschen problematisch.

Das Thema Opferschutz soll auch nicht dazu missbraucht werden – auch davor möch­te ich warnen –, Berichterstattung, investigative Berichterstattung generell unmöglich zu machen. Thema: Zitieren aus nicht veröffentlichten Protokollen. Die Causa Klein­dienst wäre so nicht aufgeflogen; eine sehr unangenehme Geschichte. Also glaube ich, man muss hier sehr wohl versuchen, auf Grenzen zu achten.

Wenn wir das Thema Opferschutz diskutieren, dann gibt es hier zwei Ebenen, die in­volviert sind. Die eine Ebene sind die Medienunternehmen, die andere Ebene sind die­jenigen, die in diesen Medienunternehmen arbeiten. Die Unternehmen – das ist ange­sprochen worden – haben kommerzielle Interessen. Diese kommerziellen Interessen sind nachvollziehbar, und wenn man den Opferschutz sinnvoll betreiben möchte, dann wird man wohl dort ansetzen müssen.

Der Zeitpunkt, zu dem wir hier diskutieren, ist ein bisschen seltsam. Denn dass wir ausgerechnet jetzt über das Thema diskutieren, kommt mir ein bisschen improvisiert vor. Es ist nicht notwendig, irgendetwas zu ändern, denn all das, was wir in den Zeitun­gen sehen und warum wir uns hier jetzt zusammenfinden, ist bereits jetzt verboten! Darüber brauchen wir gar nicht zu reden, das sind Dinge, die bereits nach der jetzigen Gesetzeslage nicht möglich wären. Die Frage ist: Warum wird es nicht umgesetzt?

Es gibt hier eine zweite Ebene, die ebenfalls involviert ist. Das ist, wie gesagt, die Ebe­ne der Betroffenen, ich möchte bei dieser Ebene beginnen. Wenn wir in Medien Me­dienmitarbeiterinnen und -mitarbeiter haben, die durch keine Redaktionsstatuten ge­schützt sind und denen der sozialrechtliche, arbeitsrechtliche Schutz widerrechtlich vorenthalten wird, dann haben wir eine Kaste von Schreibsklaven, die dem Druck der Unternehmer wehrlos ausgesetzt sind. Das heißt, es ist wichtig – und man kann das hier nicht übersehen –, dass man dort einmal ansetzt.

Die zweite Sache ist die Ebene der Unternehmen. Da muss man sich fragen: Wenn es jetzt rechtlich nicht funktioniert, gibt es vielleicht eine andere Möglichkeit? – Diese gibt es, sie ist angesprochen worden: der Presserat! Ich bin nicht der Meinung, dass der Presserat zahnlos war, aber ich glaube, dass die Versuche, die wir jetzt unternehmen, um ihn zu revitalisieren, ihn noch wesentlich schärfer machen werden.

Warum hat solch ein Selbstkontrollmedium eine bessere Möglichkeit, Dinge umzuset­zen? – In Wirklichkeit läuft jeder Schadenersatz auf eine Lösung hinaus, die auf einer anderen Ebene stattfindet, nämlich auf einer materiellen Ebene für den Betroffenen. In Wirklichkeit ist es den Unternehmen – das ist angesprochen worden – wahrscheinlich egal, ob 5 000, 10 000 oder 20 000 € an Schadenersatz verhängt werden.

Was wehtut, ist die Verurteilung in der Öffentlichkeit durch die eigene Branche! Wenn ein Presserat in der Öffentlichkeit sagen kann – und das wird widerspruchslos trans­portiert, das wird unkommentiert geschrieben –, dass hier unsauber gearbeitet wurde, dann tut das wirklich weh. Ich glaube, das ist ein Versuch, den wir gemeinsam unter­nehmen werden, um hier eine Umsetzung der Sprüche des Presserats auch zu errei­chen.

Wenn darüber hinaus auch materielle Sanktionen damit verbunden sein könnten – es wurde auch hier bereits erwähnt, Presseförderung, aber auch Inserate aus dem Um­kreis öffentlicher Unternehmen –, dann ist das eine zweite Sache, die wahnsinnig weh­tut.

Ich glaube daher, dass es durchaus möglich ist, auf der Basis einer Selbstregulierung, einer Selbstkontrolle hier eine nennenswerte Verbesserung zu finden.

11.39


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Ich bedanke mich.

Als Nächsten darf ich Herrn Dr. Laszlo um seinen Beitrag ersuchen.

 


11.40.21

Dr. Herbert Laszlo (Vizepräsident des Österreichischen Journalisten Clubs)|: Meine Herren Abgeordnete! Meine Damen und Herren! Ich stehe hier ... (Abg. Mag. Kuntzl: Es gibt auch Damen Abgeordnete! – Ruf: Es gibt auch weibliche Abgeordnete!) – Ent­schuldigung! (Abg. Rauch-Kallat: Es gibt auch „zufällig“ Damen Abgeordnete! – Weite­re Zwischenrufe.) Pardon! (Abg. Rauch-Kallat: Darauf legen wir Wert! – Abg. Dr. Jaro­lim – zu dem in Richtung Ausgang gehenden Abg. Morak –: Kollege Morak verlässt aus Protest den Saal! – Heiterkeit.) Entschuldigung!

Also: Meine Damen und Herren Abgeordnete! Meine Damen und Herren! Ich stehe hier stellvertretend für 4 500 Personen – geschlechtsneutral gesagt –, die durch Redak­tionsbestätigung, Impressum oder Arbeitsbelege nachgewiesen haben, dass sie Jour­nalistinnen oder Journalisten sind. In deren Namen danke ich den VeranstalterInnen dieser Enquete dafür, dass wir hier spät, aber doch eingeladen wurden. Ich bitte aber alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Liste, zu denen unser Name noch nicht vorgedrungen ist, bei den hier teilnehmenden Organisationen den Österreichischen Journalisten Club nachzutragen.

Bei den vielen Sachen, zu denen wir gerne etwas beitragen, ist am wichtigsten, glaube ich, die kritische Stellungnahme zur Wiederbelebung des Presserates. Es ist nicht rich­tig, Fehler zu wiederholen. Der Fehler, der hier gemacht wird, ist wiederum, dass die größte Journalistenorganisation Österreichs, der Österreichische Journalisten Club, nicht eingeladen und nicht eingebunden wurde.

Wir sehen hier eine Gefahr aus der Sicht der Journalistinnen und Journalisten, nämlich die Gefahr, dass sich die Medienunternehmer und das Publikum auf dem Rücken der Journalisten einigen. Egal, was passiert: Schuld ist der Journalist! Was hier drohend am Horizont steht, ist die Wiedergeburt des Sitzredakteurs, an den sich einige Ältere vielleicht noch erinnern können. Das ist etwas, was der Österreichische Journalisten Club nicht dulden kann!

Unsere Bitte an alle, die hier damit zu tun haben, sowohl im Parlament als auch in den Ministerien, als auch an die Kollegen von den beiden Gewerkschaften: Bitte, binden Sie den Österreichischen Journalisten Club in Ihre Überlegungen ein! Wir haben etwas beizutragen, wir haben eine ganze Menge zu sagen, mehr, als man jetzt in diesem kur­zen Beitrag sagen könnte. – Danke.

11.43


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Danke für Ihre Ausführungen.

Ich darf nun Herrn Abgeordnetem Mag. Steinhauser das Wort erteilen.

 


11.43.56

Abgeordneter Mag. Albert Steinhauser (Grüne)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Zwei Punkte sind hier angesprochen worden, die zu Widerspruch anregen. Das eine ist der Vorwurf der Anlassgesetzgebung. Ich glaube, wir müssen anhand der letzten Bei­spiele einfach feststellen, dass es möglicherweise Schutzlücken gibt beziehungsweise bestehende Bestimmungen nicht ausreichend greifen. Das dem Parlament als Anlass­gesetzgebung vorzuwerfen verstehe ich nicht. Ich glaube, es ist unsere Aufgabe, dann, wenn sich solche Lücken oder Problemstellungen auftun, darauf zu reagieren.

Der zweite Vorwurf, der schon via Medien ausgerichtet wurde, ist: Es wird bei dieser Enquete nichts herauskommen! – Das sehe ich auch nicht ganz so. Es gibt eine Reihe von Vorschlägen, die hier auf dem Tisch liegen, und ich möchte auch dazu Stellung nehmen, um als Parlamentarier dazu beizutragen, dass wir etwas weiterentwickeln können.

Es ist vorgebracht worden, die Höchstgrenze der Entschädigungszahlungen hinaufzu­setzen beziehungsweise überhaupt aufzumachen. Die Frau Bundesminister hat auch gesagt, das könnte möglicherweise eine präventive Wirkung haben. Wir müssen fest­stellen, dass das Hauptproblem im Moment nicht der Rahmen ist, sondern dass die Gerichte zu wenig zusprechen, und es stellt sich die Frage, ob allein die Erhöhung des Rahmens der Entschädigungszahlungen diese Praxis ändern wird. Wenn sich die Pra­xis nicht ändert, dann ist das der befürchtete Placebo-Effekt, der keinen Nutzen hat. Das heißt, es wäre sinnvoll, in einer weiteren Runde darüber zu diskutieren, was wir le­gistisch tun müssen, damit sich möglicherweise die Judikatur in diesem Bereich befrie­digend verändert.

Ein zweiter Punkt, der genannt wurde und den wir massiv unterstützen, ist die Frist zur Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen nach dem Mediengesetz. Es ist an­gesprochen worden, dass das eine Sechsmonatsfrist ist. Alle Expertinnen und Exper­ten im Bereich der Opferarbeit sind sich einig, dass aufgrund der Traumatisierung von Opfern diese Frist viel zu kurz ist, weil in den ersten sechs Monaten für Opfer ganz an­dere Probleme relevant sind. Daher glauben wir, dass diese Frist im Rahmen einer No­vellierung auf drei Jahre erweitert werden sollte.

Auch ein Punkt, den wir natürlich unterstützen, ist eine wirksame Prozessbegleitung von Opfern im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen mit Medien. Auch wenn es da eine Erweiterung des Angebots gibt – die Frau Bundesminister hat es angedeutet –, werden wir das gerne unterstützen.

Wir glauben auch, dass wir über den Angehörigen-Begriff im Mediengesetz noch ein­mal diskutieren sollten. Die Frage ist, ob dieser nicht in manchen Punkten etwas zu eng gefasst ist. Damit Sie wissen, was ich meine, möchte ich Ihnen ein Beispiel brin­gen: beispielsweise die Eltern, die ein Unfallopfer, das ihr Kind ist, in einer Zeitung ab­gelichtet sehen. Da stellt sich die Frage, ob es nicht für diese Angehörigen im Medien­gesetz einen Schutz geben sollte.

Stichwort Presserat: Natürlich begrüßen wir die Einführung des Presserats. Selbstrefle­xion, Selbstregulierung – es ist genannt worden –, Selbstverpflichtung sind wesentliche Bestandteile, und wenn es hier Bewusstsein und Verantwortung gibt, ist dies wichtig.

Es sind jedoch, glaube ich, zwei Dinge notwendig, damit der Presserat erfolgreich sein kann. Zum einen gehört dazu, dass auch die Boulevardmedien einbezogen sind. Es nützt nichts, wenn sich die sogenannten – ich möchte jetzt hier keine Wertung vorneh­men –, selbst ernannten seriösen Medien zusammensetzen und der Boulevard ausge­spart bleibt. Genau den brauchen wir dabei, er muss beim Presserat mitmachen. Das Zweite ist: Wir brauchen die elektronischen Medien dabei, die immer mehr an Bedeu­tung gewinnen.

Warum diese Selbstreflexion und Selbstverantwortung so wichtig ist, zeigt sich, wenn man ein bisschen mit Journalisten diskutiert, die im Boulevardbereich tätig sind. Sie be­gründen ihre Berichterstattung teilweise damit, dass beispielsweise die Berichterstat­tung über Übergriffe auf Kinder zu einer Sensibilisierung führen. Das mag zwar stim­men, aber die Namensnennung und das Zeigen des Bildes ist dafür absolut nicht not­wendig.

Ein weiterer Punkt, der von der Frau Innenminister angesprochen wurde, ist ganz zen­tral: Das ist der Umgang der Behörden mit Opfern. Wenn jeder Postenkommandant Auskünfte gibt, dann kann das nicht gut gehen. Hier braucht es einerseits Schulungen und andererseits klare Regelungen, wer gegenüber den Medien Auskünfte geben darf und welche Auskünfte das sein sollen. Dieser Wildwuchs, den es da in zwei Fällen, Fall F. und Fall K., gegeben hat, ist beängstigend, weil der einfache Postenkomman­dant – und das werfe ich ihm nicht vor – ja gar nicht in der Lage ist, abzuschätzen, wel­che Informationen, die an Medien weitergegeben werden, was bewirken.

Auch unterstützen wir die Debatte in Richtung Schutzzonen. Das Wichtigste, was Kri­minalitätsopfer in einer ersten Phase brauchen, sind Ruhe und Stabilität. Der Schutz vor Paparazzi – das hat ja nichts mit Meinungs- und Pressefreiheit zu tun, wie uns der Fall in Amstetten gezeigt hat – ist da ein notwendiger Beitrag. Wenn Schutzzonen das sein können, werden wir das gerne unterstützen.

Einen Punkt möchte ich, auch wenn ich schon über der Redezeit bin, noch anspre­chen, dem wir nicht näher treten wollen, das ist der Ansatz von Rechtsanwalt Dr. Hüb­ner, der vorgeschlagen hat, man solle verbieten, dass bestimmte geheime Dokumente abgedruckt werden. – Das halte ich für problematisch, weil da schon einmal die Fragen zu stellen sind: Was sind Geheimdokumente? Kann das ein Journalist wissen? Wer bewertet das?

Letzter Satz: Ich glaube, dass das überbordend ist und in Wirklichkeit dazu führt, dass Journalisten, die berichten, mit einem halben Bein im Kriminal stehen. Das wird auch zu etwas führen, was ich für problematisch erachte, nämlich zu einer mittelbaren Zen­sur, zu einer Selbstzensur, wenn Journalisten übervorsichtig schreiben müssen, um nicht strafgesetzlich belangt zu werden. Ich glaube, dass das gut gemeint ist, aber eine Entwicklung einleiten würde, die ich nicht begrüßen möchte. – Danke.

11.49


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Ich bedanke mich und darf als Nächsten Herrn Mag. Waiglein ans Rednerpult bitten.

 


11.49.42

Mag. Harald Waiglein (Bundesministerium für Finanzen)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin in der glücklichen Lage, dieses Thema von drei Seiten zu kennen. Ich war viele Jahre beim ORF als Redakteur beschäftigt, habe auch einige Jahre bei einem Printmedium als stellvertretender Chefredakteur gearbeitet und bin seit Jahres­beginn für die Pressearbeit des Bundesministeriums für Finanzen zuständig. Ich möch­te gerne etwas Konkretes zu dieser Enquete beitragen, was dann vielleicht auch dazu führt, dass am Ende ein konkretes Ergebnis dasteht. Es ist angesprochen worden: Die Mitglieder der öffentlichen Verwaltung, die Medienkontakte haben, bewegen sich in einem Spannungsfeld, einem Spannungsfeld zwischen Amtsgeheimnis, dem Medien­recht und – in meinem Ressort, möchte ich hinzufügen – auch der abgabenrechtlichen Geheimhaltungspflicht. Ich glaube, dass es im Einzelfall für die Leute, die Medienkon­takte haben, überhaupt nicht einfach ist, abzuschätzen, was sie mit Aussagen mitunter bewirken.

Jetzt kann man sagen: Gut, das müssen besonders geschulte Leute machen, das dür­fen nur bestimmte Leute machen. Ich glaube trotzdem, dass die Anforderungen, die da an einzelne Personen gestellt werden, sehr hoch sind, weil medienrechtlich – wie alle Experten wissen – konkrete Fragestellungen oft sehr schwierig zu beantworten sind.

Ich möchte daher folgende Anregung geben – vielleicht wird sie aufgegriffen –: Was spricht dagegen, eine Einrichtung auf Verwaltungsebene zu schaffen, die als schnelle Anlaufstelle auch über medienrechtliche Dinge Auskunft geben kann?

Man müsste solch eine Stelle gar nicht erfinden. Es gibt die Finanzprokuratur, die sol­che Fälle, wenn sie dann auch Haftungsfragen des Bundes betreffen, ohnehin vor Ge­richt vertreten muss, die also auch einiges an medienrechtlichem Know-how hat. Ich würde es begrüßen, wenn man solch eine Stelle schaffen würde. Ich glaube, es würde auch den Bediensteten an der Front der öffentlichen Verwaltung helfen, im Einzelfall, wenn schnelle Auskunft gefragt ist, zumindest ein Backup zu haben, eine Richtlinie, wie man sich verhalten soll.

Ein zweiter Punkt, der mir in meiner Tätigkeit aufgefallen ist, betrifft auch die abgaben­rechtliche Geheimhaltungspflicht, das Steuergeheimnis. Da fallen mir merkwürdige Bruchstellen auf, nämlich dann, wenn es Überschneidungen mit der Justiz gibt. Es ist angesprochen worden: Sobald ein Fall bei der Staatsanwaltschaft liegt – und sei es, dass es eine anonyme Anzeige ist –, muss der Staatsanwalt, wenn er von einem Me­dium gefragt wird, Auskunft geben, da liegt eine Anzeige vor, da wird untersucht, und zwar auch mit dem Namen des Betroffenen.

Auf diese Idee kämen wir in der Finanzverwaltung nicht. Wir bekommen auch jede Menge Anzeigen in Steuerfragen; das sind typische Fälle betreffend Scheidung oder Konkurrenten, die man bei der Finanz anzeigt – die Kalkulation kann sich ja nicht aus­gehen, bitte schaut euch das näher an. Das ist für uns ein ganz klarer Fall, dass das unter das Steuergeheimnis, unter die abgabenrechtliche Geheimhaltungspflicht fällt.

Wir müssen feststellen: Sobald solche Fälle in die gerichtliche Zuständigkeit kommen und bei der Staatsanwaltschaft liegen, gibt es die abgabenrechtliche Geheimhaltungs­pflicht nicht mehr, weil dann der Staatsanwalt Auskunft geben muss. (Abg. Ing. Wes­tenthaler: Steht alles in den Zeitungen!) Das halte ich für merkwürdig. Ich glaube,
dass man das durchaus überdenken könnte. – Danke. (Abg. Ing. Westenthaler: Wie Schweizer Käse!)

11.53


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Ich bedanke mich für Ihren Beitrag und darf nun Herrn Chefredakteur Reitan das Wort erteilen.

 


11.53.21

Claus Reitan (Verein der Chefredakteure)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Erstens: Danke! – Wofür? – Für diese Enquete. Sie ist überfällig, und dafür kann man auch ger­ne einiges an Wiederholungen in Kauf nehmen.

In gebotener Kürze: Die angesprochene Vereinheitlichung in der Gesetzeslage – jene der Rechtsprechung stünde nicht einmal dem Staat zu – ist natürlich zu begrüßen.

Im Rücken der Journalisten befinden sich – immer unter Betonung des Opferschutzes, darum geht es, nicht um die gestrige Meldung, es werde einen Presserat geben – ge­radezu Bataillone an Stalinorgeln, und in Anwendung dieser Gesetze geht es um vie­lerlei Geschäftsinteressen, übrigens nicht nur um jene der Medien. Das auszuführen führte zu weit, das kann vielleicht bei der nächsten Enquete gemacht werden.

Das Wichtige ist hier der Opferschutz, und aus der Sicht der Journalisten erlauben Sie mir auch zum Stichwort Opfer einige Anmerkungen. Ich sage noch einmal: im Interesse der Opfer und unter Berücksichtigung des Opferschutzes – es sitzen einige Damen und Herren in der Runde, die sich hier sehr verdient machen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn ein Täter in einem Inzestfall bekannt gegeben wird, ist das Opfer bekannt. Wenn Sie einen Weg finden, das zu vermeiden: bitte An­ruf!

Wie schaut es in Fällen von Sorgerecht aus? – Wir erinnern uns an den Fall, als ein junger Bub in Salzburg abgeholt werden sollte, vom Unterhaltsverpflichteten zum Sor­geberechtigten. Desaströs! Das war ein Versagen der örtlich zuständigen Bezirks­hauptmannschaft bis hin zu den live übertragenden journalistischen Kollegen.

Wie verfährt man – ich weiß schon, Frau Windhager, dass der § 7a zwar die National­ratsversammlungen, aber nicht die Parlamentarischen Enqueten als Ausnahme im Identitätsschutz vorsieht – mit den Kindern vom Pöstlingberg und deren Schicksal? Glaubt jemand wirklich, dass es in einer nicht identifizierbaren, nicht über den unmittel­baren Kreis der Betroffenen hinausgehenden Berichterstattung möglich ist, hier ein mögliches Behördenversagen der Vernachlässigung von drei Kindern aufzuzeigen? Wie soll das funktionieren?

Frau Bundesminister für Justiz, Sie machen sich – ich darf das sagen, obwohl es bei Journalisten unüblich ist – in der Tat verdient. Entwurf 2. Gewaltschutzgesetz: wie vor­gehen, ärztliche Anzeigepflicht ja/nein? Gäbe es die Anzeigepflicht, gibt es eine Infor­mationspflicht. Man studiere den Fall Luca; da gibt es eine Reihe von Versäumnissen. Wer hat sie zu vertreten? – Diese Fragen hat eine kritische, hat eine unabhängige Presse zu stellen. Das ist Public Watchdog. Public Watchdog ist keine Redewendung, sondern ERMK-Judikatur, von dort stammt die Begrifflichkeit – damit auch das klar ist.

Auch beispielsweise über Kunstfehler wird wohl schwer zu berichten sein. Das heißt nicht, Opfer bloßzustellen, das heißt nicht, Opfer auszubeuten, das ist keine Sekundär­viktimisierung. Aber es gibt ernsthafte Fälle, in denen sich ernsthafte Journalisten, von denen es sehr viele gibt, in der Tat bemühen, die möglichen Fragen, die zulässigen Fragen nach Vernachlässigungen, nach Verletzung von Pflichten durch Behörden zu stellen. Das muss möglich sein; ich bitte Sie, das zu berücksichtigen.

Auf ein Wort zum Presserat – 1 Minute noch, wenn Sie gestatten –: Was Deutschland 1956 geschafft hat, haben wir 1960 geschafft. Die Bundesregierung drohte der Presse mit einer Verschärfung des Pressgesetzes, kurz darauf gab es den Presserat. Die da­mals Beteiligten haben sich binnen Jahresfrist über die gemeinsame Führung zerstrit­ten.

Sehr geehrte Damen und Herren! Was es in Deutschland zum Stichwort Presserat gibt, ist dessen Förderung. Das gibt es in Österreich nicht – bitte auf den Tisch! Was es in Österreich gibt, aber in Deutschland nicht, ist eine Sonderbesteuerung der Werbebran­che; die kann man dafür im Gegenzug abschaffen. Also: Wer hier über Presseräte und Modelle spricht, bitte klar in allen Aspekten! – So viel vorerst. Danke.

11.57


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Ich bedanke mich für Ihren Beitrag und Ihre Zeitdisziplin.

Ich darf nun Herrn Universitätsprofessor Dr. Hummel um seinen Beitrag bitten.

 


11.57.42

Univ.-Prof. Dr. Roman Hummel (Universität Salzburg; Institut für Kommunikations­wissenschaft)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben heute Vormittag sehr viel über medienrechtliche Verschärfung gesprochen und gehört. Ich denke, wenn wir die­ses Spannungsfeld zwischen Pressefreiheit/Medienfreiheit auf der einen Seite und Per­sönlichkeitsschutz auf der anderen Seite sehen, muss man hier auch davon ausgehen, dass beide Grundrechte missbraucht werden können. Es ist ein Problem, wenn wir durch eine zu starke Regelung auch die Medienfreiheit potenziell einschränken kön­nen. Daher – und das ist zum Teil auch hier angeklungen – müssen wir das auf ver­schiedenen Ebenen betrachten.

Auf der einen Seite ist es ganz klar: Es gibt Extremfälle. Die Medienfreiheit muss in be­stimmten Weisen dort beschränkt werden, wo Medien ihre eigene Aufgabe im Sinne der Herstellung von Öffentlichkeit nicht wahrnehmen beziehungsweise reinen Ge­schäftsinteressen dienen und hier Opfer schaffen beziehungsweise Opfer, die durch Kriminalfälle leider Gottes entstanden sind, auch noch weiter in ihrer Opferrolle be­schädigen.

Daher denke ich, dass es ein abgestuftes Verfahren geben muss. Auf der einen Seite geht es um ein Mediengesetz, und da kann man darüber diskutieren, ob man hier die Deckelung von 20 000 € belässt oder möglicherweise doch – auch das ist hier ange­klungen – im Sinne einer Abschöpfung von Aufmerksamkeitsgewinnen, die dann natür­lich auch pekuniäre Gewinne sind, diese in eine solche Novellierung mit hereinnimmt.

Auf der anderen Seite braucht es aber eine Selbstkontrolle – der Presserat ist hier schon mehrmals angesprochen worden –, und eine Selbstkontrolle der Journalistinnen und Journalisten kann nur die Kontrolle dieser Leute, die Berufsausübende sind, selbst sein. Damit sind wir auch im Einklang mit internationalen Regelungen. Die Internationa­le der Journalisten, die IFJ, sieht ganz klar vor, dass in Berufsangelegenheiten nur Journalistinnen und Journalisten selbst tätig werden sollen. Das heißt: Man kann sich durchaus vorstellen, es im Sinne einer Koregulierung zu sehen, dass der Staat, dass die Gesetzgebung Anreize gibt, dass beispielsweise in Fällen, in denen sich Medien einer solchen Selbstkontrolle unterwerfen, geringere Entschädigungssätze fällig wer­den, also mildernde Umstände geltend gemacht werden können. Gerade vorhin ist vom Kollegen Reitan angesprochen worden, dass es dazu auch eine Förderung geben kann. All das ist sinnvoll. Es ist sinnvoll, dass der Berufsstand selbst, dass den Journa­listinnen und Journalisten selbst – und um diese geht es, nicht um die Medienbetriebe in erster Linie, sondern um die Leute, die die Berichte schreiben – auch eine Förderung zu dieser Selbstkontrolle gegeben wird.

Letztlich geht es auch – das war ein Gedanke, den ich jetzt aufgreife – um eine Ver­besserung, um eine Veränderung der Kultur. Es geht um gesellschaftliche Ethik, nicht nur um journalistische Ethik. Ich denke, dass auf dem Gebiet öffentliche Institutionen auch gefordert sind, denn – ob jetzt im Herbst oder etwas später – der nächste Wahl­kampf kommt ganz sicher. Man könnte sich doch überlegen, ob Medien, die konse­quent gegen bestimmte medienethische Grundsätze verstoßen, wirklich auch mit Wer­bung vor allem aus dem öffentlichen Sektor bedacht werden sollen. Ich denke, dass auch im Sinne einer Zivilgesellschaft vor allem der öffentliche Sektor, aber darüber hi­naus natürlich auch der private Sektor eine zivilgesellschaftliche Aufgabe hat und darü­ber nachdenken müsste, ob denn die eigenen Werbebotschaften im Kontext eines Me­diums, das konsequent vielleicht auch gesellschaftlich schädigende Einflüsse hat, ste­hen bleiben müssen. – Schönen Dank.

12.02


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Ich bedanke mich für Ihren Beitrag und darf nun Herrn Rechtsanwalt Mag. Pilz um seinen Beitrag ersuchen.

 


12.02.29

Mag. Michael Pilz (Rechtsanwalt; Wien)|: Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Meine Da­men und Herren! Es freut mich, dass auf dem Podium hinter mir heute Vormittag doch weitgehende Übereinstimmung der Standpunkte festgestellt werden konnte.

Lassen Sie mich daher eine Lanze brechen für etwas, das nicht so konsensual erörtert wurde, nämlich die Vereinheitlichung der mediengesetzlichen Ansprüche im Rahmen des Zivilrechtes. Ich erachte es als eine Achillesferse des österreichischen Medien­rechtes, dass sehr viele medienrechtliche Ansprüche einerseits im Mediengesetz, und das ist im Bereich des Strafprozesses, andererseits aber im allgemeinen Zivilrecht oder im Handelsrecht, zum Beispiel im Urheberrechtsgesetz, geregelt sind und vor den Zivil­gerichten geltend gemacht werden müssen.

Neben der für die Betroffenen schwierigen Geltendmachung vor verschiedenen ge­richtlichen Foren und der Möglichkeit und auch immer wieder vorkommenden Praxis unterschiedlicher Entscheidungen ist auch noch etwas besonders zu betonen, das heute noch nicht angesprochen wurde: Es gibt für so manchen Anspruch, der im Me­diengesetz geregelt ist, keinen zivilrechtlich parallel laufenden Unterlassungsanspruch. Das heißt, das Medium, das einen bestimmten Sachverhalt, der mediengesetzlich rele­vant ist, setzt, muss möglicherweise fürchten, dass es eine Entschädigungszahlung zu leisten hat, aber nicht, dass es zur Unterlassung verpflichtet werden kann.

Denken wir das zu Ende: Der Unterlassungsanspruch würde den Betroffenen in die La­ge versetzen, auch für künftige Verletzungen dieser Verpflichtung Exekution führen zu können. Das führt dann auch zu Strafen, die das Medium zu zahlen hätte, Geldstrafen, die im Übrigen dem Bund zur Verfügung stehen.

Damit wären wir auch bei einem Thema, das ich ein bisschen durchklingen höre in den Fragen, Punitive Damages, Aufhebung der Entschädigungsgrenze nach oben. Würde man da denn nicht jemanden unverhältnismäßig bevorteilen, wenn wir uns beispiels­weise die üblichen Verurteilungen zu Schmerzensgeldzahlungen der Zivilgerichte vor Augen halten? Damit wäre in diesem Punkt für die Gerichte vielleicht ein bisschen die Möglichkeit eröffnet, differenzierter vorzugehen.

Daher auch zum Zweiten: Entschädigungszahlungen. Ich halte das für ganz wichtig. Es geht um zivilrechtliche Ansprüche, und zivilrechtliche Ansprüche haben keinen Deckel nach oben, das kann daher theoretisch und sollte auch praktisch nach oben aufge­macht werden.

Allerdings müsste man das, glaube ich, auch nach unten aufmachen. Was meine ich damit? – Es gibt in der Praxis der österreichischen Gerichte eine Scheingrenze, und die liegt bei ungefähr 2 000 €, darunter wird bei mediengesetzlichen Ansprüchen nicht zugesprochen. Das verstehe ich nicht immer. Es gibt Fälle, die sind sehr wohl in ihrer Bedeutung gering, und da könnte man auch geringere Entschädigungen zusprechen. Dies vor allem dann, wenn Sie bedenken, dass sehr oft durch die neuen elektronischen Medien bestimmte Tatbestände nicht nur in einem Medium gesetzt werden, sondern in vielen parallel mitlaufenden elektronischen Medien, sodass es geschickte Advokaten schaffen, mehrere hunderttausend Euro für ihre Mandanten zu lukrieren, wo dann viel­leicht im Einzelfall das Verhältnis gewahrt scheint, das aber meines Erachtens jeden­falls in Summe überzogen ist.

Daher: Ich bin dafür, dass wir die Entschädigung nach oben aufmachen. Ich meine aber auch, dass man es beispielsweise durch ein Incentive des Gesetzgebers, der bei­spielsweise sagt, dass die Mindestentschädigung 100 € beträgt, den Gerichten auch in die Hand gibt, dass sie vielleicht auch einmal nur zu 100 € verurteilen können. – Vielen Dank.

12.05


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Herzlichen Dank. – Ich darf nunmehr Herrn Kress ans Rednerpult bitten.

 


12.05.53

Michael Kress (Gewerkschaft Kunst, Medien, Sport, freie Berufe)|: Sehr geehrte Frau Minister! Meine Damen und Herren Abgeordnete zum Nationalrat und Bundesrat! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich vertrete die Gewerk­schaft Kunst, Medien, Sport, freie Berufe und bin selbst hier im Hause seit 34 Jahren akkreditiert. Ich habe viele Diskussionen und Beschlüsse zum Medienrecht live miter­lebt, aber noch nie solch eine Enquete. Darum bin ich überzeugt davon, dass auf jeden Fall etwas herauskommt und nicht nur wir bei der Türe heute am späten Nachmittag.

Ich habe eine gewisse Art des Opferschutzes in einer anderen Weise als notwendig er­achtet. Als mich nämlich mein späterer Schwiegervater kennengelernt hat, hat er ge­gen mich große Vorurteile gehabt. Ich sei ein Journalist, und die Journalisten sind ja bekanntlich alle so. Dass ich nicht so wie alle wäre und viele, die meisten auch nicht wollen, dass alle in einen Topf geworfen werden, denke ich mir, ist etwas Wichtiges. Und erst als ich später, in den achtziger Jahren, dem Presserat angehörte, bekam ich eine gewisse Erlauchtheit und wurde akzeptiert.

Schon damals, in diesen Presseratsjahren, war es allerdings so, dass es regelmäßig Anlass zu Ärger gab, dass Urteile des Presserates nur von jenen Medien veröffentlicht wurden, die fast nie davon betroffen waren, und dass die in den meisten Fällen betrof­fene größte Zeitung das nicht einmal ignorierte, um es auf Wienerisch zu sagen, ob­wohl damals der Bundeskanzler noch keine Leserbriefe dorthin schrieb. Zu dem kam noch, dass auch „Täglich Alles“ noch ein wichtiges Medium war, das regelmäßig für Beschäftigung des Presserates sorgte.

Der Presserat war leider weitgehend zahnlos, und ich bin zwar hoffnungsvoll, aber eher skeptisch, dass das künftighin besser wird, denn solch eine Selbstkontrolle klappt nur dann, wenn sie alle großen Medien umfasst, wenn dort alle großen Medien vertre­ten sind, wenn sie auch alle anerkennen und wenn es auch Sanktionen gibt, die von al­len akzeptiert werden, und wenn es nicht nur die Zeitungen sind, die betroffen sind, denn inzwischen sind ja alle Zeitungen auch online, und das ist ein viel, viel größeres Feld. Andernfalls wären weiterhin die Korrekten die Dummen.

Der nunmehrige Applaus der Politik zum möglichen und durchaus erwünschten neuen Presserat ist aber typisch. Man ist froh, dass die Medien diese Sachen untereinander regeln und man nicht Gefahr läuft, Herrn Dichand verärgern zu müssen. Es ist jedoch unabhängig vom wünschenswerten Presserat jedenfalls die Politik gefordert, mutig Schritte zu setzen – nicht nur gesetzliche Schritte, sondern auch hinsichtlich der Ein­haltung der vorhandenen Gesetze, wie vorhin schon moniert worden ist – und nicht zö­gerlich und feig nur die Selbstkontrolle der Medien zu bejubeln.

12.08


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Ich danke für Ihren Bei­trag und darf nun Frau Abgeordneter Ablinger das Wort erteilen.

 


12.08.44

Abgeordnete Sonja Ablinger (SPÖ)|: Herr Vorsitzender! Herr Laszlo, nur ein ganz kleiner Hinweis: Seit 1919 gibt es weibliche Abgeordnete hier in diesem Hause; spätes­tens dann gibt es mehrere. Ich bin eine davon, aber es gibt relativ viele weibliche Ab­geordnete im Haus. Das nur zur Klärung. (Abg. Rauch-Kallat: Es sind hier sogar mehr Frauen anwesend als Männer!) Nicht jedoch am Podium! (Abg. Rauch-Kallat: Nein, dort nicht, von den Abgeordneten!) Genau! Das ist aber vielleicht auch der Punkt: Das hätte man sich vielleicht – ich war ja nicht betraut mit der Zusammensetzung des Po­diums – ein bisschen überlegen sollen. Ich weiß, das hängt mit den Nominierungen der Parteien oder der Opferschutzeinrichtungen zusammen. Das jetzt aber nur als Neben­punkt.

Ich möchte auf etwas eingehen, das kurz erwähnt worden ist, nämlich dass Medien Be­wusstsein schaffen müssen. Ich halte das für ganz wesentlich. Ich sage das auch, weil ich in Oberösterreich Vorsitzende des Gewaltschutzzentrums bin und sehr oft erlebe, in welcher Weise berichtet wird. Ich nehme ein Beispiel, das mich besonders erschüttert hat, aus dem Zusammenhang mit dem Fall F. Da ist davon gesprochen worden, sie sei seine Geliebte gewesen. Wie kann man so etwas schreiben? Wie kann man von Liebe reden, wenn es um Gewalt geht?Ein anderes Beispiel, das wir sehr oft lesen – Sie ken­nen das alle! –, ist, wenn immer wieder von Familientragödien geredet wird, wenn ein Mann seine Ehefrau und seine Kinder ermordet. Das ist Mord! Da kann man nicht von Familientragödie reden.

Oder wenn dann auf der anderen Seite zum Beispiel von diesem Herrn F. als einem Monster gesprochen wird. Auch das halte ich insofern für falsch, weil es beispielsweise unberücksichtigt lässt, dass Gewalt gegen Frauen die häufigste Menschenrechtsverlet­zung unserer Zeit ist und besonders dramatische – keine Frage! –, besonders grauen­hafte Fälle hervorgezogen werden, dargestellt werden, was aber nicht widerspiegelt, wie sehr Gewalt Alltag ist und in welch verschiedenen Schattierungen es sie gibt.

Was mich bei Bilanz-Pressekonferenzen, die wir halten, immer besonders ärgert, ist Folgendes: Wir bringen natürlich unsere Zahlen, was die Klientinnen und Klienten be­trifft. Wir haben Hunderte Frauen als Opfer, und es sind auch ganz, ganz wenige Män­ner Opfer. Sie dürfen raten, was die Journalisten im Besonderen interessiert. Sie fra­gen dann nach: Aha, Sie haben auch Männer als Opfer? Natürlich geht es denen ge­nauso wie den Frauen, keine Frage, aber in der Verhältnismäßigkeit von 98 Prozent Frauen, die Opfer werden, zu 2 Prozent Männern verstehe ich dann nicht, warum das Interesse der Journalistinnen und Journalisten sich besonders darauf konzentriert, da auch das dann die Wirklichkeit nicht widerspiegelt.

Damit komme ich zu dem Punkt, der mir ein besonderes Anliegen wäre – wir haben das auch in Oberösterreich immer wieder versucht –, nämlich Schulungen für Journa­listinnen und Journalisten zum Thema Sensibilisierung der Sprache, denn wenn dann von Monster gesprochen wird oder was alles noch dazugehört, führt das aus meiner Sicht zu einer Barbarisierung der Sprache, die eine Auswirkung auf die Gesellschaft hat. Es wäre im besonderen Maße notwendig, Journalisten und Journalistinnen fortzu­bilden, ihnen zu erklären, wie Gewalt entsteht, was Traumatisierung durch Gewalt be­deutet. Vielleicht kann man sich auch überlegen –verpflichten kann man sie dazu nicht, klarerweise nicht – und vielleicht gelingt es, das mit der Presseförderung irgendwie zu koppeln, damit es einen größeren Anreiz dafür gibt.

Nun möchte ich ganz zum Schluss noch auf etwas ganz anderes hinweisen: Es wurde von Voyeurismus gesprochen, der bedient wird. Ja, man muss ihn nicht bedienen, das stimmt, und es geht um diese Form der Entsetzenslust, die da immer wieder bedient wird. Vor dem Hintergrund der Profitlogik steht man dabei allerdings vor einer enormen Herausforderung. Ich frage mich schon längere Zeit, was es für unsere Gesellschaft bedeutet, dass dieser Voyeurismus und diese Entsetzenslust ja auf andere Weise auch bedient werden. Wenn Sie sich diese Talk-Shows vor Augen führen, diese Dschungel-Shows, in denen sich Menschen dem sozusagen freiwillig aussetzen – was heißt das? Für mich ist die Würde des Menschen universell, und die kann man nicht durch die per­sönliche Zustimmung, dass man sich in dieser Form darstellen lässt, abtragen.

Wir müssen auch eine Diskussion führen, was im Fernsehen alles möglich ist, wo Men­schen sozusagen ihr Innerstes nach Außen kehren, möglicherweise erfundene Details preisgeben. Das muss man sich auch überlegen, weil das Auswirkungen auf alle in un­serer Gesellschaft hat. – Danke schön.

12.13


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Ich bedanke mich und darf nun Frau Mag. Rösslhumer zum Rednerpult bitten.

 


12.13.35

Mag. Maria Rösslhumer (Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser)|: Sehr ge­ehrte Frau Bundesministerin! Sehr geehrte Abgeordnete! Liebe Anwesende! Ich möch­te vorweg meine Freude darüber zum Ausdruck bringen, dass das 2. Gewaltschutzge­setz jetzt in Angriff genommen wurde und dadurch wesentliche Verbesserungen für den Opferschutz geschaffen wurden. Diese Entwicklung finde ich grundsätzlich sehr, sehr positiv.

Was die Sprache anlangt, möchte ich mich den Ausführungen der Frau Abgeordneten Ablinger anschließen. Das wollte ich ursprünglich auch sagen. Wir wissen, dass Spra­che sehr viel zur Bewusstseinsbildung in unserer Gesellschaft beiträgt, und dennoch erleben wir in der Berichterstattung immer wieder, dass gerade Gewaltdelikte oft ver­harmlost werden. Ich denke, gerade die Sensibilität der Sprache sollte ein Qualitätskri­terium der Berichterstattung sein. Es ist sicherlich notwendig, grundsätzliche Qualitäts­kriterien in der Berichterstattung zu etablieren.

Ich habe noch zwei Anregungen. Erstens: Wenn es zu einer Wiederbelebung des Presserates kommt, dann sollten, würde ich anregen, auch Opferschutzeinrichtungen beteiligt werden und mitwirken können. Opferschutz ist ein sehr heikles Thema, und da ist es sehr, sehr wichtig, ExpertInnen aus Frauenhäusern, Gewaltschutzzentren, Inter­ventionsstellen, aus den Kinderbereichen, aus den unterschiedlichen Opferschutzein­richtungen mit einzuladen. Das ist meine Anregung.

Zweitens: Medien können aber auch das ganze Jahr über sehr viel zum Opferschutz beitragen, und zwar nicht nur anlassbezogen, sondern auch, indem sie laufend über Opferschutzeinrichtungen berichten. Wir haben gemerkt und merken immer wieder: Je mehr Medien über Opferschutzeinrichtungen berichten, umso mehr Opfer wenden sich an die Opferschutzeinrichtungen, finden den Mut und trauen sich, darüber zu reden und sich an entsprechende Einrichtungen zu wenden, um ihr Anliegen darzulegen. – Danke schön.

12.16


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Herzlichen Dank. – Ich darf nun Frau Abgeordnete Riener um ihre Ausführungen ersuchen.

 


12.16.31

Abgeordnete Barbara Riener (ÖVP)|: Herr Vorsitzender! Frau Bundesministerin! Wer­te Expertinnen und Experten! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte drei Aspekte herausstellen, die teilweise bereits von den Experten angesprochen worden sind.

Zuerst möchte ich auf die von Herrn Professor Dr. Berka angesprochene spezielle Dif­ferenzierung bei den Berichterstattungsopfern eingehen. Für mich ist es ein großer Unterschied, wie das auch schon ein Vorredner bemerkt hat, ob es um die Prinzessin von Monaco geht oder um jemand anderen, der auf dem Flughafen gefilmt worden ist, ob es jemand ist, der sozusagen sehr stark in seiner Persönlichkeit ist, oder ob es je­mand ist, dem Gewalt angetan wurde, in welcher Form auch immer. Es wird eine große Herausforderung für uns sein, wenn wir diesbezüglich eine Differenzierung vornehmen wollen, und dies auch im Sinne von Unterstützung und Hilfe für Journalisten, welche Art der Berichterstattung in welchem Fall möglich ist.

Nur unterstützen kann ich auch Schutzzonen, wie sie schon erwähnt worden sind.

Bei anonymisierten Berichten, die von Ihnen, Herr Dr. Hübner, angesprochen worden sind, muss man jedoch auch berücksichtigen, dass es immer wieder Personen gibt, die sich gerne in die Öffentlichkeit stellen. Damit meine ich jetzt aber nicht die Opfer, son­dern die Nachbarn. Das bedeutet aber auch: Sobald ich den Nachbarn im Fernsehen sehe oder sein Foto in der Zeitung sehe, weiß ich auch, wo das Ereignis stattgefunden hat. Das heißt, wir müssen auch diesen Bereich des öffentlichen Raums und jene, die sich sozusagen im Zusammenhang mit einem Vorfall exponieren wollen, berücksichti­gen. Es fällt einem Nachbarn natürlich auf, wenn die Polizei nebenan ermittelt. Später haben sowieso immer alle alles gewusst. In diesem Sinne müssen wir auch sehr, sehr sorgfältig mit den Formulierungen in der Berichterstattung umgehen, wenn wir dem Einhalt gebieten wollen.

Frau Bundesministerin, mir gefällt der Gedanke sehr gut, dass wir überlegen sollten, ob wir zum Schutz dieser speziellen Opfergruppe nicht von Amts wegen vorgehen bezie­hungsweise das als Offizialdelikt behandeln sollten. Von den Experten wurde auch be­reits angesprochen, dass es einen irrsinnig großen Energieaufwand erfordert, wenn man ein neues Verfahren einleiten muss in einer Situation, in der man alle seine Kräfte auf den Versuch konzentrieren muss, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Auch wenn die Frist verlängert werden sollte, hilft das kaum, denn es können bis zu vier Verfahren oder vielleicht noch mehr nötig sein, um zu seinem Recht zu kommen, das Strafrechtliche abzuwickeln, Schadenersatz zu erhalten. Das ist meines Erachtens etwas, was wir den Opfern wirklich nicht auch noch zumuten sollten. Entweder gibt es also eine Konzentration in einem Verfahren – ich bin keine Juristin, das sage ich jetzt gleich dazu, das ist nur eine Überlegung – oder man überlegt, ob man da nicht von Amts wegen vorgehen kann. – Danke.

12.19


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Ich bedanke mich und darf Herrn Bundesrat Schnider nun um seine Ausführungen ersuchen.

 


12.20.12

Bundesrat Dr. Andreas Schnider (ÖVP, Steiermark)|: Sehr verehrter Herr Vorsitzen­der! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass man über Regulative und auch über Verschärfungen in dem einen oder anderen Gesetz nachdenkt, gerade wenn es um solche Extremsituationen geht.

Doch ich glaube, gerade in diesem Haus müssen wir auch darüber nachdenken, dass natürlich alles, was wir „vergesetzlichen“, auch bedeutet, dass wir dem Menschen da und dort auch ein Stück Selbstverantwortung wegnehmen. Und in diesem Zusammen­hang, das wurde schon von einigen Vorrednerinnen und Vorrednern angesprochen, halte ich es für sehr, sehr wichtig, dass wir uns darüber unterhalten: Wie sieht ethische Bildung, wie sieht auch Sprachbildung in unserem Land aus?

Und wenn wir schon über neue Gesetzlichkeiten sprechen, dann sollten wird, denke ich, so, wie es auch gute ethische Diskussion erfordert, darüber nachdenken: Was heißt menschliches Handeln? Menschliches Handeln, da kann man sich nicht anonym hinter Organisationen oder Medien verstecken, sondern da geht es um Personen. Es gibt die Opfer, es gibt die Täter, und ich denke, wir sollten eben auch nicht immer zu schnell sagen, das Medium, die Medien, sondern es gibt jemanden, der hinter einem Fotoapparat steht, und es ist nicht einfach der Fotoapparat, der selbst abdrückt.

Es gibt jemanden, der einen Artikel, einen Beitrag schreibt, und vielleicht sollten wir drüber nachdenken, ob nicht derjenige – und das ist ethische Diskussion –, der das tut  ich glaube, Herr Dr. Korn hat das auch in dieser Art angesprochen –, also der Fo­tograf, die Fotografin, der oder die dieses Foto macht, einem stärker wirkenden Regu­lativ unterliegen sollte, sodass man sich nicht mehr so leicht hinter einem Medium ver­stecken kann, das dann sehr locker und einfach für irgendeine niedrige oder auch hö­here Strafe aufkommen kann.

Auch in Richtung Selbstregulierung ist es erforderlich, ethische Diskussionen, ethische Bildung auch in diesem Land stärker zur Geltung zu bringen, weil ich glaube, dass erst daraus gewisse Standards erwachsen können und nicht umgekehrt, dass also Stan­dards Regulative sind, die wieder von oben eingesetzt werden. Es müssen auch mög­lichst viele partizipativ mit hereingenommen werden, um einfach auch zu einer ethi­schen Diskussion und zu einer Diskursbereitschaft zu kommen, aus der sich Standards entwickeln.

Ich denke, an diesen Standards könnte sich dann auch in Folge, und das ist politisch sehr wichtig, orientieren, wer welche Förderung bekommt, sodass das nicht mehr so läuft, wie das eben teilweise gelaufen ist: Da haben manche seit Jahren große Förde­rungen bekommen und erhalten sie immer wieder. Ich denke, wir sollten auch manch ethische Standards mit solchen Förderungen verbinden. – Danke.

12.23


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Ich danke für diesen Bei­trag und darf nun Herrn Abgeordnetem Ing. Westenthaler das Wort erteilen.

 


12.23.24

Abgeordneter Ing. Peter Westenthaler (BZÖ)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Auch ich empfinde diese Veranstaltung als durchaus gelungen und als einen wichtigen Impuls. Gestatten Sie mir auch die persönliche Anmerkung: Es ist durchaus erfri­schend, frische, neue, engagierte Gesichter auf der Regierungsbank zu sehen. Auch das gefällt mir heute sehr gut. Da ist sehr viel Konstruktives gekommen.

Zum Thema Presserat: Ich nehme da jetzt natürlich die Gegenposition ein. Ich bin ab­solut gegen die Wiederbelebung oder gegen eine Wiedereinführung eines Presserates. Dieser Presserat ist 2002 spektakulär gescheitert, es kam zur Selbstauflösung. Er war zahnlos, kraftlos, am Ende sinnlos, weil er eben überhaupt nicht die Chance hatte, überhaupt Sanktionen zu erfinden, auszusprechen, und auch nicht befugt sein sollte, das zu tun.

Herr Mag. Bauer von der Gewerkschaft, den ich sehr schätze, hat gesagt: Na ja, es tut schon weh, wenn man irgendwie öffentlich verurteilt wird. Ich frage mich schon, wie sehr es der „Kronen Zeitung“ wehgetan hat, die sehr oft vom Presserat verurteilt wor­den ist. Die haben nicht einmal in der Zehenspitze Schmerzen gehabt, die haben das ignoriert und sind heute noch immer die Erfolgreichsten auf dem Markt.

Wir haben in Österreich ein Strafgesetz und wir haben das Medienrecht, und das sind letztlich die Rahmenbedingungen, unter die auch der Journalismus subsumiert ist. Das sind die Grenzen, die aufgezeigt werden müssen. Und daher ist es, glaube ich, nicht notwendig, jetzt wieder ein Gremium aus Personen zusammenzusetzen, die sich dann selbst kontrollieren. Das ist wirklich einfach sinnlos und bringt auch überhaupt nichts.

Wo ich aber sehr wohl für Selbstkontrolle bin – das ist auch ein Aspekt, den man be­rücksichtigen sollte; dieses Thema hat Herr Mag. Waiglein vom Finanzministerium ja richtig angeschnitten –, ist die Selbstkontrolle in den wichtigsten Ministerien, zum Bei­spiel im Justizministerium, in der Staatsanwaltschaft, aber auch im Innenministerium und bei den Sicherheitsbehörden.

Es ist schon auch ein Faktum, was in den letzten Wochen und Monaten passiert ist, dass es sozusagen ganz gezielt eine Art Volkssport wird, Entwürfe von Anklageschrif­ten, Entwürfe von Vorerhebungsschritten, von Ermittlungsschritten, aber auch ganze Ermittlungsakte den Medien vorzeitig zur Verfügung zu stellen, wo dann mit vollen Per­sonalien alles geschrieben wird. In einem Land, in dem die mediale Vorverurteilung zum Teil schon das Urteil ersetzt, ist das natürlich ein großes Problem. Und da sollte man Selbstkontrolle üben. Da, bin ich der Meinung, wäre es richtig, tatsächlich zu kon­trollieren und auch eine Sache anzugehen, die dieser Selbstkontrolle im Weg steht – ich weiß, dass ich mich jetzt bei einigen vielleicht nicht sehr beliebt mache, aber dafür bin ich ja nicht hier, aber es gibt einen einzigen Punkt im Mediengesetz, der ernsthaft diskutiert werden sollte, denn der steht nämlich in den speziellen Fällen einer Aufklä­rung im Weg –, nämlich § 31 Mediengesetz, das Redaktionsgeheimnis.

Ja, ich bin für ein Redaktionsgeheimnis. Ich bin aber gegen ein absolutes Redaktions­geheimnis. Das steht dann nämlich im Wege, wenn man aufklären möchte, woher sol­che Akten aus den Ministerien kommen, wenn man Amtsmissbrauch nachweisen möchte. Das steht aber auch im Wege und diametral entgegen, wenn man aufklären möchte, wo personenbezogene Daten von Opfern, die zu schützen sind, an die Öffent­lichkeit gelangen. Hier kann sich jeder Journalist immer elegant mit dem Verweis auf § 31 Mediengesetz entziehen.

Mir geht es nicht um die Verfolgung des Journalisten und nicht um die Bestrafung des Journalisten, sondern es geht schlicht und einfach darum, die Quelle zu finden. Es muss die Unsitte, die in diesem Land eingerissen ist, dass alles vorveröffentlicht, vor­verurteilt wird und letztlich die Personen, die betroffen sind, dadurch auch zu Schaden kommen, abgestellt werden. Mit dieser Unart sollte letztlich aufgeräumt werden.

Ein Beispiel, dann bin ich schon am Schluss, das wohl gravierendste Beispiel, wodurch zum Teil ja auch eine Gefährdung von polizeilichen Ermittlungen stattgefunden hat, war im vergangenen Jahr, als am selben Tag, als die Polizei einen Zugriff im Fall Mo­hammed M. geplant und auch ausgeführt hat, bereits Stunden davor in einem Medium über diesen Zugriff berichtet wurde.

Das heißt, man hat einen Polizeieinsatz vorzeitig an Medien verkauft und verraten, und das Ganze hätte diesen Einsatz in Gefahr bringen können. Ich bin der Meinung: Hier sollte man an die Quellen gehen und auch jene zur Verantwortung ziehen, die sich da­raus so etwas wie einen Sport gemacht haben oder vielleicht Vorteile daraus haben, wenn sie den Medien solch wichtige Informationen stecken.

Ich glaube, es ist notwendig, über dieses absolute Redaktionsgeheimnis nachzuden­ken und es für solche Fälle etwas aufzuweichen und zu lockern.

12.27


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Danke. – Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Morak. – Bitte.

 


12.28.13

Abgeordneter Franz Morak (ÖVP)|: Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Ich möchte jetzt hier keine Vorschläge machen, aber ich möchte doch vielleicht einige Fra­gen aufwerfen und auch die geballte Medienkompetenz, die hinter mir sitzt, fragen, was sie dazu meint.

Es geht mir hier um den Presserat. Ein bisschen erscheint mir das mit der Selbstkon­trolle so wie der Sketch von Polt, der einmal sagte: Wenn sich so ein Kampfhund mit einem Menschen beschäftigt, dann wird er sicher nicht eingreifen, höchstens er ist dann 400, 500 Meter entfernt, dann könnte es schon sein, dass ihm ein resolutes „Pfui!“ entschlüpft.

Die Frage, die ich da stellen möchte, dreht sich um den Presserat: Was erwarten wir? Ich bin nicht so apodiktisch der Meinung, dass nur die Medienvertreter drinnen sein sollten, sondern durchaus auch die Opfer, die quasi in den Medien abgehandelt wer­den. Sollten die nicht auch irgendeine Form der Vertretung haben?

Wie schaut es mit den Sanktionen aus? Machen alle Zeitungen mit, ja oder nein? Wenn wir das an eine Presseförderung knüpfen, was machen wir dann mit den Gratis­medien oder zum Beispiel mit dem ORF? Sollte man das an ein Werbeverbot knüpfen, oder was auch immer? Es gibt sehr, sehr viele Medien, die dem überhaupt nicht unter­liegen würden. Was könnten also überhaupt Sanktionen sein?

Es ist ein sehr interessanter Vorschlag an mich herangetragen worden im Rahmen der Vorbereitung, nämlich die Richtlinie der EU betreffend Insiderhandel in Finanzdingen, sprich, dass Journalisten, die über Wirtschaft berichten und Aktien haben, die Gefahr einer Medienmanipulation mit sich bringen. Das wird in Österreich, wie ich gehört habe, durch die Aufsicht der FMA wahrgenommen oder einer Behörde oder eines Gremiums, das dieser in etwa entspricht, oder das ist zu schaffen. Die Frage ist, ob das im Grunde eine Möglichkeit wäre, wie eine solche Selbstkontrolle beziehungsweise Kontrolle der Medien in diesem Bereich funktionieren könnte.

Was mir sehr gut gefallen hat, ist die Prozessbegleitung. Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass für Menschen, die sich in einer solch außergewöhnlichen Situation befinden, nämlich Opfer zu sein, schwer beschädigt hervorzugehen, die Frage der Prozessbe­gleitung einer Lösung zugeführt wird, ob sie verpflichtend sein sollte, gerade in schwie­rigen Fällen.

Das sind meine Fragen an das Gremium hinter mir. – Danke schön.

12.30


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Herzlichen Dank. – Zu Wort gelangt nun Herr Abgeordneter Dr. Jarolim. – Bitte.

 


12.30.42

Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim (SPÖ)|: Meine Damen und Herren! Ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich am Vormittag infolge einer leider nicht verschiebba­ren Pressekonferenz erst später gekommen bin und daher auf die Referate nicht ein­gehen kann. Ich möchte zwei Dinge sagen, die mir in diesem Zusammenhang wichtig erscheinen und derzeit aktuell diskutiert werden.

Das eine ist, dass wir über die Möglichkeit einer Grundrechtsbeschwerde, die Auswei­tung der Grundrechtsbeschwerde auf den Strafrechtsbereich insgesamt an den Obers­ten Gerichtshof erweitern möchten, auch auf den Zivilrechtsbereich und dort auch den Medienrechtsbereich.

Es gibt hier nämlich eine Polarität: Verfassungsgerichtshof einerseits, Umgang mit Grundrechten, und Oberster Gerichtshof andererseits. Es wird da eine Diskussion da­rüber geführt, die ich hier nur vorstellen möchte, nämlich ob es nicht sinnvoll sei, beim Obersten Gerichtshof dann diesen erweiterten Grundrechtsbeschwerdesenat auch um einen sogenannten – unter Anführungszeichen – „Laienrichter“ zu ergänzen, analog zum ASG; das wäre etwa ein Mitglied des Verfassungsgerichtshofes oder jemand, der sonst im Grundrechtsbereich besondere Expertise hat.

Auf diese Weise könnte man die Grundrechtsrelevanz im Obersten Gerichtshof und damit auch die Gleichmäßigkeit dieser beiden Höchstgerichte stärken. Das ist eine In­formation. Wer dazu Stellung nehmen möchte, ist herzlich dazu eingeladen.

Ich glaube, die Erhöhung der Entschädigung von 20 000 € ist nicht so sehr als Ver­schärfung zu sehen. Das ist vielmehr eine Frage der Verhältnismäßigkeit des jeweili­gen Entschädigungsbetrages zum Ertrag beziehungsweise zum Nutzen, der auf der anderen Seite durch die zugrunde liegende Maßnahme herbeigeführt wurde. Ich würde ersuchen, noch einmal darüber nachzudenken, ob wir nicht eine Beweglichkeit der Systeme anwenden könnten, die in einem Verhältnis zum Mehrwert steht, den dann das jeweilige Medienunternehmen durch diese Verwendung herbeigeführt hat. Ich sa­ge das in Kenntnis des Umstandes, dass es nicht sehr leicht ist, aber es gibt auch ein richterliches Einschätzungsrecht über die Beweisführung hinaus, das wir hier analog anwenden könnten.

Ich glaube, der „Presserat neu“ könnte durchaus sinnvoll sein. Nicht nur, weil, wie man sagt, die Politik froh ist, wenn sich die Medien ihre eigene ethische Vorstellung definie­ren. Ich glaube auch, dass wir im Bereich der Förderung durchaus Richtlinien aufstel­len können sollten, die jene Medien bevorzugen, die nicht auf marktschreierische, ge­waltverherrlichende Art und Weise tätig sind. Da bin ich völlig aufgeschlossen. Eine Diskussion darüber, dass jetzt auch innerhalb des Journalismus eine Bewertung statt­findet, die dann möglicherweise auch Grundlage für einen zivilrechtlichen Anspruch sein kann, wo diese Entscheidung maßgeblich ist und als Plausibilität dargestellt wer­den kann, ist sinnvoll.

Ich glaube, § 31 des Mediengesetzes, Redaktionsgeheimnis, ist ein absolut wichtiger Punkt. Da sollte man keinen Zentimeter nachgeben. Es ist genauso ein Thema, Kolle­ge Hübner, den Medien zu überantworten, etwas nicht zu veröffentlichen, das der Öf­fentlichkeit vielleicht nicht preisgegeben werden soll.

Die Zeitungen haben einen extrem wichtigen Ansatz bei der Wahrheitsfindung und beim Aufzeigen von Tatsachen, die sonst nicht an die Öffentlichkeit gelangen würden. Ich denke, das sind ganz zentrale Werte, die wir im Journalismus und im Medienrecht aufrechterhalten sollten. Daher würde ich in diesem Bereich keinen Zentimeter nachge­ben. – Danke.

12.34


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Ich bedanke mich und er­teile Herrn Bundesrat Schennach das Wort.

 


12.34.40

Bundesrat Stefan Schennach (Grüne, Wien)|: Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn 24 Stunden vor dieser Medien-Enquete die Ge­werkschaft und der Verband der österreichischen Zeitungen eine Einigung verkünden, dann ist etwas passiert. Wenn man die in den letzten fünf Jahren erfolgten Graben­kämpfe zwischen diesen beiden Institutionen betrachtet, muss man sagen, dass allein die Ankündigung dieser Medien-Enquete einen Erfolg gebracht hat.

Kollege Morak, ich bin sehr wohl der Meinung, dass wir diesen europäischen Standard, nämlich das Selbstregulativ im Medienbereich, als einen ganz eigenständigen Wert be­trachten müssen.

Ich bin nicht der Meinung, dass der alte Presserat eine Institution zum Krenreiben, wie man des Öfteren gehört hat, war. Sonst wäre nicht die größte Tageszeitung gegen Er­kenntnisse oder Verurteilungen durch den Medienrat gerichtlich und mit Klagen vorge­gangen. Das hat der größten Tageszeitung im Land wehgetan, Kollege Westenthaler. Wenn der Presserat zum Beispiel einen Kommentar verurteilt hat, wonach die größte Crux in der UNO jene ist, dass die Afrikaner, denen man unter Narkose die Schuhe an­ziehen musste, das gleiche Stimmrecht haben wie die Österreicher – oder die Europä­er. Diese Aussage allein hat wehgetan und wurde vielfach als eine Verurteilung des Presserates publiziert.

Aber, Herr Kollege Morak, wir beide kennen nur die Willensbildung, wissen, dass es eine Einigung gibt, jetzt müssen wir uns einmal die Grundlagen anschauen! Zu diesen Grundlagen brauchen wir natürlich vom Gesetzgeber einige Unterstützungen, damit dieser Presserat jene Kraft bekommt, die wir uns wünschen. Da kann es möglicherwei­se einen leichten Zwang geben, dass zum Beispiel Förderungen im Pressewesen ge­nerell an die Mitgliedschaft im Presserat gebunden werden und dass – als Sanktions­mittel bei mehrmaliger Verurteilung – eine solche Förderung zum Beispiel für einige Zeit suspendiert werden kann.

Wie notwendig dieser Presserat, dieses Selbstregulativ ist, sieht man daran, dass die Debatte um Medienethik in diesen fünf Jahren, in denen der Presserat nicht existiert hat, komplett verroht ist. Nicht umsonst macht die Fachzeitung des Journalismus mit einem Titelblatt auf: Die Bluthunde des Boulevard. Offensichtlich ist hier eine Verro­hung passiert, gerade im Bereich des Boulevards, weshalb diese Enquete über Opfer­schutz geradezu notwendig geworden ist.

Ich empfand es übrigens als riesige Schande, als im Jahre 2003 das Treffen aller euro­päischen Presseräte in Stockholm stattfand und Österreich das einzige Land war, das dort fehlte. Dabei ging es dort um medienethische Grundsätze! Das war wirklich eine Schande! Ich bedanke mich bei den Sozialpartnern, muss man sagen, dafür, dass hier dieser Durchbruch gelungen ist.

Der zweite Erfolg dieser heutigen Enquete könnte der Startschuss einer grundsätzli­chen medienethischen Debatte in Österreich sein, diese fehlt nämlich gänzlich. Das, was wir im angelsächsischen Raum heute als Limits in der Medienethik haben, gibt es hier gar nicht.

Kollege Reitan, Sie sind als Vertreter des Vereins der Chefredakteure hier, wenn ich die Berichterstattung in den letzten Monaten über diese Kapitalverbrechen betrachte, dann muss ich sagen, dass da bei den Herausgebern und den Chefredakteuren die Si­cherungen nicht funktioniert haben! Wie kann es zu einer solch permanenten Verlet­zung von Opferrechten und einer solchen Vorführung von Opfern kommen, und zwar in Wochenmagazinen, in Tageszeitungen und so weiter?

Ich weiß, eines der größten Probleme ist diese schwierige Balance. Auf beiden Seiten der Balance stimmt es nicht. Das eine ist die Meinungsfreiheit und der Freedom of In­formation Act; da haben wir in Österreich Probleme. Da haben wir nicht dieselbe Infor­mationsfreiheit wie im skandinavischen Raum. Auf der anderen Seite geht es um den Opferschutz. Viele der Vorschläge, die hier diskutiert wurden, wie zum Beispiel das Stalking da auszudehnen, finde ich sehr, sehr richtig. Was die Entschädigungsfrist an­geht, würde ich sogar vorschlagen, die Frist von sechs Monaten auf zwei Jahre zu er­höhen. Oder die Prozessbegleitung. All das sind extrem wichtige Maßnahmen, ich hof­fe, dass sie infolge dieser Medien-Enquete, vielleicht mit der Novelle des Mediengeset­zes dazukommen.

Ich möchte noch etwas sagen, das den Presserat betrifft. Kollege Steinhauser hat vor­hin natürlich gemeint, dass es bei den elektronischen Medien einen Bereich gibt, wo wir kompletten Regelungsbedarf haben, und das sind die Internetmedien. Wir reden hier nicht vom ORF, von ATV, vom Radio oder Fernsehen, sondern von Internetme­dien. Da haben wir kompletten Regelungsbedarf, und zwar arbeitsrechtlich und im Be­reich des Medienrechts. – Danke.

12.39


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Danke. – Ich darf jetzt Herrn Mag. Bauer noch einmal das Wort erteilen. – Bitte.

 


12.40.30

Mag. Franz C. Bauer (Gewerkschaft Druck, Journalismus, Papier): Meine sehr geehr­ten Damen und Herren! Die Wertschätzung ist eine gegenseitige, nur haben Sie da nicht recht. Mein Vorredner hat es leider schon gesagt, es ist daher redundant, was ich hier zum Thema Ernst-Nehmen sage. Es ist so eine neurolinguistische Falle, in die wir da gehen: Der Begriff „zahnloser Presserat“, das ist völliger Unsinn. Die „Kronen Zei­tung“ hätte nicht durch eine Millionenklage versucht, den alten Presserat außer Ge­fecht zu setzen. „Millionenklage“ heißt, dass diese Zeitung die Beschädigung in einer Millionendimension eingeschätzt hat. – Das ist Punkt eins.

Punkt zwei, zur Insiderrichtlinie: Wenn alle Beteiligten die Aussendung, die VÖZ und Gewerkschaft unabhängig voneinander gemacht haben, zu Ende gelesen hätten, dann wüssten alle, dass daran gedacht ist, die EU-Insiderrichtlinie im Zusammenhang mit dem Presserat umzusetzen.

Der dritte Punkt, der mir ganz wichtig ist, betrifft das Redaktionsgeheimnis. Ich stelle es mir nett vor, dass die Obrigkeit, über die wir berichten, definiert, wann das Redaktions­geheimnis aufgehoben werden soll. Das stelle ich mir wirklich fein vor. Da hätte ich ganz gerne gewusst, wie Sie sich das in der Umsetzung beziehungsweise in der For­mulierung vorstellen. Das ist eine ganz gute Idee, wenn Sie wollen, dass jede Form des investigativen Journalismus beendet wird.

Zum Presserat noch einmal ganz kurz: Was soll denn der? – In Wirklichkeit sind wir momentan in folgender Situation: Alles, was wir schreiben, ist ohnehin schon verboten, nur kümmert es niemanden, und die Gesetze werden nicht eingehalten. Das heißt, wir alle fahren mit 180 km/h auf einer Autobahn, obwohl dort „130“ steht. Und nun tau­schen wir die Tafel aus und schreiben „110“ hin. In diese Richtung gehen die juristi­schen Vorschläge, soweit ich das verstanden habe. Ich halte das nicht für sinnvoll.

Ich halte es auch nicht für sinnvoll, das zu diskutieren anhand von Fällen, die jetzt be­reits nicht passieren dürften. In Wirklichkeit, wenn der Presserat fehlt – was soll der lie­fern? Die Beschädigung, die stattfindet, ist ja keine 5 000-€-Beschädigung oder eine 20 000-€-Beschädigung, sondern eine Beschädigung, die in der Öffentlichkeit passiert. Das heißt, sie muss symmetrisch und adäquat repariert werden, sprich: in der Öffent­lichkeit. Der Ehrenkodex, der all diese Dinge bereits jetzt formuliert, wurde in den letz­ten Jahren auch deshalb nicht eingehalten, weil diese Diskussion in der Branche nicht existiert hat und weil es einen mit Zähnen versehenen Presserat nicht gab.

Das heißt, der Presserat soll Folgendes: Er soll eine Diskussion in der Branche wieder in Gang bringen, und er soll die Journalistinnen und Journalisten dazu aufrufen, darü­ber zu berichten. Und es tut wirklich weh!

Ich sage es noch einmal: Wenn ein Richter eine Zeitung verurteilt, sagen alle Kollegin­nen und Kollegen: Der wahnsinnige Richter! Die Sprüche der Gerichte – das ist hier angesprochen worden – sind zum Teil nicht konsistent. Die Spruchpraxis des Presse­rates ist das sehr wohl. Das ist kein Organ, in dem man versucht, Alibihandlungen zu setzen. Es tut wahnsinnig weh, wenn Kolleginnen und Kollegen über ihresgleichen sa­gen: Da habt ihr schlampig gearbeitet! Die Reparatur dieser Schlamperei erfolgt auf der gleichen Ebene, wie der Verstoß passiert ist, nämlich durch die Publikation in den Zeitungen. Nur das kann sinnvoll sein, dass nämlich eine Publikationspflicht besteht, und zwar eine unkommentierte. Dann wird die Reparatur der Beschädigung, die evi­dentermaßen passiert, symmetrisch auf der gleichen Ebene vollzogen.

12.43


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Herzlichen Dank. – Ich danke für die engagierte und interessante Diskussion und gebe den noch verbliebenen Mitgliedern des Podiums die Gelegenheit, wenn noch irgendwo Bedarf besteht, zur Diskussion etwas hinzuzufügen, dieses zu tun.

Ich darf Herrn Rechtsanwalt Dr. Hübner das Wort erteilen.

 


12.44.41

Dr. Johannes Hübner (Rechtsanwalt; Wien)|: Ich melde mich nur ganz kurz zur gerade angesprochenen Presserat-Diskussion.

Der Presserat an sich – weil ich vorher gesagt habe, das bringt nichts – kann durchaus als Diskussions- und Selbstdisziplinierungsmedium eingerichtet werden, aber er ist na­türlich kein Ersatz für das, was wir jetzt angesprochen haben, nämlich für den Opfer­schutz. Es können wir und auch der Gesetzgeber sich nicht darauf verlassen, dass das ein Presserat regelt, dazu ist er sicher ungeeignet. Als internes Moralisierungsmedium hingegen sehr gerne.

12.46


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Danke sehr. – Zu Wort ge­langt Herr Honorarprofessor Dr. Zeder. – Bitte.

 


12.46.20

Hon.-Prof. Dr. Fritz Zeder (Leitender Staatsanwalt; Bundesministerium für Justiz)|: Ich möchte kurz auf das Autobahnbeispiel von Mag. Bauer reagieren. Ich sehe es eher so, dass wir jetzt nicht die Geschwindigkeitsbeschränkung von 130 auf 110 herunterset­zen, sondern es geht eher darum, zu schauen, ob vielleicht die Sanktionen nicht ab­schreckend genug sind, oder darum, der Polizei die Möglichkeit zu geben, die Schnell­fahrer zu erwischen. Das ist eher die Richtung, in die ich jetzt die Entwicklung gehen sehe.

Wir werden uns bei uns im Haus überlegen, wie wir jetzt mit all den Vorschlägen umge­hen, die auf dem Tisch liegen. Allenfalls wäre es auch denkbar, dass wir in naher Zu­kunft relativ kurzfristig einen eher kleinen Begutachtungsentwurf versenden, natürlich unvorgreiflich des längerfristigen Themas, das ohnehin schon mehrfach angesprochen wurde. – Danke.

12.46


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Danke sehr. – Zu Wort ge­langt nun Herr Hofrat Dr. Lehofer. – Bitte.

 


12.46.29

Hofrat Dr. Hans Peter Lehofer (Mitglied des Verwaltungsgerichtshofes)|: Ich habe mich mit Fragen der Selbstregulierung in verschiedensten Zusammenhängen beschäf­tigt und möchte daher kurz etwas zur Frage des Presserates sagen: Selbstregulierung funktioniert in der Regel dann, wenn es eine starke extrinsische Motivation aller Betei­ligten gibt, und zwar in die Richtung, dass sie sich einigen und etwas herauskommt.

Diese extrinsische Motivation ist aber, glaube ich, beim Presserat das Problem. Es ist gefährlich, bei staatlichen Mitteln anzusetzen, indem der Staat etwa sagt: Wenn du dich wohl verhältst, wenn du dich sozusagen durchsetzt, brav deine Probleme unter dir ausmachst, dann bekommst du eine Förderung; wenn du noch braver bist, bekommst du vielleicht ein bisschen mehr Förderung! Das ist gerade im Medienbereich eine ganz heikle Geschichte.

Daher würde ich persönlich nicht dazu tendieren, es zu stark mit staatlichen Sanktio­nen an den Presserat zu verknüpfen. Ich würde aber sehr wohl meinen, dass der Pres­serat einen Sinn hat. Er ist ein Gremium, eine Einrichtung, in der man gerade diese medienethischen Fragen diskutieren und grundsätzliche Fragen behandeln kann. Nützt es nicht, so schadet es nicht, das ist sozusagen ein genereller Zugang.

Er ersetzt natürlich nicht die im individuellen Fall des betroffenen Opfers – oder des sonst Betroffenen – bestehenden und auszuschöpfenden rechtlichen Mittel, das ist völ­lig klar. Aber als Gremium, in dem man sich über medienethische Fragen unterhalten kann, halte ich ihn für eine sinnvolle Einrichtung. Ich würde nur auch überlegen, ob man den Vorwurf, der dann bestehen kann, dass nämlich nur Journalisten über Jour­nalisten und nur Ärzte über Ärzte entscheiden könnten, dieses Krähen-Phänomen so­zusagen, vielleicht auch noch ein bisschen in Richtung Öffnung durchdenkt, wie man nämlich anderen Sachverstand und andere Betroffene einbeziehen kann.

12.48


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Danke. – Zu Wort gelangt nun Herr Universitätsprofessor Dr. Korn. – Bitte.

 


12.48.18

Univ.-Prof. Dr. Gottfried Korn (Rechtsanwalt; Wien)|: Ich möchte nur zwei Dinge auf Tatsachenebene ergänzen, korrigieren beziehungsweise richtig stellen.

Kollege Pilz, die Untergrenze für Strafentschädigungen beim Landesgericht für Strafsa­chen Wien beträgt derzeit nicht 2 000 €, sondern in etwa 800 € bei kleineren Verstö­ßen – das ist der mir bekannte Fall an der untersten Grenze.

Zum Thema Presserat: Ich finde es immer faszinierend, wenn man Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes zitiert und den Sachverhalt weglässt. Die damalige Klage der „Kronen Zeitung“, in allen Fachmedien veröffentlicht, hat sich nicht gegen die Ver­urteilung durch den Presserat gerichtet, sondern dagegen, dass der Presserat ein Min­destmaß an Fair Trial hat vermissen lassen. Es war also ein klassischer Verstoß gegen Artikel 6 der Menschenrechtskonvention. Die „Kronen Zeitung“ wurde nicht gehört. Das Klagebegehren war gerichtet – bitte nachzulesen in allen Fachmedien-Entscheidun­gen – ohne Anhörung!Ein Wort an die Damen und Herren Abgeordneten zur Verein­heitlichung: Das ist ein unglaublich schwieriges Unterfangen, denn es spricht sehr viel dafür, alles ins Zivilrecht zu verlagern, es spricht aber auch sehr viel dagegen.

Es gibt eine Einstweilige Verfügung – und es dauert etwa ein Jahr, bis über einen Si­cherungsantrag entschieden ist. Erst nach einem Jahr sind sie im Hauptverfahren, das heißt, erst nach einem Jahr wird über den Schadenersatzanspruch entschieden.

Bei den Mediengerichten haben Sie sofort, nach einem Monat, ein Urteil, das mündlich verkündet wird. Der Betroffene hat die Möglichkeit, mit seinem Richter zu reden, und der Richter hat eine kalmierende Funktion.

Das sollte man sich also sehr, sehr genau überlegen! Es klingt unglaublich schön, wenn wir alles in einen Bereich geben – allein, der zivilrechtliche Bereich ist dermaßen inhomogen: § 78 Urheberrechtsgesetz, keine Anspruchsbescheinigung, immaterieller Schaden, § 1330 kein immaterieller Schaden; § 16 ABGB keine Urteilsveröffentlichung, Analogie § 43 ABGB.

Also, das ist so kompliziert, ich würde daher davor warnen, das über einen Kamm zu scheren!

12.51


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Danke. – Ich erteile Herrn Dr. Höhne das Wort. – Bitte.

 


12.51.16

Dr. Thomas Höhne (Rechtsanwalt; Wien)|: Eine der mir am wesentlichsten erscheinen­den Meldungen des heutigen Tages, die nicht untergehen darf, war die von Herrn Bau­er betreffend die arbeitsrechtliche Situation von Journalisten. Wenn wir es zulassen, dass Journalisten sozusagen kretinisiert werden und ihnen systematisch das Kreuz ge­brochen wird, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, was dort produziert wird. – Diese Meldung darf nicht untergehen, ich halte sie für wesentlich.

Zum Thema Presserat: Der Presserat ist weder Gericht noch Behörde, daher kann er in unserem Rechtssystem nicht in Rechte eingreifen. Dass sich sogar der Presserat am Kriterium des Artikels 6 EMRK, in dem es um Civil Rights geht, messen lassen musste, hat Herr Korn gerade zitiert. Daraus folgt, dass der Presserat das überall dort, wo wir über Sanktionen reden, die in Rechte-Eingriffen bestehen – wo also jemandem etwas weggenommen werden soll, worauf er ein Recht hat –, nicht machen können wird.

Die Presseratsentscheidungen als Grundlage für zivilrechtliche Entscheidungen: Kol­lege Jarolim, dahinter steht ein großes Fragezeichen! Ich meine, das Gericht wird sie nachlesen können, eine Bindung wird nicht möglich sein.

Der Förderungsentzug als Sanktion ist nett, nur die, die auf Förderungen sowieso nicht angewiesen sind und sie trotzdem gelegentlich bekommen, wie Österreichs größte Ta­geszeitung, wird der Förderungsentzug nicht gerade kratzen.

Ich glaube, nachdem wir heute sehr oft über Bewusstseinsbildung und Ethik gespro­chen haben, dass an dem, was Herr Bauer gesagt hat, schon etwas dran ist: Es geht um öffentliche Ächtung und es geht um Bewusstseinsbildung. – Was ich mir sehr wohl vorstellen kann, ist, dass der Gesetzgeber vorschreibt, dass Sprüche des Presserats im betroffenen Medium zu veröffentlichen sind. Das, so denke ich, müsste rechtlich drinnen sein.

Was die „Zivilisierung“ – also alles ins Zivilrecht zu übertragen – des Mediengesetzes betrifft, kann ich mich Herrn Korn nur anschließen: Das ist eine sehr zweischneidige Geschichte! Die Praktiker wissen, dass vor den Strafgerichten de facto sowieso zivilis­tisch agiert wird. – Ich glaube nicht, dass das der Hauptpunkt wäre.

Noch ein letzter Punkt, denn das muss man wirklich sagen: Ein Verbot der Veröffentli­chung widerrechtlich beschaffter – sprich: geheim gehaltener – Dokumente ist ebenso wie ein Einbruch ins Redaktionsgeheimnis, glaube ich, ein Tabubruch und darf nicht sein, andernfalls hätten wir bald statt des Public Watchdog einen „Public Schoßhund“. Da, so glaube ich, muss man in Kauf nehmen, dass Dinge passieren, die einem nicht recht sind, aber der wichtigere Aspekt dabei ist, der Presse diese Funktion zu erhalten, die manchmal eben nur durchführbar ist, indem man etwas veröffentlicht, das man nicht hätte veröffentlichen dürfen.

12.54


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Danke. – Ich erteile Herrn Ganzger das Wort. – Bitte.

 


12.54.20

Dr. Gerald Ganzger (Rechtsanwalt, Wien)|: Erstens: Im Bereich der Privatsphäre sehe ich keinen gesetzlichen Handlungsbedarf. Das Spannungsfeld zwischen diesen beiden wesentlichen Grundrechten werden wir mit keinem Gesetz und keiner Novelle auflösen können, das wird Sache der Rechtsprechung sein.

Zweitens: Eine dritte ständige Instanz beim OGH oder beim VfGH ist zu überlegen, es ist aber auch zu beachten, dass die Verfahren nicht verzögert werden sollen.

Drittens: Beim Erst-Outing von Opfern durch Bilder – das finde ich viel schrecklicher als die Veröffentlichung des Namens – müssen wir uns etwas einfallen lassen, da wäre eine Arbeitsgruppe sinnvoll. Eine Kriminalisierung bitte mit Augenmaß; da muss man bei neuen Tatbeständen im Strafrecht wirklich aufpassen: Wir dürfen die Medienfreiheit nicht ungebührlich einschränken!

Viertens: Herr Abgeordneter Morak, das ist an und für sich eine gute Idee, aber man kann das Börsegesetz und die dortigen Bestimmungen nicht mit diesen sehr sensiblen Bereichen vergleichen. Eine behördliche Aufsicht über Medien bedarf Augenmaß und muss wirklich sehr behutsam diskutiert werden.

Die Rechte von Opfern und die Rechte von Menschen, deren Persönlichkeitsrechte verletzt worden sind, sind wichtig, aber die Medienfreiheit ist auch wichtig. – Danke schön.

12.55


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Herzlichen Dank. – Bitte, Herr Professor Berka.

 


12.55.39

Referent o. Univ.-Prof. Dr. Walter Berka (Universität Salzburg; Verfassungs- und Verwaltungsrecht)|: Herr Vorsitzender! Ich bitte, mich von einem Schlusswort zu dispen­sieren, denn auch ich möchte noch diese Diskussionsbeiträge aufgreifen.

Das Medienrecht muss einen adäquaten Schutz von Medienopfern im weitesten Sinne, also auch der Opfer von strafbaren Handlungen, bieten. Das Medienrecht für sich allein betrachtet kann aber keinen besseren, keinen verantwortungsvolleren Journalismus er­zwingen.

Ein Beispiel: In der Bundesrepublik Deutschland hat man in den achtziger Jahren den Persönlichkeitsschutz vor allem durch die Judikatur der Zivilgerichte erheblich ausge­baut. Eine Folge davon war kurios: In der Regenbogenpresse, wie man sie damals ge­nannt hat, fand man dieselben Berichte über Vergewaltigungen mit Bildern wieder, nur waren es fiktive Berichte. Das Vergewaltigungsopfer, das nicht mehr dargestellt wer­den konnte, weil das ein Eingriff in Persönlichkeitsrechte gewesen wäre, wurde durch Schauspieler dargestellt. – Das heißt, es gibt einen verantwortungslosen Journalismus, bei dem es keine Opfer gibt, bei dem letztlich die demokratische Gesellschaft, die auf einen guten Journalismus angewiesen ist, das Opfer ist.

Und da sehe ich – jetzt greife ich noch einmal in die Diskussion über den Presserat ein – die primäre Aufgabe einer Medienselbstregulierung: dort einzugreifen, wo Stan­dards eines guten, professionellen Journalismus gegen die übermächtigen wirtschaftli­chen Interessen durchgesetzt werden müssen.

Was setzt eine solche Medienselbstregulierung voraus? – Ich glaube nicht, dass die Frage der Sanktionen das Entscheidende ist! Es ist schon gesagt worden: Ein Medien­rat kann nur durch Autorität und durch Publizität wirken, nicht durch staatliche Sanktio­nen. Er setzt voraus, dass es klare Standards guten journalistischen Handelns gibt.

Herr Bauer, ich glaube nicht, dass der ehrwürdige Ehrenkodex für die österreichische Presse, der schon seine 30 Jahre, glaube ich, auf dem Buckel hat, der so ehrwürdig ist wie die Zehn Gebote, geeignet ist, auch nur einen praktischen journalistischen Fall zu lösen, wie er sich in Amstetten oder sonst wo abspielt. Da steht im Mediengesetz sehr viel Konkretes, wenn es etwa darum geht, welche Namen ich nennen darf und welche nicht. – Das heißt, wenn es dem Presserat nicht gelingt, klare Regeln für gutes journa­listisches Verhalten zu entwickeln, ist er wahrscheinlich gescheitert, oder er entwickelt eine kasuistische, willkürliche Entscheidungslinie.

Drittens – auch das ist meiner Auffassung nach sehr wichtig –: Es ist gesagt worden, dass die Verurteilung durch die eigene Branche wehtut. – Das kann schon sein, aber die Branche bleibt immer noch unter sich.

Wo immer heute halbwegs funktionierende Selbstregulierungssysteme aufgebaut wer­den, ob im medizinischen Bereich mit Ethikkommissionen oder im wissenschaftlichen Bereich – in Österreich diskutieren wir über ein neues Gremium, das Scientific Miscon­duct ahnden soll –, würden die Betroffenen natürlich gerne unter sich sein – und das sind hier die Rektoren –, aber jeder weiß, dass das nicht funktionieren wird.

Daher meine ich, dass es ein Erfolgskriterium für jede Form eines neuen Presserats sein wird, dass die Branche nicht unter sich bleibt. Ich drücke es noch schärfer aus als Dr. Lehofer: Sie darf nicht unter sich bleiben, sie muss die Außenperspektive einbe­ziehen, die durchaus auch eine fachkundige Außenperspektive sein soll. Das, was an Medienkritik in Österreich fehlt – das hängt auch mit den Wettbewerbsverhältnissen zu­sammen –, muss einen Platz finden, wo wirkliche Medienkritik geübt wird. Darin läge die Chance des Presserats. – Danke.

12.58


Vorsitzender Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer|: Herzlichen Dank. Ihre Aus­führungen haben alle Anforderungen an ein Schlusswort tadellos und hervorragend er­füllt.

Ich darf mich somit bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern an der Diskussion des heutigen Vormittags bedanken, vor allem auch bei der Dame und den Herren am Po­dium für ihre Zeit, ihre Sachkunde und ihre Erfahrung, die sie in dieser Diskussion ein­gebracht haben.

Damit geht der erste Teil, aber nur der erste Teil, unserer heutigen Enquete zu Ende.

Ich darf jetzt die Sitzung bis 14 Uhr, bis zum Beginn des zweiten Teils, unterbrechen.

Die Sitzung ist unterbrochen.

*****

(Die Sitzung wird um 12.59 Uhr unterbrochen und um 14.06 Uhr wieder aufgenom­men.)

*****

 


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim (den Vorsitz übernehmend)|: Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf und darf Sie alle herzlich zur zweiten Hälfte der Parlamentarischen Enquete „Medienrecht und Opferschutz“ begrüßen.

14.06.38Themenblock II:

Viktimisierung und Opferschutz (psychologische Wirkung bei Veröffentlichung, psychologische Betreuung, Neue Identität und materielle Hilfe, Prävention, Selbstkontrolle der Medien)

 


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Wir kommen nun zum zweiten Themenblock mit dem Schwerpunkt „Viktimisierung und Opferschutz“.

Eröffnet wird dieser durch das Statement von Frau Bundesministerin Dr. Kdolsky, die aber wegen Heiserkeit nicht in der Lage ist, ihr Statement hier selbst abzugeben, worü­ber ich das Bedauern in unser aller Namen zum Ausdruck bringen darf.

In Vertretung der Frau Bundesministerin wird nun Frau Abgeordnete Rauch-Kallat das Statement hier verlesen. – Bitte, Frau Abgeordnete.

Statement

 


14.07.58

Abgeordnete Maria Rauch-Kallat (ÖVP) (in Vertretung von Bundesministerin Dr. Andrea Kdolsky)|: Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Bun­desministerin! Ich habe volles Verständnis, weil ich weiß, wie schlimm es ist, wenn man eine Kehlkopfentzündung hat und eigentlich dauernd sprechen müsste. Ich habe das vor zwei Jahren, als die Vogelgrippe grassierte, während der österreichischen Präsidentschaft ähnlich erlebt. Ich freue mich, dass ich für Frau Ministerin Dr. Kdolsky das folgende Statement verlesen darf, und wünsche ihr gute Besserung.

Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Schlagzeilen über schreckliche Gewaltvorkommnisse in unserer Gesellschaft, in den Familien gehören heute leider zum medialen Alltag. Die öffentliche Auseinandersetzung mit Gewalt ist re­lativ neu. So wird körperliche Gewalt erst seit den sechziger Jahren des letzten Jahr­hunderts in den Medien und in der Wissenschaft wahrgenommen und sexuelle Gewalt überhaupt erst seit den achtziger Jahren.

In diesen wenigen Jahren hat das Thema eine Entwicklung genommen, die man mit „Vom Tabu zum medialen Missbrauch mit dem Missbrauch“ bezeichnen könnte. Es ist nicht entschieden, ob die Medien Auslöser für das relativ breite Interesse am Thema „Gewalt an Kindern“ waren oder ob sie dieses Interesse nur gespiegelt, eine diskursive Wirklichkeit beschrieben haben. Sicher ist, dass die Veröffentlichung von Gewalt an Kindern von einem Wandel im Verständnis Kindern gegenüber und damit einhergehen­den wichtigen politischen Entscheidungen begleitet war.

Das Züchtigungsverbot für Schule und Eltern in den siebziger Jahren wurde bereits 1989 vom Verbot jeder psychischen und körperlichen Gewalt in der Erziehung allge­mein abgelöst – im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch ist das der § 146 –, und wir können im nächsten Jahr „20 Jahre Gewaltverbot in Österreich“ begehen. Damit gehört Österreich mit den skandinavischen Ländern zu den Vorreitern in einem weltweiten Be­mühen, für das sich die Vereinten Nationen und der Europarat in den letzten Jahren stark gemacht haben – und immer noch machen.

Die Familien zu entlasten und in ihrer schwierigen Aufgabe zu unterstützen, das ist einer der stärksten Pfeiler in der Gewaltprävention; aber auch die Bereitstellung von Hilfe und Information darüber ist wichtig. Das Bundesministerium für Gesundheit, Fami­lie und Jugend hat eine Kampagne für Elternbildung in Auftrag gegeben, die seit Mitte Juni in mehreren Medien für die Inanspruchnahme von Eltern-Bildungsangeboten und Familienberatung wirbt. 1989 wurde die – 1992 von Österreich ratifiziert – UN-Konven­tion über die Rechte des Kindes beschlossen. Ein zentrales Element der Kinderrechts­konvention ist das Recht des Kindes auf Schutz vor Gewalt und Ausbeutung, auch vor medialer Ausbeutung.

Ein Grundprinzip ist, dass das Kindeswohl in allen Entscheidungen an oberste Stelle zu stellen ist. Gewalt an Kindern wird heute öffentlich wahrgenommen und verurteilt –und das ist gut so. Die der medieninternen Logik folgende Form der Berichterstattung darüber führt aber zu dem Eindruck, dass Gewalt zugenommen hätte, ja sogar, dass besonders schwere, das heißt wiederholte oder lang dauernde körperliche, sexuelle und/oder psychische Gewalttaten innerhalb der Familie im Steigen begriffen wären, weil diese empörenden Taten es sind, die hohe Nachrichtenwerte haben.

Die bekannten Nachrichtenfaktoren, zum Beispiel Ungewöhnlichkeit der Ereignisse, die das Interesse der Leserinnen und Leser sichern, führen dazu, dass weniger spektaku­läre Formen von Gewalt – wie Vernachlässigung, psychische sowie strukturelle Ge­walt – nicht öffentlich werden.

Dieses Fehlen von bewusstseinsbildender Berichterstattung auf der einen Seite ist be­gleitet von der Übermedialisierung tragischer Taten und deren Täter auf der anderen Seite. Ursachen, Hintergründe und Folgen, aber auch die Sicht und Persönlichkeit der Opfer kommen dabei zu kurz. Weniger sensationelle Folgen der Gewalttat, die nicht unmittelbar darstellbar sind, werden meist ausgeblendet. – Beides ist nicht im Sinne des Opferschutzes.

Was kann, was muss daher getan werden? – Die gesetzliche Situation in Österreich trägt der nötigen Balance zwischen dem Recht auf Information und Medienfreiheit und dem Recht auf Schutz der Persönlichkeit – das heißt, keine identifizierende Informatio­nen – weitgehend Rechnung. Der Fall in Amstetten zeigt aber, dass diese Gesetze Op­fer nicht immer schützen. Wenn eine ganze Familie weggesperrt werden muss, damit ihre Privatsphäre geschützt werden kann, dann müssen die rechtlichen Möglichkeiten ausgeweitet und ein Schutzraum geschaffen beziehungsweise über die Krankenhaus­mauern hinaus vergrößert werden.

Vielfach geforderte höhere Strafen schützen Opfer nicht, denn es werden die beste­henden Strafrahmen nicht einmal jetzt ausgenützt – und selbst höhere Strafsätze kön­nen von potenten Medien locker bezahlt werden.

Die Frage ist daher, wie der Rechtsschutz verbessert werden kann, damit Opfer ihre Rechtsmittel auch ausschöpfen können. Die Frist von sechs Monaten, innerhalb derer Opfer von Persönlichkeitsrechte verletzenden Berichten Bußgeldansprüche geltend machen müssen, wird jedenfalls als zu kurz empfunden, weil Opfer erst viel später die persönlichen Ressourcen aufbringen, sich über die Berichterstattung ihres tragischen Erlebens klar zu werden.

Wichtig ist, dass Opfer neben der nötigen psychologischen Betreuung auch im Um­gang mit den Medien lange vor dem Prozess unterstützt werden müssen. Für die rechtliche und psychosoziale Prozessbegleitung, die seit 1998 im wissenschaftlich be­gleiteten Modellprojekt erarbeitet wurde, besteht seit 2006 ein Rechtsanspruch. Dabei fördert das Bundesministerium für Justiz die einzelne Prozessbegleitung und das Res­sort von Frau Ministerin Kdolsky fördert qualitätssichernde Maßnahmen für Prozessbe­gleitung mit Informationen, Supervisionen und der Website-Prozessbegleitung.

Ein gut koordiniertes Krisenteam, das Opfer über die Zeit der großen medialen Auf­merksamkeit begleitet, ist ein richtiger Weg, der in spektakulären Fällen der letzten Jahre beschritten wurde.

Kinder haben das Recht auf Privatsphäre, so Artikel 16 der Kinderrechtskonvention. Und das Kinderrecht auf Rehabilitation für Opfer von Gewalt sieht vor, dass Kinder Ge­nesung und Wiedereingliederung in einer Umgebung finden müssen, die der Gesund­heit, der Selbstachtung und der Würde des Kindes förderlich ist, so Artikel 39 der Kin­derrechtskonvention.

Die stärkste Maßnahme ist wohl eine neue Identität, die es den Menschen ermöglicht, selbst zu entscheiden, wem sie ihre Erlebnisse anvertrauen, und sie davor schützt, ein Leben lang von Fremden darauf angesprochen zu werden. Wichtig ist auch da die Prä­vention, die auf vielerlei Ebenen erfolgen muss.

Unerlässlich ist eine verstärkte Auseinandersetzung mit Ethik und Opferschutz in der Aus- und Weiterbildung aller Journalistinnen und Journalisten.

Damit der Opferschutz durch die Medien nicht erschwert wird, müssen diese für den Opferschutz gewonnen werden. Die Medien müssen es zulassen, dass Opfer wieder autonom werden können, ihre Würde zurückbekommen. Standards für Ethik in den Medien und Richtlinien für die Berichterstattung sind zu entwickeln.

Zeitungsberichte haben eine große Bedeutung für die Bildung von Einstellungen, sie liefern nicht nur Informationen, sondern auch Deutungsangebote. Daher ist eine diffe­renziertere Berichterstattung über Gewaltvorkommnisse, über Auswege und Hilfen wichtig. Nur so kann eine Berichterstattung sensibilisieren, Verhalten ändern und einen wichtigen Beitrag in der öffentlichen Diskussion leisten.

Medien sollen Opfern Mut machen, sich zu wehren, Beratungsstellen und Selbsthilfe­gruppen nennen. Es gibt ein breites, von der öffentlichen Hand gefördertes Hilfsange­bot – Familienberatungsstellen, Kinderschutzzentren und anderes mehr –, das von den Betroffenen aufgesucht werden sollte.

Weiters muss auch der Mut, nein zu sagen, gestärkt werden. Auch dabei können uns Medien unterstützen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

14.17


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Danke, Frau Kollegin Rauch-Kal­lat, und danke, Frau Bundesministerin.

Ich darf nun Herrn Eich um sein Referat ersuchen. – Bitte.

Impulsreferat

 


14.18.14

Referent Holger Eich (Kinderschutzzentrum Wien)|: Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die Aufgabe, einen Impuls zu liefern, und ich möchte versuchen, Sie ein bisschen in die Sicht der Opfer zu entführen. Wie geht es einem Opfer, was geht in ihr/ihm vor – gera­de auch bei der Fragestellung: Soll ich mit den Medien reden oder nicht?

Wir haben bisher gehört, was sich namhafte Juristinnen und Juristen ausgedacht ha­ben, um das Problem zu lösen. Man hat ein Bild davon bekommen, wie schwierig es ist, Journalist zu sein, wie groß der Druck ist, Geschichten und Fotografien finden oder erfinden zu müssen, um ein angeblich sensationssüchtiges Klientel zufriedenzustellen. Vom Recht auf Information ist die Rede gewesen, von der Freiheit der Meinung.

„Stefan“ hingegen hätte gefragt: Was haben die geredet? Vermutlich hätte ich geant­wortet: Über dich! Und vermutlich hätte er geantwortet: Geil!

Ach so, Sie kennen „Stefan“ ja noch nicht. – Der Vormittag, die Journalisten, der me­diale Druck, die öffentliche Meinung, es wird geliefert, was gekauft wird. Sie wünschen, wir spielen!, diese Argumentation ist bekannt.

„Stefan“ war ja nebenberuflich Drogendealer, „eh nur“ Marihuana, ein paar Pillen, keine wirklich starken Sachen, nichts zum Spritzen. Er schämte sich nicht. Was er sagte, war: Die Leute haben es halt wollen! Was geht mich das an? Wenn ich es ihnen nicht verkauft hätte, dann hätte es jemand anderer gemacht, sagte „Stefan“, damals zwölf Jahre alt. Die Schulpsychologie befundete bei „Stefan“ sonderpädagogischen Förder­bedarf. – Mir schien, er habe das Einmaleins der freien Marktwirtschaft, das Gesetz von Angebot und Nachfrage ebenso gut verinnerlicht wie manch gut dotierter Auf­sichtsratsvorsitzender.

Als ich „Stefan“ kennenlernte, ging er hauptberuflich „anschaffen“; er ist mit zahlreichen Männern ins Geschäft gekommen, das hatte er so gelernt bei sich zu Hause. Ein Onkel hatte ihn sexuell missbraucht, als er sieben Jahre alt wurde; kein brutaler Mann, nein, einer, der viel mit ihm unternommen hatte, auf den Sportplatz gegangen, ihn gelobt, ihm Aufmerksamkeit gewidmet und ihm vermittelt hat, dass er etwas wert ist. Dass er einen Schmäh habe, hat der Onkel ihm gesagt, dass er lustig sei und schön und – da hatte der Onkel recht – anders als seine Mutter und sein Vater, die ihn geschlagen hat­ten, die sagten, dass er unnütz sei und eine Plage, und ihm die Geschenke abnahmen, die er vom Onkel erhalten hatte.

Das hatte „Stefan“ inzwischen gelernt, dass man etwas anbieten muss, um gemocht zu werden. Und was der Markt will, das konnte „Stefan“ bieten. „Stefan“, das Opfer – einer von denen, über die man heute Vormittag sprach?

Es kann gute Gründe geben, die Geschichte eines Opfers in die Medien zu bringen, doch dabei zahlt das Opfer immer auch seinen Preis. „Stefan“ zahlte seinen: Er war im Fernsehen. Ist das nicht ein Traum vieler Kids? Und gibt ihnen das Fernsehen nicht genügend Chancen, sich vor den Augen von Millionen lächerlich zu machen, in Daily Talkshows oder Castings mit Dieter Bohlen, in Formaten wie „Tausche Familie“ oder „Super Nanny“ oder wenn Eltern heimgemachte Videos ihrer weinenden Babys und Kleinkinder, die vom Stuhl oder in den Pool fallen oder mit den Skiern gegen einen Baum fahren, in Formaten mit Titeln wie „Hoppala“ ausstellen und sich nicht abgrund­tief schämen? – Das alles schafft den Boden, auf dem das keimt.

Auch wir selbst sind hinreichend verführbar – Psychologen, PsychotherapeutInnen, Psychiater, ProfilerInnen. Eine reine Medienschelte wäre nun auch zu einfach. Funk­tioniert das Ganze nicht nur, weil es Verantwortliche gibt, die damit angeben, dass sich die heiß begehrten Opfer unter ihren Fittichen befinden und die Kameras aller Welt so auf sich, aber vor allem auf die Opfer lenken und sie diese dann – hoppala! – ebenso einsperren müssen vor den angelockten Fotografen, wie es der Psychopath tat, dem die Opfer sich gerade entwichen glaubten?

Reicht es da, auf die Paparazzi zu schimpfen oder – auch gerne gesehen – Psychiater, die den Täter öffentlich diagnostizieren, ohne ihm jeweils begegnet zu sein? Letztlich treffen sich bei solchen Fällen doch nur narzisstische Persönlichkeiten unterschiedli­cher Profession, und zwar am medialen Stammtisch.

Heute würde ich es nicht mehr zulassen, dass „Stefan“ seine Geschichte im Fernsehen erzählt: gerade weil er mit seiner ganz besonderen Geschichte nie gelernt hatte, sich gegen Forderungen anderer abzugrenzen, gerade weil er aufgrund seiner Geschichte bedürftig war und sich von der medialen Öffentlichkeit Zuwendung erhofft hatte, die seine Eltern und die Behörden ihm verweigert hatten. Er wollte endlich einmal erzäh­len, wie es ihm ergangen ist, was so viele vorher nicht interessiert hatte: das Jugend­amt, die Polizei, die ihn beim Dealen aufgriff – allen hatte er etwas angedeutet, und heute wollte er endlich einmal alles sagen.

Erhofft hatte er sich davon, dass seine Freunde ihn noch etwas mehr mögen, vermutet hatte er, dass seine Freundin ihn nun als Fernsehstar noch mehr bewundern würde. Tatsächlich hat sich die Freundin nach Ausstrahlung der Sendung von ihm getrennt, ebenso seine Freunde. Der Lehrer warnte davor, sich mit ihm einzulassen. Ja, „Stefan“ war am Tag danach stadtbekannt, aber nicht so, wie er es sich erhofft hatte.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt mediale Gesetzmäßigkeiten, die nicht unbedingt nur mit der Mediengesellschaft zu tun haben, sondern eigentlich mit sozialpsychologischen Prozessen.

Die Wahrnehmung einer Person in einer Gruppe ändert sich – und das hat in den meisten Fällen weniger mit der Person selbst, ihrer Geschichte, ihrem Verhalten als mit den Bedürfnissen der Gruppe zu tun. Die Gruppe, das sind wir – die Opfer, das sind die, deren Namen wir wie durch Wunder alle kennen: der zu Tode geschüttelte L., die entführte N. oder die im staatlich geförderten Atomschutzkeller vergewaltigte E. – „Alte Bekannte“.

Wir kennen sie, wir sind versorgt mit ihren Geschichten, man will uns Glauben machen, wir wollten noch mehr über sie wissen, wie sie denn aussehen. Wir wollten ihnen in die Augen schauen, wissen, was genau ihnen angetan worden ist – noch genauer, noch genauer: Welche Sexualpraktiken? Wirklich nur ein Täter? Wirklich nur ein Opfer? Wä­re das Monster nicht noch monströser, der außergewöhnliche Fall nicht noch „genia­ler“ – dieses Wort ist häufig gefallen –, wenn die Perversion noch ein bisschen weiter gegangen wäre?

Es scheint, als reiche der reale Schrecken nicht aus; es sollte noch schlimmer sein. Wir haben noch perversere Ideen. Die Gruppe, Sie und ich, wir leiden uns vorsichts­halber erst einmal ein in die Opfer, wir beginnen, die Täter zu verachten, die „uns“ das angetan haben, „Monster“, die nichts mit uns zu tun haben. Das Böse schlechthin; ja, es gibt es doch, das Böse, aber nur in Niederösterreich!

Diese Täter, die uns durch ihre Taten die Illusion nahmen, dass wir alles unter Kontrol­le hätten, dass die Welt gerecht ist, dass uns nichts passieren könne, dass uns dann, wenn wir nichts Böses tun, auch nichts Böses passieren könnte. Schmeck’s!

Und dann, nach dieser ersten Identifikation mit dem Opfer, nach den ersten großzügig geflossenen Spendengeldern kippt die Gruppeneinschätzung gerne einmal um – nicht sofort, es braucht etwas Zeit, aber das kommt.

Wie war die ganze Welt nicht voller Mitleid und Solidarität mit dem britischen Ehepaar, dessen Tochter aus einer Ferienhausanlage verschwand – Sie erinnern sich. Es dauer­te nicht länger als ein halbes Jahr, bis genau den Eltern, mit denen wir uns eingangs identifiziert hatten, zugetraut wurde, dass sie selbst ihr Kind im Meer versenkt hätten.

Das Mädchen, mit dem sich nach seiner unvorstellbaren Isolation die gesamte Welt identifiziert hatte: Wenn Sie nun lesen, was über es geschrieben wird – freilich nicht in den redaktionellen Teilen der Zeitungen, sondern anonymisiert im Leserbriefsektor –, dann wird Ihnen bestenfalls schlecht.

Ich glaube, wir können uns zunächst mit den Opfern identifizieren, weil wir ihre Gesich­ter nicht kennen, weil sie noch nicht sprachen, weil sie noch nicht an der falschen Stel­le lächelten, weil sie uns noch nicht den Eindruck machten, verführerisch zu sein oder weil sie noch nicht von einem Fernsehsender verführt wurden, eine Talkshow zu über­nehmen.

Doch je mehr Opfer sie selbst werden, je mehr sie aus dem Schatten unserer Phanta­sie heraustreten und ein Gesicht bekommen, desto mehr distanzieren wir uns wieder von ihnen – und wir bekommen plötzlich den Eindruck, dass das Opfer doch „ein bis­serl“ mitverantwortlich dafür war, was passiert ist – eigentlich unglaubwürdig das al­les –, und dass es ganz so schlimm ja wohl doch nicht gewesen sein kann. Und ehr­lich, unter uns gesagt: Hat dieser „Stefan“ wirklich auf den Strich gehen müssen?! Hat er nicht auch Geld dafür bekommen?! Hat der Psychologe nicht eben selbst gesagt, dass er auch etwas davon hatte? Und ehrlich gesagt: Warum hat er sich eigentlich nicht gewehrt?!

Ja, „Stefan“, warum hast du dich nicht gewehrt? Warum macht ihr Opfer nicht einfach, was sich die Ministerien für euch vorstellen: Geht zur Polizei und macht mal eine An­zeige, macht unmissverständliche Aussagen vor Gericht! Warum schweigt ihr plötzlich, wenn die Polizei euch etwas fragt?! Warum sagt ihr nicht einfach die Wahrheit?! Wa­rum? Habt ihr nicht doch etwas zu verbergen?

Aus einem bemitleidenswerten Opfer wird so schneller eine MittäterIn, als man sich zu denken traut, jemand, der sich ohnehin ganz leicht hätte befreien können, eine, für die das wahrscheinlich ohnehin gar nicht so schlimm war, und so weiter.

Die Identifikation mit dem Opfer kippt dann um. Dann kann man sich wieder ent-identi­fizieren, wie wir das nennen, das Gefühl erlangen, doch nicht betroffen zu sein, dass die Welt doch im Lot ist. Und so dient die Geschichte des Opfers plötzlich zu unserer eigenen Beruhigung – und das Opfer hat ausgedient.

Alternativen: Gelingt es – ein naiver Traum von mir –, dem geschätzten, angeblich so sensationsgeilen Publikum rüberzubringen, wie ein Opfer wirklich funktioniert? Wäre es nicht ehrenwert, endlich einmal deutlich zu machen, dass ein Opfer nicht nur ein süßes kleines unschuldiges Wesen sein muss, sondern dass es zu seiner, zu ihrer Überle­bensstrategie gehört, sich immer wieder zu widersprechen, die falschen Menschen zu verführen? Und, gerade wenn es nicht Opfer eines einmaligen Übergriffs ist, sich mit dem Täter arrangieren zu müssen, um zu überleben? Das zu verstehen, auf diese In­formation hätten die Menschen ein Recht – vor allem die Opfer. Das ist ein Problem.

Ich komme zum Schluss. Nirgendwo, in keinem Wirtshaus, an keinem Stammtisch fin­det sich dieses Kippen der Stimmung, von dem ich versucht habe zu reden, so rasch wie im österreichischen Boulevard, und nirgendwo auf der Welt führt das publizierte Verbrechen eines perversen Einzeltäters so schnell zu einer spontanen Änderung der Strafprozessordnung wie in diesem Parlament. Das sollte man wissen, wenn man von Kindern erfährt, dass sie sexuell missbraucht werden und dass sie darüber reden wol­len.„Stefan“ – den ich übrigens erfunden habe, der eine Kompilation aus vielen Fällen ist – hat es nicht wissen können. „Stefan“ fand irgendwie nur geil, dass er ins Fernse­hen kommt, weil er sich Unterstützung erhoffte und Verständnis, aber nicht Voyeuris­mus und Häme.

Die Opfer wollen das Interesse der Umwelt – aber diese will, bei allem Sensationshun­ger, nicht hören, wie es wirklich ist, ein Opfer zu sein. Und wir alle laufen Gefahr – wir alle! –, immer wieder Opfer familiärer Gewalt zu Opfern auf dem Altar der Neugier und unserer eigenen Eitelkeit werden zu lassen. Und das bleibt ein Problem. – Ich danke Ihnen. (Beifall.)

14.30


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Vielen Dank, Herr Eich, für die­ses Einleitungsreferat, das uns die unterschiedlichen Sichtweisen vor Augen geführt hat, die ja jetzt in der weiteren Diskussion beleuchtet werden sollen.

Panels

 


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Ich darf Frau Universitätsprofes­sor Perner um ihr Statement bitten.

 


14.31.06

Univ.-Prof. Dr. Rotraud Perner (Psychoanalytikerin)|: Herr Vorsitzender! Meine Da­men und Herren! Ich möchte an die Ausführungen der Kolleginnen Ablinger und Rössl­humer anschließen und folgenden Aspekt dazu einbringen:

Das Wort ist eine Waffe, auch das geschriebene Wort. Daher muss man damit sorg­sam umgehen, denn allein die Wortwahl kann zu Traumatisierungen führen, die noch über lange Zeiträume nachwirken. Es genügt dann oft eine ganz bestimmte Kombina­tion, die als Trigger wirkt. Dank der computergestützten Gehirnforschung wissen wir heute, dass auch organische Veränderungen durch solche Traumatisierungen möglich, ja sogar ziemlich wahrscheinlich sind. Das heißt, wir können bestimmte Wortwaffen durchaus Körperverletzungen gleichsetzen.

Ich spreche hier jetzt nicht nur als einzige Universitätsprofessorin für Prävention, son­dern als eine, die selbst mehrfach durch Medienberichterstattungen traumatisiert wur­de. Ich spüre noch immer diese Stresshormonausschüttungen in mir, und ich möchte mir meine Sensibilisierung nicht nehmen lassen, um nicht abzustumpfen.

Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass Opferschutz uns alle angeht, wenn wir Zeugen, Zeuginnen von Situationen werden, wo Gewalt ausgeübt wird. Ich möchte Sie auch da­rauf hinweisen, dass wir gerade, wenn wir uns mit Medien beschäftigen, an das Phäno­men denken müssen, dass sich viele als Pseudo- oder Hobbyjournalisten in YouTube und ähnlichen Medien betätigen, indem sie Gewalt ausüben, um sie filmen zu können und multiplizieren zu können, und dass wir daher, wenn wir uns mit dem Thema be­schäftigen, sehr umfassend denken müssen.

Wir müssen umfassend denken, welche Schädigungen tatsächlich passieren – nicht nur die sichtbaren, nicht nur die, die Folgen haben, die man objektiv feststellen kann. Wir dürfen nicht vergessen, dass es in diesem Bereich eine immens hohe Dunkelziffer gibt, dass also vieles passiert, das gar nicht an die Öffentlichkeit kommt. Wenn ich al­lein denke, was ich weiß, nicht nur aus der Arbeit mit Klienten, Klientinnen, sondern auch aus den vielen Seminaren, die ich mit Beamten, Beamtinnen für die Verwaltungs­schulen der Bundesländer durchführe, wo ich zum Teil mit jenen SozialarbeiterInnen arbeite, die in den Medien angegriffen werden, weil sie angeblich Fehler gemacht ha­ben, und wo ich weiß, dass es Lücken im System gibt, die geschlossen werden sollten, und wo ich denke, dass es ganz wichtig ist, dass wir einmal intern darüber reden und nicht immer gleich die Medien bedienen.

Es ist schwierig genug, das weiß ich auch aus eigener Erfahrung, sich die Medien vom Leib zu halten, und ich versuche auch, Kollegen und Kolleginnen zu entlasten, die di­rekt am Fall arbeiten, indem ich die objektiven, die abstrakten Informationen ersatzwei­se liefere, damit die in Ruhe arbeiten können.

Das heißt, wir müssen uns auch damit beschäftigen, was getan wird, um die Arbeit der Polizei nicht zu behindern. Wir müssen auch darüber reden, dass es Rechtsanwälte gibt, die die Medien beliefern, weil das Teil ihrer Verteidigungsstrategie ist. Wir müssen uns auch damit auseinandersetzen, dass wir alle Verantwortung haben für das, was wir tun. Wenn wir in jenem Beruf arbeiten, in dem wir das Wort professionell einsetzen, dann haben wir eine qualifizierte Verantwortung. Gerade, weil Primärprävention ein Bil­dungsproblem ist, weil es darum geht: Wie denken wir?, Welche Neurosignaturen ha­ben wir, die unser Handeln bestimmen?, ist Aufklärungsarbeit ganz wichtig. Ich vermis­se hier am Podium eine Ministerin, die hier auch ganz wesentlich mithelfen könnte.

Wir haben uns im Rahmen der Konzeptionen zur Primärprävention überlegt: Welche Möglichkeiten hätten wir? Ich würde vorschlagen, einmal ernsthaft darüber zu diskutie­ren, ob man nicht Kinderschutzeinrichtungen oder die Interventionsstellen, die Dach­einrichtungen der Frauenhäuser mit der Möglichkeit einer Verbandsklage ausstattet, damit sie dort, wo Personen, die zu Opfern geworden sind und die aus ihrer Krisenbe­wältigung heraus nicht in der Lage sind, ihre Rechte einzufordern, Verantwortlichkeit einzufordern, stellvertretend tätig werden können.

Ich schlage Pflichtfortbildungen vor – so wie es bei uns im psychosozialen Bereich üb­lich ist, wo wir unsere Lizenzen verlieren, wenn wir uns nicht weiter- und fortbilden – auch für diese Berufe, wie Medienberufe, aber natürlich auch andere, die so massiv verletzen können. Ich schlage vor, dass wir das auch für die sogenannten freien Berufe in Erwägung ziehen, denn wenn es heißt: Selbstkontrolle, dann erinnere ich an die Selbstkontrolle, die immer angesprochen wird, wenn es um Alkohol und Autofahren geht oder im Fußball oder auch bei Rechtsanwälten und Ärzten: Wenn man mehrfach seine Berufsethik verletzt, bekommt man die gelbe, die rote Karte und dann wird man gesperrt. – Danke.

14.37


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Danke, Frau Professor Perner.

Als Nächste gelangt Frau Mag. Wölfl zu Wort. – Bitte.

 


14.37.28

Mag. Hedwig Wölfl (Die Möwe)|: Werte Anwesende! Ich möchte mich der Forderung meiner Vorrednerin anschließen, nämlich nach einer unabhängigen Stelle, die für Me­dienopfer eintritt, vor allem, wenn sie schon zuvor Opfer von Gewalt geworden sind.

Aus internationalen Studien wissen wir, dass der Konsum von Gewaltberichterstattung bei Kindern psychischen Distress bis hin zu posttraumatischen Belastungsstörungen bewirken kann. Das Ausmaß dieser Belastungen ist abhängig von der Intensität des Medienkonsums, von Alter und Geschlecht, von der persönlichen Verbindung zum Vor­fall und auch von der Art der Berichterstattung: von der Dramatik der Bilder, aber auch davon, ob die Berichte eher opfer- oder täterlastig sind.

Auch die Klientinnen und Klienten unserer fünf Kinderschutzzentren konsumieren Me­dien, auch Gewaltberichterstattung. Wir wissen nicht, welche Folgen das bei ihnen auslöst und was es mit ihnen macht. Und unsere Klientinnen und Klienten sind bereits Gewaltopfer! – Einige Reaktionen, die wir in den Zentren seit dem Anlassfall in Nieder­österreich beobachten konnten, möchte ich Ihnen ganz kurz schildern.

Viele – und die meisten – haben sich nicht dazu geäußert. Aber einige, die wir im Rah­men von Prozessbegleitung betreuen – das heißt Kinder und Jugendliche, die sich be­reits getraut haben, die Mut und Kraft zu einer Aussage haben –, haben Enttäuschung und Frustration geäußert, dass nämlich trotz des allgemeinen medialen Aufschreis Op­fer in der Praxis nicht immer Unterstützung bekommen beziehungsweise sich bei einer vorzeitigen Einstellung oder bei einem Freispruch alleingelassen fühlen und Zweifel an Rechtsprechung und Gesetz haben.

Die Ungeheuerlichkeit des Anlassfalles und seine vielleicht noch ungeheuerlichere Be­richterstattung, Darstellung in den Medien machte sehr betroffen. Wir haben beobach­tet, dass die Beunruhigung und das Informationsbedürfnis in der Bevölkerung gestie­gen sind. Wir hatten mehr Anrufe, Anfragen, wie man Gewalt, vor allem sexuelle Ge­walt, erkennen kann und wie man bei einem Verdacht vorgehen sollte. Die Frage bleibt für uns: Wem hilft welche Art der Berichterstattung, und wem schadet sie im Sinne der sekundären Viktimisierung, wie es auch schon von meinen Vorrednern benannt wur­de?Es bleibt auch die Frage: Könnte es nicht auch eine differenzierte Berichterstattung über Facts und Folgen sexueller Gewalt abseits von sensationellen Anlassfällen geben und dadurch sinnvoll und ohne Schaden Aufklärung geleistet werden? – Das ist unsere Forderung.

Und umso mehr gilt unsere Forderung nach einer sensiblen Berichterstattung. Es braucht Richtlinien, und die gibt es auch.

Aus Opferschutzsicht sollten bei einer optimalen Berichterstattung zu Gewaltverbre­chen zumindest folgende Punkte berücksichtigt werden – und vorweg: ich denke, es darf bei extremen Anlassfällen auch freiwillig nicht berichtet werden –:

Die erste Forderung wäre die nach einer parteilich abstinenten Darstellungsweise. Das heißt, einfühlend zu sein und nicht mitleidig; differenziert und nicht pauschal; abge­grenzt und nicht vereinnahmend oder verurteilend; entschleunigt und nicht vorschnell; informativ und nicht sensationslüstern; sensibel und nicht pathetisch oder tragisch.

Zweitens: Die Gewalt muss als solche benannt und als illegitimes und unrechtfertigba­res Ereignis beschrieben werden, um auch der Gefahr einer Opferbeschuldigung zu entgehen.

Drittens: Die Anonymität muss jedenfalls gewährleistet sein, und das betrifft, so wie es am Vormittag auch schon gesagt wurde, nicht nur den Namen und den Wohnort – vor allem wenn es ein kleiner Ort ist –, sondern eben auch Straßen, die nicht erwähnt wer­den sollten, und Fotos von Häusern und so weiter.

Viertens: Wenn es keine Ursachen oder Motive für das Geschehen gibt, die bekannt sind, sollten keine konstruiert werden.

Fünftens: Es wäre sehr wünschenswert, dass auch die Reaktionen, die klinischen, die psychischen Folgen von Gewalt, aber auch die gelingenden Coping-Mechanismen dort, wo Bewältigung geschieht – und das versuchen wir ja in den Kinderschutzzentren auch mit zu leisten –, sowie die Hilfseinrichtungen dargestellt werden. Denn man kann und darf auch mit schrecklichen Erfahrungen gut umgehen können und trotzdem zu einem lebenswerten Leben finden.

Wir müssen über die gesellschaftlichen Tabus und die Normalität des Wegsehens dis­kutieren. Missbrauch ist eben kein Einzelphänomen und kommt in allen Teilen unserer Gesellschaft vor.

Sexuelle Gewalt findet täglich statt. Sie beginnt beim Erzählen sexistischer Witze – und wir bestätigen es, wenn wir darüber lachen –, sie wird fortgesetzt durch Sextourismus und hat ein zerstörerisches Höchstmaß beim Inzest.

Es muss klar werden und nicht nur gesellschaftlicher Konsens, sondern eben gelebte Praxis werden, und zwar von uns allen, dass Gewaltanwendung immer inakzeptabel ist.

Zuletzt: Mein Wunsch als Vertreterin von Kinderschutzeinrichtungen ist, dass das The­ma sexuelle Gewalt in den Medien bleibt, aber abseits von aufsehenerregender An­lassberichterstattung, nämlich damit in der Gesellschaft ein Common Sense entsteht, dass jede Form des Ausnützens eines Autoritätsverhältnisses und jegliche Form von sexueller Nötigung nicht akzeptiert wird.

Es braucht echte Prävention, zum Beispiel Kampagnen in Schulen und Medien. Die breite öffentliche Aufklärung und Diskussion darüber könnte mehr, als das eine umfas­sende Anzeigeverpflichtung je leisten kann, auch bewirken, dass sich Betroffene oder Sich-bedroht-Fühlende früher an Hilfsorganisationen und Helplines wenden, damit Ge­walt vermieden oder beendet werden kann. – Danke.

14.44


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Danke, Frau Mag. Wölfl. – Als Nächster gelangt Herr Professor Jesionek zu Wort. – Bitte.

 


14.44.44

Hon.-Prof. Dr. Udo Jesionek (Weißer Ring)|: Herr Vorsitzender! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir zwei Vorbemerkungen aus der Alltagspraxis der Opferhilfe.

Die Erste: Traumatisierung als Folge primärer und sekundärer Viktimisierung kann Op­fer aller strafbaren Handlungen treffen, nicht nur Gewalt- und Sexualopfer. Es ist eines der größten Aha-Erlebnisse für mich nach 39 Jahren Richtertätigkeit – und jeder, der mich kennt, weiß, dass ich ein engagierter Richter war –, das Ausmaß der Betroffen­heit von Opfern von scheinbar einfachen Delikten zu erleben – von Handtaschendieb­stählen, von Einbruchsdiebstählen, von Einschleichdiebstählen.

Wir betreuen eine ganze Reihe von Opfern, die posttraumatische Belastungsstörungen haben und nur Opfer etwa von Einbruchsdiebstählen waren – es laufen diesbezüglich gerade zwei Forschungsprojekte. Das ist viel zu wenig bekannt, und jeder, der selbst Opfer eines Einbruchsdiebstahls war – ich spreche aus eigener Erfahrung –, weiß, wie einen das hernimmt. Wenn ich nach Hause komme, ist heute noch immer mein erster Blick zur Terrassentür, denn da sind die Einbrecher damals hereingekommen; ich bin Gott sei Dank nicht posttraumatisiert, hoffe ich zumindest. Es ist dies ein ganz starkes Problem, und diese Opfer brauchen Hilfe – alle Opfer brauchen Hilfe. Das ist etwas ganz Wichtiges, wenn man überlegt, Gesetze zu machen, oder auch im Hinblick auf ih­re praktische Auswirkung.

Wir denken an die ganz zentralen und entsetzlichen Opfer von Gewalt, sexuellem Missbrauch, von gefährlicher Drohung et cetera. Aber denken Sie, bitte, auch an die anderen Opfer, die dazugehören, die oft ganz große Ängste haben. Ich denke daran, dass etwa jemand, der das Opfer eines Einschleichdiebstahls oder eines Betrugs wur­de, entsetzliche Angst hat, jetzt als Zeuge aussagen zu müssen, aus Angst vor Retor­sion: Wenn also jetzt der Täter meinen Namen hat und von mir erfährt, dann tut er mir, wenn er aus dem Gefängnis herauskommt, wieder etwas!

Es gibt da diese ganz großen Ängste, oder allein auch schon die Scham, dass einem das passiert ist, oder diese ganz skurrilen Probleme der Opfer: Wäre ich nicht dort ge­gangen, wäre ich nicht überfallen worden!, und das bewegt mich: Warum soll ich nicht dort gehen? – Es ist eine ganz wesentliche Arbeit unserer Mitarbeiter und Mitarbeiterin­nen, die Opfer damit zu konfrontieren und ihnen zu sagen, dass das normal ist. Und die Opfer haben entsetzliche Angst vor dem Bekanntwerden!

Die zweite Vorbemerkung – damit schließe ich an die Ausführungen von Frau Dr. Windhager an –: Es ist leider noch immer so, dass viel zu wenig Verständnis für Opferinteressen vorhanden ist. Es wird zwar verbal geäußert, das ist schon richtig, aber wenn es dann ums „Eingemachte“ geht, wenn es um die Verwirklichung konkreter Forderungen geht, dann ist es für uns manchmal sehr, sehr schwierig, das durchzuset­zen – selbst dort, wo es nicht Geld kostet –, weil einfach das Bewusstsein noch nicht vorhanden ist.

Ich bin schon sehr alt, und ich habe die phantastische Entwicklung in den siebziger Jahren miterlebt, als Gewalt in der Familie überhaupt erst präsent wurde. Ich wurde bei der Richteramtsprüfung noch geprüft: Ein Vater schlägt sein Kind und verletzt es dabei. Ist das strafbar? – Und dann musste ich antworten: Wenn er es in animus educandi – Erziehungsabsicht – macht, ist es straflos bis zur Grenze der schweren Verletzung – 21 Tage –; wenn er es in animus iniuriandi – im Misshandlungsvorsatz – macht, dann ist es strafbar. – Und das war noch lange Zeit Bewusstseinsstand, bis 1978, bis zum Gewaltschutzgesetz. Und die Tatsache, dass es sexuellen Missbrauch gab, war für manche Leute so irgendwie eine skurrile Besonderheit, aber nicht – wie wir wissen – eine ganz alltägliche Sache.

Ganz wichtig ist – auch da schließe ich an die Ausführungen von Frau Dr. Windhager an, ich erwähne es kurz noch einmal –: Die Prozessbegleitung war eines der ganz grundsätzlichen Dinge, um jenen vielen Opfern, die dann plötzlich einfach hilflos daste­hen und sich nicht helfen können, zu helfen bei der Bewältigung der Probleme bei den Behörden, bei Polizei und Gericht.

Abgesehen vom Medienrecht – darauf gehe ich nicht ein, das ist am Vormittag ohnehin schon diskutiert worden – möchte ich betonen, dass in den letzten Jahren sehr viel für den Opferschutz geschehen ist, das muss man ganz offen sagen, insbesondere auch im Hinblick auf die Reduzierung – mehr kann man ohnehin nicht – der sekundären Vik­timisierung: die Einführung von Vertrauenspersonen, von schonenden Einvernahmen, dann vor allem die Prozessbegleitung, ein gewisser Identitätsschutz et cetera in der Strafprozessordnung, im Gewaltschutzgesetz, im Verbrechensopfergesetz. Aber trotz­dem gibt es noch eine ganze Menge Lücken, und ich kann hier nur ein paar anschnei­den, vor allem zwei kleine Beispiele – aber diese sind ganz wichtig –:

Wir haben im § 228 Abs. 4 StPO die Vorschrift, dass Fotografieren und Filmen im Ge­richtssaal verboten ist. Das betrifft nicht die Gänge des Gerichts, das betrifft nicht die Umgebung des Gerichts. Und was machen findige Reporter? – Sie stellen sich rund um das Gerichtsgebäude auf oder gehen ins Gerichtsgebäude und fotografieren die wartenden Opfer! – Das ist eine leicht zu regelnde Sache, dass man zumindest einmal im Gerichtsgebäude ein Fotografierverbot macht, und vielleicht auch im Hinblick auf ein Platzverbot im Umkreis von Gerichten.

Das Zweite: Es gibt eine alte Forderung an das Justizministerium, die immer wieder ar­tikuliert wird, aber nicht vollzogen wurde – wie vieles –: Es gibt noch immer viel zu we­nige Gerichte mit eigenen Warteräumen vor allem für betroffene Opfer. Am Gang zu warten in Gegenwart des Verdächtigen, in Gegenwart der anderen, in Gegenwart der Reporter, ist für manche Opfer ein entsetzlicher Spießrutenlauf. Ich muss auch noch erwähnen, dass einige gute Ansätze im 2. Gewaltschutzgesetz enthalten sind, und ich hoffe, dass das im Großen und Ganzen auch so Gesetz wird. Das ist eine ganz wichti­ge Sache. Die Ausdehnung der Prozessbegleitung nicht nur auf Gewalt-, Sexualopfer, wie es jetzt ist, sondern auf alle traumatisierten Opfer, wie ich schon erwähnt habe, ist eine ganz wichtige Vorschrift.

Das Zweite, ganz wichtig: die Ausdehnung der Prozessbegleitung auf Zivilprozess und Außerstreitverfahren; möglichst auch den gleichen Prozessbegleiter sowohl juristisch als auch psychosozial – je nachdem, was notwendig ist; in manchen Fällen ist beides notwendig, manchmal genügt auch einer – und, was heute schon erwähnt wurde, auch im medienrechtlichen Verfahren. Es wäre wirklich sinnvoll, das dann so umzusetzen, dass möglichst die gleiche Person, die im Strafprozess vertritt, auch im Zivilprozess, im Pflegschaftsverfahren und allenfalls auch im Medienverfahren vertritt. Das ist etwas, das geregelt werden soll, etwas, das ich allen Abgeordneten dieses Hauses, die ich kenne und denen ich über den Weg laufe, schon hundertmal gesagt habe.

Sie machen hier sehr gute Gesetze, manchmal wirklich gute Gesetze, das Problem ist nur, dass viele der Gesetze nicht ankommen. Sie werden einfach nicht vollzogen, und das ist etwas, das mich immer wieder aufregt. Erst gestern wieder hat mir ein Richter am Telefon gesagt: Ich habe ihn nicht belehrt über die Prozessbegleitung, das ist so ein Querulant! – Das ist ein gesetzlicher Anspruch, eine Verpflichtung, aber er tut es nicht.

Wir führen momentan auch einen Amtshaftungsprozess – so leid mir als ehemaligem Präsidenten der Österreichischen Richtervereinigung das tut – gegen eine Richterin in einem fernen Bundesland, die nicht über die Prozessbegleitung belehrt hat. Der Vater des missbrauchten Opfers hat sich einen teuren Rechtsanwalt genommen, der Pro­zess wurde beendet, und da der Täter nichts hatte, regressiert sich der Rechtsanwalt jetzt am Opfer. Der Fall kam zu uns, zum Weißen Ring, und wir haben der Republik Österreich den Streit verkündet, weil das eben ein glatter Amtshaftungsfall ist. Ich könnte Ihnen eine ganze Reihe solcher Fälle aufzeigen.

Meine Damen und Herren Abgeordneten, machen Sie eine Evaluierung! Sie machen ein Gesetz, geben dann eine Pressekonferenz, das ist wunderschön – und nach einem Jahr wird es nicht vollzogen. Das ist etwas, das mich aufregt, als Juristen und als Men­schen, zumal es sich hierbei ja um gut gemeinte Regelungen handelt. Es müsste doch eine Möglichkeit geben, die vollziehenden Organe zu zwingen, eine Evaluierung durch­zuführen.

Lassen Sie mich noch eine kurze Bemerkung zu einem anderen Bereich machen, der momentan auch sehr diskutiert wird, nämlich zur Anzeigepflicht. Das Parlament hat sich aus gutem Grund im Jahr 1993 nach langer Diskussion – ich habe darüber auch eine wissenschaftliche Arbeit verfasst, Sie können sie lesen, es waren stundenlange, tagelange Diskussionen – dazu entschlossen, die Anzeigepflicht dort nicht vorzusehen, wo ein Vertrauensverhältnis notwendig ist.

Wir sind im Weißen Ring immer wieder mit Sexualopfern konfrontiert. Sie gehen nicht zu Kinderschutzzentren oder anderswo hin, sondern sie kommen zu uns und sagen: Bitte, ich will Hilfe, aber ich will nicht, dass das bekannt wird! Denken Sie zum Beispiel an ein Kind in einem kleinen Ort, das vom Vater vergewaltigt wird – schon ein bisschen ein älteres Kind, das sich artikulieren kann –, an die Schande in dem Ort, wenn das be­kannt wird. Diese Menschen wollen Hilfe, aber keine Anzeige, was allerdings nicht heißt, dass es nicht zur Anzeige kommt. Wir als Opferschutzorganisation sind daran in­teressiert, dass es zur Anzeige kommt, denn dann treten die Ansprüche nach dem Ver­brechensopfergesetz in Kraft, und es wird bezahlt.

Also bitte, überlegen Sie diesen Bereich, wenn Sie das jetzt demnächst im Gesetz be­schließen. Mir scheint der revidierte Entwurf des Justizministeriums durchaus brauch­bar.

Zum Schluss noch kurz zur materiellen Hilfe. Ich erwähne nur – ceterum censeo, wie der alte Cato –: Es sind noch sehr große Lücken im materiellen Bereich. Was nützt dem Opfer ein Exekutionstitel, ein Zuspruchserkenntnis, wenn der „Kerl“ nicht zahlt? Es muss Exekution führen. Es gibt eine Menge Dinge in diesem Bereich. Die Schweiz etwa hat uns das vorexerziert, sie hat ein Verbrechensopferentschädigungsgesetz. Das heißt, immer dann, wenn der Richter einen Schadenersatzanspruch zuspricht, schießt der Staat unter gewissen Voraussetzungen das Geld dem Opfer vor und holt es sich – so wie im Unterhaltsvorschussgesetz – dann beim Täter. Das wäre eine sehr große Hilfe für viele Opfer, die das Geld ja wirklich brauchen. – Danke vielmals.

14.53


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Danke.

Ich darf nur ganz kurz dazu sagen, weil sich natürlich die Frage immer wieder stellt, ob es ein Qualitätsmonitoring, ob die Gesetze, die hier beschlossen werden, auch tatsäch­lich umgesetzt werden, gibt: Wir haben im Justizbereich schon öfter darüber diskutiert, dass wir uns natürlich auch als Schnittstelle für eine nachfolgende Qualitätskontrolle sehen. Das gilt mehr oder weniger – und deswegen sage ich das hier auch – als Auf­forderung an Sie alle, das von sich aus auch einzuverlangen, um diesen Diskurs führen zu können, wie man die beschlossenen Gesetze in der Realität besser umsetzen kann.

Vielleicht noch kurz, weil das nicht ausdrücklich auf der Tagesordnung steht: Die Frage der Anzeigeverpflichtung im Sexualstrafrecht ist momentan Gegenstand einer der aktu­ellsten Diskussionen im Hohen Haus. Sie sind natürlich herzlich eingeladen, als Exper­tinnen und Experten auch dazu Ihre Meinung kundzutun.

Als Nächsten darf ich Herrn Primarius Hochgatterer um seine Ausführungen ersuchen.

 


14.54.50

Primarius Dr. Paulus Hochgatterer (Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapeut)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Einer muss nach Udo Jesionek reden – und das ist immer ein bisschen schwierig. Ich knüpfe an – ich rege mich auch gerne auf – am „animus educandi“, der hoffentlich aus den Gerichtssälen unseres Landes als Motiv körperlicher und psychischer Gewaltausübung verschwunden ist, der leider nicht verschwunden ist – und somit komme ich zu meinem Fach, zur Kinder- und Jugendpsychiatrie – aus den Familien als Motiv körperlicher und psychischer Gewaltausübung. Diesen „animus educandi“ gibt es, wie wir alle wissen, nach wie vor.

Wenn wir von Kinder- und Jugendpsychiatrie sprechen, haben wir stets drei zentrale Prämissen dieses Faches mit zu bedenken:

Erstens: Das primär handlungsleitende Element der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist immer das Kindeswohl, nicht ein etwaiges Begehren der Eltern, nicht das öffentliche In­teresse und gegebenenfalls auch nicht Rechtskonformität um jeden Preis, Stichwort: Anzeigepflicht. Unter „Kindeswohl“ versteht man die Antwort auf die Frage, welche Be­dingungen in einem gegebenen Rahmen am besten geeignet sind, eine gedeihliche Entwicklung des Kindes zu ermöglichen, zu sichern oder wiederherzustellen.

Zweitens: In der Betrachtung eines Kindes stehen für die Kinder- und Jugendpsychia­trie stets die Außen- und die Innenwelt des Kindes gleichwertig nebeneinander. Das heißt, die objektiv erfassbaren Lebensumstände eines Kindes müssen genauso erwo­gen werden wie sein höchst subjektives Denken, Fühlen, Phantasieren und Erleben.

Drittens: Aufgabe der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist es nicht, eindeutige Verhält­nisse zu schaffen, sondern vielmehr, dem Kind und seinen Angehörigen dabei zu hel­fen, mit Ambivalenzen und Widersprüchen umzugehen: vernachlässigende Eltern wer­den abgelehnt und zugleich idealisiert; gewalttätige Bezugspersonen werden geliebt und zugleich gehasst; sexuell missbrauchende Elternteile werden zum Teufel ge­wünscht und zugleich vergöttert. – All das sollte bekannt sein und ist außerordentlich wichtig. Wer hier und heute vorgibt, diese Umstände nicht zu kennen, ist, bei allem Respekt, entweder ein wenig von gestern, nennenswert einfältig oder schlicht und ein­fach verlogen; alles Umstände, die verhindern sollten, dass er/sie mit traumatisierten Kindern in Berührung kommt.

Unter diesen Prämissen haben wir im Umgang mit Opfern von physischer oder psychi­scher Gewalt beziehungsweise von sexuellem Missbrauch folgende Dinge zu berück­sichtigen:

Für ein Kind bedeuten Gewalt oder Missbrauch stets, selbst wenn das Ereignis nur punktuell stattfindet, ein Zerbrechen des geltenden Werte- und Normengebäudes, einen Ausnahmezustand wie ihn – und das ist eine Literaturempfehlung – der italieni­sche Philosoph Giorgio Agamben am besten beschreibt, speziell ein Versagen der Rechts- und Schutzmechanismen, auf die sich zu verlassen das Kind gelernt hat. Mit anderen Worten: Das missbrauchte oder misshandelte Kind fühlt sich nackt, ausgelie­fert, grenzenlos überrascht und zugleich zutiefst beschämt dadurch, dass es sich in der Annahme, man könne sich neben Mutter und Vater, man könne sich in dem Dorf oder in der Stadt, wo es lebt, man könne sich letztlich in unserem Land sicher und geborgen fühlen, ganz offensichtlich geirrt hat.

Gewalt oder Missbrauch bedeuten für ein Kind stets, auch wenn sie nur punktuell statt­finden, eine massive Einbuße in seinem Selbstwert, in seiner emotionalen Stabilität und vor allem in der Sicherheit seiner Beziehungen. Mit anderen Worten: Ein miss­brauchtes oder misshandeltes Kind stellt sich notwendigerweise die Frage: Was muss ich für ein verabscheuenswertes, letztklassiges, nichtswürdiges Etwas sein, dass man so mit mir verfährt? Oder: Wie wenig kann ich mich angesichts dessen, was mir der/die, den/die ich liebe, tagtäglich antut, auf meine Zuneigung verlassen? Oder: Gibt es überhaupt noch jemanden, auf den ich mich verlassen kann?

Gewalt oder Missbrauch bewirken, und das ist für mich zentral wichtig, dass in den be­troffenen Kindern nicht nur die Beziehung zum Täter, sondern sämtliche Beziehungen massiv in Frage gestellt werden. Wer heutzutage vorgibt, das nicht zu verstehen, weist vermutlich auch am ehesten einfach eine gewisse Übersichtlichkeit in seiner intellek­tuellen Differenzierung auf, sollte jedenfalls mit traumatisierten Kindern besser nicht in Berührung kommen.

In der Behandlung traumatisierter Kinder ist eine Wiedererrichtung der kollabierten Be­ziehungsfähigkeit das Wesentliche. Beziehungsfähigkeit schafft man – und das ist oh­ne Frage eine Binsenweisheit – durch stabile und vertrauensvolle Beziehungen. Man schafft sie keinesfalls, indem man narzisstische Surrogate in Form von Fernsehauftrit­ten oder Cover-Fotos anbietet. Man schafft sie auch nicht, indem man für einen Fern­sehauftritt oder für ein Cover-Foto viel oder sehr viel bezahlt. Was man damit viel eher schafft, sind Scheinperspektiven oder Luftschlösser, die mit den realen Zukunftsmög­lichkeiten der betroffenen Kinder in der Regel nichts, aber auch schon gar nichts zu tun haben. Identitätsbildung, auch wenn sie medial vermittelt wird, ist übrigens ein komple­xer innerer und kein simpler äußerer Vorgang. Das heißt, Identität lässt sich nicht wechseln wie ein Hemd, wie ein Reisepass, wie ein Name oder wie ein Wohnort. Die medial vermittelte Partialidentität Inzestopfer – und damit beziehe ich mich direkt auf den Vormittag – verbleibt in einem Kind, auch wenn es nach Scheibbs verschickt wird oder gegebenenfalls nach Nebraska.

Über die mögliche ethische Klassifikation von Menschen, die sich traumatisierten Kin­dern nähern wie Tieren im Zoo, spreche ich jetzt nicht, auch nicht über die psychopa­thologische Einordnung derselben, schon gar nicht über Ausmaß und Art ihrer vermutli­chen intellektuellen Ausstattung, obwohl sich Letzteres vermutlich in aller Kürze abwi­ckeln ließe. Dass solche Leute mit traumatisierten Kindern besser nicht in Berührung kommen, liegt für uns alle auf der Hand, denke ich.

Zum Schluss wünsche ich mir als einfache Anregung, da mir die ausreichende, gänzli­che Abschirmung traumatisierter Kinder medialer Aufdringlichkeit gegenüber auch oder gerade in unserem Land derzeit unmöglich erscheint, die Etablierung einer öffentlich fi­nanzierten Einrichtung, die zum Beispiel „Medienassistenz“ heißen könnte und kindli­chen Opfern von Gewalt oder Missbrauch einschlägig geschulte Personen als psycho­logische Stütze – wohlgemerkt: nicht als juristische – zur Seite stellt, zum Beispiel ana­log der Einrichtung der Prozessbegleitung im Strafverfahren. Es geht nämlich – zur Erinnerung – um das Wiedererlangen von Vertrauen und Beziehungsfähigkeit, und in­nerhalb einer Vertrauensbeziehung lässt es sich viel leichter mit Bedrohung und Ver­führung umgehen als ohne eine solche, das wissen wir alle spätestens seit Hänsel und Gretel. – Danke schön.

15.02


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Danke, Herr Primarius. – Als Nächste bitte ich Frau Rechtsanwaltskollegin Dr. Plaz zum Rednerpult.

 


15.02.25

Dr. Eva Plaz (Rechtsanwältin; Wien)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Ein Anlass für diese Enquete sind die Verbrechen, die in Amstetten passiert sind. Wie Sie vermutlich wissen, berate ich Frau Elisabeth F. als vom Staat zur Verfügung gestellte Rechtsan­wältin. Meinen Beitrag, diese Rede halte ich in Absprache mit ihr, teilweise am Fall, um dieses Forum zu nützen, und das ist etwas heikel.

Über Prävention und über mögliche Hilfe für Opfer werde ich sprechen.

Opfer sind auf Hilfe angewiesen – alle, in vielen Bereichen, gerade die schwerer Ge­walt. Hilfe hätte Elisabeth F. bereits vor 25 Jahren gebraucht. Die damals 16-jährige Elisabeth ist aus gutem Grund von zu Hause weggelaufen. Sie wurde in Wien von der Polizei aufgegriffen, und noch heute, 25 Jahre später, kann sich Frau Elisabeth F. an einen Polizisten in Wien erinnern, der zu ihr genau diesen Satz gesagt hat: Also wenn ich dein Vater wäre, dann würde es ordentlich was setzen! – Anschließend wurde sie dem Vater übergeben.

Zu Hause. – Doch, das Jugendamt ist damals zur Familie gekommen, es wurde gere­det, allerdings nur mit den Eltern. So hat das Jugendamt erfahren, dass „alles in Ord­nung“ ist. Elisabeth erinnert sich: Sie war damals im Nebenhaus und hat darauf gewar­tet, dass auch mit ihr geredet wird. Sie weiß nicht, ob sie etwas hätte sagen können. – Es hat aber niemand mit ihr geredet, sie wurde damals gar nicht gehört.

Wird sie heute gehört? – Meine Mandantin war in den ersten sechs Wochen in Freiheit von der Öffentlichkeit abgeschirmt worden, das heißt, dass sie keinen Zugang zu Me­dien hatte. Jetzt muss sie langsam erfahren, wer aller den Fall, das heißt sie und ihre Kinder, benutzt hat, um sich öffentlich wichtig zu machen. Im Protokoll der Einvernah­me meiner Mandantin bei der Polizei steht fast nichts, was nicht auch in den Medien zu hören und zu lesen war, so oder so ähnlich, wie sie es ausgesagt hatte. Es fehlt nur ein bemerkenswerter Satz, der letzte in diesem Protokoll, und den lese ich Ihnen vor: Ich verlange, dass keinerlei Daten oder Gesprächsinhalte, die mich und meine Familie be­treffen, an irgendwelche Medien weitergegeben werden. – Ende der Vernehmung.

Sie wissen, was darauf folgte. Es waren Pressekonferenzen, Pressekonferenzen, in denen die ganze Welt hoch dramatisch vom Geschehen informiert wurde. Ich glaube, es war entweder die erste Pressekonferenz oder eine der ersten Fernsehrunden, in der es von Seiten der Polizei hieß: Nachdem wir der Frau Vertraulichkeit zugesichert hat­ten, hat sie uns ihre Geschichte erzählt. – Bereits dieser Satz hätte nicht fallen dürfen, finde ich. Darüber hinaus wurde dann ein Detail nach dem anderen bekannt gegeben.

Frau Elisabeth F. wollte Verschwiegenheit, darauf hat sie auch ein Recht, zumindest teilweise. Vertraulichkeit wird ihr zugesagt – und dann wird die Öffentlichkeit doch infor­miert, immer wieder, auch über Details, die die Menschen, die uns alle nichts angehen.

Es gab noch weitere Personen, die sich mit Informationen, die sie nur aus ihrer berufli­chen Position hatten, aus Akten oder Krankengeschichten hatten, in den Medien wich­tig gemacht haben. So wird großer Schaden angerichtet, nicht nur in diesem Fall. Was glauben Sie, welche Ängste diese öffentliche Bloßstellung bei anderen Opfern familiä­rer Gewalt schürt – bei Kindern, bei Jugendlichen, bei Frauen, die sich vielleicht gerade überlegen, ob sie Hilfe beim Staat suchen sollen. Sie schürt die Angst, dass die Täter mit ihren Drohungen recht behalten werden, und diese Angst ist oft berechtigt, auch heute noch.

Das, was sich seit Ende April 2008 medial abgespielt hat, hilft Opfern nicht. Es schwächt und beschädigt alle Opfer, und es bedient, stärkt und schützt Täter, alle Tä­ter.

Frau Elisabeth F. kennt erst einen kleinen Teil der Medienberichte. Sie behält sich rechtliche Schritte wegen möglicher Verletzung von Schweigepflichten vor. Eigentlich aber hat sie wirklich Wichtigeres zu tun, als solche Verfahren zu führen. Sie will aber, dass Derartiges nicht wieder vorkommt. Immer wieder stellen Menschen, die professio­nell mit derartigen Fällen betraut sind, Menschen, auf deren Hilfe die Opfer oft ange­wiesen sind, eben diese Opfer medial bloß. Es geht nicht, dass die Betroffenen sich auch noch dagegen selbst wehren müssen – oft können sie das auch gar nicht. Es liegt in der Verantwortung des Staates und der Berufsvertretungen, dass so etwas nicht vor­kommt, das zu verhindern. Schauen Sie hin!

Was aber will Frau Elisabeth F.? – Sie möchte mit ihren Kindern, falls möglich, in Frei­heit leben können, frei von Gewalt und ohne benutzt zu werden. – In Freiheit? Wie Sie wissen, ist die Familie wieder eingesperrt, weil Paparazzi warten. Sie wollen Bilder zu Horrorgeschichten liefern. Ich bin derselben Meinung wie Professor Berka am Vormit­tag, dass es dagegen eine gesetzliche Handhabe gäbe, das erfüllt meines Erachtens den Tatbestand des Stalking. Es wäre von Anfang an sogar U-Haft möglich gewesen. Es ist ein Offizialdelikt, aber niemand tut etwas, alle schauen zu.

Meine Mandantin, ihre Kinder, aber auch Angehörige und deren Kinder hätten polizeili­chen Schutz von dafür qualifizierten Beamtinnen und Beamten gebraucht und brau­chen diesen noch immer. – Wissen Sie, wie viele Polizisten dort zum Schutz abgestellt sind? – Bis vor 14 Tagen war es genau einer; seither ist wegen der durch die EURO eingetretenen Personalknappheit keiner mehr da. Wie und wovon kann die Familie hier in Zukunft leben? – Derzeit wird die engere Familie noch vom Land Niederösterreich versorgt, sie wird vom Land im Rahmen einer Soforthilfe großzügig und unbürokratisch unterstützt. Dafür dankt Frau Elisabeth F.

Das aber ist keine Dauerlösung. Frau F. wird in Zukunft sich und ihre sechs Kinder selbst zu betreuen und zu versorgen haben. Das will sie auch so, sie will kein Sozialfall sein, der zur Last fällt.

Aus Familienbeihilfe, Verbrechensopferansprüchen, Spenden und medienrechtlichen Ansprüchen scheint die nähere Zukunft der Familie finanziell gesichert, die nähere Zu­kunft. – Was aber ist in fünf, was in zehn und in 15 Jahren?

Einige der Kinder werden als Folge des Geschehenen nicht nur ein paar Jahre, son­dern ihr ganzes Leben lang intensive Unterstützung brauchen, das kostet Geld. Wirt­schaftliche Zukunftsängste belasten alle Opfer.

Eine Bemerkung zum Geld aus medienrechtlichen Ansprüchen: Das ist Geld für Bloß­stellung, die es nicht hätte geben sollen. Wie ist derartige bloßstellende Berichterstat­tung zu verhindern? – Ich glaube, ich lasse das jetzt aus, da ist nämlich schon sehr viel am Vormittag gesagt worden. – Im Sukkus denke ich auch, dass die Strafen so hoch sein müssten, dass sie wirklich weh tun und dass das Medium sie sich nicht leisten kann. Da wirklich viel angerichtet wird, müssen sie weh tun. Dann gibt es noch längere Fristen, Unterstützung der Opfer, eventuell auch Auslagerung.

Ich bin nicht so sehr der Meinung von Udo Jesionek, dass es in der Prozessbegleitung unbedingt ein und dieselbe Person sein sollte, weil es zum Teil Spezialkompetenzen sind, die man in verschiedenen Bereichen braucht, und ich denke, dass gerade derarti­ge Opfer auch höchste Qualifikation in den Bereichen verdienen.

Spenden. – Spenden gab es, die sind auch mit Dank angenommen worden. Da ist aber, wie zu erwarten war, sehr viel weniger hereingekommen, als manche vielleicht gehofft hatten. Es gibt aber auch nur sogenannte Spendenangebote, also solche, die an Gegenleistungen geknüpft werden, wie zum Beispiel ein gemeinsames Foto. Diese werden nicht angenommen, Frau F. wird sich und ihre Kinder nicht derart benutzen las­sen.

Noch ein paar Worte zur Frage einer Verwertung, weil das immer im Raum steht. Frau Elisabeth F. könnte viel Geld bekommen, wenn sie ihre Geschichte verkaufen würde. Sie hat aber von Anfang an gesagt, dass sie das, was geschehen ist, nicht verwerten wird. Warum nicht? – Eine Verwertung hieße für sie, sich und ihre Kinder zur Schau zu stellen. Davor will sie sich und ihre Kinder schützen, sie will deren Zukunft nicht noch mehr belasten, es wird auch so schwierig genug werden.

Eine weitere mögliche Geldquelle – das ist der letzte Punkt – wäre der Schadenersatz; Udo Jesionek hat es angesprochen. Elisabeth F. und ihre Kinder hätten an sich An­spruch auf Schadenersatz, und zwar in Millionenhöhe. Das ist auch gerechtfertigt. Da­mit wäre ihre Zukunft finanziell gut abzusichern. Aber vom Beschuldigten ist zurzeit plus/minus nichts zu holen. Es ist aber zu befürchten, dass künftig Geld da sein wird, nämlich dann, wenn der Beschuldigte selbst vermarktet, das hat er vor. Er möchte sei­ne Macht erhalten und mit dem Geld aus Verwertung die Kontrolle zurückgewinnen.

Geld von ihm anzunehmen wäre für meine Mandantin denkunmöglich, nicht von ihm. Aber sie hat ihre Kinder zu versorgen. Braucht sie dafür künftig sein Geld? Muss sie ihn klagen? Und mit welchen Auswirkungen? Ganz generell gilt, dass Zivilverfahren gegen Täter eine enorme Belastung für Opfer darstellen, auch deshalb, weil in Fällen wie dem jetzigen mit diesem Verfahren hoch destruktive Bindungen erhalten bleiben, Bindungen, die die nötige Loslösung und damit Heilung erschweren. Deshalb gibt es gerade in den schweren Fällen nur ganz selten Schadenersatzverfahren gegen Täter. Die Täter profitieren davon, viele. (Vorsitzender Abg. Dr. Jarolim gibt das Glockenzei­chen.)

Da stellt sich die Frage, ob uns das etwas angeht, wenn ja, die Frage, welche Hilfe wir anbieten können. Andere Staaten wie die Schweiz treten auch beim Schadenersatz in Vorlage. Der Staat finanziert auch den Schadenersatz gegen die Täter vor, der Staat unterstützt finanziell, er spielt die Opfer frei, er nimmt den Opfern die Belastung von Verfahren. Er übernimmt das Risiko, falls beim Täter nichts zu holen ist, und er nimmt den Tätern die Möglichkeit einer weiteren Beschädigung und der Erniedrigung. (Vorsit­zender Abg. Dr. Jarolim gibt neuerlich das Glockenzeichen.)

Derart wäre eine dauerhafte materielle Grundsicherung der Familie und eine die Würde wahrende Rückkehr in die Gesellschaft ohne Angst vor künftiger Armut oder Abhängig­keit möglich. Das zu ermöglichen oder nicht zu ermöglichen ist eine politische Ent­scheidung. Wollen wir uns das leisten? Wir sind das siebtreichste Land der Erde. Es liegt an uns als ziviler Gesellschaft und insbesondere an Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren dieses Hohen Hauses, wie die Zukunft von Frau Elisabeth F. und auch die vieler anderer Opfer schwerer Gewaltverbrechen aussieht. – Danke.

15.16


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Ich würde ersuchen, wenn es ir­gendwie möglich ist, Rücksicht auf die Zeitvorgabe zu nehmen.

Ich darf Nun Herrn Dr. Bauer um seinen Beitrag ersuchen.

 


15.17

Dr. Ludwig Bauer (Geschäftsführer von ATV)|: Herr Vorsitzender! Meine sehr verehr­ten Damen und Herren! Ich bin hier in meiner Eigenschaft als Geschäftsführer von ATV, einem Privatsender. Es ist ja immer so, dass Privatsender zunächst einmal auch in der Kritik stehen, wenn es um medienrechtliche Entgleisungen geht, die man subsu­miert. Ich gebe Ihnen einen kurzen Werkstattbericht zu den Ereignissen des 28./29. April im Fall Amstetten in unserer Nachrichtenberichterstattung.

Es wurden keine Fotos der Opfer gezeigt. Der Täter wurde zunächst Josef F. genannt. Erst einen Tag nachdem der Leiter der Ermittlungen, Oberst Franz Polzer, den vollen Namen und das Foto von Josef F. veröffentlicht hat, ist auch „ATV Aktuell“, wie es die große Mehrheit der österreichischen Medien schon davor getan hatte, zur vollen Na­mensnennung übergegangen.

Bei der Pressekonferenz am 28.4. hat der leitende Polizeibeamte nicht nur den vollen Namen genannt, sondern zwei Fotos des mutmaßlichen Täters insgesamt 2 Minuten 41 Sekunden lang den Kameras präsentiert.

Bei der Pressekonferenz am 29.4. nennt derselbe Beamte die vollen Namen von Josef und Elisabeth F.

Dieser Aufarbeitung in unseren Nachrichten gingen unzählige Telefonate voraus, steht man in so einem Fall doch vor einer schwierigen Situation. Grundsätzlich ist alles klar geregelt, grundsätzlich gibt es die Regelungen im Persönlichkeitsschutz, und das ist auch den Medien klar. Was Sie allerdings da aus zwei Informationen sehen, ist: Me­dien reagieren auf Informationen von Behörden, und Medien reagieren auf Medien, und damit entsteht eine Spirale, die schwer zu kontrollieren ist.

Grundsätzlich sind die Regelungen jedem einzelnen Redakteur klar. Ermessensspiel­räume, Abwägungen machen die Sache komplexer, als man es wahrscheinlich mit Bußgeldzahlungen regeln kann. Es geht um Opferschutz, der im Vordergrund stehen sollte, und es geht weniger um Verdienstmöglichkeiten für Anwälte. Wir sehen das so, dass im Medienrecht grundsätzlich alles geregelt wäre, aber auch das Medienrecht im­mer wieder Ermessens- und Auslegungsspielräumen unterworfen ist, auch Höchst­grenzen, die im Medienrecht festgelegt sind, nicht ausgeschöpft werden. Insofern fin­den wir es als privates Medienunternehmen zunächst noch nicht zielführend, Sanktio­nen und rechtliche Bedingungen noch einmal zu verschärfen, denn jede Verschärfung richtet sich dann im Grundsatz wieder gegen die Meinungs- und Informationsfreiheit – und genau zwischen diesen zwei Polen wird es immer abzuwägen gelten.

Wir in der Redaktion setzen sehr – was man uns auch gestern wieder einmal vorgehal­ten hat, dass es eigentlich nicht ausreichend sei – auf eine freiwillige Selbstbeschrän­kung in dem, was wir machen. Es gibt bestimmte Punkte, wo wir sagen, das machen viele andere, wir aber machen da in der Berichterstattung nicht mehr mit. Das ist immer ein sehr feinfühliges Abwägen, das in vielen Fällen bislang gelungen ist, wo es aber auch sein kann, dass man dieses Abwägen schon in der nahen Zukunft nicht mehr schafft.

Bei ATV ist es in der Berichterstattung gelungen, eben in den letzten sechs Jahren, in denen der Sender auf Sendung ist, dass es keinen einzigen Fall, kein einziges Verfah­ren wegen Verletzung von Persönlichkeitsrechten gab.

Wir glauben schon, dass es nicht nur eine rechtliche Regelung ist, die gewisse Situa­tionen erleichtern kann, sondern auch immer wieder – und heute ist das hier auch ge­fallen – der Appell an eine journalistische Ethik.

Im Fernsehen wird es nicht so sein, dass jede Überschreitung einer Grenze sofort un­glaublich messbar ist in Einschaltzahlen, ja in allem. – Ich kann nicht beurteilen, wie das in Printmedien ist. – Die freiwillige Selbstbeschränkung, auch die Festlegung in Redaktionsstatuten ist ein Ansatz, den man jetzt als naiv und hilflos kritisieren kann, weil man sagt, es muss eigentlich immer eine ganz starke, rigide gesetzgeberische Funktion geben. Man wird nur Themen dieser Art nicht mehr in den Griff bekommen.

Stellen Sie sich vor, was passiert, wenn kein österreichisches Medium Bilder, die man sich besorgt – Bilder haben ja teilweise auch einen Marktwert, der in sechsstellige Summen geht, wie man lesen konnte –, verwertet! So kommen dann halt die Bilder aus YouTube wieder zurück, und dann sind sie wieder auf dem Markt.

Unser Credo ist – in Zusammenarbeit aller damit betrauten Stellen, weil es eine ge­meinsame Tätigkeit ist –, für Mechanismen zu sorgen, die eine freiwillige Selbstbe­schränkung stützen; wir sind aber nicht für eine zusätzliche Überregulierung in medien­rechtlichen Bereichen, wo wir sowieso schon sehen, dass eigentlich die Regelungen, die es gibt, nur noch bedingt durchgesetzt werden.

Ich finde, das ist ein so tragischer Fall. Auch weil Frau Plaz neben mir sitzt, bin ich ein bisschen ohne Worte heute. (Vorsitzender Abg. Dr. Jarolim gibt das Glockenzeichen.) Insofern kommt mir das sehr zustatten, Herr Vorsitzender. (Heiterkeit.)

Also: Selbstbeschränkung werden wir einfach vorexerzieren. Ich weiß nicht, ob wir es immer schaffen, aber bislang haben wir es ganz gut hingekriegt. – Vielen Dank.

15.24


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Danke für die Selbstbeschrän­kung.

Herr Prof. Nußbaumer ist als Nächster am Wort. – Bitte.

 


15.24.05

Prof. Heinz Nußbaumer (Autor und Publizist)|: Meine Damen und Herren! Ich rede hier sozusagen als Träger von mehreren Hüten: als früherer Journalist und Herausgeber der „Furche“, als Vertreter der „Initiative Qualität im Journalismus“, etwas keck mit „IQ“ abgekürzt, aber auch als Vorstandsvorsitzender von Europas größtem SOS Kinderdorf in der Hinterbrühl, wo Opferschutz und Medien tägliche Themen sind.

Ich möchte in dieser letzten Funktion beginnen. Wir hatten gestern, wie fast jeden Tag, prominente Gäste. Viel Besuch kommt ins Kinderdorf: Staatsmänner, Politiker, Sport- und Operngrößen, Wirtschaftsbosse, Patriarchen und viele andere. Sie lassen glückli­cherweise viele Spenden da und wollen dafür einen publizistischen Mehrwert, zumin­dest ein Bild im Kreis von Kinderdorfkindern und ‑jugendlichen in irgendeinem Medium.

Aber eigentlich darf es das gar nicht geben, sagen die Datenschutzbestimmungen in der Jugendwohlfahrt – nicht nur der Kinder wegen, oft vielfach seelisch und körperlich vergewaltigter Kinder und Jugendlicher, sondern auch wegen ihrer Herkunftsfamilien, denn jedes Bild eines Kinderdorfkinds ist auch eine Aussage über die Herkunft, über die leibliche Familie und deren Defizite. – Also keine berührenden Bilder mit dem Bun­despräsidenten, dem Dalai Lama oder auch Anna Netrebko. Im Grunde: nein!

Wenn es aber diese Bilder nicht gäbe, dann gebe es auch kaum Sponsoren und Spen­der. Und dann müsste der Staat weit mehr als bisher für den Segen der SOS Kin­derdörfer und anderer ähnlicher Einrichtungen zahlen. – Also bleibt die Sache reine Theorie. Wir leben im täglichen Dilemma und versuchen, uns bei diesen Gelegenheiten möglichst behutsam aus der Verlegenheit zu ziehen – nicht immer zur Freude derer, die uns Geld und Sympathien schenken. – So viel zu meinem ersten Hut.

Nun zu meinem Kerngeschäft, den Medien. Vieles ist ja schon erwähnt worden. Jede Zeit hat ihren Journalismus, hat andere Entwicklungen, andere Verlockungen und durchläuft einen enorm rasanten Wandel der rechtlichen und ethischen Standards. Un­bestritten ist: Medien haben viel Macht, also brauchen sie auch Kontrolle. Sie brauchen Fremdkontrolle durch Gesetze. Die gibt es, die Persönlichkeitsrechte sind bei uns ganz gut geschützt. Aber die Gesetzeslage gilt als unübersichtlich, die Rechtsprechung als uneinheitlich und bisweilen auch als sehr überraschend. Ob mehr Strenge, mehr Strafe generell besser wäre, ist umstritten – und es ist das nicht meine Sache.

Medien brauchen auch Selbstkontrolle, damit die Politik nicht ihre latenten Zensurge­lüste ausweitet; oft aus ganz anderen Motiven. Diese journalistische Selbstkontrolle ha­ben wir derzeit ungenügend – Sie wissen das – beziehungsweise gar nicht. Der Ehren­kodex der österreichischen Presse, Letztfassung vor bald zehn Jahren, ist nicht schlecht, aber leider ziemlich totes Papier. Da ist eine noch zahnlose Leseranwalt­schaft als jämmerlicher Ersatz für den noch immer toten Presserat; im Jahre 2001 ab­gewürgt – und jetzt soll er endlich auferstehen, heißt es.

Also liegen schon zu lange zwei Aufgaben brach, die Österreichs Medien möglichst mit verstärkter Unterstützung der Wissenschaft rasch selbst übernehmen müssten.

Erstens: Prävention; also Festlegung zeitgemäßer Qualitätskriterien, um im rasanten technischen und gesellschaftlichen Wandel vorbeugend allgemein gültige Maßstäbe zu etablieren. Denken Sie nur an die unseligen Fotomontagen, die heute schon in allen Medien gang und gäbe sind und uns täglich mit Scheinwirklichkeiten täuschen.

Zweitens: eine rasche, unbürokratische Sanktionsmöglichkeit nach dem Sündenfall. Wir alle wissen ja, bis die Gerichte arbeiten, ist der „Dampf“ längst aus der Geschichte heraus. Und große Sünder zahlen die Entschädigungsgelder ohnedies aus der Porto­kasse.

Unbestritten haben wir zuletzt eklatante Grauslichkeiten und ein widerliches Eindringen von Medien in die Privatsphäre erlebt. Aber ich meine, das sind doch primär einige we­nige Medien in unserem Land, die bekannten Verdächtigen. In anderen Ländern ist das – das soll keine Ausrede sein – weit mehr verbreitet. Und sie könnten auch mit dem geltenden gesetzlichen Instrumentarium – Dr. Jesionek hat darauf verwiesen – weit besser geahndet werden. Ich sage das, weil ich immer auch den Versuch befürch­te, die Meinungs- und Medienfreiheit gegen den Opferschutz auszuspielen, und umge­kehrt.

Wir müssen aufpassen, dass die Diskussion nicht ganz schief läuft. Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz sind beide außerordentlich hohe, rechtlich geschützte Güter in einer offenen und demokratischen Gesellschaft. Aus meinen zehn Jahren in der Hof­burg, in der Präsidentschaftskanzlei, kenne ich – und auch das ist Teil meiner Identi­tät – sehr gut die Verärgerung der Politik und der Behörden über das oft höchst unan­genehme Interesse von Medien an heiklen, an unerwünschten Dingen, an Dingen, die man lieber unter der Decke halten möchte, und die Neigung, den Zensurwunsch dann mit öffentlichem Interesse zu begründen. Ich habe das Spiel der Einschüchterung und der Verlockung, der stillen Druckmittel und auch der peinlichen Allianzen aus nächster Nähe oft genug miterlebt – und das eine oder andere Mal wohl auch selbst mitgespielt.

Ich möchte den Journalismus nicht reinwaschen; dazu kenne ich die Mechanismen zu gut. Er braucht Rahmenbedingungen, die ihn zugleich sichern, begrenzen und notfalls sanktionieren.

Der Journalist ist – das bitte ich Sie, nie zu vergessen – nur einer in einem Geflecht von bestimmten Voraussetzungen und Interessen. Das beginnt bei uns bei der Klein­heit des österreichischen Medienmarktes und den sehr oft prekären Anstellungsver­hältnissen, die die Berufs- und Handlungsfreiheit der Journalisten eingrenzen. Das hat auch viel mit dem Druck durch Eigentümer, Medienmanager und Blattmacher zu tun, mit dem journalistischen Klima in Redaktionen, mit der Abgrenzung zu Online, zu PR, zu Inserenten, mit der Konkurrenz, die aus dem völlig unkontrollierten Internet er­wächst. Das alles und noch viel, viel mehr beeinflusst existentiell die ethischen Gestal­tungsspielräume der Journalistinnen und Journalisten.

Wir haben heute unbestritten eine bessere Ausbildung für Journalisten, und aus regel­mäßiger Begegnung mit Jungjournalisten weiß ich: Keiner ergreift heute diesen Beruf, um später beruflich ein „Schwein“ zu werden.

Ich möchte auch nicht verschweigen, dass sich unsere schwarzen Schafe allzu oft be­sonderer Gönner und Informanten aus der Politik und anderen großen Institutionen er­freuen. Welcher Mandatsträger bringt nicht gerne seine Version bei den ganz großen Medien unter? – Siehe Erfahrung der letzten Tage. – Wer inseriert nicht seine Aktivitä­ten und Konzepte bewusst genau dort, wo der Boulevard schon in den Abgrund über­geht?

Ich kenne die Überlegungen, die Mittel der Presseförderung auch an die Unterwerfung unter eine Instanz wie den künftigen Presserat zu binden. Bei aller Richtigkeit des An­satzes geht ein solcher Versuch leider an einem ethisch besonders gefährdeten Me­dienbereich vorbei, nämlich den Gratiszeitungen, die sich um keine vertraglichen Bin­dungen mit dem Leser kümmern müssen. Gratiszeitungen sind über die Presseförde­rung überhaupt nicht erreichbar.

Ich meine deshalb, auch die Inseratenschaltungen der Politik und anderer sollten sich ein wenig darum kümmern, wo Qualität und wo Schund in diesem Land produziert wird; wo haarsträubend mit dem Opferschutz umgegangen wird und wo im Regelfall Qualität zu Hause ist.

Ich sage das auch als Herausgeber einer Zeitschrift wie „Die Furche“: Schonender, achtungsvoller Umgang mit Opfern, wie ihn die Frau Justizministerin zu Recht fordert, darf dann nicht noch wirtschaftlich bestraft werden.

Ich glaube auch, dass wir in Sachen kritischer Medienerziehung in unseren Schulen noch ziemlich weit zurück sind und dass bei der journalistischen Weiterbildung noch viel zu tun wäre.

Meine Redezeit ist abgelaufen. Ich möchte bei aller Betroffenheit über manches, was da zuletzt passiert ist, zunächst und vor allem für eine endlich effiziente und zeitgemä­ße Selbstkontrolle plädieren und vor Anlassgesetzgebung warnen.

Die Fälle Kampusch und Amstetten waren als menschliche Dramen und als Medien­ereignisse hoffentlich Extremfälle, die nicht nur journalistische Entartungen, sondern auch eine neue Nachdenklichkeit und eine neue Dynamik, etwa in Richtung Presserat, ausgelöst haben.

Wir müssen diesen Presserat rasch wieder auf die Füße stellen, wir müssen ihn recht­lich aufwerten und finanziell absichern. Wir müssen den Ehrenkodex der österreichi­schen Presse zeitgemäß adaptieren, und wir müssen Medienpolitik, auch Medienver­sagen weit mehr als bisher zum Thema journalistischer Selbstkritik und der Bericht­erstattung machen und dabei auf jede Selbstgerechtigkeit verzichten.

15.32


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Danke. Das waren jetzt 9 Minu­ten; just for info.

Ich darf nun Herrn Thurnher um seinen Beitrag ersuchen.

 


15.33.49

Armin Thurnher (Chefredakteur „Falter“): Da Heinz Nußbaumer gesagt hat, dass es sich vielleicht nur um Entartungen bei den angesprochenen Fällen handelt, fällt mir ein Zitat von Karl Kraus zur Einleitung ein: „Die Presse hat keine Auswüchse, sie ist einer.“ – Ich kann also diese Hoffnung, dass es sich dabei nur um Ausrutscher handelt, nicht teilen.

Als Nichtjurist möchte ich Ihnen jetzt ein paar grundsätzliche Überlegungen dazu sa­gen; es ist ohnehin schon sehr viel Konkretes gesagt worden. Da ich, sozusagen als „Hobby“, gern Jurist geworden wäre, möchte ich versuchen, die allgemeine Fragestel­lung herauszuarbeiten, um die es da immer geht und die da gerne verdrängt wird.

Wir leben ja in sehr verwirrten Zeiten – das kann man täglich in Tageszeitungen nach­vollziehen –, und diese Zeiten werden immer verwirrender. In der „Presse“ bekommt man den Kapitalismus ohne Eigentümer vom Herausgeber angepriesen. Deren Chefre­dakteur beruft sich auf Bertolt Brecht und sagt: In mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen! – Das klingt nicht sehr katholisch. Wahrscheinlich, weil ihm der Kardinal nicht beistehen kann, der leiht nämlich seine Stimme der „Kronen Zeitung“, die wiede­rum leiht ihm dafür Reichweite. Der Bundeskanzler ändert der „Kronen Zeitung“ zuliebe seine Europa-Politik. Alle anderen nehmen aber auch Rücksicht auf dieses Blatt: die Grünen, wenn es um Umwelt geht; die Schwarzen, wenn es um Tierschutz geht; und die Populisten sowieso in Permanenz.

Ich sage das nur deswegen, um klarzumachen, dass, wo immer unsere Gesellschaft oder auch nur ein Teil dieser Gesellschaft berührt wird, das auch mit Medien verquickt ist. Es ist alles „medieninfiziert“, und alles geschieht nur im Hinblick auf Medien. Und je mehr man davon aufzählt und je näher man hinblickt, desto verwirrter wird man. Die größte Medien betreffende Verwirrung hat der Philosoph Søren Kierkegaard in dem un­übertroffenen Satz ausgedrückt: Die Menschenwürde und die Pressefreiheit sind, zu Ende gedacht, nicht miteinander vereinbar. – Auch Kierkegaard war, wie Sie sicherlich wissen, ein Medienopfer. Das ändert aber nichts an der fundamentalen Wahrheit die­ser Einsicht.

Medien sind nicht nur verwirrend, sondern sind auch in sich selbst verwirrt, sie sind nämlich gespalten. Sie zerfallen immer in die zwei Teile: in den publizistisch getriebe­nen und in den ökonomisch getriebenen Teil; Teile, die man auch mit verschiedenen anderen Begriffen benennen kann. Die publizistische Seite der Medien beruft sich im Kern auf die Menschenwürde, also auf eine Sache außerhalb ihrer selbst, eben auf die Menschenwürde oder auf das Recht der unversehrten Person. – Die ökonomische Sei­te der Medien folgt einem ganz anderen Handlungsgesetz: Sie verfolgt das Gesetz der Profitakkumulierung, in Mediendenkweise übersetzt: die Akkumulierung von Aufmerk­samkeit. Nur darauf nehmen sie Rücksicht, wenn man es extrem zuspitzt. Das heißt, es ist ein internes Geschäftsinteresse der Medien, bei dem externe Rücksichtnahme keine Rolle spielt.

Die Lösung dieses Problems kann ja offensichtlich nicht darin bestehen, die externen Hindernisse zu beseitigen, also die Menschenwürde einzuschränken, sondern es kann nur darum gehen, sich auf die interne Seite der Medien zu konzentrieren, also die ökonomische Freiheit zu beschränken. Das kann und soll – das habe ich ja auch gera­de gehört – vor allem mit gesellschaftlichen Mitteln geschehen. Ansonst besteht natür­lich immer die Gefahr der Zensur, die ja der erste politische Eingriff ist, der einem dabei einfällt.

Ich würde meinen, das beginnt bei gesellschaftlichen Sanktionsmöglichkeiten, dabei, dass man mit Menschen, die einen Journalismus betreiben, den eine Gesellschaft als nicht geeignet betrachtet, dass man mit solchen Leuten nicht so umgeht, als würden sie wichtige und bedeutende Mitglieder der Gesellschaft darstellen; was aber de facto leider geschieht. Beispiele: jüngst, aber auch permanent.

Dazu kann ein Parlament natürlich nur als Teil einer allgemeineren Öffentlichkeit bei­tragen, aber es ist nie schlecht, auch da Klartext zu sprechen. Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk wäre dafür eine sehr geeignete Stelle. Die Bereitschaft zur Selbst­reflexion, vor allem zur medialen gesellschaftlichen Selbstreflexion, ist dort allerdings nicht sehr ausgeprägt, wie wir wissen.

Zu solchen gesellschaftlichen Maßnahmen gehören natürlich auch Maßnahmen der Selbstanerkennung und Versuche der Selbstregulierung, wie eben ein Presserat, den es ja jetzt wieder geben soll, oder Initiativen wie die erwähnte zur Förderung des Quali­tätsjournalismus. Das ist alles wichtig. Es ist dabei ja nicht untypisch, dass man jetzt schon versucht, den Presserat lächerlich zu machen, ehe er überhaupt seine Arbeit aufgenommen hat. Genauso gehört zu gesellschaftlichen Maßnahmen natürlich auch die Schulung von Polizei, von Anwaltschaft, von Gerichten. Ich war vorhin nicht da, aber ich nehme an, dass Frau Plaz da Einschlägiges gesagt hat.

Man kann ja erkennen, dass die Methoden, die im Fall Amstetten angewandt wurden, offensichtlich zum Schutz der Opfer weit besser waren und mehr beigetragen haben als zum Beispiel die Methoden, die im Fall Kampusch angewendet wurden. Denn: Wenn man den Medien den kleinen Finger reicht, führt das blitzartig zu einem Gesamt­körperverlust – und davor ist, glaube ich, zu warnen.

Selbstbeschränkung der Medien und die gesellschaftlichen Mechanismen sind natür­lich nur eine mögliche Form; es gibt schon auch juristische Möglichkeiten, und man sollte nicht allzu schnell kneifen. Auch da ist es, wie ich meine, notwendig, einiges zu verbessern, vor allem eine Rechtsprechung zu haben, die nicht die europäische Judi­katur ständig missinterpretiert, wie es in Fragen der Meinungsfreiheit geschehen ist, wie es aber auch in Fragen der Persönlichkeitsrechte geschieht, wenn man den Fall Kampusch betrachtet, wo das Caroline-von-Monaco-Urteil offensichtlich einfach fehlge­deutet wurde. Dieses Urteil besagt ja nichts anderes, als dass auch prominente Perso­nen ein Recht auf Privatsphäre haben. Das wurde vom Gericht – unverständlicherwei­se – nicht so verstanden. Natürlich gehört auch die Höhe der Strafen dazu. Ich bin, an­ders als mein Vorredner, schon der Meinung, dass man da sehr effizient vorgehen müsste, und ich könnte mir da verschiedene Dinge vorstellen, wie man Strafen in Me­dienrechtssachen effizienter macht.

Erstens würde ich vorschlagen, die Höhe der Strafe an die selbst verkündeten Reich­weitendaten der Medien zu knüpfen. Es gibt ja immer zwei Arten von Reichweitenda­ten; die einen sind die in den Media-Unterlagen, mit denen man sich wichtig macht, und die anderen sind die vor Gericht, mit denen man sich unwichtig macht. Ich würde vorschlagen, diejenigen zu nehmen, die die Medien öffentlich verbreiten (Vorsitzender Abg. Dr. Jarolim: Als bewegliche Systeme!), sodass sie nicht als kalkulierte Marketing­kosten ohneweiters abbuchbar sind.

Auch könnte ich mir durchaus ein Punktesystem vorstellen, sodass dann, wenn eine bestimmte Punkteanzahl an Medienverurteilungen erreicht ist, die Medienförderung entfällt. Unter Medienförderung verstehe ich jetzt nicht nur Subventionen in Form von Presseförderung, sondern auch jene Arten von Medienförderung, die man gerne ver­gisst. Zum Beispiel die begünstigten Posttarife sind sehr wesentlich, gerade bei gewis­sen Tageszeitungen und Illustrierten, aber natürlich auch Inserate aus dem öffentlichen oder aus dem ausgelagerten öffentlichen Bereich. Das ist natürlich sehr schwierig, eine etwas undurchsichtige Art der Presseförderung, aber auch das sollte meiner Meinung nach berücksichtigt werden.

Das wären sozusagen juristische und politische Maßnahmen. Aber im Wesentlichen glaube ich schon, dass man dem Problem am ehesten mit gesellschaftlichem Druck begegnet, denn Medien sind auch – und das gehört ebenfalls zu ihrem verwirrenden Charakter – immer eine Glaubensfrage. Sie sind so mächtig, wie die, die an sie glau­ben, sie machen. – Danke schön.

15.42


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Danke schön, Herr Chefredak­teur. – Als Nächster gelangt Herr Professor Beier zu Wort. – Bitte.

 


15.42.08

Univ.-Prof. Dr. med. Dr. phil. Klaus M. Beier (Charité Berlin)|: Herr Vorsitzender! Mei­ne sehr verehrten Damen und Herren! Ich fasse mich kurz. – Ich habe zwei positive Nachrichten. Die eine ist, dass wir in Berlin primäre Prävention machen. Wir verhindern dort ganz konkret sexuelle Übergriffe auf Kinder im Dunkelfeld. Ich erläutere ganz kurz, wie wir das tun. Und ich habe eine zweite positive Nachricht: Ich muss die Medien aus­drücklich loben im Zusammenhang mit diesem Forschungsprojekt, das wir seit 2004 an der Charité durchführen.

Ich selbst bin Arzt und Hochschullehrer für Sexualmedizin, seit 20 Jahren in diesem Gebiet tätig, habe über Sexualstraftäter geforscht, habe eine große empirische Unter­suchung gemacht und weiß daher Folgendes: Die sexuelle Präferenzstruktur des Men­schen entwickelt sich im Jugendalter und bleibt dann bis zum Lebensende bestehen.

Das gilt auch für das, was wir eine pädophile Neigung nennen. Das heißt, es gibt Män­ner, die eine sexuelle Ansprechbarkeit auf den Kinderkörper haben, und diese bleibt bis zum Lebensende bestehen. Das ist für uns eine chronische Erkrankung, deshalb plädieren wir auch für Chronikerprogramme, die wir in diesem Feld brauchen.

Was wir ferner wissen, ist, dass es in dieser Gruppe von Männern mit pädophiler Nei­gung solche gibt, die Verantwortung für diese Ausrichtung übernehmen, die selbst da­zu beitragen wollen, dass es nicht zu einem Übergriff kommt, und bislang keine Anlauf­stellen hatten, um sich helfen zu lassen. Im Gegenteil, was wir jetzt erfahren, ist, dass sie abgewiesen wurden, wenn sie Mut gefasst hatten, sich an Arztpraxen zu wenden oder in entsprechende Einrichtungen zu gehen.

Wir haben also Folgendes gemacht: Da wir wissen, dass aus dieser Gruppe Übergriffe resultieren – das ist eine Gruppe, die wir präventiv angehen müssen –, dass die Nei­gung, die sie aufweisen, bis zum Lebensende bestehen bleibt und dass es eine chroni­sche Erkrankung ist, gehen wir das wie eine chronische Erkrankung an und bieten die­sen Menschen präventiv Behandlung an. Dafür haben wir mit Hilfe der Medien gewor­ben, wobei ich sagen muss, das war auch in Verbindung mit einer Medienagentur, die uns da beraten hat.

Es ist eine Pressekampagne entstanden. Wir haben die Betroffenengruppe gezielt an­gesprochen. Wir haben mit einem Behandlungsprogramm geworben, weil wir Verhal­tenskontrolle erreichen können, und zwar bei jenen, die sich helfen lassen wollen, die verantwortungsbewusst sind, die motiviert sind. Denen können wir richtig helfen, da können wir richtig zugucken, wie wir Übergriffe verhindern, weil die zu uns kommen und sagen: Es ist kurz davor. Im Übrigen haben wir auch zusätzlich medikamentöse Optionen, die wir einsetzen, um Impulsdurchbrüche zu verhindern.

Wir haben bisher an die 800 Anmeldungen. Wir haben über 300 Diagnostiken durchge­führt. Wir haben mehr als 150 Behandlungsplätze angeboten. Jetzt kommt das Beson­dere: Die kommen aus ganz Deutschland, keineswegs nur aus Berlin; sie kommen auch aus Österreich und aus der Schweiz, also aus dem deutschsprachigen Ausland. Wir haben gar nicht genügend Kapazitäten, um das aufzufangen.

Das heißt, wir versuchen jetzt, in anderen Bundesländern dafür zu werben, dass ent­sprechende Versorgungseinrichtungen etabliert werden, weil innerhalb dieser Gruppe chronisch kranker Menschen – ich sage es noch einmal – eine Untergruppe bereit ist, sich helfen zu lassen. Denen muss man helfen; man muss signalisieren, dass sie für die Neigung selbst nichts können, aber die volle Verantwortung dafür haben, was da­raus wird. Wir haben die Möglichkeiten, ihnen lebenslang zu helfen, dass es nicht zu einem Übergriff kommt.

Das hat sich bewährt, wir sind jetzt in der zweiten Förderphase. Ich möchte auch mit­teilen, dass große Teile des Bundestages sich diesem Projekt gegenüber aufgeschlos­sen gezeigt haben und diese zweite Förderphase mit Unterstützung des Bundesjustiz­ministeriums, namentlich Frau Zypries, gefördert werden kann. Wir sind jetzt gewisser­maßen in einem Feld, in dem wir sehen, was wir tun können und wie wir andere ermu­tigen sollten, diese Zielgruppe anzusprechen und den Betroffenen Hilfe anzubieten.

Das Wichtige ist eben, dass man sie nicht für die Neigung verurteilt, was wir aber alle sofort tun würden. In dem Moment, in dem wir wüssten, dass jemand eine Pädophilie hat, wäre der bei uns sofort sozial diskriminiert, obwohl er gar nichts getan hat. Wir set­zen nämlich Pädophilie mit Missbrauch gleich.

Wir wissen aus epidemiologischen Untersuchungen, dass etwa ein Prozent der männli­chen Bevölkerung eine solche Neigung aufweist; aber keiner von Ihnen kennt einen. Ein Prozent ist die Prävalenz des Morbus Parkinson; Sie haben alle schon Parkinson-Kranke gesehen. Das hängt damit zusammen, dass die, die die Neigung haben, das abschirmen und eben nicht Hilfe suchen, weil sie Angst vor der Diskriminierung haben.

Da, muss ich sagen, haben uns die Medien sehr geholfen! Das haben sie eingesehen, sie haben mit für diesen Einsatz geworben, und daraus resultiert meines Erachtens auch der Erfolg. – Ich hoffe, ich habe die Zeit eingehalten.

15.46


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Danke schön, Herr Professor.

Herr Mag. Grünberger gelangt als Nächster zu Wort. – Bitte.

 


15.47.00

Mag. Gerald Grünberger (Geschäftsführer des Verbandes Österreichischer Zeitun­gen)|: Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf trotz fortgeschrittener Agenda einige allgemeine Feststellungen treffen. Es wird Sie nicht verwundern, dass diese doch ein wenig differenziert sind gegenüber der all­gemeinen oder schon oft zitierten Medienschelte, die hier angebracht wurde.

Der Verband Österreichischer Zeitungen bekennt sich zu einem verantwortungsvollen Journalismus, wie er im Medienrecht und im Ehrenkodex der österreichischen Presse vorgezeichnet ist. Das bedeutet den Schutz der Opfer vor Bloßstellung und vor Ernied­rigung ebenso wie die Wahrung der Anonymität vermeintlicher Täter. Die Zeitungen haben aber auch eine Informationspflicht gegenüber der Öffentlichkeit und ihren Le­sern, besonders in Fällen von Gewaltverbrechen. Dieses Spannungsfeld ist heute schon mehrmals angesprochen worden.

Es greift im Allgemeinen zu kurz, wenn als Reaktion auf einige – zugegeben – mediale Übergriffe Kriminalberichterstattung einfach mit dem Bedienen von Sensationslust gleichgesetzt wird. Meist geht es in Kriminalfällen ja auch um das Verhalten der Perso­nen im Umfeld der Tat sowie der Opfer. Das Interesse richtet sich auch auf die Rolle der Behörden, etwa in der Jugendfürsorge – Fall Amstetten –, sowie die Effizienz poli­zeilicher Ermittlungen, etwa im Fall Kampusch. An der wahrheitsgemäßen Aufdeckung dieser Zusammenhänge besteht ein hohes öffentliches Interesse.

Zum Thema und zur Pauschalisierung „die Medien“ gestatten Sie mir folgende kurze Feststellung. Wenn Exzesse in der Kriminalberichterstattung der jüngsten Zeit stattge­funden haben – und daran waren in der Regel nicht die Mitgliedsverlage des Verban­des Österreichischer Zeitungen oder jedenfalls nicht in führender Rolle beteiligt –, so ist das sicher zu verurteilen. Es gibt aber auch Gegenbeispiele wie den „Standard“ oder den „Kurier“, die sehr behutsam und sehr vorsichtig mit dieser Thematik umge­gangen sind.

Das österreichische Mediengesetz weist einen vergleichsweise sehr hohen legisti­schen Standard für den Schutz der von Kriminalberichterstattung Betroffenen, Täter oder Opfer, auf. Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang auf § 7, § 7a und § 7b, vor allem § 7b, der die Wahrung der Unschuldsvermutung in der medialen Berichterstat­tung sicherstellt. Diese Vorschrift hat sich eingespielt und wird, wie auch von Experten bestätigt wird – zum Beispiel Richter des OLG Wien Dr. Röggla –, in der journalisti­schen Praxis fast lückenlos beachtet.

Dazu kommen Ansprüche des Abgebildeten bei Verletzung seiner berechtigten Interes­sen gemäß § 78 Urheberrechtsgesetz, weiters zivilrechtliche Ansprüche und ferner zi­vilgerichtliche Ansprüche nach dem ABGB. Diese Ansprüche können parallel geltend gemacht werden. An rechtlichen Abwehrmitteln fehlt es den medial Betroffenen nicht. Eine Prozessbegleitung oder, wie auch hier zuletzt vorgeschlagen, Medienassistenz ist möglicherweise ein geeignetes Instrument, um dem subjektiven Ohnmachtsgefühl in diesem Fall zu begegnen.

Die Kehrseite der Diskussion um die Entschädigungshöhe sei auch verraten. Wir stel­len immer wieder fest, dass gerade in Kriminalfällen sowie bei vermeintlichen Persön­lichkeitsverletzungen von so genannten Prominenten das medienrechtliche Instrumen­tarium oft einfach nur zur Abschreckung der Medien oder auch zur bloßen Geldbe­schaffung für Anwalt und Täter eingesetzt wird.

Wir warnen daher vor einer medienrechtlichen Anlassgesetzgebung im Zusammen­hang mit dem Vorfall Kampusch und dem Inzestfall in Amstetten. Jeder dieser Fälle weist eine sehr komplexe Interessenlage auf. Es sollte den Gerichten überlassen blei­ben und bleibt den Gerichten überlassen, darüber zu urteilen, ob etwa im Inzestfall Am­stetten die Namensnennung und der Bildabdruck des Täters unter Berücksichtigung der Interessen der Opfer sowie der Öffentlichkeit zulässig waren oder nicht.

Die Journalisten stehen gerade bei solch spektakulären Kriminalfällen, in denen ein ho­hes Informationsinteresse an der Kenntnis der Täter besteht, die Sachlage aber noch nicht geklärt ist, unter extremem Zeit- und Entscheidungsdruck im Hinblick darauf, was sie veröffentlichen können. Wenn dann selbst die Gerichte in zeitlicher Distanz zum Geschehen, also wenn der Sachverhalt auch schon abgeklärt ist, oft Schwierigkeiten in der Abwägung der gegensätzlichen Interessen haben – wie geht es dann erst dem Journalisten, der auf Grund verschiedener Eilmeldungen entscheiden soll, ob die Iden­tität des Täters geoffenbart werden kann oder nicht!

Bei allem Verständnis für die Empörung und die daraus resultierenden Rufe oder For­derungen nach Verschärfungen im Mediengesetz kann die Kriminalisierung der Medien durch höhere Entschädigungsbeträge, fälschlicherweise oft auch als Strafen bezeich­net, nicht wirklich die Lösung sein.

Die Redaktionen stehen heute in ihrer Arbeit in ständigem Kontakt mit Anwälten über das, was sie schreiben dürfen. Die Anforderungen an die Rechtskenntnisse der Jour­nalisten werden, insbesondere im Hinblick auf den Bildjournalismus, immer höher. Die Verlagshäuser tragen dem durch ständige Schulung der Redakteure Rechnung. Der Verband Österreichischer Zeitungen bietet hiezu seinen Mitgliedern Seminare und lau­fende Rechtsinformationen an. Ein Ansatz ist also die Investition in die Qualifizierung der Redaktionen.

Noch ein Satz zur Frist zur Geltendmachung: Eine Verlängerung auf drei Jahre, wie sie heute auch hier angedacht wurde, stellt in der Praxis erhebliche Probleme dar, weil Geschehnisse, die in der fernen Vergangenheit liegen, oft das Problem der authenti­schen Rekonstruktion in sich bergen. Dies stellt für Journalisten, die sich an etwas erin­nern müssen, was vor drei Jahren geschehen ist, oftmals ein Problem dar.

Last, aber nicht least, die Selbstkontrolleinrichtung: Der Verband Österreichischer Zei­tungen bekennt sich zur Selbstkontrolle als wesentlichem Element eines qualitativen Journalismus. Der Verband hat maßgeblich an der Schaffung der Grundlagen für den Presserat-neu beigetragen. Wir sind – ich glaube, ich kann auch im Namen des Kolle­gen Bauer sprechen – für die Hinweise, die heute Vormittag hier eingebracht wurden, sehr dankbar. Bei allem Verständnis jedoch für die österreichische Seele, die die Dinge immer mit einer gewissen Skepsis vor sich herträgt, bitte ich Sie, das Ergebnis abzu­warten. Ich glaube, dass wir, allen diesen Bedenken Rechnung tragend, ein sehr gutes Ergebnis zustande bringen werden.

In diesem Zusammenhang sei auch angemerkt, dass staatliche Sanktionen wie Ge­winnabschöpfung oder anderes einen sehr problematischen Eingriff in die Presse- und Erwerbsfreiheit darstellen.

Zusammenfassend – und so habe ich die Veranstaltung heute hier verstanden – stellt sich die Frage: Gibt es Handlungsbedarf seitens des Gesetzgebers? – Nun, der me­diengesetzliche Rahmen sowie die Entschädigungshöhe können als ausreichend be­trachtet werden. So gesehen ist, glaube ich – und das wurde ja auch zum Ausdruck gebracht –, das Mediengesetz ganz praktikabel, und es funktioniert. Die Arbeitsgruppe, die heute von Dr. Zeder erwähnt wurde, wird von uns begrüßt, und die Zivilisierung des Medienrechts – wie es genannt wird – ist ebenso eine Maßnahme, die wir sehr begrü­ßen.

Vielmehr braucht es aus unserer Sicht ein Informationsfreiheitsgesetz zur Informations- und Auskunftspflicht. (Vorsitzender Abg. Dr. Jarolim gibt das Glockenzeichen.) Rechtsschutz gegen die Preisgabe schutzwürdiger, geheim zu haltender personen­bezogener Informationen durch Beamte und sonstige Amts- und Mandatsträger ist wichtig. Aber ebenso wichtig ist die erforderliche Information, Information für Kontrolle, einschließlich des Aufdeckens von Missständen.

Medien sollten nicht in die Rolle von Bittstellern gedrängt werden und nicht auf den Goodwill eines Beamten angewiesen sein. Rechtssicherheit für beide, für Medien und Beamte, wäre durch ein solches Informationsfreiheitsgesetz sicherzustellen.

Letzter Punkt, dann bin ich fertig: Der Presserat würde sicher besser funktionieren, wenn es ein klares Bekenntnis der öffentlichen Hand dazu gäbe und auch eine Dotie­rung dieses Gremiums erfolgte. – Danke.

15.56


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Danke schön – wobei die heute von Herrn Chefredakteur Thurnher aufgezeigten beweglichen Systeme natürlich schon die Diskussion insgesamt bereichern, diese Maßgabe nach den Auflagezahlen, die zu jeweiligen Anlassfällen bekannt gegeben werden.

Nun darf ich Herrn Blank um seinen Beitrag ersuchen. – Bitte.

 


15.56.22

Martin Blank (Geschäftsführer Puls4, Verband Österreichischer Privatsender)|: Grüß Gott! Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Frau Minister! Zunächst einmal: Gute Besserung auch noch von meiner Seite!

Wertes Haus! Ich sitze heute hier mit zwei Hüten. Das eine ist der Hut eines Ge­schäftsführers eines privaten TV-Senders. Auf der anderen Seite sitze ich hier – und das ist heute mein Haupthut – als Vertreter des Verbands der Österreichischen Privat­sender, hier zuständig für den Bereich Fernsehen; aber das, worum es heute geht, trifft natürlich alle Mitglieder des VÖP.

Ich möchte nur ganz kurz auf das eingehen, was Dr. Bauer in seiner Funktion bei ATV gesagt hat. Noch einmal vielen Dank für die Schilderung des genauen Hergangs, wie das auch mit der Information gelaufen ist! Das war, glaube ich, schon einmal sehr er­hellend, weil es auch uns in der Redaktion genauso gegangen ist. Natürlich ist es so, dass sich jeder, der im Privat-TV-Bereich oder überhaupt im Privatrundfunkbereich ar­beitet, in diesem Spannungsfeld – so nennen es die einen, die anderen nennen es Di­lemma – zwischen Persönlichkeitsschutz einerseits und Pressefreiheit, Informationsbe­dürfnis und Informationspflicht auf der anderen Seite befindet.

Mir ist es in der Diskussion heute sehr, sehr wichtig, noch einmal zu betonen, dass es darauf ankommt zu differenzieren. Wir müssen differenzieren, wenn wir „die Medien“ sagen. „Die Medien“ an sich gibt es nicht, sondern es sind immer einzelne, einzelne Sender, einzelne Gattungen, einzelne Unternehmen, und man muss sehr genau hin­schauen, wen man mit „die Medien“ meint. Insofern ist es wahrscheinlich nicht beson­ders zielführend, wenn man, um den einen oder anderen Auswuchs oder Missstand oder auch Gesetzesverletzung, die zweifelsohne stattgefunden haben – und das muss sanktioniert werden –, künftig zu verhindern trachtet, versucht, generelle Regeln zu fin­den, die möglicherweise dann auch alle anderen Medien betreffen, die davon eigentlich nicht betroffen sein sollten.

Insofern ist es heute zum Thema geworden, dass man sagt: Möglicherweise könnte man das Redaktionsgeheimnis einschränken. Das würde wahrscheinlich dazu führen, dass dann im Grunde genommen die eigentliche Aufgabe auch der seriösen Medien – so nenne ich sie jetzt einmal –, auch der seriös arbeitenden Privat-TV- oder Privatrund­funk-Unternehmen eingeschränkt werden würde. Das würde sicherlich nicht der Pres­sefreiheit zugute kommen. – Punkt Nummer eins.

Punkt Nummer zwei, auch eine Verknüpfung, dass man sagt, man könnte mögliche Förderungen mit möglichen Verurteilungen durch den Presserat-neu junktimieren. Da sehe ich die Gefahr, dass eine solche Junktimierung einfach nicht den Erfolg bringt, den man eigentlich damit haben möchte. Denn am Ende geht es darum – und hier spreche ich jetzt das aus, was der VÖP im Grunde schon seit zwei Jahren macht –, dass wir als Unternehmer, auch als Privat-TV-Unternehmen, unsere Mitarbeiter, die tagtäglich in diesem Spannungsgeld leben, medienrechtlich ordentlich schulen.

Wir haben als VÖP vor zwei Jahren einen Verein gegründet, der PrivatsenderPraxis heißt. Dort ist medienrechtliche Schulung, medienrechtliche Ausbildung der Mitarbeiter in privaten TV- und Rundfunkunternehmen eine ganz wesentliche Säule der Ausbil­dung. Da geschieht also viel, daran muss man aber auch entsprechend weiterarbeiten, und darauf muss man als Unternehmen, auch als Privat-TV-Unternehmen, seinen Fo­kus legen.

Zweiter Punkt, der sehr wichtig ist: Wenn man den Argumenten und den Ausführungen heute gefolgt ist, hat man gehört, es ist sehr häufig gesagt worden, die gesetzlichen Rahmenbedingungen seien ausreichend, sie würden nur nicht entsprechend gehand­habt. Dem kann ich nur voll zustimmen. Den gesetzliche Regelungsbedarf-neu sehe ich nicht, aber es ist durchaus möglich, auch schon im Rahmen der jetzt bestehenden Möglichkeiten solche Auswüchse und Missstände stärker zu bekämpfen und mögli­cherweise auch zu beheben. Natürlicherweise ist es ganz wichtig, wenn man über den Presserat-neu spricht, dass dort auch eine entsprechende Sanktionierungsmöglichkeit mit eingebaut wird, sodass er tatsächlich auch die Funktion einer Kontrolle überneh­men kann.

Um es ganz kurz zu machen, viele Themen sind ja heute angesprochen worden, der wichtigste Satz, der heute gesprochen worden ist, ist: Opferschutz geht uns alle an! Dazu bekennen wir uns zu hundert Prozent, das ist wirklich eine extrem wichtige und sehr, sehr wertvolle Aufgabe.

Natürlich bekennen wir uns auch zur Selbstregelung. Wir sind nicht dafür, jetzt im Mo­ment darüber nachzudenken, ob ein zusätzlicher Regelungsbedarf besteht, und wir sa­gen auch als VÖP ein Ja zur medienrechtlichen Ausbildung.

Ich würde gerne, weil es sehr, sehr beeindruckend war, die Vertreter der Opferschutz­organisationen zu hören, anschließend noch mit Ihnen sprechen, denn ich würde Sie gerne dann auch einmal zu uns einladen, denn es ist immer sehr, sehr wichtig, den di­rekten Kontakt mit Vertretern auch von Ihrer Seite zu haben. – Vielen Dank.

16.01


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Ja, danke schön, Herr Blank.

Der ORF hat Herrn Fritz Wendl entsandt. Ich ersuche ihn um seine Ausführungen.

 


16.01.42

Fritz Wendl (Vorsitzender des ORF-Redakteursrats)|: Ich verhehle nicht, es erfreulich zu finden, dass der ORF zu dieser Enquete seinen Redakteursratsvorsitzenden dele­giert hat, denn das zeugt wohl vom Bewusstsein, dass mediale Verantwortung am bes­ten dort aufgehoben ist, wo sie am besten wahrgenommen werden kann, von unab­hängigen und eigenverantwortlichen Journalistinnen und Journalisten.

In den ORF-Programmrichtlinien, die auch Bestandteil aller Dienstverträge sind und auf die sich zum Beispiel auch der Bundeskommunikationssenat beruft, etwa auch in sei­nem jüngsten Spruch, mit dem eine Beschwerde des ORF-Publikumsrats verworfen wurde, steht unter anderem: „Bei der Programmgestaltung ist in jedem Fall darauf zu achten, dass die Würde des Menschen gewahrt bleibt, die Privatsphäre des Individu­ums nicht verletzt und die Grundrechte anderer geachtet werden.“

Und im heute schon mehrfach erwähnten Ehrenkodex für die österreichische Presse steht unter anderem analog zu internationalen Ehrenkodices, worauf auch wieder in den ORF-Programmrichtlinien Bezug genommen wird: Journalismus heißt Verantwor­tung tragen, und zwar gegenüber der Öffentlichkeit, dem betreffenden Medium und dem eigenen Gewissen. Demnach sind Gewissenhaftigkeit und Korrektheit in Recher­che und Bericht oberste Verpflichtung des Journalisten. Dies gilt auch für die Beschaf­fung von Nachrichten, Bildern und sonstigem Informationsmaterial. Bei Berichten über die Intimsphäre ist das öffentliche Interesse an der Information gegenüber dem Interes­se des Einzelnen und dessen Angehörigen an der Wahrung dieser Intimsphäre abzu­wägen.

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk, für den Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit von exis­tenzieller Bedeutung sind, hat, auch ganz unabhängig von gesetzlichen und freiwilligen Regeln, selbstverständlich grundsätzlich anständig zu sein, ethische Kriterien ernst zu nehmen, vorbildhaft zu sein bei der Wahrnehmung und Pflege der ganz besonderen, umfassenden und nicht zuletzt demokratiepolitischen Verpflichtung von Medien.

Von allen anderen Medien, die sich zur besonderen Rolle bekennen, die Medien in der Gesellschaft zukommt, darf man zumindest erwarten, anständig zu sein, ethische Krite­rien ernst zu nehmen.

Es darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass sich die internationale Medien­landschaft samt entsprechenden Auswirkungen hierzulande rasant verändert, es im­mer mehr Medienbetreiber gibt, für die Medienmachen bloß ein Geschäftszweig wie je­der andere ist, wie der Verkauf von Unterwäsche, Fast Food oder was auch immer. Wer da Anständigkeit und Ernstnehmen ethischer Kriterien, das Funktionieren von Selbstkontrolle erwartet, kann nur hoffnungslos naiv oder ahnungslos sein.

Dazu kommt: Vielen österreichischen Medienunternehmen geht es wirtschaftlich schlecht bis elendiglich, auch solchen, für die Medienerzeugung ein Handel mit Waren aller Art ist. Das trägt nämlich zwar zur weiteren Verluderung verluderter Sitten bei, si­chert aber nicht unbedingt den ökonomischen Erfolg. Und geht es einem Unternehmen nicht gut, wird an die Mitarbeiter appelliert, im eigenen Interesse auf Skrupel zu ver­zichten.

Bei Journalisten kann das dann leicht zum Verzicht auf journalistisches Rückgrat füh­ren, ganz nach dem vor vielen Jahren ernsthaft zur Propagierung österreichischer Wa­re kreierten Slogan „Kauf’ dir deinen Arbeitsplatz“. Oder mit anderen Worten: Journalis­tische Freiheit samt der Freiheit zu Anständigkeit muss man sich, auch ökonomisch, leisten können.

Es braucht also ordentliche Rahmenbedingungen, wie sie etwa von den ORF-Journa­listinnen und ‑Journalisten, nicht immer unbedingt im Einklang mit der jeweiligen Ge­schäftsführung, immer wieder gefordert wurden und werden, Rahmenbedingungen, die garantieren müssen, dass nicht jene, die sich zu Regeln im Sinn der besonderen Ver­antwortung von Medien bekennen, dadurch auch noch Wettbewerbsnachteile hinzu­nehmen haben. Das heißt, es müsste zum Beispiel die Vergabe von Privatrundfunk­lizenzen und von Medienförderungsmitteln mit dem Bekenntnis zu einem Medienehren­kodex, aber auch mit dem Vorhandensein von Redaktionsstatuten, die journalistische Unabhängigkeit sichern, und mit der Akzeptanz arbeitsrechtlicher Mindeststandards verknüpft werden. Geschieht das nicht, bedeutet das nicht nur eine Verzerrung der Wettbewerbsverhältnisse, sondern auch eine weitere Verwüstung der Medienland­schaft, den Verzicht auf jegliche Qualitätskriterien in der Medienpolitik.

Dann darf schließlich auch noch nicht vergessen werden, dass der Wandel der Me­dienlandschaft dazu geführt hat, dass es für immer mehr Journalistinnen und Journalis­ten die Anwendung des Journalistengesetzes, journalistische Kollektivverträge oder sonstige medienspezifische Regulative kaum mehr gibt, nämlich zum Beispiel in den meisten Onlinebereichen, beim Privat-TV und beim Privatradio.

Zusammenfassend: Selbstverständlich ist Selbstkontrolle der Medien unverzichtbar. Diese funktioniert aber ganz sicher nicht von selbst. Da ist ganz wesentlich auch der Gesetzgeber gefordert. Vielleicht können aber die Ereignisse, die diese Enquete be­wirkten, auch Anstoß dazu sein, dass ein Ergebnis dieser Enquete ist, zu verdeutli­chen, wie sehr eine breite, grundsätzliche medienpolitische Diskussion eine demokra­tiepolitische Notwendigkeit wäre. Vielleicht gelingt es dann sogar, etwas stattfinden zu lassen, das den Namen Medienpolitik verdient. – Danke.

16.07


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Danke, Herr Wendl.

Allgemeine Diskussion

 


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Wir kommen jetzt zur Diskus­sionsrunde.

Als Erste kommt Kollegin Rauch-Kallat nunmehr in eigener Angelegenheit zu Wort. Die Redezeit ist 4 Minuten. – Bitte schön.

 


16.07.21

Abgeordnete Maria Rauch-Kallat (ÖVP)|: Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr ge­ehrte Frau Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich darf aber auch in eigener Angelegenheit direkt anknüpfen an das, was ich von der Frau Minister vorlesen durfte, nämlich das Durchbrechen des Tabus.

Ich denke, wir brauchen die Medien, denn wenn ich mich zurückerinnere, in den spä­ten siebziger, frühen achtziger Jahren war es tatsächlich ein Bruch, der Bruch eines Tabus, dass über Missbrauch, über sexuellen Missbrauch öffentlich gesprochen, öf­fentlich diskutiert und in den Medien öffentlich berichtet wurde. Erst diese Diskussion, erst diese Berichterstattung hat dazu geführt, dass Opfer sich überhaupt an die Öffent­lichkeit, wenn auch an eine beschränkte Öffentlichkeit getraut haben, hat dazu geführt, dass es Einrichtungen gibt wie die „Möwe“, die sich damals gegründet haben, Rotraud Perner und ich waren unter den Gründungsmitgliedern, und hat dazu geführt, dass das Thema langsam enttabuisiert wurde. Das heißt, gerade Missbrauch braucht Medienöf­fentlichkeit. Der Punkt ist nur, dass diese Medienöffentlichkeit nicht selbst wieder Miss­brauch am Opfer begeht.

Daher kommt es darauf an, die entsprechende Sprache zu untersuchen. Und ich wür­de sehr anregen, es wird sehr, sehr dringend notwendig sein, sich bewusst zu machen, wie Bericht erstattet wird. Wir machen seit zehn Jahren einen JournalistInnen-Kon­gress, der immer wieder auch Untersuchungen macht, wie Berichterstattung, gerade auch über Frauen, Männer aussieht, und es ist lohnenswert, sich damit auseinanderzu­setzen, gerade in der Sprachforschung, gerade in der Publizistikforschung, zu untersu­chen, wie über derartige Fälle berichtet wird, wie die Opfer möglicherweise neuerlich viktimisiert werden, und dann mit den Ergebnissen dieser Forschung ganz stark in die Journalisten-, Journalistinnenaus- und -weiterbildung zu gehen, denn nur ein derartiges Bewusstsein bei den Berichterstattern, bei den Berichterstatterinnen wird auch eine Veränderung in der Berichterstattung ergeben. Wir haben heute sehr viel über Ethik im Journalismus diskutiert, und ich denke, dass das Bewusstsein in der Sprache auch eine wichtige Voraussetzung ist, um Ethik auch entsprechend leben zu können. Und daher meine Anregung, das einerseits an den Universitäten, in den Ausbildungsstätten der Journalistinnen und Journalisten ernst zu nehmen, sowohl in der Bildung als auch in der Forschung, und andererseits natürlich, auch das sei hier nicht verschwiegen, mehr Geld für die Opfer zur Verfügung zu stellen – da teile ich die Meinung des Herrn Präsidenten Jesionek.

Tatsächlich, es ist immer noch eine Schande, dass Institutionen wie die „Möwe“ um das Überleben kämpfen müssen, natürlich immer wieder auch auf freiwillige Spenden angewiesen sind. Das soll auch durchaus so ergänzt werden, aber ich denke, wir sind in der Zwischenzeit in der Lage, dafür zu sorgen, dass Missbrauchsopfer nicht nur phy­sische Unterstützung in der Rehabilitation, sondern auch psychische Unterstützung durch Therapie erhalten. – Danke sehr.

16.10


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Dr. Johannes Jarolim|: Danke schön. – Als Nächster spricht Herr Claus Reitan. – Bitte.

 


16.11.01

Claus Reitan (Verein der Chefredakteure)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Trotz eines Tages getragen von hoher Disziplin des Sprechens und des Zuhörens, glaube ich, ist uns allen klar geworden, wir haben alle die Ergriffenheit bemerkt, die uns alle erfasst hat. Ich danke für die sehr klaren Schilderungen medialer Auswirkung aus der Sicht der Opfer.

Ich möchte ausdrücklich den Damen und Herren der Opferschutzverbände für die sehr klaren Worte, für diese ergreifenden Schilderungen wirklich Danke sagen. Ich glaube auch, dass Sie ein Argument geliefert haben, welches heute schon in die Diskussion Presserat-neu eingeflossen ist, nämlich ihn breiter aufstellen. Wenn es noch eines Be­weises, meine sehr geehrten Damen und Herren, bedurft hätte, diesen Presserat, in welcher Form auch immer er dann konkretisiert wird, breiter aufzustellen, dann gehö­ren Sie mit Ihren Argumenten auf jeden Fall dazu.

Wer den Presserat ernst nimmt, soll ihn fördern. Das wird Auftrag des Gesetzgebers und der Bundesregierung sein. Wer den Presserat künftig ernst nimmt, wird wohl um die Debatte, ist er behördenähnlich oder gerichtsähnlich, nicht ganz herumkommen. Wer sich so wie Sie alle, meine sehr geehrten Damen und Herren, über einen Presse­rat-neu freut, wird irgendwann einmal auch nicht darum herumkommen, zu sagen, was ist Information, was ist Nachricht, was ist Qualität. Wer diese Debatte kennt, kennt den Bedarf an Klarheit in der Sache. – Danke dafür.

16.12


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Danke schön. – Kollege Herbst ist der nächste Redner. – Bitte.

 


16.12.40

Dr. Christoph Herbst (Rechtsanwalt; Wien)|: Ich kann mich nur den Worten anschlie­ßen, die vorhin Frau Mag. Plaz gefunden hat. Ich glaube, man hätte die Betroffenheit und die Situation von Elisabeth und ihren Kindern nicht besser schildern können. Wir erleben das ja alles hautnah, wie sich das Ganze in Amstetten und in der Berichterstattung abspielt. Da stellt sich für uns die Frage: Soll eigentlich der Gesetz­geber etwas ändern, oder ist es nur eine Frage der Vollziehung? Ich würde sagen, es ist beides. Zum Teil ist die Vollziehung falsch, zum Teil ist die Gesetzgebung wahr­scheinlich etwas mangelhaft. Lassen Sie mich drei, vier, fünf Argumente bringen.

Das eine Problem ist, dass die Behörden eigentlich ohne Schranken immer wieder Be­richte von sich geben. Hin und wieder wird zwar gesagt, man sagt nichts über die Be­troffenen, über die Opfer, aber man berichtet dann unter dem Titel des Beschuldigten und zieht da eigentlich die Betroffenen mit in das Ganze hinein. Ich glaube, da ist die Bewusstseinbildung bei den Behörden überhaupt nicht adäquat.

Das Problem ist aber, wenn die Behörden etwas derartig Undifferenziertes, ich würde sagen völlig Falsches, also Rechtswidriges wiedergeben, kann das dann eigentlich re­lativ leicht in den Medien ohne Sanktionen wiedergegeben werden. Das ist, glaube ich, ein Problem. Die Medien sollten – und das, glaube ich, ist vielleicht ein Punkt, den der Gesetzgeber reparieren sollte –, wenn sie wissen, dass offensichtlich Übergriffe sei­tens der Behörden stattfinden, das nicht ohne Weiteres in ihren Medien wiedergeben dürfen. Das gilt klarerweise sowohl für die Printmedien als auch für die Fernsehstatio­nen. Das wurde vorhin ganz eindrücklich gesagt.

Der Druck, unter dem Sie, Herr Dr. Bauer, gestanden sind – Sie haben bestimmte In­formationen bekommen, und jetzt mussten Sie das, was andere, nach Ihrer Auffassung offenbar nicht ganz Richtige, gebracht haben, dann auch bringen, um diesen Medien­kreislauf einfach mitzulaufen –, ist, glaube ich, ein Problem, das im Mediengesetz selbst steckt, wie überhaupt Zitate meines Erachtens nicht so unkritisch gleichsam vom Mediengesetz einfach ausgenommen werden.

Wir reden hier vom Opferschutz. Da geht es immer um die Frage, wie es heißt: Hier die Informationsfreiheit, dort der Persönlichkeitsschutz. Ich glaube, dass diese Frage, und da muss ich einigen Vorrednern widersprechen, in diesem Zusammenhang in einer Ab­wägung wahrscheinlich gar nicht so kompliziert zu klären ist. Hier kann meines Erach­tens im Regelfall nur der Persönlichkeitsschutz gelten. Es gibt keine Informations­pflicht in diesem Zusammenhang. Man kann sich in diesem Zusammenhang meines Erachtens überhaupt nicht auf den Artikel 10 EMRK, auf die Meinungsfreiheit berufen. Also das hat ja eine ganz andere Tragweite.

Diese Auseinandersetzung, die im Fall Lingens begonnen hat, hat sich an öffentlichen Figuren entwickelt, und, bitte, Opfer können keine öffentlichen Figuren werden. Da kann ich mich nur dem anschließen, was Herr Thurnher zuvor im Zusammenhang mit dem Fall Kampusch gesagt hat. Diese eine Entscheidung des Gerichts im Fall Kam­pusch ist schlicht und einfach, das kann man wirklich nicht anders sagen, völlig ver­fehlt. Nur deswegen, weil sie drei oder vier Interviews gegeben hat oder sich der Öf­fentlichkeit hin und wieder präsentiert hat, ist sie nicht zu einer öffentlichen Figur ge­worden, bei der bestimmte Sachen auf einmal widerspruchslos wiedergegeben werden können.

Das ist meines Erachtens aber – das muss ich schon sagen – ein reiner Fehler in der Vollziehung. Wenn ich das Urteil des EGMR in Sachen Caroline von Monaco lese, dann, muss ich sagen, ist ganz klar, dass das eine falsche Entscheidung ist. Vielleicht sollte man im Mediengesetz den Begriff des höchstpersönlichen Lebensbereichs hin­terfragen. Auch der hat in diesem Zusammenhang eine Rolle gespielt. Ich glaube, der höchstpersönliche Lebensbereich muss mit dem Persönlichkeitsschutz gleichgesetzt werden im Sinne des Artikels 8 EMRK und sollte nicht irgendwie Anlass geben, diffe­renzierte Meinungen zu machen.

Zwei Themen noch, Frau Mag. Plaz hat das zuvor auch schon angesprochen. Es geht ja nicht nur um das Mediengesetz, es geht auch um flankierende Bestimmungen. Wir haben das in Amstetten mit den Paparazzi erlebt. Es darf doch nicht wahr sein, sage ich jetzt einmal relativ unjuristisch, dass man einen privaten Sicherheitsdienst benötigt, um die Medien oder die Paparazzi abzuhalten, und das seit Ende April bis heute und wahrscheinlich noch in den nächsten Wochen.

Es muss doch eine Selbstverständlichkeit sein, dass hier die Polizei eine entsprechen­de Handhabe entweder hat oder findet. Jetzt kann man lange darüber diskutieren, ob die bestehende Rechtslage das ermöglicht. Wenn, und das sollte man sich schon ein bisschen anschauen, die bestehende Rechtslage nicht ausreicht, sollte man da auf je­den Fall so schnell wie möglich eine Regelung einerseits im Sicherheitspolizeigesetz und andererseits im StGB treffen. – Danke.

16.17


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Danke schön. – Es gelangt Frau Monika Pinterits zu Wort. – Bitte.

 


16.17.47

Monika Pinterits (Kinder- und Jugendanwältin; Wien)|: Sehr geehrter Herr Vorsitzen­der! Sehr geehrte Damen und Herren! Sie haben mir gerade irgendwie aus dem Her­zen gesprochen, denke ich mir. Wir sitzen da und überlegen, wie wir Opfer schützen können, überlegen uns aber gar nicht, wie es möglich ist, dass sie eingesperrt, wegge­sperrt sind und nicht herauskommen können. Es wird bedankt, dass die Vertreter der Opferschutzeinrichtungen so viel erzählt haben, dass man betroffen ist. Das hält viel­leicht noch eine Stunde. Morgen ist alles anders. Der nächste Fall kommt morgen und kommt übermorgen. Ich denke mir also, es ist ganz, ganz wichtig, sich da etwas zu überlegen. Ich habe auch im Bereich der Schutzmaßnahmen schon viel Positives ge­hört.

Was mir einfach damals, nämlich vor zwei Jahren, aufgefallen ist, war, und das müsste man sich anschauen: Ich habe viele JournalistInnen erlebt, die völlig verzweifelt waren, also wirklich fast heulend bei mir angetanzt sind, und das war nicht nur Masche, son­dern es war dann die Überlegung: Wenn ich meinem Chef nichts gebe, dann muss ich etwas erfinden, sonst schmeißt er mich hinaus. Ich denke, auch da müsste man den JournalistInnen mehr Sicherheit und mehr Autonomie geben.

Meine Überlegung ist auch, inwieweit man die Wirtschaft mit einbeziehen sollte, für den Fall, dass in gewissen Blättern, die sehr meinungsbildend sind und die viele Menschen in der Früh lesen, teilweise sehr problematische Sachen drinnen sind, inwieweit die Wirtschaft und auch die Politik ersucht werden sollten – wie sagt man da? –, keine Schaltungen, also keine Gelder an diese Medien zu geben. Ich denke mir, dadurch würden sie finanziell ausgetrocknet. Wir haben heute gehört, dass auch Kinder Rechte haben. Sie haben nicht wirklich Rechte, sondern nur virtuell. Ich kann jetzt nur von Kin­dern als Opfern sprechen, und möchte Sie diesbezüglich bitten, sich den Bereich der Jugendwohlfahrt genauer anzuschauen.

Das heißt, die letzten „Fälle“ waren immer wieder „Fälle“ – unter Anführungszeichen –, in denen die Jugendwohlfahrt versagt hat, Probleme gemacht hat, zu wenig Ressour­cen gehabt hat – ob zu Recht oder zu Unrecht. Faktum ist, dass wir Kinder- und Ju­gendanwaltschaften es sehr begrüßen, dass die Frau Ministerin eine Arbeitsgruppe entwickelt hat, die das Jugendwohlfahrtsgesetz neu gestalten soll. Nur kostet das Geld. Alles, auch Opferschutz, kostet Geld. Da müssen Sie Geld in die Hand nehmen, um diesen Kindern zu helfen. Das sind nicht jene Kinder, die in den Medien sind, das sind die Kinder in den Wohngemeinschaften der Stadt Wien, im Burgenland oder in Heimen in Niederösterreich, wo auch immer. Die brauchen Therapie, die brauchen Hilfe. Ich würde Sie bitten, das zu unterstützen!

Was wir für den Opferschutz nicht brauchen, ist eine Anzeigeverpflichtung, weil das kein Opferschutz wäre, sondern noch einmal eine Viktimisierung von Kindern und Ju­gendlichen.

Ich würde Sie auch bitten, dass Sie sich, wenn Sie sich solche Gesetze überlegen oder diese machen, mit ExpertInnen zusammensetzen und sich aus der tagtäglichen Praxis erzählen lassen. Ich glaube, das ist immer besser, als wenn wir als ExpertInnen bittend und bettelnd hinterherlaufen müssen und dann natürlich auf die Kooperation der Me­dien angewiesen sind. Von dieser Seite haben wir auch sehr oft Unterstützung. Ich möchte die Medien also nicht nur schelten, sondern auch sagen, dass Medien auch sehr wichtige Arbeit für den Kinderschutz leisten.

Als Letztes möchte ich Sie darum bitten, dass Kinderrechte endlich in den Verfas­sungsrang kommen, denn wenn Kinderrechte in der Verfassung enthalten sind, können Kinder theoretisch auch Medien klagen. – Danke schön.

16.21


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Danke, Monika Pinterits. – Zu Wort gelangt nun Herr Abgeordneter Mag. Steinhauser. – Bitte.

 


16.21.53

Abgeordneter Mag. Albert Steinhauser (Grüne)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist schade, dass die Innenministerin heute Nachmittag nicht mehr da ist. Denn nach dem, was uns Rechtsanwältin Dr. Plaz geschildert hat, gäbe es hier einiges an Miss­ständen zu diskutieren. Ein paar davon möchte ich hier wiederholen, um deutlich zu machen, wo die Misere liegt.

Frau Dr. Plaz sagt, dass ein Polizist vor dem Klinikum stand, bis die Fußball-Europa­meisterschaft begonnen hat. An dieser Stelle sollte man eigentlich eine Pause ma­chen – das allein wirkt schon. Die Fußball-Europameisterschaft kann und darf nie Grund dafür sein, dass man Opfer eines so schrecklichen Verbrechens staatlicherseits alleine lässt und – auch Dr. Herbst hat das schon gesagt – den Schutz ausschließlich einem privaten Sicherheitsdienst überlässt. Das ist völlig inakzeptabel!

Zweiter Punkt, der angeschnitten wurde: Der Stalking-Tatbestand war eigentlich ver­wirklicht.

Noch viel schwerer wiegt der dritte Vorwurf, der im Raum steht, dass nämlich die Ver­nehmungsprotokolle aus der Vernehmung von Elisabeth F. direkt über Polizeibehör­den, mehr oder weniger eins zu eins, an die Medien weitergegeben wurden, nicht über Umwege. Normalerweise weiß man nicht, wer es ist. In diesem Fall wissen wir das. Das ist vollkommen inakzeptabel!

Vierter Vorwurf: Die Namensnennung des Täters und des Opfers, wiederum durch die Polizei.

Nächster Punkt: Es wurde ausdrücklich Vertraulichkeit zugesichert. Diese wurde nicht nur nicht eingehalten, sondern es wurde öffentlich dargelegt, dass Vertraulichkeit zuge­sagt worden ist. Das war das nächste Behördenversagen, und zwar wieder einmal sei­tens der Polizei.

Bisher war ich der Meinung, Polizeibeamte seien mitunter in solchen Situationen über­fordert – wie auch heute Vormittag gesagt – und machen Fehler. Das nehme ich zu­rück. Sie sind nicht überfordert, sondern es werden offensichtlich bewusst Informatio­nen aus der Polizei in Pressekonferenzen herausgetragen, sei es zur eigenen Profilie­rung oder aus einem anderen Grund. Das ist völlig inakzeptabel!

Meine Frage dazu: Gibt es diesbezüglich schon eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft? Denn das eben Erwähnte – wenn es so ist – erfüllt meiner Mei­nung nach ganz klar einen Straftatbestand, nämlich den der Verletzung der Amtsver­schwiegenheit. Sollte es keine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft ge­ben – das sage ich auch gleich –, werden wir uns überlegen, ob wir diese Sachver­haltsdarstellung machen. Jedenfalls, und das versprechen wir, werden wir alles daran­setzen, die sonstigen Missstände – Stichwort: Polizei vor dem Klinikum oder besser gesagt: keine Polizei vor dem Klinikum – parlamentarisch aufzuklären. Es kann und darf in diesem Land nicht Usus sein, dass man mit Verbrechensopfern auf diese Weise umgeht. Wir brauchen gar keine Enqueten abzuhalten, wenn bei uns nicht einmal die grundsätzlichsten Dinge, die gesetzlich festgeschrieben sind, von Behörden eingehal­ten werden.

Ein anderer Punkt ist die Anzeigepflicht. Frau Bundesministerin Kdolsky, ich habe mit Freude Ihr eifriges Nicken bei jeder kritischen Wortmeldung zur Anzeigepflicht gese­hen. Auch wir sehen das kritisch, wobei ich dazusagen muss, dass Frau Bundesminis­terin Berger den Erstentwurf überarbeitet hat. Jetzt müssen wir uns genauer anschau­en, was darin steht. Insofern möchte ich jetzt auf ihren neuen Vorschlag nicht im Detail eingehen, denn vielleicht – das muss man ihr auch hoch anrechnen – hat sie auch Ex­pertenstimmen eingebaut und möglicherweise haben wir jetzt eine sehr befriedigende Lösung. (Bundesministerin Dr. Kdolsky nickt.)

Aber ich sage: Kopf oder Zahl, Nicken genügt nicht! Sie sitzen im Ministerrat, und wenn Sie der Lösung der Bundesministerin Berger nicht zustimmen können – so wie Sie jetzt hinter mir wieder nicken –, dann erwarte ich mir auch – Sie wissen, im Ministerrat herrscht das Einstimmigkeitsprinzip –, dass Sie auch dort nicht nicken, sondern den Kopf in die andere Richtung schütteln und Nein sagen, denn dann ist das Gesetz blo­ckiert. Das gilt allerdings nicht für die überarbeiteten Vorschläge von Frau Bundesmi­nisterin Berger, die ich jetzt noch nicht beurteilen kann. – Danke.

16.26


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Danke. – Zu Wort gelangt nun Frau Abgeordnete Ablinger. – Bitte.

 


16.27.55

Abgeordnete Sonja Ablinger (SPÖ)|: Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren! Mir ist etwas eingefallen, Frau Plaz, nämlich dass Sie erwähnt haben, dass Herr F. überlegt, seine Geschichte zu veröffentlichen.

Wenn ich das richtig verstanden habe, dann ist meine Frage – da alle Medienvertreter und ‑vertreterinnen heute gesagt haben, dass ihnen der Opferschutz wichtig ist –, ob es für Sie möglich wäre, eine Ehrenerklärung abzugeben, dass diese Geschichte nicht veröffentlicht wird, weil das Frau F. nachmals zum Opfer machen würde, weil sie sich ja nicht dagegen wehren könnte beziehungsweise gezwungen würde. Wenn gesagt wird, dass Opferschutz wichtig ist, dann wäre die Frage, ob es möglich wäre, dass es diese Form einer Ehrenerklärung gibt, damit diese Geschichte nicht veröffentlicht wer­den kann.

Herr Grünberger! Sie haben gesagt, es gebe genügend rechtliche Schulung für Journa­listen, weil es äußerst schwierig sei, unter Zeitdruck zu entscheiden, was man veröf­fentlichen kann. Wäre es vielleicht – wir haben am Vormittag darüber diskutiert – sinn­voll, eine Schulung zu intensivieren, nämlich über mögliche Folgewirkungen bei Opfern von Medienübergriffen, die die Folgewirkungen davon zu tragen haben, dass in ihre Opferrechte eingegriffen wurde, oder davon, dass über sie unlautere Veröffentlichun­gen erfolgt sind? Zur Verlängerung der Frist auf drei Jahre haben Sie gesagt, dass es für Journalistinnen und Journalisten so schwierig wäre sich zu erinnern. Das mag sein, aber die Opfer müssen jahrzehntelang daran laborieren! Ich glaube, man sollte auch darüber noch einmal nachdenken!

Ich habe noch eine dritte Anmerkung: Herr Dr. Beier, Sie haben Ihr Projekt vorgestellt. Wenn ich das richtig im Kopf habe, lautet der Kampagnentitel: Wenn Sie zu sehr lie­ben. Das haben wir auch am Vormittag diskutiert. Ich finde es falsch, sexuelle Gewalt mit Liebe in einem Atemzug zu nennen. Vor Jahrzehnten hat es geheißen: Wer sein Kind liebt, schlägt es. – So, glaube ich, hat es geheißen. Es ist völlig klar, dass das nicht zusammenpasst. Ich bin natürlich absolute Laiin, was Ihre Forschungen, was Krankheit betrifft, diese will ich nicht beurteilen; aber ich halte es für völlig falsch, im Ti­tel der Kampagne den Begriff „Liebe“ mit sexueller Gewalt in Verbindung zu bringen.

Ich komme zum letzen Punkt, zur Anzeigepflicht: Zum einen hat die Justizministerin, glaube ich, ein legitimes Interesse daran, zu sagen: Ich überlege mir eine Verschär­fung, damit nichts mehr vertuscht werden kann. – Das war der erste Schritt, okay. Dann sind sehr viele Bedenken gekommen, zu Recht. Auch ich bin als Lehrerin sehr oft davon betroffen, nämlich dann, wenn sich SchülerInnen an mich wenden.

Anzeigepflicht bedeutet, dass diese Kinder, die auch in den Jahren zuvor immer wieder mit Vertrauensbruch konfrontiert wurden – sexuelle Gewalt ist logischerweise auch mit Vertrauensbruch verbunden –, die sich an mich wenden, letztendlich wieder mit Ver­trauensbruch konfrontiert würden, weil ich sagen muss: Ich muss wider deinen Willen Anzeige erstatten.

Aber die Frau Ministerin hat diese Bedenken zu Recht, wie das im parlamentarischen Verfahren, im Begutachtungsverfahren üblich ist, aufgenommen, und jetzt gibt es einen neuen Entwurf. Ich habe mir den noch nicht genau angeschaut, aber ich denke mir, auf alle Fälle ist vielen Bedenken Rechnung getragen worden. Es hat einen intensiven Dis­kurs gegeben. Das schauen wir uns einmal an. Jedenfalls ist die Anzeigepflicht – ich glaube, das hat auch Udo Jesionek gesagt – 1993 nicht zu Unrecht abgeschafft wor­den. Und dieses Gesetz wäre viel schlimmer gewesen, als es damals vor 1993 war! – Danke.

16.29


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Danke. – Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Mag. Donnerbauer. – Bitte.

 


16.29.51

Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer (ÖVP)|: Herr Vorsitzender! Meine sehr ge­ehrten Damen und Herren! Ich glaube, eine sehr interessante Veranstaltung neigt sich ihrem Ende zu. Ich möchte daher ganz kurz mein persönliches Resümee für unsere weitere Arbeit hier im Parlament ziehen. Wir haben heute in einer sehr beeindrucken­den Bandbreite und Dichte einen Einblick in dieses gesamte Spannungsfeld bekom­men zwischen Medien, Meinungsfreiheit, Informationsverpflichtung, Informationsnot­wendigkeit – klarerweise ein wichtiger Wert für das Gemeinwesen und für die Demo­kratie – einerseits und dem Schutz der Privatsphäre, der Intimsphäre, dem Schutz der Opfer, vor allem auch davor, dass sie durch Berichterstattung und Veröffentlichungen immer wieder zu Opfern werden, andererseits.

Diese Bandbreite hat uns vielfältige Problembereiche aufgezeigt, wo diese Spannungs­felder auf die eine oder andere Weise stärker sichtbar werden. Einerseits gibt es die persönliche Sicht der Opfer, die uns hier von Vertreterinnen und Vertretern der Opfer­schutzvereinigungen dargebracht wurde, darauf, welche Folgen solche Veröffentlichun­gen letztlich haben können. Auf der anderen Seite haben uns die Medienvertreter aus den verschiedensten Bereichen heute ihre Sichtweise dargetan.

Außerdem gibt es natürlich auch die Frage der Verfahren, der rechtlichen Folgerungen und Konsequenzen. Ich glaube daher, dass die Reaktionen, die wir jetzt als Gesetzge­ber gehört haben, sehr lehrreich für uns waren. Diese Enquete dient ja gerade dazu, uns Informationen darüber zu verschaffen, was im Rahmen der Gesetzgebung allen­falls notwendig ist, und zeigt uns auf, dass man auf diese Bandbreite an verschiedens­ten Problemfeldern entsprechend breit reagieren muss.

Das eine wird also sein, die Behörden, die Jugendwohlfahrt, die Opferschutzverbände finanziell, ideell entsprechend zu stärken und zu unterstützen. Auf der anderen Seite gibt es die freiwillige Vereinigung, den Presserat, und Versuche der Medien, sich in dieser Hinsicht selbst einen gewissen Ehrenkodex und Beschränkungen aufzuerlegen. Ich glaube aber, dass beides nicht ausreichen wird – das ist zumindest jetzt meine per­sönliche Schlussfolgerung. Es wird aus meiner Sicht nach diesem Tag auch gewisse gesetzgeberische Maßnahmen benötigen. Das wird einerseits eine Diskussion sein, und zwar zumindest über die Bereiche Medienrecht, Mediengesetz, über die Höhe der Entschädigungen und darüber, ob es für Schadenersatzansprüche eine Deckelung ge­ben soll – das war eine konkrete Frage, die heute aufgeworfen wurde.

Auf der anderen Seite ist für mich auch folgende Frage sehr interessant: Ist es ausrei­chend – wie in unserem derzeitigen Mediengesetz –, dass der Medieninhaber zum Ad­ressaten gemacht wird? Die Überlegung, die dahinter stand, hat durchaus ihre Berech­tigung. Das ist derjenige, der das wirtschaftliche Interesse hat. Aber es wurden uns heute auch Fälle aufgezeigt – wobei der Vergleich mit der deutschen Rechtsordnung vorgenommen wurde –, die nahelegen, dass es vielleicht notwendig ist, denjenigen, der das Photo schießt oder den Artikel verfasst, auch ein bisschen in den Fokus zu rü­cken und auch hier anzusetzen. Auch das war eine Empfehlung, die heute gekommen ist.

Es wird also eine Bandbreite benötigt. Ich bin daher froh, dass es diese Enquete gege­ben hat und dass Sie alle sich Zeit genommen haben. Ich glaube, dass wir hiezu ge­meinsam auf Ebene des Parlaments weiterarbeiten sollen.

Zwei Bemerkungen seien mir aber noch ergänzend erlaubt.

Es wurde heute hier die aktuelle Frage der Anzeigepflicht aufgeworfen. Herr Kollege Steinhauser, Sie können beruhigt sein. Auch in der ÖVP haben sich verschiedenste Stimmen gegenüber dieser Anzeigepflicht von Beginn an sehr kritisch geäußert, und zwar aus einem sehr praxisnahen Bezug. Es gibt hiezu auch ein sehr gutes, konstrukti­ves Gespräch mit dem Justizministerium, das hiezu viele Argumente schon einsieht und letztlich versprochen hat, diese zu berücksichtigen. Wir werden sehen, wie weit uns diese Diskussion in den nächsten Wochen bringen wird.

Das andere – das hat mich auch etwas betroffen gemacht, weil es nämlich auch diesen Zugang zeigt – ist Folgendes: Wir haben uns heute hier auf eine sehr seriöse und sachliche Art mit dem Thema Opferschutz und Missbrauch beschäftigt. Es ist oft um wirtschaftliche Gründe von solchen Fällen beziehungsweise von Opfern gegangen. Herr Kollege Steinhauser, in diesem Zusammenhang hat mir, ehrlich gesagt, Ihr letzter Redebeitrag nicht gefallen.

Auf diese Ihre Ausführungen möchte ich jetzt Bezug nehmen sowie auf Aussendungen, die jetzt in diesem Zusammenhang sofort gemacht wurden. Ihre Ausführungen haben mir insofern nicht gefallen, als sie jetzt nicht ganz hierher passen. Das ist Aufgabe des Gesetzgebers, keine Frage, aber nicht, wie ich meine, Aufgabe dieser heutigen En­quete. Ich glaube, das hier jetzt hereinzutragen ist vom Versuch her ähnlich dem Ver­halten von Medien, die sich aktuelle Fälle, weil sie in der Öffentlichkeit stehen, heraus­suchen, diese veröffentlichen und damit ihr Geschäft machen. Wenn man damit auch das politische Geschäft macht, dann, muss ich ehrlich sagen, ist man von den Motiven her nicht ganz weit entfernt.

Natürlich teile ich Ihre Sicht. Wir als Volkspartei und ich als Mitglied des Untersu­chungsausschusses kann Ihnen sagen: Wir sind da etwas konsistenter in unserer Ar­gumentation (Abg. Mag. Steinhauser: Das ist jetzt Parteipolitik!) – nein! –, weil wir den Missbrauch oder den Verstoß gegen das Amtsgeheimnis generell kritisieren! Sie hin­gegen machen es nur dort, wo es Ihnen gerade in das politische Zeug passt. Das hat mir eigentlich nicht ganz gefallen. Wir werden dem nachgehen, selbstverständlich. Sie können sicher sein, dass die Frau Innenministerin auch diesen Vorwürfen nachgehen wird. Sie ist, wie Sie wissen, seit einem Tag angelobt. Sie wird die Vorwürfe, die heute hier gemacht wurden, natürlich aufarbeiten. Wir werden alle daran arbeiten, aber die­ser Bezug hat meiner Meinung nach in diese Veranstaltung eigentlich nicht ganz he­reingepasst.

16.35


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Danke. – Nächster Redner: Herr Dungl. – Bitte.

 


16.35.56

Friedrich Dungl (Geschäftsführer des Verbands der Regionalmedien)|: Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, alle haben heute un­bestreitbar herausgefunden, dass in dieser Republik zum Thema Opferschutz noch einiges getan werden muss. Ich danke in diesem Sinne für die Veranstaltung!

Ich möchte aber noch ganz konkret zwei Aspekte herausgreifen. Der erste: Wir haben heute sehr oft von sehr spektakulären und großen, wichtigen Fällen gehört, wie dem Fall K. und dem Fall F. Tatsache ist, dass in der täglichen medialen Praxis Hunderte Fälle vorkommen, die vielleicht nicht ganz diese Dimension erreichen. Ich kann hiezu aus meiner eigenen betrieblichen Praxis aus der jüngsten Vergangenheit zwei Fälle anführen.

Bei einem dieser Fälle meint ein Lokalbesitzer, sein Lokal wäre eindeutig an der Tape­te zu erkennen. Er hat uns verklagt und gewonnen. Ein anderer Fall betraf eine Sam­batänzerin, die ihr Bild zwar einer Bildagentur zur Verfügung gestellt hat, danach aber nicht wollte, dass dieses Bild in der Zeitung im Zusammenhang mit einem Artikel er­scheint, der sich mit dem Sambatanzen beschäftigt, weil sie findet, dass diese Art von Tanzschule nicht das wäre, was sie propagiert. Auch diesen Fall haben wir verloren.

Damit will ich Folgendes sagen: Ich plädiere dafür, dass man aufgrund der unbestreit­bar notwendigen Änderungen im Bereich des Opferschutzes nicht das Kind mit dem Bade ausgießt und vielleicht insgesamt das Niveau nach oben treibt. Das könnte näm­lich viele Menschen in Versuchung führen, immer dann, wenn sich ein Journalist ir­gendwo in der Nähe bewegt, diese Tatsache sofort als Füllhorn und Geldquelle zu be­trachten, so dass letztendlich die Medien zu Opfern von Menschen werden, die sich in diesem Bereich eine Geldquelle erschließen wollen.

Der zweite Aspekt: Heute wurde mehrfach der Wunsch geäußert, man möge doch bitte Medien, die sich ethischen Grundsätzen nicht unterwerfen, bei der Vergabe von öffent­lichen oder halböffentlichen Werbegeldern nicht berücksichtigen. Vom Ansatz her ver­stehe ich das. Ich halte diesen Ansatz auch für gut, möchte aber sagen, dass es mir bei dieser Überlegung trotzdem kalt über den Rücken läuft. Man muss in diesem Be­reich sehr aufpassen, dass man bestimmte Leute nicht in Versuchung führt, sich ange­passte Berichterstattung zu erkaufen, indem sie ständig darauf hinweisen und sagen: Ich glaube, dieses Medium ist nicht so ganz ethisch sattelfest, wie wir das wollen. Wenn die ein bisschen unangepasst schreiben, entziehen wir denen das Geld. – Wir haben Fälle, die durch die Fachmedien gegeistert sind, wo sehr große Unternehmen oder Institutionen das schon gemacht und gesagt haben: Die haben blöd über uns ge­schrieben, jetzt nehmen wir ihnen das Geld weg! – Das sollte, glaube ich, nicht das Ziel sein.

Summa summarum: Opferschutz – ja, unbedingt. Viele Verbesserungen im Opfer­schutz sind dringend nötig. Das haben wir heute sicherlich gelernt. Bei der Wahl der Instrumente, die dort hinführen, muss man aber sehr sorgfältig vorgehen. – Danke.

16.38


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Danke. – Herr Mag. Gollia ist als Nächster dran.

 


16.38.56

Oberst Mag. Rudolf Gollia (Bundesministerium für Inneres)|: Sehr geehrter Herr Vor­sitzender! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Verwendung der richtigen Sprache war heute mehrfach Thema.

Es ist mir daher ein ganz wesentliches Anliegen, eine nicht unwesentliche Unschärfe anzusprechen: Der Kriminalfall Amstetten ist kein Inzestfall! Dieser wurde nämlich von einigen Rednern in der letzten Diskussionsrunde immer wieder als Inzestfall bezeich­net. Inzest ist in einer ganzen Reihe von europäischen Staaten nicht mehr unter Strafe gestellt. Im Kriminalfall Amstetten handelt es sich um mehrfache Vergewaltigung und um eine ganze Reihe anderer schwerer Verbrechen. Jeder, der den Kriminalfall Am­stetten als Inzestfall Amstetten bezeichnet, läuft Gefahr, im Kriminalfall Amstetten die schweren Verbrechen, die dort begangen wurden, zu verniedlichen. Daher sind alle da­zu aufgefordert, in diesem Zusammenhang die richtige Sprache zu wählen. – Danke.

16.39


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Danke schön. – Frau Dr. Zim­mermann, bitte.

 


16.40.06

Dr. Astrid Zimmermann (Presseclub Concordia)|: Nachdem die Resümees schon ge­zogen sind, ist es schwierig, noch etwas zu sagen.

Ich wollte eigentlich zur Konkretisierung sprechen, zur Vollziehung der bereits beste­henden Gesetze ohne eine großartige zusätzliche Schärfe und dazu, dass die Legisla­tive doch durchaus etwas dazu beitragen könnte, nämlich nicht nur betreffend die Fle­xibilisierung, wie sie Armin Thurnher angesprochen hat, nach dem Motto: Wer mehr Reichweite hat und damit offensichtlich einen wesentlich größeren Geschäftserfolg nachweisen kann, kann ganz andere Entschädigungszahlungen leisten als derjenige, der keine so großen Reichweiten hat.

Der Grund dafür, dass Fotografen wochenlang ein Krankenhaus belauern, um mögli­cherweise ein Foto schießen zu können, weil dafür Unsummen geboten werden, ist eine Frage des Geschäftes. In österreichischen Magazinen sind auch gewisse Ge­schichten erschienen – zumindest wenn man den Worten des Geschäftsführers und Herausgebers dieses Magazins glaubt –, weil man gehofft hat, diese Geschichten in­ternational verkaufen zu können.

Das ist also eine klassische Form des Geschäftemachens, bei der in Kauf genommen wird, dass österreichische Gesetze verletzt werden und dass gegen ethische Regeln verstoßen wird. – Auch das könnte bei einer Entschädigungsbemessung berücksichtigt werden: wie viel Geschäft man mit dem bewussten In-Kauf-Nehmen der Verletzung eines Gesetzes oder der Selbstkontrolle bezüglich ethischer Grundregeln macht.

Wie viel Geschäft damit gemacht werden kann, sollte hier also eigentlich auch Eingang finden, denn in der Medienwelt verändern sich die Dinge schneller, als sich ethische Richtlinien oder Gesetze verändern können. Leider! – Danke.

16.42


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Danke schön.

Am Vormittag haben wir an dieser Stelle noch eine Schlussrunde am Podium durchge­führt, und ich würde diesen Vorgang an sich gerne wiederholen. Wer also noch etwas sagen möchte, wer auch immer noch Ergänzungen anzubringen hat, kann dies jetzt tun. – Bitte schön, Herr Dr. Bauer.

 


16.42.21

Dr. Ludwig Bauer (Privatsender ATV)|: Eines ist ja allen Beteiligten klar, nämlich dass ein Thema wie Opferschutz und Medienethik außerhalb jedweder Diskussion steht.

Was mich an diesem heutigen Nachmittag dann schon ein bisschen irritiert hat, ist ein­fach das vom Vorsitzenden des Redakteursrats Wendl formulierte Konzept einer quasi öffentlich-rechtlich subkutan eintätowierten, perfekten Medienethik, die öffentlich-recht­liches Fernsehen über alles andere und außer Diskussion stellt. – Ich denke, das ist ein bisschen ärgerlich.

16.43


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Die nächste Wortmeldung kommt von Herrn Dr. Jesionek. – Bitte.

 


16.43.18

Hon.-Prof. Dr. Udo Jesionek („Weißer Ring“)|: Ich habe eine ganz pragmatische Fra­ge, denn mir ist eigentlich jetzt erst klar geworden, dass da von Seiten der Staatsan­waltschaft St. Pölten nichts läuft.

Ich lese Ihnen § 107a StGB vor:

„Wer eine Person widerrechtlich beharrlich verfolgt, [...] ist [...] zu bestrafen“ – ich kürze ab –:

„Beharrlich verfolgt eine Person, wer in einer Weise, die geeignet ist, sie in ihrer Le­bensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, eine längere Zeit hindurch fortgesetzt [...] ihre räumliche Nähe aufsucht [...].“

Also zumindest für mich als „Straf-Juristen“ und auch Professor für Strafrecht zeigt sich hier zumindest der sehr starke Verdacht des Vorliegens dieses Tatbestandes.

Warum die Staatsanwaltschaft St. Pölten, wozu sie aufgrund der Medienberichte ver­pflichtet wäre, nicht von Amts wegen zumindest einmal eine Untersuchung, ein Ermitt­lungsverfahren einleitet, ist mir nicht klar. Also wenn das nicht geschehen sollte, wird der „Weiße Ring“ morgen eine formelle Sachverhaltsdarstellung einbringen – ich finde es nur schandbar, dass das bis jetzt nicht geschehen ist.

Ich kündige hiermit an, dass wir zumindest eine kurze Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft St. Pölten mit dem Ersuchen, dem nachzugehen, richten werden.

16.44


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Danke. – Die nächste Wortmel­dung kommt von Frau Dr. Perner. – Bitte.

 


16.44.23

Univ.-Prof. Dr. Rotraud Perner (Psychoanalytikerin)|: Ich möchte noch einmal präzi­sieren, dass es darum geht, zu sagen, was unsere Ziele sind.

Wenn wir als Ziel haben, dass Menschen, die in ihrer Gesundheit – und zwar Gesund­heit nach der WHO-Richtlinie insgesamt gesehen: körperlich, seelisch, geistig, sozial und spirituell – geschädigt werden, zumindest das Recht auf Rehabilitation haben – und, wie ich finde, auch ein Recht auf Prävention –, dann heißt das Standards zu for­mulieren und bei der Formulierung dieser Standards nicht nur den Idealzustand anzu­peilen, sondern auch sehr konzentriert alle möglichen Verletzungen unter Einbezie­hung der neuen Medien zu bedenken, dann heißt das auszubilden und nicht nur im Nachhinein zu reagieren. Das heißt auch, und das sage ich sehr selbstkritisch, uns und unseren Bedürfnissen als WissenschafterInnen, da wir natürlich – unter Anführungszei­chen – „Fälle“ für die Ausbildungen brauchen, entsprechende Grenzen zu setzen. So wie es bei der historischen Aufarbeitung von Dokumenten Zeitgrenzen gibt, ab wann man etwas bearbeiten darf, so, denke ich, ist es sinnvoll, wenn man schon komplex da­ran arbeitet, auch hier zu überlegen, welche Grenzen wir darüber hinaus noch brau­chen.

16.46


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Danke schön. – Eine weitere Wortmeldung kommt von Herrn Nußbaumer. – Bitte.

 


16.46.17

Prof. Heinz Nußbaumer (Autor und Publizist)|: Ich möchte drei kurze Bemerkungen machen.

Die erste betrifft Kollegin Zimmermann und ihren Hinweis, Fotografen stünden im Spital wochenlang vor einer Tür: Als Bundespräsident Thomas Klestil – das als kleine Erinne­rung – lange zwischen Tod und Leben kämpfend im Krankenhaus war, ein Polizist vor seiner Tür stand, Medienvertreter auch mit Hilfe einer Verkleidung als Krankenschwes­ter zu ihm ins Zimmer zu kommen, versucht haben und als alle entsprechenden Er­pressungsversuche einschlägiger Medien nicht gelungen sind, hat sich – das möchte ich der Wahrheit zuliebe dazu erzählen – ein österreichischer Spitzenpolitiker bei mir gemeldet, der gesagt hat, er muss den Bundespräsidenten unbedingt besuchen. Und als ich mit ihm ins Zimmer gegangen bin, hat er einen Fotoapparat aus der Tasche ge­zogen und gesagt, er braucht für ein bestimmtes Wochenmagazin – das habe er ver­sprochen – ein Foto. – Nur damit die Situation, in der Medien gelegentlich stehen, nicht ganz so einfach ist.

Zweitens: Wenn wir den Rechtsschutz ernst nehmen, dann müssen wir zumindest am Ende dieser Diskussion auch ganz kurz den Täterschutz erwähnen, so schwer das im Einzelfall auch sein mag, denn ich glaube, es kann nicht so weit gehen, wie wir es in letzter Zeit erlebt haben – und ich sage das, weil ich glaube, dass sich die Standesver­tretung damit beschäftigen müsste –: dass man Anwälten eines Täters oder eines ver­meintlichen Täters einen enormen journalistischen Platz in der Zeitung einräumt, um zeitgerecht vor dem Verfahren eine möglichst „weich polierte“ Motivation des Täters unters Volk zu bringen.

Dritte Bemerkung: Wir haben das nicht ganz ernst gemeinte Zitat: Wenn man Medien die Finger reicht, führt das zum Gesamtkörperverlust, meines hochgeschätzten Kolle­gen gehört, und wir haben den Vorschlag der Ehrenerklärung im Fall Amstetten ge­hört. – Das alles birgt ein Stück Wahrheit in sich, aber meine Erfahrung ist doch eine ganz andere, und die möchte ich Ihnen auch mitteilen.

Je ernster wir Journalisten nehmen, je ernster wir mit ihnen persönlich umgehen und bewusst auf ihre persönliche Ethik rekurrieren, je mehr wir sie mit Verantwortung be­trauen, desto verantwortungsvoller werden sie im Regelfall auch handeln. Und wer im Einzelfall eine Ehrenerklärung in einer ganz konkreten Geschichte fordert, der geht zu­nächst einmal davon aus, dass im Regelfall die österreichischen Medien in dieser Sa­che auch wieder versagen werden.

Ich meine also, und das ist ja eine Erfahrung auch aus der Pädagogik, wer immer win­dige Typen erwartet, wird sie unbewusst anziehen.

16.49


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Danke. – Die nächste Wortmel­dung kommt von Herrn Thurnher. – Bitte.

 


16.49.17

Armin Thurnher (Chefredakteur „Falter")|: Ich wollte nach all diesen gesetzlichen Vor­schlägen, Ethikrichtlinien und so weiter sagen, dass, wie ich glaube, die entscheidende Sache schon eine gesellschaftspolitische ist, und da kann ich Ihnen zu Ihrem zukünfti­gen Mut nur gratulieren: Sie müssen sich entscheiden, ob Sie sich auf die Seite jener Medien stellen wollen, die für die Demokratie wichtig sind, oder ob Sie sich auf die Sei­te jener Medien stellen wollen, die Geschäfte machen.

Wenn Sie sich für die Medien entscheiden wollen, die selbst versuchen, sich auf die Seite der Demokratie zu stellen – das ist nicht so einfach, denn alle sind ja „gemischte Veranstaltungen“, bekanntlich sogar unsere öffentlich-rechtliche, von Ihnen dazu ver­pflichtet –, und sich auf deren Seite stellen, dann müssen Sie das umfassender sehen als nur in einer einzelnen Sache wie dem Opferschutz. Da müssen Sie überlegen, wie Sie Maßnahmen treffen können, damit diese Medien gesellschaftlich gestärkt werden. Das heißt nicht nur, dass sie mehr Geld bekommen, sondern das heißt auch, dass zum Beispiel der Erfolg dieser Medien anders definiert wird, dass die gesellschaftliche Aner­kennung für sie anders ist und dass Medien, die diesem Kriterium nicht oder zu wenig entsprechen, gesellschaftlich anders behandelt werden.

Das ist natürlich eine schwierige Frage für den Verband Österreichischer Zeitungen, der dieses Problem sozusagen in sich trägt, und das ist natürlich auch ein schwieriges Problem für alle Privatradios und dergleichen, die zum Teil ja genau diese Geschäfts­unternehmen per se sind. – Da wird es dann sehr schwierig, aber diesen Fragen muss man sich eben stellen.

Ich beneide Sie nicht darum, denn Sie bekommen dann ja gleichzeitig zu Ihren Bemü­hungen immer die Höchststrafe in Form entsprechender publizistischer Behandlung verabreicht, aber Sie müssen es trotzdem tun.

Jürgen Habermas sagt, dass es in einer Gesellschaft selbstverständlich ist, dass Was­ser, Strom und Gesundheitsversorgung eben öffentliche Güter sind, weil die Gesell­schaft sie zum Überleben braucht. – Jetzt ist es aber in der Mediengesellschaft so, dass auch Öffentlichkeit ein solches Gut ist und dass es sozusagen ein gefährdetes Gut ist, wobei es eben sehr wichtig ist, es als Öffentlichkeit zu erhalten, weil Öffentlich­keit als Substrat der Demokratie tatsächlich von sehr vielen Dingen bedroht ist, nicht zuletzt aus der Öffentlichkeit selbst heraus.

16.51


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Danke. – Die nächste Wortmel­dung kommt von Dr. Beier. – Bitte.

 


16.51.48

Univ.-Prof. Dr. med. Dr. phil. Klaus M. Beier (Charité Berlin)|: Vielleicht eine Schluss­bemerkung aus meiner Sicht: Gerade weil der Opferschaden so groß ist, muss es da­rum gehen – ich denke, das eint uns alle –, dass es gar nicht erst zur Opferschaft kommt. Ich glaube, hier werden Maßnahmen, die auch bei den potenziellen Tätern an­setzen, noch zu wenig genutzt. – Das ist unser Konzept.

Präventive Therapie bei potenziellen Tätern ist effektiver Kinderschutz! – Das ist etwas, was wir wirklich nachweisen können. Vielleicht ist das nicht richtig deutlich geworden: Sie alle sind eben nicht justizbekannte Täter – deshalb „aus dem Dunkelfeld“ –, die selbst sagen: Das geht so nicht!

Zu dem Slogan – da Sie das direkt angesprochen haben –: Da bin ich den Medienver­tretern dankbar! Das ist nichts, was wir uns ausgedacht haben, das kommt ja von den Medienprofis, die gesagt haben: Um diese Botschaft zu vermitteln, muss man mit ein­fachen Sätzen kommen; man kann diese Komplexität eben nicht in einem solchen Satz abbilden. Der Satz lautet: Lieben Sie Kinder mehr, als Ihnen lieb ist?

Die „Sicherung“ steht also zum Schluss: Das „mehr, als Ihnen lieb ist“ bedeutet, genau hier ist die Grenze überschritten. – Missbrauch hat natürlich nichts mit Liebe zu tun, was sie ja auch so sehen, und deshalb kommen sie ja: weil sie vermeiden wollen, dass es zu einem Übergriff kommt.

16.53


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Danke. – Die nächste Wortmel­dung kommt von Herrn Grünberger. – Bitte.

 


16.53.12

Mag. Gerald Grünberger (Geschäftsführer des Verbandes Österreichischer Zei­tungen)|: Zwei ganz kurze Anmerkungen zum Schluss, auf Diskussionsbeiträge replizie­rend.

Die Auflagenzahlen als Bemessungsgrundlage von Entschädigungen: Das klingt ganz lustig, was Herr Chefredakteur Thurnher hier gesagt hat! – Es gibt eine harte Währung dafür, das ist die Österreichische Auflagenkontrolle, die Gott sei Dank, und das muss man dazusagen, allseits akzeptiert ist. Alles andere, was in irgendwelchen Mediada­tenplänen et cetera steht, ist ja vor Gericht nicht haltbar – Entschuldigung –, das wird ja auch nicht herangezogen.

Zweitens, und so verstehe ich den Input, den wir aus der Praxis hier geben sollen, zu dem, was Dr. Herbst gesagt hat, Medien sollen das, was Behörden als Information bringen, kritisch hinterfragen und nicht der Öffentlichkeit preisgeben oder nicht brin­gen. Nun, ich lasse jetzt einmal die Diskussion darüber, ob das besonders realistisch ist, beiseite, ich gebe aber doch zu bedenken, dass, und gerade das ist das Wesentli­che beim Opferschutz, wie ich glaube, eigentlich bereits in dem Moment, in dem diese Information gegeben wird, die Verletzung der Rechte des Opfers beziehungsweise die Desavouierung passiert, auch wenn es die Medien nicht weitergeben.

Und ich gebe in diesem Zusammenhang weiters zu bedenken, dass – das Medienge­schäft passiert heute einfach so – sehr vieles live passiert, ob im öffentlich-rechtlichen ORF oder auch online über Blogs et cetera. Das ist Echtzeit-Berichterstattung, und da erfolgt keine Abwägung: Kann ich jetzt das, was eine Behörde weitergibt, nicht berich­ten oder doch? – Das ist, so glaube ich, der wesentliche Punkt.

Daher – ich erwähne es jetzt noch einmal, ich habe es vorhin auch schon getan – wäre ein Informationsfreiheitsgesetz notwendig, so wie es in vielen anderen europäischen Ländern, wie Deutschland, der Schweiz et cetera, Standard ist, wodurch eine Klassifi­zierung stattfindet, was weiterzugeben ist und was nicht, wo es ein Schutzbedürfnis gibt und wo nicht. – Danke.

16.55


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Danke schön. – Die nächste Wortmeldung kommt von Herrn Blank. – Bitte.

 


16.55.16

Martin Blank (Geschäftsführer Puls4,Verband Österreichischer Privatsender)|: Mein letzter Satz lautet im Grunde genommen nur folgendermaßen: Ich sehe diesen Antago­nismus zwischen dem guten und dem schlechten Journalismus oder dem guten und dem schlechten Medienunternehmen nicht! Natürlich gibt es auch privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen, die natürlich auch ein publizistisches Interesse haben, ge­nauso wie andersherum. – Das ist Punkt eins.

Punkt zwei: Gerade was die aktuelle Berichterstattung, auch die Live-Berichterstattung, über den letzten Fall anlangt, waren gerade die Privat-TV-Sender nicht diejenigen, die an vorderster Front gekämpft haben!

16.55


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Danke. – Die letzte Wortmeldung kommt von Herrn Wendl. – Bitte.

 


16.55.55

Fritz Wendl (Vorsitzender des ORF-Redakteursrats)|: Da zuletzt mehrfach vom Thema Ausbildung die Rede war, eine Anmerkung dazu: Ich bin seit einigen Jahren auch Mit­glied der Presseförderungskommission, und da werden unter anderem auch Förderun­gen für die Journalistenaus- und -weiterbildung vergeben, und zwar nach einem Punk­tesystem, das die Zahl von Ausbildungstagen und die Zahl von Veranstaltungsteilneh­mern berücksichtigt, wonach sich dann die Höhe der Förderung richtet; keinerlei Krite­rium sind aber die Aus- und Weiterbildungsinhalte. – Ähnlich sieht es auch bei allen anderen Förderungstöpfen der Presseförderung aus.

Das heißt – man sieht das an diesem Beispiel –, bei einer geplanten Gesetzesände­rung, der Umstellung von der Presseförderung auf eine Medienförderung, besteht hier grundsätzlicher Handlungsbedarf, zu anderen gesetzlichen Inhalten zu kommen.

Das Problem ist, wir haben vom Mediengesetz über das Journalistengesetz bis zu al­len weiteren einschlägigen Gesetzen und sonstigen Regulativen eben solche, die von der rasanten Entwicklung der Medienlandschaft schlicht und einfach gleichermaßen ra­sant überrollt wurden.

Das heißt, mehr oder weniger zaghaftes Adaptieren veralteter Regelungen wird wohl nicht ausreichen! Es sind grundsätzliche medienpolitische Entscheidungen fällig – Ent­scheidungen, die, wie Armin Thurnher vorhin gesagt hat, alles andere als einfach sind und um die die Verantwortlichen natürlich nicht zu beneiden sind, aber das ist ihre Ver­antwortung.

16.57

16.57.29Schlussworte des Vorsitzenden

 


Vorsitzender Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim|: Danke schön. – Meine Damen und Herren! Wir kommen damit zum Ende unserer heutigen Veranstaltung.

Wir haben jetzt am Nachmittag einen sehr weiten Bogen gespannt: Wir sind uns des­sen bewusst geworden, wie sich aus der Rolle eines Opfers heraus Dinge entwickeln, und es sind tragische Entwicklungen, die dann, wenn sie dargestellt werden, als Selbstverständlichkeiten erscheinen, und sind bis zur Frage der Ethik vorgedrungen; wir haben heute einen Bogen gespannt von der Frage der Selbstregulierung bis zur obligatorischen Umsetzung. – Wir kennen die Ethik-Debatte ja nicht nur im Bereich der Medien, wir treffen sie etwa auch bei der Frage der Unternehmensführung in Aktienge­sellschaften an und wir finden sie auf verschiedenen Märkten wieder.

Und es ist in der Tat natürlich eine höchst gesellschaftspolitische Frage, wie man mit diesen Problemen und diesen Dingen umgeht: welcher der richtige Weg ist, ob der Ge­setzgeber hier mehr oder weniger alles regeln und wie die Bewusstseinsbildung erfol­gen kann und welche Maßnahmen dafür notwendig sind, bis hin zur Frage, ob Förde­rungen für Medien von deren ethischen Ansätzen abhängig sind, und, wenn ja, wer das beurteilt.

Ich denke, wir hatten eine sehr wertvolle, eine sehr ruhige und sachliche Diskussion, in deren Verlauf wir die unterschiedlichen Aspekte beleuchten konnten. Es war für die Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten im Haus sicherlich eine Bereicherung, denn ich glaube, dass diese Diskussion nur eine von vielen war: Es war nicht die erste und es wird sicherlich nicht die letzte sein.

Sie sind ersucht, Sie sind aufgefordert, von sich aus darauf zu beharren, dass Dinge weiterentwickelt werden, von denen Sie meinen, dass das eine oder andere noch nicht entsprechend entwickelt ist. Wir sind dafür da, dass wir Rechenschaft darüber ablegen, wie wir diese Inputs umsetzen. Ich meine daher, dass es in Summe eine sehr wertvol­le, schöne und gute Veranstaltung war. Ich darf Ihnen allen herzlich danken: jenen, die hier am Podium an der Veranstaltung teilgenommen haben, die sich vorbereitet haben, und auch allen anderen, die gekommen sind, sich zu Wort gemeldet haben oder in wel­cher Weise auch immer teilgenommen haben.

Ich denke, dass auch da jeweils eine gruppendynamische Entwicklung stattfindet, wenn die Dinge beleuchtet und ins Bewusstsein gerückt werden, weil jeder von uns aufgrund seines Arbeitsumfeldes spezielle Schwerpunkte setzt. Dieser generelle Über­blick über die Komplexität aller Themen und darüber, wie sie zueinander in Beziehung zu stellen sind, ist sehr wertvoll und sehr wichtig für eine Weiterentwicklung.

Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend und Dankeschön für Ihr Kommen! (Bei­fall.)

17.00.40Schluss der Enquete: 17.01 Uhr