13908/AB XXIV. GP

Eingelangt am 02.05.2013
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

BMJ-Pr7000/0070-Pr 1/2013


Republik Österreich
die bundesministerin für justiz

 

 

Museumstraße 7

1070 Wien

 

Tel.: +43 1 52152 0

E-Mail: team.pr@bmj.gv.at

 

 

Frau
Präsidentin des Nationalrates

 

 

Zur Zahl 14201/J-NR/2013

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Johann Maier und GenossInnen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Nationalsozialistische Gewaltverbrecher – Operation Last Chance II“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1:

Von der Zentralen Stelle Ludwigsburg wurden seit der in dieser Anfrage zitierten Anfragebeantwortung aus dem Jahr 2006 insgesamt 27 Namen an die zuständige Fachabteilung meines Hauses übermittelt, dies jedoch mit dem ausdrücklichen Beifügen, dass entweder keinerlei Anhaltspunkte für ein strafrechtlich relevantes Verhalten dieser Personen vorliegen oder es sich um Zeugen oder Mitbeschuldigte in anderen Verfahren handelt und allfällig gegen diese Personen anhängig gewesene Verfahren mangels konkreter Hinweise auf strafrechtlich relevante Teilnahme an Tötungshandlungen oder Beiträgen hierzu eingestellt worden seien.

Weiters merkte die Zentrale Stelle Ludwigsburg auf ausdrückliche Anfrage meines Ressorts an, dass eine systematische Überprüfung historischer Aktenvorgänge nur dann zweckmäßig


sei, wenn man davon ausgehen müsste, dass in früheren Verfahren regelmäßig nichts weiter veranlasst worden sei, soweit Ermittlungen in Deutschland einen Tatverdacht gegen einen österreichischen Staatsangehörigen erbrachten. Wie die Recherchen der Zentralen Stelle Ludwigsburg ergeben hätten, gibt es jedoch seit jeher einen regen Informationsaustausch zwischen deutschen und österreichischen Ermittlungsbehörden. Den österreichischen Behörden seien außerdem Sachverhalte und eine mögliche Verstrickung von Österreichern in Kriegsverbrechen insbesondere auch im Zusammenhang mit Rechtshilfeersuchen um Vernehmung österreichischer Zeugen zur Kenntnis gelangt.

Nach den mir zur Verfügung stehenden Informationen wurden und werden solche Rechtshilfeersuchen jeweils zum Anlass für die Einleitung eines Inlandsverfahrens genommen. Diesbezügliche Hinweise auf österreichische Verdächtigte wurden den österreichischen Behörden dabei nicht nur von deutscher Seite, sondern etwa auch im Zusammenhang mit in Italien geführten Kriegsverbrecherprozessen übermittelt.

Zu 2 und 3 sowie 6 bis 9:

Soweit diese Frage auf Informationen des Simon-Wiesenthal-Centers Jerusalem oder der Zentralen Stelle Ludwigsburg seit der Anfragebeantwortung im Jahr 2006 Bezug nimmt, ist darauf hinzuweisen, dass nur noch zwei weitere Listen eines deutschen Mitarbeiters des Simon-Wiesenthal-Centers mit insgesamt 54 Namen übermittelt wurden. In Bezug auf diese Personen ergaben die Erhebungen jedoch, dass diese entweder nicht mehr am Leben sind oder in den Archivbeständen keine konkreten Hinweise auf ein strafrechtlich relevantes Verhalten dieser Personen gefunden werden konnten. Daher konnte in diesem Zusammenhang kein Fall eines neuen Ermittlungsverfahrens an das Simon-Wiesenthal-Center berichtet werden. Zur grundsätzlichen Problematik der Weitergabe allfälliger Erhebungsergebnisse an das Simon-Wiesenthal-Zentrum verweise ich auf die Beantwortung der Frage 5 der Anfrage Zl. 1218/J-NR/2007 betreffend Akteneinsicht im Fall Aribert Heim.

Zu 4:

Die in den beiden zuletzt eingelangten Listen genannten Personen gehörten folgenden Einheiten an: Polizeibataillon 9, Polizeibataillon 64, Polizeibataillon 314, Polizeibataillon 316, Polizeibataillon 322, I. SS-Gendarmerie-Bataillon, Reiterabteilung I, Reiterabteilung III, SS-Polizeiregiment 18, SS-Polizeiregiment 19, III. SS-Polizeiregiment 23, Polizei-Schützen-Regiment 31, Polizeibataillon 320, Polizeibataillon 67 und Polizeibataillon 84.

Zu 5:

Wie bereits in der Anfragebeantwortung 11/XXIII. GP vom 21. Dezember 2006 festgehalten, hat das Simon-Wiesenthal-Center Jerusalem in keinem einzigen Fall den in seinen Listen genannten Personen konkrete Straftaten vorgeworfen, sondern lediglich darauf hingewiesen, dass diese Personen Angehörige von in Kriegsverbrechen verwickelten Einheiten waren. Dies war auch bei den zwei seit 2006 übermittelten Listen der Fall.

Zu 10:

Im Februar 2010 wurde eine Arbeitsgruppe zur Ausforschung mutmaßlicher NS-Täter unter Beteiligung von Vertretern der Zentralen Österreichischen Forschungsstelle Nachkriegsjustiz und


des Bundesministeriums für Justiz gebildet. Für die strafrechtliche Aufarbeitung von NS-Gewaltverbrechen und die Beurteilung der Verdachtslage im konkreten Im Februar 2010 wurde eine Arbeitsgruppe zur Ausforschung mutmaßlicher NS-Täter unter Beteiligung von Vertretern der Zentralen Österreichischen Forschungsstelle Nachkriegsjustiz und des Bundesministeriums für Justiz gebildet. Für die noch offene strafrechtliche Aufarbeitung von NS-Gewaltverbrechen und die Beurteilung der Verdachtslage im konkreten Einzelfall erschien es nämlich effizienter und wirtschaftlicher, die in der Forschungsstelle gebündelten historischen Fach- und Aktenkenntnisse ganz gezielt zu nützen, um die Staatsanwaltschaften von den aufwändigen, aber unumgänglichen Recherchetätigkeiten zu entlasten und ihnen gegebenenfalls das für weiterführende Ermittlungen benötigte Material zur Verfügung zu stellen. Diese Vorgangsweise berücksichtigt den Umstand, dass bei so lange zurückliegenden Verbrechen die Beweisführung im Wesentlichen nur mehr auf Basis des bereits in den Akten befindlichen Materials erfolgen kann und es vor allem gilt, die Ermittlungsansätze, die teilweise in verschiedenen Verfahren und Akten enthalten sind und seinerzeit – aus welchen Gründen auch immer – nicht weiter verfolgt worden waren, nunmehr zu einem Gesamtbild zusammenzufügen.

Aufgrund der Tätigkeit dieser Arbeitsgruppe konnten bislang die Namen von 188 Personen herausgefunden und, soweit dies anhand der vorhandenen Personaldaten überhaupt sinnvoll möglich war, zur Klärung ihrer Identität und ihres allfälligen Aufenthaltes dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung übergeben werden, um herauszufinden, welche dieser angeführten Personen noch am Leben sind.

Bei 39 Personen konnte deren Ableben definitiv festgestellt werden; bei 145 Personen war die Klärung ihrer Identität mangels zielführender Anhaltspunkte nicht möglich. Vier Personen konnten als noch lebend ermittelt werden. Bei zwei Personen war die Einleitung eines Strafverfahrens nicht möglich, weil diese zur Tatzeit das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten. Da über junge Erwachsene keine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt werden kann (§ 36 StGB), ist bezüglich dieser Taten Verjährung eingetreten. Zu den zwei verbleibenden Personen sind derzeit noch Recherchen der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz anhängig.

Zu 11:

Abgesehen von der Einsetzung dieser Arbeitsgruppe wurden seit der Anfragebeantwortung 11/XXIII. GP aus Anlass von Informationen bzw. Rechtshilfeersuchen aus dem Ausland sowie aufgrund privater Anzeigen insgesamt elf Ermittlungsverfahren bei der jeweils zuständigen Staatsanwaltschaft eingeleitet. Drei Personen sind während des Verfahrens verstorben. Hinsichtlich sechs Personen wurde das Verfahren aus Mangel an Beweisen eingestellt. Zwei Verfahren (darunter eines gegen unbekannte Täter) sind derzeit noch anhängig. Ob in einem dieser Fälle Anklage erhoben werden kann, lässt sich derzeit nicht abschätzen.

Zu 12:

Ich ersuche um Verständnis, dass ich keine hypothetische Einschätzung darüber abgeben kann, wie sich die in der Anfrage zitierte deutsche Gerichtsentscheidung im Fall John


Demjanjuk auf die unabhängige Rechtsprechung der österreichischen Gerichte auswirken könnte.

Ich gebe auch zu bedenken, dass der von der deutschen Staatsanwaltschaft erstmals vertretene neue Ansatz (Beihilfe zum Mord ohne konkreten Einzeltatnachweis, sondern allein aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Organisation) zwar vom Erstgericht geteilt wurde, dieses sowohl von der Staatsanwaltschaft als auch vom Angeklagten bekämpfte Urteil jedoch nicht in Rechtskraft erwuchs, weil der Angeklagte noch vor Durchführung der Revisionsverhandlung verstorben ist. Eine höchstgerichtliche Beurteilung dieser Gerichtsentscheidung ist daher ausgeblieben.

Ohne der Beurteilung der unabhängigen Rechtsprechung vorgreifen zu wollen sind aber Unterschiede zwischen der österreichischen und der deutschen Rechtslage zu berücksichtigen. In den nach § 65 Abs. 2 StGB vorzunehmenden Günstigkeitsvergleich ist nämlich auch die Bestimmung des § 137 des alten österreichischen Strafgesetzes (StG) über die „entfernten Mitschuldigen oder Teilnehmer“ an einem Mord einzubeziehen. Damit wurde eine privilegierte Tätergruppe geschaffen, für die eine geringere Strafdrohung mit einer entsprechend kürzeren Verjährungsfrist von lediglich zehn Jahren galt. Die die Verjährung verlängernden bzw. ausschließenden Vorschriften aus den Jahren 1963 und 1965 waren auf diese Personengruppe daher nicht mehr anwendbar.

Da nach der für den Beschuldigten günstigeren und daher zwingend anzuwendenden alten Strafbestimmung nicht jeder Tatbeitrag der unmittelbaren Tatbegehung gleichzuhalten ist, sondern diesbezüglich eine Privilegierung der in einem geringeren Ausmaß involvierten Tatbeteiligten geschaffen wurde, ist – im Gegensatz zur heutigen Rechtslage – zwischen Beitragstätern zu unterscheiden, deren geringerer Tatbeitrag bereits verjährt ist und solchen, die sich im Sinne des § 5 StG in gleicher Weise wie der unmittelbare Täter schuldig gemacht haben, sodass ihre Tat noch nicht verjährt ist (vorausgesetzt, die Tat wurde nach Vollendung des 21. Lebensjahres begangen). Nach Einschätzung der zuständigen Fachabteilung meines Hauses kommt man bei der Beurteilung der Tathandlungen von Österreichern in Wachmannschaften von Konzentrationslagern daher nicht umhin, den konkreten Beitrag, den ein Verdächtiger zur Tötungsmaschinerie dieser Lager geleistet hat, festzustellen.

Das Simon-Wiesenthal-Center Jerusalem hat aber in keinem einzigen Fall den in seinen Listen genannten Personen konkrete Straftaten vorgeworfen, sondern lediglich darauf hingewiesen, dass diese Personen Angehörige von in Kriegsverbrechen verwickelten Einheiten waren.

Dabei konnte bei Verdächtigen mittels Archivanfragen mitunter sogar bestätigt werden, dass diese am Tag eines Massakers nicht bei ihrer Einheit gewesen sind, sondern sich – etwa als Verwundete – in einem vom Tatort weit entfernten Lazarett aufgehalten haben. Auch an


diesem Beispiel zeigt sich die Problematik einer Anklageerhebung allein aufgrund der Zugehörigkeit zu einem „Mordkommando“. Es käme damit zu einer den Grundsätzen eines fairen Verfahrens widersprechenden Beweislastumkehr bzw. müsste ohnehin durchwegs im Zweifel mit Freispruch vorgegangen werden, sobald nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Beschuldigte bloß einen „entfernten Tatbeitrag“ geleistet hat.

Am Grundsatz, dass in einem Strafverfahren dem Beschuldigten konkrete Tathandlungen nachgewiesen werden müssen, welche dann rechtlich zu qualifizieren sind, ist daher meiner Ansicht nach festzuhalten.

Zu 13:

Ob die zwei in den vergangenen Jahren angezeigten Fälle von Angehörigen des Wachpersonals verschiedener Konzentrationslager direkt oder indirekt auf das Urteil gegen John Demjanjuk zurückgehen, ist mir nicht bekannt.

Zu 14 und 15:

Im Zusammenhang mit den Listen des Simon-Wiesenthal-Centers Jerusalem hat mein Ressort an die Zentrale Stelle Ludwigsburg die Anfrage gerichtet, inwieweit es sinnvoll erscheint, eine Vielzahl von Einheitsangehörigen anhand historischer Aktenvorgänge systematisch zu überprüfen, um neue Ermittlungsansätze zu erhalten. Dazu teilte die Zentrale Stelle Ludwigsburg mit, dass derartige personal- und zeitintensive Recherchen aufgrund deren beschränkter personeller Kapazitäten kaum zu leisten seien und in der Gegenüberstellung von Aufwand und möglichem Ertrag gegenüber aktuell zu bearbeitenden Untersuchungsvorgängen (die gegebenenfalls hintangestellt werden müssten), unverhältnismäßig erscheinen. Der Zentralen Stelle Ludwigsburg erscheint es in diesem Zusammenhang zielführender, nur bei bereits konkreten Verdachtsmomenten gegen einen österreichischen Staatsangehörigen anzufragen, ob weiterführende Erkenntnisse zu Täter und konkreter Tat zu finden sind.

Diesen Überlegungen schließe ich mich an. Solange kein hinreichender Anfangsverdacht vorliegt, dass ein Mitglied einer Wachmannschaft eines Konzentrationslagers nicht bloß als „entfernt Mitschuldiger“ an dem dort verübten Massenmord anzusehen ist, reicht die bloße Kenntnis des Umstandes, dass eine bestimmte Person Mitglied der Wachmannschaft war, für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nicht aus.

Zu 16 bis 19:

Von deutscher Seite wurden bislang jedenfalls keine einschlägigen Informationen über Österreicher, die Mitglieder von KZ-Wachmannschaften oder Einsatzgruppen waren, übermittelt. Im Übrigen verweise ich auf meine Ausführungen zu den Fragepunkten 14 und 15 sowie darauf, dass zeitgeschichtliche Recherchen grundsätzlich nicht in den Vollzugsbereich des Justizressorts fallen.


Zu 20:

Die Auslobung von 50.000 Euro im Rahmen der Operation Last Chance I erbrachte keinerlei weiterführenden Hinweise, sondern lediglich – zum Teil abstruse – Spekulationen, die jegliche Substanz vermissen ließen.

Zu 21:

Die in Frage 20 angesprochene Auslobung beschränkte sich konkret auf die prominenten Fälle Dr. Aribert Heim und Alois Brunner. Ein vergleichbarer Fall mit Österreichbezug, der in diese Auslobung einbezogen werden könnte, ist bislang nicht hervorgekommen.

In den konkret bearbeiteten Fällen konzentrierte sich die internationale Zusammenarbeit vor allem auf Deutschland (Zentrale Stelle Ludwigsburg) und Polen (Sonderstaatsanwaltschaft beim Institut für Nationales Gedenken). Auch die gute internationale Vernetzung der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz wird im Rahmen der in meinem Haus eingerichteten Arbeitsgruppe zur Ausforschung mutmaßlicher NS-Täter für Recherchen genutzt.

Mag auch eine strafrechtliche Ahndung der Verbrechen nicht mehr im erhofften Ausmaß möglich sein, so stellt allein die wissenschaftliche Aufarbeitung der einschlägigen Fälle der österreichischen Nachkriegsjustiz bei der Suche nach noch verfolgbaren Tätern einen wertvollen Beitrag dar, die Mitschuld von Österreichern an den Gräueltaten des NS-Regimes vor dem Verdrängen und das Schicksal der Opfer vor dem Vergessen zu bewahren.

 

Wien,        . April 2013

 

 

 

Dr. Beatrix Karl