8181/J XXIV. GP

Eingelangt am 31.03.2011
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Anfrage

 

der Abgeordneten Dr. Jarolim und GenossInnen
an die Bundesministerin für Inneres

betreffend

„Vergabe von Aufträgen durch das BMI unter BM Dr. Ernst Strasser sowie unter seinen
NachfolgerInnen an Unternehmen mit denen Dr. Ernst Strasser nach Ablauf seiner
Ministertätigkeit eine direkte oder indirekte Geschäftsverbindung einging“

Durch die jüngsten Enthüllungen der Sunday Times ist das Lobbying-Netzwerk von Dr. Ernst
Strasser sichtbar geworden. Für Geld wurde von ihm im Interesse seiner Klienten in den
Gesetzwerdungsprozess eingegriffen. Das „System-Strasser“ begann aber nicht erst mit seiner
Funktion als Abgeordneter des Europaparlaments. Schon davor bildete er dieses Netzwerk.

In letzter Zeit wurde auch eine undurchsichtige Vergabepraxis bei Großaufträgen des BMI an
private Firmen wiederholt Thema der Medienberichterstattung. Interessenkonflikte der Personen,
die für die Entscheidungsbildung für Auftragsvergaben im Ministerium zuständig waren, sind
offensichtlich. Beraterverträge sowohl für das Ministerium als auch für die Auftragnehmer wurden
und werden von ehemaligen Kabinettsmitarbeitern, aber auch von Dr. Ernst Strasser abgeschlossen.
Bei den Auftragnehmern erfolgen Aufsichtsrats- und Geschäftsführungsbestellungen von
ehemaligen Mitarbeitern des Kabinetts, die bei der Auftragserteilung mitgewirkt haben.
Unternehmen die teilweise ihren Umsatz fast ausschließlich oder gänzlich mit dem BMI machen.

Auch haben ehemalige Mitarbeiter des BMI unter Dr. Ernst Strasser, wie Christoph Ulmer,
N.N., Wolfgang Gattringer sowie Thomas Zach, ebenfalls eine Reihe von Consulting-
Politberatungs- und Lobbyingunternehmen gegr
ündet bzw. sich an solchen beteiligt oder haben
Entscheidungspositionen in solchen eingenommen. Über solche Firmen werden Berater- und/oder
Provisionsverträge mit Auftragnehmern des BMI abgewickelt.

Zwei Großprojekte der „Ära Strasser“ stechen dabei besonders negativ hervor: „Digitalfunk BOS-
Austria“ sowie „Biometrische Reisepässe und Ausweise in Scheckkartenformat“:


Projekt: Digitalfunk BOS-Austria

Auftragnehmer: Tetron Sicherheitsnetz Errichtungs- und Betriebs GmbH

Die Gesellschaft hat im Juni 2004 den Auftrag des BMI zur Detailplanung, Lieferung, Errichtung
und zum Betrieb eines digitalen Bündelfunksystems für Blaulichtorganisationen ("Projekt
Digitalfunk BOS-Austria") erhalten. Im Geschäftsjahr 2009 machte dieses Unternehmen einen
Umsatz von 11,18 Mio. EUR. Dieser Umsatz resultiert gänzlich aus dem Projekt Digitalfunk BOS-
Austria und die Gesellschaft wurde zu dem alleinigen Zweck gegründet dieses Projekt umzusetzen.

 

Der mit dem BMI abgeschlossene Vertrag "Digitalfunk BOS-Austria" hat eine Laufzeit von 25
Jahren ab Übernahme des vereinbarten Vollausbaus. Seit 2004 wurden laufend
Zusatzvereinbarungen in Vertragsform abgeschlossen.

Insbesondere aufgrund von Verzögerungen bei der Bereitstellung von Standorten durch das BMI
und der im Vergleich zur Planung erhöhten Anzahl von erforderlichen Basisstationen kam es bereits
in den letzten Jahren zu Verzögerungen des Ausbauplanes. Der derzeitige Minderausbau, die
Nichteinhaltung von Projektmeilensteinen und erforderliche Leistungsadaptionen im Vergleich zu
den ursprünglichen Vereinbarungen des Hauptvertrages führen für TETRON zu
Mehraufwendungen für die Errichtung und den Betrieb des Bündelfunksystems.

Um diese nachteiligen Auswirkungen für TETRON teilweise zu kompensieren und den
weiteren Betrieb der bislang ausgebauten Gebiete sicherzustellen, hat die Gesellschaft am 30. Juni
2009 mit dem BMI eine Zusatzvereinbarung (Nr 23-1) abgeschlossen. Darin wurde festgelegt, dass
nach dem Vollausbau von Niederösterreich der Roll-Out des restlichen Bundesgebietes
(Bundesländer Burgenland, Kärnten, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Vorarlberg) auf die
Dauer von 2 Jahren ausgesetzt wurden. In dieser Zeit wurde der weitere Ausbau unter Einbeziehung
der Bundesländer in einer weiteren Zusatzvereinbarung (Nr 23-2) neu festgelegt, wobei
insbesondere ein neuer Terminplan und mögliche Finanzierungsvarianten fixiert wurden. Zur
Abgeltung von bereits entstandenen Mehrkosten und zur Sicherstellung einer ausreichenden
Finanzierung wurde vereinbart, dass das BMI ab 1. Juni 2009 ein erhöhtes monatliches
Funkdienstentgelt sowie eine Vorauszahlung in Höhe von 2,0 Mio EUR an TETRON zu leisten hat.

Darüber hinaus bestehen mit dem BMI Vereinbarungen hinsichtlich der Zurverfügungstellung von
Kapital, der Überlassung von Büroräumlichkeiten und der Bereitstellung von Standorten und
Personalleistungen für das zu errichtende Bündelfunksystem.

Das BMI beabsichtigt, im Rahmen dieses Projekts die gesamte Funkkommunikation in Österreich
auf eine bundesweit überdeckende, digitale Bündelfunktechnik umzustellen. Dies, sowie der
Vollausbau, ist bis heute noch nicht erfolgt.

2005 wurde von Motorola ein Beratervertrag für das Projekt Tetron mit einer Schweizer
Tochterfirma einer panamaischen Briefkastenfirma über 2,6 Mio. Euro abgeschlossen. Über diese
Firma wurden auch Provisionen für internationale Waffengeschäfte abgewickelt.

Von 2004 bis 2007 war der ehemalige Mitarbeiter im Kabinett des Innenministers Dr. Ernst
Strasser, N.N., Geschäftsführer von Tetron.


Der ehemalige Kabinettschef unter BM Dr. Ernst Strasser, Christoph Ulmer, hatte mit dem
Innenministerium einen Beratervertrag f
ür den Aufbau des neuen digitalen Behördenfunk-Projekts.
Christoph Ulmer führt weiterhin den Vorsitz im Beirat der Sicherheitsakademie des
Innenministeriums (SIAK). Wolfgang Gattringer, Mitarbeiter im Kabinett Strasser, war
mitverantwortlich für die Neuausschreibung des Behördenfunknetzes und den Zuschlag an Tetron.
Gattringer wurde ab 2007 bei Alcatel beschäftigt.

 

Projekt: Biometrische Reisepässe und Ausweise in Scheckkartenformat
Auftragnehmer: Österreichische Staatsdruckerei GmbH

Die Österreichische Staatsdruckerei GmbH wurde im Jahre 2000 zu 100% an ein privates
Konsortium verkauft. Im Geschäftsjahr 2009/10 machte dieses Unternehmen einen Umsatz von
41,51 Mio. EUR wovon auf das Inland 38,50 Mio. EUR und auf das Ausland 3,00 Mio. EUR
entfielen. Der überwiegende Teil der Umsätze entfallen auf die Lieferung von
Sicherheitsdokumenten, die auf Basis langfristiger Lieferverträge erfolgen.

Seit Beginn des Jahres 2000 wurde die Österreichische Staatsdruckerei GmbH vom BMI mit der
Erbringung von sogenannten „Integratorleistungen“ in Verbindung mit der Einführung des neuen
Sicherheitspasses und von Ausweisen im Scheckkartenformat (Führerscheine, Personalausweise
etc.) beauftragt. Dies erfolgt jeweils nach folgendem Schema: Das BMI vergibt einen langfristigen
Auftrag für das jeweilige Produkt ohne Ausschreibung an die Österreichische Staatsdruckerei
GmbH, diese wiederum gibt die Aufträge kurzfristig mit einer hohen Gewinnspanne an andere
Unternehmen im In- und Ausland weiter. Die Österreichische Staatsdruckerei könnte diese
Aufträge gar nicht selbst ausführen, da sie weder über eine ausreichende Kapazität aufgrund von
langjährigen unterdurchschnittlichen Investitionen in Technische Anlagen und Maschinen, noch
über die entsprechenden Lizenzen für wichtige Sicherheitsfeatures verfügt.

Rahmenvereinbarungen für die Produktion von Ausweisdokumenten wurden von der
Staatsdruckerei unter anderem mit den beiden Deutschen Firmen Gieseke & Devirent GmbH und
Gemalto GmbH sowie mit der Schweizer Firma Trüb AG abgeschlossen.

Die Stückkosten für Reisepässe oder für andere Ausweise sind dadurch für die Republik Österreich
mindestens doppelt so hoch wie für andere vergleichbare Staaten.

Weiters wurde die Österreichische Staatsdruckerei GmbH seit dem Jahr 2000 ohne Ausschreibung
vom BMI mit Herstellung von einfachen Druckereiprodukten wie diversen Antragsformularen,
Erklärungsblättern, Informationsblättern und eines Internet Portals beauftragt. Darüber hinaus
wurden Aufträge über Fotokleber für Führerscheine, Änderungsvignetten, Drucksorten für
Volksbegehren, die Europawahl und Zivildienstausweise sowie die Erbringung von
Biometrieberatungsleistungen ohne Ausschreibung erteilt.

Das BMI beruft sich bei der ausschreibungslosen Auftragsvergabe an die Staatsdruckerei auf das
Staatsdruckereigesetz. Dieses Verwaltungsorganisationsgesetz, das noch aus der Zeit stammte als
die Staatsdruckerei ein Teil der Bundesverwaltung war, wurde nie formell aufgehoben. Nach
allgemein anerkannter Rechtsauffassung ist es aber materiell nicht mehr in Kraft. Aufgrund des


Staatsdruckereigesetzes führt die Staatsdruckerei auch das Bundeswappen, das sonst nur
öffentlichen Organisationen vorbehalten ist. Auch wurde dem Unternehmen nach der Privatisierung
gestattet weiterhin den Namen Staatsdruckerei zu führen. Staatsdruckerei ist ein internationaler
gebräuchlicher Fachbegriff für Sicherheitsdruckereien im Staatlichen Eigentum. Auch führt die

Gewerkschaft Öffentlicher Dienst auf ihrer Homepage die Staatsdruckerei als Öffentliches
Unternehmen.

Dies alles dient dazu in der Bevölkerung den Eindruck zu erwecken es handle sich bei der
Staatsdruckerei um ein Öffentliches Unternehmen im Eigentum der Republik, dem diese
Privilegierung zustünde.

Im Beirat genannten Aufsichtsrat der Österreichischen Staatsdruckerei GmbH war der ehemalige
Kabinettschef unter BM Dr. Ernst Strasser Christoph Ulmer. Dr. Ernst Strasser folgte ihm in dieser
Position. Dr. Ernst Strasser hat auch einen Beratervertrag mit diesem Unternehmen. Thomas Zach,
der von 2001 bis 2002 im Bundesministerium für Inneres im Kabinett des Bundesministers Strasser
war, wurde ab 2003 bei der Österreichischen Staatsdruckerei beschäftigt. Heute ist er Vorstand der
Österreichischen Staatsdruckerei Holding AG und Geschäftsführer der Österreichischen
Staatsdruckerei GmbH.

Die unterzeichnenden Abgeordneten stellen aus den dargelegten Gründen folgende Anfrage:

1.      Welche Aufträge (entgeltlich oder unentgeltlich sowie unter Anführung des Vergabedatums, des Auftragswertes und des Leistungsumfanges jedes einzelnen Auftrages) wurden seit Beginn des Jahres 2000 von Seiten des BMI an die Firmen

1)  CIN Consult Unternehmensberatungs GmbH

2)          cce - consulting, coaching & educating-gesmbh

3)          advisory partners OG

4)          BCD Business Consulting & Development GmbH

5)          ZSA Strategy Consultants GmbH

6)          EXPERT Managementberatung Russia GmbH

7)          G4S Security Services AG, 1200 Wien

8)          Securiguard, Inc. & Group 4 Securitas Austria Aktiengesellschaft OEG

9)          G4S Security Systems GmbH

10)   Data-Storage Datenträger-Depot Gesellschaft m.b.H.

11)    G4S biss GmbH

12)           VeloMeter Gesellschaft für Messtechnik und Verkehrsüberwachung mbH

13)           G4S Dienstleistungs GmbH

14)           Österreichische Staatsdruckerei GmbH

15)           VCP Energy Holding GmbH

16)           VCP Energy & Power GmbH nunmehr: DTT Technology Investments GmbH

17)           BCD Business Consulting & Development GmbH


18)           VCP Power Holding GmbH

19)           Bioenergy Holding GmbH

20)           C.F.U. Unternehmensberatungs und Beteiligungs GmbH

21)           Headquarter Werbeagentur GmbH

22)           Headquarter Werbeagentur GmbH & Co. KG

23)           Working Capital Privatstiftung

24)    Working Capital Establishment mit Sitz in Vaduz

25)           VCC Vermögens Consulting und Controlling GmbH

26)           VCP Capital Partners Unternehmensberatungs AG

27)           Saphros Privatstiftung

28)    CE Oil Trading AG nunmehr: CE Oil Trading GmbH in Liqu.

29)           VCP Divestment AG nunmehr: WKB Divestment GmbH in Liqu.

30)    Catro Personalsuche und -auswahl Gesellschaft m.b.H. nunmehr: CONCRETE SEARCH Personalsuche und -auswahl Gesellschaft m.b.H.

31)    Rail Holding AG

32)    WESTbahn Management GmbH

33)    N.N., 1180 Wien

34)    Brandstätter Business Communications - Agentur für Strategie, PR und Coaching
GmbH,

35)    LEADING Advisors Group GmbH

36)    Vitosha Unternehmensbeteiligungs AG nunmehr: Boundless Public Relations AG

37)    ALMO Sicherheitsnetz Errichtungs- und BetriebsgmbH nunmehr: TETRON
Sicherheitsnetz Errichtungs- und BetriebsgmbH

38)    REPUCO Unternehmensberatung GmbH

39)    Peritia Communications GmbH

40)    Österreichische Staatsdruckerei Holding AG

sowie an

Dr. Ernst Strasser
Dr. Christoph Ulmer
N.N.
Wolfgang Gattringer
Thomas Zach

vergeben?

2.           Erfolgten die Auftragsvergaben jeweils konform den Standards des Übereinkommens der
Vereinten Nationen (UNCAC) (separat aufgelistet für jeden Auftrag)?

3.           Erfolgten die Auftragsvergaben jeweils konform den Standards des Europarats (SEV-Nr.:
173 und 174) (separat aufgelistet für jeden Auftrag)?


4.           Nach welcher gesetzlichen Grundlage und nach welcher Vergabemethode erfolgte jeweils
die Vergabe (separat aufgelistet für jeden Auftrag)?

5.           Wurde ein Verbot der Zahlung von Provisionen durch den Auftragnehmer im
Zusammenhang mit dem Auftrag vereinbart (separat aufgelistet für jeden Auftrag)?

6.           Wenn nein: warum nicht (separat aufgelistet für jeden Auftrag)?

7.           Wenn ja: Wurde eine Pönale im Falle der Zahlung von Provisionen durch den
Auftragnehmer im Zusammenhang mit dem Auftrag vereinbart (separat aufgelistet für jeden Auftrag)?

8.           Wenn ja: In welcher Höhe (separat aufgelistet für jeden Auftrag)?

9.           Wer ist im Ministerium für diese einzelnen Vergaben zuständig gewesen (unter separater
Nennung des Namens der jeweiligen Person und des Auftrags)?

10.       Wurden im Zusammenhang mit den jeweiligen Vergaben Weisungen an die für die
Vergaben zuständigen Mitarbeiter erteilt (separat aufgelistet für jeden Auftrag)?

11.       Welche langfristigen finanziellen Verpflichtungen für die Republik Österreich wurden vom
BMI im Zuge der Auftragsvergaben vertraglich eingegangen (unter Nennung des
Gesamtbelastungssumme während der gesamten Vertragslaufzeit und separat aufgelistet für
jeden Auftrag)?