8181/J XXIV. GP
Eingelangt am 31.03.2011
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textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.
Am 23.08.2019 erfolgte eine vertraulichkeits-/datenschutzkonforme Adaptierung
Anfrage
der
Abgeordneten Dr. Jarolim und GenossInnen
an
die Bundesministerin für Inneres
betreffend
„Vergabe von Aufträgen durch das BMI unter BM Dr. Ernst
Strasser sowie unter seinen
NachfolgerInnen an Unternehmen mit denen Dr. Ernst Strasser nach Ablauf seiner
Ministertätigkeit eine direkte oder indirekte
Geschäftsverbindung einging“
Durch die jüngsten
Enthüllungen der Sunday Times ist das Lobbying-Netzwerk von Dr. Ernst
Strasser sichtbar geworden. Für Geld wurde von ihm im Interesse seiner
Klienten in den
Gesetzwerdungsprozess eingegriffen. Das „System-Strasser“ begann
aber nicht erst mit seiner
Funktion als Abgeordneter des Europaparlaments. Schon davor bildete er dieses
Netzwerk.
In letzter Zeit wurde auch eine
undurchsichtige Vergabepraxis bei Großaufträgen des BMI an
private Firmen wiederholt Thema der Medienberichterstattung.
Interessenkonflikte der Personen,
die für die Entscheidungsbildung für Auftragsvergaben im Ministerium
zuständig waren, sind
offensichtlich. Beraterverträge sowohl
für das Ministerium als auch für die Auftragnehmer wurden
und werden von ehemaligen
Kabinettsmitarbeitern, aber auch von Dr. Ernst Strasser abgeschlossen.
Bei den Auftragnehmern erfolgen Aufsichtsrats- und
Geschäftsführungsbestellungen von
ehemaligen Mitarbeitern des Kabinetts, die
bei der Auftragserteilung mitgewirkt haben.
Unternehmen die teilweise ihren Umsatz fast ausschließlich oder
gänzlich mit dem BMI machen.
Auch haben ehemalige
Mitarbeiter des BMI unter Dr. Ernst Strasser, wie Christoph Ulmer,
N.N., Wolfgang Gattringer sowie Thomas
Zach, ebenfalls eine Reihe von Consulting-
Politberatungs- und Lobbyingunternehmen gegründet bzw. sich an solchen beteiligt
oder haben
Entscheidungspositionen in solchen eingenommen. Über solche Firmen werden
Berater- und/oder
Provisionsverträge mit Auftragnehmern
des BMI abgewickelt.
Zwei
Großprojekte der „Ära Strasser“ stechen dabei
besonders negativ hervor: „Digitalfunk BOS-
Austria“ sowie
„Biometrische Reisepässe und Ausweise in Scheckkartenformat“:
Projekt: Digitalfunk BOS-Austria
Auftragnehmer: Tetron Sicherheitsnetz Errichtungs- und Betriebs GmbH
Die
Gesellschaft hat im Juni 2004 den Auftrag des BMI zur Detailplanung, Lieferung,
Errichtung
und zum Betrieb eines
digitalen Bündelfunksystems
für Blaulichtorganisationen ("Projekt
Digitalfunk BOS-Austria") erhalten. Im Geschäftsjahr 2009 machte
dieses Unternehmen einen
Umsatz von 11,18 Mio. EUR. Dieser Umsatz
resultiert gänzlich aus dem Projekt Digitalfunk BOS-
Austria und die Gesellschaft wurde zu
dem alleinigen Zweck gegründet dieses Projekt umzusetzen.
Der mit dem BMI
abgeschlossene Vertrag "Digitalfunk BOS-Austria" hat eine Laufzeit
von 25
Jahren ab Übernahme des vereinbarten
Vollausbaus. Seit 2004 wurden laufend
Zusatzvereinbarungen in Vertragsform abgeschlossen.
Insbesondere aufgrund
von Verzögerungen
bei der Bereitstellung von Standorten durch das BMI
und der im Vergleich zur Planung
erhöhten Anzahl von erforderlichen Basisstationen kam es bereits
in den letzten Jahren zu Verzögerungen des Ausbauplanes. Der
derzeitige Minderausbau, die
Nichteinhaltung von Projektmeilensteinen und erforderliche Leistungsadaptionen
im Vergleich zu
den ursprünglichen Vereinbarungen des Hauptvertrages führen für
TETRON zu
Mehraufwendungen für die Errichtung
und den Betrieb des Bündelfunksystems.
Um diese nachteiligen Auswirkungen
für TETRON
teilweise zu kompensieren und den
weiteren Betrieb der bislang ausgebauten Gebiete sicherzustellen, hat die
Gesellschaft am 30. Juni
2009 mit dem BMI eine Zusatzvereinbarung
(Nr 23-1) abgeschlossen. Darin wurde festgelegt, dass
nach dem Vollausbau von Niederösterreich der Roll-Out des
restlichen Bundesgebietes
(Bundesländer Burgenland, Kärnten, Oberösterreich, Salzburg,
Steiermark, Vorarlberg) auf die
Dauer von 2 Jahren ausgesetzt wurden. In
dieser Zeit wurde der weitere Ausbau unter Einbeziehung
der Bundesländer in einer weiteren Zusatzvereinbarung (Nr 23-2) neu
festgelegt, wobei
insbesondere ein neuer Terminplan und mögliche Finanzierungsvarianten
fixiert wurden. Zur
Abgeltung von bereits entstandenen Mehrkosten und zur Sicherstellung einer
ausreichenden
Finanzierung wurde vereinbart, dass das BMI ab 1. Juni 2009 ein erhöhtes
monatliches
Funkdienstentgelt sowie eine Vorauszahlung
in Höhe von 2,0 Mio EUR an TETRON zu leisten hat.
Darüber
hinaus bestehen mit dem BMI Vereinbarungen hinsichtlich der
Zurverfügungstellung von
Kapital, der
Überlassung von Büroräumlichkeiten und der Bereitstellung von
Standorten und
Personalleistungen für das zu
errichtende Bündelfunksystem.
Das
BMI beabsichtigt, im Rahmen dieses Projekts die gesamte Funkkommunikation in Österreich
auf eine bundesweit
überdeckende, digitale Bündelfunktechnik umzustellen. Dies, sowie der
Vollausbau, ist bis heute noch nicht
erfolgt.
2005 wurde von Motorola ein
Beratervertrag für
das Projekt Tetron mit einer Schweizer
Tochterfirma einer panamaischen
Briefkastenfirma über 2,6 Mio. Euro abgeschlossen. Über diese
Firma wurden auch Provisionen für internationale Waffengeschäfte
abgewickelt.
Von
2004 bis 2007 war der ehemalige Mitarbeiter im Kabinett des Innenministers Dr.
Ernst
Strasser, N.N., Geschäftsführer von Tetron.
Der ehemalige
Kabinettschef unter BM Dr. Ernst Strasser, Christoph Ulmer, hatte mit dem
Innenministerium einen Beratervertrag für den
Aufbau des neuen digitalen Behördenfunk-Projekts.
Christoph Ulmer
führt weiterhin den Vorsitz im Beirat der Sicherheitsakademie des
Innenministeriums (SIAK). Wolfgang Gattringer, Mitarbeiter im Kabinett
Strasser, war
mitverantwortlich für die
Neuausschreibung des Behördenfunknetzes und den Zuschlag an Tetron.
Gattringer wurde ab 2007 bei Alcatel beschäftigt.
Projekt:
Biometrische Reisepässe und Ausweise in Scheckkartenformat
Auftragnehmer:
Österreichische Staatsdruckerei GmbH
Die Österreichische
Staatsdruckerei GmbH wurde im Jahre 2000 zu 100% an ein privates
Konsortium verkauft. Im Geschäftsjahr
2009/10 machte dieses Unternehmen einen Umsatz von
41,51 Mio. EUR wovon auf das Inland
38,50 Mio. EUR und auf das Ausland 3,00 Mio. EUR
entfielen. Der überwiegende Teil der Umsätze entfallen auf die
Lieferung von
Sicherheitsdokumenten, die auf Basis
langfristiger Lieferverträge erfolgen.
Seit Beginn des Jahres 2000 wurde
die Österreichische
Staatsdruckerei GmbH vom BMI mit der
Erbringung von sogenannten „Integratorleistungen“ in Verbindung mit
der Einführung des neuen
Sicherheitspasses und von Ausweisen im Scheckkartenformat (Führerscheine,
Personalausweise
etc.) beauftragt. Dies erfolgt jeweils nach
folgendem Schema: Das BMI vergibt einen langfristigen
Auftrag für das jeweilige Produkt ohne Ausschreibung an die
Österreichische Staatsdruckerei
GmbH, diese wiederum gibt die Aufträge kurzfristig mit einer hohen
Gewinnspanne an andere
Unternehmen im In- und Ausland weiter. Die Österreichische Staatsdruckerei
könnte diese
Aufträge gar nicht selbst ausführen, da sie weder über eine
ausreichende Kapazität aufgrund von
langjährigen unterdurchschnittlichen Investitionen in Technische Anlagen
und Maschinen, noch
über die entsprechenden Lizenzen für wichtige Sicherheitsfeatures
verfügt.
Rahmenvereinbarungen für die Produktion von
Ausweisdokumenten wurden von der
Staatsdruckerei unter anderem mit den
beiden Deutschen Firmen Gieseke & Devirent GmbH und
Gemalto GmbH sowie mit der Schweizer Firma Trüb AG abgeschlossen.
Die
Stückkosten
für Reisepässe oder für andere Ausweise sind dadurch für
die Republik Österreich
mindestens doppelt so
hoch wie für andere vergleichbare Staaten.
Weiters
wurde die Österreichische Staatsdruckerei GmbH seit dem Jahr 2000 ohne
Ausschreibung
vom BMI mit
Herstellung von einfachen Druckereiprodukten wie diversen Antragsformularen,
Erklärungsblättern, Informationsblättern und eines Internet
Portals beauftragt. Darüber hinaus
wurden Aufträge über Fotokleber für Führerscheine,
Änderungsvignetten, Drucksorten für
Volksbegehren, die Europawahl und Zivildienstausweise sowie die Erbringung von
Biometrieberatungsleistungen ohne
Ausschreibung erteilt.
Das BMI beruft sich
bei der ausschreibungslosen Auftragsvergabe an die Staatsdruckerei auf das
Staatsdruckereigesetz. Dieses Verwaltungsorganisationsgesetz, das noch aus der
Zeit stammte als
die Staatsdruckerei ein Teil der Bundesverwaltung war, wurde nie formell
aufgehoben. Nach
allgemein anerkannter Rechtsauffassung ist es aber materiell nicht mehr in
Kraft. Aufgrund des
Staatsdruckereigesetzes
führt die
Staatsdruckerei auch das Bundeswappen, das sonst nur
öffentlichen Organisationen
vorbehalten ist. Auch wurde dem Unternehmen nach der Privatisierung
gestattet weiterhin den Namen Staatsdruckerei zu führen.
Staatsdruckerei ist ein internationaler
gebräuchlicher Fachbegriff für Sicherheitsdruckereien im Staatlichen
Eigentum. Auch führt die
Gewerkschaft Öffentlicher
Dienst auf ihrer Homepage die Staatsdruckerei als Öffentliches
Unternehmen.
Dies alles
dient dazu in der Bevölkerung den Eindruck zu erwecken es handle sich
bei der
Staatsdruckerei um
ein Öffentliches Unternehmen im Eigentum der Republik, dem diese
Privilegierung zustünde.
Im Beirat genannten
Aufsichtsrat der Österreichischen
Staatsdruckerei GmbH war der ehemalige
Kabinettschef unter BM Dr. Ernst Strasser
Christoph Ulmer. Dr. Ernst Strasser folgte ihm in dieser
Position. Dr. Ernst Strasser hat auch einen Beratervertrag mit diesem
Unternehmen. Thomas Zach,
der von 2001 bis 2002 im Bundesministerium für Inneres im Kabinett des
Bundesministers Strasser
war, wurde ab 2003 bei der Österreichischen Staatsdruckerei
beschäftigt. Heute ist er Vorstand der
Österreichischen Staatsdruckerei Holding AG und
Geschäftsführer der Österreichischen
Staatsdruckerei GmbH.
Die unterzeichnenden Abgeordneten stellen aus den dargelegten Gründen folgende Anfrage:
1. Welche Aufträge (entgeltlich oder unentgeltlich sowie unter Anführung des Vergabedatums, des Auftragswertes und des Leistungsumfanges jedes einzelnen Auftrages) wurden seit Beginn des Jahres 2000 von Seiten des BMI an die Firmen
1) CIN Consult Unternehmensberatungs GmbH
2) cce - consulting, coaching & educating-gesmbh
3) advisory partners OG
4) BCD Business Consulting & Development GmbH
5) ZSA Strategy Consultants GmbH
6) EXPERT Managementberatung Russia GmbH
7) G4S Security Services AG, 1200 Wien
8) Securiguard, Inc. & Group 4 Securitas Austria Aktiengesellschaft OEG
9) G4S Security Systems GmbH
10) Data-Storage Datenträger-Depot Gesellschaft m.b.H.
11) G4S biss GmbH
12) VeloMeter Gesellschaft für Messtechnik und Verkehrsüberwachung mbH
13) G4S Dienstleistungs GmbH
14) Österreichische Staatsdruckerei GmbH
15) VCP Energy Holding GmbH
16) VCP Energy & Power GmbH nunmehr: DTT Technology Investments GmbH
17) BCD Business Consulting & Development GmbH
18) VCP Power Holding GmbH
19) Bioenergy Holding GmbH
20) C.F.U. Unternehmensberatungs und Beteiligungs GmbH
21) Headquarter Werbeagentur GmbH
22) Headquarter Werbeagentur GmbH & Co. KG
23) Working Capital Privatstiftung
24) Working Capital Establishment mit Sitz in Vaduz
25) VCC Vermögens Consulting und Controlling GmbH
26) VCP Capital Partners Unternehmensberatungs AG
27) Saphros Privatstiftung
28) CE Oil Trading AG nunmehr: CE Oil Trading GmbH in Liqu.
29) VCP Divestment AG nunmehr: WKB Divestment GmbH in Liqu.
30) Catro Personalsuche und -auswahl Gesellschaft m.b.H. nunmehr: CONCRETE SEARCH Personalsuche und -auswahl Gesellschaft m.b.H.
31) Rail Holding AG
32) WESTbahn Management GmbH
33) N.N., 1180 Wien
34) Brandstätter
Business Communications - Agentur für Strategie, PR und Coaching
GmbH,
35) LEADING Advisors Group GmbH
36) Vitosha Unternehmensbeteiligungs AG nunmehr: Boundless Public Relations AG
37) ALMO
Sicherheitsnetz Errichtungs- und BetriebsgmbH nunmehr: TETRON
Sicherheitsnetz
Errichtungs- und BetriebsgmbH
38) REPUCO Unternehmensberatung GmbH
39) Peritia Communications GmbH
40) Österreichische Staatsdruckerei Holding AG
sowie an
Dr.
Ernst Strasser
Dr.
Christoph Ulmer
N.N.
Wolfgang Gattringer
Thomas
Zach
vergeben?
2.
Erfolgten die Auftragsvergaben jeweils konform den Standards des Übereinkommens
der
Vereinten Nationen (UNCAC) (separat aufgelistet für jeden Auftrag)?
3.
Erfolgten die Auftragsvergaben jeweils konform den Standards des
Europarats (SEV-Nr.:
173 und 174) (separat aufgelistet für jeden Auftrag)?
4.
Nach welcher gesetzlichen Grundlage und nach welcher Vergabemethode
erfolgte jeweils
die Vergabe (separat aufgelistet für jeden Auftrag)?
5.
Wurde ein Verbot der Zahlung von Provisionen durch den Auftragnehmer im
Zusammenhang mit dem Auftrag vereinbart (separat aufgelistet für jeden
Auftrag)?
6. Wenn nein: warum nicht (separat aufgelistet für jeden Auftrag)?
7.
Wenn ja: Wurde eine Pönale im Falle der Zahlung von Provisionen
durch den
Auftragnehmer im Zusammenhang mit dem Auftrag vereinbart (separat aufgelistet
für jeden Auftrag)?
8. Wenn ja: In welcher Höhe (separat aufgelistet für jeden Auftrag)?
9.
Wer ist im Ministerium für diese einzelnen Vergaben zuständig
gewesen (unter separater
Nennung des Namens der jeweiligen Person und des Auftrags)?
10.
Wurden im Zusammenhang mit den jeweiligen Vergaben Weisungen an die für
die
Vergaben zuständigen Mitarbeiter erteilt (separat aufgelistet für
jeden Auftrag)?
11.
Welche langfristigen finanziellen Verpflichtungen für die Republik
Österreich wurden vom
BMI im Zuge der Auftragsvergaben vertraglich eingegangen (unter Nennung des
Gesamtbelastungssumme während der gesamten Vertragslaufzeit und separat
aufgelistet für
jeden Auftrag)?