9016/J XXIV. GP

Eingelangt am 07.07.2011
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Am 23.08.2016 erfolgte eine vertraulichkeits-/datenschutzkonforme Adaptierung

 

ANFRAGE

 

der Abgeordneten Mag. Ewald Stadler,

Kolleginnen und Kollegen

an die Bundesministerin für Justiz Mag. Dr. Beatrix Karl

betreffend ungerechtfertigte Weisung zur Ausscheidung von drei Tatverdächtigen im ersten Libro-Prozess

 

 

Im sogenannten ersten Libro-Prozess hat die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt zu GZ 6 St 302/04v am 02. September 2004 den Entwurf einer Anklageschrift gegen insgesamt sechs Beschuldigte der Oberstaatsanwaltschaft Wien zur Genehmigung vorgelegt.

Mit Weisung des Leiters der Oberstaatsanwaltschaft Wien, Dr. Werner Pleischl, vom 30. März 2005, GZ 2 OStA 347/05s, genehmigt mit Erlass des BMJ vom 18. März 2005, GZ BMJ-4002412/0004-IV 2/2004, wurden drei der sechs Beschuldigten des Anklageentwurfes ausgeschieden! Hiebei handelte es sich um die Beschuldigten N.N., August Andre DE ROODE und Dr. Falko MÜLLER-TYL. Die restlichen drei Beschuldigten wurden unter Anklage gestellt und im sogenannten ersten Libro-Prozess verurteilt.

Die zitierte Weisung der Oberstaatsanwaltschaft beruht in entscheidenden Punkten auf aktenwidrigen Ausführungen und rechtsunrichtigen Beurteilungen, welche eigenartigerweise von Ihrem Ministerium unkritisch dem zitierten Erlass zugrundegelegt wurden.


In diesem Zusammenhang wird auf die ganzseitigen Berichte der Ausgaben der Tageszeitung "Kurier" vom 26. Juni 2011, Seite 6, und vom 6. Juli 2011, Seite 18, verwiesen. Ihr Pressesprecher Peter Puller hat mit Schreiben vom 6. Juli 2011 an den "Kurier"-Chefredakteur einen Entgegnungstext zum "Kurier"-Artikel vom 5. Juli 2011 übermittelt, in welchem gleich mehrfach aktenwidrige und unrichtige Ausführungen vorhanden sind. So wird beispielsweise auf Seite eins der Entgegnung unrichtigerweise behauptet, das Ergebnis des Beweisverfahrens hätte unwiderlegbar (!) ergeben, dass der Beschuldigte (?), bei Abschluss der Vereinbarung auf Einzahlung des Gewinnscheines nicht erkannt hätte, dass sich der Niedergang der Libro AG abzeichne. Diese Darstellung ist zunächst aktenwidrig, die sich aus dem Anklageentwurf der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt zweifelsfrei erschließen lässt und ist im Übrigen vor dem Hintergrund des Tatbildes des Verbrechens der teils vollendeten, teils versuchten betrügerischen Krida nach § 156 Absatz 1 und 2 StGB rechtlich irrelevant.

Noch deutlicher wird die Aktenwidrigkeit des Entgegnungstextes Ihres Pressesprechers Puller hinsichtlich der unrichtigen Behauptung, dass es für die Beschuldigten N.N., DE ROODE und MÜLLER-TYL keinen Hinweis gegeben habe, dass sie Erklärungen bezüglich des Vermögens des RETTBERG abgegeben hätten. Diesbezüglich wird lediglich auf die Ausführungen der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt im Anklageentwurf auf den Seiten 15-19 und die dort genannten Belegstellen des Ermittlungsaktes verwiesen.

Im Ergebnis war es hiedurch dem ausgeschiedenen Hauptverdächtigen, gegen den bereits der Sanierer der damals größten heimischen Immobiliengruppe "Residenz, Hansjörg Tengg" eine Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft richtete, die zum damaligen Zeitpunkt unverständlicherweise ebenfalls  zurückgelegt wurde, möglich, durch seine zweifelhafte Geschäftstätigkeit in weiterer Folge nicht nur zahlreiche Privatanleger zu schädigen, sondern pikanterweise sogar die Wirtschaftskammer Wien und die Wirtschaftskammer Österreichs, sowie die Pensionskasse der Sozialversicherung zu schädigen. Der diesbezügliche Schaden wird mit mindestens 20 Millionen Euro veranschlagt.

Das gegen Dr. Pleischl wegen seiner Weisung vom 30. März 2005 bei der STA Innsbruck zu GZ 22 St 37/11a geführte Strafverfahren wurde mit Benachrichtigung vom 16. Juni 2011 mit der Begründung eingestellt, dass die Weisung des Dr. Pleischl nicht eigenmächtig erfolgt sei, sondern auf einen Erlass Ihres Ministeriums beruhe. Dabei wird allerdings übersehen, dass der Erlass des Ministeriums wiederum auf die Darstellung der Oberstaatsanwaltschaft zurückzuführen ist.


Anfrage

1. Wurden strafrechtliche Ermittlungen gegen N.N. im Zusammenhang mit seiner Vorstandstätigkeit bei der "Residenz-Immobiliengruppe" und der von dieser ab Mitte der 80er-Jahre verursachten massiven Schädigung von Anlegern und Gläubigern geführt? Wenn ja, von welcher Staatsanwaltschaft bzw. von welchem Gericht (AZ) mit welchen Ergebnissen?

 

2. Wurde in diesem Zusammenhang Anklage gegen N.N. erhoben? Wenn nein, aus welchen Gründen unterblieb eine Anklage?

 

3. War der Verdacht der Beteiligung, an betrügerischen Kridahandlungen, derentwegen Andre Maarten RETTBERG, Mag. Michael LÖB und Dr. Gerhard ECKERT vom Landesgericht Wiener Neustadt zu AZ 46 Hv 9/05d und 46 Hv 48/06s rechtskräftig verurteilt wurden, Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen auch gegen N.N.. Dr. Falko MÜLLER-TYL und August Andre DE ROODE? Wenn ja, mit welchem Ergebnis?

 

4. Wurden im bezughabenden Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt, AZ 2 St 414/04k, Weisungen durch die Oberstaatsanwaltschaft Wien und/oder des Bundesministerium für Justiz erteilt?

 

5. Entsprechen auf die Meinungsbildung innerhalb der Oberstaatsanwaltschaft Wien zu diesem Ermittlungsverfahren bezugnehmende Medienberichte (beispielsweise Format vom 25. November 2004, "Die Staatsanwälte sind sich über Schuld Rettbergs uneinig, dennoch droht Anklage") den Tatsachen?

 

6. Existiert das in diesem Artikel erwähnte – eine Verfahrenseinstellung vorschlagende – "interne Papier" tatsächlich? – Von wem wurde dieses erstellt?

 

7. Wurde innerhalb der Oberstaatsanwaltschaft Wien untersucht, auf welche Weise die Medien Kenntnis über den Inhalt dieses "internen Papiers" bzw. über die interne Entscheidungsfindung innerhalb der Oberstaatsanwaltschaft Wien erlangten? Welche allfällige Konsequenzen wurden aus den Untersuchungsergebnissen gezogen? Wurden in diesem Zusammenhang Strafverfahren wegen des Verdachtes nach § 310 StGB eingeleitet? Wenn ja, gegen wen  und mit welchem Ergebnis?


8. Wurde der Inhalt dieses "internen Papiers" auch den Beschuldigten bzw. der zuständigen Staatsanwaltschaft eröffnet? Wenn ja, zu welchem jeweiligen Zeitpunkt?

 

9. Entspricht es den Tatsachen, dass die Verteidigung im Rahmen der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht Wiener Neustadt zu AZ 46 Hv 9/05d unter detailreicher Bezugnahme auf den Inhalt dieses "internen Papiers" den Freispruch der Angeklagten gefordert hat?

 

10. Entspricht es den Tatsachen, dass die im Einflussbereich des N.N. stehende OSPA Liegenschaftsverwaltung GmbH, vormals ESPOSA Liegenschaftsverwaltung GmbH, im Verfahren vor dem Landesgericht Wiener Neustadt zu AZ 46 Hv 9/05d, einerseits als Privatbeteiligte auftrat und andererseits die Rückzahlung der von Andre Maarten RETTBERG im Verfahren der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt 2 St 413/04p angeblich in bar einbezahlten Kaution von EUR 150.000,-- beantragte?

 

11. Ist die in den Verfahren vor dem Landesgericht Wiener Neustadt zu 46 Hv 9/05d und zu 46 Hv/06s erfolgte rechtskräftige Verurteilung von Andre Maarten RETTBERG, Mag. Michael LÖB und Dr. Gerhard ECKERT mit den Ergebnissen des "internen Papiers" der Oberstaatsanwaltschaft Wien in Einklang zu bringen? Wäre aufgrund der Ergebnisse dieser Hauptverhandlungen auch eine Einleitung/Fortführung von Ermittlungsverfahren gegen N.N., Dr. Falko MÜLLER-TYL und August Andre DE ROODE wegen des Verdachtes der Beitragstäterschaft zu den urteilsgegenständlichen Handlungen begründbar?

 

12. Warum sind solche Ermittlungsverfahren unterblieben?

 

13. Werden Sie nunmehr im Lichte des zitierten "Kurier"-Artikel für eine neuerliche Überprüfung der Richtigkeit der Weisung vom 30. März 2005 sorgen und allenfalls eine Fortführung des Ermittlungsverfahrens gegen N.N., Dr. Falko MÜLLER-TYL und August Andre DE ROODE veranlassen?

 

14. Wie werden Sie sicherstellen, dass Ihr Pressesprecher nicht weiter mit unrichtigen Entgegnungsbegehren versucht, einseitig auf die "Kurier"-Berichterstattung Einfluss zu nehmen?