11754/J XXIV. GP

Eingelangt am 23.05.2012
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

 

der Abgeordneten Eva Glawischnig-Piesczek, Christiane Brunner, Freundinnen und Freunde an den Bundesminister für Wissenschaft und Forschung

betreffend Forschungsraktor Wien

BEGRÜNDUNG

Der Atomforschungsreaktor im Wiener Prater („Praterreaktor“) soll mit neuen Brennstäben ausgestattet werden und länger als geplant in Betrieb bleiben. Das ist der Inhalt eines bislang geheim gehaltenen Deals zwischen Wissenschaftsminister Töchterle und dem US-Energieministerium. Unseren Informationen zufolge soll das Wissenschafts-Budget dadurch mit bis zu 26 Millionen Euro belastet werden. Die Grünen sind selbstverständlich für die Freiheit der Forschung solange diese ethischen Grundprinzipen entspricht. Aber auch demokratische Prinzipien sind in der Forschungspolitik wichtig. Die Geheimhaltung durch den Wissenschaftsminister lässt uns vermuten, dass die Gelder nicht im besten Sinne der Forschung und der Studierenden verwendet werden.

Kritische Forschung, insbesondere solche die sich mit den katastrophalen Folgen der Kernenergienutzung beschäftigt, haben die Grünen immer unterstützt und werden dies auch weiter tun. Als Alternative zur Laufzeitverlängerung könnten für einen Bruchteil der Kosten Forschungsaufenthalte an Einrichtungen im Ausland finanziert, und damit der internationale wissenschaftliche Austausch verbessert werden. Die eingesparten Mittel würden zusätzlich ausreichen den Studiengang „Internationale Entwicklung“, mit zuletzt 600 Studierenden, über mehrere Jahre aufrechtzuerhalten. Die Kosten hierfür betragen etwa eine Million Euro pro Jahr.

Der Wiener Forschungsreaktor des Typs TRIGA Mark-II wurde 1962 in Betrieb genommen. Nach Auskunft von Insidern wird hier kaum noch neues Wissen generiert. Gerade einmal zwei bis drei Professoren und ca. zehn weitere Personen sollen am Reaktor arbeiten. Der Reaktor dient heute anscheinend in erster Linie zur Weiterbildung von Vertretern der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO).


Die Grünen haben erfahren, dass die Bundesregierung mit den USA offenbar eine Vereinbarung abschließen will, wonach die – teilweise hochradioaktiven – abgebrannten Brennelemente des Wiener Atom-Forschungsreaktors (wahrscheinlich bereits im Jahr 2012) in die USA zurücktransportiert werden sollen. Gleichzeitig sollen neue leicht angereicherte Brennstäbe geliefert werden, um den Reaktor über das geplante Abschaltdatum 2016 hinaus weiter betreiben zu können. Als Teil der Vereinbarung schlägt das österreichische Außenministerium offenbar vor, den Wiener Reaktor künftig als „US Government Asset“ zu klassifizieren, heißt unter die Kontrolle der USA zu stellen – mit unbekannten Folgen für die Österreichische Souveränität.

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1)    Wieso haben Sie weder das Parlament noch die Öffentlichkeit über den geplanten Brennelemente-Tausch und die Betriebsverlängerung des Wiener Atomreaktors informiert?

2)    Welche Kosten entstehen den SteuerzahlerInnen durch den Brennelementetausch und den Weiterbetrieb des Reaktors über die gesamte geplante Laufzeit des Reaktors für Betrieb, Brennelementeentsorgung, Neuausrüstung mit Brennelementen und Rücknahme & Entsorgung der Brennelemente am Ende der Laufzeit? Wie hoch wären andererseits die jährlichen Kosten für die Aufrechterhaltung des Bachelor-Studiums „Internationale Entwicklung“?

3)    Welche konkrete Relevanz hat der Wiener Reaktor noch, die eine Millioneninvestition rechtfertigen würde? Wäre es nicht kosteneffizienter und würde zu besseren Forschungsergebnissen führen, stattdessen in diesem Bereich mit modernen Forschungsanlagen, wie etwa in München, zu kooperieren?

4)    Stimmt es, dass der Wiener Reaktor künftig als „US Government Asset“ klassifiziert werden, heißt unter die Kontrolle der USA gestellt werden soll und falls ja, welche Folgen hat das für die Österreichische Souveränität?

5)    Wie soll das Sicherheitsrisiko und die Gefahr der Proliferation bei der Lagerung und dem An- und Abtransport der Brennelemente minimiert werden? Welche Kosten entstehen dabei? (Anm.: Die derzeit im Wiener Reaktor im Einsatz befindlichen Brennstäbe sind zum Teil hochangereichert (Uran), es handelt sich genau um jene Art von Kernbrennstoff, den Terroristen zum Bau von so genannten „schmutzigen Bomben“ verwenden können.)


Brennelementetausch und Weiterbetrieb

6)    Ist der Rücktransport der Brennelemente in den bestehenden Verträgen zwischen dem Betreiber des Praterreaktors und den Zulieferanten geregelt? Wie lauten die einschlägigen Vertragsbestimmungen im Wortlaut und wann wurden diese Bestimmungen von wem abgeschlossen?

7)    Sofern keine Regeln bestehen, gab es Verhandlungen über den Rücktransport der Brennelemente? Zu welchem Ergebnis haben diese Verhandlungen geführt, bzw. wie ist der Stand der Verhandlungen?

8)    Bis wann kann mit dem Abtransport der Brennelemente gerechnet werden?

9)    Gibt es einen Zeitplan, bis wann der Praterreaktor noch betrieben werden soll? Ist angedacht die Nutzung zu verlängern?

10) Wurde darüber verhandelt oder eine Vereinbarung getroffen neue Brennelemente zu liefern?

11) Welche Vorkehrungen wurden getroffen oder sind geplant, um das Sicherheitsrisiko dem An- und Abtransport von Brennelementen zu minimieren?

12) Beabsichtigt das Wissenschaftsministerium eine Umrüstung des Forschungsreaktors von hochradioaktiver Brennelementen (HEU) auf leichtradioaktive Brennelemente (LEU)?

13) Sind dafür politische Beschlüsse, Genehmigungen der Verwaltung und/oder technische Umbaumaßnahmen notwendig?

14) Sollte eine Rückführung der Brennelemente in die USA nicht möglich sein: Welche Alternativen sind seitens des Wissenschaftsministeriums ausgearbeitet oder angedacht:

-      Zwischen- oder Endlagerung der Brennelemente in einem anderen Land als dem Herkunftsland?

-      Zwischen- oder Endlagerung der Brennelemente in Österreich? Wenn ja wo und in welcher Form und mit welchen Kosten?

-      Andere Optionen?

15) Sollte die Errichtung eines Zwischen- und/oder eines Endlagers für die Brennelemente notwendig werden, welche Bewilligungsverfahren sind dabei zu beachten und mit welchen Kosten ist zu rechnen?

 

Mögliche Störfälle

16) Ist ihnen die Publikation „Accident scenarios of the TRIGA Mark II reactor in Vienna von Mario Villa, Markus Haydn, Georg Steinhauser und Helmuth Böck aus der Fachzeitschrift Nuclear Engineering and Design 240 (2010) 4091–4095“ bekannt?

17) In diesem Fachartikel ist ein Sicherheitsbericht aus dem Jahr 2006 zitiert: „Atominstitut, 2006. Sicherheitsbericht des Atominstituts [safety report of the Atominstitut], Atominstitut, Vienna.“ Wurde dieser Sicherheitsbericht von Ihrem Ministerium eingeheng geprüft und wenn ja, wie lautet das einschlägige Urteil?

18) Wurden seither neue Sicherheitsberichte des Atominstitutes erstellt, die Ihnen bekannt bzw. Ihnen zur Abnahme vorgelegt wurden?


19) Welche methodischen Vorgaben gibt es seitens des Wissenschaftsministerium bzgl. der Erstellung von Sicherheitsberichten betreffend das Atominstitut insb. den Praterreaktor betreffend?

20) Wurde im Zuge der Abnahme des Sicherheitsberichtes des Atominstitutes überprüft, ob gegenüber vergleichbaren Sicherheitsberichten auch vergleichbare Analysemethoden Verwendung fanden?

21) Warum wurde bei der Untersuchung von Störfällen insb. bei den Ausbreitungsmodellen keine unterschiedlichen Windgeschwindigkeiten und Windrichtungen unterstellt?

22) Warum wurde bei der Untersuchung von Störfällen insb. bei den Ausbreitungsmodellen keine nassen Depositionen unterstellt?

23) Wurden im Zuge der Abnahme der obig zitierten Sicherheitsberichte externe Konsulenten ergänzend zu Rate gezogen und wenn ja, um welche Experten handelt es sich hierbei?

24) Wurde seitens der Betreiber des Reaktors im Zusammenwirken mit der Wiener Landesregierung ein Katastrophenplan ausgearbeitet, welcher spezielle Maßnahmen im Falle einer möglichen bzw. stattfindenden Freisetzung von Radioaktivität zum Inhalt hat?

25) Wie groß ist die infolge einer maximalen Freisetzung von Radioaktivität erwartbare Zone in und außerhalb des Stadtgebietes von Wien im Falle von nassen und trockenen Deposition sowie unterschiedlichen Windgeschwindigkeiten?

26) Welche Gesundheitsgefährdungen sind im Falle ungünstiger meteorologischer Bedingungen und im Falle maximaler Freisetzung von Radioaktivität für die im Umkreis von ca. 4 km von der Anlage entfern wohnenden bzw. arbeitenden MitbürgerInnen zu erwarten?

27) Auf wie hoch wird die Strahlendosisbelastung im maximal ungünstigsten Fall für die im Umkreis der Anlage lebenden, wohnenden bzw. arbeitenden MitbürgerInnen geschätzt?

28) Auf wie hoch beläuft sich die Haftungssumme, die infolge eines schweren Unfalles schlagend werden könnte im Vergleich zu den letztmalig (wann?) abgeschätzten Schadenskosten?

 

Forschung im Reaktor

29) Medienberichten zufolge hebt das Ministerium und die TU die „exzellente Arbeit“ der Kernforschung hervor. Im Zusammenhang mit der Katastrophe von Fukushima hätten die Forscher „ihre Kompetenz unter Beweis gestellt“ (KURIER, 8. Mai 2012).

-      Welche im Praterreaktor erzielten Forschungsergebnisse wurden in den vergangenen Jahren erzielt? Welche wissenschaftlichen Publikationen liegen darüber vor?

-      Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Forschung im Praterreaktor und der Atomkatastrophe von Fukushima, bzw. der Bewältigung der Folgen?

-      Welche Lehrstühle und welche Studiengänge nutzen den Reaktor?

-      Wie viele Lehrkörper und wie viele Studierende nutzen den Reaktor wie häufig?

30) Wird der Praterreaktor auch von anderen Institutionen als der TU Wien genutzt? Welche universitätsfremden Institutionen haben Zugang zu dem Reaktor, bspw. Mitarbeiter oder Beauftragte der IAEO? Zu welchem Zweck nutzen diese den Reaktor?

31) Beteiligen sich diese Institutionen an den Kosten?

 

Sicherheit des Personals

32) Gemäß welchen innerösterreichischen bzw. international verbindlichen Richtlinien erfolgen Schutz, Überwachung und Kontrolle der Sicherheit von Anlage und Personal des Atominstituts?

33) Entsprechenden die vorgesehenen Schutzmaßahmen der internationalen Praxis und in welcher Form ist dies nachvollziehbar?

34) Wann erfolgte die letztmalig durchgeführten Überprüfungen zu Schutz, Überwachung und Kontrolle der Sicherheit von Anlage und Personal? Wer hat diese Überprüfungen durchgeführt?

35) Ist es zutreffend dass es diesbezüglich bislang kein referenzierbares international verbindliches Regelwerk für Forschungsreaktoren gibt?

36) An welchem Regelwerk welchen Landes sind die Sicherheitsbestimmungen für den Forschungsreaktor im Wiener Prater orientiert?

37) Erfolgte im Zuge der Ausarbeitung dieser Sicherheitsrichtlinien eine Abstimmung mit anderen Ministerien bzw. deren Dienststellen?

38) Wurden für die Erstellung der erforderlichen Sicherheitsrichtlinien Beratungsverträge mit Dritten abgeschlossen? Wenn ja wann zu welchem Thema und mit welchen Kosten?

39) In welchen periodischen Abständen erfolgen sicherheitsrelevante Überprüfungen für den Praterreaktor und welche Dienststellen auf Bundes- und Landesebene bzw. externe Berater im Auftrag von EU- bzw. IAEA wurden hierzu beigezogen?

 

Verhinderung von Proliferation

40) Ist Ihnen die Resolution des UN Sicherheitsrates 1540 zur Kontrolle der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen aus dem Jahr 2004 bekannt?

41) Wie viele bislang ungenutzte und wie viele verbrauchte Brennelemente lagern auf dem Areal des Forschungsreaktors der Universitäten im Wiener Prater?

42) Welche Aktivität haben diese Brennelemente? Welchen Grad an Urananreicherung haben die genutzten Brennelemente?

43) Werden die gebrauchten Brennelemente in einen Trockenlager oder Nasslager gelagert? Welche Sicherheitsvorschriften werdend dabei angewendet?

44) Welche Vorkehrungen, kontrolliert von welchen Behörden, wurden wann letztmalig durchgeführt, um sicherzustellen, dass die Brennelemente gegen Diebstahl (demzufolge Proliferation) nach dem aktuellen Stand des Wissens und der Technik gesichert sind?

45) Wann fand letztmalig eine Überprüfung der bislang unbenutzten Brennelemente im Praterreaktor statt?

 

Schutz vor Erdbeben

46) Entsprechen die Gebäude des Atominstitutes insbesondere die Reaktorhalle und der Reaktor selbst den aktuell geltenden Bestimmungen des Eurocode 8? Wenn ja, wann wurde dies letztmalig untersucht und von wem bescheinigt?

47) Sind die Gebäude des Atominstitutes in der Lage einem Erdbeben standzuhalten, wie es nach aktuellem Stand des Wissens und der Technik im Wiener Raum auftreten könnte?

48) Was wären die radiologischen Folgen eines für den Wiener Raum nach derzeitigem Stand des Wissens auftretenden Erdbebens für die Gebäude des Atominstitutes der österr. Universitäten?

49) Sind Umbauten an den Gebäuden des Atominstitutes vorgesehen, sofern durchgeführte Untersuchungen Nachrüstungsbedürfnisse ergeben haben? Mit welchen Kosten ist hierfür zu rechnen? Wann sollen diese Umbauten erfolgen?

 

Dekommissionierung

50) Aus den Erfahrungen der bereits durchgeführten Dekommissionierung der Forschungsreaktoren in Graz und Seibersdorf sollte dem Wissenschaftsministerium bekannt sein, mit welchen Kosten für eine Dekommissionierung des Praterreaktors zu rechnen sein wird. Wie hoch waren die jeweiligen Dekommissionierungskosten für die obig genannten Forschungsreaktoren? Insbesondere für

-      Transportkosten ab Forschungsreaktor bis zum Standort des Abfallentsorgers?

-      Entsorgungskosten für die Brennelemente – aufgegliedert nach Gewicht und Grad der Anreicherung?

-      Abbaukosten für die verstrahlten Komponenten des Reaktors?

-      Konditionierungskosten für die verstrahlten Komponenten des Reaktors?

-      Lagerkosten in Seibersdorf für konditionierten verstrahlten Komponenten des Reaktors?

-      Kosten für den Abriss der nicht verstrahlten Teile des Reaktorgebäudes?

-      Gesamtkosten der öffentlichen Hand?