11785/J XXIV. GP

Eingelangt am 01.06.2012
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

ANFRAGE

 

der Abgeordneten Gerhard Huber,

Kolleginnen und Kollegen

 

an Frau Bundesministerin für Justiz Mag. Dr. Beatrix Karl

 

betreffend das „System Lyoness“

 

 

Anfang September 2011 wurde die als Anlage beigeschlossene Sachverhaltsmitteilung betreffend die „Firmengruppe Lyoness“, das heißt: Lyoness International AG, Lyoness Europe AG samt Tochterfirmen und CEO Hubert FREIDL, alle als „Verdächtige“, an die Staatsanwaltschaft Graz übermittelt. Seit der Sachverhalt den Untersuchungsbehörden bekannt gemacht wurde, sohin in mehr als acht Monaten, wurde offensichtlich kein einziger Ermittlungsschritt gesetzt. Nach monatelanger Untätigkeit der Ermittlungsbehörde ist das Verfahren derzeit registriert bei der WK-StA zu 9 St 14/12h.

 

Das „System Lyoness“ integriert in das Geschäftsmodell einer Einkaufsgemeinschaft, die Rabatte erwirtschaftet und verteilt (ein bis zwei Prozent der Einkaufssumme), ein Pyramidenspiel im klassischen Sinn des Wortes: Der Spieler, im System Lyoness „Businesspartner“ bzw „Premiummitglied“ genannt, tätigt „Anzahlungen auf zukünftige Einkäufe“, welche bei Erfüllung der Spielbedingungen insbesondere zu folgenden geldwerten Vorteilen führen: Ein ca Fünffaches des einbezahlten Betrages in Einkaufsgutscheinen und zusätzlich ein Dreifaches des einbezahlten Betrages in Cash. Das Gewinnversprechen im Spiel um „Anzahlungen auf künftige Einkäufe“ beträgt sohin das Achtfache des Einsatzes; der Spieler wettet bei Lyoness um siebenfachen (!) Gewinn.

 

Wesentliche Spielbedingung ist die Akquisition von Businesspartnern bzw Premiummitgliedern im „Schneeballsystem“. Die akquirierten Businesspartner sollen wiederum „Anzahlungen auf künftige Einkäufe“ tätigen. Um das Spiel zu gewinnen und somit das Achtfache des eingesetzten Betrages zu lukrieren, müssen acht direkte und zusätzlich 32 indirekte Businesspartner gewonnen werden. Die Spielerpyramide, die im System Lyoness typischer Weise vorausgesetzt wird, entwickelt sich somit „acht hoch zwei“. Das bedeutet in Zahlen: Erste Ebene: ein Spieler; zweite Ebene: acht Spieler; dritte Ebene: 64 Spieler; vierte Ebene: 512 Spieler; fünfte Ebene: 4096 Spieler; sechste Ebene: 32.768 Spieler; siebente Ebene: 262.144; achte Ebene: 2,097.152; neunte Ebene: 16,777 Mio Spieler; zehnte Ebene: 134,216 Millionen Spieler; elfte Ebene: 1.073,728 Millionen (über eine Milliarde Spieler); zwölfte Ebene: mehr als acht Milliarden Spieler. Eine „alternative Karrieremöglichkeit“ mit geminderter Gewinnerwartung findet mit vier direkt akquirierten Businesspartnern das Auslangen (setzt jedoch 36 indirekte voraus).

 

Die „Anzahlung auf künftige Einkäufe“, dh der Eintrittspreis in das System, mit dem gespielt wird, wird gerade auch nach den in Österreich verwendeten Geschäftsbedingungen als eine unvollständig bezahlte Bestellung dargestellt – so ausdrücklich der CEO HUBERT FREIDL in einer Zeugenaussage vor dem Landesgericht Klangfurt am 9.2.2012 (19 Hv 127/11h des LG Klagenfurt). Um den Spieleinsatz, die „Anzahlung auf künftige Einkäufe“, alternativ zu amortisieren, muss der Businesspartner die unvollständig bezahlte Bestellung vollständig bezahlen. Dies bedeutet nach den in Österreich verwendeten Allgemeinen Geschäftsbedingungen, dass typischer Weise das 32fache (!) des Spieleinsatzes aufbezahlt werden muss.

 

Der Businesspartner (das Premiummitglied) von Lyoness spielt in Österreich mit einem Betrag, der drei (!) Prozent der getätigten Bestellung ausmacht. Der Spieler, der keine acht direkte und 32 indirekte bzw zumindest vier direkte und 36 indirekte Businesspartner gewinnt, hat nur die Option, auf 100% der Bestellung aufzuzahlen (und den entsprechenden Einkaufsgutschein zu konsumieren) oder auf seinen Spieleinsatz zu verzichten (wobei die Hoffnung auf neue Businesspartner immer bleibt). Gespielt wird mit „Anzahlungen“ von EUR 2.000,-- bis sogar EUR 50.000,-- (!).

Es versteht sich von selbst, dass niemand die Option wählt, die „Bestellung“ vollständig zu bezahlen in der Folge zB bei „JamJam“ um EUR 64.000,-- einzukaufen (ausgehend von einer „Anzahlung“ von EUR 2.000,--).

Selbst wenn der gescheiterte Businesspartner die Variante wählt, die getätigte Bestellung, die unvollständig bezahlt wurde, vollständig zu bezahlen (und den Warengutschein zu beziehen – sofern er dazu finanziell überhaupt in der Lage ist), verbleiben dem Unternehmen die „Anzahlung“ ungeschmälert als Erlös, weil Lyoness die Einkaufsgutscheine mindestens mit vier Prozent Rabatt auf das Nominale erwirbt.

 

Es liegen somit alle (!) Anhaltspunkte für ein rechtswidriges Schneeballsystem vor:

Ø Die Verdienstmöglichkeit bestehen ausschließlich in den Vorteilen, die für die Anwerbung neuer Mitglieder gewährt werden; (sobald die „Pyramide“ gefüllt ist, lukriert der Spieler 700% Gewinn)

Ø Das vertriebene Produkt ist überteuert; (wer zB um EUR 64.000,-- bei „JamJam“ einkauft, würde persönlich weit höhere Rabatte aushandeln, als das zwei Prozent, welche Lyoness als Bonus gutschreibt)

Ø Die Handelsmarge oder Vertriebsprovision ist für Produkt und Branche ungewöhnlich hoch. (700% Gewinn!)

Ø Es gibt kaum Kunden, die das Produkt zum angebotenen Preis ohne Provisionsaussichten erwerben würden. (niemand würde einen Einkaufsgutschein über den Betrag von EUR 64.000,-- bei der Firma „JamJam“ erwerben)

 

Auf der Basis dieses Systems wurden seit Gründung von Lyoness Österreich und Expansion des Unternehmens in 36 (!) Länder ca. 500 bis 600 Mio. EUR von „Businesspartnern“ als „Anzahlungen auf zukünftige Einkäufe“ eingespielt; davon fließen ca. 20 bis 25 % an Provision in ein „Kariere-System“ von Businesspartnern. Allein im Jahr 2011 haben österreichische Opfer rund 45 Mio. EUR in dieses System investiert; dies in der Hoffnung, als Businesspartner bzw. Premiummitglieder aus EUR 2.000,00 einen „Ertrag“ von EUR 10.500,00 in Warengutscheinen und EUR 6.072,00 als Geldauszahlung zu gewinnen.

 

Die Ermittlungsbehörden sind offensichtlich mit Pyramidenspielen im Schneeballsystem überfordert, obwohl diese seit weit über hundert Jahren bekannt sind. So warnten die Innsbrucker Nachrichten. Nr. 123 (30. Mai). Innsbruck 1900, S.3 u. Nr. 173 (31. Juli). Innsbruck 1900, S.3. mit folgendem Artikel:

Der Uhren-Coupon-Schwindel von welchem in diesem Blatte schon die Rede war, scheint sich auch auf andere Handelszweige auszudehnen. Vorige Woche erhielten in F. mehrere Personen Circulare der Fahrradfirmen „Multiplex“ und „Elliot“ in Berlin. Beide Firmen offerieren Fahrräder für 9 respektive 10 Kronen, der Käufer muss jedoch 50 Kronen einsenden, worauf er vier Gutscheine erhält, die er an andere á 10 Kronen verkaufen kann. Sobald nun jeder der vier anderen 40 Kronen eingesendet hat, erhält unser Käufer das Rad, sodass die Firma tatsächlich 50 Kronen und 4 × 40 Kronen = 210 Kronen eincassiert hat, bevor sie ein Rad liefert. Für jedes weitere Fahrrad scheint sie nur 4 × 40 Kronen einzunehmen, jedoch ist zu bedenken, dass viele, ja vielleicht die Mehrzahl, 40 bzw. 50 Kronen einsenden, ohne ein Fahrrad zu erhalten. Unser Käufer hat also ein Bicycle für 10 K, welches aber diejenigen bezahlen, denen es nicht gelingt, vier weitere Narren zu finden.“

Was die Reporterin des Artikels vom 30. Mai 1900 (Beispiel aus „Wikipedia, Schneeballsystem) offensichtlich sofort verstanden hatte, können die Strafverfolgungsbehörden heute scheinbar nicht mehr nachvollziehen: Im „System Lyoness“ bleiben notwendig zehntausende „Premiummitglieder“ laufend auf der Strecke!

 

 

In diesem Zusammenhang richten die unterfertigten Abgeordneten an die Bundeministerin für Justiz folgende

 

Anfrage:

 

1. Ist der Frau Justizminister bekannt, dass die Fa. Lyoness in Österreich ein Geschäftsmodell („Spiel“) anbietet, wonach Bareinzahlungen an Lyoness mit einem 700%igen Gewinnaufschlag refundiert werden, wenn es dem Spieler (Businesspartner) gelingt, insgesamt 40 Einzahler für den selben Betrag zu gewinnen?


2. Ist der Frau Justizminister bekannt, dass die Fa. Lyoness in Österreich ein Geschäftsmodell („Spiel“) anbietet, das in seiner Grundform auf der zweiten Ebene acht Mitspieler voraussetzt und auf jeder weiteren Ebene das Produkt mit Acht, sodass hypothetisch bereits auf der elften Ebene eine Milliarde Mitspieler vorausgesetzt werden, wenn niemand in seinen von Lyoness geweckten Gewinnerwartungen enttäuscht würde?

 

3. Ist der Frau Justizminister bekannt, dass die Fa. Lyoness in Österreich den Einsatz bei diesem Spiel als „eine unvollständig bezahlte Bestellung“ deklariert?

 

4. Ist der Frau Justizminister bekannt, dass die Fa. Lyoness in Österreich als alternative Amortisation nur die Möglichkeit eröffnet, das 32fache des Einsatzes „nach zu bezahlen“ um die Bestellung (Warengutschein) zu erfüllen, sodass beim typischen Spieleinsatz von EUR 2.000,-- EUR 62.000,-- nachbezahlt werden müssten, um einen Warengutschein über EUR 64.000,-- zu erwerben?

 

5. Ist der Frau Justizminister bekannt, dass die Fa. Lyoness mit diesem System alleine im Jahr 2011 österreichische Anleger veranlasst hat, geschätzt EUR 45 Mio. bei Lyoness Österreich in „Anzahlungen auf zukünftige Einkäufe“ zu investieren?

 

6. Wie ist es möglich, dass seit Mitteilung dieses Sachverhalts an die Staatsanwaltschaft Graz Anfang September 2011 über acht Monate lang keine Ermittlungsschritte gesetzt wurden?

 

 

 

Anmerkung der Parlamentsdirektion:

 

Die vom Anfragesteller übermittelten Anlagen stehen nur als Image, siehe

Anfrage (gescanntes Original)

zur Verfügung.