Entwurf (17.2.2012)

Bundesgesetz, mit dem das Gerichtsorganisationsgesetz, die Jurisdiktionsnorm, das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, das Gerichtsgebührengesetz und die Strafprozessordnung 1975 geändert werden

Der Nationalrat hat beschlossen:

Artikel X1

Änderung des Gerichtsorganisationsgesetzes

Das Gerichtsorganisationsgesetz (GOG), RGBl. Nr. 217/1896, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 136/2011, wird wie folgt geändert:

1. Nach § 15 wird folgender § 16 samt Überschrift eingefügt:

„Hausordnung

§ 16. (1) Die jeweilige Dienststellenleitung hat in Ausübung ihres Hausrechts für die dem Betrieb des Gerichts bzw. der Staatsanwaltschaft gewidmeten Teile des Gebäudes eine Hausordnung zu erlassen.

(2) Die Hausordnung hat jedenfalls einen Hinweis auf das Waffenverbot gemäß § 1 und auf die Zulässigkeit von Sicherheitskontrollen nach den Bestimmungen der §§ 3 ff zu enthalten.

(3) Weiters ist in die Hausordnung aufzunehmen, dass aus besonderem Anlass weitergehende Sicherheitsmaßnahmen angeordnet werden können, wie insbesondere

           1. Personen- und Sachenkontrollen durch Organe der Sicherheitsbehörden oder durch andere Kontrollorgane (§ 3 Abs. 1) im gesamten Gebäude des Gerichts bzw. der Staatsanwaltschaft, soweit dadurch nicht die der bzw. dem Vorsitzenden einer Verhandlung während und am Ort der Verhandlung zukommende Sitzungspolizei beschränkt wird,

           2. Verbote des Zugangs bestimmter Personen in das Gebäude des Gerichts bzw. der Staatsanwaltschaft oder Verfügungen, dass bestimmte Personen dieses zu verlassen haben (Hausverbote),

           3. das Gestatten des Zugangs nur unter der Bedingung der Hinterlegung eines Ausweises oder eines sonstigen Nachweises der Identität oder der Ausstellung eines Besucherausweises.

(4) Ist der Zugang einer Person zum Gebäude des Gerichts bzw. der Staatsanwaltschaft zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung unbedingt erforderlich und besteht ein Hausverbot (Abs. 3 Z 2) gegen diese Person, so ist diese Person während ihres Aufenthalts im Gebäude des Gerichts bzw. der Staatsanwaltschaft von einem Kontrollorgan (§ 3 Abs. 1) oder einem Organ der Sicherheitsbehörden zu begleiten.

(5) Wer sich weigert, sich den in der Hausordnung vorgesehenen Sicherheitsmaßnahmen zu unterziehen, und deshalb eine zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung erforderliche Verfahrenshandlung nicht vorgenommen hat oder einer Verpflichtung im Gericht nicht nachgekommen ist, ist als unentschuldigt säumig anzusehen.“

2. § 29 wird aufgehoben.

3. In § 98 wird folgender Abs. 16 angefügt:

„(16) § 16 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. xxx/2012 tritt mit 1. Juni 2012 in Kraft. Die Aufhebung des § 29 tritt mit Ablauf des 30. September 2012 mit der Maßgabe in Kraft, dass § 29 in der bis zum Ablauf des 30. September 2012 geltenden Fassung für die nach Anlage 2 der Vereinbarung gemäß Artikel 15a B-VG zwischen dem Bund und dem Land Niederösterreich über die bezirksgerichtliche Organisation im Land Niederösterreich, BGBl. Nr. 585/1991, vorgesehenen Gerichtstage weiterhin auslaufend anzuwenden ist.“

Artikel X2

Änderung der Jurisdiktionsnorm

Die Jurisdiktionsnorm (JN), RGBl. Nr. 111/1895, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 111/2010, wird wie folgt geändert:

1. In § 49 Abs. 1 wird der Betrag von „10 000 Euro“ durch den Betrag von „25 000 Euro“ ersetzt.

2. In § 51 Abs. 1 wird im Einleitungssatz der Betrag von „10 000 Euro“ durch den Betrag von „25 000 Euro“ ersetzt.

3. In § 52 Abs. 1 wird der Betrag von „10 000 Euro“ durch den Betrag von „25 000 Euro“ ersetzt.

Artikel X3

Änderung des Arbeits- und Sozialgerichtsgesetzes

Das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz (ASGG), BGBl Nr. 104/1985, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 135/2011, wird wie folgt geändert:

1. In § 19 entfällt in Abs. 1 und in Abs. 5 jeweils die Wortfolge „oder regelmäßig einen Gerichtstag abhält“.

2. In § 21 Abs. 4 entfällt die Wortfolge „oder regelmäßig einen Gerichtstag abhält“.

3. § 35 samt Abschnittsüberschrift wird aufgehoben.

4. In § 59 Abs. 2 entfällt die Wortfolge „oder für deren Sprengel es als Arbeits- und Sozialgericht Gerichtstage abhält“.

5. Dem § 98 wird folgender Abs. 27 angefügt:

„(27) § 19 Abs. 1 und 5, § 21 Abs. 4 und § 59 Abs. 2 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. xxx/2012 treten mit 1. Oktober 2012 in Kraft. Die Aufhebung des § 35 durch dieses Bundesgesetz tritt mit Ablauf des 30. September 2012 in Kraft.“

Artikel X4

Änderung des Gerichtsgebührengesetzes

Das Gerichtsgebührengesetz (GGG), BGBl. Nr. 501/1984, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 142/2011, wird wie folgt geändert:

1. § 29a lautet:

§ 29a. Die Tarifpost 15 ist auch in Strafverfahren, die von Amts wegen zu verfolgende Straftaten zum Gegenstand haben, auf die bei Gericht, bei der Staatsanwaltschaft oder bei der Kriminalpolizei im Rahmen der Gewährung von Akteneinsicht hergestellten Abschriften, Ablichtungen, Kopien oder Ausdrucke anzuwenden; § 52 Abs. 2 und 3 StPO bleibt unberührt.“

2. In der Tarifpost 1 Z II wird in der Spalte „Höhe der Gebühren“ der Betrag von „159 Euro“ durch den Betrag von „167 Euro“ ersetzt.

3. In der Tarifpost 9 lit. d und e werden in der Spalte „Höhe der Gebühren“ die dort angeführten Beträge geändert

       jeweils    von                        12 Euro                  auf          13 Euro,

       jeweils    von                         3 Euro                   auf           3,20 Euro,

                       von                          1,60 Euro              auf           1,70 Euro,

       jeweils    von                          1,50 Euro              auf           1,60 Euro,

       jeweils    von                          0,90 Euro              auf           1 Euro,

       jeweils    von                          3,60 Euro              auf           3,80 Euro,

                       von                          2 Euro                   auf           2,20 Euro,

                       von                          1,80 Euro              auf           1,90 Euro,

       jeweils    von                         10 Euro                  auf          11 Euro,

                       von                        40 Euro                  auf          42 Euro,

                       von                         3,20 Euro              auf           3,40 Euro,

                       von                         30 Euro                  auf          32 Euro und

                       von                         1,40 Euro              auf           1,50 Euro

4. In der Tarifpost 15

19) lautet die lit. a in der Spalte „Gegenstand“:

         „a) für Abschriften (Kopien, Ablichtungen, Ausdrucke) aus der Urkundensammlung des Grund- oder Firmenbuchs, die einer Partei ausgestellt werden,“

20) wird in der Anmerkung 6 erster Satz die Wortfolge „, werden sie von der Partei selbst hergestellt,“ durch die Wortfolge „, werden sie von der Partei unter Inanspruchnahme gerichtlicher Infrastruktur zur Herstellung solcher Abschriften, Ablichtungen, Kopien oder Ausdrucke selbst angefertigt,“ ersetzt.

5. In Art. VI wird nach der Z 46 folgende Z 47 angefügt:

„47. § 29a und die Anmerkung 6 zur Tarifpost 15 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. xxx/2012 treten mit 1. Jänner 2012 in Kraft und sind auf Aktenabschriften, -ablichtungen und sonstige Kopien sowie Ausdrucke anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 2011 durch die Partei selbst ohne Inanspruchnahme gerichtlicher Infrastruktur angefertigt wurden. Die Tarifposten 1 Z II und 9 lit. d und e in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. xxx/2012 treten mit 1. Juli 2012 in Kraft. Die Tarifpost 1 Z II in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. xxx/2012 ist auf Dolmetschleistungen anzuwenden, die nach dem 30. Juni 2012 erfolgen. § 31a ist in Ansehung der mit dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. xxx/2012 neu geschaffenen oder geänderten Gebührentatbestände mit der Maßgabe anzuwenden, dass Ausgangsgrundlage für die Neufestsetzung jeweils die für März 2011 veröffentlichte endgültige Indexzahl des von der Bundesanstalt Statistik Österreich verlautbarten Verbraucherpreisindex 2000 ist.“

7. In Art. VII wird der Schlusspunkt durch einen Strichpunkt ersetzt und folgender Halbsatz angefügt:

„in Ansehung des § 29a für die bei der Kriminalpolizei im Rahmen der Gewährung von Akteneinsicht hergestellten Abschriften, Ablichtungen, Kopien oder Ausdrucke jedoch die Bundesministerin für Inneres.“

Artikel X5

Änderung der Strafprozessordnung 1975

Die Strafprozessordnung 1975 (StPO), BGBl. Nr. 631/1975, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 103/2011, wird wie folgt geändert:

1. In § 70 wird nach dem Abs. 1 folgender Abs. 1a eingefügt:

„(1a) Nach erfolgter Belehrung kann das Opfer in jeder Lage des Verfahrens erklären, auf weitere Verständigungen und Ladungen zu verzichten, in welchem Fall von einer weiteren Beteiligung des Opfers am Verfahren Abstand zu nehmen ist.“

2. Nach § 115d wird folgender § 115e eingefügt:

§ 115e. (1) Unterliegen sichergestellte (§ 110 Abs. 1 Z 3) oder beschlagnahmte (§ 115 Abs. 1 Z 3) Gegenstände oder Vermögenswerte einem raschem Verderben oder einer erheblichen Wertminderung oder lassen sie sich nur mit unverhältnismäßigen Kosten aufbewahren, so hat das Gericht diese auf Antrag der Staatsanwaltschaft auf die im § 377 angeordnete Weise zu veräußern. Die Verwertung hat jedoch solange zu unterbleiben, als die Gegenstände für Beweiszwecke benötigt werden (§ 110 Abs. 4).

(2) Personen, die von der Veräußerung betroffen sind, sind tunlichst vor der Verwertung zu verständigen. Der Erlös tritt an die Stelle der veräußerten Gegenstände. Die Verwertung wegen unverhältnismäßiger Aufbewahrungskosten unterbleibt, wenn rechtzeitig ein zur Deckung dieser Kosten ausreichender Betrag erlegt wird.

(3) Über die Verwertung hat das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft, gegebenenfalls zugleich mit der Beschlagnahme zu entscheiden.“

3. In § 116 Abs. 1 wird vor dem Wort „erforderlich“ die Wendung „oder zur Sicherung des Verfalls (§ 20 StGB), des erweiterten Verfalls (§ 20b StGB) oder einer anderen gesetzlich vorgesehenen vermögensrechtlichen Anordnung“ eingefügt.

4. In § 175 Abs. 4 lautet der erste Satz:

„Der Beschuldigte kann durch seinen Verteidiger auf die Durchführung von Haftverhandlungen verzichten.“

5. In § 192 Abs. 1 wird nach der Z 1 folgende Z 1a eingefügt:

       „1a. die Ermittlungen zur Aufklärung des Verdachts jener Straftaten, deren Nachweis im Fall gemeinsamer Führung keinen Einfluss auf den anzuwendenden Strafsatz hätte, mit einem beträchtlichen Aufwand verbunden wären und die Erledigung in der Hauptsache verzögern würden, oder“

6. § 198 wird folgender Abs. 3 angefügt:

„(3) Abweichend von Abs. 2 Z 1 kann nach diesem Hauptstück auch bei Straftaten des sechsten, dreizehnten und zweiundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils des StGB, die in die Zuständigkeit des Landesgerichts als Schöffengericht fallen, vorgegangen werden, wenn sich der Beschuldigte, selbst wenn der Sachverhalt noch nicht hinreichend geklärt ist, bereit erklärt, einen Geldbetrag zu entrichten, der einer Geldstrafe von 360 Tagessätzen zuzüglich des im Fall einer Verurteilung auszusprechenden Verfalls (erweiterten Verfalls) und der zu ersetzenden Kosten des Strafverfahrens (§ 200 Abs. 1) entspricht und er nachweist, dass er freiwillig den gesamten aus der Tat voraussichtlich entstandenen Schaden gutgemacht hat.“

7. Nach § 409a wird folgender § 409b eingefügt:

§ 409b. (1) Geldstrafen, verfallene Geldbeträge oder Veräußerungserlöse (§§ 115e, 377) fließen dem Bund zu.

(2) 20 vH der nach §§ 20, 20b StGB für verfallen erklärten Vermögenswerte fließen dem Bundesministerium für Inneres zur Abdeckung des Personal- und Sachaufwandes zu, der aus der Wahrnehmung der Aufgabe der Finanzermittlung der Kriminalpolizei entsteht.“

8. § 514 wird folgender Abs. 19 angefügt:

„§§ 70, 115e, 116 Abs. 1, 175 Abs. 4, 192 Abs. 1 und 3, 198 Abs. 3 und 409b in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. xxx/2012, treten mit 1. September 2012 in Kraft.“

Artikel X6

In-Kraft-Tretens- und Übergangsbestimmungen

(1) Artikel X2 Z 1 bis 3 (JN) tritt mit 1. Juli 2012 in Kraft. Diese Bestimmungen sind auf Verfahren anzuwenden, in denen die Klage oder der verfahrenseinleitende Antrag nach dem 30. Juni 2012 bei Gericht angebracht wird.

(2) Die Gerichtstagsverordnung, BGBl. Nr. 174/1986, wird aufgehoben; sie tritt mit Ablauf des 30. September 2012 außer Kraft.

 


 

Vorblatt

Probleme:

1.      Wiederholte Bedrohungen und Angriffe gegen Organe der Gerichtsbarkeit stellen hohe Anforderungen an die Gewährleistung von Sicherheit in den Gebäuden der Gerichte und Staatsanwaltschaften.

2.      Gerichtstage werden in vielen Fällen von der Bevölkerung kaum mehr genutzt. Gleichzeitig binden die Gerichtstage wertvolle Ressourcen, ohne dass bei diesen gerichtliche Geschäfte tatsächlich sinnvoll und effizient vorgenommen werden können.

3.      Seit der letzten substantiellen Anhebung der Streitwertgrenzen im Zivilverfahren sind rund 14 Jahre vergangen. Auf Grund der gleichzeitig eingetretenen Geldentwertung erfolgt(e) dadurch eine schleichende Verlagerung von Verfahren hin zu den ohnehin höher ausgelasteten Landesgerichten.

4.      Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 13. Dezember 2011, wonach die Anmerkung 6 zur Tarifpost 15 in der Fassung des BBG 2009, BGBl. I Nr. 52/2009, im Verein mit Artikel I Z 17 lit. b der Verordnung der Bundesministerin für Justiz über die Neufestsetzung von Gerichtsgebühren und Bemessungsgrundlagen, BGBl. II Nr. 188/2009, verfassungswidrig war.

5.      Die Gebührentatbestände für Grundbuchsabfragen nach den §§ 6 und 7 GUG im Wege der Verrechnungsstellen und für die Beiziehung von Amtsdolmetscher/innen wurden mit der letzten Verordnung der Bundesministerin für Justiz zur Neufestsetzung der Gerichtsgebühren mangels praktischer Anwendbarkeit noch nicht valorisiert, wie dies § 31a Abs. 1 GGG erfordert.

6.      Durch die unbedingte Beachtung sämtlicher Verständigungspflichten der StPO, auch gegen den Willen der Opfer, entsteht ein unnötiger bürokratischer Aufwand bei der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaft und dem Gericht. Außerdem kommt es wiederholt zu einer ungewollten sekundären Viktimisierung.

7.      Die Verwahrung von sichergestellten bzw. beschlagnahmten Vermögenswerten führt oftmals zu organisatorischen Problemen und ist teils mit enormen Kosten verbunden.

8.      Es hat sich gezeigt, dass die bisherigen Ermittlungsmaßnahmen nicht ausreichen, um Vermögenswerte, die dem Verfall unterliegen, effektiv ausforschen bzw. aufspüren zu können.

9.      Die bisherigen Bestimmung, wonach unabhängig vom Willen des Beschuldigten Haftverhandlungen durchzuführen sind, soweit nicht bereits zwei Haftverhandlungen stattgefunden haben, führt zu einem unnötigen bürokratischen Aufwand.

10.    Mangelnde Ressourcen für eine zügige und effiziente Verfolgung des Hauptvorwurfes im Fall des Zusammentreffens vieler Fakten.

11.    Nicht sachgerechter, genereller Ausschluss der Diversion für jene Straftaten, die in die Zuständigkeit des Landesgerichtes als Schöffengericht fallen.

12.    Mangelnde Personalausstattung im Bereich der Finanzermittlungen.

Ziele:

1.      Schaffung eines möglichst vollständigen und ausgewogenen Instrumentariums an allgemein und individuell setzbaren Maßnahmen zur Gewährleistung von Sicherheit in Gebäuden der Gerichte und Staatsanwaltschaften ohne Beeinträchtigung der Möglichkeit zur Rechtsverfolgung und ‑verteidigung.

2.      Entfall der Gerichtstage und effizienterer Einsatz der dadurch freiwerdenden Ressourcen am Standort der jeweiligen Bezirks- bzw. Landesgerichte.

3.      Ausgleich der Geldentwertung sowie Ausgleich der Auslastung zwischen Bezirks- und Landesgerichten durch eine neue Streitwertgrenze.

4.      Sanierung der vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 13. Dezember 2011 ausgesprochenen Verfassungswidrigkeit.

5.      Erhöhung der Übersichtlichkeit und Verwaltungsvereinfachung durch Valorisierung der Gebührentatbestände für Grundbuchsabfragen nach den §§ 6 und 7 GUG im Wege der Verrechnungsstellen und für die Beiziehung von Amtsdolmetscher/innen im Gesetz statt in einer Verordnung.

6.      Schaffung einer Möglichkeit für das Opfer, auf die weitere Beteiligung am Verfahren zu verzichten, sowie Entlastung der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaft und des Gerichtes von vorzunehmenden Verständigungen und Ladungen.

7.      Reduzierung des Verwaltungsaufwandes und der Kosten der Verwahrung von sichergestellten bzw. beschlagnahmten Vermögenswerten.

8.      Steigerung der Effizienz der Ausforschung bzw. des Aufspürens von Vermögenswerten, die dem Verfall unterliegen.

9.      Unter Beibehaltung größtmöglichen Rechtsschutzes soll beim Management der Untersuchungshaft und in puncto Haftverhandlungen unnötige Bürokratie abgebaut werden.

10.    Bündelung der zur Verfügung stehenden Personalressourcen auf die Verfolgung des Hauptvorwurfs.

11.    Sachgerechte Anwendung der Diversionsbestimmungen auch für Straftaten, die in die Zuständigkeit des Landesgerichtes als Schöffengericht fallen.

12.    Steigerung der Effizienz der Finanzermittlungen im Bereich der vermögensrechtlichen Maßnahmen.

Inhalte:

1.      Verankerung der Vorgaben für eine Hausordnung im GOG und Klarstellungen zur Ausübung des Hausrechts in Gebäuden der Gerichte und Staatsanwaltschaften.

2.      Entfall der Bestimmungen zu Gerichtstagen.

3.      Erhöhung der Streitwertgrenze in Zivilsachen von EUR 10.000 auf EUR 25.000.

4.      Entsprechend der höchstgerichtlichen Rechtsprechung Festlegung einer Gebührenpflicht für die Herstellung von Abschriften, Ablichtungen, Kopien oder Ausdrucken, wenn diese vom Gericht oder von der Partei selbst unter Inanspruchnahme gerichtlicher Infrastruktur angefertigt werden.

5.      Valorisierung der Gebührentatbestände für Grundbuchsabfragen nach den §§ 6 und 7 GUG im Wege der Verrechnungsstellen und für die Beiziehung von Amtsdolmetscher/innen im Gesetz.

6.      Einführung einer Verzichtsmöglichkeit für das Opfer auf weitere Verständigungen und Ladungen nach erfolgter Belehrung, woraufhin von einer weiteren Beteiligung des Opfers am Verfahren Abstand zu nehmen ist.

7.      Einführung einer Verwertungsmöglichkeit von sichergestellten oder beschlagnahmten Vermögenswerten, die einem raschen Verderben oder einer erheblichen Wertminderung unterliegen oder sich nur mit unverhältnismäßigen Kosten aufbewahren lassen.

8.      Ermöglichung des Einsatzes der Ermittlungsmaßnahme der Auskunft über Bannkonten und Bankgeschäfte, wenn dies zur Sicherung vermögensrechtlicher Anordnungen erforderlich erscheint.

9.      Erweiterung der Verzichtsmöglichkeit des Beschuldigten auf die Durchführung von Haftverhandlungen.

10.    Einführung einer Möglichkeit bereits im Zuge des Ermittlungsverfahrens Opportunitätserwägungen zu berücksichtigen und von der Verfolgung einzelner Straftaten abzusehen.

11.    Ausdehnung der Möglichkeit eines diversionellen Vorgehens auch auf Straftaten, die in die Zuständigkeit der Landesgerichte als Schöffengerichte fallen.

12.    Zuweisung von Budgetmitteln zur Abdeckung des bei der Kriminalpolizei zusätzlich notwendigen Personalaufwandes für effektiv durchgeführte Finanzermittlungen.

Alternativen:

Beibehaltung des derzeitigen unbefriedigenden Rechtszustands.

Finanzielle Auswirkungen:

Der Entfall der Gerichtstage bringt zum einen gewisse Ersparnisse im Bereich des Sachaufwands (etwa bei den Fahrt- und Infrastrukturkosten) und beugt einer zukünftigen Steigerung derartiger Kosten vor, ermöglicht zum anderen aber auch eine geringfügige Milderung des personellen Mehrbedarfs durch eine noch zielgerichtetere Nutzung der personellen Ressourcen.

Durch die Festlegung, wonach für die Herstellung von Abschriften, Ablichtungen, Kopien oder Ausdrucken Gebühren dann zu entrichten sind, wenn diese vom Gericht oder von der Partei selbst unter Inanspruchnahme gerichtlicher Infrastruktur angefertigt werden, werden Gebühreneinnahmen im verfassungsrechtlich zulässigen Umfang ermöglicht.

Es ist anzunehmen, dass einige Opfer von der Möglichkeit, keine weiteren Verständigungen, Ladungen usw. zu erhalten, Gebrauch machen werden, wodurch sich Einsparungen bei den Zustellungen ergeben.

Die Ausweitung von Verwertungsmöglichkeiten iSd § 115e StPO lässt damit rechnen, dass es einerseits zu einem deutlichen Plus von Sicherstellungen an und für sich kommen wird, weil zum Beispiel bei Personen- oder Lastkraftwägen bis dato aufgrund der hohen Lagerkosten oftmals Abstand von einer Sicherung genommen wurde. Ebenso ist die Neuregelung des § 116 Abs. 1 StPO zu sehen, die der Schließung einer hinsichtlich der Bestimmungen über die gerichtliche Beschlagnahme bestehenden gesetzlichen Lücke dient.

Durch den Entfall von Haftverhandlungen durch den vorgeschlagenen § 175 Abs. 4 StPO können Personalkapazitäten besser genutzt werden.

Die neue Bestimmung des § 192 Abs. 1 Z 1a StPO sollte im Bereich des Ermittlungsverfahrens die personellen Ressourcen der Staatsanwaltschaft und vor allem der Kriminalpolizei entlasten bzw. deren effizienteren Einsatz gewährleisten. Budgetäre Auswirkungen sind derzeit nur insofern abschätzbar, als die Maßnahmen zu einer spürbaren Entlastung im Bereich der Verfolgung von Amts- und Korruptionsdelikten wie auch der Straftaten gegen fremdes Vermögen führen sollten.

Auswirkungen auf die Beschäftigung und den Wirtschaftsstandort Österreich:

Die vorgeschlagenen Regelungen dienen der Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und der Effizienzsteigerung und tragen daher zu einer Stärkung des guten Rufs der Republik Österreich als Wirtschaftsstandort bei.

Auswirkungen auf die Verwaltungslasten für Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen:

Zusätzliche Verwaltungslasten für Bürger/innen oder Unternehmen sind nicht vorgesehen.

Auswirkungen in umweltpolitischer Hinsicht, insbesondere Klimaverträglichkeit:

Das Regelungsvorhaben ist nicht klimarelevant.

Auswirkungen in konsumentenschutzpolitischer sowie sozialer Hinsicht:

Die vorgeschlagenen Regelungen dienen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit und tragen insofern zu einer Stärkung des Vertrauens der Allgemeinheit in die korrekte und effiziente Aufgabenwahrnehmung öffentlicher Einrichtungen bei.

Geschlechtsspezifische Auswirkungen:

Keine.

Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens:

Keine.

Verhältnis zu Rechtsvorschriften der Europäischen Union:

Das EU-Recht enthält keine (expliziten) gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben.


 

Erläuterungen

Zu den Änderungen des Gerichtsorganisationsgesetzes (Artikel X1)

Zu Z 1 (§ 16 GOG):

Die internen Sicherheitsrichtlinien der Justiz sehen, gestützt auf das Hausrecht, bereits seit längerem Regelungen (auch) für die Erlassung von Hausverboten vor. In der praktischen Anwendung dieser Regelung kommt es jedoch immer wieder zu verwaltungsaufwändigen und berechtigten Sicherheitsbedürfnissen abträglichen Unsicherheiten über die Frage der rechtlichen Grundlage.

Angesichts der trotz allergrößter Anstrengungen im Bereich der Sicherheitskontrollen bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften bedauerlicher Weise immer wieder auftretenden Gewaltübergriffe gefährden weitere Zweifel die Sicherheitsinteressen der Bürger/innen und Mitarbeiter/innen und sind zudem unwirtschaftlich. Es soll daher umgehend die erforderliche klare gesetzliche Absicherung für die Erlassung von Hausordnungen und Hausverboten sowie die Festlegung weiterer erforderlicher Zugangsregelungen (wie Ausweiskontrollen) bzw. gegebenenfalls Zugangseinschränkungen und Zugangsuntersagungen geschaffen werden.

Abs. 4 stellt sicher, dass – bei gleichzeitiger Wahrung der Sicherheitsinteressen – der Zugang zur Rechtsverfolgung bzw. –verteidigung auch in Fällen, in denen diese nur durch die persönliche Anwesenheit im Gebäude des Gerichts bzw. der Staatsanwaltschaft erreicht werden kann, auch für Personen, gegen die ein Hausverbot verhängt wurde, möglich ist.

Zu Z 2 (Aufhebung des § 29):

Auf Grund geänderter Mobilitätsverhältnisse sind Gerichtstage nicht mehr zeitgemäß und wurden in den letzten Jahren in vielen Fällen von der Bevölkerung kaum mehr genutzt. In vielen Fällen steht am Ort der Abhaltung des Gerichtstags auch die für eine angemessene Behandlung der Anliegen der Gerichtstagsbesucher/innen erforderliche Infrastruktur (EDV-Ausstattung, Zugang zum Justiz-Netzwerk) nicht zur Verfügung, sodass die gerichtlichen Geschäfte letztlich ohnehin am Standort des Bezirksgerichts vorgenommen werden müssen.

Zu den Änderungen der Jurisdiktionsnorm (Artikel X2)

Zu Z 1, 2 und 3 (§§ 49, 51 und 52):

Seit der letzten Anhebung der Wertgrenzen von damals ATS 100.000 auf ATS 130.000 ist ein Zeitraum von 14 Jahren vergangen. Allein durch zwischenzeitliche Geldentwertung ist eine Anhebung um mehr als 30 % indiziert; dies auch unter Berücksichtigung der inzwischen im Zuge der Euro-Einführung erfolgten weiteren geringfügigen Anhebung auf EUR 10.000. Hinzu kommt, dass die Ergebnisse der sogenannten Personalanforderungsrechnung (PAR) im Bereich der Richter/innen eine vergleichsweise höhere Auslastung der Landesgerichte ausweisen, der durch die vorgesehene Anhebung entgegen gewirkt werden soll.

Zu den Änderungen des Arbeits- und Sozialgerichtsgesetzes (Artikel X3)

Zu Z 1 bis 4 (§§ 19 Abs. 1 und 5, § 21 Abs. 4, 35 und § 59 Abs. 2):

Die zu § 29 GOG aufgezeigten Gründe gelten auch für die gemäß § 35 ASGG angeordneten Gerichtstage. Auch diese sollen daher entfallen.

Zu den Änderungen des Gerichtsgebührengesetzes (Artikel X4)

Zu Z 1, 4 und 5 (§ 29a, TP 15 lit. a, Anmerkung 6 zur TP 15, Art. VI Z 47):

Die Verschiebung der Klammer am Ende des Klammerausdrucks in der Spalte „Gegenstand“ der lit. a der Tarifpost 15 GGG dient der Beseitigung eines Redaktionsversehens und ist mit keiner inhaltlichen Änderung verbunden.

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 13. Dezember 2011 ausgesprochen, dass die Anmerkung 6 zur Tarifpost 15 GGG in der Fassung des BBG 2009, BGBl. I Nr. 52/2009, im Verein mit Artikel I Z 17 lit. b der Verordnung der Bundesministerin für Justiz über die Neufestsetzung von Gerichtsgebühren und Bemessungsgrundlagen, BGBl. II Nr. 188/2009, verfassungswidrig war. Die Erhebung einer Gebühr für das Anfertigen von Ablichtungen durch die Partei selbst – ohne Nutzung von Gerichtsinfrastruktur und unter Heranziehung eigener, von der Partei selbst mitgebrachter Geräte (wie Scanner oder Digitalkameras) – sei mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht vereinbar. Weiters hat er aus diesem Grund auch § 29a in der Fassung BGBl. I Nr. 100/2008 als verfassungswidrig aufgehoben. Für die Aufhebung hat der Verfassungsgerichtshof eine Frist bis 30. Juni 2012 gesetzt.

Die Änderung der Anmerkung 6 zur Tarifpost 15 GGG soll diesem Erkenntnis Rechnung tragen. Eine Gebühr für die Herstellung von Abschriften, Ablichtungen, Kopien oder Ausdrucken soll dann zu entrichten sein, wenn diese vom Gericht oder von der Partei selbst unter Inanspruchnahme gerichtlicher Infrastruktur zur Herstellung solcher Abschriften, Ablichtungen, Kopien oder Ausdrucke (also insbesondere Kopiergeräte, Scanner, Kameras, Drucker) angefertigt werden. Fertigt die Partei hingegen im Rahmen der Akteneinsicht mittels selbst beigebrachter Geräte, wie Handscanner, Digitalkameras oder dergleichen, Abschriften an, soll für diese Ablichtungen keine Gebühr zu entrichten sein.

Da durch die Neuregelung der Tarifpost 15 GGG diese Verfassungswidrigkeit behoben wird, soll auch § 29a GGG, der die Anwendung der Tarifpost 15 GGG in Strafverfahren anordnet, neu erlassen und im GGG selbst klargestellt werden, dass die Regelung auch auf die bei der Staatsanwaltschaft oder der Kriminalpolizei im Rahmen der Gewährung von Akteneinsicht hergestellten Abschriften, Ablichtungen, Kopien oder Ausdrucke anzuwenden ist. Bisher war dies in der Verordnung der Bundesministerin für Justiz über die Höhe der Gebühren für die Herstellung von Kopien durch die Staatsanwaltschaft oder die Kriminalpolizei im Rahmen der Akteneinsicht, BGBl. II Nr. 390/2007, geregelt.

Im Übergangsrecht (Art. VI Z 47 GGG) ist trotz der vom Verfassungsgerichtshof ausgesprochenen Frist bis zum 30. Juni 2012 für das Inkrafttreten der Aufhebung des § 29a vorgesehen, dass die Neuregelungen bereits mit 1. Jänner 2012 in Kraft treten sollen, sodass für die im Jahr 2012 von der Partei selbst ohne Verwendung gerichtlicher Infrastruktur hergestellten Abschriften, Ablichtungen, Kopien oder Ausdrucke keine Gebühren mehr anfallen.

Zu Z 2, 3 und 5 (TP 1 Z II, TP 9 lit. d und e, Art. VI Z 47):

Die im Rahmen des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl. I Nr. 111/2010, eingeführten und zum Teil mit dem GesRÄG 2011, BGBl. I Nr. 53/2011, mit fast eineinhalb Jahren Legisvakanz versehenen Gebührentatbestände für Grundbuchsabfragen nach den §§ 6 und 7 GUG im Wege der Verrechnungsstellen und für die Beiziehung von Amtsdolmetscher/innen wurden mit der letzten Verordnung der Bundesministerin für Justiz zur Neufestsetzung der Gerichtsgebühren mangels praktischer Anwendbarkeit noch nicht valorisiert, wie dies § 31a Abs. 1 GGG erfordert. Dies soll nun mit dem vorliegenden Bundesgesetz anstelle der vom Gesetz gebotenen Verordnung nachgeholt werden, um den Rechtsanwender/innen das Erfordernis der Heranziehung zweier Rechtsquellen zur Ermittlung der tatsächlichen Gebührenhöhe zu ersparen. Die Regelung im Gesetz statt mit Verordnung dient somit der besseren Übersichtlichkeit und stellt auch eine Verwaltungsvereinfachung dar, zumal ein Zusammentreffen des Inkrafttretens von Gesetz und Verordnung in Ansehung des BBG 2009, BGBl. I Nr. 52/2009, zu erhöhtem Aufwand für die Praxis geführt hat.

Zu den Änderungen der Strafprozessordnung 1975 (Artikel X5)

Zu Z 1 (§ 70):

Durch die Reform der Strafprozessordnung (Strafprozessreformgesetz BGBl. I Nr. 19/2004, Strafprozessreformbegleitgesetze BGBl. I Nr. 93/2007 und Nr. 112/2007) wurden Opfer im österreichischen Strafverfahren mit eigenständigen Verfahrensrechten ausgestattet und zum Subjekt des Verfahrens aufgewertet.

Gemäß § 66 Abs. 1 StPO haben Opfer - unabhängig von ihrer Stellung als Privatbeteiligte – unter anderem das Recht, Akteneinsicht zu nehmen (§ 68), vor ihrer Vernehmung vom Gegenstand des Verfahrens und über ihre wesentlichen Rechte informiert zu werden (§ 70 Abs. 1), vom Fortgang des Verfahrens verständigt zu werden (§§ 177 Abs. 5, 194, 197 Abs. 3, 206 und 208 Abs. 3), an einer kontradiktorischen Vernehmung von Zeugen und Beschuldigten (§ 165) und an einer Tatrekonstruktion (§ 150 Abs. 1) teilzunehmen, während der Hauptverhandlung anwesend zu sein und dabei Angeklagte, Zeugen und Sachverständige zu befragen sowie zu ihren Ansprüchen gehört zu werden. Das in § 70 StPO beschriebene Recht auf Information verpflichtet die Kriminalpolizei bzw. die Staatsanwaltschaft sobald ein Ermittlungsverfahren gegen einen bestimmten Beschuldigten geführt wird, Opfer über ihre wesentlichen Rechte (§§ 66 und 67) zu informieren. Opfer können sodann aktiv die ihnen zustehenden, oben angeführten Verfahrensrechte ausüben und im Falle eines Anschlusses als Privatbeteiligter (§ 67) darüber hinausgehende Rechte wahrnehmen (Stellung von Beweisanträgen, Ausführung und Begründung ihrer Ansprüche im Rahmen der Hauptverhandlung, etc.). Sie sind von der Einstellung des Ermittlungsverfahrens zu informieren und haben die Möglichkeit, einen Antrag auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens zu stellen (§ 195).

Vor dem Hintergrund der sich aus der Praxis der vergangenen vier Jahre ergebenden Erfahrungswerte im Zusammenhang mit der gegenüber Opfern bestehenden Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörden zu einer sehr aktiven „Informationspolitik“ zeigte sich, dass ein gar nicht so geringer Anteil von geschädigten Personen nicht nur bewusst auf die aktive Verfahrensbeteiligung und die Geltendmachung von Ansprüchen verzichten will, sondern überhaupt nicht mehr mit dem Strafverfahren bzw. mit der Straftat konfrontiert werden will. Dies kann zum Einen in der bewussten Vermeidung einer sekundären Viktimisierung, zum Anderen aus ganz persönlichen Motiven oder schließlich aus bloßem Desinteresse erfolgen, wobei nach einer meist notwendigen Vernehmung jede weitere Kontaktaufnahme, Verständigung, etc. oftmals als Zumutung empfunden wird. Gleichzeitig entsteht in diesen Fällen durch die unbedingte Beachtung sämtlicher Verständigungspflichten der StPO ein unnötiger bürokratischer Aufwand bei Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gericht.

Dies soll durch die Bestimmung des § 70 Abs. 1a StPO künftig verhindert werden, indem das Opfer nach erfolgter Belehrung in jeder Lage des Verfahrens erklären kann, auf weitere Verständigungen und Ladungen zu verzichten. Sodann soll von einer weiteren Beteiligung des Opfers am Verfahren Abstand genommen werden. Ganz im Sinne der Lehren der Viktimologie und der Wichtigkeit, auch im Strafverfahren auf die jeweiligen Bedürfnisse des einzelnen personifizierten Opfers einzugehen, soll damit auch der Kategorie von Geschädigten, die keine weitere, wie immer geartete Konfrontation mit der Straftat wünschen, diese Option eröffnet werden.

Zu Z 2 (§ 115e):

Nachdem das nationale System der vermögensrechtlichen Anordnungen, dessen Effizienz, aber auch das Thema der Verwertung und Vollstreckung in den letzten Jahren im Zentrum nationaler und internationaler Begutachtungen standen und dabei auch Kritik formuliert wurde (z.B. Bericht des Rechnungshofs „Geldwäschebekämpfung und Vermögensabschöpfung“ (Reihe Bund 2008/12) an den Nationalrat vom 9.12.2008 (III 11 d.B. XXIV GP), GRECO Evaluierungsbericht zur Korruptionsbekämpfung in Österreich betreffend Abschöpfung (der Erträge von Korruption) u.a. vom 13.6.2008 und Länderprüfung Österreichs durch die Financial Action Task Force (FATF) im Sommer 2009), berief das Bundesministerium für Justiz im September 2011 eine Arbeitsgruppe „vermögensrechtliche Anordnungen“ ein, deren Teilnehmerkreis sich aus VertreterInnen der vier Oberlandesgerichts- und Oberstaatsanwaltschaftssprengel, des Bundeskriminalamtes, von Eurojust und Europol (Criminal Assets Bureau & CARIN) sowie des international beachteten und sehr erfolgreichen niederländischen Büros für Vermögensabschöpfung zusammensetzte. Im Rahmen der Erörterung bestehender Problembereiche wurde für die Phase des strafprozessualen Ermittlungsverfahrens neben der teils mangelnde Spezialisierung der handelnden Akteure einhellig insbesondere moniert, dass die (längerfristige) Verwahrung von sichergestellten bzw. beschlagnahmten Vermögenswerten oftmals zu organisatorischen Problemen führe und teils mit enormen Kosten verbunden ist. Dabei würden die betroffenen Vermögenswerte (z.B. Personenkraftwägen, Wertpapiere, etc.) im Verhältnis zur Dauer eines Strafverfahrens bis zu seiner rechtskräftigen Erledigung auch in vielen Fällen einem (relativ) raschen Wertverlust unterliegen. Sodann wurden seitens des Bundesministeriums für Justiz aber auch seitens des Bundesministeriums für Inneres Überlegungen in Richtung einer frühzeitigen Verwertungsmöglichkeit erörtert, um zu erreichen, dass Gegenstände auch vor Rechtskraft einer Gerichtsentscheidung veräußert werden können und damit auch eine Aufwandsminimierung in der Praxis zu erreichen.

Diese Möglichkeit soll mit der Bestimmung des § 115e StPO geschaffen werden, wonach sichergestellte (§ 110 Abs. 1 Z 3) oder beschlagnahmte (§ 115 Abs. 1 Z 3) Gegenstände oder Vermögenswerte, die einem raschem Verderben oder einer erheblichen Wertminderung unterliegen oder sich nur mit unverhältnismäßigen Kosten aufbewahren lassen, so sind diese auf Antrag der Staatsanwaltschaft auf die im § 377 StPO angeordnete Weise vom Gericht zu veräußern. Die Verwertung hat jedoch solange zu unterbleiben, als die Gegenstände für Beweiszwecke benötigt werden (§ 110 Abs. 4). Personen, die von der Veräußerung betroffen sind, sollen tunlichst vor der Verwertung verständigt werden. Der Erlös soll sodann an die Stelle der veräußerten Gegenstände treten. Die Verwertung wegen unverhältnismäßiger Aufbewahrungskosten soll aber unterbleiben, wenn rechtzeitig ein zur Deckung dieser Kosten ausreichender Betrag erlegt wird. Für den Fall, dass sichergestellte Vermögenswerte einer gerichtlichen Entscheidung über die Beschlagnahme zuzuführen sind, so soll das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft gegebenenfalls zugleich mit der Beschlagnahme über die Verwertung zu entscheiden haben.

Zu Z 3 (§ 116):

Beim Streben nach einer wirksameren und vor allem nachhaltigeren Bekämpfung und Verfolgung der schweren und organisierten Kriminalität und der damit verbundenen höheren Aufmerksamkeit auf die Ausforschung bzw. das Aufspüren von Vermögenswerten, die dem Verfall unterliegen könnten, waren die Staatsanwaltschaften wiederholt mit einem Verfolgungshindernis konfrontiert, wenn gemäß § 116 StPO die Bekanntgabe von Geschäftsverbindungen zum Zwecke der Einleitung von Sicherungsmaßnahmen (diese wiederum zum Zwecke der Sicherung einer Verfallsentscheidung) begehrt wurde. So behandelte etwa auch das Oberlandesgericht Wien entsprechende Anordnungsbegehren abweisend, weil nach dem Wortlaut des Gesetzes eine Auskunft nach § 109 Z 3 lit. a 2. Halbsatz StPO nur dann zulässig sei, wenn die Auskunft zur Aufklärung einer Straftat erforderlich ist.

Dass diese Ermittlungsmaßnahme nicht auch bloß zur Sicherung vermögensrechtlicher Anordnungen angewendet werden kann und die damit zum Ausdruck kommende Wertung, Ermittlungsmaßnahmen zur Sicherung vermögensrechtlicher Anordnungen nur insoweit und nur so lange anordnen zu können, als dies (auch) für die Aufklärung der Straftat erforderlich ist, steht nicht im Einklang mit den durch das strafrechtliche Kompetenzpaket – sKp, BGBl. I Nr. 108/2010, erweiterten Bestimmungen über vermögensrechtliche Anordnungen und den in den Gesetzesmaterialien klar zum Ausdruck gebrachten gesetzgeberischen Zielvorstellungen.

Insoweit soll gemäß § 116 Abs. 1 eine Auskunft über Bankkonten und Bankgeschäfte nicht nur zulässig sein, wenn sie zur Aufklärung einer vorsätzlich begangenen Straftat oder eines Vergehens, das in die Zuständigkeit des Landesgerichts fällt (§ 31 Abs. 2 bis 4), sondern auch, wenn sie für die Sicherung des Verfalls (§ 20 StGB), des erweiterten Verfalls (§ 20b StGB) oder einer anderen gesetzlich vorgesehenen vermögensrechtlichen Anordnung erforderlich erscheint.

Zu Z 4 (§ 175):

In Fortführung der im Bereich der Haftverhandlungen gelegenen Intention des Strafprozessreformgesetzes BGBl. I Nr. 19/2004, unter Beibehaltung größtmöglichen Rechtsschutzes Bürokratie abzubauen und formelle Fehlerquellen einzuschränken, soll der Beschuldigte gemäß Abs. 4 erster Satz bereits nach der Verhängung der Untersuchungshaft bzw. jederzeit vor Einbringen der Anklage bzw. Aufhebung der Untersuchungshaft durch seinen Verteidiger auf die Durchführung von Haftverhandlungen verzichten können. Die Interessen des Beschuldigten bleiben dadurch gewahrt, dass es ihm freisteht, jederzeit seine Enthaftung zu beantragen, worauf das Gericht unverzüglich eine Haftverhandlung anzuberaumen hätte, soweit sich die Staatsanwaltschaft gegen die Enthaftung ausspricht.

Zu Z 5 (§ 192):

Die Staatsanwaltschaften aber auch die Gerichte sehen sich gerade bei der Bearbeitung von Verfahren wegen strafbarer Handlungen aus dem Bereich der organisierten Kriminalität oder gegen fremdes Vermögen im Zusammenhang mit unternehmerischer Tätigkeit, die durch ihren Umfang oder die Komplexität oder die Vielzahl der Beteiligten des Verfahrens bzw. die involvierten Wirtschaftskreise gekennzeichnet sind, mit einer immer größer werdenden Arbeitsauslastung konfrontiert, die natürlich auch aus dem Prinzip der Amtswegigkeit nach § 2 StPO resultiert, wonach Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Aufgaben verpflichtet sind, jeden ihnen zur Kenntnis gelangten Verdacht einer Straftat, die nicht bloß auf Verlangen einer hiezu berechtigten Person zu verfolgen ist, in einem Ermittlungsverfahren von Amts wegen aufzuklären. Besonders bei Strafverfahren mit vielen Fakten und verzweigten Handlungssträngen besteht die Gefahr, dass in Erfüllung dieser Verpflichtung oftmals der Fokus auf das „Wesentliche“ verloren geht und die Ressourcen für eine zügige und effektive Verfolgung des Hauptvorwurfs fehlen. So sehen sich die Ermittlungsbehörden im Strafverfahren vielfach mit der Kritik zu langer Verfahrensdauer konfrontiert. Obgleich diese zwar im europäischen Vergleich unberechtigt erscheint, gibt sie doch Anlass zum Handlungsbedarf.

Die im Wesentlichen der Bestimmung des § 34 Abs. 2 StPO aF nachempfundene Möglichkeit, gemäß § 192 Abs. 1 Z 1 StPO Opportunitätserwägungen zu berücksichtigen und von der Verfolgung einzelner Straftaten endgültig oder unter Vorbehalt späterer Verfolgung abzusehen und das Ermittlungsverfahren insoweit einstellen, wenn dem Beschuldigten mehrere Straftaten zur Last liegen und dies voraussichtlich weder auf die Strafen oder vorbeugenden Maßnahmen, auf die mit der Verurteilung verbundenen Rechtsfolgen noch auf diversionelle Maßnahmen wesentlichen Einfluss hat, bietet erst bei weitgediehener Sachverhaltsermittlung und somit erst kurz vor der Einbringung der Anklage Abhilfe und dient somit weitgehend der Entlastung der Gerichte. Die Staatsanwaltschaft kann nach gebundenem Ermessen – wodurch Willkürentscheidungen ausgeschlossen werden – entscheiden, ob sie sämtliche Sachverhalte zur Anklage bringen will oder nur einen Teil, wobei Beschuldigte keinen Rechtsanspruch auf die Anwendung des § 192 Abs. 1 StPO haben.

Da die Staatsanwaltschaften und auch die Kriminalpolizei aber bereits oftmals im Anfangsstadium eines Ermittlungsverfahrens nicht in ausreichendem Maße Schwerpunkte bei der Verfolgungstätigkeit setzen können und damit vielfach Effizienzverluste verbunden sind, soll der Staatsanwaltschaft auch die Möglichkeit eröffnet werden, die Ermittlungen zur Aufklärung des Verdachts jener Straftaten, deren Nachweis im Fall gemeinsamer Führung keinen Einfluss auf den anzuwendenden Strafsatz hätte, mit einem beträchtlichen Aufwand verbunden wären und die Erledigung in der Hauptsache verzögern würden (Z 1a), gemäß § 192 Abs. 1 StPO vorläufig einzustellen, um sich auf die Ermittlungen in der Hauptsache zu konzentrieren.

Damit soll verdeutlicht werden, dass bereits zu Beginn des Ermittlungsverfahrens Opportunitätserwägungen Platz finden können und zum Zweck der Führung eines effizienten Ermittlungsverfahrens auch sollen, wobei die Entscheidung einer Einstellung nach den Bestimmungen des § 192 Abs. 1 Z 1 StPO unter Berücksichtigung der weiteren Voraussetzungen der Z 1a quasi zu antizipieren ist, um damit verfahrensökonomischen Erwägungen bereits zu einem früheren Zeitpunkt wirken lassen zu können. Auch hier muss es als Ziel gelten, eine Zweckmäßigkeitserwägung zu treffen, bei der die Staatsanwaltschaft dem staatlichen Interessen an der Strafverfolgung die Prozessökonomie gegenüberstellt und prüft, ob nicht mit einer zielgerichteten Erledigung der Hauptsache und im Falle einer diesbezüglichen Verurteilung general- und spezialpräventive Erfordernisse ausreichend entsprochen wird. Zu beachten ist, dass sich gemäß § 4 Abs. 1 StPO im Falle eines Vorgehens der Staatsanwaltschaft nach Abs. 1 Z 1a auch die Ermittlungstätigkeit der Kriminalpolizei auf die „Hauptsache“ zu beschränken hat.

Bei der Differenzierung zwischen Haupt- und Nebenfakten und vor einer Einstellung nach Z 1a sollten neben den Kriterien eines beträchtlichen Aufwandes und möglicher Verzögerungen etwa die allfällige Dringlichkeit des Tatverdachtes, die jeweilige Schadenshöhe, die Aussicht auf erfolgreiche Beweissammlung sowie gegebenenfalls die Schwere der Schuld vergleichend berücksichtigt werden.

Eine nach Abs. 1 Z 1a vorbehaltene Verfolgung soll ebenfalls innerhalb dreier Monate nach rechtskräftigem Abschluss des inländischen Strafverfahrens wieder aufgenommen werden können, wobei ein abermaliger Vorbehalt wegen einzelner Straftaten sodann unzulässig ist.

Eine mögliche Verjährungshemmung der für eine Einstellung nach Abs. 1 Z 1a gedachten Fakten könnte die Staatsanwaltschaft durch eine zuvor erlassene Anordnung iSd § 58 Abs. 3 Z 2 StPO erreichen.

Zu Z 6 (§ 198):

Mit der Strafprozessnovelle 1999, BGBl. I Nr. 55, wurden unter dem Begriff „Diversion“ Formen staatlicher Reaktion auf den Verdacht gerichtlich strafbaren Verhaltens, die vor einem bzw. an Stelle eines förmlichen gerichtlichen Strafverfahrens eingesetzt werden und den Verzicht auf die Fortführung eines Strafverfahrens zur Folge haben können, in die Strafprozessordnung aufgenommen (IXa. Hauptstück, §§ 90a ff StPO aF). Damit wurde der Staatsanwaltschaft (und dem Gericht) die Möglichkeit geboten, unter bestimmten Voraussetzungen auf Grundlage gebundenen Ermessens (vgl. § 90a StPO aF) von der Verfolgung strafbarer Handlungen zurückzutreten, wobei als Diversionsmaßnahmen die Zahlung eines Geldbetrages, die Erbringung gemeinnütziger Leistungen, die Bestimmung einer Probezeit, allenfalls in Verbindung mit Bewährungshilfe und der Erfüllung von Pflichten oder die Durchführung eines außergerichtlichen Tatausgleichs in Betracht kamen.

Das Strafprozessreformgesetz hat die Vorschriften über eine diversionelle Verfahrensbeendigung im Wesentlichen fortgeführt, jedoch das Gebot der Wahrung von Opferinteressen stärker in den Vordergrund gerückt und als Ergebnis der strukturellen Neuverteilung der Rollen und dem damit einhergehenden Entfall der gerichtlichen Voruntersuchung diversionelle Erledigungsformen im Ermittlungsverfahren ausschließlich der Staatsanwaltschaft vorbehalten. Neben einigen anderen kleinen Änderungen wurde bei Jugendstraftaten der Diversionsausschluss aus Gründen der Generalprävention beseitigt und jener bei einer Todesfolge gelockert. Neben der elementaren Bedingung, dass eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach den §§ 190 bis 192 StPO nicht in Betracht kommen darf, liegen die Kernelemente der Voraussetzungen für eine Anwendung der Diversion im Bereich des Erwachsenenstrafrechts im Erfordernis des hinreichend geklärten Sachverhalts, des Nichtvorliegens spezial- oder generalpräventiver Bedenken sowie im Vorliegen eines Offizialdeliktes mit Zuständigkeit des Bezirksgerichts oder des Einzelrichters des Landesgerichts im Hauptverfahren (§ 198 Abs. 1 und 2 StPO). Darüber hinaus gelten stets das Gebot der Freiwilligkeit sowie des Nichtvorliegens von schwerer Schuld beim Beschuldigten und der Ausschluss diversioneller Maßnahmen, wenn die Tat den Tod eines Menschen zur Folge gehabt hat. Bei Jugendlichen sind generalpräventive Erwägungen außer Betracht zu lassen und besteht im Übrigen keine Einschränkung auf Straftaten mit der obbezeichneten Gerichtszuständigkeit im Hauptverfahren. Unter bestimmten Voraussetzungen schließt auch die Todesfolge eines Menschen nicht per se das Anbot einer Diversion aus (§ 7 Abs. 2 JGG). Nach Einbringen der Anklage steht die Entscheidung über ein diversionelles Vorgehen dem Gericht zu (§ 209 StPO).

Die vergangenen zwölf Jahre können durchaus als Erfolgsgeschichte der Diversion bezeichnet werden, die sich neben der Statistik, wonach ca. 15 % aller Strafverfahren bei den Staatsanwaltschaften aber auch bei den Gerichten nach Einbringen der Anklage endgültig diversionell erledigt werden (vgl. Sicherheitsbericht 2010) auch in der Einführung einer Kronzeugenregelung (§§ 209a und 209b StPO) in der Strafprozessordnung durch das strafrechtliche Kompetenzpaket – sKp, BGBl. I Nr. 108/2010, manifestiert. Die zunächst auf Probe für einen Zeitraum von sechs Jahren in Geltung stehenden Bestimmungen der neuen Kronzeugenregelung knüpfen nämlich an die Regelungen über die Diversion an, wobei die Entscheidungsbefugnis über eine allfällige Anwendung dieser  Bestimmungen alleine der Staatsanwaltschaft obliegt.

In den vergangenen Jahren zeigte sich in der staatsanwaltschaftlichen, aber auch gerichtlichen Praxis wiederholt, dass in manchen Kriminalitätsbereichen neben den absolut bewährten Kriterien der Freiwilligkeit, der nicht schweren Schuld, der Wahrung der Opferinteressen und des Gebots, dass eine Bestrafung aus spezial- (und general-)präventiven Gründen nicht geboten erscheint, der generelle Ausschluss von Straftaten, die in die Zuständigkeit des Landesgerichts als Schöffengericht fallen, bei bestimmten Beschuldigten und den dazugehörigen Fallkonstellationen nicht sachgerecht ist. Gerade auf dem Gebiet der Vermögensdelikte sowie der Amts- und Korruptionsdelikte präsentierten sich im Einzelfall wiederholt Fälle von Beschuldigten mit einem tadellosen Vorleben, die etwa zu ihrem einmaligen Fehlverhalten umfassend geständig waren, (sofern möglich) bereits gänzliche Schadensgutmachung geleistet hatten und deren Schuld als nicht schwer zu bewerten war, die jedoch dennoch ausschließlich mit dem Einbringen einer Anklageschrift und der Durchführung einer aufwändigen Hauptverhandlung vor dem Landesgerichts als Schöffengericht erledigt werden konnten. Dort konnte der Angeklagte bestenfalls auf die Anwendung des Privilegs der Außerordentlichen Strafmilderung bei Überwiegen der Milderungsgründe (§ 41 StGB) hoffen. Abgesehen von verfahrensökonomischen Überlegungen ist auch die Versetzung in den Anklagestand samt Durchführung einer Hauptverhandlung vor einem Schöffensenat im Einzelfall unbillig und hat etwa auch der Leiter der (damals noch) Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Korruption, Mag. Walter Geyer, in seinem an die Frau Bundesministerin für Justiz gerichteten Bericht über das Jahr 2010 gemäß § 2a Abs. 5 StAG in Punkt 6.4. angeregt, für minder schwere Fälle des § 302 StGB (Amtsmissbrauch) eine diversionelle Lösung zu eröffnen.

Der vorgeschlagene § 198 Abs. 3 StPO soll nunmehr unter Beibehaltung der anderen Voraussetzungen abweichend von Abs. 2 Z 1 für Staatsanwaltschaften und Gerichte die Möglichkeit einer diversionellen Erledigung bei Straftaten des sechsten, dreizehnten und zweiundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils des StGB, die in die Zuständigkeit des Landesgerichts als Schöffengericht fallen, bieten. Zusätzlich muss sich der Beschuldigte dann jedoch bereit erklären, einen Geldbetrag zu entrichten, der einer Geldstrafe von 360 Tagessätzen zuzüglich des im Fall einer Verurteilung auszusprechenden Verfalls (erweiterten Verfalls) und der zu ersetzenden Kosten des Strafverfahrens (§ 200 Abs. 1) entspricht und nachweisen, dass er freiwillig den gesamten aus der Tat voraussichtlich entstandenen Schaden gutgemacht hat. Im Gegenzug soll die Diversion bei Vorliegen aller sonstigen Voraussetzungen unter diesen Umständen selbst dann möglich sein, wenn der Sachverhalt noch nicht hinreichend geklärt ist. Dies kann selbstverständlich nur für den Bereich der Staatsanwaltschaften gelten. Damit soll gerade bei Ermittlungsverfahren von beträchtlichem Aufwand und noch nicht abzuschätzender Dauer der Erhebungen bei umgekehrt aber schon möglicher Prognose des Umfangs und des Gewichts der im Raum stehenden Straftat des verdächtigen Beschuldigten für den Fall des Gelingens ihres Nachweises, dem Beschuldigten eine Art „Goldene Brücke“ eröffnet werden, die ihm die rasche Erledigung seines Strafverfahrens ohne negative Folgen einer Vorstrafe ermöglicht. Dass der Sachverhalt noch nicht hinreichend geklärt ist, bedeutet dabei aber nicht, dass bloß ein Anfangsverdacht vorliegt, oder dass – wie bei der Kronzeugenregelung – die Aufklärung der Straftat einer entscheidenden Förderung durch die Aussage des Beschuldigten bedarf, sondern bloß, dass eben noch keine hinreichende Klärung des Sachverhalts im Sinne des § 210 Abs. 1 StPO erfolgt ist.

Dass die Anwendung dieser diversionellen Erledigung auf strafbare Handlungen gegen fremdes Vermögen (Sechster Abschnitt des StGB), strafbare Handlungen gegen die Sicherheit des Verkehrs mit Geld, Wertpapieren, Wertzeichen und unbaren Zahlungsmitteln (Dreizehnter Abschnitt des StGB) sowie auf strafbare Verletzungen der Amtspflicht und verwandte strafbare Handlungen (Zweiundzwanzigster Abschnitt des StGB) beschränkt sein soll, und nicht etwa auch bei strafbaren Handlungen gegen Leib und Leben oder gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung greife, erklärt sich aus einer bei solchen Straftaten, die in die Zuständigkeit des Landesgerichts als Schöffengericht fallen, zwingend gegen die Diversion sprechenden Verhältnismäßigkeitsprüfung und Interessensabwägung sowie aus dem besonderen restorativen Charakter der vorgeschlagenen Diversion nach § 198 Abs. 3 StPO, der bei reinen Vermögensschäden ungleich einfacher zu erfüllen ist. Umgekehrt soll gerade bei oft komplexen Sachverhaltskonstellationen eine zielgerichtete, den Kriterien einer Verhältnismäßigkeitsprüfung entsprechende und die Ressourcen schonende Erledigung von Straftaten minderschwerer Ausprägung, die aber dennoch in die Zuständigkeit des Landesgerichts als Schöffengericht fallen, möglich werden. Straftaten, die zwar den vorgeschlagenen Abschnitten im StGB zuzuordnen sind, aber deutlich durch das Element einer Gewaltanwendung gekennzeichnet sind, können schon alleine wegen ihres Charakters die geforderten Grundvoraussetzungen für eine Anwendung des § 198 Abs. 3 StPO nicht erfüllen.

Zu Z 7 (§ 409b):

Wie schon zu § 116 ausgeführt soll zum Zwecke einer wirksameren und vor allem nachhaltigeren Bekämpfung und Verfolgung der schweren und organisierten Kriminalität die Aufmerksamkeit der Strafverfolgungsbehörden bereits zu Beginn des Ermittlungsverfahrens auf das Aufspüren von Vermögensteilen, die dem Verfall unterliegen könnten, gelenkt werden. Ausländische Beispiele lassen den Schluss zu, dass auch in Österreich Vermögenswerte in wesentlich höherem Ausmaß als bisher aus verbrecherischer Aktivität an den Staat rückführbar wären. Dies erfordert jedoch umgekehrt auch ein höheres Investment an Ressourcen in kriminalpolizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen auf diesem Gebiet. Internationale Beispiele zeigen, dass diese Voraussetzungen am ehesten dadurch verwirklich werden können, wenn ein Teil, der gerichtlich für verfallen erklärten Gelder den Aufwandsträgern zum Zwecke der Teilabdeckung des Sach- und Personalaufwandes abgetreten wird. Diesem Gedanken folgend soll daher künftig ein Teil der gerichtlich für verfallen erklärten Gelder dem Bundesministerium für Inneres zum Zwecke der Teilbedeckung des Sach– und Personalaufwandes abgetreten werden. Damit wäre kurz- bis mittelfristig eine Steigerung der strafprozessual sichergestellten Vermögenswerte und letztlich auch eine effizientere, zäsurartige SOK-Bekämpfung verbunden, zumal diese Form der Kriminalität nur in ihrem Kern durch die Zerstörung der Finanzstrukturen zerschlagen werden kann. Das Lukrieren von höheren Summen verfallener Geldbeträge oder Veräußerungserlöse (§§ 115e, 377) für den Bund würde einen weiteren positiven Nebeneffekt darstellen. Positivenfalls könnte auf diesem Weg auch die Idee der Einrichtung eines staatsanwaltschaftlichen Büros zur Vermögensverwaltung – Asset Management Office (AMO) weiterverfolgt und finanziert werden, zumal internationale Vergleiche zeigen, dass eine effiziente Vermögensabschöpfung stark von einer funktionierenden Vermögensverwaltung abhängig ist, die im Übrigen auch zu Einsparungen bei Verwahrungskosten und der Beseitigung der Gefahr von Wertverlusten beitragen könnte.

In dem vorgeschlagenen § 409b soll künftig zum Einen in Abs. 1 angeordnet werden, dass Geldstrafen, verfallene Geldbeträge oder Veräußerungserlöse (§§ 115e, 377) grundsätzlich dem Bund zufließen. In Abs. 2 soll bestimmt werden, dass 20 Prozent (20 vH) der nach §§ 20, 20b StGB für verfallen erklärten Vermögenswerte dem Bundesministerium für Inneres zur Abdeckung des Personal- und Sachaufwandes, der aus der Wahrnehmung der Aufgabe der Finanzermittlung der Kriminalpolizei entsteht, zufließen sollen.

Grundlage für diesen Verteilungsschlüssel ist ein Arbeitspapier des Bundesministeriums für Inneres auf der Grundlage, dass derzeit gegen 100% dieser Gelder als allgemeine Bundeseinnahmen in die UG 13 Justiz einfließen würden. Das Bundesministerium für Inneres geht davon aus, dass mit 20 % dieser Einnahmen die durch Verwirklichung eines Modells „Asset Recovery New“ mit einer Spezialisierung und personellen Aufstockung (ca. 48 Personen bundesweit, auf BK.-, LKA- und regionaler Ebene) dem Ressort entstehenden Mehrkosten abgedeckt werden könnten und umgekehrt künftig so viel mehr Erlöse erzielt werden könnten, dass dem Bundesministerium für Justiz kein budgetärer Verlust entsteht. Als Vorbild dieses Vorschlages dient § 111 TKG und die Finanzierung der Rundfunk und Telekom RegulierungsGmbH.

Das bei positiver Entwicklung im Bereich des Bundesministeriums für Justiz zur Installierung angedachte Einrichtung eines AMO (Asset Management Office)  – wie bereits in den meisten europäischen und angloamerikanischen Staaten mit Erfolg etabliert – könnte die Problematik der Verwaltung von sichergestellten oder beschlagnahmten Vermögenswerten, die durch das im Zuge des strafrechtlichen Kompetenzpakets – sKp, BGBl. I Nr. 108/2010, geschaffene Möglichkeit des Zugriffes auf die Surrogate krimineller Erlöse (§ 20 Abs. 2 StGB) noch virulenter geworden ist, insoweit entschärfen, als künftig auf professionelle Weise etwa Liegenschaften, Personen-, oder Kapitalgesellschaften, bewegliche Vermögenswerte (KFZ, LKW, Schiffe, Container, Antiquitäten, Kunstschätze, usw.), Depots, Wertpapierbestände, Sparbücher, Fonds, etc. mit Kompetenzen analog zu jenen eines Konkurs- bzw. eines Masseverwalters verwahrt bzw. verwaltet werden könnten, womit anstelle von Wertverlusten sogar mit Wertzuwächsen gerechnet werden könnte.