Amt der Tiroler Landesregierung

 

 

Verfassungsdienst

 


Mag. Günther Zangerl

 

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An das

Bundesministerium für Inneres

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Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Asylgesetz 2005, das Fremdenpolizeigesetz 2005 und das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz geändert werden und ein Bundesgesetz über einen Beirat des Landeshauptmannes zur Beratung in Fällen besonderen Interesses erlassen wird; Begutachtung; Stellungnahme

Geschäftszahl

Innsbruck,

Präs.II-1406/428
08.01.2008

 

 

 Zu GZ. BMI-LR1310/0015-III/1/c/2008 vom 10. Dezember 2008

 

Zum angeführten Gesetzentwurf wird folgende Stellungnahme abgegeben:

 

I. Allgemeines:

Grundsätzlich enthält der vorliegende Entwurf einige auch aus der Sicht des Landes Tirol begrüßenswerte Ansätze. So ist beispielsweise die Neuerung, dass die Niederlassungs- und Aufenthaltsbehörden zukünftig von Amts wegen einen Aufenthaltstitel zu erteilen haben, wenn die Unzulässigkeit einer Ausweisung in einem Asylverfahren oder in einem fremdenpolizeilichen Verfahren bereits festgestellt wurde, im Sinn eines effizienten und einheitlichen Vollzugs zu begrüßen. Diesem Ziel dient auch die im Entwurf vorge­sehene explizite Normierung der vom VfGH zur Interessenabwägung nach Art. 8 MRK herausgearbeiteten Kriterien im Asylgesetz 2005, im Fremdenpolizeigesetz 2005 und im Niederlassungs- und Aufenthalts­gesetz. Durch die Einräumung entsprechender Antragsrechte in jenen Fällen, in denen die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens geboten scheint, soll dem Erkenntnis des VfGH vom 27. Juni 2008, G 246/07, Rechnung getragen werden.

 

Nicht nachvollziehbar ist die Ein­schätzung des Bundes, dass durch den vorliegenden Entwurf für die Länder keine Mehrbelastungen zu erwarten sind. Nach Ansicht des Landes Tirol wird allein die Anzahl der zu bearbeitenden „Altfälle“ (§§ 43 Abs. 2 und 44 Abs. 3 und 4 NAG) zu einer erheblichen Mehrbelastung führen. Darüber hinaus werden auch die nunmehr in den §§ 43 Abs. 2 und 44 Abs. 3 NAG eingeräumten Antragsrechte einen beträcht­lichen Verwaltungsaufwand für die Länder mit sich bringen, da anzunehmen ist, dass von diesen Antrags­rechten auch entsprechend Gebrauch gemacht werden wird. Auch wenn § 44b Abs. 1 Z. 2 NAG in jenen Fällen, in denen aus dem Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorgeht, eine Zurückweisung des Antrags vorsieht, wird dies meist nicht ohne inhaltliche Prüfung des Antragsvorbrin­gens möglich sein. Gleiches gilt für Anträge nach § 69a NAG, sodass der mit dem vorliegenden Entwurf verbundene Verwaltungsaufwand nach einer ersten Einschätzung zusätzliche personelle Ressourcen er­forderlich machen wird.

 

Festgehalten wird weiters, dass sich die nachfolgenden Anmerkungen aufgrund der – angesichts der Weihnachtsfeiertage – relativ kurz bemessenen Begutachtungsfrist auf die für das Land Tirol wesentlichen Aspekte beschränken, die vor allem die Neuregelung der „humanitären“ Aufenthaltstitel im NAG betreffen.

 

 

II. Bemerkungen zu einzelnen Bestimmungen:

Zu Art. 3 (Änderung des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes):

 

Zu den Z. 4 und 20:

Der Bundesminister für Inneres kann Entscheidungen des Landeshauptmannes zukünftig für nichtig erklären. Auch die im Entwurf vorgesehene „Mitteilungspflicht“ über die beabsichtigte Erteilung einer „Niederlassungsbewilligung-beschränkt“ kommt aufgrund des Weisungsrechtes des Bundesministers im Bereich der mittelbaren Bundesverwaltung einer Genehmigungspflicht gleich. Insgesamt sichert sich der Bundesminister im sensiblen Bereich der „humanitären“ Aufenthaltstitel somit maßgeblichen Einfluss auf die zu treffenden Entscheidungen. Nach Ansicht des Landes Tirol sollte daher auch an der bisherigen Rechtslage festgehalten werden.

 

Zu Z. 12:

Es ist zu befürchten, dass die Prüfung von Wiedereinsetzungsgründen in der Praxis einen nicht unerheb­lichen Verwaltungsaufwand verursachen wird. Wesentlich leichter zu vollziehen ist die derzeit gültige Regelung, die eine Antragstellung bis sechs Monate nach dem Ende der Gültigkeitsdauer des Aufenthalts­titels zulässt. Alternativ zum Vorschlag im Entwurf könnte diese Frist verkürzt werden, was die Zahl der Verlängerungsanträge ebenfalls verringern dürfte.

 

Zu den Z. 13 u. 14:

Die Neuregelung des Aufenthaltsrechtes aus humanitären Gründen wird seitens des Landes Tirol aus mehreren Gründen kritisch gesehen:

 

Grundsätzlich soll zukünftig zwischen Fällen mit Bezug zu Art. 8 MRK (§§ 43 Abs. 2 und 44 Abs. 3) und Fällen, in denen diese Bestimmung keine Anwendung findet (§ 44 Abs. 4), unterschieden werden. Vor allem die Neufassung des § 44 Abs. 4 scheint problematisch. Diese Bestimmung sieht vor, dass der Landeshauptmann Drittstaatsangehörigen von Amts wegen eine quotenfreie "Niederlassungsbewilligung-beschränkt" erteilen kann, wenn der Betroffene seit mindestens 1. Jänner 2003 durchgehend im Bundes­gebiet aufhältig ist und eine positive Empfehlung des Beirates nach dem Bundesgesetz über einen Beirat des Landeshauptmannes zur Beratung in Fällen besonderen Interesses vorliegt. Es fällt somit auf, dass diese Bestimmung – im Gegensatz zu den §§ 43 Abs. 2 und 44 Abs. 3 – wiederum kein Antragsrecht kennt. Auch wenn dieser Umstand mit dem Hinweis darauf, dass § 44 Abs. 4 auf Fälle ohne Bezug zu Art. 8 MRK abstellt, argumentiert werden könnte, scheint die faktische Verknüpfung des Tätigwerdens des Landeshauptmannes mit der Existenz eines Beirates aus verfassungsrechtlicher Sicht jedenfalls bedenk­lich. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang nämlich, dass der Landeshauptmann nicht verpflichtet ist, diesen Beirat einzurichten, im Gegenzug aber nur auf dessen Vorschlag tätig werden darf. Somit bleibt es der Entscheidung des jeweiligen Landeshauptmannes überlassen, ob im jeweiligen Bundesland die grund­sätzliche Möglichkeit eröffnet wird, beschränkte Niederlassungsbewilligungen nach § 44 Abs. 4 zu erteilen. Hinzu kommt die vom Betroffenen ebenfalls nicht beeinflussbare Voraussetzung der – für sich gesehen unter Hinweis auf öffentliche Interessen allenfalls noch argumentierbaren - Patenschaft nach § 2 des Bun­desgesetzes über den Beirat. Es ist unter diesen Umständen nicht auszuschließen, dass – abhängig von der Existenz oder Nichtexistenz eines Beirates – gleich gelagerte Sachverhalte in den einzelnen Bundes­ländern völlig unterschiedliche Behandlungen erfahren. Nach Ansicht des Landes Tirol ist dieser Zustand mit dem Gleichheitsgrundsatz nach Art. 7 B-VG und mit dem aus dem Legalitätsprinzip nach Art. 18 B-VG abgeleiteten Bestimmtheitsgebot nicht vereinbar.

 

Zu Z. 17:

Im Zusammenhang mit dem neu geschaffenen § 69a muss - auch wenn in diesen Fällen die Zuerkennung einer Aufenthaltsbewilligung sachgerecht scheint – wiederum auf den damit verbundenen administrativen Mehraufwand für das Land hingewiesen werden.

 

Zu Z. 24:

Auch die Übergangsbestimmungen des Entwurfes, wonach die Kompetenz zur Erteilung der Zustimmung in allen derzeit beim Bundesministerium für Inneres anhängigen Fällen betreffend „humanitäre Bleibe­rechte“ mit Inkrafttreten der neuen Bestimmungen auf den Landeshauptmann übergeht (§ 81 Abs. 12) und auch alle übrigen anhängigen Verfahren nach den neuen Bestimmungen zu Ende zu führen sind (§ 81 Abs. 11), werden zu entsprechenden Mehrbelastungen der Länder führen.

 

Zu Art. 4 (Bundesgesetz über einen Beirat des Landeshauptmannes zur Beratung in Fällen besonderen Interesses):

Auch die mit diesem Entwurf vorgesehene Einrichtung eines Beirates zur Beratung in Fällen besonderen Interesses wird aus verfassungsrechtlicher und auch föderalistischer Sicht grundsätzlich kritisch gesehen. Das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz wird in mittelbarer Bundesverwaltung vollzogen. Nach Art. 102 Abs. 1 B-VG üben im Bereich der Länder die Vollziehung des Bundes, soweit nicht eigene Bundesbehör­den bestehen, der Landeshauptmann und die ihm unterstellten Landesbehörden aus. Es ist fraglich, ob dem Landeshauptmann im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung durch Bundesgesetz zusätzlich ein „Beratungsgremium“ zur Seite gestellt werden kann. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass der vorgesehene Beirat zur Beratung in Fällen besonderen Interesses nicht bloß beratende Funktion hat. Geht es nach dem vorliegenden Entwurf, so kann der Landeshauptmann nur auf Empfehlung des Beirates tätig werden. Das heißt, dass der Landeshauptmann ungeachtet seiner Stellung als zentrales Organ der mittelbaren Bun­desverwaltung § 44 Abs. 4 NAG nur dann vollziehen kann, wenn der von ihm einzurichtende Beirat zuvor tätig geworden ist. Den Ländern kommt auch im Bereich der mittelbaren Bundesverwaltung die prinzipielle Organisationshoheit über die Behörden zu, derer sie sich dabei bedienen. Geht man davon aus, dass in der mittelbaren Bundesverwaltung „Landesbehörde“ jedes organisatorisch dem Land zugeordnete Organ ist (vgl. Purtscher, Die Organisationshoheit und der Organisationsbegriff in der mittelbaren Bundesverwal­tung, JBl 1980, 337), dann stellt der vorliegende Entwurf mangels Zustimmung nach Art. 102 Abs. 4 B-VG einen unzulässigen Eingriff in die Organisationsgewalt der Länder dar. Weiters ist es wie bereits erwähnt – mit dem Legalitätsgebot nach Art. 18 B-VG nicht vereinbar, dass die durch Verordnung des Landeshaupt­mannes erfolgende Einrichtung des Beirates dem völlig freien Ermessen des Landeshauptmannes über­lassen bleibt.

 

Eine Ausfertigung dieser Stellungnahme wird unter einem auch dem Präsidium des Nationalrates über­mittelt.

 

 

Für die Landesregierung:

 

 

Dr. Liener
Landesamtsdirektor