Gz BKA-F141.020/0074-II/4/2008

Abteilungsmail ii4@bka.gv.at

bearbeiterin Frau Drin. Anna lasser

Pers. E-mail anna.lasser@bka.gv.at

Telefon (+43 1) 53115/75440

Ihr Zeichen

Herrn

Mag. Dietmar Hudsky

  

Bundesministerium für Inneres

 

bmi-III-1@bmi.gv.at

 

Antwort bitte unter Anführung der GZ an die Abteilungsmail

 

 

 

 

Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Asylgesetz 2005, das Fremdenpolizeigesetz 2005 und das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz geändert werden und ein Bundesgesetz über einen Beirat des Landeshauptmannes zur Beratung in Fällen besonderen Interesses erlassen wird; Begutachtungsverfahren - Stellungnahme

 

 

Sehr geehrter Herr Mag. Hudsky,

zu dem im Betreff genannten Gesetzesentwurf wird seitens der Frauensektion im Bundeskanzleramt nachstehende Stellungnahme zu § 69a NAG abgegeben.

 

Vorweg wird festgehalten, dass ein Aufenthaltstitel „Opfer“ als stigmatisierend empfunden wird und es wird daher empfohlen, zumindest auf der Aufenthaltskarte auf diesen Begriff zu verzichten.

 

Die Neuregelung des Aufenthalts aus humanitären Gründen für Opfer von Menschenhandel entspricht hinsichtlich der Einführung eines Antragsrechts einem langjährigen frauenpolitischen Anliegen und wird daher äußerst positiv gesehen.

 

Allerdings ist mit der konkreten Ausgestaltung dieser Neureglung ein gravierender Rückschritt im Opferschutz verbunden: Derzeit kann Opfern von Frauenhandel ein humanitärer Aufenthalt nur von Amtswegen erteilt werden, doch ist dieser nicht auf Fälle beschränkt, in denen die Opfer mit den Strafverfolgungsbehörden kooperieren / kooperieren können oder Schadenersatz in einem Zivilprozess einklagen.

 

Stellvertretend für mehrere diesbezügliche Äußerungen wird auf den „Bericht zur Entschließung 203, 1616 der Beilagen XXII. GP – Ausschussbericht NR, vom 12. Juli 2006“ verwiesen, wo es wörtlich heißt:

 

Wenn festgestellt wurde, dass es sich um Opfer des Menschenhandels handelt, können für diese Personen (und unter Umständen auch für Kinder dieser Personen) Aufenthaltsbewilligungen aus humanitären Gründen von mindestens 6 Monaten Gültigkeitsdauer gewährt werden, wenn es die persönliche Situation des Opfers erforderlich macht, unabhängig davon ob die Bereitschaft besteht, mit den Behörden zusammenzuarbeiten.

Das Abstellen auf die Schutzbedürftigkeit des Opfers (anstatt auf dessen Kooperationsbereitschaft) ist insbesondere in den Fällen wesentlich, wo Opfer zu wenig Kenntnis über die TäterInnen haben, oder zu viel Angst, um auszusagen oder weil es rechtliche Schranken für die Strafverfolgung gibt, wie z.B. bei Handel in Diplomatenhaushalte.

 

Auch das von Österreich ratifizierte Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandels sieht in Artikel 14 einen Aufenthaltstitel aufgrund der persönlichen Situation des Opfers vor. Im Ratifizierungsverfahren wurde in den Erläuterungen zu diesem Übereinkommen die Möglichkeit, aus individuellen Gründen einen humanitären Aufenthalt unabhängig von einem Straf- oder Zivilverfahren zu erteilen, betont.

 

Hinter diese derzeit auch im Erlasswege festgelegte - für den Schutz der Opfer unerlässliche - Vorgangsweise darf auf keinen Fall zurück gegangen werden: Es wird daher angeregt, § 69a um eine diesbezügliche Bestimmung zu ergänzen.

 

Die Einführung einer Frist von 6 Wochen, innerhalb derer die Behörde über einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung aus humanitären Gründen zu entscheiden hat, wird als wichtiger Beitrag zur Stabilisierung der Opfer ebenfalls sehr begrüßt. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass es nicht zur Ablehnung eines Antrags, sondern - auch wenn nicht ausdrücklich in § 69a (2) erwähnt -  ebenfalls zur Hemmung dieser Frist führen wird, wenn z.B. als Nachweis der Identität beizubringende Dokumente des Opfers nicht innerhalb dieser Frist beschafft werden können.

 

Opfer von Menschenhandel sollten bis zur Entscheidung über einen beantragten Aufenthalt aus humanitären Gründen keinesfalls in Schubhaft genommen werden. Die nach internationalen Vorgaben zu gewährende mindestens 30tägige Erholungs- und Bedenkzeit sollte einerseits dringend ausgeweitet werden, da dieser Zeitraum in der Praxis viel zu kurz ist; der EU-ExpertInnenbericht 2004 empfiehlt eine mindestens 3monatige Bedenkzeit. Andererseits ist Schubhaft grundsätzlich nicht geeignet, traumatisierte Menschen zu stabilisieren.

 

Ein weiteres Problem bei der vorgeschlagenen Neuregelung wird darin gesehen, dass eine Aufenthaltsbewilligung aus humanitären Gründen nach § 69a (1) bei Vorliegen eines Aufenthalts- oder Rückkehrverbots nicht erteilt werden darf. Dies betrifft sowohl Opfer von Menschenhandel als auch die geplante Neuregelung für Opfer familiärer Gewalt.

 

Ein Aufenthaltsverbot kann jedoch z.B. wegen Verstoßes gegen Vorschriften, die die Prostitution regeln, erlassen werden oder wenn Betroffene nicht ausreichend Mittel für ihren Unterhalt nachweisen können. In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass Frauen, die in die Prostitution gehandelt wurden, wegen illegaler Prostitution bestraft und in der Folge mit einem Aufenthaltsverbot belegt werden. Ein humanitärer Aufenthalt ist vor Aufhebung dieses Aufenthaltsverbots nicht möglich – die Identifikation als Opfer von Frauenhandel sollte jedoch aus frauenpolitischer und menschenrechtlicher Sicht jedenfalls ausreichen, sofort einen humanitären Aufenthalt zu gewähren. Auch Opfer familiärer Gewalt sollten ungeachtet ihrer Unterhaltsmittel jedenfalls unverzüglich eine Aufenthaltsbewilligung aus humanitären Gründen erhalten, wenn sie diese zu ihrem Schutz benötigen.

 

§ 69a (3) – humanitärer Aufenthalt für Opfer familiärer Gewalt – wird grundsätzlich als Ergänzung zu § 27 (4) NAG begrüßt. Regelt § 27 (4) den Fall, dass Gewaltopfer ihr – wenn auch vom Zusammenführenden abgeleitetes – Niederlassungsrecht nicht verlieren, sollen vom neu geschaffenen § 69a (3) NAG die Fälle erfasst werden, in denen das Opfer noch kein Aufenthaltsrecht hat.

 

Bedauerlicherweise ist in den Erläuterungen nicht näher ausgeführt, an welche Konstellationen dabei im Konkreten gedacht ist – insbesondere hinsichtlich der Voraussetzung, dass das Opfer glaubhaft zu machen hat, dass es das Aufenthaltsrecht zum Schutz vor weiterer Gewalt – aber ausschließlich Gewalt durch den Zusammenführenden – benötigt.

 

Vorstellbar ist jedoch auch, dass ein Opfer familiärer Gewalt das Aufenthaltsrecht hier benötigt, um vor Gewalt im Herkunftsland z.B. von anderen Familienangehörigen der zusammenführenden Person geschützt zu sein, da ja in der Regel die zusammenführende Person wegen familiärer Gewalt nicht ausgewiesen wird. Bei Rückkehr in das Herkunftsland würde daher dem Opfer im Regelfall keine weitere Gewalt von der (in Österreich verbliebenen) zusammenführenden Person drohen, allenfalls aber von anderen Familienmitgliedern.

 

Insofern wird hinsichtlich der geplanten Neureglung noch Diskussionsbedarf gesehen, als hinsichtlich des intendierten Schutzes vor familiärer Gewalt noch Lücken zu bestehen scheinen.

 

Weiters wird angeregt, die Voraussetzungen, unter denen ein humanitärer Aufenthalt wegen familiärer Gewalt beantragt werden kann, auszuweiten: wie in der Bundeshöchstzahlenüberziehungsverordnung sollen neben der einstweilige Verfügung nach § 382b EO auch die Anzeigenerstattung, ein Gerichtsbeschluss auf gesonderte Wohnungsnahme, eine Ehescheidung oder die Bestätigung einer der in Z 10 lit d) der genannten Verordnung angeführten Einrichtungen und darüber hinaus auch die einstweilige Verfügung zum Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre nach § 382g EO zulässige Grundlagen für den Antrag auf Erteilung des humanitären Aufenthalts sein.

Dies gilt gleichfalls für § 27 (4) NAG – auch hier wäre eine solche Ergänzung wünschenswert.

Überdies wären sowohl § 27 (4) als auch § 96a (1) Z 3 im Hinblick auf das geplante Inkrafttreten des 2. Gewaltschutzgesetzes mit 1.3.2009 zu adaptieren. Der derzeitige Regelungsinhalt des § 382b EO wird dann in § 382b EO (Schutz vor Gewalt in Wohnungen) und § 382e EO (einstweilige Verfügung zum allgemeinen Schutz vor Gewalt – Kontakt- und Aufenthaltsverbot) zu finden sein.

 

Gegenständliches Gesetzesvorhaben wird gleichfalls zum Anlass genommen, darauf hinzuweisen, dass nach Aussagen der Gewaltschutzzentren/Interventionsstellen § 27 (4) NAG vielfach totes Recht geblieben ist. Aus frauenpolitischer Sicht ist daher dringend eine Klarstellung über die Vorgangsweise in Fällen familiärer Gewalt zu treffen, was im Wege eines Erlasses kombiniert mit entsprechenden Schulungen erfolgen sollte.

 

Zu § 69a stellt sich weiters die Frage, wie von Aufenthaltsbewilligung „Opfer“ auf eine „normale“ Niederlassung umgestiegen werden kann. § 73 NAG (bisherige Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen) wird aufgehoben, und die geplante Novelle sieht keine derartige Niederlassungsbewilligung im Anschluss an die Aufenthaltsbewilligung aus humanitären Gründen nach § 69a vor. Diese Niederlassungsbewilligung soll offenbar durch die neuen § 44 (3) und 43 (2) ersetzt werden – diese Bestimmungen stellen jedoch auf Artikel 8 EMRK (Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens) ab und sind auf Opfer von Menschenhandel sowie Opfer familiärer Gewalt nicht umlegbar.

 

Es wird dringend ersucht, dieses Problem einer Lösung zuzuführen bzw. gegebenenfalls in den Erläuterungen eine Klarstellung zu treffen, wie dieser Umstieg erfolgen kann.

 

 

 

Für die Bundesministerin:

 

 

 

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