Verein
PatientInnen-Initiative "Kuckucksnest"
c/o
Ingrid M. Machold
Petrusgasse 8/5
1030 Wien
Tel./Fax: 01/714 42 21
Email: ingrid.m.machold@aon.at
An das
Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst
Ballhausplatz 2
1014 Wien
Stellungnahme
zum
Ministerialentwurf
betreffend ein Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz
geändert wird und ein Bundesgesetz zur Durchführung des
Fakultativprotokolls vom 18. Dezember 2002 zum Übereinkommen der Vereinten
Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende
Behandlung oder Strafe (OPCAT-Durchführungsgesetz):
1. Die Erläuterungen zitieren zur B-VG
Novelle die "Guidelines on national preventive mechanisms des
UN-Subcommittee on Prevention of Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading
Treatment or Punishment" vom 9.12.2010, CAT/OP/12/5.
Diese sehen vor (RZ16), dass zur Einrichtung eines NPM ein -offener,
transparenter und inklusiver Prozess stattfinden sollte, der eine große
Bandbreite an Stakeholdern, einschließlich der Zivilgesellschaft
miteinbeziehen sollte. Dies sollte auch für den Prozess der Auswahl und
Bestellung der Mitglieder des NPM gelten, der mit den veröffentlichten
Kriterien in Übereinstimmung stehen sollte.
Es kann keine Rede davon sein, dass eine große Bandbreite von
Stakeholdern in diesen Prozess einbezogen wurde.
Insbesondere wurden auch keine Organisationen von Psychiatriebetroffenen in
diesen Prozess einbezogen.
2. Als Stakeholder (engl.) wird eine natürliche oder
juristische Person bezeichnet, die ein Interesse am Verlauf oder Ergebnis eines
Prozesses hat
(http://de.wikipedia.org/wiki/Stakeholder)
Für das gegenständliche OPCAT-Umsetzungsprojekt existieren viele
Stakeholder. Nur ein kleiner Teil ist von den gegenständlichen
Entwürfen informiert.
Stakeholder für OPCAT sind unserer Meinung nach zB:
-Die politischen Parteien Österreichs einschließlich der nicht im
Nationalrat oder in den Landtagen vertretenen
-Die Bundesländer, Gemeindeverbände und Gemeinden
-alle Kirchen und Religionsgemeinschaften und in Österreich vertretenen
religiösen Gruppen
- Ethnische Minderheiten
- Alle Behindertenverbände und Organisationen, Selbsthilfegruppen, auch
außerhalb der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für
Rehabilitation
- Alle Antifolterorganisationen. Von diesen wurden lediglich Amnesty und die
Österreichische Juristenkommission (fraglich) einbezogen
Es ist wichtig, einen Interessensausgleich zwischen den Stakeholdern zu
erzielen, weil sonst kein funktionierender Nationaler
OPCAT-Monitoringmechanismus zustande kommen kann.
Personengruppen, die durchschnittlich häufiger als die
Durchschnittsbevölkerung von Folter u.ä. betroffen sind
(Schubhäftlinge, Untersuchungshäftlinge, Insassen einer
psychiatrischen Anstalt), haben auch weniger Lobbies, die sich für ihre
Rechts stark machen.
Ihre Stimme wird in unserer Gesellschaft nicht gehört, oder ihr Stigma ist
so groß, dass sie es nicht wagen, ihre Interessen in der Politik zu
vertreten (Durch Sichtbar-Werden ist Jobverlust uäm. zu
befürchten). Gerade auch sie sollten im Prozess zur Umsetzung des OPCAT
berücksichtigt werden.
Das benötigt Zeit und Bemühung, die Voraussetzungen des OPCAT auch
solchen benachteiligten Gruppen zu erklären. Diese Zeit war
gegenständlichenfalls nicht gegeben, da die vorliegenden Entwürfe den
allermeisten Gruppen und Organisationen erst im Rahmen der
gegenständlichen Begutachtung bekannt wurden.
3. Menschen, die sich aktuell in psychiatrischer Behandlung befinden,
insbesondere auf Akut/Aufnahmestationen, werden oft nicht in der Lage sein,
einer visitierenden Stelle entsprechende Auskunft zu geben, da sie ja von der
Institution abhängig sind und von deren Behandlung und deshalb oft Angst
haben, Kritik zu äußern, misstrauisch sind und nicht daran glauben,
dass von außen kommende Menschen das, was sie sagen, für sich
behalten werden. Oder sie sind zu sediert, um sich auszudrücken.
Deshalb ist es wichtig, dass Menschen mit Psychiatrieerfahrung in das
Monitoring und auch schon in die Erstellung der gesetzlichen Grundlagen
einbezogen werden, die aus ihrer früheren Erfahrung als PatientInnen und
nun Freunde/BesucherInnen von PatientInnen mit einem gewissen Abstand beitragen
können.
Das alles gilt auch für alle anderen Menschen, die als behindert oder
krank eingestuft sind, und deren Freiheit an Orten möglicher Anhaltung
entzogen ist.
4. Zur Illustration der Zweckmäßigkeit eines Einbeziehens der
betroffenen Personengruppen - zu denen im Bereich der Behinderung auch die
Angehörigen gehören -, soll das folgende Beispiel dienen:
Im Bericht des CPT 2001 deutsche Übersetzung, S.41) "empfiehlt der
CPT den österreichischen Behörden, die Nutzung von
„Gitterbetten“ (richtig ist: Netzbetten Anm. I.M.) in der
psychiatrischen Klinik Baumgartner Höhe, wie auch in anderen Einrichtungen,
in denen diese möglicherweise eingesetzt werden, einzustellen."
Diese Empfehlung, in die Erfahrungen von Psychiatriebetroffenen nicht
eingeflossen sind, dürfte in der Folge zu einer Verschlechterung der
Situation auf vielen Stationen geführt haben:
- Von PatientInnen ungewünschte Isolierung von Kontakten zu
MitpatientInnen durch Schaffung kleinerer Patientenzimmer.
Anstelle der im Bericht kritisierten Gemeinschafts-Schlafräume, in denen
ua. auch PatientInnen in Netzbetten untergebracht waren, gibt es nach
Raumabtrennung kleine Räume, z.B. Netzbett-Einzel und
Netzbett-Zweibettzimmer.
Dadurch werden die Kontakte der betroffenen PatientInnen zu ihren
MitpatientInnen auf der Station stark reduziert, was sich auch in
Nicht-Netzbettzimmern als Problem zeigt. Es ist üblich gewesen, dass in Gemeinschaftszimmern
die PatientInnen aufeinander geachtet und notwendigenfalls die PflegerInnen
alarmiert haben, wenn sich ein Notfall im Netzbett ereignete.
Wenn der/die PatientIn Durst hatte, brachten ihm/ihr die MitpatientInnen
Flüssigkeit. So konnten Defizite in der Wachsamkeit des Stationspersonals
vermindert werden.
In einem Einzel- oder Zweibettnetzbettzimmer gemeinsam mit einer/m anderen
PatientIn, der/die idR stark sediert ist und nicht helfen kann, ist die
Situation von NetzbettpatientInnen ungünstiger.
- Zunahme der Fünf-Punkte-Fixierung
Anstelle von Netzbetten wird nunmehr häufiger Fünf-Punkte-Fixierung
verwendet. Diese wird idR als quälender erlebt als die Unterbringung im
Netzbett, da bei Fehlen von Rufklingeln verbunden mit mangelnder Aufmerksamkeit
des Personals das notgedrungene Einnässen als zusätzlich
entwürdigend empfunden wird.
Medizinisch nicht angezeigte Fixierungen über die Nacht wurden berichtet,
bei denen die PatientInnen zudem auch noch Windeln angelegt bekamen (Personalnot).
Warum ist die Fünf-Punkte-Fixierung schlimmer als das Netzbett?
Sie passiert folgendermaßen:
1.Die
Hände werden vom Körper weg am Bett fixiert mit Lederbändern
2. Die Füße werden vom Körper weg am Bettrand fixiert
3. Auch der Bauch wird fixiert.
Vor allem für Frauen ist es ungeheuer erniedrigend, auf diese Weise mit
gespreizten Beinen manchmal stundenlang im Bett liegen zu müssen. Wenn
sich der/die PatientIn abdeckt, ist es besonders beschämend. Viele Frauen
mit Psychosediagnose haben in ihrer Geschichte sexuelle Missbrauchserfahrung
gemacht, und so wiederholen sich Gewalterfahrungen und führen zu
Retraumatisierungen.
Im Zustand von Fixierung insbesondere in Einzelisolation werden subjektiv
Gefühle von Ausgeliefertsein und Ohnmacht ausgelöst. Diese
könnten je nach persönlicher Geschichte und Erfahrung auch als Folter
erlebt werden (z.B. werden im Zusammenhang mit der Neigung zu Wahnbildung im
Rahmen von Psychosen Situationen des Gefoltert- und Zerschnittenwerdens sowie
Scheinhinrichtungen erlebt).
Vgl. dazu "Kuckucksnest" Heft 3/2003, S.20, H.T. Schwitzer,
"Gebt uns unsere Netzbetten zurück!"
Wir betonen daher, dass auch ein entsprechender Anteil an Frauen mit eigener
Gewalterfahrung (oder Psychiatrieerfahrung) in den visitierenden Gremien
unbedingt notwendig scheint.
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- Guidelines on national preventive mechanisms; Subcommittee on Prevention of
Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment; Twelfth
session; Geneva, 15–19 November 2010; CAT/OP/12/5
http://www.bayefsky.com/getfile.php/id/486190061/misc/mechanisms
- Bericht des Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter und
unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) an die
österreichische Regierung anlässlich seines Besuches in
Österreich
vom 19. bis 30. September 1999
http://www.cpt.coe.int/documents/aut/2001-08-inf-deu.pdf
(Achtung, Übersetzungsfehler)
http://www.univie.ac.at/bimtor/dateien/austria_cpt_2001_report.pdf
(Französische Fassung)
Ingrid M. Machold für den Verein PatientInnen-Initiative
Kuckucksnest