Erläuterungen

I. Allgemeiner Teil

Inhalte

Die Richtlinie 2012/28/EU über bestimmte zulässige Formen der Nutzung verwaister Werke ist bis 29.10.2014 umzusetzen.

Diese Richtlinie soll die Digitalisierung und Verbreitung des europäischen Kulturerbes über das Internet durch Bibliotheken, Museen und Archive durch Maßnahmen zur Vereinfachung der Rechteklärung an sogenannten verwaisten Werken erleichtern, deren Rechteinhaber unbekannt oder nicht auffindbar sind. Die Richtlinie sieht eine Ausnahme bzw. Beschränkung des Vervielfältigungsrechts und des Zurverfügungstellungsrechts an verwaisten Werken zugunsten öffentlich zugänglicher Einrichtungen sowie öffentlich-rechtlicher Rundfunkunternehmen vor, die im Rahmen ihrer im Gemeinwohl liegenden Aufgaben Zugang zu ihrem Werkbestand ermöglichen. Der Entwurf setzt diese Richtlinie in § 56e, § 57 Abs. 3a Z 4 und durch entsprechende Ergänzungen verschiedener Verweise auf diese Bestimmungen um.

Verhältnis zu den Rechtsvorschriften der Europäischen Union

Mit dem Entwurf soll die Richtlinie 2012/28/EU über bestimmte zulässige Formen der Nutzung verwaister Werke umgesetzt werden.

Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens

Keine.

Kompetenzgrundlage

Die Kompetenz des Bundes zur Erlassung dieses Bundesgesetzes gründet sich auf Art. 10 Abs. 1 Z 6 B-VG (Zivilrechtswesen, Urheberrecht).

II. Besonderer Teil

Zu § 56e, § 57 Abs. 3a Z 4, § 72 Abs. 2, § 74 Abs. 7, § 76 Abs. 6, § 76a Abs. 5:

Die Richtlinie 2012/28/EU über bestimmte zulässige Formen der Nutzung verwaister Werke (im Folgenden kurz als die „Richtlinie“ bezeichnet) soll die Digitalisierung und Verbreitung des europäischen Kulturerbes über das Internet durch Bibliotheken, Museen und Archive durch Maßnahmen zur Vereinfachung der Rechteklärung an so genannten verwaisten Werken erleichtern, deren Rechteinhaber unbekannt oder nicht auffindbar sind.

Die Richtlinie sieht eine Ausnahme bzw. Beschränkung des Vervielfältigungsrechts und des Zurverfügungstellungsrechts an verwaisten Werken zugunsten öffentlich zugänglicher Einrichtungen sowie öffentlich-rechtlicher Rundfunkunternehmen vor, die im Rahmen ihrer im Gemeinwohl liegenden Aufgaben Zugang zu ihrem Werkbestand ermöglichen. Als weitere Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Zurverfügungstellung des eigenen Bestands verwaister Werke bestimmt die Richtlinie, dass das betroffene Werk in der Europäischen Union erstveröffentlicht (bzw. erstgesendet) oder doch zumindest mit Zustimmung eines Rechteinhabers über eine berechtigte Einrichtung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Ferner setzt die zulässige Nutzung eine erfolglose sorgfältige Suche nach dem Rechteinhaber in den Quellen des Landes der Erstveröffentlichung voraus. Die Suchergebnisse sind von der betroffenen Einrichtung zu dokumentieren und an die zuständigen nationalen Behörden weiterzuleiten, die wiederum diese Informationen dem Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt übermitteln sollen, das eine europaweite Datenbank verwaister Werke zu führen hat. Mit dieser europaweit vereinheitlichten Ausnahme sollen die begünstigen Einrichtungen ein verwaistes Werk ihres Bestands durch die Zurverfügungstellung im Internet (und damit in allen Mitgliedstaaten) verwerten können. Die Richtlinie sieht in diesem Sinn eine gegenseitige Anerkennung des Status als verwaistes Werk vor. Wieder aufgefundene Rechteinhaber haben die Möglichkeit, den Status als verwaistes Werk zu beenden und für Nutzungen während ihrer Abwesenheit eine Vergütung zu verlangen.

Begünstigte Einrichtungen

Aus der Aufzählung der Einrichtungen in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie ergibt sich, dass die Richtlinie als begünstigte Einrichtungen solche Einrichtungen im Auge hat, die im Gemeinwohl Werkstücke sammeln. Mag das Kriterium der „öffentlichen Zugänglichkeit“ sich in Art. 1 Abs. 1 sprachlich nur auf „Bibliotheken“ beziehen, so wird doch aus der Umschreibung der Aufgaben im Gemeinwohl in Art. 6 Abs. 2 klar, dass es zu den Aufgaben der Einrichtungen ganz allgemein gehören muss, den Zugang zu Werken zu ermöglichen. Das Kriterium der Aufnahme in eine Sammlung ergibt sich auch aus der Aufzählung erfasster Gegenstände in Art. 1 Abs. 2. Abstrakt umschrieben erfasst die Richtlinie daher der Öffentlichkeit zugängliche Einrichtungen, die im Gemeinwohl Werkstücke sammeln. Der Entwurf vermeidet daher die eher komplizierte Aufzählung einzelner begünstigter Einrichtungen und umschreibt diese im beschriebenen Sinn abstrakt im Einleitungssatz des Abs. 1 und der Z 1. Da nach Art. 1 Abs. 2 lit. c der Richtlinie öffentlich-rechtliche Rundfunkunternehmer nur bestimmte Tonaufnahmen und Filme nutzen dürfen, schlägt der Entwurf vor, ihre Rechte als begünstigte Einrichtung gesondert in einem Abs. 2 zu regeln.

Erfasste Werke

Die Richtlinie nimmt in der ersten Fallgruppe nach Art. 1 Abs. 1 lit. a nicht primär auf die Werkkategorie, sondern auf die Art der Veröffentlichung und zwar darauf Bezug, dass die „Werke […] in Form von Büchern, Fachzeitschriften, Zeitungen, Zeitschriften oder in sonstiger Schriftform veröffentlicht wurden“. Erfasst werden damit auch so genannte „eingebettete“ Werke der bildenden Kunst oder Lichtbilder, die in ein Buch, eine Zeitschrift oder sonst in ein Schriftwerk aufgenommen wurden. Dies bringt Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie auch ausdrücklich durch die Anordnung zum Ausdruck, dass sie „auch für Werke und sonstige Schutzgegenstände, die in Werke oder Tonträger […] eingebettet oder eingebunden oder integraler Bestandteil dieser sind“ gilt. Der Entwurf übernimmt die Aufzählung einzelner in Schriftform veröffentlichter Werke und die Einbeziehung damit verbundener Werke in Abs. 1 Z 2.

In einer zweiten und dritten Fallgruppe (Art. 1 Abs. 2 lit. b und c) erfasst die Richtlinie Film- oder audiovisuelle Werke sowie Tonträger, die in den Sammlungen von öffentlich zugänglichen Bibliotheken, Bildungseinrichtungen oder Museen und in den Sammlungen von Archiven oder Einrichtungen im Bereich des Film- oder Tonerbes enthalten sind, und solche Film- oder audiovisuelle Werke oder Tonträger, die von öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vor dem 1. Januar 2003 produziert wurden und in ihren Archiven enthalten sind. Dabei geht der Entwurf davon aus, dass die Richtlinie mit der Wendung „Film- oder audiovisuelle Werke und Tonträger“ in Verbindung mit der bereits genannten Erweiterung des Anwendungsbereichs auf eingebettete bzw. eingebundene Werke nicht auf Filmwerke im engeren Sinn, sondern auf die Art und Weise abstellt, wie ein Werk in Erscheinung tritt. In Umsetzung dieser Begrifflichkeit schlägt der Entwurf daher vor, Werke zu erfassen, die auf einem Schallträger oder in Laufbildern festgehalten sind.

Voraussetzungen für die zulässige Nutzung

Bei der Formulierung der Voraussetzungen für die zulässige Nutzung setzt der Entwurf in Abs. 1 Z 1 zunächst das Kriterium Aufgabenerfüllung im Gemeinwohl nach Art. 1 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 um. In Abs. 1 Z 3 übernimmt der Entwurf das Erfordernis der Erstveröffentlichung bzw. Erstsendung bzw. des erstmaligen öffentlichen Zugänglichmachens in der Union, wobei davon auszugehen ist, dass die Richtlinie mit dem Begriff der ersten Veröffentlichung auf Art. 3 Abs. 3 der Berner Übereinkunft Bezug nimmt und der Begriff „Veröffentlichung“ daher im Sinn des „Erscheinens“ nach § 9 UrhG zu verstehen ist.

Nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie gilt ein Werk oder Tonträger als verwaistes Werk, wenn keiner der Rechteinhaber dieses Werks oder Tonträgers ermittelt ist oder, selbst wenn einer oder mehrere von ihnen ermittelt sind, keiner ausfindig gemacht worden ist. Das Abstellen auf einen fehlenden Rechteinhaber wäre aber wortwörtlich genommen in jenen Fällen überschießend, in denen zwar nicht der Rechteinhaber, wohl aber eine Person gefunden werden kann, die vom Rechteinhaber zur Erteilung von Nutzungsbewilligungen bevollmächtigt wurde oder auf andere Weise zu seiner Vertretung berechtigt ist. Überdies kommt es wohl nicht auf einen Rechteinhaber ganz allgemein an, sondern darauf, dass die berechtigte Einrichtung die für die Vervielfältigung und Zurverfügungstellung nötigen Werknutzungsbewilligungen erhält. Der Entwurf setzt daher den in der Richtlinie verwendeten Begriff des „Rechteinhabers“ mit dem Ausdruck „die zur Gestattung der Vervielfältigung und Zurverfügungstellung berechtigte Person“ um (s. Abs. 1).

Nach der Richtlinie ist ein Werk aber nur dann im eigentlichen Sinn verwaist, wenn überhaupt kein Rechteinhaber gefunden werden kann. Auch dabei dürfte die Richtlinie nicht vom Werkbegriff im eigentlichen Sinn ausgehen, sondern von den konkreten Formen, in denen Werke und damit verbundene Schutzgegenstände der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, sodass wohl als „Mitrechteinhaber“ im Sinn des Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie auch der Inhaber eines mit einem verwaisten Werk verbundenen verwandten Schutzrechts angesehen werden müsste. Allerdings bestimmt die Richtlinie ausdrücklich, dass sie auch auf einzelne nicht identifizierbare bzw. auffindbare Rechteinhaber unbeschadet der Rechte der anderen Rechteinhaber anzuwenden ist. Der Entwurf bringt dies durch den Begriff „soweit“ zum Ausdruck. Die neue freie Werknutzung bezieht sich daher auf die Rechte der jeweils nicht auffindbaren Rechteinhaber.

Beendigung des „Waisenstatus“

Nach Art. 5 der Richtlinie sollen wieder aufgefundene Rechteinhaber die Möglichkeit haben, in Bezug auf ihre Rechte „den Status als verwaistes Werk zu beenden“. Wie dies geschehen soll, konkretisiert die Richtlinie aber nicht näher. Um von vornherein den Anschein zu vermeiden, dass dem Rechteinhaber entgegen Art. 5 Abs. 2 der Berner Übereinkunft die Erfüllung von Förmlichkeiten für den Genuss und die Ausübung seiner Rechte auferlegt werden soll, verzichtet der Entwurf darauf, auf eine Beendigung durch den Rechteinhaber Bezug zu nehmen. Vielmehr wird vorgeschlagen, den Status als verwaistes Werk von vornherein bis zu dem Zeitpunkt zeitlich zu begrenzen, zu dem der betroffene Rechteinhaber wieder identifiziert bzw. aufgefunden werden kann. Dies bringt der Entwurf durch den Begriff „solange“ zum Ausdruck. Darüber hinaus ordnet Abs. 6 an, dass eine berechtigte Einrichtung, die Kenntnis von der Identität und dem Aufenthaltsort einer Person erlangt, die zur Gestattung der Vervielfältigung und Zurverfügungstellung berechtigt ist, jede weitere Nutzung des verwaisten Werks ohne deren Zustimmung unverzüglich einzustellen hat. Die Beendigung des Waisenstatus ist überdies der Aufsichtsbehörde für Verwertungsgesellschaften mitzuteilen, die diese Information an das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt zur Veröffentlichung in der von diesem geführten Online-Datenbank weiterzuleiten hat (Abs. 5).

Vergütung des wieder aufgefundenen Rechteinhabers

Art. 6 Abs. 5 der Richtlinie gewährt den wieder aufgefundenen Rechteinhabern einen mit „gerechtem Ausgleich“ umschriebenen Vergütungsanspruch, womit den Mitgliedstaaten ein gewisser Gestaltungsspielraum eingeräumt und vom Grundsatz einer harmonisierten Ausnahme abgewichen wird. Die Bestimmung verweist deswegen auch auf die Vergütungsregeln des Mitgliedsstaates, in dem die Einrichtung belegen ist, die das verwaiste Werk nutzt. Damit ist aber offenbar auch gemeint, dass dieser Mitgliedstaat berechtigt ist, die Vergütung für die gemeinschaftsweite Nutzung zu regeln. Der Entwurf setzt in Abs. 6 das damit verfolgte Anliegen daher nicht (unmittelbar) mit einer kollisionsrechtlichen Regelung, sondern in Anlehnung an das Modell der Kabel- und Satelliten-Richtlinie 93/83/EWG für den Ort der Satellitensendung um und bestimmt in diesem Sinn den Mitgliedstaat, in dem die Einrichtung belegen ist, als den Mitgliedstaat, in dem die Nutzung stattfindet. Über das für das Immaterialgüterrecht geltende Schutzlandprinzip, wonach das Recht des Staates Anwendung findet, in dem eine Nutzungshandlung gesetzt wird, wird damit auch auf das Recht des Staates, in dem die Einrichtung belegen ist, verwiesen. Darüber hinaus schlägt der Entwurf in Ergänzung der Richtlinienbestimmungen eine zehnjährige Verjährungsfrist für diese Vergütung vor, die mit der Nutzung des Werks zu laufen beginnt.

Sorgfältige Suche

Die Vorgaben des Art. 3 der Richtlinie an die sorgfältige Suche setzt der Entwurf in den Abs. 3 und 4 um. Abs. 5 übernimmt die Dokumentations- und Informationsverpflichtungen der berechtigten Einrichtungen und schlägt als nationale Verbindungsstelle zum Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt die Aufsichtsbehörde für Verwertungsgesellschaften vor. Dabei geht der Entwurf davon aus, dass nach dem Konzept der Richtlinie und insbesondere nach dem in Art. 4 normierten Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung die Mitgliedsstaaten das Erfordernis der sorgfältigen Suche nur für die Schutzgegenstände regeln können, die auf ihrem jeweiligen Gebiet im Sinn der Richtlinie erstmals erschienen, gesendet bzw. öffentlich zugänglich gemacht worden sind. Die Nutzung von anderen Werken, insbesondere deren Zurverfügungstellung im Internet, ist in Österreich zuzulassen, wenn der Status als verwaistes Werk in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt ist. Als Anknüpfungspunkt für eine solche Anerkennung bietet sich allerdings nur die Aufnahme der Ergebnisse einer sorgfältigen Suche in die vom Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt zu führende Datenbank an.

Verwaiste verwandte Schutzrechte

Die Richtlinie spricht zwar an mehreren Stellen ausdrücklich nur von „Werken und Tonträgern“, versteht diese Begriffe aber in einem weiten Sinn. Art. 1 nimmt ausdrücklich auf den Schutz durch das Urheberrecht und durch verwandte Schutzrechte Bezug. Nach Art. 1 Abs. 4 gilt die Richtlinie auch für Werke und sonstige Schutzgegenstände, die in Werke oder Tonträger eingebettet, eingebunden oder integraler Bestandteil dieser sind. Damit erfasst die Richtlinie auch die Schutzgegenstände verwandter Schutzrechte, wobei die Ausnahme zugunsten der Nutzung verwandter Schutzrechte denselben Beschränkungen unterliegt wie sie die Richtlinie für die Nutzung von Werken vorsieht.

Im Sinn der Systematik des UrhG formuliert der Entwurf die freie Werknutzung an verwaisten Werken in einem neuen § 56e im I. Hauptstück über das Urheberrecht. Durch eine Ergänzung der Verweisungsbestimmungen für Darbietungen (§ 72 Abs. 2), Lichtbilder (§ 74 Abs. 7), Schallträgerhersteller (§ 76 Abs. 6) und Rundfunkunternehmer (§ 76a Abs. 5) wird die neue freie Werknutzung auf die genannten verwandten Schutzrechte ausgedehnt.

Nennung der Urheber verwaister Werke

Nach Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten sicher zu stellen, dass die begünstigten Einrichtungen die Namen identifizierter Urheber und anderer Rechteinhaber bei jeder Nutzung eines verwaisten Werks angeben. Der Entwurf schlägt vor, diese Anforderung in § 57 Abs. 3a über den Schutz geistiger Interessen bei freien Werknutzungen umzusetzen. Demnach soll – soweit dies nicht unmöglich ist – die Quelle, einschließlich des Namens des Urhebers, angegeben werden, wenn ein Werk nach § 56e vervielfältigt wird.

Zu § 115 Abs. 2:

Nach Artikel 9 der Richtlinie nehmen die Mitgliedstaaten in den die Umsetzung regelnden Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf diese Richtlinie Bezug. Darüber hinaus haben die Mitgliedstaaten der Kommission den Wortlaut der innerstaatlichen Rechtsvorschriften mitzuteilen, die sie auf dem unter diese Richtlinie fallenden Gebiet erlassen.

Zu § 116 Abs. 8:

Der Entwurf sieht als Inkrafttretenstermin den durch die Richtlinie über verwaiste Werke mit 29.10.2014 vorgegebenen Umsetzungstermin vor.