Hilfswerk Österreich

Bundesgeschäftsstelle

3. November 2014

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Stellungnahme

 

 

Bundesgesetz, mit dem das Bundespflegegeldgesetz geändert wird

GZ: BMASK-40101/0018-IV/B/4/2014

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Rückfragehinweis:

Mag. Walter Marschitz
Geschäftsführer

 

Hilfswerk Österreich
Apollogasse 4/5 | 1070 Wien

Tel.: 01/404 42-10, Fax: -20
walter.marschitz@hilfswerk.at
www.hilfswerk.at


 

Stellungnahme des

Hilfswerk Österreich

zum

Entwurf eines Bundesgesetzes,

mit dem das Bundespflegegeldgesetz geändert wird

Begutachtungsverfahren GZ: BMASK-40101/0018-IV/B/4/2014

 

Das Hilfswerk Österreich nimmt zu den einzelnen Maßnahmen (Gliederung laut Folgenabschätzung) des vorliegenden Gesetzesvorhabens wie folgt Stellung:

 

Maßnahme 1: Erhöhung des Pflegegeldes um 2% mit Wirkung von 1. Jänner 2016

Das Hilfswerk gehört zu jenen -in den Erläuterungen angesprochenen- Organisationen, die sich seit Jahren für eine regelmäßige Valorisierung des Pflegegeldes einsetzen. Daher kann eine Erhöhung nur begrüßt werden, auch wenn sie in keinem Verhältnis zum Wertverlust steht, den das Pflegegeld seit seiner Einführung im Jahr 1993 erfahren hat.

Vergleicht man die Pflegegeldsätze bei der Einführung mit der Verbraucherpreisentwicklung seit 1993 und den derzeit gültigen Tarifen ergeben sich über die Stufen 2-7 Wertverluste von ca. 30 %. Die Pflegegeldstufe 1, die bereits in der Anfangszeit außerordentlich gekürzt wurde, liegt gemessen an der Inflation heute gar um 70% unter dem Anfangswert.

Multipliziert man die Pflegegeldbezieher 2013 mit wertgesicherten Sätzen, wie sie bei einer Valorisierung der Pflegegeldstufen mit dem VPI seit 1993 bestehen müssten, kommt man auf eine jährliche(!) Ersparnis gegenüber dem Anfangswert von 800 Millionen Euro. Natürlich ist der Aufwand für das Pflegegeld insgesamt seit seiner Einführung durch die wachsende Zahl der Bezieher gestiegen, ein Großteil davon wurde aber durch Einsparungen im System von den Pflegegeldbeziehern gleichsam selbst finanziert.

Eine Erhöhung um 2% mit 1.1.2016 wird allein durch ein weiteres Jahr der Nichtkompensierung des Teuerungsausgleiches 2015 „gegenfinanziert“.

 

Maßnahme 2: Neudefinition der Zugangskriterien für die Pflegegeldstufen 1 und 2

Im Gegenzug zu der oben angesprochenen Erhöhung wird gleichzeitig der Zugang zu den Pflegegeldstufen 1 und 2 neuerlich erschwert (erst vor wenigen Jahren wurden die Einstiegsgrenzen angehoben).

Nunmehr sollen 65 Stunden nachgewiesener Pflege- bzw. Betreuungsbedarf –also mehr als 2 Stunden pro Tag- notwendig sein, um überhaupt als pflegebedürftig zu gelten. Neben dem unmittelbaren Entfall des Pflegegeldes bedeutet das für die Betroffenen in vielen Fällen auch, dass ihnen andere Leistungen im Pflegesystem nicht zur Verfügung stehen werden, so etwa Förderungen im Bereich der mobilen Pflege oder bei privaten Pflegeversicherungen.

Das österreichische Pflegesystem lebt davon, dass Dank der pflegenden Angehörigen, der mobilen Dienste und der Personenbetreuung über 80% der betroffenen Menschen zu Hause gepflegt bzw. betreut werden können. Das Pflegegeld ermöglicht den Betroffenen nicht nur Leistungen einzukaufen, sondern auch den sie pflegenden Angehörigen eine Gegenleistung anzubieten. Bei Pflegegeldstufe 1 (derzeit 154,20 Euro für mindestens 60 Stunden) entspricht das einem Gegenwert von 2,57 Euro. Nicht viel, aber doch eine wichtige Stärkung vom Bittsteller zu einem Leistungsaustausch.

Jede Kürzung in diesem Bereich schwächt daher –auch wenn sicher nicht beabsichtigt- das System der Angehörigenpflege.

Eine fachgerechte Pflege mit mobilen Diensten kann gerade bei den Stufen 1 und 2 noch eine Verbesserung des Gesundheitszustandes möglich machen bzw. eine weitere Verschlechterung des Pflegegrades hinauszögern. Wenn eine Inanspruchnahme von den Betroffenen mangels Förderung nicht mehr möglich ist, schwächst das auch den Präventionsgedanken.

Die Erhöhung der Zugangsvoraussetzungen von 60 auf 65 bzw. von 85 auf 95 Stunden folgt keiner fachlichen Betrachtung sondern ist rein budgetär getrieben. Der Gesetzesvorschlag macht daraus auch gar kein Hehl.

Nun steht Österreich beim Zugang zum Pflegegeld –wie es von Seiten des BMASK selbst immer heißt- international recht gut da. Österreich hat im Verhältnis zur Einwohnerzahl mehr Pflegegeldbezieher als andere Länder. Das allein sagt allerdings über die Qualität des Systems und die tatsächliche Versorgungssituation wenig aus. Es heißt vielleicht nur, dass bei uns die Schwerpunkte anders gesetzt werden als in vergleichbaren Wohlfahrtsstaaten. Tatsächlich gibt es Länder, die einen höheren BIP-Anteil für Pflege aufwenden als Österreich.

Es gäbe gute Gründe das Pflegegeld nach 20jähriger Erfahrung sorgfältig zu evaluieren. In eine solche Betrachtung müssten neben den Stufengrenzen und Stufenabständen aber auch die Einstufungskriterien und die Wechselwirkung mit Sachleistungsunterstützungen miteinbezogen werden. Vielleicht kommt man in einer solchen Betrachtung zu einer Änderung der Grundannahmen.

Mit dem schon angesprochenen schleichenden Wertverlust von ca. 30 % und den mehrfachen Verschärfungen der Zugangsregeln wurde das Pflegegeldsystem in den letzten 20 Jahren aber ohne erkennbare Gesamtstrategie verändert. Eine löbliche Ausnahme war die bessere Berücksichtigung von Demenz, der ein intensiver Diskussionsprozess mit Probebegutachtungen vorausgegangen war.

Die wirklichen Herausforderungen kommen erst in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auf das Pflegesystem zu. Derzeit wird der Anstieg der Pflegebedürftigkeit noch durch die geburtenschwachen Zwischenkriegsjahrgänge gedämpft. Diese Entwicklung wird sich sehr bald umdrehen wenn zunächst die geburtenstarken Kriegsjahrgänge und später die Babyboomer-Generation ins pflegebedürftige Alter kommen. Die Zahl der Pflegegeldbezieher würde sich –gemessen am heutigen System- mehr als verdoppeln.

Vor diesem Hintergrund erneuert das Hilfswerk seine schon mehrfach geäußerte Forderung im Rahmen einer „Pflegekonferenz“ gemeinsam mit allen relevanten Stakeholdern nach mittel- und langfristigen Lösungen für die Herausforderung der alternden Gesellschaft im Bereich der Pflege zu suchen.

Dabei gehört die Zukunft des Pflegegeldsystems ebenso beleuchtet wie mögliche Nachfolgeregelungen für den Pflegefonds und die 15a-Vereinbarung zur Pflegevorsorge.

Vor dem Vorliegen einer solchen Gesamtstrategie bleibt jede Einzelmaßnahme im Pflegegeldsystem Stückwerk – und eine Art Blindflug hinsichtlich möglicher negativer Folgewirkungen.

Vor diesem Hintergrund wird die Verschärfung der Zugangsvoraussetzungen daher von uns abgelehnt.

 

Maßnahme 3: Hausbesuche im Rahmen der Qualitätssicherung in der häuslichen Pflege

Diese Maßnahme wird von uns grundsätzlich begrüßt und wurde bzw. wird im Rahmen von Pilotprojekten auch unterstützt. Generell sollte die zeitgerechte Beratung von Betroffenen und Angehörigen –ein Schlüsselfaktor zur Prävention von Folgeschäden im Pflegebereich- im Rahmen der Fördersysteme stärkere Berücksichtigung finden. In einigen Bundesländern gibt bzw. gab es dazu schon gute Ansätze (z.B. Förderung der Erstberatung, Beratungsgutscheine).

 

Maßnahme 4: Verankerung der Online-Angebote

Vielfach wird beklagt, dass die umfangreichen Angebote zur Bewältigung des Pflegealltages für Betroffene schwer überschaubar sind. Dazu trägt auch die komplexe Kompetenzlage in diesem Bereich bei. Die Schaffung eines Online-Angebotes, bei dem die vorhandenen Informationen, Dokumente und Angebote von autorisierter Stelle (BMASK) valide zusammengefasst sind, kann die Beratung in diesem Bereich unterstützen. Sie muss aber durch einen Ausbau der persönlichen fallbezogenen Beratung ergänzt werden.

 

Maßnahmen 5-9

Gegen die mit diesen Maßnahmen getroffenen rechtlichen Klarstellungen bestehen keine Einwände.