Dr. Jakob Cornides

rue de l’Aqueduc 27
B-1060 Bruxelles

 

Stellungnahme

zum Ministerialentwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Fortpflanzungsmedizingesetz, das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch und das Gentechnikgesetz geändert werden (Fortpflanzungsmedizinrechts- Änderungsgesetz 2015 – FMedRÄG 2015)

 

 

 

Als im Ausland lebender österreichischer Staatsbürger bin ich an den Vorgängen in meinem Heimatland doch weiterhin interessiert. Dies insbesondere, wenn ein neues Gesetz verabschiedet werden soll, das in einer in der österreichischen Rechtsgeschichte völlig präzedenzlosen Weise die Menschenwürde, und somit die Grundlage unserer freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung in Frage stellt. Die Regelung bioethischer Grundsatzfragen enthält eine Aussage über das in der Gesellschaft vorherrschende Menschenbild, deren Implikationen über den unmittelbaren Anlass dieses Gesetzesentwurfs weit hinausgehen.

Sollte dieser Entwurf tatsächlich Gesetz werden, so wäre damit ein Präzedenz geschaffen, das absehbar die völlige Aushöhlung des Menschenwürdegedankens nach sich ziehen muss. Ich appelliere daher an alle Politiker guten Willens, diesem Entwurf ihre Mitwirkung und Zustimmung zu verweigern.

In diesem Sinne gestatte ich mir die nachfolgende Stellungnahme:


 

1. Zur Kürze der Stellungnahmefrist:

Über den Umstand, dass die Stellungnahmefrist in diesem Begutachtungsentwurf ohne plausiblen Grund von sechs auf zwei Wochen verkürzt wurde, haben bereits andere ihr Befremden geäußert. Ich schließe mich insoweit den (bereits jetzt vorliegenden) Ausführungen des BKA-Verfassungsdienstes, der Aktion Leben, des Instituts für medizinische Anthropologie und Bioethik, des Salzburger Ärzteforums für das Leben und der Bioethikkommission beim BKA an.

Hegen die Urheber dieses Entwurfes die Befürchtung, dass ihr Vorhaben einer kritischen Diskussion nicht standhält? Es entsteht der üble Eindruck, als solle die Menschenwürde gewissermaßen im Eilverfahren aus der Rechtsordnung eliminiert werden bevor breitere Kreise der Bevölkerung bemerken, was hier eigentlich geschieht.

2. Zu den vermeintlichen Sachzwängen, mit denen der Entwurf begründet wird:

Die Notwendigkeit des vorliegenden Entwurfs wird im Wesentlichen damit begründet, dass die Entscheidung des VfGH vom 10. Dezember 2013, mit der wesentliche Bestimmungen des FMedG 1992 aufgehoben wurden, eine Neuregelung erforderlich machen. Insinuiert wird dabei, dass eine solche Neuregelung nur in der Weise erfolgen könne, wie sie im nunmehr vorliegenden Entwurf vorgeschlagen wird.

Ergänzend dazu weisen die Urheber des Entwurfes auch auf (nicht näher ausgeführte) „Bedenken“ in Bezug auf die Vereinbarkeit der bestehenden Rechtslage mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) hin.

Bei näherem Hinsehen stellt sich jedoch schnell heraus, dass diese vermeintlichen „Sachzwänge“ in Wirklichkeit nicht bestehen.

a) zum Erkenntnis des VfGH vom 10. Dezember 2013, G 16/2013, G 44/2013:

Zu der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs ist zunächst einmal festzustellen, dass nicht nur ihre Begründung gänzlich verfehlt erscheint, sondern dass auch die verfügte Aufhebung wesentlicher Teile des FMedG weit über das hinausgeht, was diese Begründung, wenn man ihr denn folgte, jemals zu rechtfertigen vermöchte. Wenn tatsächlich ein Problem darin liegt, das gleichgeschlechtliche (lesbische) Paare gegenüber nicht-verheirateten verschiedengeschlechtlichen Paaren in Bezug auf die Möglichkeit der Fortpflanzung mithilfe einer Samenspende „benachteiligt“ sind, so hätte es völlig ausgereicht, diese Möglichkeit fortan nur Ehepaaren einzuräumen, oder sie gleich ganz auszuschließen. Beides wäre dem VfGH offengestanden, da beides durch die Streichung bestimmter Wortfolgen (ohne Hinzufügung neuen Textes) erreicht werden konnte.

Das Erkenntnis des VfGH erweist sich damit als in doppelter Hinsicht verfehlt. Es entsteht so gewissermassen eine „Hebelwirkung“, wie man sie ansonsten nur von gewissen dubiosen Finanzierungsvehikeln kennt: ein intrinsisch verfehltes Argument wird zur Grundlage einer Entscheidung, die selbst dann exzessiv (und somit falsch) wäre, wenn das Argument zuträfe; diese exzessive Entscheidung wird wiederum zum Anlass für ein Gesetzesvorhaben, das inhaltlich weit über ihre Vorgaben hinausgeht. Man könnte das als rechtspolitischen Kasinokapitalismus bezeichnen.

Diese Urteilsschelte muss hier freilich nicht vertieft bzw. wiederholt werden; ich kann diesbezüglich auf meinen vor einigen Wochen in einer Fachzeitschrift veröffentlichten Aufsatz verweisen:  Gleichheit statt Ethik - Der VfGH entkernt das Fortpflanzungsmedizingesetz, Imago Hominis (2014); 21(3): 199-214[1]. Im Übrigen ist die Entscheidung eines Höchstgerichts natürlich auch dann zu respektieren, wenn sie inhaltlich verfehlt ist oder sogar den Makel richterlicher Willkür trägt. Das vom VfGH verfügte Außerkrafttreten bestimmter Passagen des FMedG ist als Faktum zur Kenntnis zu nehmen und schafft Regelungsbedarf.

Näher am Thema der vorliegend abzugebenden Stellungnahme liegt aber, dass die vorgeschlagene Regelung ihrerseits wieder weit über das hinausgeht, was durch das verfehlte VfGH-Erkenntnis an tatsächlichem Regelungsbedarf abzuleiten ist. Aus diesem Erkenntnis geht nämlich weder hervor, dass lesbische Pärchen Zugang zu Samenspenden einzuräumen ist, noch dass sie überhaupt Zugang zu den „Segnungen“ der medizinisch assistierten Fortpflanzung erhalten müssen.

Vielmehr ist aus dem Erkenntnis nur eine einzige Vorgabe für die Neuregelung abzuleiten: nämlich die, dass verschiedengeschlechtliche nichteheliche Lebensgemeinschaften und gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften gleich zu behandeln sind.

Ob dagegen die Samenspende, oder irgendein anderes fortpflanzungsmedizinisches Verfahren, zu erlauben oder zu verbieten ist, darüber ist aus dem Erkenntnis nichts herzuleiten. Ebenso wenig hindert die Entscheidung den Gesetzgeber daran, bestimmte Rechte nur Ehepaaren einzuräumen, anderen Zweiergemeinschaften aber vorzuenthalten.

Ein Sachzwang in dem Sinne, dass dem durch das VfGH-Erkenntnis geschaffenen Regelungsbedarf nur durch die vorgeschlagene Regelung, und durch keine andere, begegnet werden könne, besteht daher nicht.

b) zu den vorgetragenen Bedenken im Hinblick auf die Europäische Menschenrechtskonvention.

In diesem Punkt kann ich mich den Ausführungen auf Seite 4 der Stellungnahme des BKA-Verfassungsdienstes vorbehaltlos anschließen.

Die in den Erläuterungen zum Gesetzesvorschlag dunkel angedeuteten „konventionsrechtlichen  Bedenken“ stützen sich angeblich auf die Entscheidung des EGMR in der Rechtssache S.H. u.a. gegen Österreich. Dies ist schwer begreiflich, hat doch in jenem Verfahren eine Große Spruchkammer des Gerichtshofs die Vereinbarkeit der bisherigen Rechtslage mit der EMRK ausdrücklich bestätigt! Die Rechtsprechung des EGMR besagt also in Wirklichkeit das Gegenteil dessen, was die Urheber der Gesetzesvorlage aus ihr ableiten!

Es trifft zu dass der EGMR mit zwar wenig überzeugenden Gründen, dafür aber in nunmehr schon als „gefestigt“ zu bezeichnender Rechtsprechung judiziert, dass gleichgeschlechtliche Paare mit verschiedengeschlechtlichen nichtverheirateten Paaren grundsätzlich gleichzubehandeln seien.

Fraglich ist jedoch, ob dies auch für den Zugang zur Samenspende und anderen reproduktionsmedizinischen Verfahren gilt. Das Gleichbehandlungsgebot gem. Art. 14 EMRK gilt nämlich nicht allgemein, sondern bezieht sich ausdrücklich nur auf die in jener Konvention niedergelegten Rechte und Freiheiten. Die EMRK enthält aber kein „Grundrecht auf Samenspenden“. Ebensowenig enthält sie ein „Grundrecht auf Erfüllung von Kinderwünschen“. Das Gleichbehandlungsgebot gem. Art. 14 EMRK ist damit jedenfalls weniger weitreichend als jenes gem. Art. 7 B-VG, auf das sich das Erkenntnis des VfGH stützt.

Im Übrigen hat der EGMR mehrfach bekräftigt, dass die EMRK dem Rechtsinstitut der Ehe einen besonderen Status einräume, der es den Staaten gestatte, die Ehe mit besonderen Rechten auszustatten. Eine Ungleichbehandlung zwischen Ehepaaren und nichtehelichen Lebensgemeinschaften kann daher jedenfalls nicht auf „konventionsrechtliche Bedenken“ stoßen.

Insgesamt ergibt sich somit auch im Hinblick auf die EMRK, dass die zur Begründung des vorliegenden Entwurfes ins Treffen geführten Sachzwänge in Wirklichkeit nicht bestehen.

3. Die der bisherigen Rechtslage zugrundeliegenden Wertungen

Die bisherige Rechtslage war von der Erwägung geleitet, dass ein Kind ein Recht darauf hat, seine Eltern zu kennen, bei ihnen aufzuwachsen, und von ihnen erzogen zu werden. Es handelt sich dabei nicht um eine bloße romantische Idealvorstellung, sondern um ein Recht, das auch durch bindende internationale Rechtsakte abgesichert ist.

Insbesondere ist hier auf die folgenden Bestimmungen hinzuweisen:

Art. 7.1 der UN-Kinderrechtskonvention:

The child shall be registered immediately after birth and shall have the right from birth to a name, the right to acquire a nationality and, as far as possible, the right to know and be cared for by his or her parents.”

Art. 8. der UN-Kinderrechtskonvention:

“1. States Parties undertake to respect the right of the child to preserve his or her identity, including nationality, name and family relations as recognized by law without unlawful interference.

2. Where a child is illegally deprived of some or all of the elements of his or her identity, States Parties shall provide appropriate assistance and protection, with a view to re-establishing speedily his or her identity.”

Art. 9.1 der UN-Kinderrechtskonvention:

States Parties shall ensure that a child shall not be separated from his or her parents against their will, except when competent authorities subject to judicial review determine, in accordance with applicable law and procedures, that such separation is necessary for the best interests of the child. Such determination may be necessary in a particular case such as one involving abuse or neglect of the child by the parents, or one where the parents are living separately and a decision must be made as to the child's place of residence.”

Man könnte hier noch eine Reihe weiterer Bestimmungen zitieren, doch reicht obiges bereits vollkommen aus um nachzuweisen, dass das Recht des Kindes auf seine Eltern ein universell anerkanntes Menschenrecht ist. Selbstverständlich bezieht sich dieses Recht auf die tatsächlichen (biologischen) Eltern des Kindes, also nicht auf jene mit ihm gar nicht verwandten Personen, die aufgrund eines rechtlichen Willküraktes so bezeichnet werden.

Man könnte an diese rechtlichen Erwägungen noch eine ethische Erwägung anschließen: nämlich die, dass es mit der gleichen Würde aller Menschen grundsätzlich unvereinbar ist, wen Menschen andere Menschen im Reagenzglas nach ihren Vorstellungen und Wünschen „machen“. Unsere Gleichheit und gleiche Würde verdankt sich eben auch gerade dem Umstand, dass wir alle unser Dasein und So-sein einer gewissen Zufälligkeit verdanken. Dies ist letzten Endes gemeint, wenn man sagt, dass Kinder ein „Geschenk“ seien.

Der letztere Gedanke führt bereits zu ganz allgemeinen Vorbehalten gegen die Praxis der in-vitro-Zeugung. Der Gesetzgeber der bisher bestehenden Rechtslage hat auf diese grundsätzlichen Einwände zwar keine Rücksicht genommen; immerhin hat er aber dafür gesorgt, dass diese Rechtslage ganz allgemein dem in den obengenannten Bestimmungen der UN-Kinderrechtskonvention anerkannten Recht des Kindes auf seine Eltern Rechnung getragen hat, indem sie vorsah, dass für eine in-vitro-Zeugung nur die Keimzellen jenes Mannes und jener Frau verwendet werden durften, die tatsächlich auch die Elternrolle für das solcherart gezeugte Kind übernehmen sollten. Und auch der Gedanke, dass Menschen nicht andere Menschen nach Belieben „planen“ und „machen“ dürfen fand letztlich einerseits darin seinen Ausdruck, dass die in-vitro-Zeugung nur als ultima ratio für Ehepaare in Betracht kam, die aufgrund eines körperlichen Gebrechens zur Zeugung eines Kindes nicht in der Lage waren, andererseits aber auch darin, dass eine Selektion von Embryonen (also die sogenannte PID) nicht für akzeptabel gehalten wurde.

Dies also waren die Überlegungen, die zum grundsätzlichen Ausschluss der „heterologen“ in-vitro-Zeugung (mithilfe der Keimzellen Dritter) sowie zum Ausschluss der pränatalen Selektion führten. Diese ethischen Grundsätze werden nun durch den vorliegenden Gesetzesentwurf kurzerhand - und ganz ohne jede Diskussion - über Bord geworfen.  

Meint man etwa, sich eine Auseinandersetzung über solche Fragen unter Hinweis auf die Judikatur des VfGH und des EGMR ersparen zu können? Wie bereits gezeigt wurde, ergibt sich weder aus der EMRK noch aus der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung eine Notwendigkeit, von den Leitgedanken der bisherigen Regelung abzuweichen.

4. Die Implikationen der vorgeschlagenen Regelung

Die vorgeschlagene Regelung hatte im Fall ihrer Gesetzwerdung schwerwiegende und grundsätzliche Auswirkungen, auf die in den Erläuterungen zum Entwurf aber mit keinem Wort eingegangen wird.

Das Abrücken vom „gebrechensorientierten Ansatz“ macht die Inanspruchnahme der in-vitro Zeugung, die bisher eine ultima ratio war, letzten Endes zu einem für jedermann zur Verfügung stehenden „Lebensentwurf“. Das betrifft natürlich vor allem lesbische Paare, die auf natürlichem Wege niemals gemeinsam ein Kind zeugen könnten, die aber durch das beabsichtigte Gesetz unmittelbar die Möglichkeit erhalten würden, die Fiktion einer gemeinsamen „Elternschaft“ zu verwirklichen. Mittelbar wird dies aber ganz zweifellos dazu führen, dass auch homosexuelle Paare (mithilfe der Dienste sogenannter „Leihmütter“) oder alleinstehende Personen für sich dieselben „Rechte“ einfordern werden, wie dies ja bereits heute geschieht (vgl. hierzu nur die Ausführungen in Abschnit II. der Stellungnahme des „Rechtskomittees Lambda“ zum hier besprochenen Gesetzesentwurf, oder den am 10. Dezember 2013 vom Europaparlament mit knapper Mehrheit abgelehnten „Estrela-Bericht“).

Die auf eine Aufhebung des Verbots der Leihmutterschaft abzielende Verfassungsbeschwerde liegt bei Rechtsanwalt Dr. Graupner wohl bereits fertig in einer Schreibtischlade, und auch der Verfassungsgerichtshof darf bereits mit der Ausarbeitung einer Entscheidung beginnen, die dieser abzusehenden Beschwerde stattgeben wird. Der Weg dorthin ist vorgezeichnet: denn mit dem Erkenntnis vom Dezember letzten Jahres hat der VfGH bereits hinreichend klar zu verstehen gegeben, dass ein „Kinderwunsch“ auch dann sakrosankt ist, wenn er von zwei Personen geäußert  wird, die auf natürlichem Weg (auch bei bester Gesundheit) niemals die Eltern eines gemeinsamen Kindes werden könnten. Das Recht des Kindes auf seine Eltern scheint hingegen in den Augen unserer Höchstrichter kein Gewicht zu haben. Und auch der Einwand, dass die Zulassung der Leihmutterschaft die Ausbeutung von Frauen impliziere, wird wohl nicht lange vorhalten: wenn man es gestattet, dass Frauen ihren Körper für Zwecke der Prostitution vermieten, kann man eine längerfristige Vermietung für die Dauer einer Schwangerschaft wohl nicht verbieten.

Recht behalten dürfte das RK Lambda dann wohl auch mit der Prognose, dass sich der Ansatz, die in-vitro-Zeugung bei verschiedengeschlechtlichen Paaren nur als ultima ratio zuzulassen, wohl nicht aufrechterhalten lassen wird, wenn man erst einmal lesbischen Pärchen den Zugang zu ihr ganz ohne Voraussetzungen gestattet hat. Denn tatsächlich läge hierin eine Ungleichbehandlung aufgrund der sexuellen Orientierung. Ganz zutreffend wird in der Stellungnahme des RK Lambda impliziert, dass der Zugriff eines lesbischen Pärchens auf die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin eben keine ultima ratio ist, sondern ein im Grunde freiwillig gewählter „Lebensentwurf“.

Wenn aber der „Lebensentwurf“ eines lesbischen Pärchens mit Kinderwunsch unbedingte Berücksichtigung verdient, warum dann nicht auch der „Lebensentwurf“ eines homosexuellen Pärchens, oder eines alleinstehenden Mannes, oder einer alleinstehenden Frau? Es ist ja immerhin denkbar, dass unter uns Menschen leben, die sich ein Kind wünschen, jedoch keinen Partner. Tatsächlich dürfte es viele Frauen geben, die sich de facto diesen Wunsch erfüllen (vgl. RK Lambda, a.a.O., S. 7). Männer hingegen können dies nicht. Ist nicht auch dies eine „Benachteiligung“? Müsste der VfGH nicht auch hier korrigierend eingreifen?

Man muss schon ziemlich blind sein, bzw. sich absichtlich blind stellen, um diesen Gesetzesentwurf nicht als das zu erkennen, was er ist: ein ethischer Dammbruch, der bestenfalls noch mit der „Fristenlösung“ des Jahres 1974 zu vergleichen ist, wenn er diese nicht vielleicht sogar an Ungeheuerlichkeit noch übertrifft. Denn die „Fristenlösung“ wurde seinerzeit noch (wenn auch vielleicht wider besseres Wissen) mit „Notsituationen“ begründet, in denen es für die betroffenen Frauen keinen anderen Ausweg als die Abtreibung gebe. Vorliegend gibt es aber überhaupt keine „Notsituation“, sondern nur einen gewillkürten „Lebensentwurf“, denen die Rechte des Kindes zum Opfer gebracht werden sollen.

5. Die Samenspende „in vivo“

Man könnte gegen die vorstehenden Erwägungen vielleicht einwenden, dass der Gesetzgeber die Samenspende „in vivo“ ja bereits 1992 erlaubt habe, womit er schon damals vom Prinzip eines grundsätzlichen Verbots der „heterologen“ in-vitro-Zeugung abgewichen sei.

Richtig daran ist, dass die bereits 1992 im FMedG enthaltene Zulässigkeit der Samenspende „in vivo“ (d.h. mittels Handspritze o.ä) im Gesamtzusammenhang des damaligen Gesetzes tatsächlich einen Wertungswiderspruch darstellt. Nur sollte man nicht aus den Augen verlieren, dass diese Ausnahme vom damaligen Gesetzgeber nur mit dem Hinweis begründet wurde, dass ein Verbot schwer zu vollziehen und daher untunlich sei.

Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang, dass die Schwierigkeit, ein derartiges Verbot zu vollziehen, im Falle eines lesbischen Pärchens nicht geringer ist als in anderen Fällen. De facto dürfte der Zugang lesbischer Pärchen zu dieser besonderen Form der Fortpflanzung daher immer schon im selben Ausmaß bestanden haben wie für gleichgeschlechtliche (unverheiratete) Paare. In der Lebenswirklichkeit lag hier wohl überhaupt keine Diskriminierung vor, so dass man sich im Rückblick fragen muss, welchem praktischen Zweck dieses ganze (vom OGH amtswegig eingeleitete!) Gesetzesprüfungsverfahren eigentlich dienen sollte.

Wie auch immer dem sei, ein gänzliches Verbot der Samenspende „in vivo“ wäre schon 1992 kein Fehler gewesen und würde sich auch heute empfehlen. Eine Verbotsnorm ist nicht nur dann sinnvoll, wenn sie rigoros vollzogen wird. Vielmehr bringt sie auch dann, wenn sie infolge fehlender Kontrollmöglichkeiten überhaupt nicht oder nur selten vollzogen wird, in geeigneter Weise die Missbilligung des Gesetzgebers zum Ausdruck; sie verhindert also, dass der Anschein der „Rechtmässigkeit“ entsteht.

Das Verfahren S.H. u.a. gegen Österreich vor dem EGMR und das vom OGH eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren, das letztlich zum Anlass für den hier besprochenen Gesetzesentwurf wurde bestätigen diesen Befund. Denn die „heterologe“ in-vitro-Zeugung ist tatsächlich eine turpis causa; die Zulassung der Samenspende „in vivo“ als Folge der vermeintlichen „Untunlichkeit“ eines Verbots wird aber nunmehr zum Anlass, diese turpis causa zu einem jedermann zur Verfügung stehenden „Recht“ zu erklären.

6. Was hat Vorrang? Der „Kinderwunsch“ oder die Rechte des Kindes?

Der vorliegende Gesetzesentwurf (sowie das zum Anlass hierfür dienende VfGH-Erkenntnis) erweisen sich somit als Ausdruck eines narzisstischen Denkens, das den von Erwachsenen verspürten „Kinderwunsch“ verabsolutiert und für sakrosankt erklärt, während die natürlichen Rechte des Kindes, wiewohl sie längst im internationalen Recht verankert sind, überhaupt keine Beachtung finden. Wenn man aber ein „Recht auf ein Kind“ hat, dann kann andererseits das Kind keine Rechte haben. Das Kind wird verdinglicht; es verliert jene „Identität“ die durch Art. 9 Kinderrechtskonvention ausdrücklich geschützt wird, und erhält einen Status, der dem eines Haustiers nicht unähnlich ist. Einem jungen Welpen billigen wir ein Recht auf Achtung seiner Identität oder ein Recht auf Kenntnis seiner Eltern nicht zu. Einem Kind, wie es scheint, bald auch nicht mehr.

Man möge mir nicht entgegenhalten, dass es ja auch viele Kinder geben, die bei einem alleinerziehenden Elternteil aufwachsen und den anderen Elternteil gar nicht kennen, oder die als Vollwaisen in einem Kinderheim oder bei Adoptiveltern leben. Man möge mir nicht mit dem Vorhalt kommen, dass es auch viele Kinder gebe, die aufgrund irgendwelcher Lebensumstände in einem gemeinsamen Haushalt mit wie Frauen oder – auch das gibt es – mit zwei Männern aufwachsen. Und schon gar nicht halte ich das ein seinem Zynismus kaum noch zu übertreffende Argument für akzeptabel, das sich (tatsächlich!) im letztjährigen VfGH-Erkenntnis nachlesen lässt: dass es für ein Kind besser sei, nur eines oder keines seiner biologischen Elternteile zu kennen, als überhaupt gar nicht zu existieren. Es ist ein himmelweiter Unterschied zwischen einem Sachverhalt, in dem ein Kind durch Unfall, Krankheit, Krieg, oder sonst irgendein Unglück ein Elternteil oder beide Eltern verliert, und einem Sachverhalt, in dem man vorsätzlich und ohne jegliche Notwendigkeit für es ein Leben ohne seinen Vater bzw. ohne seine Mutter plant. Im ersten Fall geht es um einen schweren Schicksalsschlag, den man bestmöglich abzufedern versucht, im letzteren Fall um eine vorsätzliche Planung, die aus vollkommen egoistischen Motiven dem Kind seine Eltern entzieht und ihm stattdessen die juristische Fiktion einer „Elternschaft“ aufzwingt, die sich alsbald als grausame Lüge herausstellen wird.

7. Schlussfolgerung und Alternativvorschlag:

Aus allen vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass der vorliegende Gesetzesentwurf in sehr schwerwiegender und für jedermann erkennbarer Weise gegen die Menschenwürde und gegen Menschenrechte verstößt.  Er verletzt nicht nur die Rechte der dadurch betroffenen, anhand der neuen Regelungen erst noch zu „fabrizierenden“ Kinder, sondern er verletzt das Recht  der gesamten Menschheit auf Achtung ihrer Menschenwürde, da er menschliche Keimzellen zu „genetischem Material“ erklärt, aus dem dann nach den Wünschen und Vorstellungen zahlender Auftraggeber Kinder „hergestellt“ werden sollen. Ein solches Gesetz wäre, falls es dazu kommen sollte, ein veritables Schandgesetz, und bereits jetzt haben sich diejenigen, die als Regierungsmitglieder oder Ministerialbeamte diesen Entwurf zu verantworten haben, mit historischer Schande beladen. Es stimmt mich traurig, einen solchen zivilisatorischen Niedergang in meinem eigenen Land mitansehen zu müssen.

Nicht dass ich für „Kinderwünsche“ anderer kein Verständnis habe – aber die Rechte der Kinder scheinen mir doch ein wenig wichtiger. Es geht hier also letztlich nicht um irgendwelche „Diskriminierungen“, sondern es geht um die Rechte des Kindes.

Mir ist natürlich klar, dass die Stellungnahme eines Einzelnen gegen den offenbar schon seit längerem beschlossenen rechtspolitischen Dammbruch vermutlich nichts ausrichten wird. Dennoch soll hier wenigstens schriftlich festgehalten und aktenkundig gemacht werden, dass es auch alternative Regelungsansätze gibt, die an den ursprünglichen Grundgedanken des FMedG 1992 festhalten und dabei den Vorgaben des VfGH entsprechen.

Ich gestatte mir daher die folgenden Alternativvorschläge:

1.      Die Samenspende „in vivo“ soll fortan nur Ehepaaren, nicht aber nicht-ehelichen Lebenspartnern offenstehen. Die Entscheidung des VfGH betrifft ja nur eine vermeintliche Benachteiligung gleichgeschlechtlicher gegenüber nicht-verheirateten verschiedengeschlechtlichen Paaren. Eine bevorzugte Stellung von Ehepaaren ist mit der EMRK zweifellos vereinbar.

Den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention entspricht jedoch nur der zweite Alternativvorschlag:

2.      Ein gänzliches Verbot der Samenspende (also einschließlich der Samenspende „in vivo“). Wenn niemandem diese Möglichkeit offensteht, ist niemand benachteiligt. Die in-vitro-Zeugung wäre demnach nur noch „homolog“ möglich, wodurch die in Art. 7 -9 der KRK niedergelegten Rechte des Kindes gewährleistet wären.

 



[1]              http://www.imabe.org/fileadmin/imago_hominis/pdf/IH021_199-214.pdf