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Stellungnahme des Senats gemäß § 36 GOG zu ausgewählten Aspekten des Entwurfs des Strafrechtsänderungsgesetzes 2015, BMJ-S318.034/0007-IV/2015

 

Das Landesgericht Wels beehrt sich, zu einzelnen Aspekten des Entwurfs betreffend die Novellierung des StGB sowie damit einhergehende Änderungen der StPO wie folgt Stellung zu nehmen:

 

Vorbemerkungen:

Nach den erläuternden Bemerkungen bilden die Empfehlungen der Arbeitsgruppe „StGB 2015“ die Grundlage für den vorliegenden Entwurf, umfassend folgende Maßnahmen:

- Modernisierung des Strafgesetzbuches (1)

- Umsetzung von EU-RL (2)

- Effizienzsteigerung im Bereich des Ermittlungsverfahrens der StPO und prozessuale Anpassung an das modernisierte materielle Strafrecht (3)

- Effizienzsteigerung gesundheitsbezogener Maßnahmen (4)

- Effizientere Bekämpfung von „Bilanzdelikten“ (5).

Mit dem Entwurf sollen die seit Inkrafttreten des StGB 1975 eingetretenen Veränderungen der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, insbesondere der Werthaltungen, aber auch des technischen Fortschritts im gerichtlichen Strafrecht so abgebildet werden, dass es auf gesellschaftliche Akzeptanz und Verständnis stößt und die erforderliche Präventionswirkung entfalten kann. Auf die teilweise Orientierung anhand opferbezogener Faktoren wird ebenso verwiesen.

Im Bereich Maßnahme 1: Modernisierung des Strafgesetzbuches enthält der Entwurf ua folgende Punkte:

- Erhöhung der Wertgrenzen von derzeit EUR 3.000 auf EUR 5.000; von EUR 50.000 auf EUR 500.000 (Neuregelung der Wertgrenzen)

Senkung der Strafdrohung für Fälle des Einbruchsdiebstahls, soweit kein Einbruch in eine Wohnstätte bzw kein Einbruch mit einer Waffe vorliegt

Erweiterung des Strafrahmens für schweren Raub von bisher 5-15 Jahre auf 1- 15 Jahre

Einführung einer Definition der groben Fahrlässigkeit § 6 Abs 3 StGB

Erweiterung der Aufzählung der besonderen Erschwerungsgründe

Ersetzung der „Gewerbsmäßigkeit“ durch die „Berufsmäßigkeit“

Einführung einer Qualifikation in den §§ 80, 88 StGB

Ersetzung des Tatbestands „Fahrlässige Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen“ durch den Tatbestand „Grob fahrlässige Tötung“

Senkung der Strafdrohung für einfache Körperverletzungen mit Misshandlungsvorsatz § 83 Abs 2 StGB und Erhöhung der Strafdrohung für die qualifizierte Körperverletzung

Neugestaltung des § 84 StGB (Neuregelung der Körperverletzungsdelikte)

Einführung des neuen Straftatbestands der „Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung“ § 205a StGB

 

Ziel ist die Senkung der Strafdrohungen im Vermögensbereich und eine Anhebung derselben für die qualifizierte Körperverletzung.

 

Im Bereich Maßnahme 3: Effizienzsteigerungen im Bereich des Ermittlungsverfahrens der StPO und prozessuale Anpassung an das modernisierte materielle Strafrecht:

- Erweiterung des Anwendungsbereichs der Diversion auf Delikte, die nicht mit mehr als 5 jähriger Freiheitsstrafe bedroht sind, aber in die schöffen- bzw geschworenengerichtliche Zuständigkeit fallen

- Berücksichtigung von Opportunitätserwägungen bei der Verfolgung einzelner Straftaten im Anfangsstadium des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft

 

 

ad) Artikel 1, Änderung des Strafgesetzbuches

4. § 33 Abs 2, Abs 3:

Die Ergänzung der Erschwerungsgründe in § 33 StGB ist in Zusammenschau mit der Neuregelung der Diversionsvoraussetzungen in § 198 StPO zu sehen (Artikel 3, Änderung der Strafprozessordnung, 9). Zutreffend wird in der Stellungnahme von NEUSTART zum Entwurf des Strafrechtsänderungsgesetzes 2015 darauf verwiesen, dass der de lege vorgesehene Diversionsausschluss bei Vorliegen eines Erschwerungsgrundes nach § 33 Abs 2 oder Abs 3 StGB die geradezu typischen Fälle des Tatausgleichs im familiären/häuslichen Nahbereich verunmöglicht, da es nunmehr einen Erschwerungsgrund iSd Abs 2 und 3 leg cit darstellt, wenn ein volljähriger Täter vorsätzlich eine strafbare Handlung unter Anwendung von Gewalt oder gefährlicher Drohung gegen eine unmündige Person oder in Gegenwart einer unmündigen Person begangen hat bzw ferner, wenn der Täter eine strafbare Handlung nach dem ersten bis dritten, fünften und zehnten Abschnitt des Besonderen Teils gegen einen Angehörigen, einschließlich eines früheren Ehegatten, eingetragenen Partners oder Lebensgefährten als mit dem Opfer zusammenlebende Person oder eine ihrer Autoritätsstellung missbrauchende Person, gegen eine aufgrund besonderer Umstände schutzwürdig gewordene Person ua begeht. Dies scheint aufgrund des Erfolgsmodells Tatausgleich nicht sachgerecht, werden die Opferinteressen doch bereits im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Regelung entsprechend berücksichtigt und bietet die Alternative, nämlich eine urteilsmäßige Entscheidung für den häuslichen/familiären Nahbereich keine Gewähr dafür, dass damit die Opferinteressen besser gewahrt würden.

 

10. § 70 Berufsmäßige Begehung:

Grds zu begrüßen sind Bestrebungen, Legaldefinitionen betreffend unbestimmter Gesetzesbestimmungen einzuführen, respektive der Qualifikation als „gewerbsmäßig“ lediglich auf der subjektiven Tatseite, Tatbestandserfordernisse des objektiven Tatbestands an die Seite zu stellen, wobei die bisher zu § 70 StGB bestehende oberstgerichtliche Judikatur dem Rechtsanwender klare und judizierbare Kriterien an die Hand gab.

Der Täter begeht die Tat nunmehr berufsmäßig, wenn er sie in der Absicht vornimmt, sich durch ihre wiederkehrende Begehung ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen und er in den letzten 12 Monaten vor der Tat zumindest zwei solche Taten begangen hat, wobei die „Vortaten“ nach den Materialien lediglich festgestellt, jedoch zu keiner Verurteilung geführt haben müssen. Diese Diktion schränkt die bisherige Gewerbsmäßigkeit, die in der Absicht bestand, sich durch die Tat eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, wobei bereits eine Tat zur Annahme der Gewerbsmäßigkeit bei entsprechendem deliktsspezifischen Vorsatz ausreichte, erheblich ein. Eine Konsequenz daraus wird sein, dass die Verhängung der Untersuchungshaft bei nicht-österreichischen Tätergruppen, die bei einer Tat auf frischer Tat in Österreich betreten und uU von der Polizei aus eigenem festgenommen werden, erheblich erschwert wird, da der Nachweis zweier Tatbegehungen in den letzten 12 Monaten in der Kürze der Zeit nicht zu führen sein wird. Bei einer Anzeige auf freiem Fuß begibt sich der Staat mangels Inlandswohnsitz und ladungsfähiger Adresse in diesen Fällen nicht selten seines Strafverfolgungsanspruchs. Der Entwurf ist sich dessen bewusst, wird doch in den Materialien von einer Entlastung im Bereich von Grundrechtseingriffen aufgrund der Qualifikation der berufsmäßigen Begehung gesprochen.

 

17. Neuregelung der Körperverletzungsdelikte:

Die Neuschaffung von Tatbeständen (im Bereich der Körperverletzungsdelikte: Grob fahrlässige Tötung § 81 Abs 1 StGB, in weiteren Bereichen „Cybermobbing“ §120a StGB, Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung § 205a StGB ua) begründet großteils die Zuständigkeiten des Einzelrichter des Landesgerichts. Eine entsprechende resoucengerechte personelle Besetzung beim Landesgericht ist daher erforderlich, um den neuen Aufgabengebieten entsprechend begegnen zu können.

Die Erhöhung der Strafdrohungen (etwa § 84 Abs 1 StGB) führt auch zum Vorliegen der notwendigen Verteidigung und damit in einem Großteil der Fälle zur Beigabe eines Verfahrenshelfers, weshalb die Einschätzung, der Entwurf würde kostenneutral sein bzw Einsparungseffekte erzielen, nicht geteilt werden kann.

Die Differenzierung der Strafdrohungen, je nachdem ob das Grunddelikt des § 83 Abs 1 oder Abs 2 StGB vorliegt, wird befürwortet und entspricht dem Unrechtsgehalt besser als die bisherige Regelung.

Die Begründung der schöffengerichtlichen Zuständigkeit beim Grunddelikt der absichtlich schweren Körperverletzung führt zu einem Anstieg der Schöffengerichtsbarkeit.

Grds sei ausgeführt, dass sich aus der strafgerichtlichen Praxis keine Notwendigkeit zur Erhöhung der Strafdrohungen bei den Körperverletzungsdelikten ergibt, wird doch in den seltensten Fällen der Strafrahmen im oberen Bereich ausgeschöpft und besteht bei massiver Vorstrafenbelastung ohnedies die Vorschrift des § 39 StGB, wonach der Strafrahmen erhöht werden kann. Der in den Materialien angeführte positive Effekt auf die Normtreue der Rechtsunterworfenen wird – auch aufgrund der entsprechenden Tätergruppen im Bereich der Delikte gegen die körperliche Integrität – bezweifelt.

 

49. § 120a Fortgesetzte Belästigung im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems:

Fraglich ist hier der Abgrenzungsbereich zu § 107a StGB, worunter bislang allfällige Anwendungsfälle (Veröffentlichung von Nacktbildern der Ex-Freundin auf facebook etc) subsumiert wurden. Die dem Zuständigkeitsbereich des Einzelrichters zugeordnete neue Regelung begründet aufgrund der hohen Anzahl derartiger Fälle von Cybermobbing neuerliche Aufgabenbereiche für den Einzelrichter.

 

56, 57, 65, 66 ua Erhöhung der Wertgrenzen von EUR 3.000 auf EUR 5.000 und EUR 50.000 auf EUR 500.000:

Kritisch wird die Wertgrenzenerhöhung im Bereich der Vermögensdelinquenz, die im Ergebnis eine deutliche Senkung der Strafdrohungen im Bereich der Vermögensdelikte zur Folge hat, betrachtet. Vorab wird darauf verwiesen, dass die argumentativ herangezogene gesellschaftliche Akzeptanz hiefür bezweifelt wird. Gerade die seit Jahren in den Medien vertretenen clamourösen Causen prominenter Beschuldigter betreffen überwiegend Vermögensdelinquenz. Die Annahme, dass eine Privilegierung dieser sog white-collar crimes bei gleichzeitiger Erhöhung der Strafdrohungen der Körperverletzungsdelikte, die erfahrungsgemäß von Personen mit anderem gesellschaftlichen Hintergrund begangen werden, auf gesellschaftliche Akzeptanz stoßen würde, wird nicht geteilt.

Der Einzelrichter des Landesgericht war bisher (erörtert am Beispiel des Diebstahls nach §§ 127ff StGB) bei Vermögensdelinquenz bei einer Wertqualifikation von mehr als EUR 3.000 bis EUR 50.000 bei Freiheitsstrafdrohung bis zu 3 Jahren sachlich zuständig; bei Wertqualifikation von mehr als EUR 50.000 (Freiheitsstrafdrohung 1 bis 10 Jahre) war bisher das Schöffengericht zuständig. Mit dem Entwurf wird der Aufgabenkreis des Einzelrichters erheblich erweitert, ist er doch danach für eine Wertqualifikation von mehr als EUR 5.000 bis EUR 500.000 (bei Freiheitsstrafdrohung bis zu 3 Jahren) zuständig. Dies führt zu einer erheblichen Mehrbelastung des Einzelrichters des Landesgerichts, die eine Neubewertung nach PAR nach sich ziehen sollte, um eine den wahren Verhältnissen entsprechende Auslastung darzustellen. Die Verschiebung der Zuständigkeit zu den Gerichten niedrigerer Ordnung (Schöffengericht zum Einzelrichter) führt zur Mehrbelastung des Einzelrichters, die ressourcen- und wertungsmäßig entsprechend auszugleichen ist. In Anbetracht der im Vorblatt zum Entwurf bezifferten 25.246 Verbrechen gegen Vermögenswerte im Jahr 2013 ist daher mit einer erheblichen Mehrbelastung des Einzelrichters beim Landesgericht zu rechnen. Die Ansicht in den Materialien, wonach die zusätzlichen Belastungen auf Ebene des Einzelrichters durch die Änderung im Bereich der Qualifikation der berufsmäßigen Begehung aufgefangen werden kann, wird nicht geteilt, da es sich hierbei quantitativ um ein Minimum der Verfahren handelt, während der Entwurf in weitaus überwiegendem Umfang  Zuständigkeiten des Einzelrichters neu begründet und erweitert.

Die Erhöhung der oberen Wertgrenze um das 10fache wird als sachlich nicht angemessen betrachtet, dies auch mit Blick auf die bisherigen, um einiges moderateren, zT die Inflation ausgleichenden Wertgrenzenerhöhungen (StrÄG 1987, StrÄG 2001, BudgetbegleitG 2005).

Die Freiheitsstrafdrohung von bis zu 3 Jahren bei einer Wertqualifikation bis zu EUR 500.000 und damit massiver Vermögensdelinquenz wird in Relation zum sonstigen Strafensystem des StGB als unangemessen niedrig erachtet und zieht Konsequenzen bei den Grundrechtseingriffen im Ermittlungsverfahren nach sich, wenn es um die Prüfung der Verhältnismäßigkeit geht.

Weiters steht die nunmehrige massive Wertgrenzenerhöhung auch in Widerspruch zu den Erwägungen, die im Rahmen des StrafprozessrechtsänderungsG 2014 betreffend das sog. „große Schöffengericht“ angestellt wurden. Demgemäß ist das Schöffengericht bestehend aus zwei Berufsrichter und zwei Schöffen bei Vermögensdelinquenz, sofern die Werte oder Schadensbeträge EUR 1 Mio übersteigen, zuständig (§ 32 Abs 1a Z 2 StPO). Begründend wurde hiezu in den Materialien darauf verwiesen, dass bei komplexen Wirtschaftsstrafsachen die Kompetenz des Gerichtshofs erweitert würde. Die nunmehr geplante Befassung des Einzelrichters des Landesgerichts mit Vermögensdelinquenz bis zu EUR 500.000 steht diesem Ansinnen entgegen.

Neben der Mehrbelastung des Einzelrichters mit komplexen Wirtschaftssachen bewirkt die Wertgrenzenerhöhung auch eine Verlagerung im Rechtsmittelverfahren vom Obersten Gerichtshof zum Oberlandesgericht einhergehend mit einer Ausweitung der Rechtsmittellegitimation, da damit im Bereich von mehr als EUR 5.000 bis EUR 500.000 der Weg der Berufung auch wegen Schuld zum Oberlandesgericht eröffnet wird, während bisher ab EUR 50.000 lediglich Strafberufung und Nichtigkeitsbeschwerde an den Obersten Gerichtshof erhoben werden konnten. Zutreffend wird daher in den Materialien darauf verwiesen, dass dadurch eine Anhebung der Planstellen im Bereich der Oberlandesgerichte unvermeidlich ist.

Kritisch wird in diesem Zusammenhang der Ausschluss des Obersten Gerichtshofs als 2. Instanz in wesentlichen Bereichen der Vermögensdelinquenz gesehen, da das österreichische Höchstgericht als oberste und zentrale Instanz für die Rechtssicherheit und -einheit gerade in komplexen Wirtschaftsstrafsachen unentbehrlich ist und bei Umsetzung des Entwurfs lediglich mit einzelnen, wenigen Fällten (Wertgrenze mehr als EUR 500.000) befasst würde. Es stellt sich aufgrund der massiven Einschränkung der Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofs bei Vermögensdelinquenz die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der geplanten Novelle. Dagegen ist die Zuständigkeitsbegründung des Obersten Gerichtshofs etwa bei der neu geschaffenen absichtlich schweren Körperverletzung, die nunmehr in die Zuständigkeit des Schöffengerichts fällt, fraglich, handelt es sich hierbei doch um einzelfallbezogene Kasuistik. Fraglich ist weiters, ob in diesen Fällen der Ausschluss der Schuldberufung wegen schöffengerichtlicher Zuständigkeit dem Einzelfall entsprechend Rechnung trägt.

Weitere Konsequenz der Ausweitung der Zuständigkeit des Einzelrichters bei Vermögensdelikten iZm der ebenso geplanten Ausweitung des Diversionsanwendungsbereichs ist, dass Vermögensdelikte bis zu EUR 500.000 (etwa § 128 Abs 1 Z 4 StGB) diversionsfähig wären, da hierbei keine Strafdrohung von mehr als 5 Jahren vorgesehen ist. Die Angemessenheit bei einem derart enormen wirtschaftlichen Schaden ist zu prüfen, um den Eindruck zu vermeiden, es handle sich bei Vermögensdelinquenz um ein Kavaliersdelikt. Die Relation zum Diversionsausschluss bei Vorliegen der neu geschaffenen Erschwerungsgründe § 33 Abs 2 und 3 StGB scheint nicht gegeben.

 

67. § 129:

Begrüßt wird die Neuregelung des § 129 StGB, wonach lediglich der Einbruch in eine Wohnstätte bzw mit einer Waffe mit der Strafdrohung von 6 Monaten bis 5 Jahren sanktioniert wird während die übrigen Fälle eine geringere Strafdrohung vorsehen. Damit werden die häufigen Fälle des Aufbrechens einer Zeitungskasse, die mit einer unverhältnismäßig hohen Strafdrohung sanktioniert waren, bereinigt.

 

76. § 143:

Begrüßt wird ebenfalls die Herabsetzung der Mindeststrafe beim schweren Raub, da bisher bei einzelnen Sachverhalten (etwa Verwendung eines Taschenmessers) lediglich durch die Heranziehung der außerordentlichen Strafmilderung eine tat- und schuldangemessene Strafe ausgesprochen werden konnte.

 

153. § 205a Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung:

Die Schaffung eines neuen Tatbestands im Bereich der Sexualdelinquenz wird für obsolet erachtet. Das österreichische Sexualstrafrecht ist – darauf verweisen zutreffend die Materialien – äußerst differenziert und erfüllt bereits die Mindeststandars der internationalen Vorgaben, wobei die entsprechenden Tatbestände mit empfindlichen Strafrahmen versehen sind. Der neu geschaffene Tatbestand geht demnach über die internationalen Vorgaben hinaus. Aus Sicht der Praxis besteht kein Erfordernis der strafrechtlichen Erfassung weiterer Sachverhalte und möglicher Stigmatisierung der Beschuldigten als „Sexualstraftäter“. Der Verweis in den Materialien, es solle ua ein Zeichen zur Vorbeugung sexueller Gewalt gesetzt werden, ist insofern nicht zutreffend, als der Tatbestand gerade keine Gewalt erfordert, sondern lediglich die Durchführung eines Beischlafs oder einer dem gleichzusetzenden Handlung ohne das Einverständnis oder nach Erlangung des Einverständnisses durch Ausnützung einer Zwangslage oder Einschüchterung. Das österreichische Strafgesetzbuch basiert nicht auf dem Prinzip des (ex ante) Präventionsstrafrechts, idS, dass Verhalten bestraft wird, bevor es zur Rechtsgutsbeeinträchtigung kommt.

Die geschaffene Regelung sieht sich darüber hinaus enormen Beweisproblemen entgegen, wird doch das Einverständnis zum Beischlaf oder Beischlaf gleichzusetzenden Handlungen überwiegend konkludent erteilt und besteht die Gefahr, dass Personen diese konkludente Zustimmung ex post widerrufen oä.

Weiters besteht die Möglichkeit der Kriminalisierung von Personen, die im Rahmen der geltenden Gesetze (zB OÖ.PolStG) Prostituierte aufsuchen, da sich Prostituierte idR in einer Zwangslage befinden.

Insgesamt ist § 205a StGB, der auch aufgrund der geringen Strafdrohung nicht in das Gefüge der Sexualdelikte passt, mit dem Ultima-Ratio-Prinzip im Strafrecht nicht in Einklang zu bringen. Die „strafgesetzkonforme Durchführung eines Beischlafs“ ist über die bestehenden Normen hinaus mit den Normen des Strafrechts nicht weiter regelungsbedürftig.

Ad 3) Artikel 3, Änderung der Strafprozessordnung:

 

8. § 192 StPO:

Die Einstellungsmöglichkeit der Staatsanwaltschaft im Anfangsstadium des Ermittlungsverfahrens bei beträchtlichem Aufwand, Verzögerung der Erledigung in der Hauptsache bei Verdachtslagen, deren Nachweis im Fall gemeinsamer Führung keinen Einfluss auf den anzuwendenden Strafsatz hätten, wobei der Staatsanwaltschaft hier Opportunitätserwägungen auferlegt werden, wird iSd des Objektivitätsgebots und der Pflicht zur Wahrheitserforschung (§ 3 StPO) kritisch gesehen. Dem Erfordernis der Aufklärung von Straftaten und Sicherstellung der Opferinteressen in einem Rechtsstaat entsprechend, sollte die Erfüllung des Beschleunigungsgebots im Ermittlungsverfahren durch Bereitstellung entsprechender personeller Ressourcen bei der in den Materialien hervorgehobenen größer werdenden Arbeitsauslastung gewährleistet werden.

 

9. § 198 Abs 2 Z 1:

s. Anmerkung zu § 33 Abs 2 und 3 StGB. Die Erweiterung der Diversion für die schöffen- und geschworenengerichtliche Zuständigkeit steht in wertungsmäßigem Widerspruch zum Diversionsausschluss für Fälle im familiären/häuslichen Nahbereich.

 

 

Begrüßenswert sind letztlich die klarstellenden Bemerkungen in den Materialien zur Frage der Verjährung, wonach es nicht der Zielsetzung des Entwurfs entspricht, nach wie vor als strafwürdig befundenes Verhalten indirekt durch eine durch die Reduzierung von Strafdrohungen bewirkte Verkürzung von Verjährungsfristen ggf doch sanktionslos zu halten. Widrigenfalls wäre man uU dem Vorwurf der Anlassgesetzgebung ausgesetzt.

 

Die Vorsitzende des Senats gem. § 36 GOG

Wels, am 1. April 2015

Dr. Hildegard Egle