2719/AB-BR/2013

Eingelangt am 28.01.2013
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BM für Wirtschaft, Familie und Jugend

Anfragebeantwortung

 

Präsident des Bundesrates

Herrn Edgar MAYER

Parlament

1017 Wien

 

 

                                                                                            Wien, am 25. Jänner 2013

 

                                                                                            Geschäftszahl:

                                                                          BMWFJ-10.102/0006-IM/a/2012

 

 

In Beantwortung der schriftlichen parlamentarischen Anfrage Nr. 2933/J-BR betreffend „Seveso-Betriebe in Österreich“, welche die Abgeordneten Elisabeth Kerschbaum, Kolleginnen und Kollegen am 29. November 2012 an mich richteten, stelle ich eingangs fest:

 

Die parlamentarische Anfrage betrifft eine Grundwasserverunreinigung, die durch die Firma Kwizda in Korneuburg/NÖ verursacht wurde. Es handelt sich dabei um einen Standort nach Abschnitt 8a der GewO 1994 (Sonderbestimmungen nach der "Seveso II - Richtlinie" 96/82/EG).

 

Für den Vollzug dieser Bestimmungen besteht keine Zuständigkeit des Bundesministeriums für Wirtschaft, Familie und Jugend. Daher wurde das zuständige Amt der Niederösterreichischen Landesregierung befasst, dessen Stellungnahme der Beantwortung der diesbezüglichen Fragen zugrundegelegt wurde.


Antwort zu Punkt 1 der Anfrage:

 

Der Standort der Firma Kwizda in 2100 Leobendorf/NÖ ist ein so genannter "Schwelle 2 - Betrieb"  nach Anlage 5 der GewO 1994. Das bedeutet, dass zumindest eine der Mengenschwellen nach Spalte 3 der Anlage 5 der GewO 1994 überschritten wird. Konkret sind dies die Mengenschwellen für giftige und umweltgefährliche Stoffe als Summenkategorie, d.h. nicht bezogen auf eine einzelne Substanz.

 

Nach § 3 Abs. 1 der Industrieunfallverordnung BGBl. II Nr. 354/2002 i.d.F. BGBl. II Nr. 14/2010 (IUV) muss der Inhaber einer Betriebsanlage nach Abschnitt 8a GewO "...ein Sicherheitskonzept (§ 84c Abs. 4 GewO 1994) erstellen, das aus einer nicht standortbezogenen zusammenfassenden Darstellung der Gesamtziele und allgemeinen Grundsätze des Betriebsinhabers in sicherheitstechnischer Hinsicht besteht."

 

Ein Sicherheitskonzept ist in Übereinstimmung mit den einschlägigen  Empfehlungen der Europäischen Kommission ein "policy paper",  welches aus sehr allgemein zu formulierenden Festlegungen zu bestehen hat. Details wie sie in lit. b) dieses Punktes der Anfrage enthalten sind, werden in einem Sicherheitskonzept nicht behandelt. Das Sicherheitskonzept der Firma Kwizda wurde 2007 von der Behörde überprüft und entsprach den formalen Anforderungen.

 

Die Verwirklichung des Sicherheitskonzepts ist lt. § 84 c Abs. 4 GewO 1994 nachzuweisen. Dies erfolgt bei "Schwelle 2 - Betrieben" wie im Falle der Firma Kwizda durch einen Sicherheitsbericht, wie er nach § 84c Abs. 5 GewO gefordert wird und dessen  Inhalt durch die §§ 5 bis 8 der  IUV  geregelt ist.  Der  Sicherheitsbericht dient als Grundlage für behördliche Inspektionen, war vorhanden und wurde erstmals 2007, sodann jährlich je  nach  Schwerpunktsetzung  in  Zusammenhang mit Inspektionen, überprüft.


Ein Sicherheitsbericht seinerseits ist kein umfassendes Dokument über sämtliche Sicherheitsaspekte eines Betriebes, sondern verweist aus Gründen der Übersicht-lichkeit und Beurteilbarkeit in Teilbereichen auf andere, detaillierte Dokumente, wie z.B. die Ausführung von Bauteilen. Die Inspektion nach § 84d Abs. 5 GewO 1994 kann dabei aus Gründen der praktischen Vollziehbarkeit nicht sämtliche Themen, die auch Gegenstand anderer Rechtsbereiche sind, neuerlich bewerten, sondern muss z.B. bei der Dichtheit von  Bauteilen  vom  Vorhandensein  entsprechender Atteste, die im Bauverfahren vorgelegt werden müssen, ausgehen. Die spezifischen Gefährdungen durch ein Langzeitversagen wären auch nicht Ausgangspunkt für Szenarien, wie bei Industrieunfällen (schweren Unfällen) entwickelt werden. Im Übrigen ist auf die Antwort zu den Punkten 5 und 7 der Anfrage zu verweisen.

 

 

Antwort zu Punkt 2 der Anfrage:

 

§ 13 IUV regelt die Anforderungen an die Öffentlichkeitsinformation, wobei Abs. 1 die erforderlichen Informationsinhalte vorgibt und Abs. 2 die Art und Weise betrifft,  wie  die  Information zu erfolgen hat. In  Abs.  2  werden  hierzu  verschiedene Möglichkeiten aufgezählt, wobei eine davon "Anschlag am Betriebstor oder in dessen unmittelbarer Nähe in gut sichtbarer und dauerhafter Form" ist.

 

Die Einhaltung der Anforderung war in der oben dargelegten Form gegeben und wurde bei den Inspektionen durch die zuständige Behörde kontrolliert.

 

 

Antwort zu Punkt 3 der Anfrage:

 

Gemäß § 84c Abs. 10 GewO 1994 sind diese Informationen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, nicht jedoch zu veröffentlichen. Dementsprechend sind die Informationen auf Anfrage bei der Firma Kwizda selbst vorhanden und können dort eingesehen werden. Die Einhaltung dieser Bestimmung ist Gegenstand der behördlichen Inspektionen.  Die  behördliche  Genehmigung  samt  dazu  vorhandenen Unterlagen bezieht sich üblicherweise auf Stoffkategorien gleicher Gefährlichkeit; der Sicherheitsbericht, mit der Stoffliste als Bestandteil, liegt in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Bestimmungen  im  Betrieb  auf.  Demgemäß musste zwangsläufig auch die Bezirkshauptmannschaft (BH) Korneuburg diese Liste anfordern.

 

 

Antwort zu Punkt 4 der Anfrage:

 

Als "Behörde" im Sinne des § 84d Abs. 2 GewO 1994 ist die örtlich zuständige Behörde zu verstehen, konkret die lokale BH, die im Wege des Landeshaupt-mannes der zentralen Meldestelle im Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend die Standorte von Seveso-Betrieben bekannt gibt. Diese verwendet diese Daten primär zur Berichterstattung an die Europäische Kommission sowie zur Erfüllung der Anforderung des § 84d Abs. 4 GewO 1994:

 

"Die zentrale Meldestelle hat jährlich ein aktualisiertes Verzeichnis der diesem Abschnitt unterliegenden Betriebe zu erstellen und den Inhabern dieser Betriebe und der Behörde zu übermitteln". Zweck dieser Bestimmung ist die Informations-weitergabe hinsichtlich allfälliger "Domino-Effekte" (vgl. § 84 c Abs. 9 GewO 1994). Eine Veröffentlichung der Liste ist nicht vorgesehen.

 

 

Antwort zu Punkt 5 der Anfrage:

 

Am 16. August 2010 hatte die Firma Kwizda der zuständigen Behörde, also der BH Korneuburg, den Austritt von ca. 3000 l Waschwässern bekannt gegeben. Dieser Vorfall wurde wegen der vergleichsweise geringen Menge an versickertem Waschwasser nicht als schwerer  Unfall  eingestuft.  Nach  den  vorliegenden  Informationen besteht dabei kein Zusammenhang mit der gegenständlichen Grundwasserverunreinigung; der Vorfall dürfte aber Hinweise auf einen Zusammenhang mit den festgestellten großflächigen Grundwasserverunreinigungen um den Standort gegeben haben. Diese wurden nach den verfügbaren Informationen durch eine oftmalige Überfüllung eines Abwasserzwischenbehälters und eine dort vorhandene Leckage verursacht, die über einen vergleichsweise langen Zeitraum andauerte.

 

Ein "schwerer Unfall" ist in § 84b Z 4 GewO 1994 definiert wie folgt:

"Ein Ereignis, das sich aus unkontrollierten Vorgängen in einem unter diesen Abschnitt fallenden Betrieb ergibt (etwa eine Emission, ein Brand oder eine Explosion größeren Ausmaßes), das unmittelbar oder später innerhalb oder außerhalb des Betriebs zu einer ernsten Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt führt und bei dem ein oder mehrere gefährliche Stoffe beteiligt sind".

 

Die Begriffe "Ereignis" und "Unfall" sind nach allgemeinem Verständnis durch eine deutliche Einschränkung des zeitlichen Auftretens geprägt; ein über lange Zeiträume auftretendes Geschehen ist kein Unfall im begrifflichen Sinne.

 

Zwingend erforderlich für die Einstufung eines Vorfalls als "schwerer Unfall" ist die Beteiligung eines gefährlichen Stoffes nach Anlage 5 der GewO 1994. Soweit bekannt, waren die maßgebenden Wirkstoffe die Substanzen Thiamethoxam und Clopyralid. Clopyralid ist kein Stoff nach Anlage 5 GewO 1994. Thiamethoxam ist demgegenüber als "stark gewässergefährdend" eingestuft und gilt damit als Stoff nach Anlage 5 GewO 1994.

 

Der Begriff "ernste Gefahr" ist in Österreich rechtlich nicht  definiert,  enthält  jedoch nach allgemeinem Verständnis eine Erheblichkeitsschwelle; es müssen also jedenfalls mehrere Menschen in ihrer Gesundheit gefährdet sein und es muss bei Umweltschäden ein Element der Irreversibilität gegeben sein. Nach den vorliegenden Gutachten, insbesondere der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit vom 26. Novemer 2012, ist kein Hinweis auf eine ernste Gefahr gegeben.


Der Vorfall der beschriebenen Langzeitleckage wurde dementsprechend ebenfalls nicht als schwerer Unfall eingestuft und daher nicht an das Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend und an die Europäische Kommission weiter geleitet. Es hat sich um kein vergleichsweise kurzfristiges Ereignis gehandelt, sondern um einen über mehrere Jahre andauernden Defekt.

 

 

Antwort zu Punkt 6 der Anfrage:

 

Ein Inspektionsprogramm ist primär die Festlegung der zeitlichen Abfolge der Inspektionen und des räumlichen Umfanges, also des behördlichen Zuständigkeits-bereichs. Der Zuständigkeitsbereich ergibt sich durch den geografischen Rahmen der BH, für die zeitlichen Intervalle sind in Niederösterreich jedenfalls jährliche Inspektionen vorgesehen, womit sich eine gesonderte Festlegung erübrigt. Seit 2003 wurde die Firma Kwizda jährlich einer Inspektion nach Abschnitt 8a der GewO 1994 unterzogen, im Jahr 2012 anlassbezogen zweimal.

 

Die Kriterien für die Schwerpunktsetzung der jeweiligen Inspektion werden vom zuständigen Amt der Landesregierung nach aktuellen  Gesichtspunkten  oder  internen Überlegungen festgelegt.

 

Eine "Seveso-Inspektion" ist eine "Systemprüfung"; das bedeutet, dass der Sicherheitsbericht auf Schlüssigkeit und Vollständigkeit in Bezug auf den bei der einzelnen Inspektion betrachteten Anlagenteil geprüft wird. Ein Vergleich mit dem realen Zustand muss sich auf stichprobenartige Kontrollen und  augenscheinlich feststellbare Mängel beschränken. Ein Befahren von Behältern kann somit nicht durchgeführt werden. Ebenso werden dabei keine Untersuchungen des Grundwassers vorgenommen.


Antwort zu Punkt 7 der Anfrage:

 

Am 20. September 2012 wurde eine gesonderte Überprüfung der Betriebsanlage durchgeführt, die aber nach den vorliegenden Informationen dem gewerberechtlichen Bereich zuzuordnen ist. Dabei wurde eine externe Dichtheitsprüfung der unterirdischen Abwasseranlagen angeordnet. Im Gegensatz zu Folgemaßnahmen von Seveso-Inspektionen, die nur als "Empfehlungen" formuliert werden können, ist im Betriebsanlagenrecht das Vorschrieben nachträglicher Auflagen möglich. Im Übrigen ist auf die Antwort zu Punkt 5 der Anfrage zu verweisen.

 

 

Antwort zu Punkt 8 der Anfrage:

 

Gewerbehördliche Genehmigungen erfolgen nach dem Schutzzweck des § 74 Abs. 2 GewO 1994 und sind daher nicht dem Abschnitt 8a der GewO 1994 zuzuordnen. Eingereicht waren in Zusammenhang mit dem gegenständlichen Vorfall jeweils Produktionsanlagen mit dichten  und  medienbeständigen  Abwassersammel- und Kanalanlagen. Eine gesonderte wasserrechtliche Bewilligungspflicht nach dem Wasserrechtsgesetz ist in diesem Fall nicht vorgesehen. Es wurden aber zur Bestätigung der Projektsangaben entsprechende Atteste der ausführenden Fachfirmen vorgeschrieben und deren Vorhandensein im  Zuge  der  Überprüfungen durch die Sachverständigen kontrolliert.

 

Eine Mitanwendung konkreter Bewilligungstatbestände des Wasserrechtsgesetzes besteht nach § 356b Abs. 1 Gewerbeordnung erst seit 1. August 2002.

 

Grundsätzlich besteht die Verpflichtung für Betriebsinhaber, die Anlagen in einem ordnungsgemäßen Zustand zu erhalten; dies obliegt der Eigenverantwortung des Betreibers. Zu diesem Zweck besteht auch die Verpflichtung des § 82b GewO 1994, wonach der Inhaber einer genehmigten Betriebsanlage diese regelmäßig wiederkehrend zu prüfen oder prüfen zu lassen hat, ob sie dem Genehmigungsbescheid und den sonst für die Anlage geltenden gewerberechtlichen Vorschriften entspricht. Eine Mitteilung über eine Überprüfung nach § 82b  GewO  ist  der  Behörde nur vorzulegen, wenn Mängel festgestellt wurden. Eine diesbezügliche Mitteilung erfolgte nicht.

 

Zuletzt wurde mit Bescheid vom 10. Juli 2012 im Zusammenhang mit dem Austausch eines  Abwassersammelbehälter  vorgeschrieben,  dass  sämtliche  Abwasseranlagen (Abläufe, Rigole, Schächte, Rohrleitungen, Lagerbehälter) in Abständen  von  maximal   drei   Jahren   einer   Dichtheitsüberprüfung   samt   Kamerabefahrung zu unterziehen sind. Die Ergebnisse sind entsprechend  zu  dokumentieren und jeweils unaufgefordert der BH Korneuburg vorzulegen.