Stenographisches Protokoll

637. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

 

 

Donnerstag, 12. März 1998

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Stenographisches Protokoll

637. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Donnerstag, 12. März 1998

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 12. März 1998: 10.00 – 21.31 Uhr

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Tagesordnung

1. Entschließungsantrag der Bundesräte Leopold Steinbichler, Hedda Kainz und Kollegen betreffend Fortführung der österreichischen Atomenergiepolitik

2. Entschließungsantrag der Bundesräte Ing. Johann Penz, Herbert Platzer und Kollegen betreffend Sicherung der Einsatzbereitschaft der Freiwilligen Feuerwehren

3. Gesundheitsbericht 1997 der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales (Berichtszeitraum 1993 – 1995)

4. Hebammenbericht der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales

5. Bundesgesetz über Maßnahmen und Initiativen zur Gesundheitsförderung, -aufklärung und -information (Gesundheitsförderungsgesetz – GfG)

6. Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über öffentliche Schutzimpfungen gegen übertragbare Kinderlähmung geändert wird

7. Bundesgesetz über die Gründung und Beteiligung an der Nationalpark Thayatal GmbH

8. Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG zwischen dem Bund und dem Land Niederösterreich zur Errichtung und Erhaltung eines Nationalparks Thayatal samt Anlage

9. Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten samt Erklärung

10. Wahl eines Vertreters Österreichs in die Parlamentarische Versammlung des Europarates

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Inhalt

Bundesrat

Ansprache des Bundespräsidenten 9

Sitzungsunterbrechungen 9, 13 und 84


Bundesrat
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637. Sitzung / Seite 2

Schreiben des Bundeskanzlers und des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten betreffend Nominierung der österreichischen Mitglieder des Ausschusses der Regionen gemäß Artikel 23c Abs. 4 B-VG 27

Schreiben des Bundeskanzlers und des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten betreffend Verlängerung des österreichischen Mandats beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften 29

Personalien

Krankmeldungen 9

Entschuldigung 9 und 26

Nationalrat

Beschlüsse und Gesetzesbeschlüsse 30

Bundesregierung

Vertretungsschreiben 27

Wahlen in Institutionen

Wahl eines Vertreters Österreichs in die Parlamentarische Versammlung des Europarates 158

Ausschüsse

Zuweisungen 30

Fragestunde

Bundesministerium für Finanzen 13

Erich Farthofer (868/M-BR/98); Monika Mühlwerth, Aloisia Fischer

Dr. Kurt Kaufmann (875/M-BR/98); Horst Freiberger, Mag. Walter Scherb

Mag. Walter Scherb (882/M-BR/98); Gottfried Jaud, Irene Crepaz

Stefan Prähauser (869/M-BR/98); Andreas Eisl, Wolfram Vindl

Gottfried Jaud (874/M-BR/98); Johann Grillenberger, Engelbert Weilharter

Mag. Harald Repar (870/M-BR/98); Dr. Paul Tremmel, Peter Rodek

Dringliche Anfragen

der Bundesräte Gottfried Waldhäusl, Dr. Reinhard Eugen Bösch, Mag. John Gudenus, Ulrike Haunschmid, Dr. Paul Tremmel und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend die negativen Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf Österreich (1364/J-BR/98)

sowie

der Bundesräte Gottfried Waldhäusl, Dr. Reinhard Eugen Bösch, Mag. John Gudenus, Ulrike Haunschmid, Dr. Paul Tremmel und Kollegen an den Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten betreffend die negativen Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf Österreich (1365/J-BR/98)


Bundesrat
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637. Sitzung / Seite 3

Begründung: Gottfried Waldhäusl 85

Dr. Paul Tremmel (zur Geschäftsordnung) 88

Beantwortung: Staatssekretär Dr. Peter Wittmann 89, 93 und 94

Staatssekretärin Dr. Benita-Maria Ferrero-Waldner 90, 94 und 94

Redner:

Dr. Reinhard Eugen Bösch 97

Albrecht Konečny 99

Dr. Kurt Kaufmann 102

Mag. John Gudenus 105

Dr. Paul Tremmel 109

und (zur Geschäftsordnung) 130

Ernst Winter 114

Ulrike Haunschmid 114

Staatssekretär Dr. Peter Wittmann 118

Gottfried Waldhäusl 119

Alfred Schöls 121

Leopold Steinbichler 122

Staatssekretärin Dr. Benita-Maria Ferrero-Waldner 123

Dr. Susanne Riess-Passer 124 und 129

Mag. Karl Wilfing 127

und (tatsächliche Berichtigung) 129

Entschließungsantrag der Bundesräte Mag. John Gudenus und Kollegen betreffend die Sicherheit der österreichischen Bürger in grenznahen Regionen nach der EU-Osterweiterung 109

Ablehnung 131

Verzeichnis des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung 131

Entschließungsantrag der Bundesräte Dr. Paul Tremmel und Kollegen betreffend Ausbau des Flughafens Schwechat 113

Ablehnung 132

Verzeichnis des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung 132

Entschließungsantrag der Bundesräte Ulrike Haunschmid und Kollegen betreffend Maßnahmen zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes Österreich vor einer allfälligen EU-Osterweiterung 117

Ablehnung 134

Verzeichnis des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung 134

Entschließungsantrag der Bundesräte Gottfried Waldhäusl und Kollegen betreffend besondere Grenzlandförderung 120

Ablehnung 135

Verzeichnis des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung 135


Bundesrat
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637. Sitzung / Seite 4

Verhandlungen

(1) Entschließungsantrag der Bundesräte Leopold Steinbichler, Hedda Kainz und Kollegen betreffend Fortführung der österreichischen Atomenergiepolitik (105/A(E)-BR/98 und 5648/BR d. B.)

Berichterstatter: Franz Wolfinger 30

(Antrag, der Bundesrat wolle die dem schriftlichen Ausschußbericht beigedruckte Entschließung annehmen)

Redner:

Hedda Kainz 31

Leopold Steinbichler 32

Mag. Walter Scherb 33

Erich Farthofer 35

Bundesministerin Mag. Barbara Prammer 36

einstimmige Annahme des Antrages des Berichterstatters, der Bundesrat wolle die dem schriftlichen Ausschußbericht beigedruckte Entschließung annehmen (E. 155) 39

Entschließungsantrag der Bundesräte Mag. Walter Scherb und Kollegen betreffend Atomenergie und Osterweiterung 34

Ablehnung 39

(2) Entschließungsantrag der Bundesräte Ing. Johann Penz, Herbert Platzer und Kollegen betreffend Sicherung der Einsatzbereitschaft der Freiwilligen Feuerwehren (104/A(E)-BR/98 und 5649/BR d. B.)

Berichterstatter: Peter Rodek 39

(Antrag, der Bundesrat wolle die dem schriftlichen Ausschußbericht beigedruckte Entschließung annehmen)

Redner:

Erich Farthofer 40

Ing. Johann Penz 41

Engelbert Weilharter 43

Ing. Walter Grasberger 46

Peter Rieser 47

Mag. John Gudenus 52

Gottfried Waldhäusl 53

Dr. Paul Tremmel 55

einstimmige Annahme des Antrages des Berichterstatters, der Bundesrat wolle die dem schriftlichen Ausschußbericht beigedruckte Entschließung annehmen (E. 156) 56

Zusatzantrag der Bundesräte Engelbert Weilharter und Kollegen zum Ausschußbericht 5649 der Beilagen/BR über den Antrag 104/A(E) betreffend Sicherung der Einsatzbereitschaft der Freiwilligen Feuerwehren 45

Ablehnung 56

Verzeichnis des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung 56


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637. Sitzung / Seite 5

Gemeinsame Beratung über

(3) Gesundheitsbericht 1997 der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales (Berichtszeitraum 1993 – 1995) (III-172/BR und 5641/BR d. B.)

(4) Hebammenbericht der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales (III-173/BR und 5642/BR d. B.)

Berichterstatter: Johann Payer 58

[Antrag, zu (3) und (4) den Bericht zur Kenntnis zu nehmen]

Redner:

Dr. Paul Tremmel 58

Ilse Giesinger 62

Karl Drochter 63

Dr. Reinhard Eugen Bösch 67

Bundesministerin Eleonora Hostasch 68 und 81

Gottfried Jaud 72

Dr. Michael Ludwig 75

Ulrike Haunschmid 77

Engelbert Schaufler 78

Alfred Schöls 81

Annahme des Antrages des Berichterstatters, zu (3) den Bericht zur Kenntnis zu nehmen, mit den Stimmen der Bundesräte der ÖVP und der SPÖ, gegen die Stimmen der Bundesräte der Freiheitlichen 83

Entschließungsantrag der Bundesräte Dr. Paul Tremmel, Dr. Susanne Riess-Passer, Monika Mühlwerth und Kollegen betreffend Gratisbehandlung ausländischer Patienten in Österreichs Krankenhäusern 62

Ablehnung 83

Entschließungsantrag der Bundesräte Ulrike Haunschmid, Dr. Paul Tremmel, Dr. Reinhard Eugen Bösch betreffend Verbesserung des Meldewesens bei melde- und anzeigepflichtigen Krankheiten 78

Ablehnung 84

Annahme des Antrages des Berichterstatters, zu (4) den Bericht zur Kenntnis zu nehmen, mit den Stimmen der Bundesräte der ÖVP und der SPÖ, gegen die Stimmen der Bundesräte der Freiheitlichen 84

Entschließungsantrag der Bundesräte Dr. Reinhard Eugen Bösch, Dr. Paul Tremmel, Monika Mühlwerth betreffend Ausbildungs- und Arbeitsplätze für österreichische Hebammen 68

Ablehnung 84

Entschließungsantrag der Bundesräte Gottfried Jaud, Johann Payer und Kollegen betreffend Erstellung eines Berichtes über den Vollzug des Hebammengesetzes 74

Annahme (E. 157) 84

Gemeinsame Beratung über

(5) Beschluß des Nationalrates vom 25. Februar 1998 betreffend ein Bundesgesetz über Maßnahmen und Initiativen zur Gesundheitsförderung, -auf


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637. Sitzung / Seite 6

klärung und -information (Gesundheitsförderungsgesetz – GfG) (1043 und 1072/NR sowie 5643/BR d. B.)

(6) Beschluß des Nationalrates vom 25. Februar 1998 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über öffentliche Schutzimpfungen gegen übertragbare Kinderlähmung geändert wird (947 und 956/NR sowie 5644/BR d. B.)

Berichterstatter: Johann Payer 137

[Antrag, zu (5) und (6) keinen Einspruch zu erheben]


Bundesrat
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637. Sitzung / Seite 7

Redner:

Ulrike Haunschmid 137

Therese Lukasser 138

Ferdinand Gstöttner 141

Erhard Meier 142

Bundesminister Dr. Martin Bartenstein 144

einstimmige Annahme des Antrages des Berichterstatters, zu (5) und (6) keinen Einspruch zu erheben 145

Gemeinsame Beratung über

(7) Beschluß des Nationalrates vom 25. Februar 1998 betreffend ein Bundesgesetz über die Gründung und Beteiligung an der Nationalpark Thayatal GmbH (904 und 1074/NR sowie 5645/BR d. B.)

(8) Beschluß des Nationalrates vom 25. Februar 1998 betreffend eine Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG zwischen dem Bund und dem Land Niederösterreich zur Errichtung und Erhaltung eines Nationalparks Thayatal samt Anlage (905 und 1075/NR sowie 5646/BR d. B.)

Berichterstatterin: Johanna Schicker 145

[Antrag, zu (7) und (8) keinen Einspruch zu erheben]

Redner:

Mag. Karl Wilfing 145

Helga Markowitsch 146

Mag. John Gudenus 148

Bundesminister Dr. Martin Bartenstein 149

einstimmige Annahme des Antrages der Berichterstatterin, zu (7) und (8) keinen Einspruch zu erheben 150

(9) Beschluß des Nationalrates vom 26. Februar 1998 betreffend ein Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten samt Erklärung (889 und 1067/NR sowie 5647/BR d. B.)

Berichterstatter: Alfred Schöls 151

(Antrag, 1. dem gegenständlichen Beschluß des Nationalrates gemäß Artikel 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen, 2. gegen den Beschluß des Nationalrates, gemäß Artikel 50 Abs. 2 B-VG den gegenständlichen Staatsvertrag durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen, keinen Einspruch zu erheben)

Redner:

Anna Elisabeth Haselbach 151

Peter Rieser 153

Dr. Peter Böhm 155

einstimmige Annahme des Antrages des Berichterstatters, 1. dem gegenständlichen Beschluß des Nationalrates gemäß Artikel 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen, 2. gegen den Beschluß des Nationalrates, gemäß Artikel 50 Abs. 2 B-VG den gegenständlichen Staatsvertrag durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen, keinen Einspruch zu erheben 158

Eingebracht wurden

Anfragen

der Bundesräte Peter Rieser, Jürgen Weiss und Kollegen an den Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr betreffend Führerscheingesetz (1361/J-BR/98)

der Bundesräte Peter Rieser und Kollegen an den Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr betreffend die Beteiligung des Bundes an der Ausstellung "Vernichtungskrieg, Verbrechen der Wehrmacht 1941 – 1944" (1362/J-BR/98)

der Bundesräte Jürgen Weiss, Peter Rieser und Ilse Giesinger an den Bundeskanzler betreffend Kundmachung von Gesetzesbeschlüssen im Bundesgesetzblatt und deren nachträgliche Veränderung (1363/J-BR/98)

der Bundesräte Gottfried Waldhäusl, Dr. Reinhard Eugen Bösch, Mag. John Gudenus, Ulrike Haunschmid, Dr. Paul Tremmel und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend die negativen Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf Österreich (1364/J-BR/98)

der Bundesräte Gottfried Waldhäusl, Dr. Reinhard Eugen Bösch, Mag. John Gudenus, Ulrike Haunschmid, Dr. Paul Tremmel und Kollegen an den Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten betreffend die negativen Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf Österreich (1365/J-BR/98)

der Bundesräte Erhard Meier und Genossen an die Bundesministerin für Frauenangelegenheiten und Verbraucherschutz betreffend Schutz der Konsumenten bei Leasingverträgen (1366/J-BR/98)

der Bundesräte Mag. John Gudenus und Kollegen an die Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales betreffend GSM-verursachte Störgeräusche in Hörgeräten (1367/J-BR/98)

der Bundesräte Mag. John Gudenus, Monika Mühlwerth, Dr. Peter Böhm an den Bundesminister für Inneres betreffend Bandenbildung zum Zwecke der Tierquälerei (1368/J-BR/98)

der Bundesräte Dr. Peter Böhm, Monika Mühlwerth, Mag. John Gudenus an den Bundesminister für Justiz betreffend Bandenbildung zum Zwecke der Tierquälerei (1369/J-BR/98)

der Bundesräte Peter Rieser, Alfred Gerstl, Dr. Vincenz Liechtenstein, Ing. Peter Polleruhs und Kollegen an den Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr betreffend ungesicherte Bahnübergänge in der Steiermark (1370/J-BR/98)

der Bundesräte Engelbert Weilharter, Dr. Susanne Riess-Passer, Gottfried Waldhäusl an den Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten betreffend Agenda 2000 – EU-Osterweiterung (1371/J-BR/98)


Bundesrat
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637. Sitzung / Seite 8

der Bundesräte Andreas Eisl, Gottfried Waldhäusl, Mag. John Gudenus an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft betreffend Wildbach- und Lawinenverbauung – Projekt Schwarzbachtal bei Leogang (1372/J-BR/98)

Anfragebeantwortungen

des Bundesministers für Landesverteidigung auf die Frage der Bundesräte Albrecht Konečny und Kollegen (1250/AB-BR/98 zu 1350/J-BR/97)

der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales auf die Frage der Bundesräte Jürgen Weiss, Ilse Giesinger und Dr. Reinhard Eugen Bösch (1251/AB-BR/98 zu 1354/J-BR/98)

des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten auf die Frage der Bundesräte Horst Freiberger und Kollegen (1252/AB-BR/98 zu 1352/J-BR/98)


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637. Sitzung / Seite 9

Beginn der Sitzung: 10 Uhr

Präsident Ludwig Bieringer: Ich eröffne die 637. Sitzung des Bundesrates.

Das Amtliche Protokoll der 636. Sitzung des Bundesrates vom 12. Februar 1998 ist aufgelegen, unbeanstandet geblieben und gilt daher als genehmigt.

Krank gemeldet haben sich die Mitglieder des Bundesrates Herbert Platzer und Johann Kraml.

Entschuldigt hat sich das Mitglied des Bundesrates Mag. Günther Leichtfried.

Ich unterbreche nunmehr die Sitzung bis zum Eintreffen des Herrn Bundespräsidenten.

(Die Sitzung wird um 10.01 Uhr bis zum Eintreffen des Herrn Bundespräsidenten unterbrochen.  – Vizepräsidentin Haselbach und Vizepräsident Weiss nehmen am Präsidium Platz. – Bundespräsident Dr. Klestil betritt den Saal.)

Präsident Ludwig Bieringer: Mit großem Respekt, Hochachtung und Wertschätzung begrüße ich unser Staatsoberhaupt in unserer Mitte und heiße Sie, Herr Bundespräsident, sehr herzlich bei uns willkommen! (Allgemeiner Beifall.)

Ebenso freut es mich, in unserer Mitte den Zweiten Präsidenten des Nationalrates, Herrn Dr. Heinrich Neisser, begrüßen zu dürfen. (Allgemeiner Beifall.)

Herr Nationalratspräsident Dr. Heinz Fischer bedauert es sehr, selbst nicht anwesend sein zu können, aber er befindet sich in London und kann daher den Termin nicht wahrnehmen, ebenso der Dritte Präsident des Nationalrates, Dr. Willi Brauneder, der sich ebenfalls außerhalb Wiens befindet.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Geschichte Österreichs ruft uns heute, am 12. März 1998, besonders zum Nachdenken auf über das, was sich vor 60 Jahren ereignet hat. Damals wurde Österreich seiner Freiheit beraubt. Wir wollen daher der 60. Wiederkehr jenes unheilvollen Märztages 1938 gedenken.

Ich darf nun den Herrn Bundespräsidenten bitten, das Wort zu ergreifen.

Ansprache des Bundespräsidenten

10.03

Bundespräsident Dr. Thomas Klestil: Herr Präsident! Hohes Haus! Ich danke Ihnen für die Einladung, diese Stunde des Gedenkens mit Ihnen hier auf parlamentarischem Boden zu verbringen.

Genau 60 Jahre sind heute seit jenem 12. März 1938 vergangen, den wir als den dunkelsten Tag in der Geschichte Österreichs in Erinnerung behalten. Mit diesem Datum verbindet sich nicht nur die Besetzung und die Auslöschung Österreichs. An diesem Tag wurde – leider auch vielfach von Jubel und falschen Hoffnungen begleitet – eine Lawine des Leidens losgetreten, die bruchlos zu einer der größten Tragödien der Weltgeschichte überleitete – zum Zweiten Weltkrieg und zum Holocaust des jüdischen Volkes.

Jene Generation, die damals die Akteure, die Zeugen und die Opfer gestellt hat, ist inzwischen weitgehend abgetreten. Neue Generationen sind nachgerückt, die keine unmittelbaren Eindrücke von den Ereignissen von damals mehr haben. Sollte man das Geschehene, das nun schon so weit zurück liegt, also nicht besser den Archiven der Geschichte überlassen?

Die Antwort darauf gibt uns die tägliche Erfahrung, daß es kaum Lebendigeres, kaum Brisanteres gibt als die Vergangenheit. Das Interesse daran, was damals geschah und wie es geschehen konnte, vor allem aber die Frage, was wir daraus gelernt haben, dieses Interesse ist in


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637. Sitzung / Seite 10

den vergangenen Jahrzehnten nicht geschwunden, sondern – im Gegenteil – gewachsen. Nie zuvor ist so viel über Zeitgeschichte geschrieben und diskutiert worden, und das ist gut so, denn die Geschichte ist der einzige Lehrmeister, auf den wir uns wirklich verlassen können.

Kaum ein anderes Land in Europa hat in diesem Jahrhundert mehr Lehren erhalten als Österreich. Kaum ein anderes ist in seinem Selbstverständnis schwerer erschüttert worden. Aber kaum ein anderes Volk hat auch so eindrucksvoll bewiesen, daß es lernfähig ist.

Heute wissen wir, daß Österreichs scheinbares Ende in den düsteren Märztagen 1938 nicht nur der Beginn einer siebenjährigen Tragödie, sondern zugleich auch der Anfang zur Selbstfindung war, daß sich ausgerechnet in diesen Stunden größter Bedrohung erstmals in der Geschichte unserer Republik eine patriotische Massenbewegung zu formen begann, daß damals Österreicher unmittelbar vor dem Untergang unseres Landes begannen, sich über alle Gegensätze hinweg unter der rotweißroten Fahne zusammenzuscharen.

Aber der brutale Druck von außen, die Last innerer Verstrickung, das atemberaubende Tempo der Ereignisse, all das hat dem plötzlich möglich scheinenden historischen Kompromiß letztlich keine wirkliche Chance gewährt. Und vermutlich war es auch die Angst vor dieser unerwarteten Gemeinsamkeit der Österreicher, die schließlich den Einmarsch der Hitlertruppen weiter beschleunigte.

So liegt über den Schicksalstagen des Frühjahres 1938 eine beispiellose Ambivalenz von Tod und Geburt, von organisiertem Jubel und unendlichem Leid, von Anpassung und von Widerstand. Erst durch die Katastrophe dieser Tage und der Jahre danach wurden die Menschen geläutert und begriffen, welchen Wert ein freies, ein souveränes Österreich hat.

Für zu viele Österreicher war die Erste Republik keine gute Heimat gewesen. Sie sahen in ihr einen Torso der schmählich besiegten Donaumonarchie ohne Identität, ohne Zukunft. Teile des Landes versuchten, sich Nachbarstaaten anzuschließen. Politische Gruppen erklärten offen, daß sie die Republik haßten und bekämpften. Andere empfanden dieses Österreich mit seiner autoritären antidemokratischen Führung als Hort der Unterdrückung. Man bekämpfte einander von der ersten Stunde an, suchte Hilfe bei fremden Mächten, bildete schließlich Parteiarmeen, löste das Parlament auf und schoß aufeinander.

Wir alle haben die erschütternden Bilder aus jener Zeit im Gedächtnis: die Verwundeten und Toten des Bürgerkriegs, die langen Reihen von Arbeitslosen, die Massenaufmärsche und Hetzparolen. Für echten Patriotismus blieb da wenig Platz. Wir kennen aber auch die Wochenschaubilder jubelnder, hoffender Menschen in den Straßen Österreichs, als der Nationalsozialismus Einzug hielt, und wir wissen, was schließlich dem Einzug der neuen Machthaber folgte, was nicht fotografiert und nicht gefilmt werden durfte – die Verfolgung und Verhaftung Zehntausender, die Verzweiflung und das Martyrium jener, die in Konzentrationslager abtransportiert und zu Tode gefoltert wurden, und der furchtbare Schmerz all derer, die aus Österreich fliehen mußten.

Aber auch jene, die damals hier blieben, bekamen bald die Rechtlosigkeit und Willkür der Diktatur und dann die Schrecken des Krieges zu spüren. Mehr und mehr wurde auch ihnen der Verlust der österreichischen Heimat bewußt und daß es im Leben eines Volkes nichts Wichtigeres gibt als den Willen zur Selbständigkeit, als den Willen zur Gemeinsamkeit. Es war die Fremdherrschaft, die Erniedrigung, die damals Hunderttausende von Österreichern träumen und für Österreich beten ließ.

Meine Damen und Herren! Aus der Geschichte zu lernen war für uns Österreicher sicher ein besonders leidvoller Prozeß. In Trauer und Schmerz neigen wir uns heute einmal mehr vor allen Landsleuten, die während der nationalsozialistischen Herrschaft ihr Leben verloren haben. Wir haben in den vergangenen sechs Jahrzehnten viel zu lernen gehabt. Zu den schwierigsten Lehren gehört es, die Wahrheit zu ertragen. Wir wissen heute, wieviel Untaten auch von Österreichern ausgingen. Wir wissen auch, wie viel an Nährboden der Antisemitismus und Rassenwahn in Österreich vorfand, auf dem er sich zum Massenmord des Holocaust verdichten konnte.


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637. Sitzung / Seite 11

Und wir wissen, wie wenig nach 1945 getan wurde, um das Los von überlebenden Opfern zu lindern.

Ich möchte in diesem Zusammenhang auch meine Betroffenheit nicht verschweigen, daß die damals Vertriebenen viel zu spät und auch dann noch ohne Überzeugungskraft zur Heimkehr eingeladen wurden. Ich selbst habe Tausende dieser Vergessenen jenseits des Atlantik wiedergefunden. Ich weiß, welch tiefe Liebe zur alten Heimat sie trotz allem, was geschehen war, in sich bewahrt haben. Gerade sie hätten ein Recht gehabt, den Aufstieg Österreichs mitzuerleben, und ich weiß, daß sie Unschätzbares zu unserer Demokratie und Kultur beigetragen hätten.

Wir haben aber auch lernen müssen, daß jedes pauschale Urteil über diese Zeit und ihre Menschen in sich selbst falsch und also der Beginn neuen Unrechts sein muß. Die Frontlinien zwischen Tätern und Opfern liefen damals mitten durch unser Volk, mitten durch Familien, ja oft genug mitten durch ein Herz. In diesem Dickicht von Verstrickung, Verlockung und Zwang ist später auch jene Verdrängung gewachsen, die unsere Aufarbeitung des Geschehenen lange verzögert hat.

Wir sollten aber keineswegs vergessen, daß Tabus und Verdrängung lange Zeit auch so etwas wie eine Schutzfunktion hatten, daß der Überlebenskampf der Nachkriegszeit, die schwere Aufbauarbeit der ersten Jahre unter der Last von Schuldzuweisungen und neuen Trennungen kaum möglich gewesen wäre. Heute wissen wir freilich, daß wir uns zu lange und weit über die Zeit des Wiederaufbaus und der Identitätsfindung hinaus mit allzu einfachen Antworten auf die Fragen nach Wahrheit und Schuld abgefunden haben.

Jene Generation aber, die 1945 den Grundstein zur Zweiten Republik legte, sie hatte damals eine ganz andere, eine heroische Bewährungsprobe zu bestehen. Unter schwierigsten Umständen und noch traumatisiert von Diktatur und Krieg schuf sie tatsächlich die Grundlagen unserer Zweiten Republik: die parlamentarische Demokratie, die innere Stabilität, den sozialen Frieden – und damit das Fundament für Wohlstand und Ansehen Österreichs in der Welt. Es gehört sicher zur Einmaligkeit unserer Geschichte, daß es dieselben Gesinnungsgemeinschaften, dieselben Persönlichkeiten von einst waren, die nun gelobten, das künftige Österreich ganz neu zu gestalten.

Gerade dann, als alles in Trümmern lag, war jeder Zweifel am Lebenswillen und an der Lebensfähigkeit dieses Landes endgültig überwunden. Und mit den Erfolgen wuchs auch der Stolz der Österreicher auf ihre Heimat.

Hohes Haus! Einen wesentlichen Anteil an der Aufwärtsentwicklung Österreichs zu einem Land mit höchster Lebensqualität verdanken wir sicher den Bundesländern. Ich freue mich über diese Gelegenheit, meine Dankbarkeit gegenüber unseren neun Ländern zu erneuern.

Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß der Föderalismus ein wesentliches Element des Österreichbewußtseins unserer Bürger ist. Die große Mehrheit unserer Landsleute spürt ihre Wurzeln in den kleinen, überschaubaren Regionen – in den Vierteln, Talschaften, Bezirken. Aus ihnen wächst unser Heimatgefühl – es gehört zunächst unserem engeren Zuhause, dann unserem Bundesland und dann unserer Republik. Ich habe erst gestern vor dem Europäischen Parlament auf die Zukunftsaufgabe verwiesen, über dem Großen das Kleine nicht zu vergessen und das Europabewußtsein auf der bunten Vielfalt von Eigenem und Gemeinsamem aufzubauen.

Ich möchte auch daran erinnern, daß dieses Österreich nicht nur 1918, sondern auch im Herbst 1945 aus dem freiwilligen Beitritt und Zusammenschluß der Bundesländer wiedererstanden ist. Auch dahinter verbirgt sich eine bittere Erfahrung. Über Nacht hatten die Nationalsozialisten im März 1938 nicht nur den österreichischen Föderalismus zerstört. Sie tilgten auch die Namen mehrerer Bundesländer und hoben die alten Landesgrenzen auf. An die Stelle von demokratisch gewählten Landesbehörden wurden diktatorische Kommandozentralen gesetzt, und an eine Länderkammer, die die Interessen der Bundesländer vertreten hätte, war nicht mehr zu denken.


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637. Sitzung / Seite 12

So gehört auch die Wiederherstellung eines föderalistischen Bundesstaates zu den wesentlichen Elementen unseres Österreichbewußtseins.

Manche von Ihnen erinnern sich vielleicht noch dankbar, wie sehr vor allem die Landesbehörden in der Nachkriegszeit zum Überleben beigetragen haben, wie sehr sie den Menschen bei Übergriffen der Besatzungsmächte geholfen haben. In den Ländern wurde damals die für den Wiederaufbau nötige Infrastruktur geschaffen. Und das kulturelle Netzwerk, um das uns heute die Welt beneidet, wäre ohne die Eigendynamik und das Selbstverständnis der Länder nicht zustande gekommen.

Meine Damen und Herren! Mit jedem Jahr, das uns weiter von der Kriegs- und Nachkriegszeit wegführt, verblaßt die Erinnerung an Kampf und Leid, an Entbehrung und Verzicht. Die Frage aber, ob wir auch die richtigen Schlußfolgerungen aus den Tragödien von damals gezogen haben, verliert nichts von ihrer Aktualität.

Ich weiß schon: Es ist immer auch die Zeit, die uns Menschen fordert und prägt. Manche freiwillige Mehrleistung, manche Mitmenschlichkeit und Fürsorge, die in Zeiten der Not selbstverständlich ist, wird in Zeiten des Wohlstandes keine selbstverständliche Tugend mehr sein. Und nichts, was wir unter bestimmten Vorzeichen gelernt und praktiziert haben, wird uns immer geläufig bleiben.

Trotzdem gehört es mit zum tieferen Sinn von Gedenktagen, die Erfahrungen aus vergangenen Bewährungsproben neu zu überdenken und das Gute, das Erprobte zu bewahren. Sollten wir also nicht auch diesen 12. März 1998 dazu nützen, um uns zu fragen, wieviel uns vom Geist jener Nachkriegsjahre geblieben ist? Sind uns nicht manche der damals bitter erkämpften politischen Tugenden allzu selbstverständlich geworden – die Freiheit und Demokratie, Respekt, Grundvertrauen? Empfinden wir Österreicher uns tatsächlich noch als eine Schicksalsgemeinschaft, die jedem von uns nicht nur Rechte und Freiheiten, sondern auch Verantwortung und Pflichten zuordnet?

Ich füge noch einige Fragen hinzu:

Warum nimmt das Interesse an der Res publica mehr und mehr ab? Warum fühlen sich vor allem junge Menschen vom Appell zur Mitwirkung, zur Mitgestaltung so wenig angesprochen? Warum erleben die Bürger trotz Informationsflut die Politik, die Demokratie als etwas Fernes, Undurchschaubares, als einen Macht- und Verwaltungsmechanismus und jedenfalls nicht als permanenten Dialog um eine noch bessere, noch gerechtere Gesellschaft? Warum sind zwar die Gräben von einst überwunden, aber so viel Zynismus und Gehässigkeit geblieben? Warum machen wir so selten von unserem Recht Gebrauch, uns zur eigenen Meinung, zu unseren Überzeugungen und Werten zu bekennen, notfalls auch gegen den Zeitgeist? Was ist – bei aller Europäisierung und Globalisierung – aus unserem einstigen Stolz, aus unserer Freude geworden, Menschen von anderswo zu empfangen, bei uns aufzunehmen und von ihnen zu lernen? Vor allem aber: Was ist aus den drei Kardinaltugenden jener Gründergeneration der Zweiten Republik geworden: dem Mut zur Veränderung, dem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und dem Willen zur Gemeinsamkeit?

Ich meine, es wäre kein unzumutbares Opfer, könnten wir weit über diese Versammlung hinaus aus diesem besonderen Anlaß unserem demokratischen Selbstverständnis einige Minuten der kritischen und selbstkritischen Aufmerksamkeit schenken.

Hohes Haus! In jenen fürchterlichen Stunden des 11. März 1938 hat der damalige Bundespräsident Wilhelm Miklas nach Jahren der Gewissensnöte und des Zögerns eine bemerkenswert tapfere und verantwortungsvolle Rolle gespielt: Auch unter schwerstem Druck hat er sich bis zuletzt geweigert, seinen Namen zur Auslöschung der Heimat herzugeben. So trug die Sterbeurkunde Österreichs wenigstens nicht die Unterschrift des letzten demokratisch gewählten Repräsentanten des österreichischen Staates.


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Von Bundespräsident Miklas stammt auch ein prophetischer Satz, den er – lange vor der Okkupation – hier in diesem Haus gesprochen hat. Er lautet: "Österreich ist das Herz Europas. Wenn man es verletzt, dann kann es keine friedliche Entwicklung in Europa geben."

Zweimal in diesem zu Ende gehenden Jahrhundert haben wir den erschreckenden Wahrheitsgehalt dieser Worte erleben müssen und daraus gelernt, die Zukunft Österreichs untrennbar mit der Zukunft Europas zu verbinden.

Mit dem Einmarsch vom 12. März 1938 hat damals der Marsch in den größten Krieg begonnen, den Europa je erlebt hat. 60 Jahre später macht sich dieses Österreich auf, zum erstenmal die Präsidentschaft der Europäischen Union zu übernehmen. Ich glaube, nichts belegt eindrucksvoller, daß nicht nur einzelne Menschen, sondern auch ganze Völker lernfähig sind. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Lang anhaltender allgemeiner Beifall.)

10.21

Präsident Ludwig Bieringer: Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Ich bedanke mich sehr herzlich bei Ihnen für Ihre Worte des Gedenkens und Bedenkens.

Ich ersuche nun alle Anwesenden, sich von den Plätzen zu erheben und zum Ausklang gemeinsam die von niederösterreichischen Tonkünstlern intonierte erste Strophe der österreichischen Bundeshymne zu singen.

(Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen und niederösterreichische Tonkünstler intonieren die erste Strophe der Bundeshymne, anschließend verläßt Bundespräsident Dr. Klestil den Sitzungssaal.)

(Die unterbrochene Sitzung wird um 10.26 Uhr wiederaufgenommen. )

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf und bitte die Damen und Herren Bundesräte, die Plätze einzunehmen.

Fragestunde

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wir gelangen nunmehr zur Fragestunde.

Ich möchte Ihnen mitteilen, daß der Herr Bundesminister für Finanzen ersucht hat, die Fragestunde diesmals nur für eine Stunde abzuhalten, denn er muß zum Rat der europäischen Finanzminister nach Finnland – eine Aufgabe, an der wir ihn ganz sicher nicht hindern wollen. Daher bitte ich um Verständnis dafür, daß wir die Fragestunde diesmal nicht auf 120 Minuten ausweiten, sondern mit 60 Minuten das Auslangen finden werden.

Wir beginnen nun – um 10.29 Uhr – mit dem Aufruf der Anfragen.

Bundesministerium für Finanzen

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wir kommen zur 1. Anfrage an den Herrn Bundesminister für Finanzen. Ich bitte den Anfragesteller, Herrn Bundesrat Farthofer, um die Verlesung seiner Anfrage.

Bundesrat Erich Farthofer (SPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

868/M-BR/98

Wie hoch werden die Kosten der geplanten Reform der Familienförderung sein?

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Herr Bundesminister.


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Bundesminister für Finanzen Rudolf Edlinger:
Frau Vorsitzende! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedanke mich dafür, daß Sie die Fragestunde mit einer Stunde begrenzen, möchte aber der Korrektheit halber betonen, daß ich nicht zum Rat der europäischen Finanzminister fahre, sondern in Helsinki mit dem finnischen Finanzminister zu einem bilateralen Gespräch zusammentreffe, weil ich glaube, daß es notwendig ist, in Anbetracht der bevorstehenden Präsidentschaft vor dieser mit jedem einzelnen der Finanzminister ein bilaterales politisches Gespräch zu führen. Ich danke Ihnen dafür, daß Sie darauf Rücksicht nehmen.

Sehr geehrter Herr Bundesrat! Auf Ihre Frage möchte ich Ihnen folgendes antworten: In der ab dem Jahr 2000 geltenden Ausbaustufe der Familiensteuerreform werden sich die Kosten auf etwa 12 Milliarden Schilling belaufen. Es werden dabei einerseits die Transferzahlungen, andererseits die Steuerabsetzbeträge erhöht, sodaß vom Gesichtspunkt der budgetären Zuteilung aus etwa 6 Milliarden Schilling den Familienlastenausgleich und ungefähr 6 Milliarden Schilling das allgemeine Budget betreffen werden. Die erste Ausbaustufe wird im Jahr 1999 – sie gilt nur für dieses eine Jahr – insgesamt rund 6 Milliarden Schilling ausmachen, also aus beiden Töpfen zusammen, Familienlastenausgleich und Budget. Das bedeutet, daß jeweils 3 Milliarden für das Jahr 1999 vorzusehen sind.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte, Herr Bundesrat.

Bundesrat Erich Farthofer (SPÖ, Niederösterreich): Beabsichtigen Sie, die Bundesländer miteinzubeziehen, und wenn ja, in welcher Form?

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Rudolf Edlinger: Die Einbindung der Länder und auch der Gemeinden als die dritte Gebietskörperschaft ergibt sich aufgrund der Ertragsanteile bei der Einkommensteuer und bei der Lohnsteuer. Diese verringern sich durch die Reform der Familienbesteuerung. Diesbezügliche Gespräche hat es im Rahmen der Notwendigkeiten des § 5 des Finanzausgleichsgesetzes gegeben. Eine solche Sitzung hat stattgefunden. Die Landeshauptleutekonferenz hat vorgestern auch die Familiensteuerreform in dieser Form zur Kenntnis genommen.

Für das Jahr 1999 bedeutet das konkret, daß die Länder Einnahmenausfälle in der Höhe von 0,57 Milliarden Schilling und die Gemeinden solche in Höhe von 0,46 Milliarden Schilling haben werden. Im Jahr 2000 werden die Länderbudgets mit einem Einnahmenausfall von insgesamt 1,25 Milliarden Schilling und die Gemeinden mit einem solchen von 1,01 Milliarden Schilling betroffen sein.

Diese Mindereinnahmen erhöhen sich noch durch die Verringerung der Bedarfszuweisung des Bundes an die Länder gemäß § 21a des FAG zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Gleichgewichtes im Haushalt, und zwar in der Form, daß – da sind nur die Länderbudgets betroffen – für das Jahr 1999 mit einer Minderung von 0,26 Milliarden Schilling und für das Jahr 2000 mit einer solchen von 0,57 Milliarden Schilling zu rechnen ist.

Außerdem haben Länder und Gemeinden natürlich jene Kosten, die ihnen im Rahmen der Selbstträgerschaft zukommen, zu bedecken.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Herr Bundesminister.

Eine Zusatzfrage wird von Frau Bundesrätin Mühlwerth gewünscht. – Bitte.

Bundesrätin Monika Mühlwerth (Freiheitliche, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Es hat bei der letzten Reform der Familienförderung schon Kritik hinsichtlich der Verfassungskonformität gegeben, und der Verfassungsgerichtshof hat sich den Kritikern ja angeschlossen. Auch im Zusammenhang mit der jetzt geplanten Reform gibt es wieder namhafte Kritiker, die die Verfassungskonformität anzweifeln.


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Gibt es von Ihrer Seite her Berechnungen dahin gehend, wie hoch die Kosten der Familienreform wären, wenn die Verfassungskonformität nach allen Seiten gewährleistet wäre?

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Rudolf Edlinger: Ich gehe zunächst einmal davon aus, daß es das legitime Recht jedes einzelnen Bürgers ist, mit einer legistischen Lösung nicht einverstanden zu sein. Der Verfassungsgerichtshof wird sich sicherlich – ich nehme an, es wird so sein – mit dem Problem der Familienbesteuerung noch einmal beschäftigen müssen.

Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes sagt ja nur aus, daß für Verdiener, deren Einkommen im oberen Drittel der Einkommen angesiedelt ist – 800 000 S Jahreseinkommen und darüber –, im Falle des Vorhandenseins älterer Kinder, also solcher über 19 Jahre, der Betrag, der durch die Kumulierung von Absetzbetrag und Transferleistung entsteht, nicht geeignet ist, die entsprechende Unterhaltspflicht abzudecken, und zwar in dem Ausmaß, in dem das erforderlich ist. Eine rein diesem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes entsprechende Korrektur der Familienbesteuerung hätte in der Art, wie wir sie jetzt vorfinden, maximal eine Milliarde Schilling gekostet, hätte aber den Effekt gehabt, daß Einkommensstarke zusätzliche Leistungen bekommen hätten, während Einkommensschwache, nämlich Mehrkinderfamilien, aber auch Alleinverdiener, die erheblich größere Probleme haben als andere, die Familienbeihilfe beziehungsweise die Absetzbeträge unverändert bezogen hätten, also so wie bisher. Dies war jedoch aus Gründen der sozialen Ausgewogenheit nicht der Wunsch der Koalitionsregierung.

Daher sind wir von dem Grundsatz: Jedes Kind ist gleichviel wert! ausgegangen und werden im Zieljahr 2000 einen Betrag in der Größenordnung von 500 S – Absetzbetrag und Familienbeihilfe – dazugeben. Familien mit drei oder mehr Kindern, die unter einer bestimmten Einkommensgrenze liegen und die besonders stark Gefahr laufen, unter die Armutsgrenze zu sinken, werden noch eine zusätzliche Förderung erhalten. Dadurch ergibt sich das Gesamtvolumen von 12 Milliarden Schilling.

Offen ist die Frage – diesbezüglich gibt es noch kein Erkenntnis –, wie die Unterhaltsverpflichtung im Falle einer Scheidung zu lösen ist. Ich sage Ihnen ganz offen: Ich weiß nicht, wie der Verfassungsgerichtshof entscheiden wird, aber ich hoffe sehr, daß das Erkenntnis nicht einer Aufforderung zur Scheidung gleichkommen wird. Sollte ein Erkenntnis vorliegen, das bedeutet, daß ein Kind aus einer geschiedenen Ehe das doppelte Ausmaß an Familienförderung erhält, weil beide Elternteile dann das gleiche bekommen, so ist das eine indirekte Aufforderung zur Scheidung. Ich würde eine solche Vorgangsweise politisch für kontraproduktiv im Hinblick auf die Familie betrachten. Ich hoffe sehr, daß es nicht zu solch einem Erkenntnis kommt, denn ich bekenne mich zur Familie – durchaus auch aufgrund meines gesellschaftspolitischen Verständnisses.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Herr Bundesminister.

Eine weitere Zusatzfrage wird von Frau Bundesrätin Fischer gewünscht. – Bitte.

Bundesrätin Aloisia Fischer (ÖVP, Salzburg): Herr Bundesminister! Wie beurteilen Sie die Höhe der nunmehr beschlossenen Maßnahmen zur Familienförderung im Hinblick auf die Steuerreform 2000?

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Rudolf Edlinger: Für mich ist natürlich die Änderung im Zusammenhang mit der Familienbesteuerung eine gewisse Vorwegnahme der Steuerreform; das ist gar keine Frage. Es sind immerhin 5 Millionen Österreicher – so viele Bürger leben in Familienverbänden – von dieser Maßnahme positiv betroffen, werden dadurch gefördert, was zu einer Kaufkrafterhöhung dieser Familien führen wird. Ich gebe aber zu, daß damit das Gesamtproblem der Progression nicht erledigt ist. Es wird darauf ankommen, in welcher Weise im Rahmen der Steuerreform eine Manövriermasse herzustellen ist, die auch Tarifsenkungen in anderen Bereichen der Lohn- und Einkommensteuer ermöglicht.


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Es ist jedenfalls resümierend festzustellen, daß die Änderungen bei der Familienbesteuerung den Spielraum für die große Steuerreform einengen.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Herr Bundesminister.

Wir kommen nun zur 2. Anfrage: Herr Bundesrat Dr. Kaufmann, ich darf um die Verlesung bitten.

Bundesrat Dr. Kurt Kaufmann (ÖVP, Niederösterreich): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

875/M-BR/98

Wie stehen Sie zur Einführung des Luxemburger Modells zur Bekämpfung der Schattenwirtschaft?

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Rudolf Edlinger: Das Luxemburger Modell geht davon aus, daß im Falle von Bautätigkeiten, bei denen Rechnungen nachgewiesen werden können, Mehrwertsteuersätze reduziert werden. Das ist in der Tat ein interessanter Aspekt, der durchaus die Argumentationslinie, die davon ausgeht, daß das im Konnex mit anderen Maßnahmen eine solche sein könnte, die Schwarzarbeit verhindert, als legitim erscheinen läßt. Ich möchte aber trotzdem in aller Deutlichkeit sagen, daß man sich immer die Gesamtheit einer politischen Förderung anschauen muß.

In Luxemburg gibt es das Instrument der Wohnbauförderung nahezu nicht – und man kann das nur im Konnex sehen. Das Luxemburger Modell würde etwa bedeuten, daß es zu Steuerausfällen in einer Größenordnung von 5 Milliarden Schilling käme. Der Bund gibt an Wohnbauförderungsmitteln – ich gehe jetzt vom Budget 1997 aus, weil dafür die Daten im wesentlichen vorliegen – direkte Wohnbauförderung in der Höhe von 25 080 Millionen Schilling an die Länder und indirekte Förderung in der Höhe von 2 Milliarden bis 3 Milliarden Schilling. Also ein gewaltiger Betrag, der aus dem Steuertopf kommt und dazu dient, Wohnbauten zu errichten.

Die Luxemburger, aber auch die Belgier, die ein ähnliches System wie die Luxemburger haben, haben im Vergleich dazu Wohnbauförderungen, die die Budgets mit 20 Prozent des Betrages der Wohnbauförderung Österreichs belasten.

Daher kann eine solche Diskussion, wenn das gewünscht wird, nur im Konnex mit der Wohnbauförderung geführt werden. Die Wohnbauförderungsmittel sind Mittel der Bundesländer, und wir können natürlich den gleichen Sachverhalt nicht zweimal steuerlich fördern.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Herr Bundesminister.

Wünschen Sie eine Zusatzfrage? – Bitte, Herr Bundesrat.

Bundesrat Dr. Kurt Kaufmann (ÖVP, Niederösterreich): Herr Bundesminister! Werden Sie andere Maßnahmen zur Eindämmung der Schwarzarbeit setzen?

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Rudolf Edlinger: Sehr geehrter Herr Bundesrat! Wie Sie wissen, hat am 4. November 1997 die Bundesregierung die Frau Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales und den Herrn Wirtschaftsminister beauftragt, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die Vorschläge zur Umsetzung eines Programmes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit erarbeiten soll. Die Aktion, die unter dem Arbeitstitel "Sauberer Arbeitsplatz" läuft, soll auf drei Ebenen zu Ergebnissen führen und eine merkbare Verbesserung der Anmelde- und Beschäftigungsmoral in Österreich bewirken. Geplant sind die Durchsicht und Verbesserung der entsprechenden Rechtsvorschriften, die Verbesserung der diesbezüglichen Behördenorganisation und die Aufklärungs- und Meinungsbildungsarbeit im Hinblick auf die Betroffenen.


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Das Ergebnis dieser Arbeitsgruppe soll noch Ende März vorliegen. Es soll auch im Rahmen des nationalen Beschäftigungsprogrammes ein Beitrag zu den Initiativen der Europäischen Union sein. Soweit ich das aus den von der gemeinsamen Arbeitsgruppe bisher erarbeiteten Ergebnissen beurteilen kann, scheint es mir durchaus geeignet zu sein, ein Mosaikstein in der Frage der Bekämpfung von Schwarzarbeit zu sein.

Mir geht es bei der Schwarzarbeit nicht ausschließlich darum, einen Zuwachs an Steuererträgen zu bekommen. Es geht auch darum, soziale Abhängigkeiten von Leuten, die in der Schattenwirtschaft beschäftigt sind, zu mildern oder überhaupt auszumerzen. Letztendlich geht es auch darum, redliche und korrekte Unternehmer gegenüber solchen, die diese beiden Attribute nicht verdienen, zu schützen. Ich glaube, daß auch das eine Aufgabe der Bundesregierung ist.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Herr Bundesminister.

Eine weitere Zusatzfrage wird von Herrn Bundesrat Freiberger gewünscht. – Bitte.

Bundesrat Horst Freiberger (SPÖ, Steiermark): Herr Bundesminister! Ich teile selbstverständlich Ihre Auffassung, daß das "Luxemburger Modell" nicht besonders geeignet ist, die Schwarzarbeit einzudämmen. Wie würde sich die Übernahme dieses Modells auf das Budget auswirken?

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Rudolf Edlinger: Das ist nicht einfach darzustellen. Ich beziehe mich dabei auf eine Studie des WIFO, in der modellhaft mit ähnlichen Kriterien, wie sie dem "Luxemburger Modell" zugrunde liegen, versucht worden ist, die Auswirkungen auf das Budget zu errechnen. Diese Studie stammt allerdings bereits aus dem Jahre 1986, was aber für eine Argumentation, etwa von den Proportionen her, eher vernachlässigbar ist. Die Studie ist davon ausgegangen, daß ein Modell entwickelt wird, demzufolge – zunächst befristet auf drei Jahre – der Mehrwertsteuersatz auf 10 Prozent abgesenkt würde. Der Aspekt der Befristung erschwert möglicherweise dabei die Berechnung dieses Modells. Der Einnahmenverlust durch die verringerte Mehrwertsteuer wurde bei diesem auf drei Jahre befristeten Modell vom WIFO auf 11 bis 12 Milliarden Schilling pro Jahr errechnet. Kumuliert auf drei Jahre bedeutet dies einen Verlust von 34 Milliarden Schilling. Umgekehrt steigt nach dieser Modellrechnung das Aufkommen der direkten Steuern. Auch die Sozialversicherungsabgaben erhöhen sich um rund 5 Milliarden pro Jahr. Das muß fairerweise gegengerechnet werden.

Es würde also nach diesem Modell – wobei nochmals betont werden muß, daß nur ein Modell als Bewertungskriterium herangezogen werden kann – mit einem Einnahmenentfall von rund 6 Milliarden Schilling pro Jahr zu rechnen sein.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Herr Bundesminister.

Eine weitere Zusatzfrage wird von Herrn Mag. Scherb gewünscht. – Bitte, Herr Bundesrat.

Bundesrat Mag. Walter Scherb (Freiheitliche, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Wie sehen Sie die Gefahr, daß durch die geplante EU-Osterweiterung die Schattenwirtschaft weiter anwachsen wird?

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Rudolf Edlinger: Ich glaube, daß die EU-Osterweiterung ein ziemlich globales und komplexes Thema ist, das man nicht von diesem Ansatzpunkt her diskutieren und aufrollen kann. Die EU-Osterweiterung ist innerhalb der Europäischen Union ein Aspekt der Agenda 2000. Ich glaube, es ist unbestritten, daß die EU-Osterweiterung eines der ambitioniertesten Projekte nicht nur im Hinblick auf eine sehr massive, offensive Friedensinitiative, sondern auch im Hinblick darauf, daß es unbefriedigend sein muß, auf ewige Zeit – 60 Kilometer von Wien entfernt – eine Wohlstandsgrenze zu haben, die den gemeinsamen Wirtschafts- und Sozialraum Europa mittelfristig extremen Spannungen aussetzen würde, ist.


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Den Vereinigten Staaten ist es nicht einmal mit sechs Meter hohen Stacheldrahtzäunen gelungen, die illegale Einwanderung von Mexikanern in die Vereinigten Staaten zu verhindern. Diese Einwanderung konnte in diesem Ausmaß erst durch die sehr massive Hilfe der Vereinigten Staaten, die ein Wirtschaftswachstum und damit auch eine Erhöhung der Lebensqualität der Menschen im Nordteil Mexikos bewirkt hat, eingedämmt werden. Ich glaube, daß niemand vorsätzlich seine Heimat verläßt. Die Heimat wird vielmehr unter dem Aspekt, daß die persönliche Sicherheit nicht mehr gewährleistet ist, verlassen. Ein weiteres Motiv ist die Ansicht, daß eine Perspektive auf eine individuelle wirtschaftliche Chance, die natürlich jeder gerne wahrnehmen möchte, nicht erkennbar ist.

Ich meine daher, daß die EU-Osterweiterung ein Thema ist, das uns sicherlich geraume Zeit beschäftigen wird. Ich gehe auch davon aus, daß wir nicht nur im Interesse Österreichs oder der westlichen Länder lange Übergangszeiten im Bereich der Dienstleistungen und des Arbeitsmarktes brauchen, sondern auch im Interesse der osteuropäischen Länder. Wer würde denn bei einem freien Personenverkehr zunächst einmal das Land verlassen? – Möglicherweise jene Menschen, die in die Schwarzarbeit gehen, das wären also wenig qualifizierte Leute. Sehr viel gefährlicher für die Volkswirtschaft in Osteuropa wäre es allerdings, wenn hochqualifizierte Führungsleute nach Westeuropa gingen. Es gibt nicht so viele davon in Osteuropa, und sie haben für den Aufbau ihrer nationalen Volkswirtschaften eine besondere Bedeutung. Lange Übergangszeiten im Bereich des Personenverkehrs liegen also im wechselseitigen Interesse.

Wir werden selbstverständlich in der Debatte über die EU-Osterweiterung diesen Aspekt aus unserer Sicht nachhaltig vertreten. Es hat auch bei der Süderweiterung speziell im Personenverkehr eine Übergangszeit von nahezu zehn Jahren zwischen Spanien und Frankreich gegeben. Dies war notwendig, um Schwierigkeiten, die bei der Öffnung des Marktes von einem Tag auf den anderen entstanden wären, zu verhindern.

Darüber hinaus glaube ich, daß es auch möglich ist, kreativ und schlau darüber nachzudenken, wie wir im Rahmen bestehender und adaptierter Programme der Europäischen Union Möglichkeiten finden können, die auch im Sinne der angrenzenden Regionen sind. Ich meine, daß die EU-Osterweiterung aus der politischen Perspektive positiv zu beurteilen ist. Man muß sie als große Friedensinitiative, als Beitrag der gesamtösterreichischen Integration und als Kampf gegen die Grenze des Wohlstandsgefälles, von der ich glaube, daß wir aufgrund unserer spezifischen Geographie am stärksten betroffen sind, sehen.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Herr Bundesminister.

Wir kommen zur 3. Anfrage, die von Herrn Bundesrat Mag. Scherb gestellt wird. Ich bitte ihn um die Verlesung der Anfrage.

Bundesrat Mag. Walter Scherb (Freiheitliche, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

882/M-BR/98

Aufgrund welcher Erkenntnisse kommen Sie zu der Ansicht, daß das österreichische Bankgeheimnis derzeit den Erfordernissen des Finanzplatzes Österreich entspricht, obwohl ein Großteil der heimischen Bankgeneraldirektoren eine "Verschärfung des lückenhaften Bankgeheimnisses" (Trend 12/97) fordert?

Insbesondere möchte ich hervorheben, daß das derzeitige Bankgeheimnis seine Wirkung bereits im Stadium einer Vorerhebung beziehungsweise teilweise bei Verdacht auf Abgabenverkürzung verliert.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Rudolf Edlinger: Ich habe diesen "Trend"-Artikel auch gelesen. Es ist schon interessant, festzustellen, daß diese Diskussion von bestimmter Seite so geführt wird, als ob die Anonymität der Sparbücher in Österreich bereits aufgehoben wäre. Es ist doch so, daß das österreichische Bankgeheimnis im internationalen Vergleich durchaus herzeigbar


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ist. Interessant ist vor allem der Umstand, daß die Forderung nach Verschärfung des Bankgeheimnisses gerade seit Beginn der Diskussion über die Aufhebung der Anonymität von der Bankwirtschaft als Ausgleich für einen möglichen Entfall der Sparbuchanonymität erhoben wurde, wie das auch in dem von Ihnen zitierten "Trend"-Artikel klar zum Ausdruck kommt.

Ich möchte sagen, daß eine konkrete Verschärfung des Bankgeheimnisses im Regelfall dahin gehend gefordert wird, daß eine Durchbrechung im Falle von eingeleiteten Finanzstrafverfahren wegen vorsätzlicher Finanzvergehen beseitigt wird. Eine Beseitigung oder Durchbrechung des Bankgeheimnisses in diesem Falle in Österreich würde auf internationaler Ebene große Diskussionen auslösen, etwa im Zusammenhang mit dem Code of Contact, der vor der Beschlußfassung im Rahmen der OECD steht, mit den USA, die dies als Erleichterung für Steuerhinterziehung auffassen würden, auch in der Europäischen Kommission im Zusammenhang mit der noch nicht entschiedenen Anonymitätsfrage und bei der FADF, die ohnedies mit Österreich, wie man vielen ihrer Berichte entnehmen kann, aufgrund der Tatsache, daß es das anonyme Sparbuch in Österreich gibt, nicht zufrieden ist.

Nicht zuletzt möchte ich aber noch anmerken, daß die Verschärfung des Bankgeheimnisses zum jetzigen Zeitpunkt die Möglichkeit zu Reaktionen dann bieten wird, wenn wir sie unter Umständen bräuchten, nämlich wenn die Frage der Sparbuchanonymität beim EuGH landet. Bisher ist uns davon noch nichts bekannt.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Herr Bundesminister.

Wünschen Sie eine Zusatzfrage? – Bitte.

Bundesrat Mag. Walter Scherb (Freiheitliche, Oberösterreich): Herr Bundesminister! Für wie wahrscheinlich halten Sie die Möglichkeit, daß die Frage der Sparbuchanonymität beim EuGH landen wird? Nachdem die Anonymität von Wertpapieren in Österreich bereits aufgehoben worden ist, sehe ich auch bei Sparbüchern die Gefahr, daß die Frage der Aufhebung der Anonymität auf uns zukommen wird.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Rudolf Edlinger: Wir haben die Anonymität von Wertpapierkonten nicht aufgehoben, sondern eine Eisberglösung gefunden, das heißt, jene, die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt veranlagt waren, genießen den Schutz der Anonymität, die neuen nicht.

Wir haben uns gegenüber der Europäischen Kommission positioniert. Es gibt eine Auffassungsdifferenz zwischen uns und dem zuständigen Kommissar. Es wäre anmaßend, für den Fall, daß tatsächlich dieser Streitfall vor den Europäischen Gerichtshof kommt, zu prognostizieren, wie ein Gerichtshof entscheiden könnte. Das werde ich daher nicht tun. Meiner Meinung nach ist das österreichische anonyme Sparbuch, also Omas Sparbuch, nicht dafür geeignet, Schwarzhandel mit Geld in größerem Umfang zu betreiben.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Herr Bundesminister.

Eine Zusatzfrage wird von Herrn Bundesrat Jaud gewünscht. – Bitte.

Bundesrat Gottfried Jaud (ÖVP, Tirol): Sehr geehrter Herr Minister! Welche Auswirkungen würde es Ihrer Meinung nach im Falle einer Aufhebung der Anonymität der Sparbücher vor allem im Hinblick auf ausländische Gelder, speziell aus den Nachbarstaaten, die auf unseren Banken liegen, geben?

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Rudolf Edlinger: Da ich davon ausgehe, daß Schwarzgelder größeren Ausmaßes nicht auf österreichischen Konten liegen, lautet meine Antwort: keine.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Herr Bundesminister.


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Eine weitere Zusatzfrage wünscht Frau Bundesrätin Crepaz. – Bitte.

Bundesrätin Irene Crepaz (SPÖ, Tirol): Herr Bundesminister! Ich möchte jetzt doch einmal nachfragen, ob es einen vernünftigen Grund dafür gibt, daß die österreichische Bankenwirtschaft jetzt eine Veränderung des Bankgeheimnisses wünscht, obwohl sie doch vor der Anonymitätsdiskussion das österreichische Bankgeheimnis als eines der besten der Welt gepriesen hat.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Rudolf Edlinger: Ich habe bereits versucht, darauf hinzuweisen, daß gerade die Bankenvertreter das österreichische Bankengeheimnis immer als ein besonderes qualifiziert haben. Möglicherweise – das kann ja durchaus sein – sind diese Meinungsäußerungen in Kombination mit der Anonymität zu sehen gewesen. Daher glaube ich, daß wir zumindest so lange, so lange wir keinen Handlungsbedarf im Hinblick auf die Anonymität haben, auch keinen Grund haben, das Bankgeheimnis zu verändern.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Herr Bundesminister.

Wir kommen zur 4. Anfrage, gestellt von Herrn Bundesrat Prähauser. Ich bitte ihn um die Verlesung seiner Anfrage.

Bundesrat Stefan Prähauser (SPÖ, Salzburg): Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

869/M-BR/98

Welche Fortschritte gibt es auf europäischer Ebene in der Frage der Steuerharmonisierung?

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Rudolf Edlinger: Die Frage der Steuerharmonisierung in der Europäischen Union ist ein sehr wichtiges Thema. Ich glaube, daß wir in der Europäischen Union vor allem auch im Hinblick auf die Positionierung des Europäischen Wirtschaftsraumes, wettbewerbsfähig auch im Hinblick auf andere Wirtschaftsräume zu sein, alles daransetzen müssen, um Irritationen, die die Kraft dieses Wirtschaftsraumes bremsen, zu verändern. Ich halte daher die Gründung der WWU mit 1.1.1999 und die Tatsache, daß wahrscheinlich elf Staaten der Europäischen Union der Euro-Gruppe angehören werden, für einen nicht unwesentlichen Aspekt, diese inneren Irritationen auszuschalten. Ich meine damit, daß Wechselkursschwankungen, wie sie uns in der Vergangenheit mitunter erhebliche Probleme gemacht haben, dann der Vergangenheit angehören werden.

Ich erinnere daran, daß etwa alleine die Währungsturbulenzen mit Italien im Jahre 1995 die österreichische Volkswirtschaft rund 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes – das klingt nur so wenig – gekostet haben, also einen Betrag in der Höhe von 25 Milliarden. Ich wäre sehr glücklich, wenn ich diesen Betrag hätte. Ich nehme an, auch alle Bundesräte wären glücklich, wenn der Finanzminister über diesen Betrag verfügen würde, weil wir dann über dessen Verteilung diskutieren könnten. Ich habe diesen Betrag nur leider nicht.

Der zweite sehr wesentliche Aspekt liegt im irritativen Steuersystem, also im Steuerwettbewerb nach unten, um bestimmte Vorteile zwischen den einzelnen europäischen Volkswirtschaften zu bekommen, was letztendlich dazu geführt hat, daß von der Tendenz her in den letzten zehn Jahren die Steuerbelastung des Produktionsfaktors Arbeit, bei dem wir, wie wir wissen, massive Wettbewerbsprobleme bekommen werden, zugenommen hat, und zwar um rund 7 Prozent, während der sehr mobile Produktionsfaktor Kapital um 10 Prozent abgenommen hat.

Wenn man die Herausforderungen und die Chancen annehmen möchte und wenn man sich auch der Philosophie zugehörig fühlt, daß erfolgreiches Wirtschaften nicht nur in der Maximierung von Gewinnen liegt, sondern daß man dabei auch nicht vergessen darf, daß Menschen Arbeit finden müssen, wenn wir auch eine sozial gerechte Verteilung und den Lebensstandard in Europa aufrechterhalten wollen, dann, muß ich sagen, ist das kontraproduktiv.


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Die Diskussion über die Steuerharmonisierung hat ja bereits begonnen. Man muß allerdings darauf aufmerksam machen, daß man das auch als prozeßhafte Angelegenheit verstehen muß.

Die europäischen Steuersysteme sind historisch unterschiedlich gewachsen. Es gibt unterschiedliche Besteuerungsgegenstände und unterschiedliche Steuerhöhen, aber im wesentlichen sind die Steuerquoten der Länder der Europäischen Union nicht gerade um Eckhäuser voneinander entfernt. Wenn dies das einzige Harmonisierungsproblem wäre, dann wäre die Aufgabe relativ einfach.

Was die Aufgabe so schwierig macht, ist, daß die Steuergegenstände und die Steuersätze in den europäischen Ländern extrem unterschiedlich sind. Daher ist es wichtig, anzuvisieren, worin die Steuerharmonisierung in einem ersten Schritt eigentlich bestehen soll. Aus diesem Grund ist meiner Ansicht nach mit der Entscheidung am Rat von Luxemburg, einen Verhaltenskodex zu beschließen, der helfen soll, den unfairen Steuerwettbewerb einzuschränken, ein sehr wichtiger Punkt der Übereinstimmung gefunden worden, der dazu beitragen soll, die sogenannten Steueroasen austrocknen zu lassen.

Was versteht man unter Steueroasen? – Darunter versteht man Feinheiten der jeweiligen nationalen Steuergesetzgebung, die darin bestehen, daß Gebietsfremden Vorteile gegenüber Gebietsansässigen gewährt werden. Das heißt vereinfacht ausgedrückt: Kommst du aus dem Land A in das Land B und investierst du dort, dann bezahlst du fünf Jahre lang keine Steuer. Das ist unlauterer Steuerwettbewerb, der nicht nur vor Ort ansässige Betriebe extrem bedroht, sondern einen zugezogenen Betrieb auch in eine Vorteilsposition bringt, die der Gemeinschaft insgesamt eigentlich zum Schaden gereicht.

Es ist ein wesentlicher Aspekt, daß man sich in diesem Verhaltenskodex darauf verständigt hat, den Kampf gegen Steueroasen aufzunehmen, wenn auch mit entsprechenden Übergangszeiten zur Berücksichtigung bestimmter Zusagen. Solche Zusagen laufen gegenüber einigen Kohäsionsländern bis 2002. Dabei ist etwa an die Docks in Irland zu denken, die dadurch überhaupt erst entwickelt worden sind.

Die zweite Frage betrifft die Kapitalbesteuerung, die Zinsen und Lizenzgebühren, wofür ein Richtlinienentwurf vorliegt, den Österreich grundsätzlich unterstützt, allerdings unter der Voraussetzung, daß noch bestimmte Facetten hineingenommen werden. So geht es darum, zu verhindern, daß man etwa aus einem Land mit höherem Kapitalertragsteuersatz scheinbar Lizenzgebühren an eine Muttergesellschaft entrichtet, die in einem Land mit Niedrigsteuersatz ihren Sitz hat, und dadurch Gewinne verschiebt, ohne daß Steuer bezahlt wird.

Ich denke, daß der Bereich der Kapitalertragsteuer und die Frage der Zinsen und Lizenzen den nächsten Schritt darstellen, über den man sich verständigen wird. Im Rahmen der österreichischen Präsidentschaft werden wir der Frage der Steuerharmonisierung sehr großen Stellenwert zumessen. Wir haben auch die Absicht, zu Beginn unserer Präsidentschaft – in der zweiten Juliwoche – in Wien eine große europäische Steuerkonferenz zu veranstalten, in der es um gesamteuropäische Überlegungen zur Senkung der Steuerbelastung für den Produktionsfaktor Arbeit und zu den Kapitalbesteuerungsfragen, die ich angesprochen habe, gehen wird, aber auch darum, eine gesamteuropäische Perspektive im Hinblick auf die Ökologisierung des Steuersystems zu überdenken. Denn das ist in isolierter Nationalstaatlichkeit ganz einfach nicht zu schaffen. Daß es dabei Konflikte zwischen Norden und Süden, zwischen dem westlichen Rand und der Mitte der Europäischen Union gibt, brauche ich nicht besonders zu betonen.

Weil ich eingangs "prozeßartig" gesagt habe, möchte ich hinzufügen, daß wir gegenüber den Deutschen und den Finnen, die nach uns die Präsidentschaft in der Europäischen Union innehaben werden, diesen Fragenkomplex bereits angesprochen haben. Denn es wäre nicht sinnvoll, daß wir ein Thema wiederbeleben – wenn ich das so formulieren darf – und die Präsidentschaft nach uns ihre Schwerpunkte völlig anders setzt. Jeder weiß, daß sich das Ziel, eine europäische Steuerharmonisierung innerhalb der Zeitspanne einer europäischen Präsidentschaft zu erreichen, nicht verwirklichen ließe. Daher ist Kontinuität erforderlich, zunächst mit jenen beiden Ländern, die nach uns die Präsidentschaft innehaben werden. Nicht zuletzt werden


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meine Gespräche heute und morgen mit meinem finnischen Amtskollegen schwerpunktmäßig diesem Thema gelten.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Herr Bundesminister.

Herr Bundesrat Eisl wünscht eine Zusatzfrage. – Bitte.

Bundesrat Andreas Eisl (Freiheitliche, Salzburg): Herr Bundesminister! Bis wann gedenken Sie die Konsumsteuern Mehrwertsteuer und Normverbrauchsabgabe gerade an den westlich gelegenen Grenzen zu harmonisieren?

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Rudolf Edlinger: Meinen Sie: harmonisieren gegenüber den Staaten auf der anderen Seite der Grenze? (Bundesrat Eisl: Ja!) Diese Diskussionen sind mir selbstverständlich bekannt, denn das wird immer wieder von der Facette einer individuellen Betroffenheit her diskutiert.

Zunächst möchte ich dazu feststellen, daß eines nicht gehen wird, nämlich daß man sich in Europa umschaut. Wenn ich das ein bißchen expressionistisch darstellen darf, möchte ich die Steuern der einzelnen nationalen Staaten mit einer Wiese vergleichen, auf der es schöne und häßliche Blumen gibt. (Bundesrat Dr. Tremmel: Und saure Wiesen!) Da gibt es Blumen, die gut riechen, und es gibt Blumen, an denen man sich sticht. Jetzt könnte gesagt werden: Ich fahre von Land zu Land und pflücke mir einen Strauß der wohlriechendsten, angenehmsten Blumen, überreiche ihn dem Finanzminister und fordere ihn auf, dieses Steuersystem in Österreich einzuführen.

Wenn wir das machen, dann wir sind bankrott. Das ist überhaupt keine Frage. Ich sage das beispielsweise auch in Westösterreich den Damen und Herren, die mich insbesondere aus dem Unternehmerbereich immer wieder auf die Getränkesteuer ansprechen – ganz abgesehen davon, daß ich folgendes zu bedenken gebe: Wenn die Getränkesteuer wegfällt, werden sich die Bürgermeister darüber nicht besonders freuen, und außerdem wird der kleine Braune um keinen Groschen billiger. Diese Erfahrungen gibt es bereits, aber es kann das auch eine Strategie zu einer Erhöhung der Einnahmen sein.

Im Vergleich mit den deutschen Unternehmungen möchte ich jetzt folgende Vorstellung ein bißchen scherzhaft skizzieren. Wenn Sie zitieren, was ich jetzt sage, dann wird genau das nicht meiner Meinung entsprechen, aber ich sage es trotzdem: Wenn Sie mich auffordern, die Getränkesteuer zu streichen und eine Harmonisierung etwa im Mehrwertsteuerbereich mit Deutschland vorzunehmen, und mich gleichzeitig auffordern, dafür die Körperschaftsteuer auf deutsches Niveau zu erhöhen, dann bin ich bereit, mit Ihnen darüber zu diskutieren.

Aber nur zu sagen: Wir haben eine Kapitalertragsteuer in Höhe von 34 Prozent, die Deutschen eine bis zu 45 Prozent, dafür haben wir eine Getränkesteuer und einen höheren Mehrwertsteuersatz, also streichen wir daher die Getränkesteuer und senken den Mehrwertsteuersatz auf deutsches Niveau, aber gegenüber der dort bestehenden Körperschaftsteuer, die um 7 bis 11 Prozent höher ist, nehmen wir keine Veränderung vor – dann würde das eigentlich ein unbilliges Verlangen sein.

Aber jetzt ganz ernsthaft: Im Rahmen der Steuerreform werden alle diese Aspekte diskutiert. Wir werden unsere Steuerreform selbstverständlich im Zusammenhang mit den entsprechenden Diskussionen in der Europäischen Union erörtern und meiner Ansicht nach zu einer Lösung kommen, die dazu führen wird, daß die Steuerpolitik in diesem Lande nicht nur dem Aspekt dient, daß der Finanzminister Geld bekommt, sondern auch als das wirtschaftspolitische Lenkungsinstrument eingesetzt wird, das die Steuerpolitik ist. Man muß sie dort einsetzen – an einer Stelle nachlassen und anderswo verstärken –, wo es die jeweilige Wettbewerbssituation der Wirtschaft auch zuläßt. In diesem Sinne werden wir an die Diskussion der Steuerreform herangehen.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Herr Bundesminister.


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Eine weitere Zusatzfrage wünscht Herr Bundesrat Vindl. – Bitte.

Bundesrat Wolfram Vindl (ÖVP, Tirol): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Wie wollen Sie im Zuge der Steuerharmonisierung die von Ihnen angekündigte Besserstellung von Kapital, das in Beschäftigung investiert wird, verwirklichen?

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Rudolf Edlinger: Dazu gibt es eine Reihe von Überlegungen. Wie ich schon mehrmals auch in parlamentarischen Gremien ausgeführt habe – zuletzt im Finanzausschuß –, habe ich vor ungefähr einem Jahr eine Steuerreformkommission berufen, die von hervorragenden Persönlichkeiten aus der Wirtschaft, der Wissenschaft, der entsprechenden fachlichen Ebene der Beamtenschaft sowie aus Ländern und Gemeinden gebildet wird.

Sie hat das gesamte steuerpolitische Gefüge Österreichs zu untersuchen, und zwar – sonst habe ich dieser Kommission nichts vorgegeben – nach den drei Kriterien der Entlastung des Faktors Arbeit, der Überprüfung des Faktors Kapital und der Ökologisierung des Systems. Dazu kommt als vierter Aspekt, daß die Konvergenzkompatibilität sichergestellt sein muß. Denn ich denke, daß wir alle uns eines sicherlich nicht wünschen können, nachdem wir im Jahr 1995 in einer sehr schlimmen Budgetsituation waren, 1996 und 1997 den Österreichern ein durchaus diskutierbares Konsolidierungspaket mehr oder weniger verordnet haben und nunmehr in der Budgetpolitik 1998 und 1999 die Strategie verfolgen, die Konsolidierung zu stabilisieren: daß wir dann im Jahr 2000 eine Steuerreform machen, die uns dazu zwingen würde, im Jahr 2001 wieder dort anzufangen, wo wir 1995 waren. Das ist nicht die Strategie meiner Budget- und Finanzpolitik.

Daher erwarte ich mir von den Persönlichkeiten der Steuerreformkommission Modelle darüber, an welchen Rädern der einzelnen Steuergegenstände und Steuersätze man drehen muß, um diesen Grundauftrag zu erfüllen und gleichzeitig Konvergenzkompatibilität herzustellen.

Eine Bemerkung am Rande: Auch ich lese ununterbrochen in den Zeitungen, was denn nicht alles bei der Steuerreform geschehen wird. Dieser oder jener lehnt sich dabei aus dem Fenster, und ich kann das eigentlich sehr einfach parieren: Wenn wir davon ausgehen, daß es in 8 Millionen Menschen gibt, dann gestehe ich 7 999 999 von ihnen zu, über die Ergebnisse der möglichen Steuerreform zu spekulieren, aber einem nicht: dem Finanzminister. Denn dieser hat nicht zu spekulieren, sondern dessen Aussagen zu solchen Fragen werden ganz anders bewertet. Daher bitte ich Sie, sehr geehrter Herr Bundesrat, mir jenen Mantel des Schweigens, aus dem heraus ich jetzt Ihre Frage auf sehr unkonkrete Art beantwortet habe, zu genehmigen.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Herr Bundesminister.

Wir gelangen jetzt zur 5. Anfrage. Ich bitte den Anfragesteller, Herrn Bundesrat Gottfried Jaud, um deren Verlesung.

Bundesrat Gottfried Jaud (ÖVP, Tirol): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

874/M-BR/98

Welche Auswirkungen wird der in der Regierungsvorlage für eine Novelle des Nationalbankgesetzes vorgesehene Entfall der Verpflichtung zur Errichtung von Zweiganstalten in allen Hauptstädten der Bundesländer haben?

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Rudolf Edlinger: Zunächst möchte ich feststellen, daß die Novelle zum Nationalbankgesetz künftig aus der Pflichtbestimmung eine Kann-Bestimmung macht. Das heißt, das Direktorium und der Aufsichtsrat, also die Organe der Notenbank, haben darüber zu befinden, ob aus wirtschaftlichen Gründen und auch aus Gründen der Geldversorgung – diese ist ja eine der Aufgaben der Nationalbank – die Aufrechterhaltung der Filialen in


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den Bundesländern notwendig ist oder nicht. Dafür ist in erster Linie eine wirtschaftliche und, was den zweiten Aspekt betrifft, selbstverständlich auch eine technische Beurteilung erforderlich.

Wenn man dafür eintritt, daß die Nationalbank auch ökonomische Kriterien an ihre Arbeit anlegt, dann muß man auch eine Entscheidung darüber, ob und wo es Filialen gibt, der wirtschaftlichen Gestion des Direktoriums überlassen.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Herr Bundesminister.

Herr Bundesrat Jaud, wünschen Sie eine Zusatzfrage? – Bitte.

Bundesrat Gottfried Jaud (ÖVP, Tirol): Herr Bundesminister! Wie ist der Stand der bereits seit geraumer Zeit laufenden Prüfung der rechtlichen Konvergenz durch das EWI und die Kommission, die ja auch Bedingung für die Teilnahme an der WWU ist?

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Rudolf Edlinger: Wir haben, was die Konvergenzkriterien betrifft, als erstes europäisches Land unsere Daten nach Brüssel übermittelt. In dieser Hinsicht entspricht Österreich den Voraussetzungen jener Länder, die als erste Gruppe die WWU bilden werden.

Im Hinblick auf das Notenbankgesetz ist jene Vorlage, die vorgestern vom Finanzausschuß beschlossen worden ist, unserer Auffassung nach vertragskonform. Es gibt darüber noch Gespräche mit dem EWI. Allerdings liegt mir die abschließende Beurteilung des österreichischen Notenbankgesetzes durch EWI und Kommission noch nicht vor.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Herr Bundesminister.

Eine weitere Zusatzfrage wird von Herrn Bundesrat Grillenberger gewünscht. – Bitte.

Bundesrat Johann Grillenberger (SPÖ, Burgenland): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Ich möchte noch einmal konkret auf die Zweiganstalten zurückkommen. In Eisenstadt besteht eine Zweiganstalt. Kann man heute schon sagen, ob diese erhalten bleiben wird oder nicht?

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Rudolf Edlinger: Sehr geehrter Herr Bundesrat! Ich habe nicht die Absicht, mich als Direktor der Nationalbank zu bewerben, und weiß daher auch nicht, wer künftig dem Direktorium der Notenbank angehören wird. Ich nehme an, daß diese Damen und Herren jene Entscheidungen treffen werden, die dann auch von der Notenbank zu vollziehen sind.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Herr Bundesminister.

Eine weitere Zusatzfrage wünscht Herr Bundesrat Weilharter. – Bitte.

Bundesrat Engelbert Weilharter (Freiheitliche, Steiermark): Herr Bundesminister! Der Rechnungshof hat schon vor 17 Jahren in einem Bericht die Zweiganstalten der Nationalbank in den Bundesländern in Frage gestellt. Warum haben Sie diese Rechnungshof-Kritik bis heute ignoriert?

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Rudolf Edlinger: Zunächst möchte ich feststellen, daß ich diese Kritik von vor 17 Jahren – nach Ihrer Angabe, und ich ziehe diese nicht in Zweifel – nicht gekannt habe.


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Zweitens bin ich nicht darauf eingegangen, weil ich, wie Sie aus eigener Wahrnehmung wissen, noch nicht 17 Jahre lang Finanzminister bin.

Drittens habe ich nicht wegen der Rechnungshof-Kritik die erste Gelegenheit benutzt, um in diesem Bereich eine gesetzliche Änderung vorzunehmen, sondern aus Gründen der Wirtschaftlichkeit. Denn meiner Ansicht nach muß man es der wirtschaftlichen Kompetenz der Leitungsorgane der österreichischen Notenbank überlassen, zu entscheiden, ob sie aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen solche Niederlassungen braucht oder nicht.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Herr Bundesminister.

Wir kommen zur 6. Anfrage, gestellt von Herrn Bundesrat Harald Repar. Ich bitte ihn um deren Verlesung.

Bundesrat Mag. Harald Repar (SPÖ, Kärnten): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

870/M-BR/98

Welche kurz- und mittelfristigen Budgetziele haben Sie?

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Rudolf Edlinger: Sehr geehrter Herr Bundesrat! Ich habe die Absicht, der Bundesregierung am Dienstag den Voranschlag für 1999 vorzulegen. Es ist uns gelungen, den Voranschlag für 1999 so zu erstellen, daß wir die mit dem Konsolidierungskurs 1996 eingeleitete Konsolidierung des österreichischen Budgets fixiert und auch nachhaltig erreicht haben.

Ich möchte in Erinnerung rufen, daß es uns gelungen ist, in den Budgetjahren 1996 und 1997 das Budgetdefizit des Bundes zu halbieren. Mit dem Budget 1998 werden wir das Bundesdefizit auf 2,6 Prozent zurückschrauben, und der Voranschlag 1999 sieht ein solches knapp unter 2,6 Prozent vor. Das Bundesdefizit entspricht selbstverständlich nicht dem Maastricht-Defizit, denn dafür sind die Gebietskörperschaften mit einzubeziehen, und es sind auch andere Faktoren des Bundesbudgets zur Feststellung des Maastricht-Defizites zu berücksichtigen.

Ich glaube, daß es doch bemerkenswert ist, daß die Einhaltung jener Ankündigungen, die ich vor zehn Monaten gemacht habe, als ich mich erstmals nach meiner Bestellung vor 13 Monaten zur mittelfristigen Budgetpolitik auch öffentlich zu Wort gemeldet habe, nämlich daß wir in den Jahren 1998 und 1999 die Stabilisierung der Konsolidierung ohne Steuererhöhungen erreichen werden, auch mit dem Budget 1999 bewiesen wird. Ich glaube auch, daß nachweisbar ist – das heißt, ich weiß es, ich hoffe, daß Sie es glauben –, daß die Intensität der sogenannten Einmalmaßnahmen, die man natürlich auch in der Abfolge zwischen 1996 und 1999 als Konnex sehen muß, degressiv angelegt ist, das heißt, sie nehmen ab. Ich habe mit durchaus großer Zufriedenheit die Äußerung des von allen geschätzten Direktors des Wirtschaftsforschungsinstitutes zur Kenntnis genommen, daß das Budget 1998 ohne Tricks Maastricht-konform über die Bühne gegangen ist. Und ich glaube auch, daß wir budgetpolitisch richtig auf Kurs sind.

Trotzdem wird es auch im Budget 1999 verstärkte Impulse geben. Nicht nur die bereits angesprochene Frage der Familienbesteuerung ist zum Teil zu finanzieren, sondern es sind auch die Maßnahmen des nationalen Beschäftigungsprogrammes zu finanzieren. Trotzdem erreichen wir den Budgetkurs, wie gesagt, ohne daß einnahmenseitige Adaptierungen in Form von Steuererhöhungen notwendig sind. Ich bin daher davon überzeugt, daß wir auch im Jahre 2000 jenen Spielraum haben werden, der es uns gestattet, eine maßvolle und strukturell notwendige Steuerreform auch finanzieren zu können.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Herr Bundesminister.


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Eine weitere Zusatzfrage wünscht Herr Bundesrat Dr. Tremmel. – Bitte.

Bundesrat Dr. Paul Tremmel (Freiheitliche, Steiermark): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Heute titelt das "WirtschaftsBlatt": "Die Währungsreserven der Oesterreichischen Nationalbank, derzeit 269 Milliarden Schilling, werden ab dem Jahr 2002 teilweise frei ..." Ich frage Sie: Beeinflußt das Ihre mittelfristige Budgetplanung? Verwenden Sie das für strukturelle Maßnahmen, wenn ja, für welche? Oder wird das, so wie vorgesehen, bei den Währungsreserven als Deckungsbereich für die neue Währung Euro verwendet?

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Rudolf Edlinger: Ich habe die Überschrift dieser Zeitung auch gelesen. Ich habe allerdings die Argumentationslinie des Herrn Präsidenten der Nationalbank noch nicht lesen können, weil ich bereits sehr zeitig in der Früh erstens eine Pressekonferenz hatte und zweitens mich nicht der Gefahr aussetzen wollte, wegen Zeitungsstudiums zum Hohen Bundesrat zu spät zu kommen. Ich bin daher nicht in Kenntnis dieses Artikels.

Ich möchte aber feststellen, daß ich sehr froh bin, wenn Sie zur Kenntnis nehmen, daß es klug ist, in der Phase der Währungsumstellung die Frage der Reserven der Nationalbank nicht zu aktualisieren, weil es zu völlig falschen Reaktionen, auch öffentlichen und zum Teil auch außerhalb Österreichs, führen könnte, würde man jene Reserven zum Spielball politischer Argumentation machen. Ich habe registriert, daß ein Teil der Notenbankreserven dort nicht mehr benötigt wird, mache aber darauf aufmerksam, daß es nicht so einfach ist, Reserven der Notenbank in das Budget aufzunehmen, denn das käme politisch faktisch dem Ingangsetzen der Notenbank gleich. Ich bin aber überzeugt, daß der Finanzminister des Jahres 2001, wer immer das sein wird, schlau genug ist, um gemeinsam mit der dann amtierenden Bundesregierung Maßnahmen zu setzen, damit allfällige, tatsächlich verfügbare Beträge zum Wohle der österreichischen Bevölkerung eingesetzt werden können.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Herr Bundesminister.

Eine weitere Zusatzfrage wünscht Herr Bundesrat Rodek. – Bitte.

Bundesrat Peter Rodek (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehen Sie in absehbarer Zeit eine Möglichkeit, den Anregungen der §-7-Kommission zu folgen und für den Bereich Land- und Forstwirtschaft den Mehrwertsteuersatz von 10 auf 12 Prozent anzuheben?

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Rudolf Edlinger: Ich kenne natürlich dieses Anliegen, darf Ihnen aber sagen, daß Dutzende gleichartige an mich herangetragen wurden. Es ist natürlich aus der Sicht der einzelnen Sparten völlig legitim, solche Anliegen vorzubringen, ich möchte dazu vor diesem Haus nur feststellen: Die Budgets 1998 und 1999 sehen solche Maßnahmen nicht vor. Was sich im Rahmen der Steuerreform 2000 realisieren läßt, wird gemacht werden. Daß die Frage der Pauschalierung im landwirtschaftlichen Bereich ein Diskussionsthema ist wie viele andere auch, über welche die Bundesregierung entsprechende Entscheidungen treffen muß, steht sicherlich außer Frage.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke vielmals, Herr Bundesminister.

Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Ich möchte Ihnen mitteilen, daß in Aussicht genommen ist, bei der nächsten Plenarsitzung neuerlich eine Fragestunde an den Herrn Bundesminister für Finanzen abzuhalten, sodaß die Möglichkeit besteht, daß die heute nicht mehr zur Beantwortung gelangten Anfragethemen behandelt werden können.

Ich möchte Ihnen weiters mitteilen, daß sich zwei weitere Mitglieder des Bundesrates für heute entschuldigt haben, nämlich die Bundesräte DDr. Königshofer und Dr. Harring.


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Einlauf und Zuweisungen

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Eingelangt sind drei Anfragebeantwortungen, die den Anfragestellern übermittelt wurden. Die Anfragebeantwortungen wurden vervielfältigt und auch an alle übrigen Mitglieder des Bundesrates verteilt.

Eingelangt ist ein Schreiben des Bundeskanzleramts betreffend eine Ministervertretung. Ich darf die Schriftführung ersuchen, die Verlesung dieses Schreibens vorzunehmen.

Schriftführerin des Bundesrates Helga Markowitsch: "Auf Vorschlag des Bundeskanzlers betraue ich für die Dauer der Verhinderung des Bundesministers für Landesverteidigung Dr. Werner Fasslabend am 11. und 12. März den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten Dr. Johann Farnleitner und innerhalb des Zeitraumes vom 31. März bis 2. April 1998 die Bundesministerin für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten Elisabeth Gehrer mit der Vertretung.

Hievon beehre ich mich mit dem Ersuchen um gefällige Kenntnisnahme Mitteilung zu machen.

Für den Bundeskanzler:

MR Dr. Wiesmüller"

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke für die Verlesung dieses Schreibens.

Ich gebe weiters bekannt, daß ein Schreiben des Bundeskanzlers und des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten betreffend Nominierung der österreichischen Mitglieder des Ausschusses der Regionen gemäß Artikel 23c Abs. 4 B-VG eingelangt ist. Ich ersuche wieder die Schriftführung um Verlesung dieses Schreibens.

Schriftführerin des Bundesrates Helga Markowitsch:

"An den Präsidenten des Bundesrates Ludwig Bieringer

Sehr geehrter Herr Präsident!

Die Funktionsperiode der Mitglieder und Stellvertretenden Mitglieder des Ausschusses der Regionen endet am 25. Jänner 1998. Gemäß Artikel 198a EG-Vertrag werden die Mitglieder des Ausschusses sowie eine gleiche Anzahl von Stellvertretern vom Rat auf Vorschlag der jeweiligen Mitgliedstaaten durch einstimmigen Beschluß auf vier Jahre ernannt, wobei eine Wiederernennung zulässig ist.

Gemäß Artikel 23c Abs. 4 B-VG erfolgt die österreichische Mitwirkung an der Ernennung von Mitgliedern des Ausschusses der Regionen und deren Stellvertretern auf Grund von Vorschlägen der Länder sowie des Österreichischen Städtebundes und des Österreichischen Gemeindebundes.

Diese Vorschläge, die dem Bundeskanzleramt und dem Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten am 21. November 1997 und am 23. November 1997 zur Kenntnis gebracht wurden, bildeten die Grundlage für den Beschluß der Bundesregierung vom 10. Dezember 1997, die aus der Beilage ersichtlichen Personen als Mitglieder des Ausschusses der Regionen und als Stellvertreter für die nächste Funktionsperiode vorzuschlagen.

Die Bundesregierung hat uns ermächtigt, den Bundesrat gemäß Artikel 23c Absatz 5 B-VG von diesen Nominierungen zu unterrichten. Wir ersuchen Sie, davon im Namen des Bundesrates Kenntnis zu nehmen.

Der Bundeskanzler

Der Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten"


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Das Schreiben darf ich nun verlesen, Frau Präsidentin:

"Europäische Union

Der Rat

Schreiben vom Ständigen Vertreter Österreichs bei der Europäischen Union, Botschafter Dr. Manfred Scheich, vom 22. Dezember 1997 an den Generalsekretär des Rates der Europäischen Gemeinschaft, Herrn Dr. Jürgen Trumpf

Betrifft: Mitglieder des Ausschusses der Regionen

Die österreichische Bundesregierung hat beschlossen, die aus der Beilage ersichtlichen Personen als Mitglieder des Ausschusses der Regionen und als Stellvertreter vorzuschlagen.

Eine Kopie dieses Schreibens habe ich dem Generalsekretär der Europäischen Kommission übermittelt.

gez. Manfred Scheich

Kandidatenliste der österreichischen Bundesregierung

Vorschläge an den Rat der Europäischen Union

Ausschuß der Regionen

Mitglieder:

Landeshauptmann Karl STIX

Landeshauptmann des Burgenlandes

Landeshauptmann Dr. Christof ZERNATTO

Landeshauptmann von Kärnten

Landeshauptmann Dr. Erwin PRÖLL

Landeshauptmann von Niederösterreich

Landeshauptmann Dr. Josef PÜHRINGER

Landeshauptmann von Oberösterreich

Landeshauptmann Dr. Franz SCHAUSBERGER

Landeshauptmann von Salzburg

Landeshauptmann Waltraud KLASNIC

Landeshauptmann der Steiermark

Landeshauptmann Dr. Wendelin WEINGARTNER

Landeshauptmann von Tirol

Landeshauptmann Dr. Herbert SAUSGRUBER

Landeshauptmann von Vorarlberg

Landeshauptmann Dr. Michael HÄUPL

Landeshauptmann von Wien


Bundesrat
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Bürgermeister Dr. Josef DECHANT

Salzburg

Mag. Franz ROMEDER

Präsident des Niederösterreichischen Landtages

Präsident des Österreichischen Gemeindebundes

Bürgermeister Alfred STINGL, Graz"

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Eingelangt ist weiters ein Schreiben des Bundeskanzlers und des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten betreffend Verlängerung des österreichischen Mandats beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften. Ich ersuche die Schriftführung um Verlesung dieses Schreibens.

Schriftführerin des Bundesrates Helga Markowitsch:

"An den Präsidenten des Bunderates

Ludwig Bieringer

Sehr geehrter Herr Präsident!

Gemäß Art. 23c Abs. 2 B-VG können wir Ihnen mitteilen, daß der Ministerrat gemäß den diesbezüglich stattgefundenen Konsultationen mit den im Hauptausschuß des Nationalrates vertretenen Parteien in seiner heutigen Sitzung beschlossen hat, die Herstellung des Einvernehmens mit dem Hauptausschuß des Nationalrates vorausgesetzt, den derzeitigen österreichischen Richter am Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, Herrn Dr. Josef AZIZI, dessen Mandat am 31. August 1998 endet, auch für die folgende Funktionsperiode von sechs Jahren zu nominieren.

Mit freundlichen Grüßen

Der Bundeskanzler

Der Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten"

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Ich danke vielmals für die Verlesung dieses Schreibens.

Die eingelangten Berichte über die Tätigkeit des Verfassungsgerichtshofes im Jahre 1996 beziehungsweise über die Tätigkeit des Verwaltungsgerichtshofes für das Jahr 1996 hat der Herr Präsident dem Ausschuß für Verfassung und Föderalismus zur weiteren geschäftsordnungsmäßigen Behandlung zugewiesen.

Ankündigung von dringlichen Anfragen

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Vor Eingang in die Tagesordnung gebe ich bekannt, daß mir ein Verlangen im Sinne des § 61 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf dringliche Behandlung der schriftlichen Anfrage der Bundesräte Waldhäusl und Kollegen betreffend die negativen Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf Österreich an den Herrn Bundeskanzler vorliegt.

Weiters liegt ein Verlangen im Sinne des § 61 Abs. 3 der Geschäftsordnung auf dringliche Behandlung der schriftlichen Anfrage der Bundesräte Waldhäusl und Kollegen, ebenfalls betreffend die negativen Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf Österreich, an den Herrn Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten vor.

Gemäß § 61 Abs. 6 der Geschäftsordnung ziehe ich die dringliche Behandlung der beiden Anfragen zusammen. Die Zustimmung der unterzeichneten Bundesräte dazu liegt vor.


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Im Sinne des § 61 Abs. 4 der Geschäftsordnung verlege ich die Behandlung der beiden Anfragen an den Schluß der Sitzung, aber nicht über 16 Uhr hinaus.

Behandlung der Tagesordnung

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Aufgrund eines mir zugekommenen Vorschlages beabsichtige ich, die Debatte über die Punkte 3 und 4, 5 und 6 sowie 7 und 8 der Tagesordnung unter einem abzuführen.

Wird dagegen ein Einwand erhoben? – Das ist nicht der Fall.

Wir werden daher in diesem Sinne vorgehen.

Eingelangt sind weiters jene Beschlüsse des Nationalrates, die Gegenstand der heutigen Tagesordnung sind. Der Herr Präsident des Bundesrates hat diese Beschlüsse sowie den Entschließungsantrag der Bundesräte Leopold Steinbichler, Hedda Kainz und Kollegen betreffend Fortführung der österreichischen Atomenergiepolitik und den Entschließungsantrag der Bundesräte Ing. Johann Penz, Herbert Platzer und Kollegen betreffend Sicherung der Einsatzbereitschaft der Freiwilligen Feuerwehren sowie den Gesundheitsbericht 1997 der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales über den Berichtszeitraum 1993 bis 1995 und den Hebammenbericht der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales den in Betracht kommenden Ausschüssen zur Vorberatung zugewiesen.

Die Ausschüsse haben ihre Vorberatungen darüber abgeschlossen und schriftliche Ausschußberichte erstattet. Der Herr Präsident hat all diese Vorlagen auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gestellt.

Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht? – Dies ist nicht der Fall.

1. Punkt

Entschließungsantrag der Bundesräte Leopold Steinbichler, Hedda Kainz und Kollegen betreffend Fortführung der österreichischen Atomenergiepolitik (105/A(E)-BR/98 und 5648/BR der Beilagen)

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wir gehen nun in die Tagesordnung ein und gelangen zum 1. Punkt: Entschließungsantrag der Bundesräte Leopold Steinbichler, Hedda Kainz und Kollegen betreffend Fortführung der österreichischen Atomenergiepolitik.

Die Berichterstattung hat Herr Bundesrat Wolfinger übernommen. Ich bitte ihn um den Bericht.

Berichterstatter Franz Wolfinger: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Bundesminister! Geschätzte Kollegen! Der Bundesrat unterstützt die vielfältigen Bemühungen der Bundesregierung, sich für ein kernenergiefreies Mitteleuropa einzusetzen und diese Zielsetzungen in die Entscheidungsprozesse der Europäischen Union einfließen zu lassen. So soll die Zusammenarbeit mit allen kernenergiefreien oder zum schrittweisen Ausstieg bereiten Ländern in der EU und auf internationaler Ebene verstärkt sowie bei grenznahen Kernkraftwerken die Stillegungsoption verfolgt werden. Das Einwirken auf die Finanzierungsinstitutionen der EU dahin gehend, daß für den Ausbau der Kernenergie in Mittel- und Osteuropa keine Kredite gewährt werden, erscheint ebenfalls wichtig.

Der Ausschuß für Verfassung und Föderalismus stellt nach Beratung der Vorlage am 10. März 1998 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, der Bundesrat wolle die dem schriftlichen Ausschußbericht beigedruckte Entschließung annehmen.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Ich danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrätin Hedda Kainz.


Bundesrat
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11.39

Bundesrätin Hedda Kainz (SPÖ, Oberösterreich): Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Meine Damen und Herren! Wie schon angesprochen, liegt uns ein Entschließungsantrag vor, der verständlicherweise von den oberösterreichischen Bundesräten ausgegangen ist. Ich möchte Sie gleich bitten, diesen auch anzunehmen und dieses Anliegen zu unterstützen. Wenn ich sage, er ist verständlicherweise von Oberösterreich ausgegangen, dann deshalb, weil sich Oberösterreich mit einem grenznahen Kernkraftwerk, nämlich Temelin, in einer Situation befindet, die Gefahren mit sich bringt und Besorgnis erregt. Dies hat im Oberösterreichischen Landtag auch dazu geführt, daß es eine große Anzahl von Initiativen, Resolutionen und auch ganz konkreten Aktionen im Zusammenhang mit Temelin gegeben hat, um den Betrieb dieses Kernkraftwerkes einzuschränken beziehungsweise zu verhindern.

Wir als Oberösterreicher befinden uns auch durchaus in Gesellschaft anderer Bundesländer, die die Gefahren der grenznahen Kernkraftwerke praktisch vor ihrer Haustüre in der Form zu spüren bekommen, daß die Bevölkerung dort verunsichert ist und sich gefährdet fühlt.

Wenn wir heute in diesem Entschließungsantrag die Fortführung der österreichischen Atomenergiepolitik fordern, dann ist es, wie ich meine, nicht völlig falsch, zu sagen, daß das Design der österreichischen Atomenergiepolitik eigentlich mit dem Akt, Zwentendorf nicht in Betrieb gehen zu lassen, entstanden ist.

Anders gelagert – vielleicht aufgrund der dort vorhandenen Wirtschaftspolitik und Energiepolitik – ist die Situation in den uns umgebenden Nachbarstaaten, die versuchen, ihre energiepolitischen Probleme mittels Kernkraftwerken in den Griff zu bekommen. Das Problem entsteht dort nicht nur aus der Tatsache, daß russische Technologie zur Anwendung kommt, daß es zu einem Mix mit westlicher Technologie kommt und daß ein Mix aus beiden Systemen an und für sich problematisch ist, sondern auch aufgrund der Tatsache – das wissen wir in der Zwischenzeit –, daß auch die westliche Technologie nicht den von uns geforderten Sicherheitsstandards entspricht.

Ich habe vor vielen Jahren Gelegenheit gehabt, in Frankreich vor der Inbetriebnahme des "Superphenix" in Creys-Malville diese Anlage zu besichtigen, und habe dort die Begeisterung sowohl der Techniker als auch der Bevölkerung erlebt, die in dieser Technologie das Nonplusultra gesehen haben. – Heute müssen wir feststellen, daß nicht nur der "Superphenix" in Frankreich nicht mehr in Betrieb ist, sondern daß auch das damals als Referenzanlage angeführte Werk in den Vereinigten Staaten stillgelegt wurde, weil die Mängel zugegeben werden mußten und weil die Fortschrittsgläubigkeit, der wir vielleicht alle zu einem bestimmten Zeitpunkt einmal erlegen sind, nicht mehr aufrechtzuerhalten ist.

Wenn in diesem Entschließungsantrag die Rolle Österreichs im Zusammenhang mit den Verhandlungen in Osteuropa angesprochen wird, dann erinnere ich mich an die Aussage eines leitenden Beamten der Europäischen Kommission zu einem Zeitpunkt, als die Diskussion um einen Beitritt Österreichs zur EU noch kaum begonnen hatte. Dieser Beamte hat damals ein in meinen Augen sehr pathetisches Kompliment ausgesprochen, indem er gemeint hat, daß die österreichische Rolle in die Richtung gehen oder so verstanden werden könnte, Österreich als Hüter des Abendlandes zu sehen. Ich habe das damals wirklich für sehr pathetisch und stark übertrieben gehalten. Aber heute, beim Durchdenken der Problematik, die wir in den vorliegenden Entschließungsantrag eingebracht haben, habe ich doch an diese Definition und an die Verantwortung gedacht, mit der Österreich seiner Rolle gerecht werden muß. Diese Rolle haben wir ja beim Beitritt Österreichs zur Europäischen Union auch formuliert, nämlich die Aufgabe, dort Verantwortung einzubringen und zur Gestaltung dieser Gemeinschaft beizutragen.

Ich meine, die vorliegende Thematik und der jetzige Zeitpunkt böten eine ideale Gelegenheit, dieser Aufforderung und dieser Rolle gerecht zu werden. Ich bitte Sie daher, diesem Entschließungsantrag zuzustimmen. (Beifall bei der SPÖ.)

11.44


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
637. Sitzung / Seite 32

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach:
Als nächster Redner ist Herr Bundesrat Steinbichler zu Wort gemeldet. – Bitte.

11.44

Bundesrat Leopold Steinbichler (ÖVP, Oberösterreich): Geschätzte Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Dem Ziel eines kontinuierlichen Ausstiegs aus der Atomenergiepolitik sollten wir in unserer täglichen politischen Arbeit verstärkt unser Augenmerk schenken. Die Bundesregierung sollte versuchen, in Zukunft bei den Entscheidungsprozessen vor allem im Hinblick auf die Osterweiterung verstärkt für ein kernenergiefreies Mitteleuropa einzutreten. Die Reduktion bestehender und die Vermeidung zusätzlicher grenznaher Atomkraftwerke muß das mittelfristige Ziel der Arbeit der nächsten Jahre sein.

Mit der Erarbeitung von Ausstiegskonzepten muß jenen Ländern, die Bereitschaft zeigen, diesen Weg zu gehen, Unterstützung gegeben werden. Die Bundesregierung muß ihren Einfluß auf die Finanzierungsinstitutionen der EU ausüben, damit diese Konzepte finanziert werden und nach Möglichkeit keine Kredite mehr für den Ausbau der Kernenergie in Mittel- und Osteuropa vergeben werden.

Die Stillegungsoptionen sollten vor allem bei den AKW Dukovany, Temelin, Paks, Bohunice, Mochovce und Krško verfolgt werden. In diesem Zusammenhang ist auch ein Brief des Herrn Vorstandsvorsitzenden der Bayernwerke AG, Dr. Majewski, an den oberösterreichischen Landeshauptmann Dr. Josef Pühringer von Bedeutung, in dem Herr Direktor Majewski auf Anfrage von Landeshauptmann Pühringer erklärt, daß aufgrund der bestehenden Kapazitäten bis zum Jahr 2010 kein zusätzlicher Energiebedarf besteht.

Unsere klare Antiatompolitik in Oberösterreich richtet sich gegen alle Atomkraftwerke in Grenznähe, was nicht nur mit der sofortigen Reaktion auf die Meldungen aus Bayern belegbar ist, sondern besonders auch damit, daß Oberösterreich bereits offiziell mit Herrn Radko Pavlovec auf Werkvertragsbasis einen eigenen Temelin-Beauftragten installiert hat. Die Hauptaufgaben dieses Sonderbeauftragten sind im wesentlichen die Verhinderung der Inbetriebnahme des im Bau befindlichen AKWs Temelin und das Hinwirken auf eine möglichst baldige Stillegung vorhandener grenznaher Atomanlagen sowie auf Abbruch aller Projekte zur Fertigstellung solcher Anlagen. Dies gilt ausdrücklich auch für das geplante Atommüllager beim AKW Dukovany.

Zum geplanten Atommüllager Dukovany hat Herr Landeshauptmann Dr. Pühringer umgehend den Verfassungsdienst des Landes mit der Prüfung aller rechtlichen Möglichkeiten zur Verhinderung dieses Lagers beauftragt. Darüber hinaus wurde auch das Bundeskanzleramt offiziell um Prüfung aller rechtlichen Möglichkeiten zur Verhinderung des Atommüllagers Dukovany gebeten.

Ein wesentlicher Punkt unseres Antrages ist auch das Ersuchen an die Bundesregierung zur Schaffung einer globalen Organisation für erneuerbare Energieträger und zur Schaffung von Organisationsstrukturen zur Förderung erneuerbarer und nachhaltiger Energien. Neben Windkraft und Sonnenenergie sind es vor allem die nachwachsenden Rohstoffe, die ein großes, zum Teil noch ungenutztes Potential bieten, im Energiebereich als Ersatz für Atomenergie eingesetzt zu werden. Vor allem die nachwachsenden Rohstoffe tragen zur Reduktion der CO2-Belastung bei und bieten im Bereich der Beschäftigung – ein sehr wichtiges und aktuelles Thema – laut einer Studie von Heinz Kopetz allein in Österreich ein Potential von rund 50 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen.

Für sinnvoll erachte ich auch das im Antrag formulierte Ersuchen um Berichterstattung an den Bundesrat über den jeweiligen Fortschritt und den aktuellen Stand der Verhandlungen.

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! In der wichtigen Thematik Atomenergiepolitik, in dieser wichtigen Sache, die nicht nur unsere Generation betrifft, sondern besonders aus Sicht der Atommüll-Endlager leider auch unsere Kinder und Enkel belastet, darf ich auf den einstimmigen


Bundesrat
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637. Sitzung / Seite 33

Fünf-Parteien-Beschluß des Nationalrates vom Herbst 1997 verweisen und bitte alle Fraktionen um Zustimmung. (Allgemeiner Beifall.)

11.49

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Scherb. – Bitte.

11.49

Bundesrat Mag. Walter Scherb (Freiheitliche, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrtes Hohes Haus! Ich muß mich vorab für meine angeschlagene Stimme entschuldigen.

Die österreichische Politik hat auf Bundes-, aber natürlich auch auf Landesebene in den letzten Monaten und Jahren in Form von Regierungserklärungen und parlamentarischen Entschließungen eine aktive Abkehr von der Atomenergiepolitik gefordert. In diesem Zusammenhang möchte ich auf unseren Antrag vom 20. November hier in diesem Haus verweisen, im Zuge dessen ich auch den einstimmigen Beschluß des Oberösterreichischen Landtages zur Kenntnis gebracht habe, gegen das Atomkraftwerk in Temelin vorzugehen. Dieser Antrag ist leider von diesem Hohen Haus abgelehnt worden.

Ziel all dieser Bemühungen ist natürlich der Schutz der Gesundheit, die Bewahrung der Umwelt und vor allem der Schutz der Natur vor irreparablen Schäden.

Ein einschneidendes Erlebnis für uns alle war der Atomreaktorunfall in Tschernobyl vor 13 Jahren, durch welchen auch weite Teile Österreichs verseucht worden sind.

Jüngste Störfälle in ukrainischen Atomkraftwerken – in Riwne und in Kursk – zeigen die Gefahr der Atomenergie. Es ist natürlich kein Zufall, daß immer wieder insbesondere östliche AKWs von diesen Störfällen betroffen sind. Es zeigt sich, daß das Aufeinanderprallen von veralteten östlichen Sicherheitsvorkehrungen und westlichen Sicherheitsmaßnahmen zu fatalen Zwischenfällen führt und im Grunde nicht funktioniert.

Erfreulich ist, daß auf europäischer Ebene ein vermehrtes Umdenken in puncto Atomenergie um sich greift. Ich verweise etwa auf Frankreich, das vor kurzem den Ausstieg aus dem Projekt "Superphenix" beschlossen hat.

Als Realist sehe ich natürlich, daß spätestens seit dem EU-Beitritt Österreichs Atomstrom aus anderen EU-Ländern bereits Bestandteil des österreichischen Stromnetzes ist. Die Bundesregierung muß daher auf europäischer Ebene eine Vorreiterin und Lobbyistin dafür sein, daß die aktiven europäischen Kernkraftwerke die höchsten Sicherheitsstandards aufweisen und daß vor allem die Entsorgungskosten und die Stillegungskosten dieser Kernkraftwerke – also der westeuropäischen Kernkraftwerke – durch verpflichtende Rückstellungen in die laufende Strompreiskalkulation aufzunehmen sind, um wenigstens in dieser Hinsicht eine Art Gleichklang und gerechtere Wettbewerbsbedingungen für Nicht-Atomstrom-Kraftwerke sicherzustellen.

Zusätzlich bietet sich natürlich die bevorstehende EU-Osterweiterung dafür an, daß die österreichische Regierung entsprechende Bedingungen für den Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten stellt. Diese Forderungen der Regierung müßten lauten:

Die beitrittswilligen Staaten haben zu Beginn konkreter Aufnahmegespräche verbindliche Atomausstiegskonzepte vorzulegen. Spätestens bis zum Zeitpunkt ihres Beitrittes haben die beitrittswilligen Staaten nachzuweisen, daß der Atomausstieg vollzogen ist. – In diesem Punkt unterscheidet sich unser Entschließungsantrag sehr stark von dem bereits vorliegenden Entschließungsantrag.

Weitere Forderungen: Die Schaffung von Finanzierungsinstrumenten in den zuständigen EU-Organen zur Umsetzung der Ausstiegskonzepte ist voranzutreiben, und die Bundesregierung soll weiterhin darauf hinwirken, daß die Europäische Union nach dem Vorbild der Weltbank keine Kredite für den Ausbau der Kernenergie mehr vergibt und generell keine finanziellen Mittel


Bundesrat
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637. Sitzung / Seite 34

dafür einsetzen wird. Hingegen sind die erneuerbaren Energieformen – wie der Strom aus Wasserkraftwerken – aus umwelt- und wirtschaftsbedingten Gründen zu forcieren.

Weiters: Die österreichische Regierung hat vor allem für Kernkraftwerke sowjetischer Bauart die sofortige Stillegungsoption zu verfolgen. Das gilt insbesondere für die Atomkraftwerke Dukovany, Temelin, Paks, Bohunice, Mochovce und für andere AKW im östlichen Teil von Europa.

Ein weiterer Problempunkt ist das Atommüll-Endlager in Dukovany. Dessen Entstehung muß verhindert werden, denn nach Aussagen von internationalen Experten stellt es ein extremes Gefahrenpotential dar. Es verfügt nicht einmal über die primitivsten Sicherheitsvorkehrungen, soll aber 2 000 Tonnen Atommüll an unserer Grenze beherbergen.

Da die Koalition im Umweltausschuß des Nationalrates Entscheidungen über den Atomenergiebereich gegen die Stimmen der Opposition durch mehrmaliges Vertagen hinausschiebt und die ÖVP auf EU-Ebene ein fragwürdiges Abstimmungsverhalten zeigt, das den nationalen Konsens in Antiatomfragen nicht immer unterstützt, könnte nunmehr die Bundesregierung bei den Beitrittsverhandlungen mit den beitrittswilligen Staaten ihre Versprechen einlösen und so die Vermutung widerlegen, daß ihre Aussagen bloße Leerformeln darstellen.

In diesem Zusammenhang bringen wir einen ausreichend unterstützten Entschließungsantrag ein. Dieser Antrag lautet:

Entschließungsantrag

der Bundesräte Mag. Walter Scherb und Kollegen betreffend Atomenergie und Osterweiterung

Der Bundesrat möge beschließen:

"Die österreichische Bundesregierung wird ersucht, ihre Antiatomlinie konsequent im Rahmen der EU-Erweiterungsverhandlungen zu vertreten und gegebenenfalls das Vetorecht gegen beitrittswillige Staaten, die nicht rechtzeitig von der Atomenergie Abstand nehmen, auszuüben:

1. Die beitrittswilligen Staaten haben zu Beginn konkreter Aufnahmegespräche verbindliche Atomausstiegskonzepte vorzulegen.

2. Spätestens zum Beitrittszeitpunkt haben diese Staaten nachzuweisen, daß der Atomausstieg vollzogen ist.

3. Schaffung von Finanzierungsinstrumenten in den zuständigen EU-Organen zur Mithilfe in der Umsetzung der Ausstiegskonzepte.

4. Keine EU-Gelder beziehungsweise Kredite für den Ausbau der Kernenergie.

5. Sofortige Stillegung der Atomkraftwerke sowjetischer Bauart (etwa Dukovany, Temelin, Paks, Bohunice, Mochovce und Kozloduy).

6. Verhinderung des grenznahen Atommüll-Endlagers Dukovany.

7. Änderung der Zielsetzungen des EURATOM-Vertrages (schrittweise Reduktion der Forschungsförderung neuer Reaktortypen und Technologien im Kernenergiesektor).

8. Verstärkte Förderung der erneuerbaren Energieformen.

9. Die Bundesregierung wird ersucht, dem Bundesrat laufend über den Stand der Umsetzung dieser Maßnahmen zu berichten."

*****


Bundesrat
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637. Sitzung / Seite 35

Wie gesagt, dieser Entschließungsantrag ist ausreichend unterstützt, und wir bitten Sie, ihm zuzustimmen. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

11.58

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Ich kann bestätigen, daß der Entschließungsantrag der Bundesräte Mag. Scherb und Kollegen betreffend Atomenergie und Osterweiterung ausreichend unterstützt ist und daher mit in Verhandlung steht.

Wir setzen in der Debatte fort. Der nächste Redner ist Herr Bundesrat Farthofer. – Bitte.

11.58

Bundesrat Erich Farthofer (SPÖ, Niederösterreich): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Als sozialdemokratischen Mandatar freut es mich natürlich besonders, wenn der Vorredner der freiheitlichen Partei – wie aus meiner Rededisposition ersichtlich – etappenweise aus der Regierungsklausur der Sozialdemokraten zitiert, die wir im Jänner in Salzburg abhielten. Dort wurde sehr ausführlich über die Problematik des Atomausstiegs der Nachbarländer gesprochen. Ich darf hier einige dieser Dinge in Erinnerung rufen.

Im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen mit mittel- und osteuropäischen Staaten muß die Regierung für die Erstellung von Atomausstiegskonzepten eintreten. Weiters: Alle kernkraftfreien oder zum Ausstieg bereiten Länder sollen an einem eigenen Konzept mitarbeiten. Man muß alle rechtlichen und politischen Mittel ausnützen, um die Realisierung aller ausländischen Projekte zur Errichtung neuer Atomkraftwerke in grenznahen Bereichen zu verhindern.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man kann das alles aber nicht nur auf parlamentarischer Ebene oder auf Regierungsebene machen. Ich möchte in aller Bescheidenheit darauf hinweisen, daß ich persönlich einem Arbeitsausschuß mit tschechischen Parlamentariern angehöre, und wir dort in regelmäßigen Abständen und immer wieder versuchen, klarzulegen, wie gefährlich die Atomenergie ist. Aber ich muß ganz offen sagen: Es ist zur Zeit wirklich sehr, sehr schwierig, die tschechischen Freunde davon zu überzeugen, weil a) in Tschechien nicht die finanziellen Mittel vorhanden sind, um einen Ausstieg zu vollziehen, und weil b) auch keine Alternativenergien in Tschechien vorhanden sind. Deshalb ist dieser Ausstieg sehr schwierig.

Erfreulich ist, daß aufgrund der ständigen engen Kontakte und Gespräche, vor allem, was meine Schwester- beziehungsweise Bruderpartei, die Sozialdemokraten, in Tschechien anlangt – ich bin fest davon überzeugt, daß diese dort in absehbarer Zeit die Mehrheit haben werden –, ein Teil der Mandatare davon überzeugt ist, daß dieser österreichische Weg richtig ist. Aber die Sozialdemokraten haben nicht nur mit den atomfreien Nachbarländern zu tun oder diesbezügliche Wünsche und Sorgen vorzubringen, sondern es gibt für uns und natürlich auch für mich persönlich noch zwei wichtige Dinge. Das ist einmal die Verschärfung der Atomhaftung.

Es soll eine wesentlich verschärfte Haftung der Betreiber, Zulieferer und Konstrukteure bei Atomanlagen und -materialien geben. Auch Atomunfälle im Ausland, die in Österreich Schaden verursachen, sollen einbezogen werden. Für Unfälle im Ausland – wie etwa bei der Katastrophe von Tschernobyl – sollen österreichische Gerichte zuständig sein. In Österreich hat die Neuregelung vor allem für noch laufende Forschungsreaktoren, für den Transport von Kernmaterialien und auch für Radionuklide, minder gefährliche Stoffe Bedeutung. Anstelle des geltenden, aus den atomenergiefreundlichen sechziger Jahren stammenden Atomhaftpflichtgesetzes soll eine zeitgemäße, vor allem im Interesse der potentiell Geschädigten liegende Regelung getroffen werden. (Vizepräsident Weiss übernimmt den Vorsitz.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! All das sind Programme unserer sozialdemokratischen Bewegung. Ein besonderes Anliegen ist mir ein Atomwaffenverbot in Österreich. Ich weiß, ich tue mir da schwer mit der rechten Seite dieses Hauses im Zusammenhang mit der NATO-Diskussion. Aber es müssen unbedingt gesetzliche Voraussetzungen geschaffen werden, daß in Österreich Atomwaffen weder gelagert noch transportiert – von der Verwendung will ich gar nicht reden – werden dürfen.


Bundesrat
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Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen von der ÖVP bitten, da umzudenken. Ich glaube, das ist notwendig. Ich weiß, es ist ein Problem, Kollege Schöls! Wir haben jetzt im Niederösterreichischen Landtag eine Diskussion betreffend NATO-Beitritt. Aber dies wäre ein wesentlicher Schritt in Richtung einer guten Atomenergiepolitik beziehungsweise -ausstiegspolitik in Österreich. (Zwischenruf des Bundesrates Schöls. )  – Sag’ mir das nachher draußen!

Die Sozialdemokraten werden dem Antrag die Zustimmung geben. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

12.03

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächster Rednerin erteile ich Frau Bundesministerin Mag. Prammer das Wort.

12.03

Bundesministerin für Frauenangelegenheiten und Verbraucherschutz Mag. Barbara Prammer: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nicht zuletzt die Katastrophe von Tschernobyl hat in Österreich einen noch viel breiteren Grundkonsens geschaffen, was die Antiatompolitik betrifft. Es besteht der absolute politische Grundkonsens – das hat auch die Diskussion hier ganz eindeutig gezeigt –, gegen die zivile wie auch die militärische Nutzung der Atomenergie aufzutreten.

Der österreichische Weg wurde schließlich auch von der Europäischen Union, nämlich anläßlich der Beitrittsverhandlungen Österreichs zur Europäischen Union, anerkannt und rechtlich bestätigt. Das sage ich jetzt aus einem ganz bestimmten Grund hier noch einmal sehr deutlich. Die österreichische Bundesregierung wird natürlich gerade im Hinblick auf ein verstärktes Engagement in der Europäischen Union – dort haben sich die Chancen des Einbringens erhöht – diese Vorreiterrolle ausbauen. Österreich möchte seine Antinuklearpolitik im Interesse der Sicherheit seiner Bevölkerung sowie im gemeinsamen Sicherheitsinteresse der Europäischen Union – da gibt es keine Grenzen –, bezogen auf die aktuellen Erfordernisse, einbringen, ausbauen, weiterentwickeln.

Im wesentlichen wird diese Politik von zwei Wegen getragen, die von der österreichischen Bundesregierung eingeschlagen wurden, wobei eine gute und sehr enge Kooperation besteht. An die Spitze stellen möchte ich – das ist auch schon von Herrn Bundesrat Farthofer kurz angeschnitten worden – ein breites Feld von Maßnahmen, von Aktionen, von Initiativen der Bevölkerung selbst. Ich als Mitglied der Bundesregierung sehe hier ein enges Wechselspiel zwischen den verantwortlichen Personen in Österreich und der Bevölkerung, aber auch über die österreichischen Grenzen hinaus mit den Umweltorganisationen der Nachbarländer.

Ich glaube, das ist eine wesentliche Säule, auf der wir aufbauen sollten. In diese Richtung sollen wir weiterarbeiten, weil es wichtig ist, daß in Österreich – unter Anführungszeichen – "nicht nur" die Verantwortlichen, die Regierenden, die Politikerinnen und Politiker, nach außen tragen, welche Meinung wir betreffend die Antiatompolitik vertreten, sondern daß auch die Sorgen, die Bedenken der Bevölkerung auf breitester Basis nach außen wirken. Diese Bedenken der Bevölkerung können dort wahrscheinlich auch – das merken wir an den Initiativen in den Nachbarstaaten – Fuß fassen und damit dort auf breiterer Ebene getragen werden. Es geht natürlich auch darum, die Umweltorganisationen auf internationaler Ebene entsprechend zu unterstützen, ihnen Beistand zu leisten, weil es noch nicht überall so opportun und so angebracht erscheint, diesbezüglich seine Meinung einzubringen, wie in Österreich. Diese gemeinsame Vorgangsweise führt zum Ziel der Sicherheit und der Wirtschaftlichkeit von Energienutzung und dazu, die Debatte darüber voranzutreiben.

Ich möchte natürlich auch konkret zur tagespolitischen Debatte ein paar Worte sagen. Gerade beim slowakischen Kernkraftwerk Mochovce hat sich die Sinnhaftigkeit der Kooperation zwischen den Umweltorganisationen und den Initiativen der Bundesregierung gezeigt. In der Slowakei ist schon eindeutig die Botschaft verstanden worden, daß nicht nur die Bundesregierung, an der Spitze der Bundeskanzler und auch die übrigen Mitglieder der Bundesregierung, höchstes Interesse daran hat, daß Vereinbarungen eingehalten werden, sondern daß dies auch


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die Meinung der österreichischen Bevölkerung, der österreichischen Umweltorganisationen, aber auch der slowakischen Umweltorganisationen ist.

Ich gehe von der Voraussetzung aus, diesen zweiten Walk-down in Mochovce durchführen zu können, und dann werden wir natürlich auf Basis der Ergebnisse dieses Walk-downs zu diskutieren haben, wie Österreich hoffentlich gemeinsam mit der Slowakei geeignete Schritte unternehmen kann, um zu jenem Ziel zu kommen, das sich auf oberster Ebene die zwei Regierungschefs sozusagen im Vereinbarungswege gesetzt haben.

Das internationale Lobbying ist die zweite wesentliche Säule, und zwar gerade auch für jeden Politiker und jede Politikerin. Österreich alleine würde es nicht schaffen, es muß uns gelingen, auch andere Staaten mit ins Boot zu bekommen, damit sie mit uns gemeinsam diese Antinuklearpolitik betreiben. Die Mitglieder der Bundesregierung, ich als Verantwortliche in diesem Bereich und der Bundeskanzler an vorderster Stelle, nützen jede Gelegenheit, jeden Kontakt mit ausländischen Kolleginnen und Kollegen von den verschiedenen Regierungen, um dieses Thema anzuschneiden.

Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, daß es erst vorige Woche ein Gespräch in Schweden gab, das für mich als zuständiges Regierungsmitglied sehr interessant war. Schweden ist ein besonderes Land, was das betrifft, weil von schwedischer Regierungs- und Parlamentsseite die Entscheidung gefallen ist, einen sukzessiven Ausstieg aus der Atompolitik zu vollziehen. Bereits am 1. Juli dieses Jahres soll das erste Atomkraftwerk geschlossen beziehungsweise abgestellt werden. Gerade die schwedischen Erkenntnisse, die schwedischen Erfahrungen, die schön langsam Jahr für Jahr gesammelt werden, werden unter Umständen auch für die osteuropäischen Staaten interessant sein. Denn Schweden muß natürlich auch Antworten darauf finden, in welche Bereiche in Zukunft investiert werden und woher die Energie, die dort ausfällt, in Zukunft kommen soll.

Vieles andere mehr ist im Rahmen dieses internationalen Lobbyings vorzubereiten, zu implementieren, zu festigen. Es gilt, die österreichische Position immer wieder einzubringen und daran zu erinnern, daß es im Sinne der Sicherheit, natürlich nicht nur der österreichischen Bevölkerung, sondern überall, notwendig ist, auf andere Energieformen umzusteigen und aus der Atomenergie auszusteigen.

Ich möchte noch ganz kurz auf ein paar Punkte eingehen, von denen ich glaube, daß sie besonders wichtig sind.

Was den Wunsch des Bundesrates nach Verfolgung einer grundsätzlichen Stillegungsoption im Rahmen der Osterweiterung betrifft – darum habe ich am Anfang auch auf die Beitrittsverhandlungen und auf die Beitrittserklärung Österreichs zur Europäischen Union hingewiesen –, unterstützt die Bundesregierung natürlich grundsätzlich diese Bemühungen des Bundesrates. Es ist letztlich auch den Interventionen Österreichs zu verdanken, daß voriges Jahr aufgrund konkreter Berichte der Außenminister an den Europäischen Rat in Luxemburg eine klare Verbindung zwischen den Fortschritten der Beitrittswerber hinsichtlich der Erreichung eines hohen Niveaus nuklearer Sicherheit und den Fortschritten im Verhandlungsprozeß insgesamt hergestellt werden konnte.

Eine offene, ehrliche und realitätsnahe Politikauffassung gebietet jedoch auch, was den Entschließungsantrag der Freiheitlichen Partei betrifft, klarzustellen, daß eine österreichische Zustimmung zum Beitritt eines bestimmten Landes zur Europäischen Union nicht grundsätzlich von dessen Verzicht auf die energetische Nutzung der Kernenergie abhängig gemacht werden kann, dies gerade auch deswegen, weil Österreich im Rahmen der Gemeinsamen Erklärung zum Beitrittsvertrag das Recht der Mitgliedstaaten der Europäischen Union festgehalten hat, souverän über Nutzung oder Nichtnutzung der Kernenergie zu entscheiden. Wir müssen uns selbst immer wieder vor Augen führen, daß das Recht, das sich Österreich genommen hat, andere Staaten – ich sage dazu: bedauerlicherweise in einem umgekehrten Sinn – auch beanspruchen wollen.


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Aus diesem Grund, glaube ich, ist unsere konsequente Politik der Überzeugungsarbeit – nicht des Zwangs und des Drucks, sondern der echten Überzeugungsarbeit! –, daß es notwendig ist, aus der Atomenergie auszusteigen, der bessere, der sinnvollere und vor allen Dingen auch der fairere Weg im Rahmen der Osterweiterungsdebatte.

Das soll uns trotzdem nicht darüber hinwegtäuschen, daß es tatsächlich im Osten Kernkraftwerke gibt, die auf keinen Fall europäischen Sicherheitsstandards entsprechen, und daß es natürlich ganz massiv Einfluß zu nehmen gilt, daß im Rahmen der Beitrittsverhandlungen, gerade was diese erste Generation von Atomkraftwerken betrifft, auch über deren Stillegung gesprochen wird.

Das heißt, es gibt zwei Positionen: auf der einen Seite die Sicherheitsstandards und auf der anderen Seite die sukzessive, von Österreich und hoffentlich auch von anderen europäischen Staaten mitgetragene Politik des kontinuierlichen Ausstiegs aus der Kernenergie dort, wo die Staaten dies für sich in Anspruch nehmen.

Zur Euratom-Anleihe möchte ich auch noch ein paar Worte sagen. Es ist von Österreich noch nie gutgeheißen worden, daß sich dieses Instrument dem Einfluß der Mitgliedstaaten und somit auch Österreichs so weitgehend entzieht. Ich möchte aber der Vollständigkeit halber darauf hinweisen, daß die Europäische Investitionsbank nunmehr – ich glaube, das ist ein Schritt in die richtige Richtung – Kredite in einem durchaus akzeptablen, wenn auch noch längst nicht ausreichenden Ausmaß für den nichtnuklearen Energiesektor vergibt. Ich meine, da ist der richtige Weg eingeschlagen worden, und es wird nun darum gehen, diesen Weg zu unterstützen, zu fördern und auch mit entsprechendem Nachdruck zu verlangen.

Zu dem, daß auch eine globale Organisation von den Mitgliedern des Bundesrates verlangt wird, möchte ich folgendes sagen: Globale Organisationen können auch Hürden sein, sie müssen nicht immer Chancen sein. Aber gerade im Energiebereich muß man sie wahrscheinlich wirklich differenziert betrachten. Es ist auch meine Meinung, daß es derzeit ein krasses Ungleichgewicht hinsichtlich der institutionellen Verankerung gibt. Der Internationalen Atomenergie-Organisation auf Ebene der Vereinten Nationen steht keine gleichwertige Institution für den nichtnuklearen Energiesektor gegenüber. Aus diesem Grund gibt es seit vielen Jahren eine Initiative Österreichs, auf den verschiedenen Ebenen adäquate institutionelle Voraussetzungen zu schaffen.

Zu den neuen AKW und den Oststaaten: Ich habe schon darauf hingewiesen, daß Österreich keine formalrechtlichen Möglichkeiten hat. Das darf uns aber nicht von unserem Engagement abbringen, sondern wir müssen alle zu Gebote stehenden Mittel einsetzen, um von den Neuplanungen der einzelnen Staaten wegzuführen und in Alternativen zu denken.

Von Herrn Bundesrat Steinbichler wurden schon Dukovany – jetzt nicht das AKW, sondern das Lager – und der Brief des Herrn Landeshauptmannes an die Bundesregierung angesprochen. Dieser Brief ist schon längst beantwortet von seiten der Bundesregierung – das werden Sie wahrscheinlich auch wissen (ironische Heiterkeit des Bundesrates Konečny )  –, und zwar in die Richtung, daß ich von vornherein den jeweiligen Landesregierungen die Unterlagen über die geplante Erweiterung des Lagers zur Verfügung gestellt und auch die Landeshauptleute eingeladen habe, sich an unserer Stellungnahme gegenüber Tschechien zu beteiligen.

Ich habe diese Woche bereits einen Vorabbrief an den zuständigen neuen Umweltminister in Tschechien gerichtet, in dem ich einmal unsere Bedenken angekündigt habe. Wir sind dabei, ein sehr umfassendes, gründliches und ausführliches schriftliches Dokument zu entwickeln, das sich inhaltlich mit den Erweiterungsplänen beschäftigt. Es wird nächste Woche fertig sein, und wir werden es Tschechien übermitteln.

Ich habe gleichzeitig in meinem Brief inständig und dringend appelliert, unabhängig von internationalen Übereinkommen, die halt mit Tschechien nicht gelten, weil der rechtliche Status nicht vorhanden ist, sehr wohl die Bedenken der österreichischen Bevölkerung bei der Entscheidung über die Ausweitung des Lagers mit zu berücksichtigen. Wir erwarten auch von der tsche


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chischen Regierung, daß sie die Bedenken der österreichischen Bundesregierung in ihre Überlegungen miteinbezieht.

Die Kontakte und die Verhandlungen mit unseren Nachbarstaaten sind lang, zäh und intensiv. Ich freue mich darüber, daß auch ganz deutlich in der Öffentlichkeit signalisiert wird, daß wir einer Meinung sind, daß wir eine Sprache sprechen, nämlich die Bevölkerung vor Ort und die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker auf den verschiedenen Ebenen. – Danke schön. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

12.18


Bundesrat
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637. Sitzung / Seite 40

Vizepräsident Jürgen Weiss:
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Das ist ebenfalls nicht der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag des Ausschusses für Verfassung und Föderalismus auf Annahme der dem Ausschußbericht beigedruckten Entschließung ihre Zustimmung geben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit.

Der Entschließungsantrag ist angenommen. (E. 155)

Es liegt weiters ein Antrag der Bundesräte Mag. Scherb und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend Atomenergie und Osterweiterung vor. Ich lasse über diesen Entschließungsantrag abstimmen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmenminderheit.

Der Antrag ist daher abgelehnt.

2. Punkt

Entschließungsantrag der Bundesräte Ing. Johann Penz, Herbert Platzer und Kollegen betreffend Sicherung der Einsatzbereitschaft der Freiwilligen Feuerwehren (104/A(E)-BR/98 und 5649/BR der Beilagen)

Vizepräsident Jürgen Weiss: Wir gelangen nun zum 2. Punkt der Tagesordnung: Entschließungsantrag der Bundesräte Ing. Johann Penz, Herbert Platzer und Kollegen betreffend Sicherung der Einsatzbereitschaft der Freiwilligen Feuerwehren.

Die Berichterstattung hat Herr Bundesrat Peter Rodek übernommen. Ich bitte ihn um den Bericht.

Berichterstatter Peter Rodek: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für öffentliche Wirtschaft und Verkehr über den Selbständigen Antrag der Bundesräte Ing. Johann Penz, Herbert Platzer und Kollegen betreffend Sicherung der Einsatzbereitschaft der Freiwilligen Feuerwehren.

Der schriftliche Ausschußbericht liegt auf, ich nehme daher von einer Verlesung desselben Abstand.

Der Ausschuß für öffentliche Wirtschaft und Verkehr stellt nach Beratung der Vorlage am 10. März 1998 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, der Bundesrat wolle die dem schriftlichen Ausschußbericht beigedruckte Entschließung annehmen.

Vizepräsident Jürgen Weiss: Ich danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Erich Farthofer. Ich erteile es ihm.

12.21

Bundesrat Erich Farthofer (SPÖ, Niederösterreich): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Führerscheingesetz, das seit 1. November 1997 in Kraft ist, schreibt für Lenker von Lastkraftwagen eine höchstzulässige Alkoholgrenze im Blut von 0,1 Promille vor. Diese strenge Regelung trägt der hohen Verantwortung der Berufskraftfahrer Rechnung.

Diese sinnvolle und notwendige Maßnahme hat aber auch dazu geführt, daß Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehren, die im ländlichen Raum die Voraussetzung für Brand- und Katastrophenschutz bilden, an die 0,1-Promille-Grenze gebunden sind. Dies hat nun insofern problematische Auswirkungen, als diese Bestimmung in der Praxis für die Feuerwehrmänner einem ständigen und totalen Alkoholverbot in ihrem Privatleben gleichkommt, da sie immer für einen Einsatz bereit sein müssen.

Erfreulicherweise hat es auf Initiative unseres Verkehrsministers und auf Anregung der sozialdemokratischen niederösterreichischen Mandatare, meine sehr verehrten Damen und Herren, bereits ein Gespräch im Verkehrsministerium gegeben. Im Bundesministerium für Wissenschaft und Verkehr fand auf Anregung der niederösterreichischen Mandatare und auf Initiative des Ministers Einem ein Gespräch mit den Vertretern der niederösterreichischen Landesfeuerwehren statt, das in einem sehr konstruktiven und sachlichen Stil geführt wurde. Landesbranddirektor Wilfried Weissgärber und der stellvertretende Landesbranddirektor Ing. Herbert Schanda erläuterten die Probleme der Freiwilligen Feuerwehren mit zwei kürzlich eingeführten verkehrspolitischen Maßnahmen. Bei beiden Feldern konnte in diesem Gespräch eine für beide Seiten zufriedenstellende Lösung gefunden werden.

Erstens: Alkoholgrenze von 0,1 Promille für Lenker von Fahrzeugen über 7,5 Tonnen. Die Vertreter der Feuerwehren betonten, daß es ihnen keinesfalls darum ginge, dem Alkoholgenuß vor Antritt von Ausfahrten das Wort zu reden. Die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehren seien sich ihrer hohen Verantwortung ohnehin bewußt. Andererseits hege man die Befürchtung, daß Feuerwehrleute bestraft würden, weil sie etwa nach einem Bier zu Mittag überraschend zu einem Einsatz fahren müßten.

Die Rechtsexperten des Bundesministeriums für Wissenschaft und Verkehr konnten diese Sorgen ausräumen. In einer Novelle zur Straßenverkehrsordnung, welche mit dem neuen Führerscheingesetz beschlossen wurde, ist ausdrücklich festgehalten, daß auch bei einem Unfall im Bereich zwischen 0,1 und 0,5 Promille keine straf- oder zivilrechtliche Verfolgung gesetzt wird, sofern keine Beeinträchtigung des Fahrers vorliegt. Das Lenken von Fahrzeugen im beeinträchtigten Zustand – unabhängig von einer Alkoholgrenze – war auch schon bisher verboten.

Auch das Verwaltungsstrafgesetz kennt eine Ausnahme nur dann, wenn der Täter glaubhaft macht, ohne sein Verschulden eine Verwaltungsvorschrift verletzt zu haben. Wenn der Fahrer also ein Bier trinkt, ohne zu wissen, daß er einen Einsatz wird fahren müssen, wird er nicht bestraft.

Sowohl die Vertreter der Feuerwehren, die ihre Mitglieder über die rechtliche Situation aufklären werden, als auch die Verkehrssicherheitsexperten des Ministeriums waren sich darüber einig, daß die Alkoholgrenzen grundsätzlich einzuhalten sind.

Bei der genannten Besprechung wurde auch das zweite Problem aufgezeigt, nämlich jenes bezüglich der regelmäßig durchzuführenden Gesundheitsuntersuchung für Lenker von schweren Fahrzeugen ab dem 45. Lebensjahr. Diesbezüglich wurde von den Feuerwehrleuten ganz klar zum Ausdruck gebracht, daß es sicherlich zum Schutz der Betroffenen ist, zum Schutz der LKW-Lenker, natürlich aber auch zum Schutz der Bevölkerung.


Bundesrat
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In diesem Zusammenhang wird sehr stark kritisiert, daß diese Gesundheitsuntersuchung 360 S kostet. Seitens des Verkehrsministeriums ist man bemüht, eine Lösung zu finden. Es sollen Feuerwehrverbände beziehungsweise Zivilschutzverbände diese 360 S für die anstehenden Untersuchungen bezahlen. Es muß jedoch der Ordnung halber gleich dazugesagt werden, daß es diesbezüglich noch keine konkrete Regelung gibt. Aber auf keinen Fall sollen die Feuerwehrmänner, die im Dienste der Öffentlichkeit stehen, diese 360 S Prüfungstaxe bezahlen müssen.

Wir von der Sozialdemokratischen Partei werden diesem Entschließungsantrag die Zustimmung geben. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

12.25

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächstem Redner erteile ich Herrn Bundesrat Ing. Johann Penz das Wort.

12.25

Bundesrat Ing. Johann Penz (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das neue Führerscheingesetz wurde von der politischen Zielsetzung geleitet, ein höheres Maß an Verkehrssicherheit auf Österreichs Straßen zu gewährleisten. Das hat auf einen anderen Bereich, der unmittelbar auch mit Sicherheit der Bürger und des Landes zu tun hat, nämlich dem Bereich der Freiwilligen Feuerwehren, massive Rückwirkungen; Rückwirkungen, die nicht mehr, sondern weniger Sicherheit bedeuten, weil sie nicht nur die Einsatzbereitschaft herabsetzen, sondern auch die persönliche Motivation, weil der selbstlose Einsatz für die Gemeinschaft Bestimmungen unterworfen wird, die auch die private Lebenssphäre und Lebensqualität wesentlich beschränken.

Dieses Beispiel des Führerscheingesetzes zeigt auch anschaulich auf, womit die Politik bei isolierter Betrachtung immer wieder konfrontiert ist. Es gibt Zielkonflikte, und auch diese müssen politisch durch Güterabwägung gelöst werden.

Ich bin überzeugt davon, daß hier in diesem Hohen Hause niemand anwesend ist, der die Leistungen der Freiwilligen Feuerwehren geringschätzt, der sie in ihrem Dienst an der Gemeinschaft behindern oder diese Leistungen gar verhindern möchte, nämlich daß Menschen geholfen wird, wenn sie im Brand- und Katastrophenfall rasche und kompetente Hilfe brauchen. Im Gegenteil: Ich weiß, da sind wir einer Meinung: daß wir die Leistungen der Feuerwehren sehr hoch einschätzen und auch als unverzichtbar darstellen. Es ist nämlich ein großartiger Dienst an unserer Gesellschaft, die unsere "Silberhelme", Männer und Frauen, 24 Stunden rund um die Uhr das ganze Jahr hindurch erbringen.

Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, anhand der Zahlen aus Niederösterreich, einem Land, in dem das Feuerwehrwesen zur Gänze freiwillig organisiert und besorgt wird, die Situation der Freiwilligen Feuerwehren illustrieren. Die mir als letzte vorliegenden Zahlen stammen aus dem Jahre 1996 und sind, weil die verheerende Hochwasserkatastrophe des Jahres 1997 mit außerordentlichen Anstrengungen verbunden war, vielleicht sogar typisch für ein Normaljahr.

In Niederösterreich gibt es rund 70 000 aktive "Silberhelme", die neben ihrem Beruf und unentgeltlich in dauernder Einsatzbereitschaft stehen, um Menschenleben zu retten, um Brände zu löschen, um Gefahren für Menschen, Tiere und lebensnotwendige Güter abzuwehren. Freiwillig!  – darf ich nochmals anmerken –, aber trotzdem gesetzlich verpflichtet, diese Aufgaben auch im Auftrag der Gemeinden zu erfüllen.

Zu diesen 70 000 Aktiven in Niederösterreich kommen über 15 000 Personen dazu, die sich aus der Feuerwehrjugend und aus den Reservisten rekrutieren. Somit sind es also etwa 85 000 Personen, die sich in den Dienst einer guten Sache gestellt haben.

Zusammen haben diese 85 000 Personen im Jahre 1996 insgesamt 57 174 Einsätze geleistet, und zwar mit einer Einsatzsumme von 602 000 Stunden, und sie haben dabei 1 279 Menschen gerettet.


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Nicht eingerechnet in diese Unzahl von Stunden sind die Stunden, die für Übungen, Schulungen und dergleichen aufgewendet wurden, um auf dem letzten Stand der Ausbildung zu bleiben. Nicht eingerechnet ist auch das, was unsere Freiwilligen Feuerwehren zum gesellschaftlichen Leben im ländlichen Raum beitragen.

Gestatten Sie mir daher an dieser Stelle, diesen Männern und Frauen auch offiziell für diese großartigen Leistungen zu danken. Sie haben ein Recht darauf, daß man sie in ihrer Bereitschaft und in ihrem Einsatz unterstützt, und das soll keine Floskel sein, sondern ist auch Gegenstand unserer heutigen Tagesordnung. Es geht dabei um zwei Problembereiche, die es zu lösen gilt.

Es geht erstens um die Bestimmung des § 20 Abs. 5 des Führerscheingesetzes, mit welcher auch Fahrer von Einsatzfahrzeugen der Klasse C den Berufsfahrern gleichgestellt werden, und zweitens um die Bestimmung des § 40 Abs. 5, die für Besitzer von C-Führerscheinen ab dem 45. Lebensjahr alle fünf Jahre verbindliche ärztliche Tests vorschreibt.

Ich komme gleich zum zweiten Punkt, meine sehr verehrten Damen und Herren, der einer baldigen Lösung zugeführt werden muß. Diese Bestimmung könnte dazu führen, daß sich die Zahl der zur Verfügung stehenden C-Fahrer der Freiwilligen Feuerwehren in der Altersgruppe zwischen 46 und 65 Jahren drastisch verringert und dadurch auch die Tageseinsatzbereitschaft in Gefahr gerät. Viele Feuerwehrmitglieder haben nämlich den C-Führerschein überhaupt nur aus dem Grund erworben, daß sie mit einem Feuerwehrfahrzeug unterwegs sein beziehungsweise dieses lenken dürfen. Alleine in Niederösterreich gibt es in dieser Altersgruppe rund 7 000 "Floriani-Jünger", die davon betroffen wären. Die Kosten für eine einmalige ärztliche Untersuchung dieser Feuerwehrmitglieder belaufen sich auf 3,8 Millionen Schilling. Die Umschreibgebühren für den neuen Führerschein sind darin noch gar nicht miteingerechnet.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich halte es für unzumutbar, das den Feuerwehrleuten aufzuhalsen. Mit dieser Meinung stehe ich im klaren Widerspruch zu meinem Kollegen Farthofer. Ich frage Sie: Wenn diese Leute ihre Freizeit opfern, ihren Kopf und Kragen freiwillig riskieren, dann sollen sie auch noch zahlen? – Das ist unverständlich! Ich bin der Meinung, daß das unzumutbar ist und auch nicht ohne Folgen bleiben würde. Es würde der Motivation der Freiwilligen, die sich engagieren, einen schweren Schlag zufügen.

Aber wie könnte eine Lösung aussehen? – Herr Bundesminister Einem hat Überlegungen zugesagt, und Herr Kollege Farthofer hat schon davon gesprochen. Nur: Bei Überlegungen darf es nicht bleiben. Der für das niederösterreichische Feuerwehrwesen zuständige Landesrat Blochberger ist schon einen Schritt weitergegangen und hat einen Lösungsansatz präsentiert. Dieser läuft auf eine Ausnahmeregelung hinaus, nach der Feuerwehrmitglieder mit einem C-Führerschein jedes Feuerwehrfahrzeug ohne Gewichtsbeschränkung lenken dürfen. Das halte ich für einen vernünftigen Zugang, der rasch aufgegriffen werden sollte.

Für die kurzfristige Sicherung der Einsatzbereitschaft unserer Freiwilligen Feuerwehren ist aber auch die Promille-Frage von ausschlaggebender Bedeutung. Die Bestimmungen des § 20 Abs. 5 des Führerscheingesetzes sind auf die hohe Verantwortung der Berufskraftfahrer bezogen. Das ist unbestrittenermaßen eine sinnvolle und notwendige Maßnahme. Wer also ein Fahrzeug der Klasse C in Betrieb nimmt oder lenkt, darf nicht mehr als 0,1 Promille Alkoholgehalt im Blut haben.

Da aber mehr als Viertel der Feuerwehreinsatzfahrzeuge, etwa Tanklöschfahrzeuge, in diese Klasse hineinfällt, heißt das, daß bei der Gleichstellung von Einsatzfahrern und Berufsfahrern die Feuerwehren besonders benachteiligt wären. Denn es gibt nur drei Möglichkeiten: entweder die totale Abstinenz im Privatleben, um die ständige Einsatzbereitschaft nicht zu gefährden, oder in einem ständigen Interessenkonflikt zwischen Pflichterfüllung und strafbarem Verhalten zu sein oder den Silberhelm am Nagel hängenzulassen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich meine, daß diese Situation untragbar, unhaltbar ist. Keinem Freiwilligen, der sein Leben im Interesse der Allgemeinheit aufs Spiel setzt, kann zugemutet werden, daß er auch noch bestraft wird.


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Es war wieder der niederösterreichische Landesrat Blochberger, der lange vor allen in dieser Sache agiert hat. An dieser Stelle muß ich meinem Kollegen Farthofer widersprechen. Es sei ihm unbenommen, im Zuge des Wahlkampfes in Niederösterreich zu sagen, daß es die Sozialdemokraten gewesen wären, die als erste dieses Thema aufgegriffen haben, aber in Wirklichkeit waren es die Feuerwehren selbst in zahlreichen Protestresolutionen und der Landtagsklub der Österreichischen Volkspartei. Diese sind an den ressortzuständigen Minister Einem und an Herrn Bundesminister Schlögl herangetreten und haben ersucht, eine zufriedenstellende Lösung zu finden.

Es wurde eine Lösung angekündigt, wonach sich Feuerwehrleute der Freiwilligen Feuerwehren, die mit 0,1 bis 0,5 Promille Alkoholgehalt im Blut zum oder vom Einsatz mit einem LKW fahren, nach dem Verwaltungsstrafrecht nicht strafbar machen, wonach Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehren, die mit 0,1 bis 0,5 Promille Alkoholgehalt im Blut zum oder vom Einsatz mit einem LKW fahren und dabei einen Verkehrsunfall verursachen, keinen Versicherungsregreß zu befürchten haben und wonach Feuerwehrleute der Freiwilligen Feuerwehren auf dem Weg zum Einsatz, um schnelle Hilfe zu gewährleisten und den Betrieb aufrechtzuerhalten, keine Alkotests zu erwarten haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es geht um eine Güterabwägung, und da geht es, wie am Fallbeispiel aus Niederösterreich aus dem Jahre 1996 aufgezeigt, um weit mehr als um 1 000 Menschenleben, und zwar in einem einzigen Bundesland.

Mit Ankündigungen, meine sehr geehrten Damen und Herren und lieber Freund Farthofer, wurde noch kein einziges Menschenleben gerettet. Die Tat ist notwendig und ist auch gefordert! Daher haben wir diesen Entschließungsantrag gestellt, und ich glaube, wir sollten unseren Feuerwehrleuten, unseren "Silberhelmen" nicht nur wohlwollend auf die Schulter klopfen, sondern ihnen auch Anerkennung, unsere Wertschätzung entgegenbringen. Das können wir bei der Abstimmung dieses Entschließungsantrages zum Ausdruck bringen.

Ich darf noch einmal die beiden Herren Bundesminister ersuchen, ehebaldigst eine Lösung im Sinne des österreichischen Feuerwehrwesens und damit auch der österreichischen Bevölkerung zu finden. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

12.37

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächstem Redner erteile ich Herrn Bundesrat Engelbert Weilharter das Wort.

12.37

Bundesrat Engelbert Weilharter (Freiheitliche, Steiermark): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Meine Damen und Herren! Das Führerscheingesetz ist in Kraft, und die ersten Auswirkungen des Inkrafttretens dieses Gesetzes sind Thema der Debatte, sind Gegenstand der heutigen Tagesordnung.

Meine Damen und Herren! Ungeachtet dessen, daß die Auswirkungen des neuen Führerscheingesetzes in vielen Bereichen nicht das Ziel erreicht haben, welches sich der Gesetzgeber gestellt hat, ist aufgrund dieses Gesetzes auch die Zahl der Unfälle auf Österreichs Straßen nicht zurückgegangen und hat sich der Blutzoll auf Österreichs Straßen auch nicht verringert. (Bundesrätin Schicker: Das stimmt nicht! – Bundesrat Farthofer: Im Vergleichszeitraum 37 Tote weniger!)

Frau Kollegin Schicker! Beim Blutzoll auf unseren Straßen zähle ich selbstverständlich auch alle Verletzten mit, und da ist die Zahl gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres leider unverändert.

Meine Damen und Herren! Eine weitere Auswirkung dieses Führerscheingesetzes ist, daß jene Behörden, die mit der Administration dieses Gesetzes befaßt sind, beinahe überfordert sind, da eine korrekte Administration desselben beinahe nicht machbar ist. Die Rechtsunsicherheit für den Bürger feiert aufgrund dieses Gesetzes fröhliche Urständ. Darüber hinaus – das ist der Hauptdebattenpunkt zu diesem Tagesordnungspunkt – haben freiwillige Einsatzorganisationen


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wie die Freiwilligen Feuerwehren Probleme mit diesem Gesetz. So ist zum Beispiel ihre Einsatzfähigkeit durch dieses Gesetz gefährdet.

Meine Damen und Herren! Der Umstand, daß man jetzt von seiten der Regierungsparteien versucht, dieses Gesetz zu ändern, ist entweder der Beweis dafür, daß dieses Führerscheingesetz in einem sogenannten Husch-Pfusch-Verfahren durchgezogen wurde, oder der Beweis dafür, daß die Damen und Herren von den Regierungsparteien, die dieses Gesetz beschlossen haben, überfordert waren. Wenn es letzteres war, sollten Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, künftig Ihren Einfluß auf Gesetzeswerke jenen überlassen, die sich in dem jeweiligen Bereich besser auskennen und die davon mehr verstehen.

Hohes Haus! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich diese Aussage untermauern. Laut § 24 Abs. 5 ist die Lenkerberechtigung zu entziehen, wenn das erforderliche Gutachten nicht beigebracht wird. Das heißt, wenn Gefahr im Verzug ist – zum Beispiel durch Krankheit, Drogenabhängigkeit oder andere Umstände –, muß die Verwaltungsbehörde beide Augen vier Monate lang verschließen, da die Rechtsgrundlage für ein rasches Handeln in diesem Gesetz fehlt.

Ein weiteres Beispiel, meine Damen und Herren: Bei einem Verstoß gegen § 14 Abs. 8 ist die Einziehung der Lenkerberechtigung anzudrohen. Das heißt, dem Lenker, der zwischen 0,5 und 0,8 Promille Blutalkohol hat, ist, wenn er zum ersten Mal erwischt wird, wenn er also kontrolliert wird und festgestellt wird, daß eine Übertretung nach § 14 Abs. 8 vorliegt, eine Entziehung anzudrohen. Hat derselbe Lenker ein zweites Mal innerhalb eines Jahres einen Blutalkoholgehalt zwischen 0,8 und 1,19 Promille, so ist ihm nach der Straßenverkehrsordnung die Lenkerberechtigung für vier Wochen zu entziehen. Und nun kommt es, meine Damen und Herren: Hat dieser Lenker innerhalb desselben Jahres bei einer dritten Kontrolle wiederum zwischen 0,5 und 0,8 Promille Blutalkohol, dann ist ihm die Lenkerberechtigung für drei Wochen zu entziehen.

Was heißt das, meine Damen und Herren? – Nicht nur, daß es unlogisch ist, daß dann, wenn das dritte Mal der gleiche Tatbestand gegeben ist, die Strafe milder ist, bevorzugt diese Bestimmung auch notorische Alkoholsünder und Alkohollenker.

Meine Damen und Herren! Diese Negativliste über dieses Führerscheingesetz ließe sich natürlich stundenlang fortsetzen.

Zum Beispiel bei Brillenträgern gab es bisher eine Auflage, im novellierten Führerscheingesetz ist nicht von einer "Auflage", sondern von einer "Bedingung" die Rede, und bei einer Bedingung ist natürlich auch die Rechtskonsequenz eine völlig andere als bei einer Auflage. Das bedeutet, daß einem Brillenträger, der gegen die Bedingung verstößt und seine Brille beim Lenken nicht trägt, nicht nur eine Bestrafung droht, sondern daß ihm auch die Lenkerberechtigung zu entziehen ist.

Meine Damen und Herren! Wenn eine Partei bei einer Verwaltungsstrafbehörde vorstellig wird und die Entscheidung, weil der Instanzenzug beschritten wird, in der zweiten oder von mir aus in der dritten Instanz zig Monate auf sich warten läßt, dann kann wiederum Gefahr im Verzug gegeben sein. Auch hier gibt es aufgrund dieses Führerscheingesetzes für die Behörde als erste Instanz für die Entscheidung wiederum keine Rechtsgrundlage. Das reicht, meine Damen und Herren, bis hin zu den Einsatzorganisationen, die der Freiwilligkeit unterliegen. Diesbezüglich wurde schon im Ausschuß und hoffentlich von allen hier im Haus vertretenen Parteien erkannt, daß dieses Gesetz massive Mängel aufweist.

Meine Damen und Herren! Aufgrund der derzeitigen Regelung kann es passieren, daß ein freiwilliger Feuerwehrmann, der zu einer Mahlzeit zu Hause ein Bier oder ein alkoholisches Getränk trinkt und zu einem Einsatz gerufen wird, nicht befugt wäre, ein entsprechendes Einsatzfahrzeug zu lenken. Hier wurde von allen Parteien im Hause erkannt, daß eine Änderung erforderlich ist. Die diesbezüglichen Initiativen können durchaus als Beweis gewertet werden.

Der Unterschied, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, zu unserer Initiative liegt lediglich darin, daß Sie eine Verordnung des Ministers abwarten wollen, welche wiederum


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von den Verwaltungsbehörden nicht administriert werden muß, da ihnen die Rechtsgrundlage dazu fehlt, denn in einem Rechtsstaat ist es nicht möglich, daß eine Verordnung ein Gesetz außer Kraft setzt. Außerdem, meine Damen und Herren, haben wir auch im Ausschuß zur Kenntnis nehmen müssen, daß von seiten des Ministeriums eine Novelle zum Gesetz nicht vorgesehen ist. (Bundesrat Ing. Penz: Wer sagt das?) Herr Kollege Penz! Im Ausschuß wurde uns versichert, daß von seiten des Verkehrsministeriums keine Novelle zum Führerscheingesetz beabsichtigt ist. (Bundesrätin Schicker: Nur der Zeitpunkt war nicht klar!) Frau Kollegin Schicker! Sie von Ihrer Fraktion und auch Teile ... (Bundesrat Dr. Tremmel: Hätten wir die Änderung gleich gemacht, wie wir es damals gesagt haben, dann hätten wir uns das ganze Theater erspart!)

Herr Kollege Penz und Frau Kollegin Schicker! Ich verstehe, daß es Ihnen bei diesem Thema nicht unbedingt sehr wohl und gut zumute ist, aber Sie waren halt – wie bei der Werdung dieses Gesetzes auch – im Ausschuß vermutlich mit dem Inhalt dieses Antrages überfordert. (Bundesrätin Schicker: Das ist eine Unterstellung!) Hätten Ihre Klubsekretariate Ihnen die richtige Information gegeben, wäre es für den einen oder anderen von Ihnen wahrscheinlich leichter gewesen, unserer Initiative zu folgen.

Meine Damen und Herren! Sie von der SPÖ und Teile der ÖVP haben im Ausschuß für öffentliche Wirtschaft und Verkehr eine Gesetzesinitiative und somit die Rechtsgrundlage abgelehnt. (Bundesrat Payer: Sie wollen spalten!) Sie sind es, die für eine weiterhin bestehende Rechtsunsicherheit verantwortlich sind. Sie sind es, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei und Teile der ÖVP – ich sage bewußt: Teile der ÖVP, denn es gibt noch einzelne mutige ÖVP-Mandatare, die sehr wohl diesem Antrag zugestimmt haben –, die durch Ihr Stimmverhalten mitunter auch den Fortbestand der Freiwilligen Feuerwehren gefährden.

Wir, meine Damen und Herren, die Freiheitlichen, wollen eine rasche ... (Bundesrätin Schicker: Seit wann ist die Feuerwehr freiheitlich? Das war ein Freudscher Versprecher!) Frau Kollegin Schicker! Wir, die Freiheitlichen, bekennen uns ganz klar zu unseren Feuerwehren, Frau Kollegin! In diesem Punkt unterscheiden wir uns. (Bundesrätin Schicker: Dagegen werden sich die Feuerwehren wehren! – Weitere Zwischenrufe bei SPÖ und ÖVP.) Herr Kollege Prähauser! Sie tragen Ihr Bekenntnis auf den Lippen, und wir setzen es in Taten um. In diesem Punkt unterscheiden wir uns selbstverständlich! (Weitere lebhafte Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Meine Damen und Herren! Wir von der freiheitlichen Fraktion wollen, daß eine klare Rechtsgrundlage geschaffen wird, wir wollen, daß die Freiwilligkeit nicht per Gesetz zu persönlichen Nachteilen führen kann, und wir wollen damit den Fortbestand der Freiwilligen Feuerwehren sichern.

Meine Damen und Herren! Da im Ausschuß für öffentliche Wirtschaft und Verkehr für eine rasche Gesetzesnovelle keine Mehrheit zu erzielen war, hoffe ich, daß es hier im Plenum zu einem Umdenken des einen oder anderen Kollegen kommt, damit wir hier im Plenum zu einem entsprechenden Ergebnis kommen. Ich darf daher zum Ausschußbericht und -antrag folgenden Zusatzantrag einbringen:

Zusatzantrag

der Bundesräte Engelbert Weilharter und Kollegen zum Ausschußbericht 5649 der Beilagen/BR über den Antrag 104/A(E) betreffend Sicherung der Einsatzbereitschaft der Freiwilligen Feuerwehren

Der Bundesrat wolle beschließen:

Die im Ausschußbericht abgedruckte Entschließung wird wie folgt geändert:

Nach Z 2 wird angefügt:


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"3. Im Zuge der nächsten Novelle des Führerscheingesetzes ist eine gesetzliche Regelung vorzusehen, die die Vereinbarung der Regierungsmitglieder mit den Vertretern der Freiwilligen Feuerwehren in rechtlicher Hinsicht einwandfrei und alle Zweifelsfälle umfassend umsetzt."

*****

Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien! Wenn Sie schon im Ausschuß für öffentliche Wirtschaft und Verkehr mit dem Inhalt einer Gesetzesänderung überfordert wurden, lade ich Sie ein, meinen Antrag, den ich im Ausschuß für öffentliche Wirtschaft und Verkehr gestellt habe und den Sie abgelehnt haben – der Text dieses Antrages wurde Ihnen im Ausschuß bereits übermittelt, daher werden Sie darüber Kenntnis haben; aber er liegt auch auf meinem Sitzplatz auf –, wieder zu aktivieren. Wenn Sie rasch eine Gesetzesänderung und damit auch rasch Rechtssicherheit für unsere Einsatzorganisationen, vor allem für unsere Feuerwehren, wollen, dann unterstützen Sie diesen Antrag, sodaß wir ihn nach der Geschäftsordnung noch einer Behandlung zuführen können!

Beweisen Sie, daß Ihre Sympathien den freiwilligen Einsatzorganisationen nicht nur in rhetorischer Form gelten, sondern beweisen Sie, daß dieser Solidarität zu unseren Einsatzorganisationen auch Taten angeschlossen sind! Ich lade Sie dazu ein. Meine Fraktion hat im Bewußtsein der Notwendigkeit unserer Feuerwehren diesen Antrag selbstverständlich geschlossen unterstützt. Neun Unterschriften würden noch fehlen, dann könnten wir heute diese Thematik zum Wohle und zur Sicherheit unserer Feuerwehr hier in diesem Hause behandeln und einer Lösung zuführen. Ich lade Sie dazu ein! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

12.50

Vizepräsident Jürgen Weiss: Der von den Bundesräten Weilharter und Kollegen eingebrachte Zusatzantrag zum Antrag 104/A betreffend Sicherung der Einsatzbereitschaft der Freiwilligen Feuerwehren ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Als nächstem erteile ich Herrn Bundesrat Ing. Walter Grasberger das Wort.

12.50

Bundesrat Ing. Walter Grasberger (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Entschließungsantrag wollen wir – und da, glaube ich, darf ich für alle Mitglieder des Bundesrates sprechen – eine notwendige Verbesserung im Einsatz für die Freiwilligen Feuerwehren erwirken. Das ist mit Sicherheit im höchstem Maße notwendig, denn die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehren sind zurzeit in ganz beträchtlichem Maße verunsichert, und – was uns alle, glaube ich, besonders berühren sollte – sie sind auch in beträchtlichem Maße demotiviert.

Der Bezirkskommandant meines Heimatbezirkes drückte die Stimmung vieler Feuerwehrmänner und Feuerwehrfrauen so aus: "Viele fragen sich, will man uns denn eigentlich noch?" Nicht nur die heute schon mehrfach angesprochene Regelung, daß LKW-Einsatzfahrer mit 0,1 bis 0,5 Promille Alkohol im Blut bei Feuerwehreinsätzen gleich wie Berufskraftfahrer behandelt werden und damit straffällig werden würden, auch die Kosten – diese wurden heute auch schon angesprochen –, die sich für C-Fahrer ab dem 45. Lebensjahr im Zusammenhang mit dem erforderlichen Gesundheitstest ergeben, führen zu einem Unmut, der verständlich wird, wenn man die Zahlen kennt.

Mein Kollege Bundesrat Penz hat heute schon entsprechende Zahlen aus dem Bundesland Niederösterreich hier zur Kenntnis gebracht. Von den 85 000 Feuerwehrmitgliedern in Niederösterreich – im gesamten Bundesgebiet, das ist, glaube ich, für Sie alle eine interessante Zahl, sind es 316 000 – sind zirka 22 000 C-Fahrer. Also jedes vierte Mitglied einer Freiwilligen Feuerwehr in Niederösterreich ist LKW-fahrberechtigt. Man nimmt an – das ist eine Zahl, die ich vom Feuerwehrkommando in Niederösterreich bekommen habe –, daß mindestens 70 Prozent der Feuerwehrmitglieder nur deshalb den C-Führerschein weiterhin in Besitz haben wollen, weil sie damit freiwillige Leistungen für die Allgemeinheit erbringen, also nicht Berufskraftfahrer sind.


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Ein betroffener älterer C-Fahrer der Freiwilligen Feuerwehr erläuterte mir dieser Tage die Kosten, die, wie gesagt, 70 Prozent der C-Fahrer zu tragen haben, da sie älter als 45 Jahre sind. Das sind nicht, wie Kollege Farthofer meinte – er ist, glaube ich, im Moment nicht im Raum –, 360 S, sondern alleine der Sehtest inklusive der Überprüfung der Nachtsichttauglichkeit kostet 850 S. Dann sind zweimal 180 S für Bundesstempelmarken zu zahlen. Hinzu kommt noch eine Verwaltungsabgabe bei der Bezirkshauptmannschaft mit 150 S, und außerdem sind die Kosten der amtsärztlichen Untersuchung mit ebenfalls 350 S zu berappen. Das heißt, in Summe fallen 1 710 S an.

Auch der Hochwassereinsatz der Freiwilligen Feuerwehren im vergangenen Jahr wurde heute schon angezogen, und hier wurde ein weiteres Problem akut: die Frage – Frau Bundesministerin Hostasch kennt diese Frage auch durch mich persönlich – des Verdienstentganges beziehungsweise die Sorge vieler Feuerwehrmänner und Feuerwehrfrauen, bei einem länger dauernden Katastropheneinsatz unter Umständen ihren Arbeitsplatz zu gefährden. Frau Bundesministerin! Sie kennen die Thematik, und Sie haben auch in Aussicht gestellt, hiefür eine Lösungsmöglichkeit zu finden. Ich appelliere von dieser Stelle aus an Sie, sehr geehrte Frau Bundesministerin, das rasch zu tun.

Diese drei Dinge, die ich hier als Ursachen für den Unmut in den Freiwilligen Feuerwehren angezogen habe, können meiner Meinung nach wirklich ohne größere Umstände so angepaßt werden, daß – wie es in der Entschließung heißt – der Brand- und Katastrophenschutz in Österreich nicht gefährdet und die verdienstvolle Arbeit der Freiwilligen Feuerwehren nicht behindert werden.

In der Ausschußsitzung vom 9. März, also in der Ausschußsitzung, die vorgestern hier stattgefunden hat, habe ich an alle Ausschußmitglieder appelliert, den vorliegenden Antrag einhellig zu beschließen. Daher, Kollege Weilharter, tun Sie nicht so, als würde es hier keine Einhelligkeit geben. Es gab eine Einhelligkeit in der Ausschußsitzung, und ich möchte auch Dank hiefür sagen, weil ich glaube, daß das ein Signal für die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehren ist, das über das Bundesland Niederösterreich hinaus in alle Bundesländer ausstrahlen wird.

Das ist geschehen, und ich betrachte das als ein Signal. Ich denke, es ist ein Signal, das wir – und da, glaube ich, können wir auch einer Meinung sein – den 316 000 freiwilligen Helfern schuldig sind. Niemand in den Reihen der Freiwilligen Feuerwehr hätte Verständnis dafür, wenn Formalismen hier im Hohen Haus in den Vordergrund gestellt werden würden, während draußen in den Gemeinden die Frauen und Männer im Dienst für den Nächsten Kopf und Kragen riskieren, und zwar Kopf und Kragen riskieren im wahrsten Sinne des Wortes: 1997 waren es in Niederösterreich 437 Feuerwehrmitglieder, die zum Teil schwer verletzt wurden, und ein freiwilliger Helfer ist beim Einsatz zu Tode gekommen. Ihrer sollten wir heute gedenken, wenn wir – dafür danke ich nochmals allen Ausschußmitgliedern – einen einhellig angenommenen Antrag zur Vorlage bringen.

In diesem Sinne wollen wir heute als Landesvertreter dazu beitragen, daß aus Demotivation wieder Motivation wird – Motivation, den Mitmenschen zu helfen. – Ich danke Ihnen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

12.57

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächstem Redner erteile ich Herrn Bundesrat Peter Rieser das Wort.

12.57

Bundesrat Peter Rieser (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Diese Debatte zum Führerscheingesetz, der Entschließungsantrag zu dieser Novelle beziehungsweise der Wunsch, der von uns allen ausgeht, gerade für die Fahrer von Einsatzfahrzeugen etwas zu unternehmen, gibt uns die Möglichkeit, hier neuerlich über dieses Gesetz zu diskutieren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das neue Führerscheingesetz, das am 1. November 1997 in Kraft getreten ist, löste die bisherigen Bestimmungen im Kraftfahrzeuggesetz ab. Aus


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Mangel an genauen Vorarbeiten und wegen der Nichtberücksichtigung zahlreicher Einwände aus den Ländern zeigt sich bereits jetzt in der praktischen Anwendung, daß das Führerscheingesetz – und ich betone es – äußerst schlampig formuliert wurde und zahlreiche Folgen nach sich zieht, die keiner von uns wollte. Bleiben wir bei der Wahrheit! (Bundesrat Waldhäusl: Aber mitbeschlossen habt ihr es!) Ja. (Beifall des Bundesrates Weilharter. )

Das überbürokratisierte Führerscheingesetz stellt die Verwaltung vor große Vollziehungsprobleme (Bundesrat Waldhäusl: Selber schuld!)  – okay! – und bereitet den Bürgern zahlreiche Unannehmlichkeiten.

Dem Hohen Haus wurde beim Führerscheingesetz – wie auch bei anderen Gesetzen – immer nur der Novellierungstext vorgelegt, meine sehr verehrten Damen und Herren, und man hatte daher kaum die Möglichkeit, den gesamten Text zu lesen. Das passiert uns auch bei anderen Gesetzesnovellierungen. Seien wir doch ehrlich! Sprechen wir dieses Thema auch einmal an! (Bundesrat Waldhäusl: Das heißt, du hast einem Gesetz zugestimmt, das du gar nicht gelesen hast!) Ich habe diese Novellierung gelesen, mein lieber Herr Kollege Waldhäusl, aber das Problem dabei ist –  ich werde in meinen Ausführungen noch darauf zu sprechen kommen – diese Änderung von der Vorschrift zur Bedingung. Der Novellierungstext wurde von uns allen sicherlich gelesen.

Ich trenne hier zwischen allgemeiner und spezieller Kritik. Die Schaffung eines komplizierten Systems dieses Führerscheingesetzes, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat drei Durchführungsverordnungen notwendig gemacht, nämlich eine Gesundheitsverordnung, eine Durchführungsverordnung und eine Fahrprüfungsverordnung. Hinzu kommt eine personelle intensive Vollziehung der komplizierten Antragsformulare für den Führerschein. Und in vielen Fällen sind zusätzliche Führerscheinduplikate erforderlich, zum Beispiel bei Namensänderung, Streichung einer Befristung und so weiter. Die Vorschreibungen von Auflagen wurden generell, Herr Kollege Waldhäusl, als Bedingung im Führerscheingesetz ausgewiesen. Die weitgehende EDV-Erfassung – ich möchte mich auch mit dieser Problematik auseinandersetzen – vieler persönlicher Daten und der neue EDV-Datenverbund der Führerscheinkarteien sind nicht nur verwaltungsintensiv, sondern schaffen auch den gläsernen Menschen.

Hohes Haus! Die Lenkerberechtigung wurde zu einer Lenkberechtigung gemäß § 40 Abs. 4 und 5. Als Härte empfinden wir, daß eine Verlängerung von nur fünf Jahren, jedoch maximal bis 1. 11. 2002 – laut Text – möglich ist. Diese Bestimmung ist nicht verständlich, und es stellt sich für mich daher die Frage: Was ist nach dem 1. 11. 2002?

Wir haben vorhin die 0,1-Promille-Grenze für Lenker der Klasse C mit mehr als 7,5 Tonnen Höchstgewicht diskutiert. Kollege Penz, Kollege Grasberger und auch Kollege Weilharter haben das angesprochen. Durch diese Bestimmung mußten praktisch alle freiwilligen – ich betone: freiwilligen – Fahrer der Feuerwehren auf jeglichen Alkoholkonsum verzichten, da ein Einsatz naturgemäß nicht vorhersehbar ist.

Ich war am vergangenen Freitag bei einer Generalversammlung einer Freiwilligen Feuerwehr im Rüsthaus, und natürlich haben die Feuerwehrkameraden bei dieser Generalversammlung Bier getrunken. Um 23.30 Uhr ertönte genau dort die Sirene, es war ein Einsatz notwendig. Aufgrund der Verunsicherung, die wir gegenwärtig diskutieren, haben jene fünf Feuerwehrkameraden, die den C-Schein hatten und mit dem Tanklöschfahrzeug hätten ausfahren müssen, die Ausfahrt verweigert. Es mußte der "Florian" angerufen werden, und die Feuerwehr des Nachbarortes kam dann zum Einsatz.

Die von Herrn Bundesminister Schlögl vorgeschlagene Straflosigkeit bis 0,5 Promille für Feuerwehren wegen eines entschuldbaren Notfalles ist nach meinem Rechtsempfinden gesetzlich nicht gedeckt, da die Behörden trotzdem ein Strafverfahren einleiten müssen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage – wir haben das heute schon gehört –: Wer haftet bei einem Unfall? – Ohne gesetzliche Deckung in diesem Zusammenhang wird sich sicherlich jede Versicherung freihalten. Eine Novelle, in der alle freiwilligen Lenker von Einsatzfahrzeugen berücksichtigt werden sollen, ist daher unbedingt notwendig.


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Gerade dieser Entschließungsantrag, meine sehr verehrten Damen und Herren, beinhaltet zum Beispiel im Punkt 1 – die angekündigten Ansätze sind im Interesse der Freiwilligen Feuerwehr und somit im Interesse der Allgemeinheit sobald wie möglich umzusetzen – eigentlich auch deinen Vorschlag, Herr Kollege Weilharter! (Bundesrat Dr. Tremmel: Nur unserer ist exakter! Da macht man wieder etwas verschwommen! – Zwischenruf des Bundesrates Weilharter. )

Wir sind der Auffassung, Herr Kollege Tremmel, daß dieses Gesetz ohnehin insgesamt novelliert werden soll, also nicht nur hinsichtlich 0,1 oder 0,5 Promille. (Bundesrat Dr. Tremmel: Richtig!) Es gibt so viele Haken. (Bundesrat Dr. Tremmel: Vor drei Sitzungen habe ich genau das gesagt! – Bundesrat Waldhäusl: Man kann gescheiter werden!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorhin kritisierte Lösungsansatz des Herrn Bundesministers mag für die Medien interessant sein, ist aber rechtlich nicht gedeckt. Die Erklärung, die ich einer Zeitung entnommen habe, daß die Ausnahmeregelung des § 26 Abs. 2 für Einsatzfahrzeuge auch die Alkoholbestimmung betrifft, ist nicht richtig. § 26 Abs. 2 betrifft nur Verkehrsverbote und Verkehrsbeschränkungen, das sind die allgemeinen Fahrregeln des § 7 der Straßenverkehrsordnung. Die Promillegrenzen betreffen jedoch die Verkehrszulässigkeit des Fahrers und fallen nicht unter die allgemeinen Fahrregeln der Straßenverkehrsordnung wie Einbahnbeschränkungen, Rechtsfahrverbot und so weiter.

Aufgrund der neuen Bestimmungen über die Fahrprüfungen kommt es laut Angaben der Fahrschulbesitzer zu massiven Verteuerungen. – Man muß dieses Thema bei dieser Gelegenheit ansprechen. Führerscheinprüfungen der Gruppe B, die gegenwärtig zwischen 12 000 S und 15 000 S kosten, werden ab 25. Mai 1998 19 000 S betragen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Frau Bundesministerin! Es kann nicht akzeptiert werden, daß Vereinfachungen des Prüfungsablaufes – es wurde uns immer wieder gesagt, der Computereinsatz bringe eine Vereinfachung – zu massiven Verteuerungen führen. Fahrschulen dürfen nicht unter dem Vorwand der hohen Kosten auf dem Rücken der meist jungen Menschen Zusatzgewinne erwirtschaften – Erhöhungen ja, aber moderat und dem Kostenaufwand angemessen. Der Geschäftsführer des Fachverbandes der Fahrschulen beziffert die Investitionskosten für die Fahrschulen – man staune – mit zirka 100 000 S, was für den einzelnen Fahrschüler zirka 200 S kalkulierte Extrakosten bedeuten würde. Eine darüber hinausgehende Erhöhung ist unakzeptabel.

Frau Bundesministerin! Sie vertreten heute hier den Innenminister, und wir verlangen in diesem Zusammenhang geeignete Schritte. Wenn heute ein Unternehmen eine Maschine ankauft, die 1 Million kostet, wird deswegen die Arbeitsleistung morgen auch nicht teurer. Das ist der freie Wettbewerb, meine sehr verehrten Damen und Herren! Man kann nur hoffen, daß es eine mutige Fahrschule in Österreich gibt, die sich zur Wahrheit bekennt, denn man kann nicht alles Länge mal Breite umlegen.

Im § 25 Abs. 3 des Führerscheingesetzes ist vorgesehen, daß bei Entzug des Führerscheines eine Nachschulung zu absolvieren ist. Wie die Praxis jetzt schon zeigt, entstehen in diesem Zusammenhang große Probleme. Die Entziehungsdauer bei Anordnung von begleitenden Maßnahmen endet nicht, wie wir diskutiert haben und wie es der Gesetzgeber wollte, mit einem bestimmten Datum. Wenn der Nachzuschulende nicht auf Eigeninitiative einen Termin bekommt, muß er warten, bis er den Führerschein wieder bekommt.

Damit liegt es auf der Hand, daß das Kuratorium für Verkehrssicherheit, welches quasi eine Monopolstellung auf diesem Gebiet hat, die Entziehungsdauer verlängern kann, wenn kein Termin für eine Nachschulung gegeben ist. Ich verlange daher, daß die frühere Rechtslage, wonach die Bestätigung "Anmeldung zur Nachschulung" als Nachweis für die Ausfolgung des Führerscheines  ausreichend  war,  wiederhergestellt  wird. Es  kann  nicht  so  sein,  daß  derjenige, der  ein Vergehen begangen hat und den Führerscheinentzug hinnehmen mußte – wir bekennen uns dazu –, nur deswegen, weil er beim Kuratorium für Verkehrssicherheit keinen Termin bekommt, sechs Monate warten muß. Das ist und war nicht im Interesse dieses Hauses. (Bundesrat


Bundesrat
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637. Sitzung / Seite 50

Weilharter: Wenn er ein Rechtsmittel ergreift, geht alles!) Es ist so: Wenn es keinen Termin gibt, gibt es eben keinen Termin!

Weiters: Mit dem Inkrafttreten des Führerscheingesetzes wird die Verpflichtung, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, des Tragens von Brillen beim Lenken von Kraftfahrzeugen nicht mehr wie früher – und auch heute noch in allen übrigen EU-Ländern üblich – als Auflage, sondern – hier ist Österreich Vorreiter – als Bedingung festgelegt. Die Nichterfüllung der Auflage hatte höchstens eine Bestrafung von 100 S bis 500 S zur Folge. Die Nichterfüllung der Bedingung des Tragens von Brillen beim Lenken von Kraftfahrzeugen führt dazu, daß jemand zum Zeitpunkt des Lenkens ohne Brille nicht im Besitz einer gültigen Lenkerberechtigung ist. Dies bedeutet eine Mindeststrafe von 5 000 S, den Entzug der Lenkerberechtigung und keinen Versicherungsschutz während der Fahrt – laut § 8 Abs. 4 Führerscheingesetz in Verbindung mit § 7 Abs. 3 Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung.

Herr Kollege Waldhäusl! Darüber haben wir nicht diskutiert, und das konnte auch aufgrund der Verordnung, die dann erlassen wurde, nicht festgestellt werden.

Ein Kraftfahrer, der Zugfahrzeug und Anhänger mit einem höchstzulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 Tonnen lenkt, ist verpflichtet, daß die Gruppe E im Führerschein eingetragen ist. Früher wurde ein Überschreiten des Gesamtgewichts von 3,5 Tonnen als Verwaltungsübertretung geahndet, wenn der Kraftfahrer im Besitz eines B-Führerscheines war. Die Zeiten haben sich aber geändert: Heutzutage fährt man vielleicht einen Jeep, der zirka 2,5 Tonnen wiegt, führt einen Anhänger mit, auf dem ein Stück Rind transportiert wird, und gleich ist das Gesamtgewicht von 3 500 Kilogramm überschritten; früher Vorschrift, heute Bedingung. Mindeststrafe: 5 000 S, drei Monate Führerscheinentzug – auch das ist in der Verordnung nachzulesen.

Diese Situation bedeutet gerade für Landwirte eine Schikane, da sich zwar gegenüber früher nichts geändert hat, heute aber drei Bereiche abkassieren: Zuerst die Fahrschule, da der Führerschein neu gemacht werden muß, dann die Bezirksverwaltungsbehörde und zum Schluß der Finanzminister.

Gemäß § 14 Abs. 5 des Führerscheingesetzes hat jeder Führerscheinbesitzer eine Änderung seines Familiennamens – wenn er heiratet – oder eine Änderung des Ortes seines Hauptwohnsitzes binnen sechs Wochen der nunmehr örtlich zuständigen Führerscheinbehörde anzuzeigen. Wer diese Anzeige unterläßt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe, von 500 S bis 30 000 S zu bestrafen, Hohes Haus!

Diese Gesetzesbestimmung – das ist meiner Meinung nach in diesem Zusammenhang das Gravierende – wurde ohne Übergangsbestimmung, Frau Bundesministerin, rückwirkend mit 1. November 1997 in Rechtskraft gesetzt. Dieses Gesetz gilt nach Aussage von Verwaltungsjuristen auch für Menschen, die vor 20 oder 25 Jahren aufgrund einer Verehelichung ihren Wohnsitz gewechselt haben.

Es klingt vielleicht paradox, doch wenn man im Verkehrsministerium oder im Innenministerium anruft, bekommt man diesbezüglich keine identischen Aussagen. Ist es also tatsächlich so, sehr geehrte Frau Bundesministerin, daß so mancher Beamter oder Jurist das Gesetz so interpretieren kann, wie er glaubt, oder gibt es hier eine gesetzgebende Körperschaft, ein Hohes Haus, das die Gesetze zu beschließen hat?

In § 17 Abs. 4 des Führerscheingesetzes wird die Gesundheitsverordnung beschrieben: Eine ergänzende amtsärztliche Untersuchung hat zu erfolgen, wenn ein Bewerber für eine Lenkerberechtigung – man höre richtig – den theoretischen Teil der Fahrprüfung fünfmal, den praktischen viermal nicht bestanden hat. Unklar ist, wann eine Ergänzungsuntersuchung stattzufinden hat, wenn der Bewerber im theoretischen und praktischen Teil versagt hat. Das Pariser Abkommen – es wurde schon oftmals in den Zeitungen zitiert – zu erwähnen wurde hiebei übersehen; daher gilt nach wie vor, daß lettische, litauische, andorranische, besonders aber Schweizer Staatsbürger strenggenommen keine Fahrerlaubnis hätten.


Bundesrat
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637. Sitzung / Seite 51

Das Wiener Abkommen wurde bereits von uns angesprochen und auch in einer parlamentarischen Anfrage behandelt. Am 17. Dezember 1997 wurde vom Bundesrat ein Entschließungsantrag einstimmig verabschiedet. Es hat sich in diesem Zusammenhang nichts Neues getan. Ich frage mich daher schon, wenn es bis heute, den 12. März 1998, keine Reaktion darauf gibt, was mit unserem Antrag vom 17. Dezember 1997 geschehen ist.

Ganz kurz noch: Ein sehr interessanter Punkt, Hohes Haus, ist die Überprüfung des Farbsehens in der Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung. Diese ist nicht mehr vorgesehen. Es stellt sich daher die Frage, ob dies beabsichtigt war oder einfach vergessen wurde. Soll es wirklich rot-grün-farbenblinde Busfahrer geben?

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch noch ein Wort zur Alkoholtestverweigerung: Jemand, der einen Alkoholtest verweigert, ist bessergestellt. Dieses Delikt führt – im Gegensatz zu einer nachgewiesenen Alkoholisierung – nämlich nie zu einer verpflichtenden Nachschulung für Probeführerscheinbesitzer. Eine vorläufige Abnahme des Führerscheins bei Testverweigerung gibt es nur dann – laut Verordnung –, wenn deutliche Symptome einer Beeinträchtigung durch Alkohol vorhanden sind. Hingegen ist bei nachgewiesener Alkoholisierung von 0,8 Promille und mehr der Führerschein auf jeden Fall abzunehmen.

Es würde zu weit führen, Hohes Haus, auf all diese Fragen einzugehen, die ein Beamter des Innenministeriums auf 400 Seiten aufgeschrieben hat. (Bundesrätin Crepaz: Was hat das mit der Feuerwehr zu tun?) Wir sprechen, liebe Frau Kollegin, über das Führerscheingesetz und die Promillegrenze. (Bundesrätin Crepaz: Nein, nein!) Es geht jetzt endlich auch darum, jene Dinge vorzubringen, die wir einfach sagen möchten.

Bemerkenswert ist es meiner Ansicht nach schon, liebe Frau Kollegin – auch wenn Sie fragen, was das mit der Feuerwehr zu tun hat –, daß gegenwärtig zum Führerscheingesetz sieben Verfassungsklagen anhängig sind und daß Experten die Meinung vertreten, daß die 0,5-Promille-Grenze aufgrund einer Überschneidung mit § 14 Abs. 8 der Straßenverkehrsordnung sicherlich vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben werden wird. Die Kommunikation zwischen Verkehrsministerium und Innenministerium läßt mehr als zu wünschen übrig. Die verschiedenen Auslegungen des Gesetzes durch die Experten unter den zuständigen Beamten sind verwirrend.

Auch § 20 Abs. 4 – das wurde bereits in der Ausschußsitzung diskutiert – ist zum Beispiel verwirrend: "Die Lenkerberechtigung für die Klasse C darf nur für fünf Jahre, ab dem 60. Lebensjahr nur mehr für zwei Jahre erteilt werden. Für jede Verlängerung ist ein ärztliches Gutachten gemäß § 8 erforderlich. Die zur Erlangung dieser Verlängerung und des ärztlichen Gutachtens erforderlichen Schriften sind von Stempelgebühren befreit." – Unsere gestrige Anfrage, wie es tatsächlich ausschaue, hat gezeigt, daß man in Österreich sehr interessante Dinge erleben kann: Eine Bezirksverwaltungsbehörde verlangt 350 S plus zweimal 180 S – das sind insgesamt 710 S –, obwohl das Gesetz dies nicht vorsieht, meine sehr verehrten Damen und Herren! In einem anderen Bundesland erfährt man analog dazu, daß weit über 1 000 S dafür zu zahlen seien! – Hier muß ich mir schon folgende Frage stellen: Ist dieses Gesetz ein reines Geldbeschaffungsgesetz geworden, oder wollte man damit etwas Gutes tun? (Beifall des Bundesrates Weilharter.  – Bundesrat Mag. Gudenus: So ist es!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte daher um Verständnis: Wir alle werden gemeinsam danach zu trachten haben, daß das wieder repariert wird! Das kann nicht auf dem Rücken der Bürger ausgetragen werden! Der Herr Bundespräsident hat vorhin hier etwas sehr Treffendes gesagt, nämlich daß die Jugend abseits steht und demokratieverdrossen ist. – Das sind die Ursachen, meine sehr verehrten Damen und Herren, und daher sind wir dazu verpflichtet, das sofort zu reparieren! (Beifall bei der ÖVP sowie der Bundesräte Dr. Tremmel und Eisl. )


Bundesrat
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637. Sitzung / Seite 52

13.22

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächstem Redner erteile ich Herrn Bundesrat Mag. John Gudenus das Wort. – Bitte.

13.22

Bundesrat Mag. John Gudenus (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich mir die Ausführungen meines Vorredners, der – so glaube ich – zu Recht vernichtende Kritik an einem Gesetzeswerk ausgesprochen hat, so angehört habe, kann ich mir nur vorstellen, daß die Anliegen der Freiheitlichen von Ihnen allen ebenfalls unterstützt werden können.

Kollege Rieser meinte ganz richtig, daß nicht auf dem Rücken der Bürger der Republik gehandelt werden darf. Einen Punkt haben Sie dabei vielleicht zu erwähnen vergessen: Dieses Anliegen darf nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden. Da sind Sie doch mit mir einer Meinung? – Solche Dinge gehören doch beherzt angegangen und durchgeführt, oder nicht? Stimmt doch, Herr Kollege? (Bundesrat Richau  – den Antrag der ÖVP in die Höhe haltend –: Wir brauchen schnellere Aktivitäten für die Feuerwehr! Das dauert zu lange!) Ja! Sie weisen ganz richtig auf Ihren Antrag hin. (Bundesrat Richau: Das dauert zu lange, deswegen der Antrag mit Punkt 1 und 2!) Ja! Sie haben schon recht; nur: Greifen Sie zu! Nehmen Sie die Chance wahr! (Bundesrat Richau : Herr Kollege! Ihr Antrag dauert zu lange!) Sehr geehrter Herr Kollege! Ich gebe Ihnen in weiten Bereichen recht, wenn Sie uns recht geben, daß dieses Problem schnell angegangen werden muß. Das ist uns allen ein Anliegen! Ihr Kollege hat ganz richtig gesagt: Das ist schlampig formuliert. – Sie haben recht! Es ist schlampig formuliert worden! Wir müssen diese schlampigen Formulierungen gemeinsam verbessern.

Vor wenigen Wochen hat Kollege Konečny davon gesprochen, daß Sie von den Regierungsparteien Partner der Regierung sind. Sie sind sehr wohl Partner der Regierung, und wir Freiheitlichen sind Partner der Bevölkerung – sozusagen Partner der freiheitlichen Feuerwehren. Wir sind die Partner der freiheitlichen Feuerwehr! (Bundesrat Payer: Der Freiwilligen Feuerwehr! – Bundesrat Richau: Der Freiwilligen!) Sie wollen sagen: Freiwillige Feuerwehr? – Ganz richtig, der Freiwilligen Feuerwehr. Danke für den Hinweis! (Bundesrat Prähauser: Politik aus der Feuerwehr heraus!) Sie wissen auch ganz genau, Herr Kollege, daß Dinge in Gesetzestexten festgehalten werden müssen und keine Ministerworte erforderlich sind, denn sonst wird nichts umgesetzt. (Bundesrat Richau: Dieses Gesetz dauert zu lange!)

Hier liegt der Antrag der Freiheitlichen samt seiner Begründung vor. Es fehlt nur noch, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, daß Sie diesen Antrag mitunterschreiben. Es gibt einen Gesetzestext und auch einen Antrag auf Verlangen nach einer namentlichen Abstimmung. (Bundesrat Richau: Eine Verzögerung kann man nicht unterschreiben!) Herr Kollege! Von den Freiheitlichen liegt ein Antrag auf namentliche Abstimmung, an dem teilzunehmen ich Sie auffordere, vor.

Nehmen Sie zumindest derzeit – vor den niederösterreichischen Landtagswahlen; in Niederösterreich, so hat Kollege Penz richtig gesagt, gibt es 85 281 freiwillige Feuerwehrleute und 1 663 Freiwillige Feuerwehren – die Chance wahr! Geben Sie diesen Feuerwehrleuten die Rechtssicherheit, ihren Einsatz sozusagen ad hoc gesetzeskonform durchführen zu können! Es fehlt doch nur noch das Vorkommnis, daß ein Feuerwehrmann einmal sagt: Nein, heute fahre ich nicht mit. Ich habe nämlich heute in der Früh schon meine vier Bier getrunken. Auf dieses Risiko lasse ich mich gar nicht ein. (Bundesrat Meier: Es ist ein Wahnsinn, die Feuerwehrleute als Säufer hinzustellen!) Diesem Risiko setzen Sie die Feuerwehrleute aus! (Bundesrätin Schicker: Genau dagegen verwahren sich die Feuerwehrleute, nämlich als Säufer hingestellt zu werden!)

Wir Freiheitlichen, meine Damen und Herren, unterstützen Ihren Entschließungsantrag. Wir Freiheitlichen meinen aber auch, daß Ihrem Entschließungsantrag nach der Ziffer 2 ein weiterer Punkt 3 angefügt werden muß, daher wiederhole ich:

Zusatzantrag

der Bundesräte Engelbert Weilharter und Kollegen betreffend Sicherung der Einsatzbereitschaft der Freiwilligen Feuerwehren


Bundesrat
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637. Sitzung / Seite 53

Der Bundesrat möge beschließen:

Die im Ausschußbericht abgedruckte Entschließung wird wie folgt geändert:

Nach Z 2 wird angefügt:

"3. Im Zuge der nächsten Novelle des Führerscheingesetzes ist eine gesetzliche Regelung vorzusehen, die die Vereinbarung der Regierungsmitglieder mit Vertretern der Freiwilligen Feuerwehren in rechtlicher Hinsicht einwandfrei und alle Zweifel umfassend umsetzt."

*****

Ich bitte Sie: Stimmen Sie auch zu, daß wir diesen Punkt 3 beifügen! Wir stimmen Ihrem Entschließungsantrag zu, Sie stimmen unserem Zusatzantrag zu, und in weiterer Folge stimmen Sie auch unserem Antrag auf ein Bundesgesetz, mit dem das Führerscheingesetz geändert werden soll, zu.

Erleichtern Sie, als Partner der Regierung, der Regierung das Arbeiten, sonst sind Sie ein schlechter Partner! (Bundesrat Dr. Tremmel: Wir als Partner der Bürger und Arbeiter!) Wir haben den Gesetzestext für die Regierung schon vorbereitet. Übernehmen Sie den Gesetzestext der Freiheitlichen! Werden Sie mit uns Partner der Bürger, der Freiwilligen Feuerwehren und auch der Regierung! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

13.28

Vizepräsident Jürgen Weiss: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Herr Bundesrat Waldhäusl. – Bitte.

13.28

Bundesrat Gottfried Waldhäusl (Freiheitliche, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Werte Kollegen des Hohen Hauses! Als aktiver Feuerwehrmann – ich bin seit dem 15. Lebensjahr Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr in Klein-Göpfritz; es wird natürlich auch im Bierzelt im Zuge von Wettbewerben getrunken, das möchte ich gar nicht abstreiten (Bundesrat Ing. Penz: Hat Herr Gudenus Sie gemeint mit den vier Bier?)  – möchte auch ich einige Anmerkungen zu der heutigen Debatte machen.

Mein Vor-Vorredner Kollege Rieser hat es heute auf den Punkt gebracht. Ich möchte den Großteil dessen, was er gesagt hat, unterstreichen. Nur er hat das Recht, hier ein Gesetz zu kritisieren und etwas aufzuzeigen. Wenn ich als Freiheitlicher ein Gesetz so hinstelle und es als Pfusch bezeichne, dann heißt es gleich, daß die Freiheitlichen etwas miesmachen. Es freut mich, daß heute ein Kollege einer anderen Fraktion genau die richtigen Worte gefunden und dieses Gesetz entsprechend bezeichnet hat.

Ein Punkt, meine Damen und Herren, ist natürlich schon noch aufzuzeigen: Dieses Gesetz wurde in der letzten Sitzung hier im Hohen Haus im Bundesrat mit den Stimmen von ÖVP und SPÖ beschlossen (Bundesrat Richau: Einspruch!), obwohl heute davon gesprochen worden ist, daß die Länderrechte – Einwände der Länder, Einwände von Feuerwehren, Einwände von Institutionen im Interesse der Freiwilligen Feuerwehren – nicht berücksichtigt worden sind.

Meine Damen und Herren! Es wäre doch wohl logisch gewesen, als Vertreter der Länder in der Länderkammer ebendieses Gesetz im Interesse der Feuerwehren zu verhindern und nicht zuzustimmen, wobei man die Freiwilligen Feuerwehren wissentlich schädigt. Das, meine Damen und Herren, ist purer Verrat an jeder Freiwilligen Feuerwehr der Republik Österreich! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Weil am 22. März 1998 in Niederösterreich Landtagswahlen sind, kommen jetzt Redner von ÖVP und SPÖ ans Rednerpult und treten als Verteidiger der Feuerwehren auf. Vor vier Wochen sind diese noch den Feuerwehren in den Rücken gefallen, heute treten sie als die Verteidiger der Freiwilligen Feuerwehren auf. Das, meine Damen und Herren, lasse ich nicht zu! (Bundesrat


Bundesrat
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637. Sitzung / Seite 54

Schöls: Haben Sie vor vier Wochen die Feuerwehren verteidigt? – Sie haben kein Wort bei der Beschlußfassung zu den Feuerwehren gesagt! Jetzt sind Sie draufgekommen, und jetzt spielen Sie sich auf! – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP. – Vizepräsident Weiss gibt das Glockenzeichen.)

Das, meine Damen und Herren, lasse ich nicht zu!

Mir wird immer wieder und vor allem von den Freiwilligen Feuerwehren, von meinen Kollegen gesagt: Was macht ihr in Wien? – Ihr beschließt ein Gesetz gegen uns. – Das, meine Damen und Herren, muß richtiggestellt werden. Dieses Gesetz ist gegen die Stimmen der Freiheitlichen beschlossen worden! (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Ich glaube schon, daß ihr euch ärgert. Wenn ich vor vier Wochen ein Gesetz gegen die Freiwillige Feuerwehr beschlossen hätte und heute diesen Fehler eingestehen müßte, meine Damen und Herren, dann würde ich mich auch ärgern. (Bundesrat Ing. Penz: Sie wissen nicht, wovon Sie reden!) Das, meine Damen und Herren, ist Faktum. Sie, Kollege Penz, sind einer von denjenigen, die die Freiwilligen Feuerwehren verraten haben. Sie sind der Oberverräter der Freiwilligen Feuerwehren, weil Sie heute am Rednerpult gewesen sind und die Unwahrheit gesagt haben. (Heiterkeit bei der SPÖ.)

Für Sie, Kollege Grasberger, wäre es auch besser gewesen, Sie wären zu Hause geblieben, dann hätten Sie diesen Unfug nicht mitbeschlossen! (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Meine Damen und Herren! Da stellt sich eindeutig die Frage der Glaubwürdigkeit. Was soll ein freiwilliger Feuerwehrmann noch glauben? Wem soll er noch glauben? – Meine Damen und Herren! Ich bin seit dem 15. Lebensjahr aktiv in meiner Ortsfeuerwehr tätig und habe ... (Zwischenruf bei der ÖVP.)

Herr Präsident! Ich verwahre mich dagegen, daß jemand sagt, ich rede einen Blödsinn. Ich glaube, daß in diesem Hause jeder die Möglichkeit haben sollte, in Sachen Feuerwehren zu sprechen. Wenn ein Kollege des Bundesrates die Feuerwehren und das, was ich über die Feuerwehren sage, als Blödsinn bezeichnet, dann beleidigt er jeden Feuerwehrmann! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Heiterkeit bei ÖVP und SPÖ. – Bundesrat Schöls: Das ist eine Anmaßung, was Sie da machen, Herr Kollege Waldhäusl!) – Ich lasse es nicht zu, daß man die Freiwillige Feuerwehr in diesem Haus auch noch beschimpft.

Doch was kommt heute? – Eine Verordnung wird beschlossen. Es wird aufgefordert, tätig zu werden, ein Entschließungsantrag, um einzuwirken, wird eingebracht. Doch, meine Damen und Herren, es bleibt das Gesetz. Es müßte das komplette Gesetz geändert werden. Dieser Pfusch in diesem Gesetz hätte vor vier Wochen nicht beschlossen werden dürfen. Es hätte zum Nationalrat zurückgewiesen werden müssen – im Interesse aller Betroffenen der Freiwilligen Feuerwehren, im Interesse von Kollegen Rieser, der heute diese Punkte genau aufgezeigt hat. Ich unterstreiche seine Einwände. Das ist eine Geldbeschaffungsaktion – letztendlich auch auf Kosten der Freiwilligen Feuerwehren. Und das, meine Damen und Herren, darf nicht sein! (Zwischenruf des Bundesrates Ing. Grasberger. )

Ich spreche heute auch deswegen zu diesem Thema, weil ich schon einmal – leider Gottes – die Freiwillige Feuerwehr tatsächlich gebraucht habe. Im Landtagswahlkampf vor fünf Jahren wurde mein Anwesen angezündet. Es war Brandstiftung. Nur durch den raschen Einsatz sämtlicher Feuerwehren des Bezirkes hat meine Familie überlebt, und es gab nur einen Sachschaden, nämlich in der Höhe von 4,5 Millionen Schilling, da mein Anwesen niederbrannte. Ich war unterversichert. Hätte die Freiwillige Feuerwehr, alle meine Kameraden, nicht so gehandelt, meine Damen und Herren, wüßte ich nicht, was aus mir und meiner Familie geworden wäre. Darum spreche ich hier für die Feuerwehren; darum trete ich für die Feuerwehren ein.

Ich lasse es nicht zu, daß man vier Wochen vorher ebendiesen Feuerwehren so etwas antut, und jetzt, vor den Wahlen, ist man plötzlich derjenige, der für die Feuerwehren eintritt. Das, meine Damen und Herren, kann nicht sein! Setzen wir dem ein Ende! Lehnen wir in Zukunft in die


Bundesrat
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637. Sitzung / Seite 55

sem Hause ein Gesetz ab, wenn man eine Berufsgruppe, wenn man Institutionen dabei schädigt. (Zwischenruf des Bundesrates Payer. )

In diesem Sinne fordere ich heute alle auf: Gehen wir gemeinsam in diese Richtung! Unterstützen wir beide Anträge – jenen der ÖVP und letztendlich auch denjenigen, der noch ein bißchen weiter geht, nämlich jenen der Freiheitlichen – und zeigen wir der Feuerwehr, daß es uns nicht um Politik in Institutionen geht, sondern darum, daß die Freiwillige Feuerwehr ordentlich arbeiten darf! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

13.36

Vizepräsident Jürgen Weiss: Wünscht noch jemand das Wort? – Herr Bundesrat Dr. Tremmel. – Bitte.

13.36

Bundesrat Dr. Paul Tremmel (Freiheitliche, Steiermark): Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Die Diagnose, die in bezug auf die Feuerwehr im Führerscheingesetz von den Vorrednern getroffen wurde, ist richtig. Ich möchte jetzt nicht nochmals die Punkte anführen, die in diesem Gesetz und in der diesbezüglichen Verordnung nicht richtig gehandhabt wurden.

Es findet eine Ungleichbehandlung statt. Es gibt Divergenzen mit dem Hauptwohnsitzgesetz, wenn ich an den Führerschein denke: Ablegungszeit, -ort, Hauptwohnsitz, Ummeldepflicht – all das möchte ich nicht mehr aufzählen. Es geht auch nicht nur um die Freiwilligen Feuerwehren. Es gibt noch andere ideelle Organisationen, die mit Einsatzfahrzeugen unterwegs sind: die Rettung, die Bergrettung, die Wasserrettung, der technische Hilfsdienst und viele andere mehr, die natürlich ebenso durch diesen Bereich betroffen sind. Rund 1,5 Millionen Menschen sind "ideell" tätig und könnten durch diese unklare gesetzliche Regelung betroffen werden.

Worum geht es mir? Worum ging es den Kollegen vorher? – Erstens um die Behebung der unklaren Bestimmungen im Führerscheingesetz in bezug auf Einsatzorganisationen und zweitens um die Absicht – darum geht es mir, und ich nehme an, Sie sind genauso daran interessiert –, daß wir eine gewisse Kompetenz und Wertigkeit des Bundesrates dartun können.

Die Aufgabe des Bundesrates ist es doch, Gesetze gegenzulesen. Es ist nicht nur uns, sondern den Kolleginnen und Kollegen von der ÖVP, aber auch denen von der SPÖ aufgefallen, daß es Ungereimtheiten in diesem Gesetz gibt. Ich darf Ihnen, meine Damen und Herren, bei allem Respekt vor Ihrer Unabhängigkeit vielleicht eine Möglichkeit aufzeigen, vielleicht einen Weg weisen:

Im Unterausschuß des Verkehrsausschusses des Nationalrates wird derzeit diese Materie behandelt. Es wäre doch gut – ich glaube, wir oder ein Großteil sind willens –, daß wir heute diese Punktationen, die uns beim Führerscheingesetz nicht passen, ehestmöglich dem zuständigen Ausschuß zuleiten könnten. Das wäre eine Möglichkeit, die wir hätten, und wir könnten in diesem Zusammenhang auch darauf hinweisen, meine Damen und Herren, daß der Bundesrat seiner Aufgabe gerecht geworden ist, entsprechend gegenzulesen und allfällige Fehler, die in diesem Gesetz vorhanden sind, aufzuzeigen, damit sie im entsprechenden Unterausschuß repariert werden können.

Der formale Weg wäre, daß wir das unserem Ausschuß zuweisen, diese Punktationen zusammenstellen und dann die entsprechende Entschließung an den Nationalrat richten. Das wäre eine Möglichkeit. Kollege Rieser und Sie, meine Damen und Herren von der ÖVP, haben die Kurzfristigkeit einer solchen Maßnahme erwähnt. Das wäre eine solche Möglichkeit.

Bitte nützen wir sie, im Sinne der Würde unseres Hauses und auch im Sinne der Exaktheit, mit der wir verpflichtet sind, Gesetze gegenzulesen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

13.40

Vizepräsident Jürgen Weiss: Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
637. Sitzung / Seite 56

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Das ist ebenfalls nicht der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung.

Zunächst stimmen wir ab über den Antrag des Ausschusses.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag des Ausschusses für öffentliche Wirtschaft und Verkehr auf Annahme der dem Ausschußbericht beigedruckten Entschließung ihre Zustimmung geben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit.

Der Entschließungsantrag ist somit angenommen. (E. 156)

Es liegt ein Zusatzantrag der Bundesräte Weilharter und Kollegen zum Antrag 104/A – dem eben beschlossenen – betreffend Sicherung der Einsatzbereitschaft der Freiwilligen Feuerwehren vor.

Es ist eine namentliche Abstimmung über diesen Zusatzantrag verlangt worden. Da dieses Verlangen von fünf Bundesräten gestellt wurde, ist gemäß § 54 Abs. 2 der Geschäftsordnung eine namentliche Abstimmung durchzuführen. Ich gehe daher so vor.

Im Sinne des § 55 Abs. 5 erfolgt die Stimmabgabe nach Aufruf durch die Schriftführerinnen in alphabetischer Reihenfolge mündlich mit "Ja" oder "Nein".

Ich ersuche nunmehr die Schriftführerinnen um den Aufruf der Bundesräte in alphabetischer Reihenfolge.

(Über Namensaufruf durch die Schriftführerinnen Markowitsch und Giesinger geben die Bundesrätinnen und Bundesräte ihr Stimmverhalten mit "Ja" oder "Nein" bekannt.)

Vizepräsident Jürgen Weiss: Die Stimmabgabe ist beendet. Es wird gleich das Ergebnis bekanntgegeben.

Ich gebe das Abstimmungsergebnis bekannt:

Bei der namentlichen Abstimmung stimmten 13 Bundesräte mit "Ja", 38 Bundesräte mit "Nein". Der Antrag ist somit abgelehnt.

*****

Mit "Ja" stimmten die Bundesräte:

Dr. Böhm, Bösch;

Eisl;

Mag. Gudenus;

Haunschmid;

Mühlwerth;

Ramsbacher;

Rieser, Dr. Riess-Passer;

Mag. Scherb;

Dr. Tremmel;

Waldhäusl, Weilharter.


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
637. Sitzung / Seite 57

Mit "Nein" stimmten die Bundesräte (laut namentlicher Abstimmungsliste 38 "Nein"-Stimmen):

Bieringer;

Crepaz;

Drochter;

Fischer, Freiberger;

Gerstl, Giesinger, Ing. Grasberger, Grillenberger, Gstöttner;

Hager, Haselbach, Mag. Himmer, Dr. Hummer;

Jaud;

Kainz, Konečny;

Dr. Liechtenstein, Dr. Ludwig, Lukasser;

Markowitsch, Meier;

Payer, Ing. Penz;

Ing. Polleruhs, Prähauser, Pühringer;

Rauchenberger, Richau, Rodek;

Schaufler, Schicker, Schöls, Steinbichler;

Vindl;

Mag. Wilfing, Winter, Wolfinger.

*****

3. Punkt

Gesundheitsbericht 1997 der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales (Berichtszeitraum 1993 – 1995) (III-172/BR und 5641/BR der Beilagen)

4. Punkt

Hebammenbericht der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales (III-173/BR und 5642/BR der Beilagen)

Vizepräsident Jürgen Weiss: Wir gelangen nun zu den Punkten 3 und 4 der Tagesordnung, über welche die Debatte unter einem abgeführt wird.

Es sind dies:

Gesundheitsbericht 1997 der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales (Berichtszeitraum 1993 – 1995) und

Hebammenbericht der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales

Die Berichterstattung über die Punkte 3 und 4 hat Herr Bundesrat Johann Payer übernommen. Ich bitte ihn um den Bericht.


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
637. Sitzung / Seite 58

Berichterstatter Johann Payer:
Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Meine Damen und Herren! Der Bericht des Gesundheitsausschusses über den Gesundheitsbericht 1997 der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales, Berichtszeitraum 1993 bis 1995, liegt schriftlich vor. Ich verzichte daher auf eine Verlesung, erlaube mir aber eine kurze Anmerkung. (Präsident Bieringer übernimmt den Vorsitz.)

In Ergänzung zur Diskussion im Ausschuß am Dienstag, dem 10. März, haben wir heute – ich habe das dem Vorsitzenden des Ausschusses übergeben – eine Information, die dort ad hoc nicht gegeben werden konnte, schriftlich erhalten. Ich danke Herrn Ministerialrat Dr. Aigner sehr für diese prompte Erledigung. Der Ausschußvorsitzende Dr. Tremmel wird natürlich in seiner Rede auch auf diesen Punkt eingehen.

Der Gesundheitsausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 10. März 1998 mit Stimmenmehrheit den Antrag, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen.

Zu Tagesordnungspunkt 4: Der Bericht des Gesundheitsausschusses über den Hebammenbericht der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales liegt ebenfalls schriftlich vor. Ich verzichte auf die Verlesung.

Der Gesundheitsausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 10. März 1998 mit Stimmenmehrheit den Antrag, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen.

Präsident Ludwig Bieringer: Ich danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein, die über die zusammengezogenen Punkte unter einem abgeführt wird.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dr. Paul Tremmel. Ich erteile ihm dieses.

13.47

Bundesrat Dr. Paul Tremmel (Freiheitliche, Steiermark): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Noch in meiner Rolle als Obmann des Gesundheitsausschusses und nicht als Debattenredner möchte ich mich ebenso beim zuständigen Ministerium, beim Herrn Ministerialrat, für eine sehr prompte und ordentliche Beantwortung einer im Ausschuß gestellten Frage bedanken. Es ist leider nicht immer so, daß die Ausschüsse des Bundesrates so exakt und ordentlich bedient werden. Herzlichen Dank dafür!

Es ging bei dieser Frage um die Ärztedichte pro Einwohnerschaft. Es waren 280 Einwohner pro Arzt im Bericht angeführt. Diese Zahl ist uns etwas "spanisch" vorgekommen, und wir haben sie hinterfragt. Nunmehr wurde die Ärztedichte geändert auf 315 Einwohner pro Arzt, allerdings sind hier die Zahnärzte miteingerechnet. Nicht eingerechnet sind die Turnusärzte. – Das ist die Mitteilung aus dem Ausschuß. Herzlichen Dank für die nachgelieferte Information!

Nun zur heutigen Debatte. – Meine Damen und Herren! Der Gesundheitsbericht 1997, der die Amtsführung mehrerer Minister und Ministerinnen umfaßt, betrifft die Jahre von 1993 bis 1995. Wie heißt es so schön – das wurde mir auch auf mein Redekonzept geschrieben –: Die Minister wechseln, die Beamten bleiben. – Also habe ich auch ein Gefühl der Sicherheit. Ich selbst bin Beamter.

Nichtsdestotrotz zum Inhalt dieses Berichtes. Die Frau Ministerin führt hier in ihrer Einleitung aus: "In der Abgrenzung zum jährlich herausgegebenen Gesundheitsstatistischen Jahrbuch liegt der inhaltliche Schwerpunkt des Gesundheitsberichtes an den Nationalrat" – und an den Bundesrat; ich würde bitten, in Zukunft hier auch den Bundesrat einzufügen – "auf der Standortbestimmung des österreichischen Gesundheitswesens. Er berücksichtigt insbesondere die historische Entwicklung und die internationalen Vergleichszahlen, die Gegenüberstellung der Aktivitäten des Gesundheitsressorts zu den gesundheitspolitischen Zielen der Bundesregierung sowie die Darstellung der Perspektiven der österreichischen Gesundheitspolitik." – So weit, so gut.


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Ich zitiere die Schlagzeile einer steirischen Zeitung vom Mittwoch, also von gestern. Hier heißt es: "Meningitis: Noch immer kein Impfstoff im Ennstal", und es wird im Artikel der Arzt zitiert, der vergeblich per Fax versucht hat, die benötigte Anzahl von Impfampullen – 700 Dosen des entsprechenden Impfstoffes – zu bekommen. Sie wurden ihm versprochen; geliefert wurden sie bis dato nicht.

Ich relativiere das dahin gehend, daß der zuständige Bezirksarzt gesagt hat, daß, wenn man von dieser Krankheit heimgesucht wird, das äußerst gefährlich ist, aber die Wahrscheinlichkeit, daß es dazu kommt, eine relativ geringe ist.

Andererseits und durchaus im Sinne Ihres Vorwortes, Frau Ministerin, stelle ich dem gegenüber die Angst der Eltern, aber auch die Angst der Schulleitungen, die gesundheitstechnisch nicht immer so genau informiert sind, wie das tatsächlich abläuft. Und hier wäre a) eine entsprechende Information vonnöten gewesen und b), da diese Krankheit leider Gottes schon länger kursierte und in der Steiermark erstmals aufgetreten ist, hätten die entsprechenden Mengen an Impfstoff zur Verfügung gestellt werden müssen, wie das in einem anderen Bundesland geschehen ist. Das ist in dieser Frage vorzuhalten.

Zum Bericht selbst. Der Bericht ist davon gezeichnet, daß er unter der Regentschaft mehrerer Minister entstanden ist, und es sind auch verschiedene Schwerpunkte herauszulesen. Einer der Schwerpunkte, die ich hier sehr vermisse, sind die Patientenrechte. Sie sind etwas stiefmütterlich behandelt worden; ich glaube, sie sind überhaupt unter den Tisch gefallen. Aber genau diese Fragen sind, wie man in den Sprechstunden des Patientenanwaltes hört, von höchster Aktualität. Die Beanspruchung des Patientenanwaltes ist zumindest in der Steiermark sehr groß. Es würde von großem Interesse sein, wie sich dieser Bereich entwickelt, auch deswegen, meine Damen und Herren, weil das in der Regierungserklärung ganz besonders hervorgestrichen wurde.

Es gibt noch andere Mängel, die aber teilweise durchaus erklärbar sind, zum Beispiel im Bereich der Statistik, die auf die EU-Statistik umgestellt wird. Zur neuen Berechnung ist zu sagen: Der BIP-Anteil beträgt nun 9,6 Prozent. 1 Prozent des BIP sind, so glaube ich, 25 Milliarden Schilling, also wären das 250 Milliarden, und der Anteil senkt sich somit wieder auf 8 Prozent. Also wenn ich die Relation der absoluten Summen betrachte, Frau Ministerin, dann ist mir nicht ganz klar, wie das gedacht ist.

Auch die Zahlen hinsichtlich des Gesundheitszustandes der Österreicher, der Resultat einer entsprechenden Gesundheitspolitik sein sollte, ist – ich möchte es nicht so sagen – geschönt. Es heißt da: "Verglichen mit anderen Industrieländern liegt Österreich bezüglich der Lebenserwartung seiner Wohnbevölkerung im Mittelfeld auf dem Niveau von Belgien, Deutschland und Luxemburg." – Und dann muß man nur den nächsten Satz lesen, um wieder in die Realität zurückgeführt zu werden: "Eine höhere Lebenserwartung haben bei beiden Geschlechtern Frankreich, Italien, Schweden, die Schweiz und Spanien. Unter den österreichischen Werten liegen Dänemark, Finnland, Portugal und die Türkei." – Also da müßte man sich doch fragen, warum das so ist.

Oder: Wir haben die höchsten Spitalsausgaben. Wie stellt sich das in Relation zum gesamten Gesundheitszustand der österreichischen Bevölkerung dar?

Oder: Wir haben etwa in Wien eine sehr große Ärztedichte, also erhebliche Gesundheits- und Sozialleistungen, und gleichzeitig eine relativ hohe Säuglingssterblichkeitsrate.

Oder die Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die besonders erwähnt werden: Wie ist das mit den Vorsorgeuntersuchungen, die in anderen Ländern hervorragend laufen und die auch bei uns angeboten werden? – Es gibt entsprechendes statistisches Material, aus dem man herauslesen kann, daß Hunderten, ja Tausenden Menschen, weil sie die Vorsorgeuntersuchung in Anspruch genommen hatten, nicht nur die Gesundheit, sondern manchmal sogar das Leben gerettet werden konnte und der Volkswirtschaft jeweils eine Arbeitskraft erhalten geblieben ist. – Auch das wäre von Interesse.


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Ich weiß schon, daß der Gesundheitsbericht ein Spiegel der Tätigkeit sein soll und nicht immer anregen kann. Aber trotzdem wären Anregungen durchaus vonnöten und auch gut.

Oder: Die Todesursache Unfall ist in Österreich häufiger als im gesamteuropäischen Durchschnitt. Von der Selbstmordrate rede ich gar nicht, da haben wir neben Ungarn einen europäischen Spitzenwert.

Die tabellarischen Darstellungen im Gesundheitsbericht – ich verstehe das – zeigen eher Bereiche, die zu positiven Schlüssen führen können. Es wäre interessant, im Bereich der Säuglingssterblichkeit, der Unfälle im Zusammenhang mit Alkohol, der Krebserkrankungen, Herztod und anderem mehr die Tendenz graphisch dargestellt zu sehen.

Die gescheiterten Vorhaben, die im Gesundheitsbereich ebenso vorhanden sind, wurden charmant umschrieben. Ich denke etwa an die Gemeinschaftspraxen, an die Gruppenpraxen. De facto gibt es sehr wenige beziehungsweise wurden sehr wenige gegründet. Im Bericht heißt es:

"In den letzten drei Jahren wurde die rechtliche Möglichkeit eines gesellschaftlichen Zusammenschlusses der freiberuflich Tätigen verbessert" – dann kommt das entsprechende Gesetzeszitat. – "Insbesondere wurde es den Freiberuflern ermöglicht, sich in Gesellschaften zusammenzuschließen. Die Verbesserungen sollten" – dieses Wort ist sozusagen mit Gänsefüßchen zu versehen, weil das erste Mal zum Ausdruck kommt, daß es nicht passiert ist – "im Berichtszeitraum auch den Ärzten durch ein Gruppenpraxengesetz beziehungsweise entsprechenden Änderungen des Ärztegesetzes zugänglich gemacht werden. Dabei erhoffte man sich auch eine verbesserte ärztliche Versorgung der Bevölkerung. Allerdings trat der diesbezügliche Gesetzentwurf nicht in Kraft." – Und dann heißt es weiter: "Der Standesvertretung der Ärzte, die zunächst den Gruppenpraxen skeptisch gegenüberstand, ging die im Entwurf geplante Liberalisierung nicht weit genug, während der Gesetzgeber der freiberuflichen Arzttätigkeit keinen zu starken Einschlag in Richtung Kapitalgesellschaften gehen wollte."

Warum hat man da nicht weiter verhandelt, und warum hat man das Ziel aus den Augen verloren, tatsächlich zu Gruppenpraxen zu kommen, die ein sehr guter Ausgleich zum Monopolcharakter der staatlichen Gesundheitsvorsorge wären?

Damit komme ich bereits zum nächsten Punkt, der mir ein besonderes Anliegen ist – nicht nur, weil es dabei um Arbeitsplätze geht, sondern weil das ein typischer Bereich für die private Vorsorge ist –: Das sind die privaten Krankenanstalten, die in dem neuen System meiner Meinung nach etwas unter die Räder kommen und die in diesem Gesundheitsbericht auch nicht erwähnt werden.

Ich nenne nochmals die Punkte, meine Damen und Herren, die in diesem Zusammenhang von besonderer Relevanz sind.

Erstens: Sie müssen die Verträge mit der Gebietskrankenkasse abschließen und haben daher keine Möglichkeit, Beträge einzufordern, anstatt daß man ein gewisses Leistungsniveau einführt, ab dem der Anspruch auf entsprechende Verhandlung besteht.

Seitens des Ministeriums und der Gebietskrankenkassen wird darauf geantwortet: Das sind private Gesellschaften! Das Ministerium hat zwar ein Kontrollrecht, aber die Gebietskrankenkassen agieren in ihrem Bereich selbständig! – Das genügt mir nicht, denn wir haben ein Gesundheitsministerium, und man hätte gewisse Vorgaben zu geben.

In anderen Bereichen gibt man sie ja, meine Damen und Herren! Zum Beispiel: Du bekommst nur einen Vertrag, wenn du deine Bettenzahl bis zum Jahr 2000 um soundso viel Prozent reduzierst. – Es kann doch nicht so sein, meine Damen und Herren, daß man eine Pression setzt, und zwar nicht nur gegenüber einem Wirtschaftskörper, sondern auch gegenüber einer Gesundheitseinrichtung, die durchaus gut ist. Der Private soll ein Wahlmöglichkeit haben, denn er finanziert seinen Aufenthalt in einem Sanatorium unter anderem auch durch eine Zusatzkasse.


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Dann kommt der nächste Clou: Die Einweisung ist nur mit chefärztlicher Zustimmung möglich. Warum, so frage ich mich, ist der Hausarzt nicht gut genug? Ist er nicht genauso dazu verhalten, entsprechend genau zu prüfen? – Er hat meist auch Kassenverträge. Warum muß dann der Chefarzt zustimmen? – Der arme Patient muß – meistens geht man nur dann in ein Krankenhaus oder in ein Sanatorium, wenn etwas akut ist – in diesem Zustand die langen Wege auf sich nehmen.

All das scheint mir darauf abzuzielen, diesen privaten Bereich, der eine möglicherweise entstehende Monopolsituation des staatlichen Gesundheitsbereiches durchaus einschränken könnte, zurückzudrängen. Das dürfte nicht sein.

Abgesehen davon sollten wir in der heutigen Zeit darauf achten, daß die Zahl der Arbeitsplätze erhalten oder, wenn es geht, sogar vermehrt wird. In diesem Bereich bestehen in Österreich insgesamt 30 000 Arbeitsplätze, und diese Zahl möchte man reduzieren – aus Gründen, die mir persönlich nicht ganz schlüssig sind.

Sehr geehrte Frau Ministerin! In der entsprechenden Beantwortung scheint als ein Argument dafür Kosteneinsparung auf. Dazu muß ich sagen: Ein Großteil wird doch mit Zusatzversicherungen finanziert. Das allein kann es nicht sein.

Vielleicht wäre es besser, wir würden uns nicht nur diesen Bereich – er gehört durchleuchtet, er gehört überprüft –, sondern auch den eigenen Bereich der Gesundheitsvorsorge anschauen, zum Beispiel den "Fonds gesundes Österreich", um zu sehen, wie dort die Mittel eingesetzt werden. Werden sie tatsächlich im Sinne der Satzung der Stiftung eingesetzt, oder legt man mehr Wert auf eine optimale EDV-Ausstattung und sieht den Satzungssinn, nämlich für eine gesunde österreichische Bevölkerung zu sorgen, nur etwas verschwommen? – Es wäre also eine Menge an Durchleuchtungsmöglichkeiten gegeben.

Weil wir gerade bei den Kosten sind: Ich glaube, es sind mehr als 500 Millionen Schilling bereits ausständig, weil es einen Gesetzesfehler gibt und ausländischen Patienten nicht immer die Leistungen in Rechnung gestellt werden oder aus bestimmten Gründen nicht gestellt werden können. Aufgeregt haben sich in diesem Zusammenhang nicht die Wiener, sondern kleinere Bereiche, die genauer gestionieren und rechnen müssen.

Führen Sie sich folgendes vor Augen, meine Damen und Herren: Sie als österreichischer Staatsbürger, als österreichische Staatsbürgerin fahren ins Ausland, etwa in die Schweiz oder in die USA, sie haben dort selbstverständlich Bares vorzulegen, wenn sie in ein Krankenhaus aufgenommen werden wollen, oder sie haben dort eine entsprechende Versicherung abgeschlossen. – All das ist bei uns nicht der Fall.

Es ist klar, daß die Menschen behandelt werden sollen, aber es gibt in diesem Bereich eine Art Tourismus – zum Beispiel in der Steiermark, dorthin kommen Personen aus Slowenien –, und die Abrechnung wird dann irgendwie abgewickelt. Der Prozentsatz dieser Menschen, die dort in den Praxen behandelt werden sollen, beträgt oft beinahe 50 Prozent.

Es gäbe in diesem Zusammenhang noch andere Dinge zu erwähnen; den Bereich des Hebammengesetzes wird Kollege Bösch noch besonders erläutern. Ich weise nur darauf hin, daß Kollegin Haunschmid zu diesem Punkt einen Entschließungsantrag einbringen wird, der sich mit der Meningitis-Erkrankung befaßt.

Ich selbst darf einen Entschließungsantrag vorlegen, dessen Inhalt ich bereits angedeutet habe, er betrifft den Kostenersatz bei ausländischen Patienten in österreichischen Krankenhäusern.

Österreichs Spitäler sind wegen eines Gesetzesfehlers seit Anfang 1997 nicht in der Lage, ihren ausländischen Patienten Rechnungen zu stellen. Allein für 1997 sind ausländische Patientenrechnungen mit einem Gesamtbetrag von mehr als 500 Millionen Schilling offen.

Eine Bemerkung dazu: Frau Ministerin! Stimmt dieser Betrag, oder ist er höher oder geringer? (Bundesministerin Hostasch: Das stimmt nicht mehr!) Er stimmt nicht mehr, Sie werden mir


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dann sagen, wie hoch er ist. Aber allein die Tatsache, daß es dazu gekommen ist, ist schon bedauerlich.

Wenn Sie meinen, es stimme nicht mehr, daß das Finanzministerium den einzelnen Landesfonds das entgolten hat, dann ist das nicht richtig, da das wieder ein Entgelten aus Steuermitteln ist. Letztlich sollte derjenige die Leistung erbringen, der die Einrichtungen des Krankenhauses in Anspruch nimmt. – Aber wenn die Zahl nicht stimmt, dann bitte ich, mich zu korrigieren.

Alarm schlugen interessanterweise – ich habe das schon ausgeführt – vor allem kleinere Krankenanstalten, zum Beispiel der Tiroler Krankenanstaltenfinanzierungsfonds. Der Salzburger Fonds rechnet für 1997 mit Ausfällen in Höhe von 110 Millionen Schilling.

Daß die Österreicher im Ausland ihre Behandlungskosten sofort bezahlen müssen, wenn sie keinen Versicherungsschutz vorweisen können, habe ich bereits erwähnt.

Zum Schluß meines Debattenbeitrages darf ich den Entschließungsantrag einbringen. Er lautet wie folgt – ich bitte Sie, sich zu überlegen, diesem Entschließungsantrag beizutreten –:

Entschließungsantrag

der Bundesräte Dr. Paul Tremmel, Dr. Susanne Riess-Passer, Monika Mühlwerth und Kollegen betreffend Gratisbehandlung ausländischer Patienten in Österreichs Krankenhäusern

Der Bundesrat wolle beschließen:

"Der Bundesminister für Finanzen wird dringend ersucht, in Zusammenarbeit mit der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales die Gesetzeslücken im Bereich des Mehrwertsteuerrechts für Krankenhäuser und des Beihilfengesetzes zu schließen, sodaß auch an Ausländern erbrachte Spitalsleistungen ordnungsgemäß fakturiert und eingehoben werden können, um betriebswirtschaftlichen Schaden von Österreichs Spitalserhaltern und volkswirtschaftlichen sowie gesundheitlichen Schaden von Österreichs Bevölkerung abzuwenden."

*****

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und bitte Sie, diesem Entschließungsantrag beizutreten. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

14.08

Präsident Ludwig Bieringer: Der von den Bundesräten Dr. Tremmel und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend Gratisbehandlung ausländischer Patienten in Österreichs Krankenhäusern ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Als nächste zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrätin Ilse Giesinger. – Bitte.

14.08

Bundesrätin Ilse Giesinger (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Hoher Bundesrat! Ich werde in meiner heutigen Rede zum Hebammengesetz Stellung nehmen, vor allem aber auf die vom Bundesministerium geplante mittelfristige Einstellung aller Bundeshebammenakademien eingehen.

Laut Auskunft in der Sitzung des Ausschusses des Bundesrates vom Dienstag ist derzeit geplant, die Standorte Wien und Innsbruck als Bundes-Hebammenakademien weiterzuführen. Die restlichen vier Bundeshebammenakademien sollen aufgelassen werden. Der Hebammenbericht des Bundesministeriums beruft sich zum Beispiel auf Seite 16 auf den "Ausbildungsplan Hebammen – 1996 bis 2010", der vom Österreichischen Bundesinstitut für Gesundheitswesen im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit und Konsumentenschutz erstellt wurde. Und in diesem Bericht steht – ich zitiere wörtlich –:


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Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die Ausbildungskapazität in Österreich durch die sieben Hebammenakademien ausreichend ist. Jeder dieser sieben Standorte ist für die als notwendig erachtete Ausbildungskapazität aber auch unerläßlich. – Zitat Ende.

Ich wiederhole: Jeder dieser sieben Standorte ist für die als notwendig erachtete Ausbildungskapazität aber auch unerläßlich. – Dies steht ganz am Anfang in der Zusammenfassung und auch auf Seite 43 des oben angeführten Berichtes.

Ebenso steht in diesem Hebammenbericht, daß die Ausbildung mit Vorsicht dimensioniert wurde, um der Gefahr zu begegnen, daß Hebammen im Krankenanstaltsbereich keine Anstellung finden können. Das gibt der Unerläßlichkeit der sieben Hebammenakademien dreifaches Gewicht, und daher sehe ich in der geplanten Auflösung aller beziehungsweise in der derzeitigen Schließung von vier Bundeshebammenakademien einen großen Widerspruch. Aufgrund des vorher Gesagten ist das für mich auch völlig unverständlich.

Weiters möchte ich erwähnen, daß der Bereich der Hebammen Bundesangelegenheit in Gesetzgebung und Vollziehung ist – Artikel 10 Abs. 1 Z. 12 B-VG. (Bundesministerin Hostasch: Nein!)

Jetzt möchte ich auf ein Problem im Zusammenhang mit der Bezahlung der Hebammen eingehen, auf die Gehälter der ersten Absolventinnen des dreijährigen Lehrganges, die heuer im Oktober fertig werden und ihr Diplom erhalten. Wie wird dies nun geregelt? Wird das Gehaltsschema der bereits praktizierenden Hebammen an jenes der Absolventen der Hebammenakademie, die Matura-Voraussetzung haben und damit wahrscheinlich in das Gehaltsschema B eingestuft werden, angeglichen, oder werden diese Absolventen ebenfalls in C eingestuft, wie das bei den Hebammen derzeit der Fall ist? – Ich habe bereits im Jahr 1994 auf diese Problematik hingewiesen.

Das Matura-Niveau sagt aber noch nichts über die Qualität der praktischen Arbeit aus. Unsere Hebammen leisten hervorragende Arbeit. Sie sind in einem Bereich tätig, in dem sehr viel Persönlichkeit nötig ist, und diese haben unsere Hebammen. Wenn die Hebammen dann unterschiedlich bezahlt würden, wäre das meiner Meinung nach eine große Ungerechtigkeit. Gute beziehungsweise sehr gute Hebammen gibt es mit und ohne Matura – und darauf kommt es wohl an.

In Vorarlberg gibt es derzeit 80 Hebammen. In den nächsten Jahren werden neun Hebammen benötigt. Im Herbst dieses Jahres werden drei Vorarlberger Hebammen ihr Diplom erhalten. Laut der Vorarlberger Gremialvorsteherin für Hebammen, Frau Steurer, ist das Interesse für den Hebammenberuf sehr groß. Es gibt mehr Interessentinnen, als Ausbildungsplätze vorhanden sind.

Ich möchte daher abschließend noch einmal auf den eklatanten Widerspruch zwischen dem Ausbildungsplan für Hebammen für die Jahre 1996 bis 2010 und den Plänen des Bundesministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales, die sich auf diesen Bericht beziehen, hinweisen und Sie, Frau Bundesministerin Hostasch, bitten, Ihre Pläne zur Auflösung der Bundes-Hebammenakademien noch einmal zu überdenken.

Der Vorarlberger Landeshauptmann Dr. Sausgruber und der Vorarlberger Landesstatthalter und Gesundheitslandesrat Dr. Hans-Peter Bischof haben Ihnen bereits mit Schreiben vom 4. Dezember 1997 ihre große Besorgnis im Zusammenhang mit der Schließung der Bundes-Hebammenakademien per 2001 mitgeteilt und dies im erwähnten Schreiben auch sachlich begründet. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

14.14

Präsident Ludwig Bieringer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Karl Drochter. Ich erteile ihm dieses.

14.14

Bundesrat Karl Drochter (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Frau Bundesministerin! Der uns heute vorliegende Gesundheitsbericht ist erst der zweite, der erste wurde


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dem Bundesrat und dem Nationalrat im Jahr 1994 vorgelegt. Wenn man die beiden Berichte miteinander vergleicht, so muß man doch sagen, daß der Bericht über die Jahre 1993/94/95 weit übersichtlicher und inhaltlich aussagekräftiger ist als der vorhergegangene. Und daher bin ich voll der Hoffnung, daß der nächste Gesundheitsbericht, der dann unter der alleinigen Verantwortung unserer Frau Bundesministerin Hostasch erstellt werden wird, alle Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates zufriedenstellen wird.

Ich möchte im Zusammenhang mit der Gesundheitsreform aber auch die Regierungserklärung des Bundeskanzlers Klima erwähnen, weil wesentliche Punkte der Gesundheitspolitik in dieser Erklärung vom 29. Jänner 1997 nachzulesen sind. Er verlangt beziehungsweise kündigt den Zugang zu den Einrichtungen der Medizin für jedermann an. Er sichert die Finanzierung unseres Gesundheitswesens zu und kündigt an, daß es in dieser Funktionsperiode zu einer besseren Abstimmung der Behandlungsdienste zwischen den Krankenhäusern und den niedergelassenen Ärzten kommen wird. In der Gesundheitspolitik soll mehr Gewicht der Vorbeugung, der Früherkennung von Krankheiten gegeben werden – die notwendigen Prioritäten sind zu setzen. Er wird weiters sicherstellen, daß auch im Bereich der Arbeitswelt Faktoren der Gesundheitspolitik vermehrt Berücksichtigung finden.

Ich möchte die Gelegenheit nützen, unsere Frau Bundesministerin zu dem mutigen Schritt zur Veränderung zu beglückwünschen, zu ihrer Bereitschaft zu Flexibilität im Interesse der Bevölkerung, denn die Einbindung der Krankenkassen beim Zahnersatz ist ein wesentlicher Schritt zur Verbesserung der Volksgesundheit. (Beifall bei der SPÖ sowie Beifall des Bundesrates Schöls. ) Ich meine auch, daß dies ein wesentlicher Beitrag dazu sein wird, daß der "Zahntourismus in unsere Nachbarländer" zurückgeht, da es doch wesentliche Kostenunterschiede zwischen Zahnersätzen, die von österreichischen Zahnärzten angefertigt werden – sie hatten dafür bisher die Monopolstellung –, und jenen der nun auch berechtigten Ambulatorien der Krankenkassen gibt.

Die Frau Bundesministerin hat auch angekündigt, daß sie im Jahr 1998 Schwerpunkte setzen wird, und hat für die Initiative Gesundheitsförderung an die 100 Millionen Schilling zur Verfügung gestellt. Ich möchte hier nicht alle Schwerpunkte aufzählen, sondern mich auf zwei konzentrieren und diese besonders hervorstreichen.

Der erste Schwerpunkt ist die Anti-Raucher-Kampagne, die sich vor allem an die jungen Burschen und Mädchen im Alter von 14 bis 17 Jahren richtet, um sie vom ersten Griff zur Zigarette abzuhalten.

Der zweite Schwerpunkt, der mir sehr wichtig erscheint, ist eine umfassende Aufklärung der Bevölkerung über vermeidbare Krankheiten, was zwangsläufig, sollte dies in umfassendem Maße gelingen, zu weniger Krankenständen führen könnte.

Es ist von meinem Vorredner, Kollegen Tremmel, schon erwähnt worden, daß die Lebenserwartung der Männer und Frauen gestiegen ist und daß die Lebenserwartung der Frauen erstmals die 80-Jahre-Marke überschritten hat.

Besonders erfreulich ist auch, daß die Säuglingssterblichkeit zurückgegangen ist.

Angesichts dieser wichtigen Zahlen und Statistiken muß uns bewußt sein, daß Gesundheitspolitik nicht kostenlos ist und es auch nicht sein kann, daß jeder einzelne seinen Beitrag in irgendeiner Form leisten kann – er sollte das in Zukunft auch vermehrt tun –, sodaß die gesamten Leistungen im Gesundheitsbereich, die in Österreich derzeit auf einem sehr hohen Niveau erbracht werden, auch weiterhin finanziert werden können.

1995 betrugen die Gesundheitsausgaben rund 185 Milliarden Schilling, das sind 8,1 Prozent des Bruttonationalproduktes. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet dies eine Steigerung um ein Zehntel. Im Vergleich dazu beträgt der Durchschnittswert in der Europäischen 7,6 Prozent; der OECD-Durchschnitt liegt bei 7,9 Prozent.


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Von Interesse ist auch ein Vergleich zwischen den Jahren 1985 und 1995: Die Zuwachsrate bei den Gesundheitsausgaben betrug in Österreich 7,5 Prozent. Ein Vergleich mit der Wachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes zeigt, daß dieses im angegebenen Zeitraum lediglich um 5,4 Prozent stieg. Das ist ein Beweis dafür, daß wir in Österreich mehr für die Gesundheit ausgeben, als es der Steigerungsrate des BIP entspräche. Wir sind also nicht nur sehr bemüht, das hohe Niveau in unserem Gesundheitsbereich zu halten, sondern versuchen auch, es in manchen Bereichen sogar noch zu erhöhen.

Frau Bundesministerin Hostasch hat auch die Einführung der Chip-Karte angekündigt, diese soll an die Stelle des Krankenscheines treten. Das ist wirklich sehr zu begrüßen. Man kann die Bundesministerin dabei nur unterstützen, wenn sie diesbezüglich etwas mehr Gas gibt. Dies in Etappen durchzuführen, wäre, so glaube ich, durchaus möglich.

Nun möchte ich mich einem besonderen Schwerpunkt zuwenden, der Gesundheit auf dem Arbeitsplatz – und hier wiederum dem Arbeitnehmerschutz. Immerhin gibt es in Österreich mehr als 3 Millionen Arbeitnehmer, die auf den verschiedensten Arbeitsplätzen ihrer Tätigkeit nachgehen und dabei zum Teil beträchtliche Risken in Kauf zu nehmen haben. Wir alle wissen, daß Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten meist Dauerschäden bei den betroffenen Arbeitnehmern zur Folge haben. Diese bedeuten nicht nur für den Betroffenen selbst großes Leid, sondern auch für dessen Familie. Neben einer Einschränkung der Lebensqualität zieht eine gesundheitliche Schädigung auch noch beträchtliche Einkommenseinbußen nach sich.

Leider werden diese Schicksale – Jahr für Jahr sind das gar nicht wenige in Österreich – von der Öffentlichkeit und von den Medien nicht weiter beachtet. Daher bleiben sie auch unkommentiert, obwohl sie jährliche Kosten in Höhe von 5 Milliarden Schilling verursachen. Der Schaden für die österreichische Volkswirtschaft insgesamt beläuft sich auf 30 Milliarden Schilling.

Im folgenden möchte ich einige konkrete Anmerkungen zu einem besonders wichtigen Thema machen, nämlich dem Arbeitsschutz auf dem Arbeitsplatz, also in den Betrieben, in den Büros, in den Dienststellen und auf den Baustellen. Das neue Arbeitnehmerschutzgesetz, das in wesentlichen Teilen am 1. Jänner 1995 in Kraft getreten ist, stellt eine entscheidende Grundlage für eine Verbesserung sowohl der Lebensbedingungen als auch der Gesundheit der Beschäftigten in der Arbeitswelt dar. Mit Hilfe dieses Gesetzes ist ein sehr wichtiger Schritt in Richtung Beachtung der von den Arbeitswissenschaftlern formulierten Bewertungskriterien gesetzt worden: Schädigungsfreiheit, Persönlichkeitsförderlichkeit und Zumutbarkeit sind damit nicht nur eine Grundlage der menschengerechten Arbeitsplatzgestaltung, sondern auch zu einem unverzichtbaren Maßstab für die Gestaltung der Arbeit selbst geworden.

Aus dem Arbeitnehmerschutzgesetz resultieren sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Arbeitnehmer Rechte und Pflichten. Diese sollten immer unter der Prämisse der Verfolgung des obersten Zieles stehen, nämlich der Vermeidung von Arbeitsunfällen und der Verhinderung des Entstehens berufsbedingter Erkrankungen. Dadurch würden auch die betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Kosten der arbeitsbedingten Erkrankungen wesentlich reduziert werden. Ich habe schon die jährliche Schadenssumme in der Höhe von 30 Milliarden Schilling erwähnt, aber in diesen ist natürlich nicht das persönliche Leid der einzelnen Betroffenen inbegriffen.

In Österreich kommt es – trotz sinkender Tendenz – immer noch zu rund 180 000 Arbeitsunfällen pro Jahr, ferner erkranken 2 000 Kolleginnen und Kollegen als unmittelbare Folge ihrer täglichen Arbeit an einer der anerkannten Berufskrankheiten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Grund genug, gemeinsam – Arbeitgeber, Interessenvertreter, Belegschaftsvertreter, aber auch Arbeitnehmer selbst – mehr für die Gesundheit auf dem Arbeitsplatz zu tun! Wir haben die Verpflichtung, anzuregen, mehr vorbeugende Maßnahmen, mehr Prävention zu ermöglichen, vor allem in den Betrieben. Es fängt manches Mal bei scheinbar banalen Sachen an: bei der richtigen Ernährung unserer Kolleginnen und Kollegen, also der Mitarbeiter, in den Werksküchen oder Kantinen, sowie bei den richtigen Bewegungsabläufen, auch im Büro beim Sitzen und bei der Arbeit mit dem PC – aber besonders in


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den Werkstätten. Wichtig ist auch der Kampf gegen den Alkoholismus. – Das sind nur einige Hinweise auf sogenannte Zivilisationskrankheiten, wie sie fälschlicherweise genannt werden, um die Problematik der Gesundheitsgefährdung auf dem Arbeitsplatz vielleicht etwas zu verschleiern.

Eine hervorragend wichtige Funktion in bezug auf die Gesundheit der Arbeitnehmer hat die Arbeitsinspektion. Auch hier sei kritisch angemerkt, daß ich es nicht für richtig halte, daß die Arbeitsinspektion an sich von manchen Teilen der Wirtschaft und von manchen Politikerinnen und Politikern sehr oft in Frage gestellt wird. Wir werden sicherlich solchen Bestrebungen, die den Interessen der Gesundheit der Arbeitnehmer zuwiderlaufen, auch weiterhin mit aller Entschiedenheit entgegentreten. Kosteneinsparungen zu Lasten der Sicherheit beziehungsweise der Gesundheit der Arbeitnehmer sind sicherlich nicht der richtige Weg. Aber aufgrund unserer vielen Kontakte und Informationen aus den Betrieben wissen wir auch, daß es den Arbeitsinspektoren derzeit nicht möglich ist, und zwar wegen ihrer zu geringen personellen Ausstattung, die notwendige Kontrolle in den Betrieben durchzuführen, sodaß man über manche Bereiche sagen kann, daß die Sicherheit auf dem Arbeitsplatz gefährdet ist.

Denn nur ein Drittel der Betriebe kann von den Arbeitsinspektoren, eben wegen der bereits erwähnten Personalknappheit, aber auch infolge nicht ausreichender Budgetvorsorge, besucht werden. Ich darf daher eine große Bitte an Sie, Frau Bundesministerin, richten, nämlich dafür Sorge zu tragen, daß die Arbeitsinspektorate so rasch wie möglich mit mehr Personal ausgestattet werden, und auch die notwendige Budgetvorsorge dafür zu treffen, daß die Betriebe in hinreichendem Ausmaß besuchen werden können, denn das kommt uns, vom volkswirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen, allen zugute.

Eine sehr wichtige Funktion in bezug auf die Gesundheit auf dem Arbeitsplatz üben – neben dem Arbeitsinspektorat, der Eigenverantwortung der Kolleginnen und Kollegen, den Vorgesetzten und den Betriebsinhabern – die Sicherheitsvertrauenspersonen aus.

Wie sie ihre Funktion ausüben können, hängt sehr oft von ihrer Ausbildung und von ihren Kenntnissen ab. Nur mit einer sehr guten Ausbildung und mit umfassenden Kenntnissen ist es möglich, daß sie die ihnen übertragenen Aufgabe im Interesse der Arbeitnehmer auch tatsächlich wirksam erfüllen. Ich würde daher die Forderungen unterstützen, die dahin gehen, man sollte auch den Sicherheitsvertrauenspersonen bald einen Anspruch auf Bildungsfreistellung im Rahmen ihrer Funktionsperiode zugestehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bund hat sich in Zusammenarbeit mit der Unfallversicherung zur Errichtung von arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Beratungseinrichtungen verpflichtet. Diese zugesagten Leistungen kommen ab Jänner 1999 auch Betrieben bis zu 50 Beschäftigten zugute. Ich gehe davon aus, daß die notwendigen Einrichtungen zeitgerecht bereitstehen und auch von den Betrieben beziehungsweise von den Belegschaften in Anspruch genommen werden.

Abschließend möchte ich die Behauptung in den Raum stellen, daß Österreich sicherlich eines der bestausgestatteten sozialen Gesundheitssysteme in der ganzen Welt hat. Dieses System wird von einem System der Pflichtversicherung getragen, das nicht durch die Versicherungspflicht bei privaten Versicherungseinrichtungen ersetzt werden kann. Es gibt nämlich wesentliche Unterschiede. Bei der Versicherungspflicht sind die Beiträge Risikoprämien, die keinen sozialen Ausgleich wie bei der Pflichtversicherung berücksichtigen können. Die Pflichtversicherung beruht auf einkommensbezogenen Beiträgen. Nur so ist es möglich, daß alle Österreicherinnen und Österreicher, auch jene, die über ein geringes Einkommen verfügen, die gleichen gesundheitserhaltenden Maßnahmen in Anspruch nehmen können. Daher ist es für uns Sozialdemokraten eine Selbstverständlichkeit, daß wir auch dem Gesundheitsbericht 1997 unsere Zustimmung geben. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)


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14.33

Präsident Ludwig Bieringer: Zu Wort gemeldet hat sich weiters Herr Bundesrat Dr. Reinhard Eugen Bösch. Ich erteile ihm dieses.

14.33

Bundesrat Dr. Reinhard Eugen Bösch (Freiheitliche, Vorarlberg): Herr Präsident! Frau Ministerin! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute auch den Hebammenbericht, den Sie, Frau Ministerin, auf Anfrage der Vorarlberger Bundesräte dem Bundesrat zugesandt haben. Kollegin Giesinger ist darauf schon eingegangen.

Die sechs Bundes-Hebammenakademien in Wien, Graz, Salzburg, Linz, Innsbruck und Klagenfurt stellten bisher noch jeweils 24 Ausbildungsplätze zur Verfügung. Dazu kamen in der letzten Zeit auch die 15 Plätze der Hebammenakademie der Gemeinde Mistelbach. 1994 gab es in Österreich 1 340 Hebammen. Der Fehlbestand in den österreichischen Krankenanstalten betrug in diesem Jahr immer noch 287. Zu den 278 frei praktizierenden Hebammen konnten Sie, Frau Ministerin, in Ihrem Bericht einen Fehlbestand von 32 ausweisen. Die Zahl der öffentlich bestellten Hebammen von Gemeinden oder Gemeindeverbänden ist von 352 im Jahre 1973 auf nur mehr neun zurückgegangen. Die Zahl der Familien- und Sprengelhebammen läßt sich nur mehr in einer Restgröße von zwölf in ganz Österreich ausdrücken.

Frau Bundesministerin! In Ihrem Hebammenbericht an uns drohen Sie auch an, den Betrieb eigener Bundes-Hebammenakademien mittelfristig einzustellen und bereits ab 1998 nur noch an zwei Standorten einen solchen Lehrgang anzubieten. Im Ausschuß konnten wir erfahren, daß das Salzburg und Klagenfurt mit jeweils 24 Plätzen sein werden. Sie begründen dies in diesem Hebammenbericht mit einer Geburtenprognose, die von unserer Seite aus nur als eine Fehleinschätzung oder auch als ein Ergebnis einer verfehlten Familienpolitik interpretiert werden kann. Obwohl die Zahl der Lebendgeburten seit den frühen achtziger Jahren zwischen einem Maximalwert – ich zitiere hier die Zahlen aus Ihrem Bericht – von 95 302 im Jahre 1992 und einem Minimalwert von 86 503 im Jahre 1987 hin- und herpendelt und in den Jahren 1995 und 1996 wieder auf 88 700 oder 88 800 anstieg, setzt die Prognose ab 1994 bereits mit um 2 000 bis 3 000 Lebendgeburten unterschätzten Zahlen an und geht von einem kontinuierlichen Rückgang aus, der aus der bisherigen Entwicklung überhaupt nicht abzulesen ist.

Sie prognostizieren einen Rückgang der Zahl der Lebendgeburten vom Jahre 1994 mit 90 540 auf das Jahr 2010 mit 75 375. In Ihrem Bericht werfen Sie eine Prognose für das Jahr 1994 aus, nämlich 90 540. Tatsächlich, Frau Ministerin, hatten wir aber im Jahr 1994 92 415 Lebendgeborene. Sie sehen also, daß Ihre Prognose um Tausende von Geburten daneben lag und daß auch die Entwicklung der Geburtenzahlen in all den Jahren, die Sie hier im Bericht ansprechen, nicht eine lineare Abwärtsbewegung darstellt, sondern eine Wellenlinie.

Der vom Österreichischen Bundesinstitut für Gesundheitswesen errechnete Hebammenbedarf von 1 188 für das Jahr 2000 und 1 105 für das Jahr 2010 fußt deshalb nicht nur auf einer haltlosen Lebendgeburtenprognose, sondern auch auf einer Vollzeitbeschäftigung von 1 500 Arbeitsstunden pro Jahr und einer nur siebenstündigen Wochenbettnachbetreuung. Aufgrund der kürzeren Verweildauer von Wöchnerinnen und Kleinkindern im Krankenhaus, auch als Folge der leistungsorientierten Krankenhausfinanzierung und der neuen Abrechnung, wäre nach unserem Dafürhalten im Gegenzug die Betreuung durch Familien- und Sprengelhebammen auszubauen. Aber das Gegenteil scheint, wie es in diesem Bericht heißt, die Absicht der Bundesregierung zu sein. Der Bedarf an frei praktizierenden Hebammen wird vom Österreichischen Bundesinstitut für Gesundheitswesen nach dem Ausmaß der Hausgeburten und nicht nach dem zusätzlichen Nachbetreuungsbedarf berechnet.

Frau Ministerin! In diesem Bericht ist zu lesen, daß sich beim Hauptverband bisher 80 Hebammen um Einzelverträge beworben hätten, denen die Einrichtung einer Ordination bis zum Jahre 2000 zur Auflage gemacht worden sei, wonach die Wöchnerinnen mit ihren Säuglingen diese Ordinationen aber in der Regel selbst aufzusuchen haben, sobald dies medizinisch zumutbar sei. Wir sind der Ansicht, frei praktizierende Hebammen sollten, wann immer es möglich ist, die Mütter mit ihren Kindern in deren Wohnungen betreuen können.

Die Prognosen, die Sie in diesem Bericht stellen, Frau Ministerin, sind nach unserem Dafürhalten unglaubwürdig. Die Maßnahmen, die Sie hier setzen wollen, sind für uns ein neues Indiz für eine familienfeindliche Haltung dieser Bundesregierung. Wir Freiheitlichen werden deshalb selbstverständlich diesen Hebammenbericht nicht zustimmend zur Kenntnis nehmen.


Bundesrat
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637. Sitzung / Seite 68

Ich darf mir auch erlauben, im Namen der freiheitlichen Fraktion zur Untermauerung unserer Position folgenden Antrag einzubringen:

Antrag

der Bundesräte Dr. Reinhard Eugen Bösch, Dr. Paul Tremmel, Monika Mühlwerth betreffend Ausbildungs- und Arbeitsplätze für österreichische Hebammen zu TOP 4: III-173/BR und 5642/BR

Der Bundesrat wolle beschließen:

"Die Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales wird dringend aufgefordert,

die falschen Prognosen der Lebendgeburten, die falschen Annahmen über die erforderlichen Nachbetreuungszeiten von Wöchnerinnen und Säuglingen und die daraus resultierenden Unterschätzungen der erforderlichen Hebammenzahl in der ÖBIG-Studie umgehend zu berichtigen,

den bisherigen Betrieb der Bundeshebammenakademien in vollem Umfang aufrechtzuerhalten, bis der Fehlbestand von mehr als 300 Hebammen abgebaut ist,

somit auch 1998 alle Ausbildungsplätze in allen sechs Akademien für alle qualifizierten österreichischen Bewerberinnen zur Verfügung zu stellen, wobei hinsichtlich der Kostenübernahme Einigung zwischen Bund und Ländern herbeizuführen wäre, die nicht zu Lasten der Auszubildenden gehen darf,

die Nachbetreuung von Wöchnerinnen und Säuglingen bundesweit besser zu organisieren, insbesondere Hausbesuche durch frei praktizierende und öffentlich bestellte Hebammen sicherzustellen, um zum Wohle des Kindes auch das soziale Umfeld der Wöchnerin aufzuwerten,

dem Bundesrat bis 1. Oktober 1998 über die getroffenen Maßnahmen wieder zu berichten."

*****

(Beifall bei den Freiheitlichen.)

14.40

Präsident Ludwig Bieringer: Der von den Bundesräten Dr. Bösch und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend Ausbildung und Arbeitsplätze für österreichische Hebammen ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesministerin für Arbeit, Soziales und Gesundheit Eleonora Hostasch. Ich erteile es ihr. 

14.41

Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales Eleonora Hostasch: Sehr geschätzter Herr Präsident! Sehr geschätzte Damen und Herren! Erlauben Sie mir, zu den beiden Berichten, die jetzt Gegenstand der Beratungen sind, kurz allgemein Stellung zu nehmen und dann auf die in der bisherigen Debatte aufgeworfenen Fragen Bezug zu nehmen beziehungsweise aus meiner Sicht auch die eine oder andere Klarstellung vorzunehmen.

Der Gesundheitsbericht ist – so hoffe ich – für Sie eine wichtige Orientierungshilfe, eine Informationsquelle und auch ein Überblick über etliche Aspekte unseres Gesundheitssystems. Wir – das heißt meine Mitarbeiterinnen und ich, aber insbesondere auch die Kolleginnen und Kollegen des ÖBIG – haben uns bemüht, einen Bericht zusammenzustellen, der zwar insgesamt ein respektables Volumen aufweist, aber trotzdem einen Umfang behält, der noch zum Lesen anregt, damit der Bericht nicht ein Ausmaß annimmt, das von vornherein davon abschreckt, überhaupt darin nachzuschlagen. Das bringt freilich mit sich, daß die eine oder andere Frage, die noch ausführlicher darin anzusprechen ebenfalls interessant gewesen wäre, nicht in dem vom einen oder anderen erwarteten Ausmaß behandelt werden konnte.


Bundesrat
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637. Sitzung / Seite 69

Aber ich möchte diese Gelegenheit nützen, Sie davon in Kenntnis zu setzen oder daran zu erinnern, daß mein Ressort zu diesem Fragenkomplex auch andere Informationsquellen und Materialien publiziert, die für Ihre politische Tätigkeit wichtig sein können. Ich verweise dazu nur auf das Gesundheitsstatistische Jahrbuch, das wir gemeinsam mit dem ÖSTAT herausgeben, und das Statistische Handbuch der Sozialversicherung, ebenfalls ein Nachschlagewerk, dem man sehr viel Detailinformation entnehmen kann. Es gibt weiters Berichte über die Pflegevorsorge und über die Arbeitsinspektion sowie nicht zuletzt den Bericht über die soziale Lage in Österreich, der ein sehr umfangreiches Bild vermittelt. Ich denke, aus der Zitierung dieser Berichte erkennt man, daß Sozial- und Gesundheitspolitik miteinander kommunizierende Politikbereiche sind und daß Gesundheit nicht von den sozialpolitischen Fragen und den sozialen Anliegen getrennt werden kann.

Ich darf Sie daher bitten, wenn Sie zusätzliche Informationswünsche haben, uns diese zu übermitteln. Meine Kolleginnen und Kollegen sind gerne bereit, Sie mit weiterem Informationsmaterial zu versorgen. Wir können noch mehr als das bisher kurz angesprochene Material zur Verfügung stellen.

Einige von Ihnen haben schon ein paar Highlights des Gesundheitsberichtes herausgegriffen. Erlauben Sie mir, die zwei meiner Ansicht nach herausragenden Entwicklungen zu unterstreichen. Zum einen ist das die Frage der Lebenserwartung. Wie im Gesundheitsbericht angesprochen ist mit einer Lebenserwartung der Frauen im Ausmaß von 80,05 Jahren erstmals in unserer Geschichte die Grenze von 80 Jahren überschritten worden. Die Lebenserwartung der Männer liegt bei 73,54 Jahren. Ich denke, auch das ist ein Ausdruck einer erfolgreichen Gesundheitspolitik, einer Gesundheitspolitik, die sich das Ziel gesetzt hat, daß Menschen in einer lebenswerten Form auch älter und, wie ich mit Bezug auf 80 und mehr Jahre sagen möchte, alt werden können.

Als etwas besonders Erfreuliches ist meiner Ansicht nach auch zu unterstreichen, daß die Säuglingssterblichkeit, deren Zahl 1985 noch 11,2 Promille gestorbene Säuglinge auf 1000 Geburten betrug, um mehr als die Hälfte reduziert werden konnte. Wir haben 1995 einen Wert von 5,4 Promille verzeichnet, und ich denke, daß auch das ein Beweis einer erfolgreichen Politik für die Mütter, für die Kinder und nicht zuletzt für die Eltern ist.

Ich möchte zum Datenmaterial darauf verweisen, daß zwar der Berichtszeitraum mit 1995 angegeben wird, aber daß wir uns dort, wo bereits neueres Datenmaterial vorlag, bemüht haben, Daten sogar bis ins Jahr 1997 in diesem Bericht mitzuverarbeiten, um größtmöglichen Aktualitätsbezug zu gewinnen.

Herr Bundesrat Tremmel hat gesagt, daß die Patientenrechte nicht in ausreichender Form oder gar nicht erwähnt wurden. Auf Seite 55 des Gesundheitsberichtes wird in einigen Absätzen auf die Situation in diesem Bereich hingewiesen, und es werden auch einige Auskünfte erteilt. Sollten diese für Sie nicht ausreichend sein, stehen Ihnen meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gerne zur Verfügung. Ich möchte mich für Ihre lobenden Worte zu Beginn der Behandlung dieser Tagesordnungspunkte namens meiner Kolleginnen und Kollegen bedanken. Da sie sich nicht zu Wort melden dürfen, ich aber schon, möchte ich dies sagen.

An dieser Stelle kann ich – bevor ich auf den Hebammenbericht eingehe – auf ein paar Fragen zu sprechen kommen, die in der Debatte erwähnt worden sind. Zur Frage der Gruppenpraxen ist zu sagen, daß die Verhandlungen zwischen der Ärztekammer und dem Hauptverband nach wie vor im Gange sind. Ich glaube, Sie werden mir recht geben, daß aus Sicht des Ressorts das primäre gesundheitspolitische Interesse darin besteht, daß Gruppenpraxen dort Verwendung finden, wo die Patientenversorgung nicht die Qualität wie vielleicht in anderen Regionen hat, und daß die gleiche Qualität der Patientenbetreuung besonders zu berücksichtigen und zu unterstützen ist. Ich habe den Verhandlern gegenüber und auch im Hohen Haus in der Sitzung des Nationalrates sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, daß ich mir erwarte, daß diesem Aspekt besonderes Augenmerk zu schenken ist, wenn es zu einer Einigung über die Einführung von Gruppenpraxen kommt.


Bundesrat
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637. Sitzung / Seite 70

Herr Bundesrat Tremmel! Sie haben auch auf die Frage der ausländischen Patienten verwiesen. Es entspricht nicht den Tatsachen, wenn eine Zeitungsmeldung eine Schlagzeile wie "Ausländische Patienten werden hier gratis behandelt" liefert. Das entspricht nicht den Fakten. Es gibt aber ein Problem in der Frage der Zusatzbeiträge dann, wenn es darum geht, in welcher Form sichergestellt wird, daß diese Beihilfen den Spitalserhaltern vergütet werden. Ich darf Sie darüber informieren, daß der Ministerrat im Jänner eine Änderung des Gesundheits- und Sozialbereich-Beihilfengesetzes beschlossen hat. Dies bringt eine Klarstellung der rechtlichen Situation und eine Umsetzung ab dem Jahr 1998 mit sich, und wir können Ihnen auch dieses Gesetz gerne im Detail zur Kenntnis bringen. Für das Jahr 1997 sind noch Gespräche im Gange, weil das Datenmaterial erst beschafft werden muß.

Was die von Ihnen angesprochenen 500 Millionen Schilling betrifft, kann ich mir das nur so erklären, daß dies ein geschätzter Wert dafür ist, wie hoch die Gesamtkosten für ausländische Patienten in Österreich gewesen sind, daß er aber nicht identisch mit etwaigen ausstehenden Beträgen ist, die nicht refundiert wurden. Ich kann jetzt aber ad hoc keinen Bezug zu den direkten Ausständen herstellen und Sie nicht konkret darüber informieren. Ich möchte aber noch einmal sagen: Ich bin sehr froh, daß wir in Verhandlungen mit dem Finanzministerium, das prioritär für die Lösung dieses Problems die Zuständigkeit hatte, nun diese Lösung finden konnten.

Erlauben Sie mir, bevor ich – wie gesagt – zur Frage des Hebammengesetzes komme, ein paar weitere Detailfragen anzusprechen, die von Ihnen in die Debatte eingebracht wurden. Herr Bundesrat Tremmel hat auf die Meningitis-Situation verwiesen. Ich möchte mich bemühen, darauf sehr sachlich zu antworten, weil ich es für verantwortungslos erachtet habe, wie von manchen Berichterstattern in den Medien versucht wurde, Panik in einer Frage zu erzeugen, in der es entscheidend auf sachliche, objektive, faire und auch medizinisch richtige Information angekommen wäre.

Faktum ist, daß im heurigen Jahr wesentlich weniger Meningitis-Fälle zu verzeichnen sind als zum Beispiel im vergangenen Jahr. Seit Anfang des Jahres 1998 sind 22 Fälle vorgekommen, 1997 waren es hingegen 43 Fälle. Angesichts dessen von einer Epidemie oder einem Überhandnehmen zu reden, entspricht in keiner Weise den Tatsachen. (Bundesrätin Mühlwerth: Im selben Zeitraum?) Im selben Zeitraum, ja. Daher können wir – ganz im Gegenteil – im Vergleich zum vergangenen Jahr sogar einen Rückgang feststellen.

Was die Frage des Impfstoffes betrifft, ist klarzustellen, daß es nur bei einer Form der Krankheit, und zwar bei jener Form der Meningitis, die von Meningokokken des Typs C verursacht wird, die Möglichkeit der Impfung gibt und daß nur sehr wenige Fälle mit diesem Krankheitsbild entstehen. Die Hauptprophylaxe besteht in der antibiotischen Behandlung. Nach allen medizinischen Erkenntnissen ist ein Schutz von über 95 Prozent gegeben, wenn die Antibiotika-Behandlung einsetzt. Das wurde auch in allen Fällen gemacht, mit denen die Mediziner konfrontiert wurden. (Vizepräsidentin Haselbach übernimmt den Vorsitz.)

In den Reaktionen der Mediziner und Experten, die sich mit diesen Krankheitsbildern befassen, wurde – das sage ich sehr locker – einheitlich wie selten in medizinischen Fragen von allen gleichlautend gesagt: Bitte keine Panik, wir haben das Problem im Griff! Bitte treffen Sie Vorsorge, melden Sie sich bei Ihrem Arzt, melden Sie Ihre Kinder beim Arzt, wenn Krankheitssymptome auftreten, die einen entsprechenden Verdacht nahelegen, und machen Sie sofort Prophylaxe durch Antibiotika!

Darüber hinaus wurde der aus Gründen zusätzlicher Prophylaxe verlangte Impfstoff innerhalb eines Tages vom Hersteller beigestellt. Gestern wurde in der Steiermark – in der Region, in der dies gewünscht wurde – mit Hilfe eines Hubschraubers die entsprechende Impfstoffversorgung bereits sichergestellt. Wir haben in diesen wenigen Tagen – man kann nicht einmal "Wochen" sagen – soviel Impfstoff verbraucht wie in der Vergangenheit innerhalb eines ganzen Jahres. Allerdings war der Hersteller – darin sieht man vielleicht auch ein bißchen die "Stärke" der Privatwirtschaft, wie ich unter Anführungszeichen sagen möchte – nicht in der Lage, innerhalb der kurzen Zeit, in der wir es wünschten, uns diesen Impfstoff in ausreichender Menge zur Verfügung zu stellen.


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637. Sitzung / Seite 71

Aber es hat nie eine Phase gegeben, in der Angst in der Bevölkerung berechtigt gewesen wäre. Ich möchte Sie bitten, gerade in solch sensiblen Fragen wie jener der Gesundheit, insbesondere der Gesundheit von Kindern, da auch Todesfolgen auftreten können, besondere politische Sensibilität walten zu lassen und zur Beruhigung, aber auch zur sachlichen Aufklärung beizutragen. Was die Information betrifft, so habe ich mich während der ganzen Zeit bemüht, durch die Experten des Gesundheitsressorts in Zusammenarbeit mit Medien, aber auch durch persönliche Aussagen die nötigen Klarstellungen vorzunehmen. Wenn es dem einen oder anderen zuwenig zu sein schien, tut mir das leid, aber ich denke, wir waren täglich vielfach mit sachlichen und objektiven Informationen präsent.

Erlauben Sie mir jetzt einige Bemerkungen zur Frage des Hebammenberichtes, zunächst ebenfalls zum Bereich des Grundsätzlichen. Wir hatten bis 1994 eine Rechtslage, wonach die Ausbildung von Hebammen ausschließlich dem Bund vorbehalten war. Es waren die Bundesländer, die an dieser Monopolstellung schärfste Kritik geübt und vom Bund verlangt haben, sie zu beseitigen. Mit der Schaffung des Hebammengesetzes im Jahr 1994 wurde dieses Ausbildungsmonopol des Bundes aufgehoben.

Der logische Grund für diese Beseitigung besteht überdies in dem Faktum, daß auch in den anderen Gesundheitsberufen die Ausbildung durch Einrichtungen des Bundes vorgenommen wird, aber die konkrete Umsetzung, der Einsatz, die Vertragsgestaltung und die Gestaltung der Details Sache der Länder ist, weil diese ein sehr hohes Interesse daran haben, aufgrund ihrer unmittelbaren föderalistischen Bedürfnisse vom Bund unbeeinflußt eigenständige Politik machen zu können. Ich denke daher, daß es gerade aus der Sicht des Bundesrates wichtig ist, darauf zu verweisen, daß die Länder jene Ansprechpartner sind, die in der Umsetzung des Bedarfes nach Hebammenausbildung sowie Hebammeneinsatz die entsprechenden weiteren Schritte zu tätigen haben.

Wir sind selbstverständlich daran interessiert, daß diese geänderte gesetzliche Situation in geordneter Form in die Praxis umgesetzt wird. Darüber habe ich bereits im vergangenen Jahr mit den Gesundheitsreferenten der Länder Gespräche geführt. Weil von dem Schreiben die Rede war, das Herr Landeshauptmann Dr. Sausgruber an uns gerichtet hat, möchte ich Sie informieren, daß dieses Schreiben seitens meines Ressorts bereits beantwortet wurde. Auch in diesem Schreiben ist darauf verwiesen worden, daß das Land Vorarlberg, aber auch andere Bundesländer besonderes Interesse daran bekundeten, daß die Kompetenz den Ländern übertragen wird und der Bund seine Monopolstellung nicht beibehält. Wir denken, daß damit der richtige, in unserem föderalistischen System bewährte Weg fortgesetzt worden ist.

Weil Daten zu den Geburten angesprochen wurden, möchte ich einmal eine Zeitung zitieren, und zwar "Die Presse" vom 4. Februar 1998. Ich möchte Ihnen diesen kurzen Bericht vorlesen, weil er meiner Ansicht nach sehr deutlich die Einschätzung, die wir vorgenommen haben, als richtig unterstreicht. Darin heißt es unter der Überschrift "Dramatischer Rückgang bei den Geburten": "Um 11 Prozent ging die Zahl der Geburten in Österreich gegen Ende 1997 zurück. – Es zeichnete sich schon ab. In den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres ging die Zahl der Geburten in Österreich um 3,2 Prozent zurück. In den letzten drei Monaten des Jahres 1997 brach die Zahl allerdings dramatisch ein: Im Vergleich zu 1996 wurden um 11,3 Prozent weniger Geburten verzeichnet. 1997 kamen 84 200 Kinder zur Welt, 1996 waren es noch 88 809 gewesen. Das Statistische Zentralamt sieht den drastischen Geburtenrückgang nicht als statistischen Ausreißer, sondern als einen Trend. Denn die Fertilität habe Ende 1997 einen ,historischen Tiefstand’ erreicht. Auch die Differenz zwischen Geburten und Sterbefällen wird in den vergangenen Jahren immer kleiner."

Das könnte ich noch fortsetzen. Es zeigt sich also, daß auch eine andere Stelle, die über sehr viel statistisches Material verfügt, unserer Einschätzung über die grundsätzliche Tendenz recht gibt.

Ich möchte zum Hebammenbericht nur noch auf einen Punkt verweisen, sehr geschätzte Damen und Herren! Von Frau Bundesrätin Giesinger wurde in der Debatte die Entgeltfrage angesprochen. Entgeltfragen sind nicht Gegenstand von Bundesgesetzen und können daher auch


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637. Sitzung / Seite 72

nicht Gegenstand des Hebammengesetzes sein. Die Frage des Entgeltes ist eine Frage der Gestaltung privatrechtlicher Verträge sowie auch eine Frage von Vereinbarungen über die Form von Arbeitsverhältnissen oder Vertragsverhältnissen. Ich bitte daher um Verständnis, daß ich aus der Sicht des Bundes keine Aussage zur Entgeltfrage treffen kann.

Ich darf mich aber bei Herrn Bundesrat Drochter – auch wenn er jetzt nicht da ist – bedanken, weil er mir in vielen Fragen, die ich vorantreiben möchte, Unterstützung signalisiert hat, und ich darf Sie auch um Ihre Unterstützung in der nächsten Zeit bitten, wenn ich mich bemühen werde, eine gemeinsame Lösung in der Frage des festsitzenden Zahnersatzes zu finden. Ich glaube, es muß unser Interesse sein, daß Patienten, insbesondere jene, die vielleicht nicht so finanzstark sind wie manche andere, nicht den Weg zu einer schlechten Versorgung im Ausland suchen, nur weil dort die Angebote um vieles günstiger sind als bei uns, sondern es sollten Qualitätsleistungen beim festsitzenden Zahnersatz zu etwas faireren Konditionen angeboten werden. Und ich hoffe, daß der natürlich interessenpolitisch motivierte Widerstand, der jetzt formuliert wurde, in gemeinsamen Verhandlungen doch zu einem guten Ende gebracht werden kann. Wenn ich von Ihnen die Unterstützung habe, würde ich mich sehr freuen, ich kann sie brauchen. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

15.01

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet: Herr Bundesrat Jaud. – Bitte.

15.01

Bundesrat Gottfried Jaud (ÖVP, Tirol): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Hoher Bundesrat! Ich würde Sie auch gerne loben, Frau Ministerin, aber das geht nicht, denn ich finde es ganz einfach ungeheuerlich, mit welcher Ignoranz das Gesundheitsministerium beziehungsweise auch Sie, Frau Gesundheitsministerin, die Anliegen und die Interessen der Hebammen – im besonderen im Zusammenhang mit der Hebammenausbildung – vertreten.

Die Berufsausübung und die Ausbildung der Hebammen werden von Ihrem Ministerium offenbar nur als eine sehr lästige Verpflichtung gesehen. Wie sich das Gesundheitsministerium so still und leise, Schritt für Schritt, um die Verpflichtung herumdrücken möchte, für die Ausbildung der Hebammen die Kosten zu tragen, ist für mich und das österreichische Gesundheitswesen einfach unverantwortlich. (Bundesrat Meier: Das stimmt ja nicht! Unverständlich! – Bundesministerin Hostasch: Wir haben einen gesetzlichen Auftrag, Herr Kollege!)

Ich finde den vorliegenden Bericht ausgezeichnet – er ist ein Bericht, wie wir ihn hier im Parlament nur selten zu Gesicht bekommen. Der Hebammenbericht ist übersichtlich, umfassend, beinhaltet, wie ich glaube, alle wichtigen Daten und Auskünfte. Ich würde mir als Parlamentarier nur wünschen, mehr solche Berichte zu erhalten, mit denen auch etwas anzufangen ist, anders als mit dicken Büchern, die für uns schon vom Zeitaufwand des Studiums her kaum verwendbar sind.

Meine Informationen auf Landesebene und die letzten Absätze des Berichtes über die Zukunft der Hebammenausbildung veranlassen mich aber, die Vorgangsweise des Gesundheitsministeriums nicht nur zu kritisieren, sondern einfach schärfstens abzulehnen. Wenn von Ihnen behauptet wird, wie im Bericht steht – ich zitiere –: "Des weiteren hat sich aber in den letzten Jahren in der zentralen Führung von sechs Bundes-Hebammenakademien, verstreut über sechs Bundesländer, mit verschiedenen Rechtsträgern von Krankenanstalten eine Fülle von Problemen ergeben" – Zitat Ende –, dann stimmt das ganz einfach nicht. Nach meiner Auskunft haben sich die Probleme nur deshalb ergeben, weil das Gesundheitsministerium die Kosten für die Hebammenausbildung nicht mehr bezahlen will. Es darf ganz einfach nicht notwendig sein, für die Finanzierung derartiger Ausbildungsstätten nach Wien pilgern und betteln gehen zu müssen, damit die Kosten dafür erstattet werden.

Gott sei Dank haben die gesellschaftlichen Veränderungen auch dazu geführt, daß wir Männer uns an der Diskussion um die Belange, die früher nur Frauenangelegenheiten waren, beteiligen können.


Bundesrat
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637. Sitzung / Seite 73

Auch die Diskussion um Halbe-halbe – das Leiberl, das ich von den SPÖ-Frauen erhalten habe, halte ich in Ehren – leistet dazu einen wertvollen Beitrag. (Ruf bei der SPÖ: Warum haben Sie es nicht an, Herr Kollege Jaud?)

Solange ich hier im Parlament bin, werde ich bei jeder passenden Gelegenheit auf die Bedeutung der Hebammen hinweisen. Die Geburt, der Beginn des Lebens, ist wohl die wichtigste Station in unserem Leben. Deshalb müssen wir der Betreuung in diesem Lebensabschnitt besondere Sorgfalt angedeihen lassen.

Die Handhabung der Geburt hat sich in unserer Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten in ungeheurem Ausmaß gewandelt. Als ich geboren wurde, also vor ungefähr 60 Jahren, war die Hausgeburt mit Hilfe der Hebamme ein ganz normaler Vorgang. Bei der Geburt meiner ersten zwei Kinder vor ungefähr 35 Jahren wurden wir Männer von der Geburt in den Krankenhäusern noch völlig ausgeschlossen, und es herrschte die Meinung vor, die Männer hätten dabei nichts zu suchen. Bei der Geburt unserer nächsten drei Kinder vor ungefähr 20 Jahren bestand dann schon, zuerst nur in den Geburtenstationen außerhalb der Krankenhäuser, die Möglichkeit, als Mann bei der Geburt dabeizusein. Und heute ist es praktisch schon eine Selbstverständlichkeit, daß der Mann die Frau bei der Geburt begleitet und auch dabei ist. Diese Begleitung bei der Geburt wurde in erster Linie durch die Hebammen eingeleitet und gegen den Widerstand vieler Ärzte durchgesetzt.

Die Hebammen sind neben ihrer unentbehrlichen Hilfe für die Frau auch Garantinnen dafür, daß dieser sehr natürliche Vorgang trotz alle technischen Beiwerks, das es heute schon gibt, nicht zu einer Krankheit gemacht wird.

Insgesamt halte ich die Entwicklung der Geburtshilfe in Österreich für ausgezeichnet, es wäre aber in Zukunft sehr wünschenswert, daß für die mit dem Begriff "Betreuungskontinuität", wie es auch in Ihrem Bericht steht, umschriebene Versorgungsform noch bessere Möglichkeiten geschaffen werden. Das heißt, die Verzahnung des stationären und ambulanten Bereiches sollte in der Zukunft stärker verwirklicht werden.

Nach meiner Auffassung sollte jede Mutter bei Antritt des Mutterschutzes von einer Hebamme – ich betone: von einer Hebamme! – entweder persönlich oder telefonisch kontaktiert und ihr die begleitende Beratung durch die Hebamme angeboten werden. Dasselbe gilt auch für die Zeit der ersten Monate nach der Geburt zu Hause.

In den heutigen Ein-Kind- und Zwei-Kinder-Familien haben die Mädchen kaum mehr Gelegenheit, in ihrer Jugend die Behandlung von Kleinkindern zu erlernen, so wie es früher in großen Familien der Fall war. Die meisten haben noch kein Baby in Händen gehalten. Deshalb halte ich diese Nachbetreuung durch die Hebammen nicht nur als Unterstützung für die Mütter – und natürlich auch für uns Väter–, sondern auch für die Gesundheit der Kinder für ganz besonders bedeutend.

Gesundheitsaufgaben sind Bundessache, deshalb ist auch die Finanzierung der Hebammenausbildung Bundessache. Und wenn in einer Studie, die im Auftrag des Gesundheitsministeriums erstellt wurde, wie heute schon öfters erwähnt wurde – sie wurde auch von meiner Kollegin Giesinger zitiert –, steht, daß alle sieben Hebammenakademien für die Zukunft der Hebammenausbildung in unserem Lande notwendig sind, dann, Frau Ministerin, ist es auch Aufgabe des Gesundheitsministeriums, dafür Sorge zu tragen, daß die notwendigen finanziellen Voraussetzungen für die Ausbildung der Hebammen geschaffen werden.

Um über die Auswirkungen des neuen Hebammengesetzes Informationen zu erhalten, hat der Bundesrat 1994 den Antrag gestellt, den vorliegenden Bericht anzufertigen und dem Bundesrat vorzulegen.

Weil die ersten ausgebildeten Hebammen nach dem neuen dreijährigen Ausbildungszeitraum aber erst heuer im Herbst fertig werden und die finanzielle Gestaltung der Hebammenausbildung vom Ministerium auf die Länder überwälzt werden soll, möchten wir über diese Situation


Bundesrat
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637. Sitzung / Seite 74

auch in Zukunft einen Bericht erhalten. Deshalb habe ich heute den vorliegenden Entschließungsantrag erneut eingebracht, den der Bundesrat bereits 1994 angenommen hat.

Ich ersuche Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, um Ihre Zustimmung, damit wir in drei Jahren wiederum einen Bericht über die Hebammen in Österreich im Bundesrat vorliegen haben. Ich verlese nun diesen Entschließungsantrag.

Entschließungsantrag

der Bundesräte Gottfried Jaud, Johann Payer und Kollegen betreffend Erstellung eines Berichtes über den Vollzug des Hebammengesetzes

Am 13. April 1994 hat der Bundesrat einen Entschließungsantrag verabschiedet, mit dem die Gesundheitsministerin ersucht wurde, anläßlich der Verabschiedung des neuen Hebammengesetzes nach einem Beobachtungszeitraum von drei Jahren einen Bericht über das Hebammenwesen in Österreich zu erstellen und dem Bundesrat zu übermitteln.

Mit gegenständlichem Entschließungsantrag soll die Frau Bundesministerin ersucht werden, auch weiterhin alle drei Jahre einen entsprechenden Bericht zu erstellen.

Daher stellen die unterfertigten Bundesräte nachstehenden

Entschließungsantrag:

"Die Frau Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales wird ersucht, dem Bundesrat alle drei Jahre einen Bericht über den Vollzug des Hebammengesetzes, insbesondere über die Entwicklung des Hebammenwesens und die Erfahrung mit dem Vollzug des Hebammengesetzes auch in finanzieller Hinsicht vorzulegen; in diesem Bericht sollen über die Verbindungsstelle der Bundesländer auch die Ansichten der Länder Berücksichtigung finden."

*****

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir noch ein paar Worte zu meinem Vorredner, Herrn Kollegen Drochter. Ihre Ausführungen können von mir nicht ganz unbeantwortet bleiben, wie ich Ihren Blicken bereits entnommen habe. Auch wir Unternehmer wollen natürlich gesunde Mitarbeiter, das sind schließlich unsere Partner. Wir wollen gesunde Partner und gesunde Mitarbeiter haben. Nur, meine Damen und Herren, sind wir nicht allein auf der Welt. Wir sind auch nicht allein in Europa. Und hier kommt natürlich auf das Sozialministerium eine ungeheuer große Verantwortung zu, nicht nur im Hinblick auf die Gesundheit unserer Mitarbeiter, sondern auch im Hinblick auf die Beschäftigung dieser Mitarbeiter.

Wenn die Arbeitskosten durch überhöhte Forderungen immer höher werden, wird die Industrie – nicht das Gewerbe und die Kleinbetriebe, aber die Industrie – noch mehr rationalisieren und noch mehr auf Roboter ausweichen, sodaß Arbeitsplätze verlorengehen werden beziehungsweise unsere internationale Konkurrenzfähigkeit nicht mehr gegeben sein wird. Die Produkte werden dann eben im Ausland erzeugt werden und Arbeitsstätten dann eben nicht mehr in Österreich, sondern im Ausland angesiedelt werden.

Was die Arbeitsinspektoren betrifft: Sehr geehrter Herr Kollege Drochter! Ich bitte Sie, gehen Sie in Betriebe und fragen Sie dort Mitarbeiter! Fragen Sie nicht Unternehmer, sondern Mitarbeiter, die mit dem Arbeitsinspektor durch den Betrieb gehen, und lassen Sie sich von diesen Leuten berichten, was die Arbeitsinspektoren teilweise anrichten! Dort, wo es berechtigt ist, steht man dahinter. Aber wenn es in Schikane ausartet und wenn dadurch Arbeitsplätze verlorengehen, so handelt das Arbeitsinspektorat in diesem Falle unverantwortlich. – Ich danke Ihnen. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

15.14


Bundesrat
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637. Sitzung / Seite 75

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach:
Nächster Redner ist Herr Bundesrat Dr. Ludwig. – Bitte.

15.14

Bundesrat Dr. Michael Ludwig (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Der vorliegende Gesundheitsbericht befaßt sich mit den Jahren 1993 bis 1995, reicht allerdings in sehr vielen Analysebeiträgen weit über diesen Zeitraum hinaus. Und gerade was den Bereich der Strukturreform und auch der Finanzierung des Gesundheitswesens anlangt, enthält er sehr wichtige und notwendige Strukturverbesserungsvorschläge für das österreichische Gesundheitssystem. Ich denke nur an jenes Kapitel, das sich insbesondere mit der Reform der Krankenanstaltenfinanzierung beschäftigt und sich mit der Frage auseinandersetzt, wie im Bereich der Krankenanstalten Bedingungen geschaffen werden können, damit die öffentlichen Haushalte, aber auch die Budgets der Sozialversicherungsträger, die über eine überdurchschnittliche Zunahme des Finanzmittelbedarfs für Krankenanstalten klagen, entlastet werden.

Ich möchte hier in diesem Kreis darauf Bezug nehmen, daß es bereits vor Jahren Verbesserungsvorschläge zwischen Bund und Ländern in dieser Hinsicht gegeben hat. Begonnen hat es mit dem vierten KRAZAF-Abkommen, das in den Jahren 1988 bis 1990 vereinbart wurde und das bereits 20 ausgewählte Referenzkrankenanstalten einbezogen sowie ein erstes Modell einer leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung erarbeitet hat.

Diese sehr wichtigen Schritte wurden dann im fünften KRAZAF-Abkommen fortgesetzt, das in der Folge um zwei Jahre, bis 1996, verlängert wurde und auch eine Weiterentwicklung des vorliegenden Modells gemeinsam mit den Referenzkrankenanstalten vorgesehen hat. Dabei wurde insbesondere der speziell entwickelte Leistungskatalog verstärkt in das Finanzierungssystem integriert. Neben den leistungsorientierten Diagnosefallgruppen wurde ein weiterer Finanzierungsbereich entwickelt, der die Einbeziehung von strukturspezifischen Kriterien, wie zum Beispiel der personellen und apparativen Ausstattung der Krankenanstalten, als zusätzlichen Finanzierungsparameter in der leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung vorsieht. Das ist deshalb sehr wichtig, weil das insbesondere auch für die Bundesländer von großer Bedeutung ist und auch bei der Bewertung der Leistungen der einzelnen Krankenanstalten eine Hilfe darstellt.

Das leistungsorientierte Krankenanstaltenfinanzierungssystem wird seit 1995 in mehreren Bundesländern als zeitlich befristeter Modellversuch praktisch erprobt, allerdings sind größere strukturelle Veränderungen in diesem Bereich nur dann absehbar, wenn über einen längeren Zeitraum hinweg die Beobachtung durchgeführt werden kann. Das ist aber auch mit ein Grund, daß im Jahr 1996 ein leistungsorientierter Diagnosefallgruppenevaluierungsbeirat geschaffen wurde, der sich vor allem um die Evaluierung dieser Diagnosefallgruppen kümmert und auch versucht, Parameter für die Zukunft zu entwickeln.

Im Oktober 1996 wurde zwischen Bund und Ländern einvernehmlich eine Vereinbarung gemäß Artikel 15a der Bundesverfassung über die Reform des Gesundheitswesens und der Krankenanstaltenfinanzierung für die Jahre 1997 bis 2000 getroffen. Ich bezeichne das als einen Meilenstein im Bereich des österreichischen Gesundheitssystems, weil es damit gelungen ist, daß Bund und Länder gemeinsam Entwicklungsschritte vereinbaren, die auch für die Zukunft des Gesundheitssystems in unserem Land wichtig sind. Ich möchte nur einige wenige herausgreifen, weil sie, wie ich meine, auch für die Zukunft von eminenter Bedeutung sind.

Hier wird zum Beispiel die Erstellung eines österreichischen Gesundheitsplanes vorgeschlagen, der unter Einbeziehung eines österreichischen Krankenanstaltenplanes, eines Großgeräteplanes, eines Niederlassungsplanes für Kassenvertragsärzte – auch das wurde heute schon angesprochen –, aber auch eines Pflegebereichsplanes und eines Rehab-Planes erstellt werden soll. Gerade der Pflegebereich wird für die Zukunft von sehr großer Bedeutung sein. Sie, Frau Bundesministerin, haben zu Recht die immer höher werdende Lebenserwartung angesprochen. Die Menschen werden dank unseres Gesundheitssystems älter, sie werden aber mit Sicherheit am Ende ihres Lebens, wenn sie das Alter von 80 Jahren überschritten haben, auch pflegebedürfti


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ger, und deshalb sind Maßnahmen, die eine Verstärkung im Pflegebereich vorsehen, zweifellos eine große Hilfe.

Weiters sieht der Gesundheitsbericht die Einführung der leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung und Vorgaben für deren Durchführung vor – ich werde anschließend noch kurz auf diese Durchführungsbestimmungen zu sprechen kommen –, aber auch die Förderung des Transplantationswesens – auch hier, so glaube ich, ist die Zusammenarbeit der Bundesländer zweifellos so notwendig wie noch nie – und auch eine Sicherstellung der bestehenden Dokumentation im stationären Bereich und die Erfassung weiterer Daten unter Berücksichtigung aller Gesundheitsbereiche.

Die Einrichtung einer Strukturkommission hat folgende Aufgaben – auch dies ist, wie ich meine, ein wesentlicher Schritt, um die Effizienz des Gesundheitswesens zu verbessern –: die Weiterentwicklung der leistungsorientierten Vergütungssysteme unter Berücksichtigung aller Gesundheitsbereiche, also nicht nur der stationären, die Festlegung des zu einem Leistungsangebotsplan weiterentwickelten österreichischen Krankenanstaltenplanes einschließlich des Großgeräteplanes – auch da ist sinnvollerweise ein verstärktes Koordinieren zwischen den einzelnen Krankenanstalten und Bundesländern vorgesehen; gerade bei hochtechnisierten Apparaten in Spitälern ist ein sinnvoller Mitteleinsatz in Zukunft zweifellos notwendig –, aber auch die Erlassung von Grundsätzen für die Verwendung von Strukturmitteln.

Ich möchte nur drei dieser Grundsätze herausstreichen, weil sie mir besonders wichtig zu sein scheinen. Erstens: der Abbau von Kapazitäten im Bereich der Akutversorgung in Krankenanstalten. – Wir wissen, das sind besonders teure Positionen im Gesundheitsbudget.

Zweitens – das ist die logische Schlußfolgerung aus diesem ersten Punkt –: die Schaffung und der Ausbau alternativer Versorgungseinrichtungen, insbesondere von Pflegebetten, Hauskrankenpflege und mobilen Diensten, sowie sozialmedizinischer und auch psychosozialer Betreuungseinrichtungen.

Ein dritter wesentlicher Bereich ist in diesem Zusammenhang, im Bereich der Verwendung von Strukturmitteln, der Ausbau integrierter Versorgungssysteme, insbesondere Sozial- und Gesundheitssprengel betreffend.

Für uns als Bundesräte und als Ländervertreter ist auch der Hinweis sehr wichtig, daß es zur Einrichtung eines Konsultationsmechanismus zwischen der Sozialversicherung und den Ländern zur Bewältigung der finanziellen Folgen der Strukturveränderungen kommen muß, die auch die Regelung der Veränderung der Leistungsangebote im stationären, halbstationären, tagesklinischen, ambulanten, aber auch im niedergelassenen Bereich vorsieht.

Wir alle wissen, daß diese Maßnahmen nur dann funktionieren werden, wenn es auch entsprechende Sanktionsmöglichkeiten gibt. Daher ist der Vorschlag, der sich auch im Gesundheitsbericht findet, entsprechende Sanktionsmechanismen einzuführen, durchaus zu begrüßen. Diese Sanktionsmechanismen sehen zum Beispiel vor, daß es zur Zurückhaltung von Bundesmitteln kommt, wenn es Verstöße gegen die einvernehmlich festgelegten Pläne gibt, wenn es zu einer nicht ordnungsgemäßen Dokumentation kommt oder wenn die Strukturmittel nicht widmungsgemäß verwendet werden.

All das klingt vielleicht sehr trocken, es sind dies aber dringend notwendige Veränderungen in der Struktur des österreichischen Gesundheitswesens. Sie mögen vielleicht wenig spektakulär klingen, haben aber für die Zukunft des österreichischen Gesundheitswesens große Bedeutung.

All das verblaßt natürlich gegenüber jenen Zahlen, die Sie, Frau Bundesministerin, heute schon angesprochen haben, den Zahlen, die sich mit der Säuglingssterblichkeit beschäftigen und zeigen, daß sich die diesbezügliche Zahl von 1985 bis 1995 mehr als halbiert hat, und den Zahlen im Bereich der Lebenserwartung, die zeigen, daß Männer und Frauen heute deutlich mehr an Lebenserwartung konsumieren können.


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Wenn ich vielleicht dazu noch eine statistische Zahl nachreichen darf: Ein 60jähriger Mann hat derzeit noch mehr als 18 Jahre zu erwarten, und eine 60jährige Frau mehr als 22 Jahre. Das ist eine sehr schöne Zeit, die man zusätzlich erleben kann und darf. Das ist zweifellos und sehr augenscheinlich ein hervorragender Erfolg des Gesundheitswesens, nicht zuletzt auch dank Ihrer Tätigkeit, Frau Bundesministerin! – Und wer dich kennt, weiß, daß du mit deiner sehr kooperativen Art auch Garantin dafür bist, daß die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, wenn es um die Finanzierung und um das Durchsetzen all dieser Maßnahmen geht, funktioniert, und daß du ein sehr kooperativer Ansprechpartner bist! Ich wünsche dir für die Durchsetzung dieser sehr schwerwiegenden Strukturaufgaben viel Erfolg! (Beifall bei der SPÖ. – Bundesministerin Hostasch: Danke!)

15.25

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Ich darf noch einmal zurückkommen auf den Antrag, den Kollege Jaud und Kollege Payer eingebracht haben. Ich teile natürlich mit, daß dieser Antrag genügend unterstützt ist und mit in Verhandlung steht. Ich habe das vorhin leider übersehen. Ich bitte, mir das nachzusehen.

Als nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Haunschmid. – Bitte.

15.25

Bundesrätin Ulrike Haunschmid (Freiheitliche, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wiederholt befassen sich schriftliche und mündliche Anfragen freiheitlicher Abgeordneter mit Lücken im Meldewesen bei übertragbaren oder gefährlichen Erkrankungen. Wiederum zeigen sich derzeit am Beispiel der Gehirnhautentzündung, der Meningitis, gravierende Mängel bei der gegenseitigen Weitergabe von Informationen.

So sind in Bayern bereits im Dezember die ersten Erkrankungen aufgetreten. Am 3. März 1998 brachte die "Passauer Neue Presse" mit einem Artikel den Stein ins Rollen. Die Bayern haben sich gegen die österreichischen Anschuldigungen verwahrt, sie haben es pünktlichst gemeldet, und zwar per Telefax am Wochenende vorher. Aber wahrscheinlich haben sie es als unglaubwürdig erachtet, daß die Meldung an das Landesfeuerwehrkommando in Oberösterreich gehen sollte, und haben die Krankheitsfälle über die Polizei der Sicherheitsdirektion in Oberösterreich gemeldet.

Dort ist die Information natürlich liegengeblieben, weil die Behörde nicht zuständig war und weil vor allem auch nicht "dringlich" draufgeschrieben war. Warum man da nicht zurückgerufen und die Behörde in Bayern gefragt hat, wie dringlich das ist, und nicht darauf aufmerksam gemacht hat, daß es die Bayern der falschen Stelle gemeldet haben, sei dahingestellt. Das wissen wir nicht. Auf alle Fälle hat das bestimmt ein ironisches Lächeln bei den Bayern hervorgerufen, weil es unverständlich ist, daß ein Landesrat weiterhin darauf besteht, daß Meldungen über gefährliche Krankheiten, die über die Grenzen gehen, an das Landesfeuerwehrkommando erfolgen.

Am 3. März lautete der Titel einer Aussendung von Herrn Landesrat Ackerl xxxgekl. sogar noch: "Kein Verdachtsfall in Oberösterreich", wogegen bereits am 4. März die APA den ersten Meningitisfall eines 17jährigen Mädchens, das in Bad Ischl zur Schule geht, gemeldet hat.

Der vom oberösterreichischen Spitalslandesrat vorgeschlagene grenzübergreifende Beamtentourismus unter dem Titel "Virenalarmplan" ist weniger wirkungsvoll als die jeweilige sofortige Einschaltung der Sanitätsbehörden. Dabei möchte ich Sie, Frau Bundesministerin, auf Ihre diesbezügliche Bundeskompetenz und auf Ihre entsprechenden Koordinationsfunktionen ansprechen. Sie sollten sich vielleicht doch darauf besinnen, einschlägige Maßnahmen ergreifen zu lassen. Zum Beispiel sollte ein echter Alarmplan erstellt werden, der nicht von unterschiedlichen Meldestellen ausgeht, sondern einschlägig durch ganz Österreich geht. Ich meine, die Sanitätsbehörde wäre die richtige Stelle, von der aus die Meldungen sofort an die weiteren Stellen erfolgen könnten, damit die entsprechenden Maßnahmen gesetzt werden können.

Ich bringe daher folgenden


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Entschließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

der Bundesräte Ulrike Haunschmid, Dr. Paul Tremmel, Dr. Reinhard Eugen Bösch betreffend Verbesserung des Meldewesens bei melde- und anzeigepflichtigen Krankheiten

Der Bundesrat wolle beschließen:

"Die Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales wird angesichts des anläßlich der Meningitis-Fälle in Bayern, aber auch in verschiedenen österreichischen Bundesländern zutage getretenen fahrlässigen Dilettantismus im Meldewesen bei melde- und anzeigepflichtigen Krankheiten ersucht,

den österreichischen Gesundheitsbehörden per Erlaß die geltende Gesetzeslage in die offenbar geschwundene Erinnerung zu rufen,

dafür zu sorgen, daß übertragbare, melde- und anzeigepflichtige Erkrankungen pro Einzelfall sofort und nicht erst periodisch gebündelt an die zuständigen Behörden weitergemeldet werden,

den Behördenweg dieser Meldungen klar, unzweideutig und fachspezifisch festzulegen und zeitlich zu verkürzen,

die Ausarbeitung und Vollziehung von Schutzmaßnahmen der von diesen Krankheiten bedrohten Bevölkerungsschichten wirksam zu koordinieren,

bei Verstößen gegen die geltenden Melde- und Anzeigebestimmungen wirksame Sanktionen zu verhängen."

*****

Ich ersuche Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, diesen Entschließungsantrag zu unterstützen. – Danke schön. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

15.30

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Der soeben eingebrachte Entschließungsantrag der Bundesräte Haunschmid und Kollegen betreffend die Verbesserung des Meldewesens bei melde- und anzeigepflichtigen Krankheiten ist genügend unterstützt und steht somit ebenfalls in Verhandlung.

Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Schaufler. – Bitte.

15.30

Bundesrat Engelbert Schaufler (ÖVP, Niederösterreich): Frau Präsidentin! Geschätzte Frau Ministerin! Meine Damen und Herren! Der zweite vorliegende Gesundheitsbericht ist eigentlich ebenso wie der erste, der 1994 vorlag, eine Standortbestimmung, um im internationalen Vergleich zu sehen, wo Österreich steht, und auch eine Darstellung der Perspektiven für die Zukunft.

Frau Bundesministerin! Sie haben diesen Bericht sicherlich zusammengefaßt und endredigiert, wenn ich das so sagen darf, wenn auch vielleicht nicht höchstpersönlich. Der Berichtszeitraum ist aber eigentlich einer, für den Sie als Frau Ministerin nicht grundsätzlich die Verantwortung tragen. Das möchte ich doch hier festgestellt haben.

Ich darf noch eine weitere Feststellung hinzufügen: Es ist in Österreich so, daß fast 100 Prozent der Bevölkerung von der sozialen Versicherung erfaßt sind, und das ist eine gute Voraussetzung, um halbwegs gesund zu bleiben.

Auch die Ärztedichte – sie wurde heute schon angesprochen – ist im internationalen Vergleich hoch. Wir liegen an zweiter Stelle hinter Italien, und es wundert einen, wenn man nachliest, daß auf einen Arzt nur 260 Einwohner kommen. Dabei wurden natürlich auch Chirurgen und alle angestellten Ärzte auf die Bevölkerung hochgerechnet. Aber immerhin liegen Länder wie die


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Schweiz, Deutschland, Schweden oder Holland in dieser Reihung hinter uns. Nach dem Gebietskrankenkassenstellenplan kommen auf einen Arzt – nach § 2 – 900 Einwohner.

Man möchte meinen, daß das eine gute Versorgung mit sich bringt. Mich irritiert nur immer wieder, daß die Wartezimmer der Ärzte gelegentlich überquellen. Das liegt wahrscheinlich doch auch an der Organisation.

Interessant ist, daß in Wien, wo die Verkehrsgrundstrukturen im Vergleich zu anderen geographischen Lagen sehr gut sind, auf einen Kassenarzt nur 600 Einwohner kommen. Da wundert es mich dann nicht mehr, daß der Rechnungsabschluß der Wiener Gebietskrankenkasse gerade noch ausgeglichen oder ein bißchen negativ ist, obwohl fast überall die Rechnungsabschlüsse der Gebietskrankenkassen aufgrund der geänderten Fakten – wie Krankenscheingebühr, Rezeptgebühr und Zuzahlung der Versicherten zu Kuraufenthalten – eigentlich wesentlich bessere Erfolge ausweisen. Mich freuen diese Erfolge nicht so besonders, weil diese Verbesserung zu Lasten der Versicherten gegangen ist und erzielt wurde.

Positiv zu verzeichnen – das wurde von Ihnen, Frau Ministerin, heute selbst angemerkt – ist der Rückgang der Säuglingssterblichkeit in den Jahren 1992 bis 1995 von 7,5 Promille auf 5 Promille. Das ist ein Rückgang um mehr als 25 Prozent. Irritiert hat mich dabei – ich habe vorhin den Ärztestand in Wien angesprochen –, daß die Fälle von Kindersterblichkeit in Wien häufiger sind als in den anderen Bundesländern, obwohl die Versorgung mit Ärzten besser ist. Das ist ein gewisser Widerspruch, den ich mir trotz eifrigen Studiums des Berichtes nicht erklären kann.

Was mich traurig gestimmt hat, ist, daß die Zahl der Mutter-Kind-Paß-Untersuchungen nach Einsparung der Sondergeburtenbeihilfe abgenommen hat und es 1997 wieder notwendig geworden ist, einen finanziellen Anreiz für die Untersuchungen zu bieten. Ich glaube, in diesem Bereich müßte die Motivation der Mütter und natürlich auch der Väter – die Kinder können noch nicht selbst zum Arzt gehen – vorangetrieben werden. Man müßte mehr Aufklärungsarbeit in diesem Bereich leisten, damit die Eltern auch ohne finanziellen Anreiz diese Untersuchungen zu 100 Prozent annehmen.

Aufklärungsarbeit scheint mir persönlich aber auch vor allem im Bereich der Vorsorgeuntersuchungen notwendig zu sein. Meines Wissens gibt es ein gewisses West-Ost-Gefälle, das heißt, im Westen werden Vorsorgeuntersuchungen besser angenommen als in Oberösterreich, Niederösterreich und im Burgenland. Das Ministerium erklärt im Bericht aber – weil ohnedies ein Zugang vorhanden ist, dieser ist aber relativ gering –, daß keine unmittelbare Maßnahme notwendig sei. Ich sehe darin einen gewissen Widerspruch.

Vielleicht ist diese gedruckte Meinungsäußerung allerdings auch schon überholt. Wir haben heute noch einen Tagesordnungspunkt, unter dem wir uns speziell mit dem Bereich Gesundheitsförderung befassen, in dem immerhin 100 Millionen Schilling zum Einsatz gelangen werden. – Ich persönlich bin der Ansicht, daß Vorsorge allemal noch besser ist als der Versuch, zu heilen und zu therapieren. (Zustimmende Geste von Frau Bundesministerin Hostasch. )

Ich hoffe aber auch, daß ein Teil der soeben angesprochenen 100 Millionen Schilling auch im Kampf gegen Drogen, gegen Suchtgifte eingesetzt wird. Dabei tue ich mich mit der neuen Wortwahl noch immer ein bißchen schwer, denn auf einmal ist vom "Suchtmittel gesetz" die Rede. – Ich bin nach wie vor der Auffassung, daß Drogen Gifte sind, daher wäre die alte Bezeichnung "Suchtgift gesetz" eigentlich der bessere Name gewesen. Vor allem in diesem Bereich muß gelten, daß Aufklärung, Vorsorge und Vorbeugung gegen Drogen jeder Art verstärkt werden, und daß auch gegen die Designergifte wie Ecstasy et cetera strenge Maßnahmen gesetzt werden und viel Aufklärung notwendig ist. Diese strengen Maßnahmen sollen sich natürlich gegen jene richten, die an diesen Drogen verdienen, wie Dealer, Schmuggler und andere Verteiler. Ich glaube, das wäre allemal noch besser als die Behandlung von Drogenabhängigen.

Drogenmißbrauch führt in vielen Fällen zu schweren gesundheitlichen Schäden bis hin zur Infektion mit einer meist tödlichen Krankheit, mit Aids. Laut Bericht steckt sich immerhin jeder fünfte an Aids Erkrankte beim Drogenmißbrauch an. Das ist eine sehr große Zahl!


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Beim Studium des vorliegenden Berichtes drängt sich eine Unzahl von Fragen auf, die ich jetzt nicht alle behandeln werde, sonst würde ich vielleicht noch um Mitternacht mit Ihnen, Frau Ministerin, hier in Diskussion stehen. Aber es gibt eine Reihe sehr interessanter Fragen.

So habe ich zum Beispiel dem Bericht entnommen, daß in Österreich eine im internationalen Vergleich sehr große Zahl an Transplantationen vorgenommen wird. Da ich gerade in den letzten Tage lesen mußte, daß es zwischen China und den Vereinigten Staaten zu einem florierenden Organhandel gekommen ist, erlaube ich mir in diesem Zusammenhang die Frage: Wie ist denn diesbezüglich die Situation in Österreich? Können Sie ausschließen, daß illegaler innerösterreichischer Handel oder vielleicht sogar auf Österreich übergreifender, internationaler Handel mit Organen stattfindet? – Wenn dem so wäre, dann müßte, genauso wie bei Drogen, ein Riegel vorgeschoben und jeder Mißbrauch in diesem Bereich verhindert werden.

Wir wissen, daß die Nachfrage nach Spenderorganen auch in Österreich relativ groß ist. Aus meiner Umgebung weiß ich, wie lange jemand warten muß, um beispielsweise eine geeignete Spenderniere zu bekommen.

Der Bericht stellt auch fest, daß Herz- und Kreislauferkrankungen nach wie vor die häufigste Todesursache, noch vor Krebs, sind. Es gab in Österreich in den letzten Jahrzehnten bundesweite Spendenaktionen wie "Schach dem Herztod" oder "Kampf dem Krebs". Frau Ministerin! Da darf ich mir die Frage erlauben: Was haben diese Aktionen gebracht, welche Erfolge sind zustande gekommen, und wohin sind vor allem die Mittel geflossen?

Es ist interessant, und es ist, wenn man nur richtig hinhört, auch in der Praxis zu erleben und festzustellen, daß bedauerlicherweise die Zahl der Krebserkrankungen steigt. Davon ausgehend empfinde ich es als sehr positiv, wenn im Regierungsprogramm steht, daß der Versorgung dieser Patienten ein besonderer Stellenwert zugeordnet wird. Es ist aber meiner Auffassung nach in diesem Bereich noch sehr viel zu tun.

Ich weiß aus meinem eigenen Umfeld, wie hilflos, wie beunruhigt, wie zerstört Menschen sind, wenn die Diagnose Krebs lautet. Es fehlt meines Erachtens vor allem nach Operationen, nach chirurgischen Eingriffen an aufklärender, begleitender Betreuung. Die Chirurgen und auch die Ärzte sind meist überfordert. Aber es wird oft nicht einmal die Information gegeben, daß es gute Selbsthilfegruppen gibt; diese Information müßte doch jedem Krebspatienten zukommen. Diese Selbsthilfegruppen werden gefördert, das weiß ich, aber meines Erachtens zuwenig. Sie sind überwiegend auf Spenden, auf freiwillige Helfer und Mitarbeiter angewiesen. Da sollte und muß mehr geschehen.

Vor allem aber muß an der Früherkennung gearbeitet werden. Da müssen modernste Methoden und Techniken zum Einsatz gelangen. Dabei erlaube ich mir jetzt allen Ernstes die von vielen vielleicht als ketzerisch aufgefaßte Frage, ob es in unserem schnellebigen Zeitalter angebracht ist, daß es fallweise noch 70jährige praktizierende Ärzte gibt, und ob diese gemäß ihrer zwar lebenslangen Erfahrung, aber vor einem halben Jahrhundert erfolgten Ausbildung imstande sind, dem heutigen Stand der Medizin und den modernsten Erkenntnissen entsprechend rechtzeitig zu erkennen, ob ein Karzinom vorliegt oder nicht. Ich weiß und ich hörte von Fehldiagnosen, die auch zu chirurgischen Eingriffen geführt haben, und das ist schlimm.

Ich könnte in diesem Bereich noch weitergehende Ausführungen machen, aber ich meine, es reicht das bisher Gesagte, um als Anstoß zum Nachdenken zu dienen und schlußendlich Änderungen herbeizuführen.

Jetzt komme ich zum Geld. Natürlich kostet Gesundheit beziehungsweise der Erhalt der Gesundheit Geld, sehr viel Geld. Beispielsweise stehen den Krankenkassen insgesamt 123 Milliarden Schilling zur Verfügung. Davon müssen 37 Milliarden Schilling für die Spitalsfinanzierung aufgewendet werden. 1997 wurden allein für Medikamente 17 Milliarden Schilling ausgegeben. 1998 – das erlaube ich mir selbst frei zu schätzen – werden es wenigstens um 3 bis 4 Prozentpunkte mehr sein.


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Mit Verwunderung habe ich festgestellt – dafür bin ich dem Bericht dankbar –, daß die Arzneimittelpreise in Österreich amtlich geregelt werden. Haben wir deshalb solch hohe Preise?, könnte man sich fragen. Aber interessanterweise entnehme ich dem Bericht auch, daß die Herstellerpreise im internationalen Vergleich niedrig sind und daß es eigentlich an den Spannen und Aufschlagsätzen von Großhändlern und Apotheken liegt. Laut "Kurier" vom 9. März gibt es im Großhandel 15 Prozent Aufschlag, und die Apothekerspanne liegt bei runden satten 40 Prozent.

Da erlaube ich mir schon die Frage: Wie wäre es mit ein bißchen mehr Wettbewerb, wie wäre es mit Weltmarktpreisen, wie sie vielen Bereichen beispielsweise, auch der Landwirtschaft, zugemutet werden? – Durch mehr Wettbewerb könnte man sicherlich Kosten sparen, ohne daß ein Qualitätsverlust eintreten müßte.

Abschließend erlaube ich mir noch die Frage, wieweit wir denn in Österreich mit der sogenannten Chipcard im Bereich der Sozialversicherungen sind. Ich erinnere mich an einen Entschließungsantrag des Nationalrates vom Vorjahr, in dem das Ziel angepeilt wird, mit 1. Jänner 1999 die Chipcard einzuführen. Ich bin der Auffassung – ich wiederhole damit eine von mir hier schon vorgetragene Forderung –, daß im Zuge der Einführung der Chipcard der Krankenschein abgeschafft werden könnte, die Krankenscheingebühr abgeschafft werden könnte. Das sind Ziele, die wir als Versicherte doch anstreben müßten. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP.)

15.45

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Zu Wort gemeldet hat sich die Frau Bundesminister. – Bitte.

15.45

Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales Eleonora Hostasch: Sehr geschätzte Damen und Herren! Bitte um Entschuldigung, wenn ich mich jetzt nach den Ausführungen des Herrn Bundesrates Schaufler melde, aber mir erscheint es sehr wichtig, ihm eine Frage, die er in den Raum gestellt hat, ganz klar zu beantworten. Die Frage ging dahin, ob ich sicher bin, daß in Österreich bei Organspenden nicht auch Situationen eintreten können, wie wir sie von anderen Ländern kennen.

Ich glaube, ich kann mit gutem Gewissen sagen, daß unsere Organentnahmeregelungen, auch unsere Bestimmungen im Krankenanstaltengesetz, nach denen es ein Gewinnerzielungsverbot gibt und keine Geschäfte mit Organen gemacht werden dürfen, so hervorragend sind, daß ich ausschließen kann, daß auf diesem Gebiet etwas passiert, das wir nicht vertreten könnten. Ich kann also guten Gewissens diese Frage mit Ja beantworten. (Beifall bei der SPÖ.)

Sie haben die Arzneimittel angesprochen. Wir führen derzeit Gespräche mit einem Unternehmen, das Parallelimporte für Arzneimittel vornimmt, und wir werden versuchen, daß über diesen Weg der Wettbewerb bei den Preisen verstärkt und damit mehr Fairneß bei der Preisgestaltung erzielt wird.

Hinsichtlich der Chipcard sind die Vorbereitungen für die Ausschreibung, welche wir EU-konform vornehmen müssen, vorangetrieben worden. Es werden in den nächsten Wochen die entsprechenden Schritte gesetzt, und ich gehe davon aus, daß wir im nächsten Jahr mit der Umsetzung dieses großen Projektes beginnen werden, sodaß wir im Jahr 2000 eine Chipkartenversorgung haben werden und damit auch der Ersatz des Krankenscheines erfolgen wird. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

15.47

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Schöls. – Bitte.

15.47

Bundesrat Alfred Schöls (ÖVP, Niederösterreich): Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Weil heute der Gesundheitsbericht zur Debatte steht und weil mich manche Ausführungen hier doch etwas betroffen gemacht haben, möchte ich meine Rede mit einem Zitat von Adalbert Stifter beginnen, der gesagt hat, daß es keine schlimmere Krankheit der Zeit gibt


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als Unwissenheit und Unredlichkeit. Ich glaube, wenn wir gemeinsam versuchen, diese Krankheit zu bekämpfen, nicht nur bei der Debatte um den Gesundheitsbericht, sondern in der Politik generell, dann tun wir uns allen etwas Gutes.

Ich möchte in Anbetracht der Zeitvorgaben meine vorgesehene Rede etwas kürzen. Es ist mir ein Bedürfnis, heute hier bei der Diskussion über den Gesundheitsbericht jenen Damen und Herren zu danken, die ein wesentliches Glied der Gesundheitspolitik in unserer Republik darstellen, nämlich den Bediensteten in den vielen Einrichtungen unseres Gesundheitssystems, den Bediensteten in den Zentralverwaltungsstellen in den Gesundheitssystemen und natürlich auch den Verantwortlichen in der Politik, welche die Rahmenbedingungen vorzugeben haben, den Bediensteten in der Verwaltung, die Großartiges leisten; die Perfektion hat niemand erfunden, aber sie leisten Großartiges. Aber ich glaube, ein wesentlich größerer Dank gebührt jenen Damen und Herren, von den Ärzten über die Säuglingsschwestern bis hin zu den Altenpflegern, die tagtäglich, Stunde für Stunde, Minute für Minute, rund um die Uhr im Sinne unseres Systems tätig sind und denen wir es verdanken, daß wir heute über einen von seiner Grundtendenz her sehr positiven Bericht diskutieren können.

Die Qualität einer Gesellschaft erkennt man daran, wie sie bereit ist, mit ihren Schwächsten umzugehen, und das sind zweifelsohne die Alten und Kranken. Daher glaube ich, daß wir jenen, die sich ihrer annehmen, großen Dank schulden. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Ich möchte, weil heute schon die nach langwierigen Verhandlungen erfolgte Umstellung der Finanzierung vom schier unaussprechlichen KRAZAF auf das leistungsorientierte Krankenanstaltenfinanzierungssystem angesprochen wurde, doch auch betonen, daß dadurch natürlich viel mehr Kostenbewußtsein geweckt wurde und daß sich diesbezüglich einiges zum Besseren gewendet hat. Wir in Niederösterreich haben dieses System sozusagen im Probelauf schon ein Jahr im voraus ausprobiert und sicherlich mit unseren Erfahrungen, die wir bereits im Jahr 1996 gemacht haben, einen Beitrag dazu geleistet, daß gewisse Kinderkrankheiten dann in der Ausformulierung nicht mehr vorhanden waren.

Ich möchte als Mandatar einer Wiener Umlandgemeinde doch die Frau Ministerin ersuchen, darauf hinzuwirken, daß die Verantwortlichen in der Wiener Gesundheitspolitik nicht immer die Fremdpatientenfrage so darstellen, als hätten die anderen Bundesländer diesbezüglich ein schlechtes Gewissen zu haben. (Demonstrativer Beifall des Bundesrates Payer. ) Es ist nachgewiesen, daß der Anteil Wiens an den Mitteln des LKF 30 Prozent beträgt, während beispielsweise Niederösterreich nur 16 Prozent bekommt, und damit nicht nur die Kosten für Lehre und Forschung abgegolten sind, sondern sicherlich auch die Kosten für Heilung. (Bundesrat Payer: Sehr richtig!)

Da in der Frage der Finanzierung auch das Bundespflegegesetz ein wesentlicher Faktor ist, sei noch einmal darauf hingewiesen, daß uns auch jene Damen und Herren, die sich in der Hauskrankenpflege eine Aufgabe aufbürden, helfen.

Zur Vorsorgemedizin: Da es bekanntlich bei den Vorsorgeuntersuchungen ein Ost-West-Gefälle gibt, hat unser Landeshauptmann Dr. Erwin Pröll das Niederösterreichische Gesundheitsforum ins Leben gerufen, in dem wir über die Gemeinden versuchen, einiges an Präventivinformation zu geben.

Frau Bundesministerin! Im Zusammenhang mit dem Gesundheitsbericht habe ich drei Wünsche. Ich bin davon überzeugt, daß zwischen jener Position, welche die Arbeiterkammerpräsidentin Lore Hostasch in der Frage der Selbstmedikation eingenommen hat, und jener Position, welche die für Gesundheitsfragen zuständige Ministerin Lore Hostasch einnimmt, kein Unterschied ist. Es gibt den Umstand, daß in Deutschland, in Italien und in der Schweiz 40 Prozent der Medikamente in Selbstmedikation eingenommen werden, während wir nur bei 15 Prozent liegen. Das ist eine entscheidende Kostenfrage und kommt vor allem den älteren Menschen zugute, die einen wesentlich höheren Verbrauch an Medikamenten haben – von der Wartezeit in den Ordinationen gar nicht zu sprechen.


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Die Patientenrechte wurden schon angesprochen. Zur Frage der Ärztehaftpflicht gab es eine jetzt schon einige Jahre zurückliegende Diskussion anläßlich eines Falles falsch abgeschnittener Hoden. Ich glaube, nähere Ausführungen können wir uns ersparen. Hier ist Gefahr im Verzug, und wir sollten alles daransetzen, damit eine entsprechende Regelung, was die Ärztehaftpflicht für die Patienten betrifft, auch zustande kommt.

Betreffend festsitzenden Zahnersatz und Ambulatorien darf ich folgendes sagen: Auch wenn heute in den Zeitungen steht, die Volkspartei hätte dazu eine negative Meinung – das Recht der freien Meinungsäußerung steht natürlich allen zu –, so sind doch die Christgewerkschafter und die Arbeitnehmervertreter natürlich auf der Seite, auf der sie in dieser Frage immer waren. (Demonstrativer Beifall des Bundesrates Konečny. )

Die Arbeitsmedizin ist ein großes Anliegen, gerade im Bereich des öffentlichen Dienstes. Dort sind Defizite festzustellen, die erschütternd sind. Ich war vorgestern in der Strafvollzugsanstalt in Stein zu einem Betriebsbesuch. Der Arbeitsmediziner ist nicht zum Schutz der öffentlich Bediensteten eingeschritten, sondern nur weil das Strafvollzugsgesetz gewisse Arbeitsbedingungen für lebenslänglich verurteilte Mörder in den Werkstätten vorschreibt, konnte der Arbeitsinspektor wirksam werden. Die bediensteten Beamten hätten aufgrund der Regelungen im Bundesdienst keine Möglichkeit zum Einschreiten gehabt. – Das sei infolge der Kürze der Redezeit nur angedeutet, das Thema ist allen bekannt.

Zum Schluß: "Wien darf nicht Chicago werden" – dieses Plakat hat es gegeben. Wenn es darum geht, zu sagen: Versicherungspflicht statt Pflichtversicherung, dann schließe ich mich diesem Slogan an, denn die Solidargemeinschaft in der Versicherung, mit der wir uns zur Pflichtversicherung bekennen, die eine solidarische Leistung erbringt, steht nicht in Frage. Wenn wir von diesem System wegkämen und zur freien Finanzierung übergingen, dann hätten wir Verhältnisse wie in Chicago und wie wir alle sie sicherlich nicht wollen.

Ein altes japanisches Sprichwort sagt: "Der Gesunde hat viele Wünsche, der Kranke hat nur einen." In diesem Sinne hoffe ich, daß wir unsere vielen Wünsche umsetzen, damit die Kranken wieder mehr Wünsche haben können. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

15.55

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Das ist auch nicht der Fall.

Wir kommen daher zur Abstimmung über die vorliegenden Berichte, die getrennt erfolgt.

Wir kommen zuerst zur Abstimmung über den Gesundheitsbericht 1997 der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales über den Berichtszeitraum 1993 – 1995.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den vorliegenden Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Dies ist die Stimmenmehrheit.

Der Antrag auf Kenntnisnahme des Berichtes ist somit angenommen.

Es liegt ein Antrag der Bundesräte Dr. Tremmel und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend Gratisbehandlung ausländischer Patienten in Österreichs Krankenhäusern vor.

Ich lasse jetzt über diesen Entschließungsantrag abstimmen. Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmenminderheit.

Der Antrag auf Fassung einer Entschließung ist daher abgelehnt.


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Weiters liegt ein Antrag der Bundesräte Haunschmid und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend Verbesserung des Meldewesens bei melde- und anzeigepflichtigen Krankheiten vor.

Wir stimmen nun über diesen Entschließungsantrag ab, und ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmenminderheit.

Der Antrag auf Fassung einer Entschließung ist daher abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Hebammenbericht der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den vorliegenden Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmenmehrheit.

Der Antrag auf Kenntnisnahme des Berichtes ist somit angenommen.

Es liegt ein Antrag der Bundesräte Dr. Bösch und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend Ausbildungs- und Arbeitsplätze für österreichische Hebammen vor.

Wir stimmen über diesen Entschließungsantrag ab, und ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmenminderheit.

Der Antrag auf Fassung einer Entschließung ist daher abgelehnt.

Weiters liegt ein Antrag der Bundesräte Jaud, Payer und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend Erstellung eines Berichtes über den Vollzug des Hebammengesetzes vor.

Wir stimmen nun über diesen Entschließungsantrag ab, und ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmenmehrheit.

Der Antrag auf Fassung einer Entschließung ist daher angenommen. (E. 157)

Ich unterbreche jetzt die Sitzung bis 16 Uhr, und wir kommen dann zur Behandlung der dringlichen Anfragen.

(Die Sitzung wird um 15.58 Uhr unterbrochen und um 16.03 Uhr wiederaufgenommen. )


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637. Sitzung / Seite 85

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach:
Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf.

Dringliche Anfrage

der Bundesräte Gottfried Waldhäusl, Dr. Reinhard Eugen Bösch, Mag. John Gudenus, Ulrike Haunschmid, Dr. Paul Tremmel und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend die negativen Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf Österreich (1364/J-BR/98)

Dringliche Anfrage

der Bundesräte Gottfried Waldhäusl, Dr. Reinhard Eugen Bösch, Mag. John Gudenus, Ulrike Haunschmid, Dr. Paul Tremmel und Kollegen an den Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten betreffend die negativen Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf Österreich (1365/J-BR/98)

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wir gelangen nunmehr zur Verhandlung über die dringlichen Anfragen der Bundesräte Waldhäusl und Kollegen an den Herrn Bundeskanzler sowie an den Herrn Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten.

Da diese inzwischen allen Bundesräten zugegangen sind, erübrigt sich eine Verlesung durch die Schriftführung.

Ich erteile Herrn Bundesrat Waldhäusl als erstem Anfragesteller zur Begründung der Anfrage das Wort.

16.04

Bundesrat Gottfried Waldhäusl (Freiheitliche, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Werte Kollegen des Hohen Hauses! Die EU-Osterweiterung wird in der Bevölkerung diskutiert, man kann das aus verschiedenen Zeitungsartikeln immer wieder entnehmen. Wir wissen, daß am 12. und 13. Dezember des Vorjahres in Luxemburg der sogenannte Startschuß zu diesem Projekt gegeben wurde. Verhandlungen mit Zypern, Ungarn, Polen, Estland, der Tschechischen Republik und Slowenien sollen begonnen werden, und parallel dazu sollen Vorbereitungen zu Verhandlungen mit Rumänien, Slowakei, Lettland, Litauen und Bulgarien in Angriff genommen werden. Die EU-Kommission rechnet damit, daß bereits in den Jahren 2002 und 2003 der Beitritt der ersten beitrittswilligen Oststaaten stattfinden wird.

Tatsache ist jedenfalls, daß keiner der Kandidaten zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Beitrittskriterien erfüllt. Tatsache ist, daß sämtliche Beitrittswerber künftige Nettoempfänger sein werden. Faktum ist des weiteren, daß es sehr viele ungelöste Probleme gibt, die bis zur EU-Erweiterung durch den Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten bereinigt werden müssen, um die Folgen beziehungsweise die Probleme, die Österreich dann treffen werden, abwehren zu können.

Damit meine ich zum Beispiel den Umstand, daß es in den Staaten der Mitgliedsbewerber ein sehr niedriges Pro-Kopf-Einkommen gibt oder daß die Landwirtschaft in diesen Volkswirtschaften ein sehr großes Gewicht hat. Dadurch werden viele Probleme auch auf unseren Bundesstaat zukommen. Über die Bereiche Wasser, Luft, Atomkraftwerke, sprich den Umweltbereich, muß auch noch diskutiert werden, und dort werden Probleme gelöst werden müssen.

Ungelöst ist auch eines der größten Probleme, das Problem der Arbeitslosigkeit. Es gibt, wie wir wissen, im gesamten Gebiet der Europäischen Union rund 20 Millionen Arbeitslose, und dieses Problem – das ist nichts Unbekanntes – ist nicht gelöst.

Was wird im Zuge dieser Beitrittsverhandlungen beziehungsweise bei einem Beitritt im Jahr 2002 oder 2003 passieren, welche volkswirtschaftlich nachteiligen Auswirkungen wird es auf Niederösterreich beziehungsweise auf ganz Österreich geben? (Ironische Heiterkeit des Bundesrates Konečny. ) Sie lachen, Herr Kollege! (Bundesrat Konečny: Ist nur ein Bundesland Mitgliedsland der EU oder neun? Wenn Sie erklären wollen, daß Sie hier eine Wahlrede halten, dann ...!) Herr Kollege! Niederösterreich ist jenes Bundesland, das bei einer EU-Osterweiterung die größten Probleme haben wird, und Niederösterreich ist das ... (Bundesrat Konečny: Schauen Sie sich die schriftliche Anfrage an! Da steht etwas ganz anderes drinnen! – Weitere Rufe und Gegenrufe bei der SPÖ und bei den Freiheitlichen.)

Als Vertreter des Bundeslandes Niederösterreich ... (Ironische Heiterkeit bei der SPÖ. – Bundesrat Konečny: Das ist Wahlkampf! – Heftige Rufe und Gegenrufe bei der SPÖ und bei den Freiheitlichen.) Wir sind hier in der Länderkammer, und, Herr Kollege Konečny, in der Länderkammer muß und soll es das Recht jedes Mitgliedes des Bundesrates sein, die Länderinteressen offenzulegen. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Konečny: Natürlich! – Bundesrat Mag. Gudenus: So ist es!) Herr Kollege Konečny! Daß Niederösterreich aufgrund der langen Außengrenze von einer EU-Osterweiterung am stärksten betroffen sein wird, ist kein Geheimnis. Lernen Sie Geographie, Herr Kollege Konečny! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Payer: Soll ich Ihnen eine Karte bringen? – Bundesrat Konečny: Ein Taferl mit einer Landkarte von Österreich! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ und bei den Freiheitlichen.)


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Es ist verwunderlich, daß es, weil wir Freiheitlichen zu einem wirklich brisanten Problem, nämlich der EU-Osterweiterung, hier an die zuständigen Ressortchefs eine dringliche Anfrage stellen, um eben dieses Problem zu klären, Schwierigkeiten in diesem Hohen Haus gibt. Wir setzen uns für Österreich ein, speziell für Niederösterreich, und wir stehen dazu, daß es erst dann zu einer EU-Osterweiterung kommen kann und darf, wenn die obgenannten Probleme gelöst sind, meine Damen und Herren! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Rufe und Gegenrufe bei der SPÖ und bei den Freiheitlichen.)

Durch einen vorzeitigen EU-Beitritt mittel- und osteuropäischer Staaten wird es zu volkswirtschaftlich nachteiligen Entwicklungen kommen, zum Beispiel zu Produktions- und Investitionsauslagerungen in verschiedenen Bereichen der Industrie mit lohn- und energieintensiver Produktion bis hin zur Landmaschinenindustrie, sprich bäuerlichen Industrie, zu verstärktem Kaufkraftabfluß aufgrund wegfallender Zollbeschränkungen und des niedrigen Preisniveaus in den beitrittswilligen Staaten sowie zu Verlagerungen im Bereich der Dienstleistungen. In diesem Zusammenhang fordert die österreichische Bundesregierung die Schaffung eines Sonderprogrammes für die Bereiche nahe der Grenze zu diesen Oststaaten. Sie fordert es!

Meine Damen und Herren! Wir haben von EU-Kommissarin Wulf-Mathies wiederholt erklärt bekommen, daß eine besondere Grenzlandförderung in den österreichischen Grenzgebieten nicht in Frage kommt, weil die Fakten dagegen sprechen. Das, meine Damen und Herren, ist Faktum, und vor diesem Problem stehen wir jetzt! Eben wegen dieser Umstände ist eine rasche EU-Osterweiterung zu Lasten Österreichs, zu Lasten Niederösterreichs der Bevölkerung gegenüber verantwortungslos. Daher werden wir heute über dieses Thema diskutieren, und wir werden hier noch einige zusätzliche Fragen zu jenen, die wir bereits gestellt haben, stellen, und wir werden genau beobachten, ob die entsprechende Antwort darauf gegeben wird, und anhand dieser Antworten prüfen, ob die Möglichkeit besteht, Österreich vor diesen negativen Auswirkungen zu schützen. Denn, meine Damen und Herren: Es kann nicht sein, daß bei diesem Schritt gerade unser Staat, unsere Grenzregionen auf der Strecke bleiben!

Meine Damen und Herren! Nun ein paar Fakten zur EU-Osterweiterung selbst. Allein auf dem Arbeitsmarkt werden die Auswirkungen verheerend sein. Das wurde inzwischen auch mit Studien des Wifo und der Akademie der Wissenschaften belegt. Statt, wie von Klimas Koalitionsregierung versprochen, durch die Chance "EU-Osterweiterung" neue Arbeitsplätze zu schaffen, drohen Tausende vernichtet zu werden. Auch der Preis steht schon fest, den die Österreicher vorab für diesen Erfolg bezahlen müssen: die Verdoppelung der Beitragszahlungen an Brüssel, meine Damen und Herren! (Zwischenrufe bei ÖVP und SPÖ.)

Um sich auszurechnen, was das bedeutet, muß man kein Experte sein. Die Folgen sind: Lohn- und Sozialdumping in Österreich, infolgedessen ein Anstieg des Budgetdefizites, das Zusammenbrechen von Wirtschafts- und Sozialstrukturen vor allem in den Grenzregionen, vor allem in Niederösterreich. Was aber tut die Koalition? – Sie hat der EU-Osterweiterung auf dem Gipfel in Luxemburg – wir haben es gehört! – zugestimmt und ein eindeutiges Ja zu diesem Schritt gesagt.

Ich möchte nun auf die angekündigten Förderprogramme speziell für die Grenzregionen zu sprechen kommen, auf die Vorschläge, wie man diese Auswirkungen verhindern kann.

Der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Fritz, hat erklärt – das ist im "WirtschaftsBlatt" nachzulesen –: Die EU-Kommission wird in der Agenda 2000 keine spezielle Grenzlandförderung vorschlagen. So lautet die Brüsseler Antwort auf eine Anfrage des ÖVP-Abgeordneten Reinhard Rack. Das, meine Damen und Herren, steht jetzt schwarz auf weiß. (Bundesrat Konečny: Die "Agenda 2000" liegt doch seit einem Dreivierteljahr gedruckt vor! Wir brauchen nicht darüber zu spekulieren!)

Herr Kollege Konečny! Wenn Sie in diesem Haus noch immer nicht wissen, daß die Agenda 2000 und die EU-Osterweiterung zusammen ein Bündel sind, daß das eine ohne das andere nicht geht, dann weiß ich nicht, wovon Sie sprechen. (Bundesrat Konečny: Sie haben gesagt,


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es wird in der Agenda 2000 etwas nicht stehen! Das kann man ja nachlesen, denn sie liegt gedruckt vor! Wir brauchen nicht zu spekulieren!)

Das ist keine Spekulation. Ich wiederhole für diejenigen, die sich beim Zuhören ein bißchen schwertun, so wie Sie, Herr Kollege Konečny: ÖVP-Abgeordneter Reinhard Rack hat eine Anfrage an die EU-Kommission gerichtet (Bundesrat Konečny: Wann?) , und die Antwort darauf lautete, daß es keine spezielle Grenzlandförderung für die Grenzregionen Österreichs geben wird. (Bundesrat Konečny: Das haben Sie aber nicht gesagt!) Sie müssen besser zuhören, Herr Kollege! Wenn Sie es nicht tun, dann kann Ihnen niemand helfen.

Meine Damen und Herren! Wie wird die Grenzregion – speziell die Grenzregion in Niederösterreich – von Auswirkungen und Nachteilen der EU-Osterweiterung betroffen sein? – Die Arbeitslosigkeit wird steigen. Ich möchte darauf hinweisen: Wir haben in Niederösterreich in den Grenzbezirken Gmünd und Waidhofen an der Thaya schon jetzt zirka 14,5 bis 15 Prozent Arbeitslose. Gerade diese Bezirke sind von einer EU-Osterweiterung am stärksten gefährdet. (Zwischenruf des Bundesrates Ing. Penz. )

Dann lesen Sie die Statistik nach, Herr Kollege! Sie als niederösterreichischer Bundesrat müßten die konkreten statistischen Zahlen kennen. Lesen Sie sie nach, Herr Kollege! Sie haben die Möglichkeit, hier herauszugehen und das Wort zu ergreifen. Oder lesen Sie die Statistik! (Bundesrat Dr. Linzer: Sind Sie ein Hellseher oder ein Zauberkünstler?) Im Gegensatz zu Ihnen lese ich Statistiken und komme aus einem dieser betroffenen Bezirke. (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Linzer. ) Herr Kollege! Ich weiß, daß Ihnen diese Grenzregion nicht am Herzen liegt. (Bundesrat Dr.  Linzer: No na net!) Dafür kann ich nichts.

Meine Damen und Herren! Ein weiteres Problem wird sein, daß die Klein- und Mittelbetriebe in diesem Grenzbereich fast keine Überlebenschance haben werden. Wie wird es im Bereich der Landwirtschaft aussehen? – Nach der Agenda 2000 wird es ein Ende für die heimischen Bauern geben. (Bundesrat Ing. Penz: Wie kommen Sie darauf?) Weil ich mich in der Landwirtschaft auskenne – im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege Penz! – und weil mir die Bauern auf dem Herzen liegen! (Zwischenruf des Bundesrates Ing. Penz. )

Meine Damen und Herren! Das Sicherheitsrisiko wird enorm steigen. Das Drogenproblem wird zunehmen. Im Grenzbereich von Niederösterreich haben wir jetzt schon mit Drogen – speziell mit dem Suchtgift, das über die "grüne Grenze" kommt – zu kämpfen. Auch das stimmt, Herr Kollege!

Laut Agenda 2000 wird eine EU-Osterweiterung auch auf Kosten der heimischen Landwirtschaft gehen. Ich möchte kurz in Erinnerung rufen, welche Probleme die heimische Landwirtschaft bekommen wird beziehungsweise wo sie durch die Agenda 2000 schon im Vorfeld Schaden erleiden wird: Senkung des Milchpreises um 10 Prozent, Senkung der Getreidepreise um mindestens 20 Prozent, Senkung der Rinderpreise um bis zu 30 Prozent, Abschaffung der Silomaisprämie, Bindung der KPA-Förderung, des Kulturpflanzenausgleiches, an ökologische Kriterien, dadurch das Problem im ÖPUL-Bereich, Kürzung der Elementarförderung und so weiter, enorme Kürzungen im Agrarbereich.

Nun soll den niederösterreichischen beziehungsweise den österreichischen Bauern eine EU-Osterweiterung zugemutet werden, eine Erweiterung, bei der die heimischen Bauern keine Möglichkeit haben, zu überleben! Das, meine Damen und Herren, ist die ehrliche Antwort auf jede Frage in bezug auf die EU-Osterweiterung. Jeder hier in diesem Hause, der den Bauern etwas verspricht und nicht die Wahrheit sagt, belügt die Bauern, so wie sie in diesem Hohen Hause schon jahrzehntelang belogen worden sind – nicht von seiten der Freiheitlichen, denn wir sagen den Bauern die Wahrheit! (Bundesrat Konečny: Herr Kollege! Jetzt reicht es aber langsam! – Bundesrat Payer: Seien Sie vorsichtig! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Meine Damen und Herren! Wie wird sich die EU-Osterweiterung nun speziell auf mein Bundesland, auf Niederösterreich, auswirken? – Es wird zu einer Verdoppelung des EU-Mitgliedsbeitrages kommen. (Ruf bei der ÖVP: Wer sagt denn das? – Bundesrat Konečny: Nein!) Die EU-Osterweiterung wird zu einer Erhöhung des österreichischen ... (Bundesrat Konečny: Nein!


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Warum? Wozu soll das gut sein?) Bitte hören Sie zu, Herr Kollege, sonst wissen Sie dann wieder nichts! (Bundesrat Prähauser: Das macht uns ja nichts! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Frau Präsidentin! Ich habe keine Möglichkeit, fortzuschreiten, wenn eine solche Unruhe in diesem Haus herrscht. (Bundesrat Konečny: Schreiten Sie bitte fort! – Bundesrat Dr.  Tremmel: Zur Geschäftsordnung, bitte!)

Bundesrat Dr. Paul Tremmel (Freiheitliche, Steiermark) (zur Geschäftsordnung): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist einfach unglaublich, daß ein Redner immer wieder durch Zwischenrufe unterbrochen wird. Ich bitte, entsprechend den Bestimmungen der Geschäftsordnung dafür Sorge zu tragen, daß der Redner seinen Vortrag durchführen kann. (Ruf bei der SPÖ: Das kann auch vom Redner abhängen! – Bundesrat Prähauser: Er provoziert die Zwischenrufe!)

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Herr Dr. Tremmel! Sie können versichert sein, daß wir sehr wohl darauf achten, daß die Ordnung und Würde im Hohen Haus gewahrt bleiben. Aber wenn der Redner Kolleginnen und Kollegen provoziert, dann muß auch die Gelegenheit gegeben sein, sich durch Zwischenrufe zu melden. Ich glaube nicht, daß es Herrn Kollegen Waldhäusl nicht möglich ist, sich hier verständlich zu machen. Ich bitte ihn aber, jetzt in seiner Rede fortzusetzen.

Bundesrat Gottfried Waldhäusl (fortsetzend) : Meine Damen und Herren! Auch wenn es in diesem Hause schon als Provokation ausgelegt wird, daß man die Wahrheit sagt, möchte ich jetzt mit meinen Ausführungen fortsetzen und die Punkte weiter auflisten.

Es wird durch die EU-Osterweiterung zu einer Verdoppelung des EU-Mitgliedsbeitrages kommen. (Bundesrat Konečny: Nein! – Bundesrat Prähauser: Das ist wieder falsch!) Die EU-Osterweiterung wird zu einer Erhöhung des österreichischen EU-Nettobeitrages von 13 auf 27 Milliarden Schilling führen, sagt das Finanzministerium.

Die jährliche Pro-Kopf-Belastung stiege damit von 1 625 S auf 3 350 S. (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Hört! Hört!) Eine vierköpfige niederösterreichische Familie würde die Osterweiterung 13 400 S im Jahr kosten. – Um Ihre vorherige Frage zu beantworten, noch einmal: Auskunft vom Finanzministerium! Zahlen belegbar!

Noch weniger beziehungsweise keine EU-Sonderförderungen! EU-Gelder würden in erster Linie den osteuropäischen Nachbarstaaten zugute kommen. Die von Landeshauptmann Pröll und seiner ÖVP angekündigte Grenzlandförderung ist eine weitere EU-Lüge. Die zuständige EU-Kommissarin Wulf-Mathies hat uns – ich habe das heute schon gesagt – bereits wissen lassen: Es wird kein Geld für Österreich geben. Klima und Schüssel sind damit abgeblitzt.

Neuer Zuwanderungsstrom aus Europa: Einer Studie der Akademie der Wissenschaften zufolge würden zumindest 200 000 Osteuropäer aus den Beitrittsländern nach Österreich strömen. Niederösterreich mit der längsten Außengrenze wäre davon am meisten betroffen.

Ein weiterer Punkt: dramatischer Anstieg der Arbeitslosigkeit. Mit einem Schlag würden Tausende Billigarbeiter auf den Arbeitsmarkt drängen. Ein Facharbeiter in Tschechien verdient rund 4 600 S, in Österreich aber über 21 000 S. In einigen Branchen beträgt der Lohnunterschied daher bis zu 80 Prozent. (Bundesrat Steinbichler: Erklären Sie uns, wieso der Unterschied zwischen 4 000 und 21 000 S 80 Prozent ist!)

Nächster Punkt: Der freie Personenverkehr gefährdet die Sicherheit. Den osteuropäischen Nachbarstaaten ist es bisher nicht gelungen, effizient gegen die organisierte Kriminalität vorzugehen. Ein Öffnen der Ostgrenze würde zu einem explosionsartigen Anstieg von Menschenhandel, Drogenhandel und Wirtschaftskriminalität führen.

Nächster Punkt: Zusammenbruch der heimischen Landwirtschaft. Das wurde schon ausgeführt. Der freie Warenverkehr würde den Markt mit osteuropäischen Agrarprodukten überschwemmen. Die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise in Tschechien, Ungarn, der Slowakei liegen um


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20 Prozent bis 50 Prozent unter unserem Niveau. 65 000 landwirtschaftliche Betriebe wären allein in Niederösterreich in ihrer Existenz bedroht. Das ist Faktum. (Bundesrat Ing. Penz: Sie wissen aber, daß wir in ganz Niederösterreich nur 60 000 landwirtschaftliche Betriebe haben!)

Weiters wird es kräftige Einbußen bei den Agrarförderungen geben, meine Damen und Herren! Die Neuberechnung der Agrarförderung im Zuge der EU-Osterweiterung (Bundesrat Ing. Penz: Wir haben in ganz Niederösterreich nur 60 000 Betriebe!) , Herr Kollege Penz, aufgrund der Agenda 2000 bedeutet: Einbuße für die Landwirte. (Bundesrat Ing. Penz: Aber wir haben nur 60 000 Betriebe!) Bitte, Herr Kollege Penz? (Bundesrat Ing. Penz: Wir haben in ganz Niederösterreich nur 60 000 Betriebe!) Wir haben in Niederösterreich einmal 120 000 gehabt, aber da der Bauernbund die Bauern immer so "großartig" vertritt, haben wir nur mehr 60 000, Herr Kollege Penz! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Konečny: Wenn es nach Ihnen geht, gehen die 60 000 auch noch zugrunde!)

Neues Belastungspaket und Steuererhöhungen: Die Verdoppelung des EU-Mitgliedsbeitrages, steigende Arbeitslosigkeit und Milliarden Schilling an Kaufkraftabfluß verbunden mit deutlich geringeren Steuereinnahmen könnte die Regierung nur durch ein neues Belastungspaket und Steuererhöhungen ausgleichen.

Darum, meine Damen und Herren, ist diese EU-Osterweiterung speziell für das am stärksten betroffene Bundesland, nämlich Niederösterreich, schlichtweg eine Katastrophe. Die EU-Osterweiterung wäre nur dann möglich, wenn Maßnahmen und Bedingungen – Landeshauptmann Pröll hat heute, habe ich gehört, schon eine gestellt; wir werden noch darauf zurückkommen – vorher schriftlich mit der EU verhandelt und mit Brüssel abgeklärt sind. Alles andere sind für uns nur Phrasen. (Ironische Heiterkeit bei der ÖVP.) Wir sind nach dem EU-Beitritt längst draufgekommen, daß es sich bei diesen Phrasen um EU-Lügen gehandelt hat.

Darum, meine Damen und Herren, erwarten wir heute bei Ihrer Beantwortung eine ehrliche, positive (Bundesrat Dr. Linzer: Sprechen Sie für Niederösterreich oder für ganz Österreich?)  – für Niederösterreich speziell –, richtige Antwort und Zukunftsvisionen, damit in Niederösterreich kein einziger Landwirt, kein einziger Arbeiter, kein Pensionist und kein kleiner und mittelständischer Betrieb Sorge haben muß um sein weiteres Bestehen. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Dr. Linzer: Und die anderen Bundesländer sind Ihnen egal!)

16.24

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Zur Beantwortung hat sich zunächst Herr Staatssekretär im Bundeskanzleramt Dr. Peter Wittmann zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihm.

16.24

Staatssekretär im Bundeskanzleramt Dr. Peter Wittmann: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Da es sich um eine akkordierte Position der Bundesregierung handelt, werden die Frau Staatssekretärin und ich wechselweise diese Fragen beantworten. Damit wollen wir zeigen, daß wir einer Meinung sind und in der Bundesregierung durchaus eine akkordierte Meinung vorherrscht.

Zum ersten Punkt Ihrer dringlichen Anfrage:

Es ist richtig, daß die österreichische Wirtschaft bereits aus dem Europaabkommen beträchtlichen Nutzen gezogen hat. Sowohl hinsichtlich des Handelsvolumens als auch der Investitionen und der Arbeitsplätze ist die Bilanz bisher eindeutig positiv. Wir gehen davon aus – wissenschaftliche Untersuchungen belegen das –, daß der Beitritt – aber auch schon die Vorbereitungen darauf – die Wachstumsperspektiven dieser Länder erheblich verbessern würde. Dies wiederum bedeutet für Österreich als einem der wichtigsten wirtschaftlichen Partner dieser Region weitere positive Auswirkungen.

Bei der Erweiterung geht es aber um etwas mehr als um wirtschaftliche Aspekte. Vor allem stellt die Erweiterung die Chance zur nachhaltigen Verbesserung der Situation im Umwelt- und Energiebereich und in der Erreichung eines hohen Niveaus an nuklearer Sicherheit in der Region dar. Eine rasche Übernahme des EU-Rechts im Umweltbereich ist nicht zuletzt deshalb


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wichtig, weil die bilateralen Freihandelszonen mit den mittel- und osteuropäischen Ländern, die 2002 in Kraft treten, sonst erhebliche Wettbewerbsverzerrungen mit sich bringen könnten. Gleiches gilt für die rasche Annäherung unserer Nachbarn an unsere hohen Sozialstandards.

Die Bundesregierung unterschätzt aber keineswegs die mit der Erweiterung verbundenen Probleme und Risiken. Die Sorgen, die viele Menschen mit der Erweiterung verbinden, müssen ernst genommen werden. Deshalb ist es entscheidend, daß die Erweiterung richtig gemacht wird:

Durch rechtzeitige Reformen in den Nachbarstaaten muß die wirksame Einhaltung der EU-Standards gewährleistet werden. Dies gilt nicht nur für die Fähigkeit zur Umsetzung des EU-Rechts, sondern auch für die institutionellen und rechtsstaatlichen Voraussetzungen gerade auch in der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und im wirksamen Schutz der Außengrenzen.

Diese Reformen werden aber nur gelingen, wenn sie durch die EU wirksam unterstützt werden. In diesem Zusammenhang unterstützt Österreich die in den Vorschlägen der Agenda 2000 vorgesehene Hilfe für die Kandidatenstaaten.

Weiters muß die Union selbst durch Reformen der Agrar- und Strukturpolitik, durch ein neues Finanzpaket und durch die notwendigen institutionellen Anpassungen erweiterungsfähig gemacht werden.

Eines der wichtigsten Anliegen ist es jedoch, daß durch Übergangsmaßnahmen eine schrittweise, für beide Seiten bewältigbare Einbeziehung in sensible Bereiche der Integration – wie zum Beispiel Personenfreizügigkeit, Dienstleistungsfreiheit und Landwirtschaft – sichergestellt wird.

Schließlich sind flankierende Maßnahmen zur Erleichterung der notwendigen Strukturanpassung in den heutigen Mitgliedstaaten erforderlich. Ich möchte in diesem Zusammenhang an die österreichischen Vorschläge für die Unterstützung der Grenzregionen im Rahmen der neuen Strukturpolitik erinnern. Die Erweiterung muß daher konsequent, aber auch mit der notwendigen Sorgfalt in Angriff genommen werden. Entscheidend ist, daß durch eine gründliche Vorbereitung und durch geeignete Übergangsregelungen sichergestellt wird, daß der Prozeß sowohl für die Beitrittswerber als auch für die heutigen Mitgliedstaaten optimale Ergebnisse bringt.

Ich darf die Frau Kollegin bitten, nun fortzusetzen.

16.28

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Ich bitte die Frau Staatssekretärin zur weiteren Beantwortung.

16.28

Staatssekretärin im Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten Dr. Benita-Maria Ferrero-Waldner: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Ich möchte vielleicht noch kurz auf ein paar Wirtschaftsdaten eingehen, bevor ich dann einige politische Bemerkungen mache.

Tatsächlich haben die Direktinvestitionen der EU-Mitgliedstaaten seit der Ostöffnung eine merkbare Steigerung gezeigt. Der Handel der EU mit den mittel- und osteuropäischen Ländern hat sich im Zeitraum von 1989 bis 1996 verdreifacht.

Auch Österreich hat nach den Berechnungen des Wirtschaftsforschungsinstituts – es ist also nicht die Regierung, die das sagt, sondern immerhin ein unabhängiges Wirtschaftsforschungsinstitut – von der Ostöffnung und der EU-Annäherung der mittel- und osteuropäischen Länder enorm profitiert. Mittel- und osteuropäische Länder wurden damit zu einer bedeutenden Konjunkturstütze für die österreichische Wirtschaft.

Ich spreche hier ganz kurz ein paar Punkte an und gehe dann auch auf die Zukunfts-Überlegungen dieses selben Wirtschaftsforschungsinstitutes ein.

Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen: Immerhin sind das von 1989 bis 1994 56 000.


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Der Handel und die Handelsbilanzen mit den MOEL entwickelten sich positiv. Eine Ausnahme bildet der Rückgang im Handel mit Ungarn, Tschechien und Polen 1996.

Die Investitionen österreichischer Unternehmen stiegen deutlich an, und zwar gab es von 1989 bis Ende 1996 Bruttoinvestitionen in der Höhe von über 51 Milliarden Schilling.

Schließlich: Die österreichische Wirtschaft wuchs von 1989 bis 1996 um 2,4 Prozent bis 3 Prozent stärker, als es ohne Ostöffnung und Annäherung der mittel- und osteuropäischen Länder an die EU der Fall gewesen wäre.

Nun sagt Wifo-Experte Breuss – übrigens zitiere ich aus seinem Beitrag in der "Union – Zeitschrift für europäische Integration" –, worin seinen Berechnungen nach die ökonomischen Effekte eines Beitritts der CEPTA-Staaten ab dem Jahre 2000 unter Berücksichtigung bestimmter Faktoren bis zum Jahre 2008 bestehen: "Steigerung des realen Bruttoinlandsproduktes voraussichtlich um 1,6 Prozent, Sinken der Arbeitslosenquote voraussichtlich um 0,4 Prozent, Steigerung der Arbeitsproduktivität um 0,6 Prozent." – Sie können das sicher auch nachlesen, aber ich glaube, es ist sinnvoll, das hier noch in Erinnerung zu rufen.

"Steigen der Warenexporte um 3,7 Prozent beziehungsweise der Bruttoanlageninvestitionen um 3,1 Prozent, Entlastung des Haushalts um 0,5 Prozent des BIP. Und während österreichische Ausfuhren 1989 bis 1996 weltweit um 42 Prozent anstiegen, betrug das Wachstum der Exporte in die CEPTA-Staaten im gleichen Zeitraum 211 Prozent; die Exporte nach Südosteuropa stiegen um 96 Prozent." – Das nur, um auch die Wirtschaftsdaten noch einmal zu veranschaulichen.

Dann möchte ich auch ein ganz wesentliches politisches Argument einbringen. Ein für Österreich absolut zentrales politisches Anliegen für die Erweiterung ist wohl – ich glaube, das werden auch Sie akzeptieren – ein Gewinn für Stabilität und Sicherheit (Beifall bei ÖVP und SPÖ) , denn die Beitrittsperspektive, meine sehr geehrten Damen und Herren, stärkt die soziale und politische Stabilität in den Nachbarstaaten und verringert damit die Gefahren der organisierten Kriminalität, des Drogenhandels und der illegalen Migration. (Zwischenruf des Bundesrates Waldhäusl. ) Ich gehe dann im Detail auf diese Fragen noch ein. Ich möchte nur hier ... (Bundesrat Waldhäusl: Das ist wirklich eine schlimme Aussage!) Nein, das ist keine schlimme Aussage, und ich gehe im Detail dann darauf ein. (Bundesrat Waldhäusl: Das ist ein Traum! Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht!) Ich hoffe, Sie haben genau zugehört, was ich gesagt habe: verringert die Gefahren der organisierten Kriminalität, des Drogenhandels und der illegalen Migration.

Die MOEL müssen auch in diesen Bereichen den Standards der Union entsprechen und an deren Zusammenarbeit – also Schengen, Europol – mitwirken. Die Ausdehnung der westeuropäischen Sicherheitsstandards – auch das auf die MOEL bezogen – liegt ganz besonders im Interesse Österreichs, da es den Bedrohungen gerade im Bereich der inneren Sicherheit stärker ausgesetzt ist als die meisten EU-Mitgliedstaaten. Ich möchte hinzufügen – ich komme bei einem späteren Punkt noch darauf zu sprechen –, daß es sicher auch ein Schwerpunkt Österreichs während seiner Präsidentschaft sein wird, die Fragen der inneren Sicherheit anzusprechen. (Vizepräsident Weiss übernimmt den Vorsitz.)

Zur Frage 2:

Auf die beträchtlichen Gewinne Österreichs im Bereich der inneren Sicherheit und im Bereich der Umweltgefahren habe ich gerade hingewiesen. Was aber die außen- und sicherheitspolitische Situation anlangt, möchte ich darauf verweisen, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß die gemeinsame Perspektive der EU-Mitgliedschaft schon heute zum Abbau der Spannungen zwischen den MOEL beigetragen hat. Denken Sie nur an den Konflikt Ungarn – Slowakei in Gabcikovo, oder verweisen wir auf die Situation der ungarischen Minderheit in Rumänien. Längerfristig bietet die Ausdehnung der westeuropäischen Stabilitätszone der Integration auf die mittel- und osteuropäischen Länder die beste Gewähr gegen zwischenstaatliche Krisen und Konflikte. Die friedensstiftende Funktion der Integration, die sich – wie Sie auch nicht leugnen können – in den letzten vier Jahrzehnten im Westen bewährt hat, kann auch in der mittel- und


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osteuropäischen Region dauerhafte Stabilität schaffen. Und ich glaube, das ist das, was unsere Bürger tatsächlich wollen.

Richtig ist, daß die zunehmende Zahl der Mitgliedstaaten und ihre Unterschiedlichkeit für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik natürlich auch zusätzliche Herausforderungen mit sich bringen wird. Der Amsterdamer Vertrag hat einige Fortschritte – Planungseinheit, Hoher Vertreter der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik – gebracht. Diese Strukturen müssen parallel zur Erweiterung weiterentwickelt werden.

Zur Frage 3:

Die GASP sieht bereits jetzt eine Reihe von Mechanismen zu ihrer Durchsetzung vor und stattet sich mit neuen Instrumenten zur angemessenen Reaktion auf Konflikte aus, um ihre Effizienz zu erhöhen.

Erstens: Die assoziierten Staaten Mittel- und Osteuropas und Zypern schließen sich in großem Ausmaße – vielleicht haben Sie das noch nicht so mitverfolgt – den Erklärungen der Europäischen Union beziehungsweise der Präsidentschaft im Namen der EU zu Fragen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik an. Das heißt, in diesem Zusammenhang werden diese Länder auch regelmäßig zur Teilnahme an den Beratungen in der Europäischen Union und auch zur Mitarbeit in der GASP eingeladen, wie auch wir in der Vorphase unseres Beitrittes bereits eingeladen wurden, hier mitzuarbeiten.

Zweitens: In den Vertrag von Amsterdam wurden die Petersberg-Aufgaben als wesentlicher Schritt zu einer weiteren Verstärkung der Operationalität der GASP aufgenommen.

Drittens wurde die Einrichtung einer Strategieplanungs- und Frühwarneinheit verankert, die mit Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam – das heißt also hoffentlich mit 1. Jänner 1999 – operativ werden soll und als Element eines wirkungsvollen Krisenmanagements der EU konzipiert ist. Eine der wesentlichen Aufgaben soll die Planung von Strategien zur Konfliktverhütung sein. Sie wird dann unter der Leitung des Hohen Vertreters der GASP, des Generalsekretärs des Rates, stehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gerade angesichts einer Krise wie der augenblicklichen im Kosovo ist die EU auf folgenden Ebenen tätig geworden:

Die Kosovo-Frage wurde von den politischen Direktoren der EU am 3. März 1998 erörtert. Die EU-Mitgliedsländer und die assoziierten Länder Mittel- und Osteuropas und Zypern behandeln gerade heute diese Frage im Rahmen der Europakonferenz in London und werden diesbezüglich auch heute abend eine gemeinsame öffentliche Erklärung herausgeben.

Eines der zentralen Themen des am 13. und 14. März in Edinburgh stattfindenden Außenministertreffens wird die Beratung über die weitere gemeinsame Vorgangsweise der EU gegenüber den Spannungen im Kosovo sein.

Auch im OSZE-Rahmen hat der Ständige Rat dieser Einrichtung, der hier in Wien getagt hat, in einer Sondersitzung am 11. März 1998 einstimmig beschlossen, die Ausweitung des Mandates des persönlichen Vertreters des Amtierenden Vorsitzenden der OSZE für die Bundesrepublik Jugoslawien, nämlich Felipe Gonzales, auf den Kosovo zu unterstützen. Weiters sind andere Forderungen, die von Österreich seit vielen Jahren gestellt worden sind, wie zum Beispiel die Präsenz der OSZE in Albanien, aber auch die Präsenz in der Vojvodina und im Sandschak und die Mission in Skopje, vorgesehen und werden zur Überwachung auch der Grenzen zu Mazedonien und zur Konfliktregion verstärkt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Ich darf wieder zurückgeben an Kollegen Wittmann. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)


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637. Sitzung / Seite 93

16.38

Vizepräsident Jürgen Weiss: Bitte sehr, Herr Staatssekretär.

16.38

Staatssekretär im Bundeskanzleramt Dr. Peter Wittmann: Sehr geehrte Damen und Herren! Ich setze fort bei Frage 4:

Die Erweiterung der Europäischen Union wird für die österreichischen Regionen an der Grenze zu den mittel- und osteuropäischen Staaten mit neuen wirtschaftlichen Chancen, aber auch mit einem erheblichen Strukturwandel verbunden sein. Diese neuen Herausforderungen stellen sich je nach Grenzregion sehr unterschiedlich dar, weshalb maßgeschneiderte Maßnahmenbündel für die jeweilige Grenzregion, insbesondere im Bereich der Wirtschaftsförderung, der Infrastrukturmaßnahmen, aber auch der Arbeitsmarktpolitik zu schnüren sein werden.

Österreich ist daher gegenüber den Organen der Europäischen Union für eine besondere Berücksichtigung der Problematik der Grenzregionen im Rahmen eines möglichst breiten Maßnahmenspektrums eingetreten. Die hierfür vorgeschlagenen Maßnahmenbereiche umfassen:

erstens eine besondere finanzielle Berücksichtigung der Grenzregionen im Rahmen der Strukturfondsreform,

zweitens eine Weiterführung der Gemeinschaftsinitiative INTERREG zur Erweiterung der grenzüberschreitenden Kooperationsmöglichkeiten,

drittens auf die spezifische Lage der Grenzregionen abstellende wettbewerbsrechtliche Regelungen für Regionalbeihilfen.

Zur Frage 5 darf ich ausführen, daß bereits im Jänner dieses Jahres der Herr Bundeskanzler und der Herr Vizekanzler ein gemeinsames Schreiben an die zuständigen Kommissare gerichtet haben, in dem auf die spezifische Lage der österreichischen Grenzregionen hingewiesen wird und diese Punkte, wie ich sie oben genannt habe, angeführt werden.

Ich darf die Fragen 6, 7 und 8 gemeinsam beantworten.

Da das Schreiben nicht an die Mitgliedstaaten, sondern an die Europäische Kommission gerichtet war, liegen nur seitens der Europäischen Kommission offizielle Reaktionen vor. Hiebei wurde von den zuständigen Kommissaren Verständnis für die besondere Situation der österreichischen Grenzregionen signalisiert. Kommissionspräsident Santer hat in seiner Reaktion auf die österreichische Initiative erklärt, daß die für die Grenzregionen besonders relevanten Herausforderungen, die mit der Erweiterung verbunden sind, eine gemeinsame Aufgabe der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten darstellen.

Im Rahmen einer Deklaration der österreichischen, deutschen, finnischen und italienischen Grenzregionen, die auf Länderinitiative unter dem Vorsitz von Frau Landeshauptmann Klasnic im Jänner dieses Jahres in Graz unterzeichnet wurde, ist auch auf regionaler Ebene Unterstützung signalisiert worden. Dieses Anliegen wird im Rahmen der demnächst beginnenden Verhandlungen zur Agenda 2000 mit den Mitgliedstaaten zu verfolgen sein.

Ich darf auch die Fragen 9 bis 11 zusammenfassen.

Wenn entsprechende effizienzsteigernde Reformen im Struktur- und Agrarbereich, welche im Sinne einer sparsamen Haushaltsführung in der Gemeinschaft jedenfalls durchgeführt werden müssen, Platz greifen, so ist der in der Agenda 2000 vorgesehene Finanzrahmen als durchaus realistisch anzusehen.

Ich darf auch die Fragen 12, 13 und 14 zusammenfassen.

Ich darf dazu festhalten, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß es erklärtes Ziel der Bundesregierung sowie der Finanzausgleichspartner ist, eine Erhöhung der Nettobeiträge hintanzuhalten. Zunächst wird in der Diskussion zu den Politikreformen darauf zu dringen sein, möglichst effektive und effiziente Lösungen auf gesamteuropäischer Ebene zu vereinbaren, das heißt, mit möglichst geringen Mitteln eine möglichst große Wirkung zu erzielen. Letztlich wird auf Gesamt


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haushaltsebene die Option eines allgemeinen Mechanismus zur Korrektur übermäßiger Nettobelastungen anzustreben sein.

Die Frage 15 wird nunmehr wieder die Frau Staatssekretärin beantworten.

16.42

Vizepräsident Jürgen Weiss: Bitte sehr, Frau Staatssekretärin.

16.42

Staatssekretärin im Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten Dr. Benita-Maria Ferrero-Waldner: Herr Präsident! Hohes Haus! Die vom Mitglied des Europäischen Parlaments Harald Ettl zitierte Studie ist mir natürlich bekannt. Diese Studie kommt zu dem Ergebnis, daß von rund 700 000 potentiellen Migranten rund 150 000 Personen nach Österreich gehen wollen. Interessanterweise kommen auch andere – sowohl nationale als auch internationale – Studien, die sich ganz anderer Methoden bedienen, zu ähnlichen Ergebnissen.

Ich möchte aber nochmals ausdrücklich betonen, daß diese Ergebnisse natürlich von einem Migrationspotential sprechen, sodaß es sich bei diesen Zahlen um tatsächliche Obergrenzen handelt.

Nimmt man diese Werte nun als plausible Arbeitshypothese, würde das für Österreich bedeuten, daß das Arbeitsangebot aus den mittel- und osteuropäischen Ländern im Zuge der vollen Freizügigkeit langfristig um 150 000 Personen ansteigen würde – dies entspricht 5 Prozent der derzeit unselbständig Beschäftigten.

Um daher Anpassungsprobleme zu vermeiden, ist die Bundesregierung mit Nachdruck für Übergangsregelungen eingetreten, und wir werden selbstverständlich in den Verhandlungen dafür plädieren, Übergangsregelungen zu fordern.

Ein weiteres wichtiges Instrument zur Minderung des Migrationsdruckes ist der Auf- und Ausbau der sozialen Sicherheit in den Kandidatenländern sowie die weitere wirtschaftliche Konsolidierung. In dieser Hinsicht leistet die sogenannte Heranführungsstrategie der Europäischen Union einen wichtigen Beitrag.

Zur Frage 18, Herr Kollege, wollten Sie Stellung nehmen. (Beifall bei der ÖVP.)

16.44

Vizepräsident Jürgen Weiss: Bitte, Herr Staatssekretär.

16.44

Staatssekretär im Bundeskanzleramt Dr. Peter Wittmann: Zur Frage 18 ist festzuhalten, daß im Rahmen des Standortwettbewerbes zwischen den Mitgliedstaaten und den mittel- und osteuropäischen Ländern unterschiedliche Kostenniveaus nur einen Wettbewerbsfaktor unter anderen darstellen. Um Wettbewerbsverzerrungen hintanzuhalten, ist Österreich im Rahmen der wettbewerbsrechtlichen Regelungen jedoch dafür eingetreten, daß zusätzliche Anreize für die Abwanderung von Betrieben hintangehalten werden.

Zur Beantwortung der Frage 19 darf ich wieder übergeben.

16.45

Vizepräsident Jürgen Weiss: Bitte sehr.

16.45

Staatssekretärin im Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten Dr. Benita-Maria Ferrero-Waldner: Herr Präsident! Hohes Haus! Zur Beantwortung der Frage 19 möchte ich Ihnen sagen, daß der österreichische Ansatz im Rahmen des Beitrittsprozesses entsprechend der Zielsetzung der österreichischen Verkehrspolitik die Anpassung an die Wettbewerbsbestimmungen beziehungsweise auch ein entsprechendes Monitoring schon vor dem Beitritt beinhaltet, eine schrittweise Öffnung der Kontingente für Kabotage, Transitfahrten, eine Harmoni


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sierung insbesondere der technischen, Sozial- und Umweltvorschriften und der Wettbewerbsbestimmungen vor einer Marktöffnung im Verkehrsbereich.

Eine Liberalisierung des Verkehrs sollte gleichzeitig sowohl bei den mittel- und osteuropäischen Ländern als auch bei den EU-Mitgliedstaaten und im Gleichklang mit der Anwendung der EG-Wettbewerbsbestimmungen erfolgen. Wesentlich für Österreich ist die graduelle Öffnung der bilateralen Kontingentvereinbarungen mit den mittel- und osteuropäischen Ländern. – Ich wiederhole: die graduelle Öffnung.

Es wird seitens der Europäischen Union und der Beitrittskandidaten natürlich erheblicher Anstrengungen bedürfen, um den Acquis im Verkehrsbereich zu übernehmen. Die Bundesregierung wird weiterhin alles tun, um eine Übernahme des Acquis und damit die Integration der MOEL in die Verkehrsnetze sowie die Verwirklichung der Transeuropäischen Netze zwischen EU-Mitgliedstaaten und Beitrittskandidaten zu unterstützen.

Ist die Übereinstimmung mit dem Acquis hergestellt, so könnte die Erweiterung auch einen Anreiz für die Weiterentwicklung der gemeinsamen Verkehrspolitik bieten, da die Aufhebung der Grenzen innerhalb eines größeren Gebietes zwangsläufig neue Impulse auf den Verkehrssektor ausüben sollte. Gleichzeitig dürfte hiezu auch ein neuer Umstrukturierungsbedarf entstehen – entweder als direkte Wirkung, zum Beispiel im Schienenverkehr, oder infolge gewisser Überkapazitäten, wobei ich an Binnenschiffahrt oder Luftverkehr denke.

Durch die Infrastrukturentwicklung und Neuausrüstung des Verkehrssektors in den Beitrittsländern dürften sich für Baufirmen und damit verbundene Branchen sowie für die Hersteller von Verkehrsausrüstungen auch echte Chancen eröffnen.

Ich komme zur Frage 20, die ich gleichzeitig mit der Frage 21 behandle.

Probleme, meine sehr geehrten Damen und Herren, wie wir sie heute durch organisierte Kriminalität, Drogen, Pornographie oder Menschenhandel an den Grenzen kennen, können nur durch enge Zusammenarbeit gelöst werden. Ich gebe zu, daß es selbstverständlich solche Probleme gibt – aber die Probleme gibt es auch jetzt, und später müssen wir sie eben schon in den Griff bekommen haben. Es ist daher sehr sinnvoll, mit den MOEL im Rahmen eines Beitrittsprozesses schon jetzt einen Dialog über Asyl- und Flüchtlingsfragen, Einwanderungspolitik, Außengrenzverwaltung, Bekämpfung der organisierten Kriminalität, Drogenhandel und Kfz-Verschiebungen oder auch andere justitielle Fragen zu führen.

Viele der für die Europäische Union bestehenden Herausforderungen sind eben transnationaler Natur und werden in unterschiedlichem Maße durch die Lage in den MOEL beeinflußt. Durch die Erweiterung wird die EU umfassender und somit auch mit größeren Erfolgsaussichten reagieren können. Allerdings wird mit der Erweiterung nicht das gesamte europäische Gebiet erfaßt, in dem sich solche transnationalen Herausforderungen stellen. Angesichts der Bedeutung der Maßnahmen in den Bereichen Justiz und Inneres ist es daher von zentraler Bedeutung, daß die Beitrittskandidaten die entsprechenden Maßnahmen frühzeitig vor dem Beitritt verabschieden und dafür die notwendige technische Unterstützung erhalten.

Dieser Prozeß ist bereits im Gange, und je mehr er verstärkt wird, desto weniger werden Verbrechen und Betrug auf die heutige Union übergreifen und desto weniger Probleme werden beim Beitritt anstehen.

Ich möchte doch hier erwähnen, daß zum Beispiel eine der Fragen, die heute behandelt werden, gerade die Frage der grenzüberschreitenden Kriminalität ist. Es wird auch der Aktionsplan zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, der am 28. April 1997 vom Rat der Justiz- und Innenminister beschlossen wurde, weiter behandelt werden – er hat 30 konkrete Empfehlungen –, und im Rahmen dieses Aktionsplanes werden heute die ersten Dialoggespräche zwischen den MOEL und den Mitgliedstaaten geführt werden.

Wie Sie wissen, befürwortet Österreich diesbezüglich ganzheitliche Bekämpfungsstrategien, wobei natürlich auch der Präventionsgedanke eine Rolle spielt.


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Aber für uns ist es selbstverständlich auch wichtig, dem wirtschaftlichen und sozialen Umfeld dort besonderes Augenmerk zu schenken, wo es die organisierte Kriminalität ganz besonders fordert.

Hervorzuheben ist hiebei, daß es im Zusammenhang mit der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität nicht ausreicht, bestehende internationale Verpflichtungen zu übernehmen, sondern vielmehr die tatsächliche Umsetzung der Maßnahmen von Bedeutung ist. Um das sicherzustellen, ist ein Evaluierungsmechanismus notwendig und unumgänglich. Hierfür gibt es bereits erste Ansätze in dem Programm "Octopus", das zwischen dem Europarat und der Kommission besprochen und beschlossen wurde und dem große Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Ein anderes Problem in diesem Zusammenhang ist die Bekämpfung der Geldwäsche und der Wirtschaftskriminalität, da die Wirtschaftskriminalität die Gefahr der Unterwanderung ganzer Wirtschaftssysteme mit sich bringen könnte.

Ich denke, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß wir das Thema, das hier angesprochen wurde – und das ich keineswegs für unwichtig erachte – besonders ernst nehmen. Ich möchte hinzufügen – das wissen Sie –, daß derzeit die Kommission für Drogenbekämpfung der Vereinten Nationen tagt, in deren Rahmen Querverbindungen zwischen Bekämpfungsmaßnahmen sowohl innerhalb der Europäischen Union als auch international vorgesehen sind, und daß kürzlich Österreich eine Initiative gegen das Schlepperunwesen im Rahmen der UNO begonnen hat, die die Regierung natürlich auch in der EU vorantreibt. Wir sehen dieses Thema durchaus als ein wichtiges, vorrangiges an, und es wird – ich habe es schon gesagt – zweifellos zu einem der Schwerpunktthemen der österreichischen EU-Präsidentschaft werden.

Zu Frage 22 – Können Sie garantieren, daß ein Beitritt der neuen EU-Mitgliedstaaten erst dann erfolgt, wenn diese zumindest einen gleichen Grenzschutz haben? – und Frage 23 möchte ich auch gesamthaft antworten:

Die EU hat die Bedeutung der Sicherung der zukünftigen EU-Außengrenzen frühzeitig erkannt und setzt daher bereits jetzt Maßnahmen, um den Beitrittskandidaten auch beim Aufbau eines effektiven und sicheren Grenzschutzes zu helfen. Sowohl in den Beitrittspartnerschaften als auch in den PHARE-Leitlinien ist daher bereits eine explizite Referenz in bezug auf die Notwendigkeit der Sicherung der neuen EU-Außengrenzen enthalten. Es wird davon ausgegangen, daß die Beitrittskandidaten bis zu ihrem tatsächlichen Beitritt die EU-Standards und -Praktiken in den Bereichen Justiz und Inneres übernommen haben werden. Bis dahin wird die EU, vor allem im Rahmen des PHARE-Programmes, Hilfestellung für die Entwicklung eines effektiven Grenzschutzes leisten.

So wurden zum Beispiel für Polen 15 Millionen Ecu für ein integriertes polnisches Programm zum Schutz der Außengrenzen bereitgestellt. Die Maßnahmen konzentrieren sich dabei vor allem auf Grenzschutz, Training, Ausstattung und Infrastruktur sowie wieder auf Verbrechensbekämpfung. Auch in den übrigen Beitrittsländern ist die Notwendigkeit der Sicherung der Außengrenzen erkannt worden. Es ist dort ebenfalls geplant, ähnliche Projekte durchzuführen. – Danke, Herr Präsident! (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)


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16.54

Vizepräsident Jürgen Weiss: Gehe ich recht in der Annahme, daß die Beantwortung der Anfrage damit abgeschlossen ist? – Danke sehr.

Wir gehen nunmehr in die Debatte ein.

Ich mache darauf aufmerksam, daß gemäß § 61 Abs. 7 der Geschäftsordnung die Redezeit eines jeden Bundesrates mit insgesamt 20 Minuten begrenzt ist.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dr. Reinhard Eugen Bösch. Ich erteile es ihm. 

16.54

Bundesrat Dr. Reinhard Eugen Bösch (Freiheitliche, Vorarlberg): Herr Vizepräsident! Meine Damen und Herren! Frau Staatssekretärin! Herr Staatssekretär! Die Doppelconférence, die Sie uns in den letzten Minuten geboten haben, war sehr beeindruckend. Wir von seiten der freiheitlichen Opposition bedanken uns dafür. Beeindruckend war sie allerdings nur dahin gehend, was die Theatralik und die Regie anlangt, meine Dame, mein Herr! Was die inhaltlichen Darlegungen betrifft, sehen wir erhebliche Lücken, so wie der Herr Vizepräsident, der sich auch erkundigen mußte, ob die Beantwortung der Anfrage nunmehr zu Ende sei oder noch weitergehe. (Heiterkeit bei den Freiheitlichen.)

Frau Staatssekretärin! Wenn Sie einen befriedeten Kontinent als großes politisches Ziel aller europäischen Staaten darlegen, dann bekommen Sie doch keinen Widerspruch, auch von uns nicht! Nur müssen Sie sich im klaren darüber sein, daß Sie dabei eine Utopie beschreiben und daß es uns als Politikern darum gehen muß, konkrete, realistische Schritte in der Gegenwart zu planen.

Wenn Sie, Herr Staatssekretär, hier von Bedingungen reden, die erfüllt werden müßten, bevor man über den Beitritt dieser mittel- und osteuropäischen Länder reden kann, dann sind Sie schon auf dem besten Wege dahin, wenn Sie davon sprechen, daß es Förderungen für Grenzregionen und Strukturfonds geben muß und daß auch die EU einen Strukturwandel in jenen Bereichen, die wichtig sind, vor allem im Bereich der Agrarförderung, vornehmen muß.

Es geht uns Freiheitlichen hier nicht darum, Ihre Utopien zu zerstören. Bewahren Sie diese ruhig! Es geht uns darum, im Rahmen dieser Projekte der Europäischen Union die Interessen der österreichischen Bevölkerung zu vertreten. Und es geht uns darum, darauf hinzuweisen, daß es notwendig ist, einen klaren und zumutbaren Zeitplan für alle diese Schritte festzulegen und dann auch zu realisieren. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Wissen Sie, wir sind nicht allein mit den Sorgen der Bevölkerung, die wir hier skizzieren, meine Damen und Herren! Ich darf Ihnen – gerade in Richtung Niederösterreich einen, wie ich hoffe, ganz unverdächtigen Zeugen zitieren, und zwar den Präsidenten des Österreichischen Gemeindebundes, den niederösterreichischen Landtagspräsidenten Franz Romeder. Er erklärte bei einer Konferenz in Graz folgendes:

Romeder forderte, daß auch in Österreich alle Grenzregionen zu den mittel- und osteuropäischen Staaten ein lückenloses Ziel-1-Gebiet werden sollten. Darüber hinaus verlangte er die Aushandlung von klaren Übergangsfristen und -kriterien für die Beitrittskandidaten, um eine sukzessive Anhebung der Standards zu ermöglichen und Wettbewerbsnachteile für die Grenzräume in Österreich zu verhindern. Präsident Romeder begründete seine Forderungen damit, daß die Grenzregionen in Österreich durch eine dünne Besiedlung und durch kleine und mittlere Gemeinden gekennzeichnet sind und zu den benachteiligten Regionen zählen. Sie haben mit finanziellen und strukturellen Problemen zu kämpfen, in Österreich wird dies für einen Teil der Grenzräume noch dadurch verstärkt, daß sie durch Ungunstlagen benachteiligt sind. Die Konsequenzen sind niedriges Lohnniveau, hohe Arbeitslosigkeit und starke Abwanderung.

Sehen Sie, meine Damen und Herren, das sagt kein böser Freiheitlicher. Das sagt der Präsident des Niederösterreichischen Landtages. (Bundesrat Konečny: Das ist die Politik der Regierung, diese Bedenken zu artikulieren! – Bundesrat Mag. Gudenus: Er hat völlig recht! – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Meine Damen und Herren! Vor kurzem fand eine Veranstaltung in der Südsteiermark statt, bei der sich Unternehmer von Klein- und Mittelbetrieben zusammengetan und ihre Sorgen geäußert haben. In einem Artikel aus der Zeitung "Die Presse" vom 7. März steht folgendes zu lesen:

"Seit es klar ist, daß der Beitritt der osteuropäischen Nachbarstaaten zur Europäischen Union mittelfristig bevorsteht, macht sich in der Südsteiermark Panik breit. Kaum einer der rund 5 000 Handwerks- und Kleingewerbebetriebe im Grenzgebiet traut sich zu, dem enormen Kostendruck standzuhalten, der aufgrund der unterschiedlichen Höhe der Löhne und der Steuern für die erste Zeit der Grenzöffnung zu erwarten ist."


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Weiters heißt es: Die Folgen sollen sein, daß sich die Bilanzen der Kleinfirmen mit etwa fünf bis 20 Mitarbeitern erheblich verschlechtern werden. Es wird davon gesprochen, daß bereits jetzt eine gnadenlose Konkurrenz mit den Mitanbietern jenseits der Grenze vorherrsche. Jetzt aber, mit der Öffnung der Grenzen, seien alle wirtschaftlichen Reserven erschöpft. Ein weiterer Preissturz gehe an die Substanz, sagte einer der Firmenchefs, dessen Frau und Sohn selbstverständlich auch in seinem Betrieb mitarbeiten.

"Wenn die Hemmschwelle – so wird dort von unabhängigen Wirtschaftstreibenden argumentiert – der Grenze und der unterschiedlichen Währungen einmal wegfällt, dann haben wir keine Chance mehr", meinte einer von ihnen. Ein Drittel des Jahresumsatzes werde "sofort wegbrechen", der Marktzugang zu den meisten Baumaschinenherstellern werde versperrt, ein Gutteil der 38 Arbeitsplätze, die dieser Arbeitgeber zur Verfügung stellt, sei gefährdet. Ein Frächter spricht davon, daß er mit 15 S pro Kilometer kalkuliere, die slowenischen Mitbewerber aber mit 4 S.

Im Stich gelassen fühlen sich diese Unternehmen von der Politik, von der eigenen Interessenvertretung, von den österreichischen Verhandlern in Brüssel, und sie haben Angst davor, daß man – wie schon beim EU-Beitritt 1995 im Subventionen-Poker – als Wirtschaftsunternehmer den kürzeren ziehen werde. Und vor allem sei das wichtigste ein zeitliches Hinauszögern der Osterweiterung, bis sich die Lohnniveaus einigermaßen angeglichen haben.

Sehen Sie, meine Damen und Herren, genau darum muß es uns gehen. Wir müssen die Tatsache akzeptieren, daß keines dieser Beitrittskandidatenländer zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch nur eines der Kriterien, die von Ihnen in der Beantwortung angeführt worden sind, erfüllt. Sie haben nur für die Zukunft eine Utopie skizzieren können, die nicht der Realität – siehe Bericht dieser Wirtschaftstreibenden in kleinen und mittleren Unternehmen der Südsteiermark – entsprechen.

Wir müssen konsequent verlangen, daß diese Staaten ein stabiles institutionelles Gefüge sowie eine Garantie der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, der Menschenrechte und des Minderheitenschutzes erreichen. Wir müssen darauf Bedacht nehmen, daß in diesen Ländern eine funktionierende Marktwirtschaft existiert (Bundesrat Konečny: Ja, richtig!) und insbesondere die Fähigkeit, mit den Wettbewerbsbedingungen und den Marktkräften innerhalb der Union zurechtzukommen. Die Fähigkeit, die Pflichten aus der Mitgliedschaft einschließlich des Festhaltens an den Zielen der Politischen Union sowie der Wirtschafts- und Währungsunion mitzuübernehmen, nicht nur Nettoempfänger zu sein, sondern in absehbarer Zeit auch einen Beitrag für die Europäische Union leisten zu können, muß verlangt werden. Aber noch sind sämtliche Beitrittskandidaten auf Jahre hinaus künftige Nettoempfänger.

Faktum ist – das können Sie nicht abstreiten –, daß wir nach wie vor bei diesen Beitrittsländern mit einem niedrigeren Pro-Kopf-Einkommen konfrontiert sind. Berechnungen, zum Beispiel der Arbeiterkammer, zeigen, daß unter günstigsten Annahmen, nämlich bei einem jährlichen Wirtschaftswachstum von 6 Prozent in diesen mittel- und osteuropäischen Ländern und 2 Prozent in Österreich, die beitrittswilligen Staaten erst in mehr als 30 Jahren die Hälfte des österreichischen Bruttoinlandsproduktes pro Kopf erreicht haben werden.

Das große Gewicht, das die Landwirtschaft in diesen Ländern hat, ist ein Problem. Die Agrarquote beträgt dort 22 Prozent, im EU-Durchschnitt 5 Prozent. Daß es deshalb zu gravierenden Strukturänderungen innerhalb der Agrarförderung der Union kommen muß, ist eine klare Sache, aber es darf dabei nicht mit Ankündigungen der zuständigen Kommissare sein Bewenden haben, sondern wir müssen auch in der Realität Ergebnisse sehen und erleben können.

Über die unzulänglichen Verkehrs-, Telekommunikations- und Energieinfrastrukturen in diesen Ländern und die großen Probleme im Umweltbereich – Wasser, Luft, Atomkraftwerke – wurde heute schon debattiert. Die großen Rückstände im Bereich Justiz und Inneres, insbesondere beim Kampf gegen illegale Einwanderung, das organisierte Verbrechen, den Terrorismus, Drogen und Korruption, sowie die schwachen Verwaltungskapazitäten, die diese Staaten aufweisen, und die hohe Arbeitslosigkeit im gesamten Gebiet der Europäischen Union, die jetzt schon ein


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Faktum ist, können Sie nicht vom Tisch wischen. Die Europäische Union wird in Kürze 20 Milli-onen Arbeitslose zu beklagen haben, und durch den Beitritt dieser mittel- und osteuropäischen Länder wird sich dieser Politikbereich nicht entschärfen.

Die zusätzlichen finanziellen Belastungen, die hier in Frage gestellt worden sind, sind ein Faktum. Nach der finanziellen Vorschau der EU-Kommission werden sich die Hilfen der Union zugunsten der Beitrittskandidaten zwischen 2000 und 2006 auf insgesamt 75 Milliarden Ecu, etwa 1 035 Milliarden Schilling, belaufen. Dieser Bedarf an finanziellen Mitteln wird letztlich die Zahlungsbereitschaft in der EU bei den anderen Mitgliedsländern auf eine weitere schwere Probe stellen, vornehmlich auch angesichts der Sparzwänge innerhalb der Nationalstaaten, die aus den Versäumnissen der Fiskalpolitik und der Vorbereitung auf die Währungsunion in den Mitgliedstaaten der EU notwendig geworden sind.

Durch einen zu frühen und vorzeitigen Beitritt dieser Länder werden sich für Österreich volkswirtschaftlich nachteilige Entwicklungen ergeben. Herr Kollege Waldhäusl ist schon darauf eingegangen: Produktions- und Investitionsauslagerungen in den verschiedensten Industrie- und KMU-Bereichen, vor allem mit lohn- und energieintensiver Produktion, verstärkter Kaufkraftabfluß aufgrund wegfallender Zollbeschränkungen und des niedrigen Preisniveaus in diesen neuen Ländern, Verlagerungen im Bereich der Dienstleistung, die heute schon vor sich gehen. Gerade in den grenznahen Regionen sowie in den anliegenden Agglomerationsräumen wird sich diese Entwicklung verstärken. Dies auch deshalb, da die bestehenden enormen Unterschiede, zum Beispiel bei den Löhnen, Energie- und Transportkosten, und auch das Gefälle in den Sozial-, Sicherheits- und Umweltstandards im kleinräumigen Austausch von Wirtschaftstätigkeiten zu Belastungen für die in den Grenzregionen liegenden heimischen kleineren und mittleren Unternehmungen führen werden. Zusätzlich forciert werden diese Entwicklungen durch die zu erwartenden unterschiedlichen Regionalförderungsintensitäten in der Anwendung des EU-Wettbewerbsrechtes.

Wenn Sie ankündigen, Herr Staatssekretär, daß es zu diesen Förderungsstrukturen kommen werde, dann ignorieren Sie die klar ablehnende Stellungnahme der zuständigen Kommissarin Wulf-Mathies, die erklärt hat, daß es zu keinen besonderen Förderungen für diese Grenzlandgebiete kommen werde. (Bundesrat Dr. Tremmel: So ist das!)

Meine Damen und Herren! Frau Staatssekretärin! Herr Staatssekretär! Der Migrationsdruck aus diesen Ländern wird sein übriges dazu tun und zu ungeahnten und unlösbaren Problemen führen. Wir haben das schon in bezug auf die organisierte Kriminalität angedeutet. Das Anliegen der Freiheitlichen, meine Damen und Herren, ist es, daß die Beitrittslinie von neuen Kandidaten, von mittel- und osteuropäischen Ländern realistisch und nüchtern beurteilt werden sollte und daß in all diesen Bereichen auch die Interessen der österreichischen Bevölkerung und der Länder, die vor allem unter diesen Beitritten zu leiden haben, vertreten werden.

Muten Sie, meine Damen und Herren der Bundesregierung, der österreichischen Bevölkerung gerade in einem Zeitraum, in dem der Euro eingeführt wird und in dem es zu Belastungspaketen kommt, damit den Kriterien entsprochen wird, nicht zu viel zu! Machen Sie – das ist unsere Aufforderung an Sie, und deshalb haben wir die dringliche Anfrage an Sie gestellt – ehrliche Politik im Interesse der österreichischen Bevölkerung! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

17.08

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächstem erteile ich Herrn Bundesrat Albrecht Konečny das Wort. – Bitte.

17.08

Bundesrat Albrecht Konečny (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Frau Staatssekretärin! Herr Staatssekretär! Ich warte mit Interesse auf jenen Tag, an dem Kollege Waldhäusl an das Rednerpult treten und die Bundesregierung verdächtigen wird, den Heiligen Abend auf den 27. Februar verlegen zu wollen, eine dringliche Anfrage an den Bundeskanzler – in diesem Falle wäre der Außenminister wohl nicht ressortzuständig – richten und dann einen Entschließungsantrag einbringen wird, daß Weihnachten am 24. Dezember verbleiben soll und all jene, die diesem Entschließungsantrag nicht zustimmen, verdächtigen wird, für die Abschaffung des Weihnachts


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festes zu sein. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Waldhäusl: Wenn Sie sonst keine Sorgen haben! – Bundesrat Prähauser: Aber das ist treffend formuliert!)

Herr Kollege! Was Sie hier geboten haben und was auch Herr Kollege Bösch in einer etwas angenehmeren Tonlage zu formulieren versucht hat, ist schlicht und einfach die Wiedergabe des Standpunktes der österreichischen Regierungspolitik. (Bundesrat Waldhäusl: Das ist, weil Sie so ruhig waren!) Sie haben die nette Formulierung gebraucht, dieses Zitat stamme von jenem, und der sei doch wahrlich kein böser Freiheitlicher. Nein! Wenn sich Kollege Tumpel namens der Arbeiterkammer zu Wort meldet, vertritt er die Interessen der Arbeitnehmer. (Bundesrat Waldhäusl: Seit wann? Seit wann?) Wenn sich Kollege Romeder namens der betroffenen Gemeinden zu Wort meldet, dann tut er das im Spektrum der beiden Regierungsparteien, und jede Quelle, die Sie zitiert haben, ist in Wirklichkeit diesem Spektrum zuzuordnen.

Um Ihre Anfrage irgendwie zu rechtfertigen, müssen Sie einen Popanz erfinden, nämlich den Popanz einer Bundesregierung, die sich ohne Vorbereitung, ohne Nachdenken, mit einer falsch verstandenen Caritas im Herzen in das kalte Wasser einer am 1. Jänner – ich weiß nicht, was ist das nächste erreichbare Datum? – 1999 stattfindenden Osterweiterung stürzt. Davon ist bei niemandem die Rede. Das ist ein Popanz, und so gesehen kann ich – heute habe ich wieder einmal etwas gelernt: eine neue politische Disziplin – diese Anfrage nur als einen dreifach eingesprungenen Bauchfleck verstehen, weil es nichts gibt, was Sie hier vorgebracht haben, worüber nicht zu reden wäre.

Natürlich ist über die Risken zu reden, die organisierte transnationale Kriminalität mit sich bringt. Natürlich ist über die schwierige Konkurrenzsituation von Gewerbebetrieben in Grenzregionen zu reden. Natürlich ist von unserer Arbeitsmarktsituation zu reden. Wir haben das in diesem Kreis mindestens zwanzigmal in den letzten zwei Jahren gemacht. Natürlich ist über die Vorbereitung und ein Heranführen dieser Staaten zu reden, die die Grundlage für ein gemeinsames Politik-Machen und Wirtschaften sein müssen.

Keiner dieser Staaten ist heute – ich habe genau zugehört, Sie haben immer heute gesagt – in einer Position, in der eine wirtschaftliche Partnerschaft zwischen Gleichen gegeben wäre. In Klammer sei gesagt, das wäre nicht nur für unser Land, sondern auch für diese Länder mit gewaltigen Nachteilen verbunden. Das ist einer jener wenigen Fälle, in denen heute wahrscheinlich beide Schaden nehmen würden und in einer mittelfristigen Zukunft beide profitieren können.

Es ist auch nicht so, daß in diesen Ländern politischer Konsens darüber besteht, daß die EU die große Sparkasse ist, die man nur zugunsten der eigenen Kassen aufsperren müßte. Ganz im Gegenteil. Wir sind – zu dem stehen wir – in einem Prozeß, der keinen klaren Zeitplan haben kann. Es ist ein klarer Zeitplan gefordert worden. Aber nein, der Zeitplan muß von der Erfüllung von Entwicklungsschritten abhängen. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

Wer kann denn heute sagen, wie die Durchschnittseinkommen in Ungarn in vier Jahren ausschauen werden, welche Sozialstandards in Tschechien herrschen werden? Angesichts dessen fordern Sie einen klaren Zeitplan? – Das ist kontraproduktiv!

Was wir zu formulieren haben, sind Bedingungen, die zu erfüllen sind, bevor wieder nächste Stufen in diesem Annäherungsprozeß erreicht werden können. Dieser Prozeß ist eben, wie schon der Name sagt, etwas, das nicht eins und zwei beinhaltet, sondern viele Abstufungen dazwischen. Wir werden uns diesen Wirtschaftsräumen durch EU-Regelungen, durch Erweiterungen der Europaverträge, aber auch durch bilaterale Vereinbarungen annähern. Wir brauchen dieses schrittweise Vorgehen auch, wenn man so will, als Element der politischen Erziehung. Denn nur dann, wenn wir einen nächsten Schritt von Bedingungen abhängig machen, ist auch in diesen Ländern ein entsprechender Anreiz gegeben, die Bedingungen zu erfüllen.

Politik spielt sich nicht so ab, daß man hier hinausgeht, ein paar auch sehr willkürlich zusammengefügte Daten vorliest oder darauf Bezug nimmt. Ich bin dort empfindlich, wo man in den Bereich der offenen Fälschung kommt. Ich habe in Ihrer Anfragebegründung ein sehr schönes Beispiel dafür gefunden, nämlich den Satz: "Während in Deutschland 80 Prozent der Grenzgebiete ... besonders geförderte ,Ziel-1-Gebiete’ sind, sind es in Österreich lediglich 3,5 Prozent,


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nämlich das Burgenland." – Dies ist schlichtweg Unfug. 3,5 Prozent sind nicht der Anteil an den Grenzgebieten, sondern am österreichischen Staatsgebiet. Wenn ich Birnen mit Äpfel vergleiche, dann komme ich zu derart eigenartigen Statistiken.

Aber ich wollte eigentlich etwas anderes sagen. Ich wollte sagen, daß diese Entwicklung aus einer Fülle von Einzelentscheidungen besteht, wobei wir alle – das gilt auch für Sie – am Ende in diesem Haus eine Ratifizierung von Beitrittsverträgen vorzunehmen haben. Aber eine viel wichtigere Rolle – das gebe ich zu – spielt der ständige Dialog mit den Entscheidungsinstanzen der Union. Wenn Frau Wulf-Mathies zugegebenermaßen etwas sagt, was uns überhaupt nicht gefällt, dann ist das keine Entscheidung. Wir sind keine Unterworfenen der Frau Mathies. Da ist ein politischer Prozeß im Gange, und wir haben nach dieser Aussage ... (Bundesrat Dr. Kaufmann: Das ist ihre persönliche Meinung!) – Das ist ihre persönliche Meinung. Diese steht ihr auch zu als Verwalterin ... (Bundesrat Dr. Tremmel: Sie ist eine Kommissarin!) – Selbstverständlich darf auch sie eine Meinung haben. (Bundesrat Waldhäusl: Man wird sicherlich Sie fragen, ob sie es darf!)

Mich braucht sie nicht zu fragen, aber sie braucht die Zustimmung des Ministerrates. Herr Kollege! Sie wissen wirklich nicht, worüber Sie reden. (Zwischenruf des Bundesrates Waldhäusl. )

Ich möchte an etwas erinnern, weil es ein Teil dieses Prozesses ist, was gestern im Europäischen Parlament behandelt wurde. Das Europäische Parlament spielt in diesem Prozeß eine besonders wichtige Rolle. Dort wurde der Oostlander-Bericht abgestimmt, ein Bericht, der sich mit der Annäherungsstrategie beschäftigt hat, ein ganz zentraler Bericht. Herr Oostlander, ein Christdemokrat, hat im wesentlichen ökonomische Kriterien für die Annäherung in seinen Bericht aufgenommen. Das ist notwendig, und das ist richtig so. Er hat politische und Menschenrechts-Bedingungen aufgenommen. Auch das ist richtig und notwendig. Aber er hat – ich neige dazu, zu sagen, das hat etwas mit seinem politischen Standort zu tun – keine sozialen und Arbeitsmarkt-Kriterien aufgenommen.

Es war eine wichtige politische Auseinandersetzung im Europäischen Parlament über diese Bedingungen, daß die Umweltstandards, die Sozialstandards und die arbeitsrechtlichen Standards in den Beitrittsstaaten an den EU-Standard herangeführt werden müssen, bevor über Beitritt gesprochen werden kann. Es ist diese Resolution zu guter Letzt so weit gegangen – das ist keine unverbindliche Meinungsäußerung, das sage ich für Herrn Kollegen Waldhäusl dazu, sondern das hat politisches Gewicht in der EU – ... (Bundesrat Waldhäusl: Puh!)

Herr Kollege! Sie mögen meinen, daß europäische Politik nur aus Ihrem Gesichtspunkt betrachtet richtig ist. Tatsache ist, daß sich die Stellung des Europäischen Parlaments in den letzten Jahren erfreulicherweise stark verändert hat und daß gerade bei Beitrittsentscheidungen ohne Zustimmung des Parlaments gar nichts geht. Wir haben uns bei unserem Beitritt sehr bemüht, eine große Mehrheit für das neue Mitglied Österreich zu erreichen.

Dieser Beschluß legt fest, daß sogar der Annäherungsprozeß ausgesetzt werden kann, wenn aufgrund von regelmäßigen Berichten der Kommission über den Fortschritt in den Beitrittsstaaten nicht festgestellt werden kann, daß eine Annäherung in diesen Standards stattfindet. Die wesentlichen dieser Abänderungsanträge tragen als Antragsteller die Namen Titley, den Namen eines britischen Parteifreundes meiner Fraktion, Swoboda und Ettl. Was ich bemerkenswert finde, ist: Dort, wo es darum geht, das umzusetzen, was Sie hier fordern, sind Ihre Abgeordneten bei der Abstimmung wieder einmal nicht da. Sehen Sie, das ist der Unterschied zwischen Arbeit und Reden! (Bundesrat Meier: Das war sehr oft so!)

Sie stellen sich hierher und nennen Gemeinplätze, die wir im Grundsatz alle vertreten. Keiner von uns will ins kalte Wasser springen. Sie zitieren unsere Spitzenpolitiker so, als ob sie Ihnen recht geben würden. In Wirklichkeit ist das glatter Mißbrauch. Aber dort, wo das konkret umgesetzt wird, wo das Europaparlament Bedingungen stellt, dort halten es Ihre Leute nicht für notwendig, sich auch nur ein wenig zu engagieren.

Kollege Waldhäusl! Sie haben am Beginn Ihrer Ausführungen einen Satz gesagt, der mich verblüfft hat, aber es mag stimmen. Sie haben gesagt, man kann Zeitungsartikeln entnehmen, daß


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es Diskussionen in der Bevölkerung über die Osterweiterung gibt. (Bundesrat Waldhäusl: Auch!)

Nein, ich entnehme das nicht Zeitungsartikeln, sondern ich führe diese Diskussion. Ich lade Sie ein, das auch zu tun! (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

17.20

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächstem erteile ich Herrn Bundesrat Dr. Kurt Kaufmann das Wort. – Bitte.

17.20

Bundesrat Dr. Kurt Kaufmann (ÖVP, Niederösterreich): Herr Vizepräsident! Frau Staatssekretärin! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Es ist schon eigenartig: Es wäre nicht die FPÖ, wenn sie nicht wenige Tage vor der niederösterreichischen Landtagswahl die geplante Osterweiterung thematisieren und mit den Ängsten der Bevölkerung spielen und sie schüren würde. (Bundesrat Waldhäusl: Das ist aber schlimm! Gibt es solche Ängste?)

Kollege Waldhäusl! Es wirkt kleinkariert und erinnert irgendwie an die Kirchturmpolitik eines Lokalpolitikers, wenn die Diskussion der Osterweiterung in der Enge eines Dorfes betrachtet oder geführt wird. (Bundesrat Waldhäusl: Der Pröll hat ja gar nicht geredet!)

Meine Damen und Herren! Anscheinend ist manchen von uns nicht bewußt, welche Gnade und Chance (Bundesrätin Haunschmid: Gnade!?) der Niedergang des Kommunismus und der Wegfall des Eisernen Vorhanges für uns alle bedeutet. Als Niederösterreicher ist mir bewußt, in welcher Sackgasse wir jahrzehntelang am Eisernen Vorhang gelebt und wie willkürliche politische Grenzen Menschen getrennt haben, die über Jahrhunderte eine kulturelle, wirtschaftliche und gesellschaftliche Einheit gebildet haben. (Bundesrat Waldhäusl: Das ist ein Vertreter der Wirtschaft!)

Es wächst zusammen, was zusammen gehört, hat Willy Brandt anläßlich der deutschen Wiedervereinigung formuliert. Jetzt haben wir Angst vor diesem Wachsen, und es wäre nicht die FPÖ, wenn sie nicht aus diesen Ängsten politisches Kleingeld lukrieren würde.

Kollege Waldhäusl! Ich kenne Ihre Äußerungen. Sie haben permanent Pamphlete in Niederösterreich in Umlauf gebracht: Einmal klagen Sie, einmal verfassen Sie Pamphlete über Landesrat Gabmann, dann wieder ... (Bundesrat Waldhäusl: Ich habe niemanden geklagt!) Schauen Sie, es steht alles hier drinnen. (Der Redner zeigt ein Schriftstück.) Das habe ich schon vor einigen Tagen zugeschickt bekommen, Herr Kollege! (Bundesrat Waldhäusl: Sie lesen vernünftige Sachen!)

Es wird darin dargestellt, daß wir uns die Osterweiterung nicht leisten könnten. Unser Wohlstand sei gefährdet, die Wirtschaft sei nicht vorbereitet, Arbeitsplätze seien in Gefahr. – Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite zeigt aber die Erfahrung aus der Geschichte, daß Frieden und Freiheit auf diesem Kontinent auf längere Sicht nicht teilbar sind, wenn es nicht rasch gelingt, in den osteuropäischen Ländern Demokratie, soziale Marktwirtschaft, relative Lebensqualität zu schaffen und diese Länder damit zu stabilisieren.

Kollege Waldhäusl! Es erscheint vermessen, wenn Sie und die FPÖ glauben, daß es mit einer Angstkampagne möglich ist, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Seit dem europäischen Gipfel von Kopenhagen im Jahre 1993 und den Luxemburger Beschlüssen vom Dezember 1997 ist die Osterweiterung eindeutig politisch entschieden. Es geht eigentlich nur um drei Fragen: erstens – das wurde heute schon von meinem Vorredner gesagt –, wann die einzelnen assoziierten mittel- und osteuropäischen Staaten die entsprechenden Reformfortschritte nach den Kopenhagener Kriterien erreichen, zweitens, wie lange die Beitrittsverhandlungen dauern werden, und drittens, welche Bedingungen ausgehandelt werden.

Es ist sicherlich richtig, Kollege Waldhäusl, das weiß ich selbst, daß die Stimmung zur Osterweiterung in Österreich nicht positiv, ja sehr zwiespältig ist. Das ist sicherlich darauf zurück


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zuführen, daß wir den größten Anteil an der EU-Ostgrenze haben – über 1 300 Kilometer. Wie Sie schon gesagt haben: In Niederösterreich haben wir ungefähr 400 Kilometer.

Wir sollten uns aber vor Augen führen, meine Damen und Herren, daß seinerzeit die Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, aus der sich dann die EU entwickelt hat, konzeptuell auf ganz Europa angelegt und nie auf die heutigen Mitgliedstaaten beschränkt waren. Kollege Waldhäusl! Ich würde Ihnen empfehlen, einmal die Römischen Gründungsverträge zu lesen.

Was derzeit innerhalb der EU diskutiert wird, ist keine strategische Neuorientierung der Europäischen Union, sondern der Versuch der Vollendung eines europäischen Einheitswerkes – sicherlich verspätet durch den kalten Krieg.

Meine Damen und Herren! Wir müssen ehrlich zugeben – die Frau Staatssekretärin hat es schon erwähnt, ich greife es aber noch einmal auf, damit Sie es sich auch merken, Kollege Waldhäusl –, daß es die österreichische Wirtschaft war, die von der Ostöffnung seit 1989 am meisten profitiert hat: ein zusätzlicher Wachstumsschub von 2,4 Prozent in den letzten sechs Jahren (Bundesrat Dr. Tremmel: Ich sehe aber, wie die Leute im Vergleich zum Vorjahr heuer weniger haben!)  – Sie sollten es sich auch merken, Kollege! –, eine Steigerung der Ostexporte von 267 Prozent auf 50 Milliarden Schilling, Schaffung von rund 56 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen, mehr als 50 Milliarden Schilling an Direktinvestitionen. (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Tremmel. )

Kollege Waldhäusl hat vorhin den Generalsekretär der Industriellenvereinigung zitiert. – Ich würde Ihnen empfehlen, in Ihrem Klub nachzuschauen, da wird sicherlich die "Wiener Zeitung" aufliegen, in dieser steht nämlich genau das Gegenteil. Ich möchte hier zitieren: "Lorenz Fritz, Generalsekretär der Industriellenvereinigung, meinte bei einer Pressekonferenz gestern, daß die Osterweiterung die historische Chance ist für Österreich." Sie brauchen sich nur die Außenhandelsstatistik in der Zeitung anzuschauen und die Anteile, die wir in den letzten sechs, sieben Jahren erreicht haben.

Meine Damen und Herren! Obwohl viele Vorteile der Osterweiterung durch das Europa-Abkommen der EU mit den Ostländern bereits konsumiert wurden – ich denke hierbei an die Liberalisierung des Warenverkehrs, an die Lockerung der Zollschranken –, bedeutet nach einer Studie der Universität Linz die Ostöffnung einen weiteren Wachstumsimpuls von knapp 1 Prozent.

Meine Damen und Herren! Daß die niederösterreichischen Arbeitnehmer davon profitiert haben, zeigt eine Wifo-Studie vom November vorigen Jahres, die zeigt, daß gerade die drei Bundesländer im Osten Zuwachsraten bei den Arbeitsplätzen gehabt haben – in Niederösterreich waren es 0,5 Prozent.

Kollege Waldhäusl! Der Vorwurf der Freiheitlichen, daß die Bundesregierung und auch der Landeshauptmann von Niederösterreich doppelzüngig sprechen, nämlich im Ausland für die Osterweiterung und im Inland dagegen, läuft ins Leere. Meine Damen und Herren! Das gehört zur Mistkübelkampagne der Freiheitlichen (Bundesrat Waldhäusl: Jessas!) anläßlich des niederösterreichischen Landtagswahlkampfes. Wenn man kein Programm hat, Kollege, bleibt einem halt nichts anderes übrig, als Videos zu produzieren beziehungsweise anonyme Anzeigen zu machen. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bundesräten der SPÖ. – Bundesrätin Haunschmid: Wer macht jetzt Wahlkampf? – Zwischenruf des Bundesrates Dr. Tremmel. )

Gerade die Volkspartei und die Sozialpartner waren es – ich denke an die Studie der Bundesarbeitskammer, die Studie der Wirtschaftskammer und jene der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern –, die schon im vergangenen Jahr nicht nur zur Agenda 2000 Stellung genommen, sondern auch klargelegt haben, welche Risken und welche Chancen von der Ostöffnung zu erwarten sind. Es war die Volkspartei in Niederösterreich, und – ich kann stolz darauf sein – es war der niederösterreichische Wirtschaftsbund, die bereits voriges Jahr im Sommer eine Resolution auf die Einführung eines Sonderprogramms in den Grenzgebieten beschlossen haben. Ich bin dankbar, daß es die Landesregierung und die Bundesregierung übernommen haben, ein entsprechendes Memorandum an die Kommission heranzutragen, um ein


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Sonderprogramm der Ostgebiete, der Grenzgebiete zu ermöglichen – im Burgenland natürlich auch. (Bundesrat Dr. Böhm: Mit welchem Erfolg?)

Meine Damen und Herren! Ich glaube, man sollte schon sagen, daß wir uns sehr genau überlegen, sehr verantwortungsvoll über dieses Thema diskutieren und nicht verantwortungslos sind, welche Maßnahmen notwendig sind, damit es für unsere Grenzgebiete Erleichterungen gibt. Gerade unsere Grenzgebiete sind 50 Jahre lang an der toten Grenze gelegen, haben also keine Chance gehabt. Es gab dort Abwanderung und Überalterung, und wir alle waren 1989 stolz darauf, daß der Eiserne Vorhang gefallen ist. Es hat dann einen wirtschaftlichen Aufschwung gegeben.

Kollege Bösch hat gemeint, daß die Betriebe abwandern werden. Ich bin gerade jetzt sehr viel in Sachen niederösterreichischer Landtagswahlkampf unterwegs, und ich war gestern in einer Firma in Laa an der Thaya – Kollege Bösch, damit Sie es auch wissen –, die stolz darauf ist, daß sie in Österreich produziert. Ich habe mehrfach gefragt, warum sie nicht über die Grenze gehen. – Sie gehen nicht hinüber, weil sie hier die besseren Arbeitsbedingungen und qualifiziertere Arbeitskräfte haben.

Aber – das ist eine Forderung, die wir alle unterstreichen können – die Infrastruktur in diesen Grenzgebieten ist äußerst schlecht. Wenn Kunden vom Flugplatz abgeholt werden und dann eineinhalb Stunden bis Laa an der Thaya fahren müssen, dann ist das ein Problem für diese Betriebe: einerseits in der Zulieferung, andererseits im Abtransport von Fertigprodukten.

Daher, glaube ich, ist einer der wichtigsten Punkte – das kommt auch in diesem Memorandum zum Tragen – gemeinsam mit der Europäischen Union – ich will nicht ausschließen, daß wir diese Projekte mitfinanzieren müssen – der rasche Ausbau der Infrastruktureinrichtungen in den Grenzgebieten, das heißt Ausbau der Bahn, Ausbau der Straße.

Kollege Waldhäusl, weil Sie soviel Sorge um die Klein- und Mittelbetriebe haben: Ich würde Ihnen empfehlen, daß Sie mit Ihrem Kollegen Schimanek darüber reden. Kollege Schimanek hat voriges Jahr im Sommer 100 000 Unterschriften für die Beibehaltung der Duty-Free-Shops an der Grenze in Empfang genommen. (Rufe bei SPÖ und ÖVP: Was? – Bundesrat Waldhäusl: Das ist eine Unwahrheit! Doch nicht für die Beibehaltung! Das ist eine glatte Unwahrheit!)

Kollege Waldhäusl! Ich würde Ihnen empfehlen, mit Schimanek darüber zu diskutieren, welche Funktion die Duty-Free-Shops haben. Diese sind es gerade, die in unseren Grenzgebieten den Kaufkraftabfluß verursachen und zu großen Schwierigkeiten in unseren Klein- und Mittelbetrieben führen. Hier könnten Sie beweisen, ob Sie wirklich etwas für die Grenzgebiete übrig haben oder ob es Ihnen nur um billige Wahlpropaganda geht. (Ruf bei der ÖVP: Hier jammern und Duty-Free fördern!)

Meine Damen und Herren! Seitens des Wirtschaftsbundes, seitens der Wirtschaft verlangen wir gerade für die Klein- und Mittelbetriebe in den Grenzgebieten ein eigenes KMU-Sonderprogramm – etwas, das durchaus im Einklang mit den Intentionen der Kommission steht und das wir sicherlich im Rahmen der GG XXIII diskutieren können. Die Bundesländer werden als Mitfinanciers auftreten müssen, aber es sollten besondere Förderungsmöglichkeiten gegeben werden – sei es durch Haftungsübernahmen, Zinsenzuschüsse und auch Förderung von grenzüberschreitenden Projekten.

Kollege Waldhäusl! Weil vorhin die Landwirtschaft erwähnt wurde: Ich bin sicherlich kein Spezialist auf dem Sektor (Bundesrat Waldhäusl: Gott sei Dank!), aber es liegen Untersuchungen vor, die gezeigt haben, daß der Strukturwandel, den Sie der Osterweiterung zuschreiben, bereits viel früher eintreten wird, wenn es darum geht, entsprechend den GATT-Vereinbarungen die Preise, im Klartext: die Preisstützungen zu senken.

Daher wird es in den nächsten Jahren notwendig sein, die entsprechenden Schritte zu setzen, und die Befürchtung, die Sie haben, wird zu dem Zeitpunkt nicht mehr eintreffen, denn dann werden die Betriebe schon durch andere Maßnahmen gestützt beziehungsweise entsprechend geschützt sein. (Bundesrat Waldhäusl: Das versprechen Sie seit 15 Jahren! Eingetreten ist es


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noch nie!) Es wird so sein, daß die Preise zu diesem Zeitpunkt sowohl in der EU als auch in den mitteleuropäischen Ländern ungefähr gleich sein werden. Es heißt dazu in einer Studie: Die Aufnahme neuer EU-Mitglieder wird für die nächsten zehn bis 15 Jahre deshalb kaum Auswirkungen auf die Einkommen der Bauern in der Union haben. – Da sieht man wieder, daß Angstpropaganda das wichtigste Mittel Ihrer Politik ist.

Meine Damen und Herren! Wir haben heute – auch mein Vorredner hat es erwähnt – schon sehr viel über die Heranführungsstrategie der mitteleuropäischen Beitrittskandidaten gesprochen. Ich glaube, das ist der springende Punkt. Mir hat vorhin ein Nationalratskollege erzählt, daß er mit Präsident Fischer dieser Tage in Tschechien beim Präsidenten des tschechischen Parlaments war, wo über diese Themen diskutiert wurde. Dieser habe ihm erklärt, es gebe derzeit nicht genug Beamte, die entsprechend ausgebildet sind, um die EU-Richtlinien lesen, umsetzen und vor allem exekutieren zu können. Das heißt, es wird ein ziemlich langer Anpassungsprozeß nötig sein, und wir müssen ihnen helfen, in einer Partnerschaft die Beamten und Richter entsprechend auszubilden. Dasselbe gilt auch für die Sicherheitskräfte, die vorhin schon die Frau Staatssekretärin erwähnt hat. Daher ist es zum jetzigen Zeitpunkt unmöglich, einen genauen Zeitplan anzugeben.

Sie haben von den Arbeitsplätzen gesprochen, von der Angst vor der Immigration ausländischer Arbeitskräfte. Die Position der Regierung und der gesamten Sozialpartnerschaft ist eindeutig, nämlich daß es zu Quotenregelungen kommen muß, daß das nur sukzessive gehen kann und man mittels entsprechender Genehmigungen die beitrittswilligen Länder langsam heranführt.

Dasselbe gilt bei der Zuwanderung. Da gibt es ein gutes Beispiel, nämlich die Schweiz, die eine ähnlich kontrollierte Zuwanderung erlaubt hat, mit einem entsprechenden Überwachungsmechanismus. Für unsere Klein- und Mittelbetriebe ist die Frage des Über-der-Grenze-Arbeitens von Bedeutung. Das ist ein Problem, das gebe ich schon zu, aber auch dafür wird es Übergangsregelungen geben müssen und sicherlich geben.

Meine Damen und Herren! Als Österreicher können wir eigentlich nur ein vitales Interesse daran haben, daß die EU-Außengrenze, die jetzt 60 Kilometer östlich von uns liegt, um 600 Kilometer in den Osten verschoben wird. Ich glaube, es ist sicherer, wenn diese Grenze verschoben wird und wir den Ländern beim Aufbau entsprechender Sicherheitskräfte, beim Aufbau eines entsprechenden Grenzschutzes helfen. Es ist ein historisches Verständnis Österreichs, daß wir von einer Randlage Europas wieder in das Herz Europas zurückkehren möchten, so wie das heute früh der Herr Bundespräsident gesagt hat.

Meine Damen und Herren! Ich komme zum Schluß. Meines Erachtens gibt es keine Alternative zur EU-Osterweiterung, denn nur ein Beitritt der mitteleuropäischen Länder und damit ihre formelle Gleichstellung kann die Spuren des geteilten Europas überwinden und zu Stabilität und Wohlstand führen.

Ich glaube, in diesem Sinne wird die österreichische Bundesregierung sehr wohl den Beitrittskandidaten helfen und zugleich auch den Grenzgebieten. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

17.39

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächstem Redner erteile ich Herrn Bundesrat Mag. John Gudenus das Wort. – Bitte.

17.39

Bundesrat Mag. John Gudenus (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Frau Staatssekretärin! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Konečny meinte, daß wir Freiheitliche einen Popanz aufbauen und im Grunde genommen nur das verlangen, dessen Durchführung die Bundesregierung ohnedies vorhat.

Folgende Frage stellt sich mir: Ist es so, wie Kollege Konečny gesagt hat? – Wenn es so ist, wie Kollege Konečny gesagt hat, dann gehe ich davon aus, daß er von der gleichen Sorge über die Entwicklung der Republik Österreich in bezug auf die Osterweiterung erfüllt ist wie wir.


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Ich gehe auch davon aus – ich bitte die Damen und Herren der beiden Regierungsparteien, das anzunehmen –, daß wir, die Freiheitlichen, von der gleichen Sorge um die Entwicklung der Republik Österreich erfüllt sind wie Sie, meine Damen und Herren! Wir und Sie haben Sorge um die Republik Österreich, ihre Bevölkerung und ihre Entwicklung. Ich bin auch überzeugt davon, daß die Frau Staatssekretärin und der Herr Staatssekretär – sie haben eine Doppelconférence abgehalten –, aber auch andere Regierungsmitglieder die gute Absicht haben, der Republik Österreich zu dienen. In einem Punkt unterscheiden wir uns allerdings von Ihnen: Sie gehen hinsichtlich der Osterweiterung ein zu hohes Tempo, sie gehen mir diesen Punkt zu forsch an. Sie gehen das so an, als wären Sie Vorzugsschüler auf dem politischen Parkett Europas. (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Linzer. ) Wir Freiheitliche lehnen diese Vorzugsschülerrolle entschieden ab. Sachte, gemach, nicht so eilig, meine Damen und Herren! Wir kommen früh genug ans Ziel und werden die Probleme haben. Das bitte ich Sie zu beachten.

Die Probleme, die durch das vorschnelle, das forsche Herangehen entstehen, sind nicht so zu lösen, da helfen die besten Papiere nichts, die ausdrücken, daß man Übergangslösungen und so weiter vorsehen wird – wann, bis wann und welche Bedingungen und wie lange, wie Kollege Kaufmann gemeint hat.

Da sind schon eher die Bedenken des bayrischen Ministerpräsidenten Stoiber zu überlegen. Dieser beklagt, daß die Vertragswerke zur europäischen Einigung so kompliziert formuliert sind, daß sich ihr tatsächlicher Inhalt nur Fachjuristen erschließe. Das trage dazu bei, sagt er, daß auch Landesregierungen nicht über Inhalte und Konsequenzen dieser Verträge im klaren sind. – Ich will das, was er weiter dazu sagt – es handelt sich nämlich um den Amsterdamer Vertrag und das Vorangegangene –, hier gar nicht mehr ausführen, weil es nicht ganz zum heutigen Thema gehört. Wir sind aber der Meinung, daß die Bemerkungen ... (Bundesrat Dr. Linzer: ..., daß er eine Neukodifikation verlangt! Da kann man sich ja anschließen!)  – Das ist aber nett, daß Sie sich anschließen wollen, aber dann sagen Sie doch heute hier, daß Sie sich beim Amsterdamer Vertrag auch nicht auskennen. Aber so zu tun, als wüßten wir alles, ist nicht richtig.

Vielleicht weiß die eine Dame, vielleicht weiß der eine Herr mehr als wir, aber dann heraus mit dem Wissen! Bitte, streuen Sie es aus. Sagen es Ministerpräsident Stoiber in Bayern. Sie haben einen Botschafter in Bonn, der kann Ihre Antwort Herrn Stoiber weitergeben, Sie können es auch mittels Pressemitteilung machen, er wird es gerne hören. Ihm fehlt der Glaube! Und daher glaube ich – weil wir beim Glauben sind –, daß auch wir das Recht haben, dieses Thema mit Vorsicht anzugehen, denn den Problembeschreibungen stehen sehr vage Lösungsansätze gegenüber. Es fehlen zielgerichtete Detailanalysen über die regionalwirtschaftlichen Auswirkungen; sie gehen uns ab.

Das führt bis in den Bereich der Sicherheit dieses Staates. Die Sicherheit in Österreich wird nämlich schon jetzt auch von Angehörigen der Aufnahmekandidaten gefährdet. 12,1 Prozent der fremden tatverdächtigen Kriminellen des Jahres 1996 stammen aus Ungarn, Polen und Tschechien. Nun gehe ich schon davon aus, daß es sich dabei manchmal um Kleinigkeiten wie Taschendiebereien und so weiter handelt – so weit ist mir die Statistik nicht geläufig –, aber welche Garantie übernehmen Sie, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, daß diese Rate, die für das Jahr 1996 bei 12,1 liegt, nicht noch stärker ansteigt, wenn wir die Grenzen total aufmachen? Denn wenn sie hereinkommen, sind sie hier, und wenn wir sie nicht einmal mehr als Fremde behandeln dürfen, bekommen wir sie nicht mehr weg! Wir haben jetzt schon Probleme.

Für uns ist es ganz interessant festzustellen, daß Michael Sika – nicht irgend jemand in dieser Republik, sondern immerhin der Generaldirektor für öffentliche Sicherheit – die organisierte Kriminalität, die Korruption und die Verwahrlosung der Gesellschaft durchaus im Zusammenhang mit der Osterweiterung erkennt. Er sagt auch: Wir sind zum Glück eine Kongreßstadt fürs organisierte Verbrechen, dadurch haben wir noch ein relativ ruhiges Leben. – In Budapest ist es anders. Seien wir froh, daß das organisierte Verbrechen bei uns in Österreich gewissermaßen seine Kongresse abhält.


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Aber so ist es nicht. Es ist nicht nur so, daß das organisierte Verbrechen hier Kongresse abhält, sondern es ist so, daß die Russenmafia hier Fuß gefaßt hat. Sie macht ihre Geschäfte auch hier.

Sika bezeichnet das organisierte Verbrechen als ein ökonomisches Problem. Er stellt es so ähnlich dar: Konventionelle Kriminalität verhält sich zum organisierten Verbrechen ungefähr so wie Handwerk zu Industrie. Das sind immerhin scharfe Worte, die der Generaldirektor für öffentliche Sicherheit hier findet. Er meint auch, daß die organisierte Kriminalität so lang im Steigen begriffen sein wird, solange im ehemaligen Ostblock und damit auch in den drei Aufnahmekandidatenstaaten ein Markt vorhanden und nicht gesättigt ist.

Er verwendet ein bedenkliches Wort, er sagt nämlich: Mit dem organisierten Verbrechen wird so lang kollaboriert werden – erinnern Sie sich an Kriegszeiten, das Wort "Kollaborierung" hat eine sehr politische Dimension! –, solange ein gutes Geschäft damit zu machen ist, denn die Gesetzestreue der Staatsbürger wird in diesem Land nicht sehr geschätzt. Es ist die Kollaboration, die sehr viel Zuspruch findet, auch in Kreisen der Anwaltschaft. – So Präsident Sika.

Er meint auch, daß unsere Gesellschaft korrupter geworden ist. Und je korrupter sie ist, desto mehr nimmt die organisierte Kriminalität zu. Das Ende dieser Geschichte ist die Diktatur. Wir sind auf dem besten Wege, die Demokratie umzubringen – am Ende steht dann ein Diktator.

Dazu, daß Herr Generaldirektor Sika das so sagt, muß ich sagen: Das sagt ja einer, der das ein bißchen wissen muß. Er wurde auch von niemandem – weder vom Herrn Bundespräsidenten noch vom Herrn Bundeskanzler noch vom Herrn Innenminister – aufgrund seiner Äußerungen, die wir vor kurzem lesen konnten, zur Ordnung gerufen. Er wurde auch nicht gefragt: Woher haben Sie denn das, Herr Sicherheitsdirektor? – Nein, das ist der Mann, der dieses Wissen auf sich fokussiert wiedergibt. Er ist der Mann, der das weiß, und da geht kein Aufschrei durch die Republik, da geht man dazu über, zu sagen: Wir müssen verhandeln und Terminstellungen herausschieben, was wann wie wo. Herr Kollege Kaufmann hat gesagt: wann, wie lang und welche Bedingungen? – Die Bedingungen wird dann vielleicht einmal das organisierte Verbrechen aufstellen!

Generaldirektor Sika meinte auch, nur die Spitze eines Eisberges wahrgenommen zu haben, weil es Leute gibt, die bereit sind, für Geld alles zu machen.

Nun frage ich mich, ob nicht die Osterweiterung nur eine moralische Verbrämung dafür darstellt, daß viele Millionen irgendwohin fließen, daß in Wirklichkeit aber diese Millionen dazu dienen, die österreichischen Grenzen aufzumachen und die organisierte Kriminalität verstärkt in unser Land zu lassen. Ich frage Sie: Wie viele sind bereit, wenn man ihnen 1 Million Schilling auf den Tisch legt und sagt: Mach mir eine kleine Gefälligkeit!, diese kleine Gefälligkeit zu machen? – Hat doch unlängst jemand nur für 800 S oder 900 S Taxilosung einen Taxifahrer erschossen. Wieviel mehr ist man bereit, für 1 Million Schilling zu tun? (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Kaufmann. )

Herr Kollege! Diese organisierte Kriminalität kommt – wenn Sie das nicht wissen, dann müssen Sie es sich jetzt anhören – aus den osteuropäischen Staaten, aus dem ehemaligen sowjetischen Bereich. (Bundesrat Dr. Kaufmann: Dann müssen Sie eine Festung bauen! – Staatssekretär Dr. Wittmann: Das waren nicht-organisierte Österreicher!)  – Nein, keine Festung bauen, aufpassen muß man! Wir müssen unsere Exekutive danach ausrichten.

Europol und Schengen mögen in Ländern, die einen halbwegs gesitteten Umgang miteinander pflegen – das sei auch Ihnen gesagt, Herr Staatssekretär –, halbwegs funktionieren; kein Einwand. Aber aus dem Osten, sagt Sika, bekommen wir keine Informationen. In Budapest wurde im letzten Jahr zweimal das Kommando der Sicherheitspolizei ausgewechselt – das ist nicht so ohne, die wechseln das nicht rein aus Jux und Tollerei aus. Man wechselt diese Kommanden aus, weil möglicherweise die 1 Million Schilling oder 5 Millionen Forint geflossen sind und die Personen dann nicht mehr richtig gearbeitet haben.


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Gut, die Politik hat sich der Osterweiterung sicher längst angenommen, sagt Generaldirektor Sika. – Oder hat sich die Osterweiterung der Politik schon angenommen? Das ist meine Gegenfrage.

Wenn soviel Geld fließt und gewisse Gebiete angeblich nur dann bereit sind, der Osterweiterung zuzustimmen, wenn Geldzahlungen stattfinden, frage ich mich, ob das nicht schon der Weg ist, um verstärkt organisierte Kriminalität nach Österreich zu bekommen.

Die Justiz ist für Prozesse über organisierte Kriminalität nicht gewappnet, sagt Generaldirektor Sika – immerhin ein Mann, der es wissen muß.

Wir verlangen nur – das ist nicht zuviel – eine konsequente Überwachung der Ostgrenze. Aber wie geht das? – Man will das Bundesheer schwächen und schickt 235 Mann oder eine paar Dutzend mehr in den marokkanischen Wüstensand. Uns Österreichern nützt es recht wenig, wenn österreichische Soldaten in Marokko oder in der Sahelzone Grenzen sichern.

Oder: das Waffengesetz. Da sollen unbescholtene Bürger in die Illegalität abgedrängt werden. Waffenbesitzer werden psychiatriert. Jäger, die schon 45 oder 50 Jahre lang einen Waffenschein haben, müssen sich einem Psychotest unterziehen. Ist das der richtige Umgang mit den Bürgern der Republik?

Wir wollen, daß diejenigen, die in die Republik hereinkommen, einem Test unterzogen werden, aber nicht, daß die österreichischen Bürger einem Test unterzogen werden, ob sie anständige Österreicher sind. Es geht um die anständigen Ausländer, die wir wollen! Die Österreicher sind in der großen Mehrzahl soweit ganz anständig. Wir lassen uns die Österreicher nicht kriminalisieren.

Wir brauchen eine bessere Ausrüstung für die Gendarmerie, für die Exekutive insgesamt. Die Kriminalitätsbekämpfung gehört besser durchgeführt: moderne Ausrüstung, bessere Ausbildung, Aufstockung des Personals und natürlich: Stopp den Gendarmeriepostenschließungen im Grenzbereich! Meine Damen und Herren! Gerade in dünn besiedelten Gebieten muß ein relativ dichtes Netz an Exekutiveinrichtungen, an Posten vorhanden sein. Was nützt es mir im Waldviertel, wenn ich den Gendarmerieposten anrufe und ein Tonband sagt: Ich bin beim Volksfest in soundso, wenden Sie sich an den Posten in Krems! – Das ist unmöglich! In Wien ist das etwas anderes. (Bundesrat Richau: Das sagt er nicht!) So ähnlich läuft es doch, Herr Kollege! (Bundesrat Richau: Sie werden sofort umgeleitet!) Dann wird es sofort umgeleitet, aber näher liegt der Posten sicher nicht. (Bundesrat Richau: Ich verwahre mich nur dagegen, wenn Sie sagen, der ist auf einem Fest!) Aber es liegt der Posten dann sicherlich nicht näher, darauf können wir uns einigen, oder? Besser wird es nicht – dem werden Sie auch zustimmen. – Danke vielmals, zumindest darin stimmen wir überein.

Also: Stopp den Gendarmeriepostenschließungen, insbesondere in den Grenzregionen!

Weiters: Sicherheitskontrollen innerhalb des Bundesgebietes!

Ein Punkt, der überhaupt nicht debattiert wird, ist die Donau als Sicherheitsrisiko, der Schifffahrtsweg auf der Donau als ständiges Sicherheitsrisiko, insbesondere im Zusammenhang mit der Ostöffnung. Der Schiffahrtsweg ist auch jetzt schon problematisch – darin geben Sie mir doch recht?!

Außerdem: verstärkte Drogenbekämpfung.

Ein Punkt, der immer wieder Ärgernis in weiten Kreisen der Bevölkerung hervorruft, ist, daß die Ausweisung straffällig gewordener Ausländer nicht umgehend erfolgt. Straffällige Ausländer haben ihr Anwesenheitsrecht in Österreich, in dieser Republik, sofort nach der Tat verloren und sind auszuweisen! Das ist unsere Ansicht.

Aus diesem Grund verlese ich jetzt unseren


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Entschließungsantrag – er liegt ja vor –:

Entschließungsantrag

der Bundesräte Mag. John Gudenus und Kollegen betreffend die Sicherheit der österreichischen Bürger in grenznahen Regionen nach der EU-Osterweiterung

Der Bundesrat möge beschließen:

"Die Bundesregierung wird aufgefordert, sicherzustellen, daß:

es zu keinen weiteren Schließungen von Gendarmerieposten, insbesondere in den Grenzregionen, kommt;

die Sicherheitskontrollen in grenznahen Bereichen ausgedehnt werden;

auch nach einer allfälligen" – möglichst in der Ferne liegenden, hoffe ich – "EU-Osterweiterung die Sicherheitskontrollen in den Grenzregionen beibehalten werden;

keine Waffensteuer eingeführt wird; es für Personen, die von den Behörden bereits für verläßlich erkannt wurden, keinen nachträglichen psychologischen Verläßlichkeitstest gibt; und es zu keinem generellen Verbot von Faustfeuerwaffen für verläßliche Privatpersonen kommt."

*****

Weiters lege ich hier ein Verlangen vor, welches die Durchführung einer namentlichen Abstimmung über diesen Entschließungsantrag vorsieht. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

17.55

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächstem Redner erteile ich Herrn Bundesrat Dr. Paul Tremmel das Wort.

17.55

Bundesrat Dr. Paul Tremmel (Freiheitliche, Steiermark): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Ich habe mit Interesse den Belehrungen gelauscht, die vor allem von seiten des Kollegen Konečny gekommen sind, und da ich ein gutgläubiger Mensch bin, müßte ich mir denken: Einiges davon stimmt sehr wohl oder könnte stimmen. Mir kommen allerdings Zweifel, wenn ich an seine Ausführungen anläßlich der EU-Begleitgesetze denke. In rosigsten Farben hat man es uns damals geschildert – einmal wurde gesagt, 80 000 Arbeitsplätze plus, das war, glaube ich, der Herr Bundesminister für Äußeres; der damalige Kanzler war etwas bescheidener, er sprach von 34 000 Arbeitsplätzen plus. Weiters wurde von einer Steigerung des Einkommensniveaus et cetera gesprochen.

Mittlerweile ist einige Zeit ins Land gezogen. Zwei Strukturanpassungsgesetze – im Volksmund: "Teuerungspakete" – sind über den Bürger hereingerasselt. Die wirtschaftliche Situation ist nach wie vor angespannt. Die Ausgleichs- und Konkursquoten bei den Gerichten, vor allem in den Grenzbereichen – das möge man sich anschauen –, sind im Steigen begriffen.

Sie können sagen: Na gut, das sind allgemeine Ausführungen, und ihr zitiert immer nur das, was die Regierung sagt. Ich gehe jetzt auf das ein, was die Frau Staatssekretärin und der Herr Staatssekretär zu einzelnen Fragen gesagt haben. Ich nehme etwa die Frage 19: "Durch welche konkreten Maßnahmen soll sichergestellt werden, daß durch die Osterweiterung ein Ansteigen des Transitverkehrs und die damit verbundene Belastung der Bevölkerung und Umwelt verhindert wird?" Die Antwort der Frau Staatssekretär war ungefähr folgende: Wir werden Maßnahmen setzen, wir werden uns bemühen. – Es wurde nichts Konkretes gesagt.

Ich sage Ihnen etwas Konkretes: Wir haben das Kraftfahrgesetz, in dem die entsprechenden Normen vorgesehen sind. Glauben Sie wirklich, daß aufgrund dieses österreichischen Kraftfahrgesetzes derzeit aus dem Ausland, aus Ungarn oder Slowenien kommende Fahrzeuge kontrolliert werden? Sie können sich selbst die Antwort darauf geben. Sie werden nur teilweise kontrolliert, nämlich nur dahin gehend, wie es in den Verträgen von Genf, Paris und Wien vorge


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sehen ist, wonach im großen und ganzen die Abgasabgabe eines Fahrzeuges kontrolliert wird, möglicherweise auch noch die mechanischen Standards, aber nicht etwa die ökologischen Standards, die wir haben. – Herr Staatssekretär! Das wäre eine konkrete Maßnahme. Auf diese Frage habe ich allerdings eine unkonkrete Antwort bekommen.

Ein weiterer Punkt: Es wurde über die Außengrenze gesprochen, und die Frau Staatssekretärin hat gesagt: Polen bekommt soundso viele Millionen Ecu. – Kollege Ludwig Bieringer, der seinerzeitige Präsident Strutzenberger und meine Wenigkeit waren vor zwei Jahren in Luxemburg und haben unter anderem auch die Schengen-Frage dort behandelt und darum gerungen, daß wir einen Zuschuß zur Finanzierung der Sicherung der EU-Außengrenze in Österreich bekommen. Was glauben Sie, wie die Antwort darauf lautete? – "Derzeit ist daran nicht gedacht!"

Wenn die derzeitige Situation nach dem Modell des Kollegen Konečny vielleicht noch einige Zeit anhält, dann wäre es sehr gut, wenn wir diesen Zuschuß einmal bekämen, sodaß das Bundesheer nicht ausblutet und nicht aus seinem kargen Wehretat auch noch diese Grenzsicherung mitfinanzieren muß. Das wäre eine Möglichkeit, Herr Staatssekretär! Da könnten wir konkret vorgehen.

Kollege Gudenus hat die Sicherheitsfrage angesprochen. Ich habe seinerzeit hier in Anwesenheit des Herrn Innenministers den Artikel des "Focus" zitiert, in dem steht, daß Wien neben Berlin die Hauptstadt des Verbrechens ist. Bitte, schauen Sie sich den Sicherheitsbericht des Bundesministers für Inneres an!

Was sehen Sie darin über die Drogenmafia, über die nigerianische Drogenmafia oder die Ostmafia? – Da sind die Zahlen am Explodieren, meine Damen und Herren! Die Ausländerkriminalität liegt in einzelnen Deliktbereichen weit über 50 Prozent. Das sollte uns Sorgen machen, dagegen sollten von uns konkrete Maßnahmen gesetzt werden.

Niemals zuvor in der Geschichte – es soll uns Freiheitlichen nicht unterstellt werden, daß wir prinzipiell gegen eine Osterweiterung der EU Stellung beziehen –, daher auch nicht in der der EU, hat man je versucht, die Integration von Gebieten, in denen es einen solch starken Entwicklungsrückstand gibt, in einem zeitlich so eng gesteckten Rahmen durchzuführen.

Kollege Bösch hat dies schon ausgeführt: 30 Jahre würden wir dafür benötigen. Wie schaut denn die derzeitige Situation in concreto aus? – Wir können uns gegenseitig mit Zahlen bewerfen, ich werde Ihnen hier anhand einiger Beispiele die momentane Lage schildern. Ich komme selbst aus einer Grenzregion, und zwar der Hartberger Region, ich kenne auch die Situation in der Oberwarter Region, in der Süd- und Weststeiermark.

Ein österreichischer Friseur, der in unserem Land Steuern zu zahlen hat, klagt heute darüber, daß die Leute über die Grenze fahren und im benachbarten Ausland um 70 Prozent günstigere Preise vorfinden. Dabei wollen unsere Gewerbetreibenden gewiß nicht so viel Geld verdienen. Auf der anderen Seite der Grenze herrscht nicht nur ein wesentlich niedrigeres Preisniveau, auch die Steuergesetze unterscheiden sich von den unseren. Das ist das Problem. Und wie lösen wir es, Herr Kollege? (Bundesrat Steinbichler: Herr Kollege! Was ist, wenn keiner hinfährt?)

Ja, was ist, wenn keiner hinfährt? – Wir haben einen freien Reiseverkehr. Das ist eine sehr naive Frage, lieber Herr Kollege! Wir haben dafür zu sorgen, daß sich die unterschiedlichen Standards einander angleichen, und weiters haben wir besonders dafür Sorge zu tragen, daß das österreichische Gewerbe überleben kann.

Schätzungen zufolge, die für diesen Bereich vorliegen, wird sich die Zahl der Gewerbebetriebe bis zu 50 Prozent reduzieren, wenn sich die derzeitige Sachlage nicht ändert.

Heute ist mir ein Bericht des Ministerrates vom 10. März in die Hände gefallen, in dem unter anderem zur Arbeitsmarktlage Stellung genommen wird. Es heißt darin etwas geschönt: Im internationalen Vergleich behält Österreich damit eine sehr günstige Position. Die Europäische Union hat eine mehr als doppelt so hohe Arbeitslosenquote, und zwar 10,5 Prozent.


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An anderer Stelle ist hingegen zu lesen: Ende Februar 1998 waren bei den regionalen Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservices 296 175 Personen als arbeitslos vorgemerkt. – Das schaut schon ein bisserl anders aus. Im Vergleich zum Vorjahr entspricht dies einem Anstieg von 6 899 oder von 2,4 Prozent. – Das ist die tatsächliche Ausgangslage. Nach wie vor ist das eine der größten Arbeitslosenquoten seit Ende des Zweiten Weltkrieges, meine Damen und Herren! (Bundesrat Schöls: Auch die höchste Zahl von Beschäftigten! Sagen Sie die ganze Wahrheit!)

Für mich stellt es das größte Unrecht dar, Herr Kollege, wenn jemand arbeitslos ist. Das ist ein Unrecht. Und wir haben ... (Bundesrat Schöls: Sie verunsichern die Menschen! ) Wir verunsichern nicht. Wie soll ich einen Arbeitslosen noch verunsichern? (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Das größte soziale Unrecht ist die Arbeitslosigkeit, und diese ist gestiegen, Herr Kollege, und das ist bedauerlich. Jetzt werde ich Ihnen, weil Sie mich reizen, detaillierte Zahlen aus drei Bezirken bekanntgeben. Diese sind sehr bedauerlich! Deutschlandsberg: 2 767 im Februar, um 214 oder 8,7 Prozent mehr Arbeitslose als im Vorjahr. Insgesamt sind zurzeit in diesen drei Bezirken 7 778 Menschen arbeitslos. Allein 2 731 Bauarbeiter sind – und das bei einer besonders günstigen Witterung – arbeitslos. Das soll uns zu denken geben. Jemand aus dem Gebiet von Ödenburg wird eben um 60 Prozent billiger bauen und arbeiten als jemand aus dem österreichischen Baugewerbe, nur herrschen dort auch ganz andere Bedingungen als bei uns. Auch das ist eine konkrete Bitte, die ich heute äußere: Versuchen wir, diese unterschiedli-chen Standards einander anzugleichen!

Kollege Konečny hat zwar sehr staatsmännisch gesagt: Natürlich, das versuchen wir! Wir werden all das angleichen. – Allerdings wird es schwierig sein, schwer Vermittelbare oder Körperbehinderte, die eine Zahl von 1 242 ausmachen, zu vermitteln. Zunächst einmal sind wir für unsere Leute verantwortlich. Natürlich treten wir auch für die Osterweiterung ein, aber an erster Stelle stehen unsere Leute und unser Land! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Präsident Bieringer übernimmt den Vorsitz.)

Wenn Herr Kollege Konečny von Popanz gesprochen hat, dann muß ich diesen Vorwurf an ihn zurückgeben und sagen, er ist es selbst. Denn ich habe hier einen Entschließungsantrag zur "Agenda 2000" vorliegen, gezeichnet von Ing. Penz, Albrecht Konečny und Kollegen. Auf der zweiten Seite ist ein sehr bemerkenswerter Satz zu lesen: ... sich bei den Verhandlungen über die "Agenda 2000" dafür einzusetzen, daß die vorgesehenen EU-internen Reformmaßnahmen nicht zu einer Verschlechterung der Nettozahlerposition Österreichs führen. (Bundesrat Konečny: Eben!)

Zwei Wochen später, Herr Kollege Konečny, hat der Bundesminister für Finanzen gesagt, im Falle der Osterweiterung werde der Nettozahlerbeitrag Österreichs von 13 Milliarden auf 27 Milliarden ansteigen.

Ich weiß nicht, worüber Sie jetzt den Kopf schütteln. (Bundesrat Konečny: Nein, das hat er nicht gesagt! Er hat gesagt: Wenn wir nicht entsprechende Maßnahmen durchsetzen, wird das passieren! Zitieren Sie nicht immer nur die Hälfte! Auch Rudi Edlinger ist dieser Meinung!) Nein, nein. Ich habe alles zitiert.

Wie schauen diese Maßnahmen aus? – Nennen Sie mir diese Maßnahmen! Kein Mensch kann sie mir nennen, auch Sie nicht. Warum haben Sie das dann hineingeschrieben, wenn es zu solchen Maßnahmen ohnehin nicht zu kommen braucht? Warum steht es hier?

Also Sie glauben selbst nicht ganz jenen Dingen, die Sie hier dargestellt haben. Im übrigen ist der Entschließungsantrag, der hier mehrheitlich angenommen wurde, sehr verschwommen. Wir haben das ein bisserl exakter ausgedrückt. Sie haben über die Nettozahlerposition, über die soziale Dimension, über die Langzeitarbeitslosigkeit, über die Situation der Jugend und über weitere Themen gesprochen. Nur von konkreten Maßnahmen, die Sie sich vorstellen, war nichts zu lesen. Wie geschieht die Sicherung von Arbeitsplätzen? Wie schaffen wir neue Arbeitsplätze? (Bundesrat Schöls: Sagen Sie doch, wie Sie das machen!) Ich sage es Ihnen jetzt, Herr Kollege!


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Da hat es vor kurzem eine Pressekonferenz bezüglich des Flughafens Wien-Schwechat gegeben. Diese Pressekonferenz hat Herr Bundeskanzler Klima gemeinsam mit Landeshauptmann-Stellvertreter Höger veranstaltet. Dort wurde unter anderem mitgeteilt, daß das zurzeit in der Öffentlichkeit diskutierte Vorhaben einer Erweiterung des Flughafens Wien um eine dritte Flug-piste – das bestätigte auch gestern die Flughafen Wien AG – derzeit nicht aktuell ist. Im Rahmen einer Masterplanung wird der Bau einer dritten Piste erwogen, allerdings frühestens im Jahr 2015, stellte Gebert weiter fest.

Was ist der Hintergrund dieser Angelegenheit? – Der Hintergrund ist, daß die Kapazität derzeit voll ausgelastet ist und Bedenken bestehen, daß eine Kapazitätsverlagerung nach Preßburg erfolgen wird, was sogar von unseren Regierungsstellen goutiert wird. Es besteht die Gefahr einer Abwanderung von Arbeitsplätzen. Herr Kollege Kaufmann, da haben Sie jetzt das konkrete Beispiel dazu. (Bundesrat Dr. Kaufmann: An den Haaren herbeigezogenes Beispiel!)

Wenn Sie nichts anderes mehr wissen, dann sagen Sie, es ist alles an den Haaren herbeigezogen! (Bundesrat Schöls: Wenn wir alles glauben würden, was in der Zeitung über Haider steht, könnten wir zusperren!) Sie brauchen uns nicht zu glauben, Herr Kollege, der Wähler glaubt uns. Das können Sie nach jeder Wahl feststellen, zuletzt in Graz. Ich werde Ihnen, wenn Sie wollen, die Wahlergebnisse zur Verfügung stellen. (Weitere Zwischenrufe. – Präsident Bieringer gibt das Glockenzeichen.)

Ich werde zu dieser Frage, die Sie so brennend interessiert, meine Damen und Herren, auch noch einen Entschließungsantrag einbringen, eine konkrete Maßnahme übrigens, wie man die Arbeitsmarktsituation in einer Grenzregion verbessern kann und nicht gleichzeitig befürchten muß, daß zwar einerseits mit voller Kraft in der Regierung gearbeitet wird, daß man aber andererseits nicht weiß, zu welchem Zweck dies geschieht, und man nicht befürchten muß, daß Arbeitsplätze abwandern.

Ich wollte Ihnen aber noch etwas zum Thema Landwirtschaft mitteilen, und dies deswegen, weil Kollege Waldhäusl von Ihnen zwar nicht niedergemacht, aber doch zumindest auf das äußerste beschimpft wurde. (Zwischenruf des Bundesrates Steinbichler. ) Ich lese Ihnen die Länderposition zur "Agenda 2000" vom 17. November 1997 vor. (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Kaufmann. ) Nein, Herr Kollege Kaufmann, da haben Sie nicht mitgearbeitet, aber Kollege Penz hat daran mitgearbeitet, und ich teile Ihnen mit, wie besagte Länderkonferenz zur "Agenda 2000" Stellung nimmt.

Zum Thema Marktpolitik: Die Länder wenden sich gegen das Verständnis von Agrarpolitik, das den Kommissionsvorschlägen offenkundig zugrunde liegt. Eine Marktpolitik, die ausschließlich auf Liberalisierung und auf Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt gerichtet ist, ist unvereinbar mit den Grundsätzen einer nachhaltigen Landbewirtschaftung und den Grundprinzipien der österreichischen Agrarpolitik und berücksichtigt weder die spezielle Struktur noch die multifunktionale Aufgabenstellung der österreichischen Landwirtschaft. – "Agenda 2000", Länderposition. (Bundesrat Schöls: Das ist abgeschrieben von der "Agenda 2000"! Sie machen Abschreibübungen!)

Was ist abgeschrieben? (Bundesrat Schöls: Die "Agenda 2000"!) Ah, das ist abgeschrieben wor-den? Aus der "Agenda 2000"? (Weitere Zwischenrufe.) Wenn Sie wollen, Herr Kollege, dann werde ich es Ihnen auch noch aus der "Agenda 2000" vorlesen, denn darin steht es nämlich anders.

Weiters wird zur Absenkung der Marktpreise Stellung genommen. Auch das muß man ganz offen aussprechen: Selbstverständlich fahren die Leute über die Grenze und kaufen billige Nahrungsmittel ein. Allerdings bedenkt man an dieser Stelle auch, daß nicht der entsprechende – ich drücke es sehr neutral aus – ökologische Standard vorhanden ist. Teilweise werden Pestizide verwendet, die bei uns nicht mehr verwendet werden dürfen und gesundheitsgefährdend sind. All das übersieht man. Sie lachen. Bitte, es gab die Salami, die mit Eisenrost vermischt war. (Bundesrat Schöls: Und die Schildlaus!) Lassen Sie die Schildlaus in Ruhe, aber denken Sie zum Beispiel an BSE, Herr Kollege! Diese Krankheit ist wie eine Seuche über uns gekommen. (Bundesrat Dr. Kaufmann: Aber nicht über Österreich!) Ausgesprochen unverant


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wortlich, wie ich feststellen muß, auch unverantwortlich von uns, weil man zu lange tatenlos zugesehen hat – so lange, bis Menschen daran gestorben sind. (Bundesrat Dr. Linzer: Was hat das mit der Osterweiterung zu tun?)

Was das mit der Osterweiterung zu tun hat? – Wir müssen die Standards angleichen, Herr Kollege! (Bundesrat Konečny: Darüber haben wir viele Stunden heute schon gesprochen!) Wenn Sie meiner Rede ein bißchen folgen würden, dann würden Sie feststellen, daß es notwendig ist, etwa in der Landwirtschaft die ökologischen Standards einander anzugleichen. (Bundesrat Schöls: Und das Waffengesetz hat auch etwas mit der EU zu tun?)

Ich werde Ihnen noch etwas mitteilen, was mich als Ökologen sehr interessiert und was die Länderkonferenz ebenso festgehalten hat: Besonders bedauerlich ist, daß in der "Agenda 2000" zukunftsweisende Perspektiven für umwelt-, agrar- und beschäftigungspolitisch immer wichtiger werdende Bereiche der nachwachsenden Rohstoffe völlig fehlen.

Ich hätte Ihnen noch sehr viel zu sagen, Herr Kollege Konečny! (Bundesrat Konečny: So ein Pech!)

Ich werde aber jetzt einen Entschließungsantrag einbringen, dem Sie hoffentlich zustimmen werden, denn es geht darin um eine Zunahme der Zahl von Arbeitsplätzen. Ich habe bereits das Beispiel des Flughafens Schwechat und der dritten Flugpiste gebracht und darf Ihnen den entsprechenden Entschließungsantrag vortragen:

Entschließungsantrag

der Bundesräte Dr. Paul Tremmel und Kollegen betreffend Ausbau des Flughafens Schwechat, eingebracht im Zuge der Debatte über die dringliche Anfrage der Bundesräte Waldhäusl und Kollegen betreffend die negativen Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf Österreich

1. Die Bundesregierung wird aufgefordert, dafür zu sorgen, daß die Infrastruktur des Flughafens Schwechat dem Bedarf entsprechend ausgebaut wird und nicht in das benachbarte Ausland ausweichen muß.

2. Der Bundesminister für Verkehr wird aufgefordert, dafür zu sorgen, daß eine hochrangige Anbindung des Flughafens an das österreichische Bahnnetz, wie in der Machbarkeitsstudie zur Südostspange vorgesehen, geplant und realisiert wird.

3. Der Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr wird weiters neuerlich aufgefordert, dem Nationalrat ein Fluglärmgesetz zur Beschlußfassung vorzulegen, das eine wirksame Entlastung der Anrainer von den Belastungen des Flugverkehrs, insbesondere in den Nachtstunden, vorsieht.

*****

Wie es etwa in München der Fall ist. Das darf ich extemporierend zum Antrag sagen.

Damit Sie Ihre persönliche Gewichtung in diese Frage hineinlegen, wodurch 5 000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden könnten, werde ich – verzeihen Sie mir – nochmals eine namentliche Abstimmung verlangen und darf dir, Herr Präsident, dieses Begehren überreichen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

18.15

Präsident Ludwig Bieringer: Der von den Bundesräten Mag. John Gudenus und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend Sicherheit der österreichischen Bürger in grenznahen Regionen nach der EU-Osterweiterung ist genügend unterstützt und steht somit mit in Verhandlung.


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Der von den Bundesräten Dr. Tremmel und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend Ausbau des Flughafens Schwechat ist ebenfalls genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Ich erteile als nächstem Debattenredner Herrn Bundesrat Ernst Winter das Wort. – Bitte, Herr Bundesrat.

18.16

Bundesrat Ernst Winter (SPÖ, Niederösterreich): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Frau Staatssekretärin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben heute, so glaube ich, bereits gemerkt, daß der niederösterreichische Wahlkampf mit aller Vehemenz in dieses Hohe Haus eingezogen ist. Mit all der Verunsicherungstaktik, die für die F-Bewegung auch in der Vergangenheit charakteristisch war, hat auch heute Kollege Waldhäusl als Waldviertler Mandatar voll zugeschlagen. (Bundesrat Schöls: Es sind nicht alle Waldviertler so! – Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Genützt hat es nicht!)

Liebe Freunde! Nun zu den Anträgen der F-Bewegung. Wir diskutieren über ein Waffengesetz und die Getränkesteuer. Lieber Kollege Waldhäusl, du weißt, darüber haben wir schon lange diskutiert. Wir haben es in Niederösterreich diskutiert. Wir haben es in den Gemeindevertreterverbänden diskutiert. (Bundesrat Konečny: Das kennt er nur aus der Zeitung, hat er gesagt!) Fahren wir in die Gemeinden, in denen Verantwortungsträger von euch sitzen. Dort sitzt niemand von euch, liebe Freunde, der Verantwortung zu tragen hat. Wir wissen, wie wichtig das Problem der Getränkesteuer für die Gemeinden ist. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines muß ich schon zur zunehmenden Abwanderung der Betriebe nach Tschechien sagen: Diese Entwicklung tut auch jedem Sozialdemokraten weh! Kollege Waldhäusl, stell’ dich aber nicht nur auf Hauptplätze und verbreite nur allergrößte Verunsicherung, sondern gehe statt dessen einmal in die Betriebe! Ich lade dich in einen Betrieb ein, der in Österreich 180 Beschäftigte hat und in Tschechien 240. Dieser Betrieb mit seinen 180 Beschäftigten könnte in Österreich nicht mehr bestehen, wenn es in Tschechien nicht eine Filiale gäbe. Auch darüber, liebe Freude, müssen wir diskutieren. (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Das ist eine Wirtschaftspolitik: Doppelt so viele Arbeitsplätze in Tschechien!) Kein Entsetzen bitte, kein Entsetzen! Sie sind herzlich eingeladen, liebe Freunde! In diesem Betrieb können wir diskutieren. (Weitere Zwischenrufe.) Nein, das brauchen wir nicht. Dieser Betrieb ist dazu gezwungen, weil er gegen Drittländer konkurrieren muß. Das sind die Probleme, die wir haben. (Anhaltende Zwischenrufe. – Präsident Bieringer gibt das Glockenzeichen.)

Präsident Ludwig Bieringer: Meine Damen und Herren! Am Wort ist Herr Kollege Winter. Ich würde bitten, den Redner aussprechen zu lassen. Es hat jeder die Möglichkeit, das Wort zu bekommen.

Verehrte Frau Kollegin! Ich kann mir Ihre Berichtigung ersparen, und ich würde Sie bitten, Ihre Kommentare auch in Hinkunft hintanzuhalten. (Bundesrätin Haunschmid: Entschuldigung, Herr Präsident!) Ich habe den Vorsitz nicht bei anderen Debatten geführt, aber wenn ich den Vorsitz führe, wünsche ich, daß Rededisziplin eingehalten wird, und das werden Sie zur Kenntnis nehmen müssen. (Beifall bei der ÖVP.)  – Bitte, Herr Kollege Winter, fahren Sie fort.

Bundesrat Ernst Winter (fortsetzend): Ich habe die Anträge nur kurz gehört und meine, daß sich ein Sozialdemokrat – und schon gar nicht ein Sozialdemokrat aus Niederösterreich – diesen Anträgen nicht anschließen kann, weil es sich dabei nur um reine Wahlpropaganda handelt. Im Vertrauen auf die Arbeit der Bundesregierung und der niederösterreichischen Sozialdemokratie können wir diesen Anträgen daher nicht zustimmen. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

18.20

Präsident Ludwig Bieringer: Als nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Ulrike Haunschmid. Ich erteile ihr dieses.

18.20

Bundesrätin Ulrike Haunschmid (Freiheitliche, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Ich möchte mich entschuldigen. Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Herr Staatssekretär! Kolle


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ginnen und Kollegen! Es ist mir unverständlich, daß erwachsene Leute einer Oppositionspartei nicht zuhören, wenn sie über ein Problem diskutiert, nämlich über das Problem der Osterweiterung, hinsichtlich derer sie ernste Bedenken äußert.

Wenn Sie sagen, daß wir vergessen, daß es auch Länderkompentenzen gibt oder daß ein Wahlkampf stattfindet, dann halte ich dagegen, daß jeder einzelne von uns die Interessen sei-nes Landes hier zu vertreten hat.

Ich erwähne zunächst zur Bekräftigung meiner Aussagen einen Initiativantrag der ÖVP-Landtagsabgeordneten des Landes Oberösterreich, der vom Herrn Landeshauptmann mit einem Begleitschreiben an die Bundesräte, auch an die zwei freiheitlichen Bundesräte von Oberösterreich, ergangen ist, mit der Bitte, die Interessen des Landes Oberösterreich im Bundesrat vehement zu vertreten. Dieser Initiativantrag der unterzeichneten ÖVP-Landtagsabgeordneten beinhaltet nichts anderes als die Forderung nach einer zeitgerechten Entwicklung und Umsetzung von Landesmaßnahmen, mit deren Hilfe die Ostöffnung für Oberösterreich positiv bewältigt werden kann.

Punkt drei des Initiativantrages, der drei Punkte umfaßt, lautet: Der Landeshauptmann wird bestärkt, an Initiativen der betroffenen Länder mit Grenzregionen im Rahmen der Landesaußenpolitik weiter aktiv mitzuwirken. – In diesem Sinne hat er uns beauftragt, im Interesse des Landes Oberösterreich hier zu agieren.

Im Schlußsatz der Begründung heißt es: Mit dieser Vorgangsweise unterstreicht der Oberösterreichische Landtag auch die in Brüssel vorgetragene Forderung nach gemeinschaftlich finanzierten Projekten zur Abfederung negativer Auswirkungen der Osterweiterung.

Wie Sie alle wissen, wurde die Konferenz zur Behandlung der "Agenda 2000" in Oberösterreich durchgeführt. Sollten Sie uns Freiheitlichen vorwerfen, daß wir Ängste in die Bevölkerung hineintragen, dann muß ich Ihnen einen Punkt dieser Konferenz nennen, in dem es heißt: Die Länder halten fest, daß der Fortschritt im Erweiterungsprozeß auch von der Bereitschaft der Beitrittskandidaten, die begründeten Sorgen der Bevölkerung ernst zu nehmen und auf den Weiterbetrieb beziehungsweise die Fertigstellung der genannten Anlagen zu verzichten, abhängig gemacht werden muß. – Das war für Temelin. Und so weiter und so fort, Sie alle kennen die bei der Konferenz erörterten Fragen.

Weiters wurde uns von unserem Landeshauptmann das vom Amt der Oberösterreichischen Landesregierung erstellte Osterweiterungssonderprogramm, das wahrscheinlich auch Sie zur Einsichtnahme erhalten haben, zugesandt, in dem wiederum steht: Die Auswirkungen der Erweiterung auf die besonders betroffenen österreichischen Regionen werden voraussichtlich nicht nur positiv sein. Es bestehen Befürchtungen, daß die Erweiterung in den an die osteuropäischen Länder unmittelbar angrenzenden Regionen zu Problemen in verschiedenen Bereichen – Verkehrspolitik, Wirtschaftspolitik, Arbeitsmarkt und so weiter – führen könnte. Ein entsprechendes Papier wurde unter Federführung von Steiermark mit Kärnten, Niederösterreich, Wien, Burgenland und Oberösterreich ausgearbeitet.

Wenn wir Freiheitliche das Land und die Interessen des eigenen Landes verteidigen, sehe ich nicht ein, daß es dann heißt, wir betreiben Wahlpropaganda.

In diesem Sonderprogramm steht unter anderem: Die negativen Auswirkungen der Erweiterung werden in besonderer Weise in den an die Beitrittsstaaten angrenzenden Regionen spürbar werden: Verkehrsbelastung, Standortkonkurrenz, Belastung des Arbeitsmarktes, Kaufkraftabfluß und so weiter. – All das haben wir schwarz auf weiß. Trotzdem sehen Sie nicht ein, wenn wir das aufgreifen und einfach einmal sagen: Jawohl, das ist so, und es muß eben etwas geschehen, es geht nicht, daß wir ohne Wenn und Aber der Osterweiterung zustimmen. (Bundesrat Konečny: Wer tut das?) Hören Sie uns wenigstens zu und vertreten Sie die Interessen des Landes! (Bundesrat Konečny: Entschuldigen Sie! Wenn Sie uns unsere Zitate vorlesen, ist das nicht sehr spannend!) Das ist nicht allein ein Zitat von Ihnen. (Bundesrat Konečny: Das ist vom Oberösterreichischen Landtag, das kennen wir alle! – Bundesrat Dr. Tremmel: So manche


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Zitate und so manche Begriffe vergessen Sie!) Das sind alle! Ich habe das nur gesagt! Gerade Ihnen, Herr Kollege Konečny, möchte ich sagen, daß Sie sehr oft vergessen, daß es hier um Länderkompetenzen geht. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Wenn es in der Bevölkerung oft heißt, daß die Kompetenz des Bundesrates geschwächt ist, dann haben wir das teilweise Ihnen zu verdanken.

Es ist mir also unverständlich, wenn man die Bedenken der österreichischen Landeshauptleute, die in dieser Pressekonferenz geäußert wurden, nicht ernst nimmt, ebensowenig wie die Einsprüche und Bedenken hinsichtlich der Osterweiterung.

Die Auswirkungen der Erweiterung auf die besonders betroffenen Regionen werden voraussichtlich alles andere als positiv sein, wie Sie gehört haben. Es wird in verschiedenen Bereichen zu Problemen kommen, sei es Verkehrsbelastung, Standortkonkurrenz, Wirtschaftspolitik, Belastung durch Kaufkraftabfluß, auf dem Arbeitsmarkt und vor allem, was mich betrifft, im Tourismusbereich.

Für Oberösterreich – ich darf das wohl sagen, Herr Kollege Konečny – wird sich das Umfeld durch die Ostöffnung schon aufgrund der geographischen Lage entscheidend verändern. Immerhin hat Oberösterreich mit dem benachbarten Tschechien eine 90 Kilometer lange gemeinsame Grenze. In 50 Kilometern Breite leben beinahe 60 Prozent der oberösterreichischen Bevölkerung. Diese 50-Kilometer-Zone umfaßt 45 Prozent der Landesfläche mit 231 von 445 oberösterreichischen Gemeinden – und das sind zum Großteil unsere Wirtschaftszentren.

Schon jetzt zeichnet sich das an den oberösterreichischen Grenzen ab. Am Wochenende sieht man endlose Autoschlangen, die sich über die Grenzen bewegen. Frau Staatssekretärin! Ich darf Sie einmal einladen, mit mir die Gastwirte in dieser Region zu besuchen, die vor großen Problemen stehen. In Scharen strömen die Leute mit ihren Familien über die Grenze und konsumieren im Nachbarland entsprechend. In einer Zeit, in der der Tourismus derart auf dem Boden liegt, müssen unsere Betriebe diesem Trend zusehen, wobei sie selbst immer weniger verdienen und eigentlich dahin darben.

Auch der Rückgang an Einnahmen aus der Umsatzsteuer – wir haben heute schon darüber gesprochen – ist auf Einkäufe im benachbarten Ausland zurückzuführen.

Einer der wichtigsten Punkt der Tourismuswerbung lautet, daß speziell in den ländlichen Regionen – für mich also besonders im Mühlviertel – der "Feinkostladen Österreich" erhalten werden soll, was uns auch versprochen wurde, also das gute heimische Produkt. Jetzt ist auch dies gefährdet. Das vermehrte Transportaufkommen wirkt sich sicher nicht positiv aus und schädigt den Tourismus in unserem Land.

Die Löhne sind das nächste Problem: Es ist mit einem deutlichen Druck auf den Arbeitsmarkt durch die Arbeitskräfte aus den mitteleuropäischen Ländern zu rechnen, und zwar infolge höherer Löhne bei uns in Österreich. Somit wird es Berufspendler über die Grenze geben, was zur Folge haben wird, daß die Arbeitslosenrate bei uns in Österreich noch größer werden wird.

Eine zusätzliche Belastung des Arbeitsmarktes wird sich durch die zu erwartenden Agrarstrukturveränderungen in den osteuropäischen Ländern ergeben, was eine Freisetzung von mehreren Millionen Arbeitskräften zur Folge haben wird.

Gerade die grenznahen Regionen sind betroffen. Wir stehen jetzt schon vor folgender Entwicklung: Produktions- beziehungsweise Investitionsauslagerungen in Industriebereichen mit lohn- und energieintensiven Produkten, verstärkter Kaufkraftabfluß aufgrund wegfallender Zollbeschränkungen und des niedrigen Preisniveaus, Verlagerungen im Bereich der Dienstleistungen. – All das zu Lasten der kleinen und mittleren Unternehmen in den Grenzregionen, wobei sich diese Probleme, wie ich annehme, auf das ganze Land auswirken.


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Besonders auffällig sind die Strukturschwächen, die diese Wirtschaft aufweist: Dominanz von Niedrigstlohninvestment, Kleingewerbe, unwesentlicher Tourismus, kleinbäuerliche Landwirtschaft, dadurch Abwanderung und Fernpendler.

In den von der Osterweiterung betroffenen Regionen ist eine Strukturförderung mit nationalen Mitteln erforderlich. Das wurde bereits in dieser Konferenz betreffend die "Agenda 2000" gefordert. EU-Kommissarin Wulf-Mathies, von der Sie, Herr Konečny, gesagt haben, man könne sie nicht beeinflussen, betonte, daß es im Falle der geplanten Osterweiterung für die Grenzlandregionen Österreichs keine finanziellen Sonderförderungen geben wird. SPÖ und ÖVP sind damit bereits im Vorfeld der Verhandlungen mit ihren Forderungen abgeblitzt. Es scheint so, daß man sich kurz auflehnt, den starken Mann spielt, um wieder einmal die Bürger zu täuschen. Ich ersuche Sie, das nicht zu tun. (Bundesrat Dr. Linzer: Das ist ein Stehsatz aus der Parteizentrale!) Nein, gar nicht. Sicher nicht! Das habe ich mir selbst aufgesetzt.

Ich sage es hier, wie ich es empfinde und vor allem wie ich es als Frau aus der Tourismusbranche empfinde. Wenn Sie, lieber Herr Kollege, hinausgehen und Abende mit Wirten miterleben und sich ihre Bedenken anhören würden, dann würden Sie wissen, was mit den Kleingewerbetreibenden los ist. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Frau Wulf-Mathies betonte – das habe ich gelesen –, daß Österreich nach der Öffnung der Grenzen ohnehin mehr Vor- als Nachteile hätte. Dem ist nicht so. Der Ausschuß der Regionen der Europäischen Union hat die Unterstützung des europäischen Tourismus, Förderprogramm "Philoxenia", beantragt und erachtet es für wesentlich, daß für das Fremdenverkehrsgewerbe ebenso wie für andere Wirtschaftsbranchen Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, die zur Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen sowie zu Wachstum und Beschäftigung beitragen können. Die Zielsetzung der Gemeinschaft hinsichtlich der Klein- und Mittelbetriebe muß die Schaffung einer nachhaltigen wirtschaftlichen, kulturellen und umweltpolitischen Entwicklung sein – ich glaube, da stimmen Sie mir zu –, die auch auf lange Sicht sowohl den Touristen als auch der Wirtschaft und der örtlichen Bevölkerung zum Vorteil gereicht.

Wir sind zu lange Melkkuh gewesen. Wir wurden im Himmel gefüttert, um auf Erden gemolken zu werden. Und das dulden wir nicht mehr. Als Vertreterin der Wirte bei der freiheitlichen Initiative Tourismus habe ich endgültig genug davon. Es wird nicht daran gedacht, die Rahmenbedingungen auch nur im geringsten zu ändern. Überhaupt nicht. So, als ob wir nicht gehört würden. Ich hoffe aber, daß es vor der Osterweiterung noch dazu kommt. – Ich bedanke mich. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Ich möchte Sie ersuchen, den Entschließungsantrag, den ich nun verlesen werde, zu unterstützen.

Entschließungsantrag

der Bundesräte Ulrike Haunschmid und Kollegen betreffend Maßnahmen zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes Österreich vor einer allfälligen EU-Osterweiterung

Der Bundesrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung wird aufgefordert, im Interesse der österreichischen Bevölkerung und der heimischen Wirtschaft dringend Maßnahmen zur Eindämmung des Kaufkraftabflusses sowie zur Sicherung der Arbeitsplätze und des Wirtschaftsstandortes Österreich, zur Verbesserung der Eigenkapitalausstattung und zur Verringerung der ,kalten Progression’ zu setzen.

Als unerläßliche Maßnahmen wären vorzusehen:

die Abschaffung der Getränkesteuer,

die steuerliche Befreiung nichtentnommener Gewinne,

die Herabsetzung der Lohn- und Einkommensteuertarife,


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die Senkung der Lohnnebenkosten,

die Vorziehung von beschäftigungswirksamen Investitionsvorhaben durch die öffentliche Hand vor anderen sinnlosen Prestigeprojekten und

die Durchführung einer Verwaltungsreform in Anlehnung an eine Neuverteilung der Aufgaben im Bundesstaat zur Vereinheitlichung und Verkürzung von Genehmigungsverfahren."

*****

Ein Verlangen darf ich noch vortragen: Verlangen der Bundesräte Haunschmid und Kollegen auf Durchführung einer namentlichen Abstimmung.

(Beifall bei den Freiheitlichen.)

18.35

Präsident Ludwig Bieringer: Der von den Bundesräten Haunschmid und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend Maßnahmen zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes Österreich vor einer allfälligen EU-Osterweiterung ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Staatssekretär Dr. Peter Wittmann. Ich erteile ihm dieses.

18.35

Staatssekretär im Bundeskanzleramt Dr. Peter Wittmann: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Insbesondere sehr geehrte Damen und Herren der freiheitlichen Fraktion! Es sind hier einige Punkte in die Diskussion eingebracht worden, die nicht unwidersprochen hingenommen werden können. Eine Vielzahl Ihrer Bundesräte hat gewisse Forderungen von ÖVP-Politikern beziehungsweise SPÖ-Politikern zitiert, die zu erfüllen vor einer Erweiterung der Europäischen Union notwendig sei. Und Sie wollen diese Damen und Herren sozusagen als Zeugen für Ihre Argumentation vereinnahmen. Meine Damen und Herren! Das ist die Politik der Bundesregierung, daß wir nicht ohne Wenn und Aber die Osterweiterung wollen! (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Es ist die Politik der Bundesregierung, daß wir davon ausgehen, daß sich sowohl die Beitrittsländer mit Reformen auf diesen Beitritt vorbereiten müssen als auch die Europäische Union in sich gewisse Reformen vollziehen muß, insbesondere im Strukturfondsbereich, aber auch im Agrarbereich, um sich auf eine etwaige Osterweiterung vorzubereiten. Das bedeutet, daß wir am Beginn von Verhandlungen stehen, am Beginn von Verhandlungen, deren Ausgangspositionen nunmehr festgelegt werden. Wenn jetzt am Beginn von Verhandlungen Österreich eine besondere Initiative und besondere Unterstützung für die Grenzregionen verlangt, berechtigterweise verlangt, weil wir eben am meisten betroffen sind, und manche Kommissare der EU dazu eine andere Meinung haben, dann ist das der Ausgangspunkt einer Diskussion. Das heißt aber nicht, daß es gleichzeitig der Endpunkt ist, sondern man wird sich in dieser Diskussion annähern.

Ich möchte Sie nur daran erinnern, daß Österreich selbst fünf Jahre verhandelt hat, bis es letztendlich zu einem Beitritt zur EU gekommen ist. Fünf Jahre sind vom Absenden des Briefes bis zum Beitritt vergangen, und in diesen fünf Jahren hat sich Österreich zu einem der leistungsfähigsten Staaten Europas entwickelt, und wir wurden mit Handkuß und gerne in diese Europäische Union aufgenommen.

Es werden auch die zukünftigen Beitrittsstaaten zur Europäischen Union gewisse Voraussetzungen zu erfüllen haben. Sie haben es selbst gesagt, Herr Bundesrat Bösch, Sie haben die Kriterien genannt. Es waren die Kopenhagener Kriterien, die ganz klar als Beitrittsbedingungen genannt wurden. Sie haben auch gesagt, daß sie momentan keiner dieser Staaten erfüllt. Das steht auch in der Beurteilung der Kommission. In den Avis steht ganz klar, wo es diese Mängel gibt, und man muß während dieser Verhandlungen versuchen, diese Mängel zu beseitigen. Dazu gibt es eine Vorbeitrittsstrategie, die vorsieht, daß genau diese Mängel identifiziert werden,


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daß man, genau auf diese Mängel abgestimmt, finanzielle Unterstützung in den nächsten Jahren leisten wird.

Das heißt, wir stehen am Beginn eines Prozesses, der sich permanent verändert, und wir stehen nicht am Ende dieses Prozesses, sondern es werden sich in halbjährlichem Abstand Evaluierungen ergeben, die schon ganz anders ausschauen werden als die Ausgangsposition.

Klar ist, daß diese Kriterien erfüllt werden müssen. Klar ist, daß der Acquis übernommen werden muß. Und selbstverständlich müssen diese Beitrittsstaaten auch die Einhaltung der EU-Standards gewährleisten. Das bedeutet doch genau – und diese Forderung haben wir erhoben –, daß man in diesen Ländern die Sozialstandards anhebt, daß man die Umweltstandards anheben muß, daß man all die Standards auf ein Niveau anhebt, wie es in der EU gegeben ist, um zu einem Ausgleich zu kommen, um Wettbewerbsverzerrung zu verhindern. Das kann nur zum Nutzen von Mitbewerbern wie Österreich sein, vor allem von Grenzländern, wenn man diese Standards ausgleicht, dieses Gefälle ausgleicht und dafür auch die notwendigen Mittel im Rahmen einer Vorbeitrittsstrategie zur Verfügung stellt.

Die Osterweiterung muß mit Augenmaß geschehen. Einen Zeitpunkt zu nennen ist nicht möglich, weil es auf die Erfüllung objektiver Kriterien ankommt. Und wenn diese Kriterien erfüllt sind, dann wird es einen Beitritt geben. Diese Kriterien sind festgelegt und sind auch bereits evaluiert. Man weiß, daß es da und dort noch Defizite gibt, und es wird in den Verhandlungen detailliert zu ergründen sein, wo genau und in welchem Ausmaß diese Defizite vorhanden sind.

Dagegen muß man Strategien entwickeln, und erst dann wird es zu einer Erweiterung Richtung Osten kommen.

Ich glaube, das ist ein berechtigtes Anliegen der Bundesregierung, das zeigt aber auch, daß die Sorgen der Menschen in den Grenzregionen, die sicherlich vorhanden sind, ernstgenommen werden. Es kann aber sicherlich nicht darum gehen, den Ist-Zustand als Endzustand zu verkaufen und damit Ängste und Sorgen zu schüren, sondern man muß den Leuten eine Lösung anbieten, mit der sie auch leben können und aus der beide Seiten Nutzen ziehen. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

18.41

Präsident Ludwig Bieringer: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Gottfried Waldhäusl. Ich erteile ihm dieses.

18.41

Bundesrat Gottfried Waldhäusl (Freiheitliche, Niederösterreich): Werter Herr Präsident! Werte Staatssekretärin! Werter Staatssekretär! Liebe Kollegen des Hohen Hauses! Eingangs möchte ich auf deine Ausführungen, lieber Kollege Winter, eingehen, weil du gemeint hast, wir würden die Probleme in den Gemeinden mit der Getränkesteuer nicht kennen. Ich selbst bin auch geschäftsführender Gemeinderat einer Gemeinde im oberen Waldviertel und kenne diese Probleme sehr gut, und ich bin auch der Meinung, daß man den Gemeinden diese Abgänge über den Bundesfinanzausgleich refundieren muß. Aber dann kann man sie – ich glaube, diesbezüglich haben wir die gleiche Meinung – abschaffen.

Wir sind deswegen für die Abschaffung, weil wir eben die Wirte unterstützen wollen, und da haben wir einmal einen großen Verbündeten gehabt. Die ÖVP mit Herrn Kaufmann hat auch bei den Wirten Zigtausende Unterschriften für die Abschaffung der Getränkesteuer gesammelt. Die Wirte haben diese Sache unterstützt, und dann sind diese Unterschriften ins Parlament gekommen. Daraufhin haben die Freiheitlichen einen Antrag eingebracht, daß eben im Sinne dieser Unterschriften, im Sinne der Wirte die Getränkesteuer abgeschafft wird, und dann haben leider Gottes alle anderen außer den Freiheitlichen dagegengestimmt. Sehen Sie, das ist es, worum es geht. Ich kann nicht den Wirten draußen sagen, wir sind für die Abschaffung der Getränkesteuer, und dann im Parlament umfallen. Das ist es, wogegen wir uns verwahren. Das nur eingangs. (Bundesrat Winter: Du weißt genau, beim Finanzausgleich geht nichts, und für die Wirte ist das eine gute Schlagzeile, die du machst!)


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Ich habe heute speziell als niederösterreichischer Mandatar die Dringliche eingebracht, über die EU-Osterweiterung gesprochen und habe mich jetzt noch einmal zu Wort gemeldet. Kollege Konečny! Ich habe Ihnen gesagt, Sie sollen Geographie lernen, und zeige Ihnen noch einmal das berühmte Taferl: Grün ist Niederösterreich, gelb ist der Osten, und Sie sehen, daß Niederösterreich an den Osten angrenzt, das ist das Gelbe hier. Und jetzt sehen Sie, warum ich als Niederösterreicher ... (Bundesrat Konečny: Das ist aber nur das halbe Österreich!) Geographie-Nachhilfestunde Nummer 1 erfolgt ... (Beifall bei den Freiheitlichen. – Heiterkeit. – Bundesrat Konečny: Sie sollen es ergänzen um die anderen Teile Österreichs, die an den Osten angrenzen!) Ich lasse es Ihnen gerne hier liegen, das ist sicherlich nicht schlecht für sie.

Ich möchte jetzt noch erwähnen, daß sich der niederösterreichische Wirtschaftslandesrat Gabmann und sein Parteikollege Nationalrat Stummvoll beim Neujahrstreffen der Unternehmer im heurigen Jahr in der Wirtschaftskammer Gmünd für eine rasche Erweiterung und für einen raschen Beitritt der Oststaaten ausgesprochen. Wortwörtlich hat Stummvoll gesagt, der neue Markt würde für unsere Region – laut Gabmann und Stummvoll – sowohl für die Wirtschaft als auch für die Bevölkerung enorme Vorteile bringen. – Jetzt haben wir heute schon genügend Leute aus ÖVP und SPÖ zitiert, die eben die Probleme, so wie wir, aufgezeigt und dazu gesagt haben, das und jenes gehört geändert. Wir alle wissen, es geht um das Geld in der Grenzregion, es geht um die Strukturfonds.

Gott sei Dank hat der Landeshauptmann von Niederösterreich Dr. Erwin Pröll (Rufe bei der ÖVP: Der Beste! Der Beste!) dazu folgendes gesagt – das ist heute nachzulesen, ich zitiere ... (Ruf bei der ÖVP: Das hat er sich nicht verdient! – Heiterkeit.) Ich glaube, er wird es mir verzeihen. Pröll hat also folgendes gesagt: Viele meinen, daß ein eigenes Grenzlandförderungsprogramm Bestandteil einer EU-Osterweiterung sein soll. Ich sehe das nicht so. Bevor es überhaupt zu einer EU-Osterweiterung kommen kann, muß es bereits ein Förderungsprogramm in Milliardenhöhe für die Grenzregionen geben. – Das hat Pröll wortwörtlich gesagt: Bevor es dazu kommen kann, muß vorher dieses Förderungsprogramm in Milliardenhöhe gesichert sein! (Staatssekretär Dr. Wittmann: Das ist ja Sinn und Zweck dieses Programms! – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Genau das ist es, was wir meinen, meine Damen und Herren, und deshalb bringen wir Freiheitlichen folgenden Entschließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

der Bundesräte Gottfried Waldhäusl und Kollegen betreffend besondere Grenzlandförderung

Der Bundesrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung wird ersucht, sicherzustellen, daß ein ausreichend dotiertes und hinsichtlich der Förderungsregeln der spezifischen Problemlage angepaßtes Sonderprogramm für die im Nahbereich der Grenze zu den MOEL liegenden heimischen Regionen dauerhaft geschaffen wird, wie es der niederösterreichische Landeshauptmann Pröll gefordert hat, und zwar bevor es zur EU-Osterweiterung kommt."

*****

Heute, meine Damen und Herren, haben wir erstmalig die Möglichkeit, im Sinne der Bevölkerung in der Grenzregion diesem Antrag gemeinsam zuzustimmen. Jetzt können Sie zeigen, wie Sie es tatsächlich meinen. Damit ich auch in der letzten Woche – da Sie alle uns vorhalten, wir sind im Wahlkampf – den Leuten draußen erzählen kann, wer was gemacht hat, bringe ich auch das Verlangen auf eine namentliche Abstimmung ein. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

18.46

Präsident Ludwig Bieringer: Der von den Bundesräten Waldhäusl und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend besondere Grenzlandförderung ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.


Bundesrat
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Als nächster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Alfred Schöls. Ich erteile ihm dieses.

18.46

Bundesrat Alfred Schöls (ÖVP, Niederösterreich): Herr Präsident! Meine sehr geschätzte Frau Staatssekretärin! Lieber Herr Staatssekretär! Hohes Haus! In zehn Tagen finden in Niederösterreich die Landtagswahlen statt (Beifall und Bravoruf bei den Freiheitlichen), und ich habe den Eindruck, meine sehr geschätzten Damen und Herren von der F-Bewegung, Sie benutzen diese heutige Sitzung des Bundesrates als Boxenstopp dafür, weil Sie meinen, Sie können den von Herrn Haider Herrn Gratzer versprochenen Porsche dadurch schneller ans Ziel bringen. Dienen Sie sich irgendwo als Tankwart an, Sie werden im Porsche des Herrn Gratzer weder mitfahren noch sonst irgendwas können, denn die Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher sind schlau genug, um Ihre Taktik zu durchschauen. Und am Abend des 22. März werden Sie sehen, daß Sie wieder in den Sozialfonds das hineinzahlen können, was ursprünglich für die Finanzierung des Porsche des Herrn Gratzer geplant gewesen wäre. (Zwischenruf der Bundesrätin Dr. Riess-Passer. ) Das ist einmal das erste, was ich Ihnen sagen wollte. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Ich bin in den letzten Tagen (Ruf: Porsche gefahren!)  – nein, nicht Porsche gefahren! – sehr viel unterwegs gewesen. Ich möchte sicher auf den Straßen fahren und versuche, die Straßenverkehrsordnung einzuhalten, und daher denke ich nicht einmal im Traum daran, einen Porsche zu fahren, weil das damit nicht geht. Aber es geht nicht um den Porsche, sondern es geht darum, daß ich heute klar zum Ausdruck bringen möchte, daß ich dafür bin, daß in diesem Land die innere und äußere Sicherheit gewährleistet wird, daß ich dafür bin, daß die entsprechende personalmäßige Dotierung sowohl an den Grenzdienststellen als auch in den Innendienststellen der österreichischen Bundesgendarmerie und der Polizei vorhanden ist. Ich bin dafür, daß wir erst dann den neuen Demokratien die Möglichkeit geben, als Vollmitglieder in der EU zu sein, wenn sie, genauso wie wir uns das jahrzehntelang mit unserer Hände Arbeit erarbeitet haben, die notwendigen Voraussetzungen erbringen.

Ich als einer, der die Gnade der späten Geburt hat, habe noch immer nicht vergessen, daß auch wir den Marshallplan gehabt haben, der uns in schwierigsten Zeiten geholfen hat. Es ist für mich auch eine Frage der Solidarität, daß ich nicht sage: Recht geschieht meinem Vater, daß es mich in den Fingern friert, hätte er mir nur Handschuhe gekauft! – Also das ist für mich kein Ausdruck der Solidarität, sondern ich meine, wir sind auch verpflichtet, den Menschen in diesen neuen Demokratien entsprechend zu helfen.

Kollege Waldhäusl! Sie sind in den letzten Wochen sicherlich auch sehr viel in Niederösterreich unterwegs gewesen, und Sie schauen sich hoffentlich auch die Post an, die Sie vom Landeshauptmann gelegentlich bekommen.

Wir haben weder Kosten noch Mühen gescheut und haben an alle Haushalte das Programm "Ein Land geht seinen Weg" geschickt – nämlich seinen Weg mit der Österreichischen Volkspartei und mit Erwin Pröll in Niederösterreich. (Bundesrat Waldhäusl: Warum geht Pröll nicht seinen Weg?)

Kollege Winter vertraut verständlicherweise Ernst Höger, was sein gutes Recht ist. Er kennt Ernst Höger und kennt die Qualitäten des Ernst Höger. Ich wiederum kenne Erwin Pröll und kenne die Qualitäten des Erwin Pröll. Aber ich habe in vielen Diskussionen auch die Qualität der freiheitlichen Politik kennengelernt, die damit begonnen hat, daß man die "Wieselbusse" in Niederösterreich madig gemacht hat, die damit begonnen hat, daß man den Bau des Regierungsviertels in St. Pölten, der ein enormer wirtschaftspolitischer Impuls war, und überhaupt alles madig gemacht hat.

Ich möchte an dieser Stelle klar deponieren: Wenn Sie von den Freiheitlichen heute Entschließungsanträge gegen die Mißachtung des Parlamentarismus einbringen, dann muß ich sagen, das ist das gute Recht jeder parlamentarischen Fraktion. (Demonstrativer Beifall bei den Freiheitlichen. – Zwischenruf des Bundesrates Dr. Bösch. ) Aber es ist die Frage des Umganges, Herr Kollege Bösch! (Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Dr. Bösch. – Störung


Bundesrat
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hat Vorrang, ich weiß, daher können Sie ruhig Ihre Meinung sagen. Ich sage Ihnen aber trotzdem: Entschließungsanträge vom Rednerpult aus einzubringen, sie einfach nachher dem Präsidenten zu geben und sich dann zu erwarten, daß alle mitgehen, das ist ein Mißbrauch des Parlaments, und dagegen verwahre ich mich! (Beifall bei ÖVP und SPÖ. – Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Danke!)

Frau Kollegin Riess-Passer! Sie haben entweder so seichte Anträge angebracht, daß sie innerhalb von zwei Minuten durchschaut werden können und ihnen zugestimmt werden kann, oder Sie glauben, alle anderen verhalten sich genauso wie Sie, die Sie an der langen Leine aus Kärnten gehalten werden und nur apportieren. Wir lassen uns von Ihnen nicht an die lange Leine nehmen! (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Beherrschen Sie sich etwas, Herr Kollege!)

Wenn Sie Entschließungsanträge einbringen, bei denen Sie erwarten, daß wir inhaltlich zustimmen, dann nehmen Sie gefälligst zur Kenntnis, daß die Fraktionen diese Anträge vorher lesen wollen! (Beifall bei ÖVP und SPÖ.) Ich lasse mich nicht von Ihnen papierln, wenn Sie erst zwei Minuten vor der Abstimmung einen Antrag einbringen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Auch ich bin dafür, daß die Grenzposten personell aufgestockt werden. Auch ich bin dafür, daß die Gendarmerie entsprechendes Personal bekommt. Ich bin dafür, daß auch für die EU-Osterweiterung die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen werden. (Bundesrat Waldhäusl: Dann stimm’ zu!) Weil ich mich aber von Ihnen nicht mißbrauchen lasse, stimme ich gegen Ihre Anträge, und Sie können mich plakatieren, soviel Sie wollen. Diesen Mechanismus spielen wir nicht mit! Und das ist der Grund, warum wir zwar für die Sache sind, aber gegen die Art und Weise, wie Sie glauben, heute, zehn Tage vor der niederösterreichischen Landtagswahl, einen Boxenstopp einlegen zu können. (Beifall bei der ÖVP.)

Herr Kollege Waldhäusl! (Der Redner hält eine blau-gelbe Broschüre mit der Aufschrift "Ein Land geht seinen Weg" in die Höhe.) Pröll verlangt das, und Waldhäusl verlangt es. Ich sage Ihnen: Pröll und Waldhäusl – beides erlebt, kein Vergleich! Ich verlasse mich mehr auf Erwin Pröll. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

18.53

Präsident Ludwig Bieringer: Als nächster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Leopold Steinbichler. Ich erteile ihm dieses.

18.53

Bundesrat Leopold Steinbichler (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Staatssekretärin! Herr Staatssekretär! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Als Nicht-Niederösterreicher bin ich bei diesen hitzigen Wahlkampfdebatten vielleicht objektiver und möchte für uns alle, für alle Bundesräte und Damen und Herren dieses Hauses, in Anspruch nehmen, daß sich alle nach bestem Wissen und Gewissen im Rahmen der bevorstehenden Debatte über die EU-Osterweiterung und "Agenda 2000" für die Interessen der Bevölkerung einsetzen werden. Ich nehme an, daß niemand unter uns ist, der den Menschen, die er zu vertreten hat, bewußt Schaden zufügen will.

Ich darf auch den Herrn Staatssekretär zitieren, der gesagt hat: Selbstverständlich hat die Bundesregierung nicht beschlossen, ohne Wenn und Aber beizutreten, sondern jetzt die Verhandlungen zu führen.

Frau Bundesrätin Haunschmid! Die Stellungnahme, aus der du zitiert hast, ist die Stellungnahme der Landeshauptleutekonferenz. Es ist eben sehr wertvoll, wenn es Positionspapiere zu vorliegenden Themen und zu aktuellen Diskussionen gibt. Aber weil du den "Feinkostladen Österreich" angesprochen hast, möchte ich gerne aus einer ganz aktuellen, druckfrischen Statistik zitieren. Die AMA, Herr Mikinovic, hat jetzt die Vergleichszahlen der Jahre 1995 und 1998 herausgebracht, und ich möchte von dieser Stelle aus unseren Konsumenten dafür danken, daß die Situation real nicht so ist, wie sie oft dargestellt wird.

Aus diesen Zahlen geht nämlich hervor, daß wir den Inlandsanteil bei Rindfleisch von 55 Prozent im Jahr 1995 auf 76 Prozent im heurigen Jahr ausdehnen konnten. Beim Schweinefleisch hat


Bundesrat
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sich der Anteil von 41 Prozent auf 65 Prozent erhöht, und bei den Milchprodukten konnte der Auslandsanteil, nachdem er im Jahr 1995 dank der gezielten Werbung der Auslandskonzerne bei 30 Prozent gelegen war, in den ersten Monaten des heurigen Jahres auf 20 Prozent gesenkt werden. Dafür möchte ich den treuen Konsumenten ausdrücklich danken!

Andererseits möchte ich jenen Konsumenten, die regelmäßig in den Osten fahren, um dort einzukaufen, beweisen, daß sie dort keine Qualität kaufen, die mit der österreichischen Qualität vergleichbar wäre. Wir alle hören jedes Wochenende im Radio die Meldungen über die Verkehrsstaus an der ungarischen Grenze und an den Ostgrenzen generell. Das sind vorwiegend Einkaufstouristen, aber sie kaufen keine österreichische Qualität.

Ich möchte noch etwas anfügen. Von manchen Debattenrednern wurde hier ein Bild gezeichnet, als ob der Eiserne Vorhang nach wie vor existieren würde. Wenn Sie so denken, dann verkennen Sie einfach die Realität! Ich wurde bereits von vielen Freunden und Bekannten angesprochen und gefragt, warum ich denn so unklug sei, meine Zähne in Österreich reparieren zu lassen, und es hat geheißen: Das macht man doch im Osten! – Ich habe das Gefühl, das ist schon ein Sport geworden! Damit will ich sagen: Die Ostöffnung, die Einkäufe, all das findet bereits statt, und wir können kein Bild mehr zeichnen, als ob es keine Kontakte zum Osten geben würde. – Leider gab es gestern wieder eine Meldung, wonach wiederum zwei Frauen beim Einkauf in Tschechien tödlich verunglückt sind.

Es ist die Demokratie, die die Grenzen öffnet. Ich möchte das ausdrücklich wiederholen: Demokratie öffnet die Grenzen! Ich meine, wir sollten nicht versuchen, wieder den Eisernen Vorhang aufzuziehen. Ich bin auch dagegen, daß man immer wieder die Ausländerthematik dazu benützt, ein Feindbild aufzubauen. Ich frage Sie: Was ist denn mit den 460 000 Österreichern, die im Ausland berufstätig sind? – Das ist ein Faktum! Auch in dieser Frage müssen wir Ansätze einbringen, wie wir mit dieser Thematik künftig umgehen.

In den nächsten Tagen werden die Ergebnisse zur "Agenda 2000" vorgelegt, und gemeinsam mit den eigenen Standards auf Umwelt-, Wirtschafts- und Sozialebene müssen wir uns dann mit den Verhandlungsstaaten vergleichen. Dann kann man objektiv urteilen und Resolutionen dafür oder dagegen beschließen. (Bundesrat Eisl: Dann ist es zu spät!)  – Zum jetzigen Zeitpunkt ist es auf jeden Fall zu früh. Laut Schätzungen von Fachleuten und Experten werden vor dem Jahr 2003 keine Oststaaten der EU beitreten. Beteiligen wir uns doch positiv an diesem Prozeß, bringen wir unsere Vorschläge gut argumentiert ein. Umso besser wird das Ergebnis sein, davon bin ich überzeugt.

Ich möchte auf das verweisen, was Kollege Schöls soeben gesagt hat: Gehen wir den fairen Weg! – Wir können – das wollte ich mit dem letzten Antrag zur Atomenergie beweisen, und ich denke, es ist gelungen – Selbständige Anträge einbringen. Diese werden dann den zuständigen Ausschüssen zugewiesen, und wir können sie in den Fraktionen diskutieren. Das nenne ich politische Kultur, und dazu lade ich herzlich ein! (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

18.58

Präsident Ludwig Bieringer: Zu Wort gemeldet hat sich Frau Staatssekretärin Dr. Benita-Maria Ferrero-Waldner. – Bitte, Frau Staatssekretärin.

18.58

Staatssekretärin im Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten Dr. Benita-Maria Ferrero-Waldner: Herr Präsident! Hohes Haus! Ich möchte am Schluß doch noch einmal darauf hinweisen, daß es sich bei der Osterweiterung um ein Jahrhundertprojekt handelt, bei dem es Österreich sehr wohl anstünde, gemeinsam – und zwar alle Parteien gemeinsam! – positiv eingestellt zu sein.

Gerade Österreich, das von diesen ehemals kommunistischen Staaten umgeben ist, hat genau das erlebt, was seinen Nachbarstaaten passiert ist. Gerade uns müßte die Osterweiterung doch ein Anliegen sein, und ich muß mich, wenn ich das sagen darf, doch sehr wundern über die kurzfristigen und zum Teil sehr egoistischen Überlegungen, die hier geäußert wurden. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)


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Meine sehr geehrten Damen und Herren von den Freiheitlichen! Sie haben es nicht allein für sich gepachtet, an die Sorgen der Österreicher zu denken, sondern auch wir wissen darüber sehr genau Bescheid! Auch ich gehe hinaus und spreche mit den Leuten und höre natürlich auch ihre Probleme. (Beifall bei der ÖVP.)

Aber eines ist hier ganz klar herausgekommen: Sie haben offenbar die Programme der Bundesregierung noch nicht im Detail gelesen. Sie kennen sie vielleicht noch nicht genau. Sie kennen auch das, was wir inzwischen bei der Kommission in Brüssel eingebracht haben, noch nicht. Das, was jetzt geschieht, ist der Beginn eines Prozesses. Das hat auch Kollege Wittmann ganz klar gesagt: Das ist der Beginn eines Prozesses. Wenn wir uns aber sofort entmutigen lassen, wenn irgendwo in einer Zeitung steht, dazu gibt es in der Bevölkerung ein Nein, dann wären wir schlechte Politiker, meine sehr geehrten Damen und Herren! So kann es sicher nicht sein.

Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, die wir gegenseitig abtauschen werden, wenn es darum geht, die "Agenda 2000" zu machen. Das möchte ich hier auch noch einmal ganz klar sagen. Es ist noch lange nicht aller Tage Abend! Wir werden noch lange, vermutlich noch viele Jahre lang, verhandeln müssen. Das sage ich hier auch ganz klar. Es wird sicher nicht so schnell gehen.

Es wurde hier auch das Tempo angesprochen. – Selbstverständlich wird das Tempo auch und vor allem durch die Kandidatenstaaten selbst bestimmt. Denn wenn die Kandidaten nicht ihre Verpflichtungen erfüllen, nicht den Acquis umsetzen, nicht all die Dinge tun, die wir ihnen vorgeschrieben haben, dann wird eben die Erweiterung später kommen. Ich kann Ihnen versichern: Genauso, wie ich das hier sage, sage ich das in den Verhandlungen den Kandidatenstaaten selbst. Immer wieder wird man gefragt: Wann ist es denn soweit? – Und ich sage: Sie selbst werden das bestimmen, denn Sie werden sehr viel zu tun haben! – Wir, die wir gut auf den Beitritt vorbereitet waren, haben – das wurde heute auch schon gesagt – fünf Jahre gebraucht. Ich kann keine Prognose abgeben, wie schnell es gehen wird. Aber ich kann sicher eines sagen: Es ist vorher noch sehr viel zu tun. Das verschweigen wir Ihnen nicht, und das verschweigen wir auch der Bevölkerung nicht.

Heute wurde mehrfach die faktische heutige Situation angesprochen. Dazu möchte ich sagen: Es kann eigentlich nur besser werden! Warum? – Weil wir heute bereits offene Grenzen haben. Wir haben die Grenzen geöffnet, wir haben aber jetzt bestimmte Dinge noch nicht, die wir dann haben werden, zum Beispiel: erhöhte Umweltstandards, erhöhte Sozialstandards, langsame Anhebung der Löhne und Lohnkosten, damit ein gewisser Ausgleich stattfindet.

Darum haben wir auch ein gewisses Förderprogramm für die kurzfristigen Übergangszeiten gefordert. Denn mittel- und langfristig wird Österreich selbstverständlich profitieren. Ich betone: mittel- und langfristig. Mir ist schon klar, daß wir in den Grenzregionen wahrscheinlich kurzfristig Probleme haben werden. Das ist auch ganz offensichtlich: Wir haben 1 259 Kilometer Außengrenze. Daher müssen wir auf diese Grenzregionen Rücksicht nehmen. Aber deshalb auf ein solch wichtiges, auf ein Jahrhundertprojekt zu verzichten, meine sehr geehrten Damen und Herren, würde ich für absolut falsch halten! – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

19.02

Präsident Ludwig Bieringer: Zu Wort gemeldet hat sich Frau Dr. Susanne Riess-Passer. Ich erteile ihr dieses.

19.02

Bundesrätin Dr. Susanne Riess-Passer (Freiheitliche, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Staatssekretärin! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Ich möchte gleich bei Ihnen beginnen, Frau Staatssekretärin, weil Sie gesagt haben, wahrscheinlich hätten wir nicht gelesen, was Sie in Brüssel an Papieren und Vorschlägen eingereicht haben, und deswegen verstünden wir die Problematik nicht.

Ich möchte es anders formulieren, Frau Staatssekretärin: Eben weil wir gelesen haben, was Sie in Brüssel vorgelegt haben, machen wir uns Sorgen über die Art und Weise, wie Sie die Interessen Österreichs dort vertreten!


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Ich möchte darauf hinweisen, daß wir uns hier in der Länderkammer befinden und daß diese Interessen der Bundesländer zu vertreten hat. Es gibt eine interessante Stellungnahme der Verbindungsstelle der österreichischen Bundesländer vom Jänner dieses Jahres, ein Positionspapier des Bundes zur Problematik der Regionen an den Grenzen zu den mittel- und osteuropäischen Staaten, und ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, daß dies eine gemeinsame Stellungnahme aller Bundesländer ist.

Die auch von Kollegen anderer Fraktionen durchaus nicht bestrittene Problematik, die sich für die Grenzregionen ergeben wird, wird in diesem Papier ausdrücklich dargestellt. Da ist zum Beispiel die Rede von – ich zitiere wörtlich – der Gefahr einer Destabilisierung der Arbeits- und Gütermärkte, der Betriebsverlagerungen, die zu Arbeitsplatzverlusten und zur Gefährdung der Nahversorgung in den ländlichen Grenzregionen führen werden.

Und weiter heißt es in diesem Papier: Die auch in den mittel- und osteuropäischen Ländern zu erwartenden Strukturanpassungen, vor allem in der Landwirtschaft, werden zusätzlichen Druck auf den Arbeitsmärkten, nicht nur in den mittel- und osteuropäischen Ländern selbst, sondern auch in Österreich erzeugen. Die grenznahen österreichischen Ballungsräume werden zu den bevorzugten Zielen für die dadurch ausgelösten Migrationsbewegungen zählen. Im grenznahen Bereich werden insbesondere auch nahbedarfsorientierte Wirtschaftstätigkeiten, wie zum Beispiel Baugewerbe und Dienstleistungen, einem durch die Kostendifferenzen verzerrten Wettbewerb ausgesetzt sein. Die Einbeziehung dieser Länder in den europäischen Integrationsraum wird eine starke Zunahme des Transitverkehrs zur Folge haben.

Weil Sie, Frau Staatssekretärin, die "Agenda 2000" angesprochen haben – auch der Herr Staatssekretär hat das getan –, möchte ich speziell darauf hinweisen, daß in diesem Papier der Verbindungsstelle der Bundesländer im Namen aller Bundesländer den Mängeln der bisherigen Vorschläge der Kommission in der "Agenda 2000" ein eigenes Kapitel gewidmet ist.

Da heißt es – ich zitiere –: Nach österreichischer Einschätzung – ich betone: nicht nach freiheitlicher, sondern nach österreichischer Einschätzung der Bundesländer – "bieten die mit der "Agenda 2000" von der Kommission vorgelegten Vorschläge keinen ausreichenden Rahmen für derartige flankierende Maßnahmen für die grenznahen Gebiete. Hinsichtlich der Strukturfonds ist dazu festzustellen: Die vorgeschlagenen regionalen Ziele 1 und 2 neu lassen die Anpassungsprobleme der grenznahen Ballungsräume unberücksichtigt. Das INTERREG-Programm ist nicht ausreichend. In den Vorschlägen betreffend die Vorbeitrittsstrategie – das ist das, was Kollege Schöls unter anderem angesprochen hat – für die mittel- und osteuropäischen Länder wird die angesprochene Problematik der Regionen an der Grenze zwischen mittel -und osteuropäischen Ländern und der EU nicht erwähnt. Die wettbewerbsrechtlichen Probleme werden in der "Agenda 2000" überhaupt nicht behandelt. – Und so weiter und so weiter. Ich könnte Ihnen zahlreiche weitere Beispiele aus diesem Papier vorlesen.

Das nur einmal zur Klarstellung, daß es hier nicht darum geht, daß sich die Freiheitliche Partei etwas aus den Fingern saugt, sondern daß es hier um Probleme geht, die von den österreichischen Bundesländern gemeinsam schriftlich als Forderungskatalog an die österreichische Bundesregierung festgelegt worden sind. Und ich möchte betonen, daß es nicht nur unsere Aufgabe als Freiheitliche Partei, sondern eigentlich Ihrer aller Aufgabe wäre, diesen Forderungskatalog der Länder zu unterstützen! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Zwischenruf des Bundesrates Schöls. )  – Zu dir komme ich noch ganz ausführlich, mach’ dir keine Sorgen.

Zum zweiten. Von Kollegen Konečny, der inzwischen nicht mehr hier ist, wurde gesagt, daß mit falschen Zahlen manipuliert wird. "Fälschungen" hat er das genannt, ich habe es mir aufgeschrieben.

Zu diesen Zahlen und zu den Studien möchte ich folgendes sagen. Es gibt eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstitutes – verfaßt von Professor Fritz Breuss und Dr. Fritz Schebeck –, das ist ein Institut, das zweifellos der österreichischen Bundesregierung und den Koalitionsparteien wesentlich näher steht als der Freiheitlichen Partei, eine Studie betreffend die ökonomischen Auswirkungen einer Ostöffnung und Osterweiterung der EU auf Österreich.


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In dieser Studie heißt es: Die Folgen eines EU-Beitrittes der mittel- und osteuropäischen Staaten hätten folgende wesentlichen negativen Auswirkungen – ich zitiere –:

Erstens: Die Teilnahme der mittel- und osteuropäischen Länder am Binnenmarkt wird die Transfers für die gemeinsame Agrarpolitik und Strukturfonds erheblich ausweiten. Dies bedeutet für die bisherigen EU-Mitglieder eine deutliche Mehrbelastung. Die Autoren befürchten, daß die zusätzlichen Belastungen der öffentlichen Haushalte der alten EU-Mitglieder, also auch Österreichs, infolge der Kosten des EU-Beitritts der mittel- und osteuropäischen Länder bei weitem nicht durch Steuereinnahmen kompensiert werden können. Laut Modellsimulationen steigt daher das Defizit des Staatshaushaltes in Österreich. – Zitat Professor Fritz Breuss.

Auch der Wirtschaftsforscher Jan Stankovsky rechnet damit, daß ein Beitritt der Reformländer im Jahr 2000 geschätzte 229 Milliarden Schilling kosten werde.

Aber damit Sie sehen, daß ich hier nicht nur aus einer einzelnen Studie zitiere, sondern daß das gängiger Wissensstand bei allen Wirtschaftswissenschaftlern in Österreich ist, und zwar in Instituten, die von Ihrer Regierung bezahlt werden, möchte ich auch auf eine Studie von Professor Bernhard Felderer vom Institut für Höhere Studien verweisen. Felderer fordert – ich zitiere – massive Sicherheitsmaßnahmen, um einen Kollaps am Arbeitsmarkt zu verhindern. Das Potential einer durch die Ostöffnung ausgelösten Migration könnte mit der Situation von vor sieben Jahren verglichen werden. Deshalb plädiert Felderer für Einwanderungsquoten, und so weiter und so fort.

Herr Kollege Kaufmann! Sie haben gesagt, da würden Ängste geschürt. – Ich muß Ihnen sagen, da werden nicht Ängste geschürt, sondern es gibt in diesem Haus eine Fraktion, die die Sorgen der Österreicherinnen und Österreicher ernst nimmt. Ich würde Ihnen dringend empfehlen, das auch zu tun! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Zu Kollegen Konečny noch eine Anmerkung, und ich bitte seine Fraktionskollegen, ihm das auszurichten. Herr Kollege Konečny hat gesagt: Wenn Frau Kommissarin Wulf-Mathies – wohlgemerkt: die zuständige Kommissarin der EU-Kommission für den Bereich der Strukturförderungen – sagt, Grenzlandförderungen für Österreich seien ausgeschlossen, dann brauchten wir das nicht ernst zu nehmen, denn das sei nur ihre persönliche Meinung.

Da bitte ich Sie, Herrn Kollegen Konečny auszurichten, daß ich nicht annehme, daß Frau Kommissarin Wulf-Matthies vor dem Wirtschaftsausschuß des Europäischen Parlaments als Hausfrau Wulf-Mathies eingeladen ist, sondern selbstverständlich als Kommissarin Wulf-Mathies und daß sie dort auch den offiziellen Standpunkt der Kommission vertritt, der im übrigen auch (Bundesrat Ing. Penz: Das beschließt die Kommission!) von Ihrem Parteifreund, lieber Kollege Penz, nämlich Herrn Kommissar Fischler mitgetragen wird. Ich würde Sie dringend bitten, Herrn Fischler einmal daran zu erinnern, was er zu einem Zeitpunkt versprochen hat, als er noch hier in diesem Lande, in der österreichischen Regierung, als Landwirtschaftsminister gesessen ist. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Damit man sieht, mit welcher Ehrlichkeit die Debatte von Ihnen geführt wird, ist es auch noch wichtig, zu berichten, was Herr Kollege Konečny über den Oostlander-Bericht gesagt hat, über den gestern im Europäischen Parlament abgestimmt wurde. Herr Kollege Konečny hat hier von diesem Rednerpult aus behauptet, die freiheitlichen Mandatare im Europäischen Parlament wären bei dieser Abstimmung nicht anwesend gewesen. Das ist unrichtig, sie waren anwesend. Von sechs freiheitlichen Europaparlamentariern waren fünf bei der Debatte und bei der Abstimmung anwesend. (Zwischenruf des Bundesrates Ing. Penz. ) Und sie waren nicht nur anwesend, sondern Frau Kollegin Raschhofer hat auch dazu gesprochen.

Jetzt wird es besonders interessant: Der von Herrn Kollegen Konečny zitierte Abänderungsantrag, eingereicht von den Abgeordneten Titley, Swoboda und Ettl, betreffend Minderheitenschutz und soziale Grundrechte gemäß der Europäischen Sozialcharta und den Bestimmungen der EU-Sozialpolitik, voraussetzend, daß die Partnerschaft im Falle der Nichterfüllung dieser Grundsätze unter Umständen ausgesetzt werden muß, wurde von den anwesenden freiheitlichen Europaparlamentariern unterstützt. Wir haben dem Antrag Swoboda, Ettl zugestimmt. Das


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ist wie Weihnachten und Ostern zusammen! (Ironische Rufe des Erstaunens bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Payer: Nehmen Sie sich ein Beispiel!)

Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, Herrn Kollegen Konečny folgendes auszurichten: Wer immer sein Informant war, ich ersuche ihn, diesem Informanten eine Brille zu spendieren, denn dieser ist offensichtlich kurzsichtig. Es gibt mehrere hundert Zeugen im Europäischen Parlament, die das bestätigen können. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Jetzt – das Beste kommt immer am Schluß – wende ich mich ganz Kollegen Schöls zu. Lieber Kollege Schöls! Ich möchte mit der schönen alten Volksweisheit beginnen: Wer schreit, hat unrecht. – Ich glaube nicht, daß die Art und Weise, wie du hier deinen Debattenbeitrag gestaltet hast, dazu angetan war, in dieser für uns alle unbestrittenermaßen so wichtigen Frage einen Konsens zu erzielen. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Wenn sich die Kollegen von der ÖVP, von Herrn Kollegen Kaufmann bis zu Herrn Kollegen Schöls, darüber beschwert haben, daß die Freiheitlichen mit dieser dringlichen Anfrage Wahlkampf im Hohen Haus betreiben wollen – ich glaube, ich zitiere Sie richtig, Herr Kollege Kaufmann –, dann möchte ich wissen, wie das mit den Damen und Herren ist, die sich auf der Besucherbank befinden und die, wie ich mir von Kollegen Schöls persönlich habe versichern lassen, die Wahlkampfeinsatztruppe des Herrn Landeshauptmannes Pröll darstellen. (Beifall bei den Freiheitlichen.) Wenn das Ihre Antwort auf die Sorgen und Ängste der Österreicher in bezug auf die Osterweiterung ist, dann sehe ich schwarz. (Zwischenrufe bei der ÖVP. – Bundesrat Schaufler: ... politikverdrossen!)

Lieber Kollege Schaufler! Wir brauchen keine Klamauktruppe hier in diesem Hohen Haus, sondern wir brauchen Politiker, die sich ihrer Verantwortung bewußt sind. (Bundesrat Schaufler: Das ist doch eine Unverfrorenheit!) Wenn Sie, Herr Kollege Kaufmann, in Niederösterreich aus Ihrem Wahlkampf ein Kasperltheater machen, dann ist das Ihre Sache. Aber mißbrauchen Sie nicht dieses Hohe Haus für Ihre Wahlkampfpropaganda! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Gerstl: Wir machen kein Kasperltheater! – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.)  – Ich weiß ohnehin, daß Ihnen das peinlich ist, aber das ist Ihre Sache. (Bundesrat Gerstl: Mir ist das nicht peinlich!)

Lieber Kollege Schöls! Du hast heute die "ganze Wahrheit" eingefordert. Du hast gesagt, wir müssen die "ganze Wahrheit" einfordern. Die ganze Wahrheit möchte ich dir zum Schluß jetzt noch sagen, und zwar in bezug auf die Position des Herrn Landeshauptmannes Pröll zur Osterweiterung und im Gegensatz zu dem, was ihr in euren schönen, bunten, teuren Broschüren verbreitet.

Landeshauptmann Erwin Pröll laut Zeitung "Die Presse" vom 22. Juni 1996: "Pröll: Ja zur Osterweiterung. Ein klares Bekenntnis zur Osterweiterung der EU legte Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) ab. Die Osterweiterung sei für Niederösterreich notwendig." (Bundesrat Schöls hält eine Broschüre in die Höhe.) Landeshauptmann Erwin Pröll – ohne Bedingungen, ohne Zeitplan, ohne Wenn und Aber! Das ist die "ganze Wahrheit", Herr Kollege Schöls! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Schöls begibt sich zu Bundesrätin Dr. Riess-Passer und zeigt ihr die Broschüre.)

19.15

Präsident Ludwig Bieringer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Mag. Karl Wilfing. Ich erteile ihm dieses.

19.15

Bundesrat Mag. Karl Wilfing (ÖVP, Niederösterreich): Geschätzte Frau Staatssekretärin! Herr Staatssekretär! Hoher Bundesrat! Geschätzte Gäste dieser Bundesratssitzung! Wenn sich Jugendliche, die allgemein ohnehin nur sehr selten – meist sind es Schulklassen oder andere Gruppen, die uns geführt, oft sogar gezwungenermaßen besuchen – in den Bundesrat kommen, freiwillig für eine Sitzung des Bundesrates interessieren (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Was bekommen die bezahlt in der Stunde? – Heiterkeit bei den Freiheitlichen)  – das werden Ihnen die Jugendlichen gleich beantworten, Frau Riess-Passer (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Wie


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hoch ist der Stundenlohn?)  – und ihre Freizeit opfern und darüber hinaus bereit sind, sich für die Demokratie zu engagieren, und dafür dann als "Klamauktruppe" und als "Kasperltheater" bezeichnet werden, so wundert es mich nicht, daß sich so wenige Jugendliche für die Politik und insbesondere für die "F"-Bewegung interessieren. (Beifall bei ÖVP und SPÖ. – Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Wie hoch ist der Stundenlohn?)

Wir, die ÖVP-Niederösterreich, sind stolz darauf, daß sich Jugendliche für diese Partei engagieren und für einen Landeshauptmann Erwin Pröll eintreten. – Ich bin stolz darauf, daß ihr heute bei uns seid! (Beifall bei der ÖVP.)

Daß die "F" der Neid frißt, weil sie nur von etwas älteren Damen und Herren vertreten wird, während es bei uns die Jugend ist, das ist ihr Problem. Macht eine bessere Politik, dann werdet ihr dieses Problem in Zukunft nicht mehr haben! (Ironische Heiterkeit bei den Freiheitlichen.)

Weil heute so sehr die Wahrheit eingefordert wird, meine sehr geehrten Damen und Herren: Uns wird hier von einer "F"-Bewegung vorgegaukelt, daß es nicht darum geht, Ängste zu schüren, Sorgen zu bereiten, sondern diese zu nehmen. (Zwischenruf des Bundesrates Mag. Gudenus. ) Wie ernst man das nehmen kann, haben Sie gerade beim ersten wichtigen Integrationsschritt für ein einiges Europa bewiesen. Als es um die Europäische Union ging, haben Sie niemals Ängste genommen, sondern ständig versucht, mit Lügen und Halbwahrheiten Ängste zu schüren. "Schildläuse überschwemmen Österreich!", "das Wasser geht verloren!", "die Goldreserven kommen nach Brüssel!" – es war Ihnen nichts zu blöd, um den Österreichern Angst vor der Europäischen Union zu machen. (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Payer.  – Bundesrat Waldhäusl: Sagen Sie einmal!)

Es geht Ihnen auch heute nicht darum, Ängste zu nehmen. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu einem Zeitpunkt, zu dem Herr Waldhäusl die Karte von einem Parlamentsmitarbeiter noch nicht gezeichnet bekommen hatte und daher wahrscheinlich noch nicht einmal genau wußte, wo Tschechien liegt, haben wir uns schon für Sonderförderungen im Grenzland eingesetzt, haben wir uns schon bemüht, in Brüssel zu erreichen, daß es für die Grenzgebiete eine Sonderförderung gibt.

Ich sage eines ganz offen: Ich wohne selbst zehn Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt, in Poysdorf, und ich trete einerseits Tag für Tag in den Gemeinden dafür ein, daß es – das sage ich hier ganz offen – zur EU-Osterweiterung kommt. Es kann doch nicht sein, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß wir, nur weil in diesen Ländern 40 Jahre Kommunismus herrschte, eine jahrhundertelange Kooperation zunichte machen wollen. Ich bin also dafür, daß es zu einer EU-Erweiterung kommt. (Bundesrat Waldhäusl: Stimmst du heute mit?) Ich sage aber gleichzeitig auch sehr offen, daß diese nicht heute und nicht jetzt erfolgen kann, sondern erst dann – darüber sind wir uns, glaube ich, alle einig –, wenn die Rechts-, Umwelt- und Wirtschaftsstandards gleich sind, sodaß es sich beide Teile leisten können. Momentan wäre eine EU-Erweiterung für beiden Seiten, sowohl für Tschechien als auch für Österreich, eine Katastrophe.

Ich muß Ihnen von den Freiheitlichen folgendes sagen: Ich habe mit dem einen Antrag, den Sie hier gestellt haben, kein Problem. Aber eines werfe ich Ihnen schon vor: Wenn Sie seriöserweise tatsächlich gewollt hätten, daß wir diesen Entschließungsantrag heute annehmen, dann hätten Sie ihn schon längst einbringen und den Fraktionen Zeit geben müssen, ihn zu beraten. (Bundesrat Waldhäusl: Du mußt doch wissen, was du willst! Was müßt ihr da beraten?) Es würde überhaupt nichts dagegen sprechen, diesen einen Antrag zur EU-Erweiterung beziehungsweise zur Sonderförderung zu beschließen. Ihnen geht es aber heute nur um ein Spektakel, um ein Theater, und zwar auf Kosten von anderen. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth. ) Dafür werden wir uns nicht hergeben! (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Payer. )


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
637. Sitzung / Seite 129

19.20

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Frau Kollegin Dr. Susanne Riess-Passer.

19.20

Bundesrätin Dr. Susanne Riess-Passer (Freiheitliche, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Staatssekretärin! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Wilfing! Sie waren der Meinung, es gebe keine Jugendlichen, die sich für die Freiheitliche Partei engagieren. Ich muß Sie da korrigieren. Es gibt sehr viele Jugendliche, die sich für die Freiheitliche Partei engagieren. Aber im Gegensatz zu anderen tun sie das freiwillig und ohne Bezahlung. Das ist vielleicht der Unterschied. (Bundesrat Mag. Wilfing: Keine Unterstellungen! – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.) Und im Gegensatz zu anderen wissen sie sich auch zu benehmen und werden nicht wegen Ruhestörung aus Lokalen entfernt.

Zur EU noch ein wichtiges Wort, Herr Kollege Wilfing. Sie sagten, wir hätten in bezug auf die EU Ängste geschürt und den Österreichern Sand in die Augen gestreut. Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben den Österreichern die Wahrheit über die EU gesagt. Sie haben behauptet, die EU schaffe 30 000 Arbeitsplätze. In Wirklichkeit sind seit dem EU-Beitritt doppelt so viele Arbeitsplätze in Österreich verlorengegangen. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Sie haben gesagt, wir müssen zur EU, weil wir dann mitreden und den Transitverkehr in Österreich eindämmen können. (Bundesrat Ing. Penz: Die Umweltbelastung ist gesunken!) Ja, in Niederösterreich, Herr Kollege, aber ich lade Sie einmal nach Tirol ein. Dort können Sie sich auf der Inntal Autobahn einmal anschauen, wie sehr der Transitverkehr "zurückgegangen" ist. Das Gegenteil ist der Fall! (Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Ing. Penz. ) Reden Sie einmal mit Herrn Landeshauptmann Weingartner – er ist ja Ihr Parteikollege –, der jede Woche eine Pressekonferenz gibt und sich dort über Brüssel und die ansteigende Transitbelastung beschwert!

Sie haben gesagt, wenn wir zur Europäischen Union gehen, dann garantieren Sie, daß der Schilling erhalten bleibt. – Das brauche ich nicht mehr zu kommentieren, wir alle wissen, was aus diesen Versprechungen geworden ist.

Es wird keine genmanipulierten Lebensmittel in Österreich geben, hat es geheißen, weil wir dann mitreden können. Das anonyme Sparbuch wird erhalten bleiben, weil wir dann ein so gewichtiges Wort in der Europäischen Union mitzureden haben werden. Und den österreichischen Bauern wird es natürlich wahnsinnig gutgehen, denn sie werden so viele Förderungen bekommen, daß sie gar nicht mehr wissen werden, wohin mit dem Geld. – Sie, Herr Kollege Penz, müßten eigentlich am besten wissen, wie die Realität ausschaut, nämlich ganz anders.

Herr Kollege Wilfing! Meine Damen und Herren von der ÖVP! Europäische Integration hat zum Nutzen der Österreicher zu erfolgen und nicht zu deren Nachteil, und sie hat auch zum Nutzen der europäischen Bürger und Bürgerinnen zu erfolgen. Das setzt voraus, daß es eine Europäische Union beziehungsweise eine Europäische Integration gibt, die den Grundsatz der Demokratie und der Bürgermitbestimmung achtet. Erst dann, wenn dies der Fall ist, können wir von einer gedeihlichen Europäischen Integration sprechen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

19.23

Präsident Ludwig Bieringer: Nochmals zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Mag. Karl Wilfing. Ich erteile ihm dieses. (Bundesrat Waldhäusl: Er entschuldigt sich, weil er so geschrien hat! – Weitere Zwischenrufe.)

19.23

Bundesrat Mag. Karl Wilfing (ÖVP, Niederösterreich): Ich darf tatsächlich berichtigen: Beschäftigtenzahlen in Niederösterreich 1993 im Vergleich zu 1998. Sie können das gerne nachlesen. In Niederösterreich sind 1998 um 15 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr beschäftigt als 1993. (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Wie schaut es mit der Arbeitslosenrate aus?) Alleine das wird sich auf das Wahlergebnis in Niederösterreich am 22. März auswirken und dazu führen, daß die Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher diesen Kurs "Niederösterreich geht seinen Weg" fortsetzen werden. (Bundesrätin Mühlwerth: Arbeitslosenrate! – Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Sagen Sie die Arbeitslosenrate von Niederösterreich!)


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
637. Sitzung / Seite 130

Eines, Frau Riess-Passer, ist auch ganz klar: Wenn Sie die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in Österreich ernst nehmen, dann ziehen Sie Ihre Unterstellung, daß diese Besuchergruppe aus Wien-Umgebung dafür bezahlt wird, daß sie hier sitzt, zurück. (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Das habe ich nicht gesagt!) Sie haben gesagt: Hier sitzen Jugendliche, die dafür bezahlt werden, daß sie sich für Politik interessieren. (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Nein, das habe ich nicht gesagt!) Ich würde Ihnen raten, sich bei diesen Jugendlichen dafür zu entschuldigen, daß Sie ihnen unterstellt haben, sie gehen nur ins Parlament, weil sie dafür bezahlt werden. Ich halte das für eine Frechheit! (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Ich habe gesagt, unsere Jugendlichen arbeiten freiwillig!)

19.24


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
637. Sitzung / Seite 131

Präsident Ludwig Bieringer:
Zur Geschäftsordnung hat sich Herr Bundesrat Paul Tremmel zu Wort gemeldet. Ich erteile ihm dieses.

19.24

Bundesrat Dr. Paul Tremmel (Freiheitliche, Steiermark) (zur Geschäftsordnung) : Meine Damen und Herren! Ich habe Verständnis dafür, wenn die Emotionen hochgehen und Sie in Argumentationsnotstand geraten. Aber ich bitte Sie, Herr Präsident, dafür zu sorgen, daß hier gebräuchliche Worte verwendet werden. Herr Kollege Wilfing! Sie haben in einem Ihrer Sätze unter anderem das Wort "Lüge" gebraucht. (Widerspruch bei der ÖVP.) Ich verbitte mir das. Es entspricht nicht der parlamentarischen Courtoisie, das hier zu tun. (Ironische Heiterkeit und Zwischenrufe bei ÖVP und SPÖ. – Bundesrätin Schicker: Das hat Bundesrat Waldhäusl auch gesagt!)

Ich bitte, das hier zu unterbinden, denn das ist unzulässig. Wenn auch Kollegen darüber lachen, ich habe eine andere Vorstellung von demokratischer Courtoisie, Herr Kollege Konečny, als Sie sie haben!

19.25

Präsident Ludwig Bieringer: Herr Dr. Tremmel! Ich werde gemäß der Geschäftsordnung Ihren Einwand berücksichtigen und mir vorbehalten, nach Durchlesen des Stenographischen Protokolls in der nächsten Sitzung diesbezüglich etwas bekanntzugeben.

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Es liegt ein Antrag der Bundesräte Mag. Gudenus und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend Sicherheit der österreichischen Bürger in grenznahen Regionen nach der EU-Osterweiterung vor.

Ich lasse über diesen Entschließungsantrag abstimmen.

Hiezu ist namentliche Abstimmung verlangt worden. Da dieses Verlangen von fünf Bundesräten gestellt wurde, ist gemäß § 54 Abs. 3 der Geschäftsordnung eine namentliche Abstimmung durchzuführen. Ich gehe daher so vor.

Im Sinne des § 55 Abs. 5 erfolgt die Stimmabgabe nach Aufruf durch die Schriftführung in alphabetischer Reihenfolge mündlich mit "Ja" oder "Nein".

Ich ersuche nunmehr die Schriftführung um den Aufruf der Bundesräte in alphabetischer Reihenfolge.

(Über Namensaufruf durch Schriftführerin Giesinger geben die Bundesrätinnen und Bundesräte ihr Stimmverhalten mit "Ja" oder "Nein" bekannt.)

Präsident Ludwig Bieringer: Meine Damen und Herren! Gemäß § 53 Abs. 5 der Geschäftsordnung ist die Ausübung des Stimmrechtes nur am zugewiesenen Platz des Mitglieds des Bundesrates möglich.

Ich stelle fest: Herr Bundesrat Gudenus ist während der Abstimmung nicht auf seinem Platz gesessen, daher ist er als nicht anwesend in die Liste aufzunehmen. Ich bitte, das im Sitzungsprotokoll festzuhalten und die Abstimmungsergebnisse diesbezüglich zu berichtigen. (Zwischenruf bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Konečny: Die Geschäftsordnung gilt auch für die FPÖ!)

Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, § 53 Abs. 5 der Geschäftsordnung durchzulesen. Er lautet – ich lese ihn Ihnen vor, damit Sie ihn nicht kommentieren müssen –:

"Ein Bundesrat, der bei einer Abstimmung (Wahl) im Sitzungssaal an seinem Platz nicht anwesend ist, darf nachträglich seine Stimme nicht abgeben. In berücksichtigungswürdigen Fällen hat der Präsident über Ersuchen vor der Abstimmung die Erlaubnis zu erteilen, daß Bundesräte, die zwar im Sitzungssaal, nicht aber an ihrem Platz anwesend sind, dennoch an der Abstimmung teilnehmen."

Ich kann mich nicht erinnern, daß mich irgend jemand gefragt hätte, ob er an der Abstimmung teilnehmen kann, obwohl er nicht auf seinem Platz sitzt. Es ist daher so vorzugehen, wie ich es gesagt habe.

Ich gebe nunmehr das Abstimmungsergebnis bekannt. Demnach entfallen auf den Entschließungsantrag der Bundesräte Mag. Gudenus und Kollegen 13 "Ja"-Stimmen und 37 "Nein"-Stimmen.

Der Entschließungsantrag des Bundesrates Mag. Gudenus und seiner Kollegen ist somit abgelehnt.

*****

Mit "Ja" stimmten die Bundesräte:

Dr. Böhm, Dr. Bösch;

Eisl;

Haunschmid;

Dr. Kaufmann;

Mühlwerth;

Ramsbacher, Richau, Dr. Riess-Passer;

Mag. Scherb;

Dr. Tremmel;

Waldhäusl, Weilharter.

Mit "Nein" stimmten die Bundesräte:

Bieringer;

Crepaz;

Drochter;


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
637. Sitzung / Seite 132

Fischer, Freiberger;

Giesinger, Ing. Grasberger, Grillenberger, Gstöttner;

Hager, Haselbach, Mag. Himmer, Dr. Hummer;

Jaud;

Konečny;

Dr. Ludwig, Lukasser;

Markowitsch, Dr. h. c. Mautner Markhof, Meier;

Payer, Ing. Penz, Pfeifer, Ing. Polleruhs, Prähauser, Pühringer;

Rauchenberger, Rieser, Rodek;

Schaufler, Schicker, Schöls, Steinbichler;

Vindl;

Weiss, Mag. Wilfing, Winter.

*****

Präsident Ludwig Bieringer: Es liegt der Antrag der Bundesräte Dr. Tremmel und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend Ausbau des Flughafens Schwechat vor. Ich lasse über diesen Entschließungsantrag abstimmen.

Hiezu ist namentliche Abstimmung verlangt worden. Da dieses Verlangen von fünf Bundesräten gestellt wurde, ist gemäß § 54 Abs. 3 der Geschäftsordnung eine namentliche Abstimmung durchzuführen. Ich gehe daher so vor.

Im Sinne des § 55 Abs. 5 erfolgt die Stimmabgabe nach Aufruf durch die Schriftführung in alphabetischer Reihenfolge mündlich mit "Ja" oder "Nein".

Ich ersuche nunmehr die Schriftführung um den Aufruf der Bundesräte in alphabetischer Reihenfolge.

(Über Namensaufruf durch die Schriftführerinnen Markowitsch und Giesinger geben die Bundesrätinnen und Bundesräte ihr Stimmverhalten mit "Ja" oder "Nein" bekannt.)

Präsident Ludwig Bieringer: Die Stimmabgabe ist beendet.

Ich gebe nun das Abstimmungsergebnis bekannt:

Es entfallen auf den Entschließungsantrag der Bundesräte Dr. Tremmel und Kollegen 13 "Ja"-Stimmen und 38 "Nein"-Stimmen.

Der Entschließungsantrag der Bundesräte Dr. Tremmel und Kollegen ist somit abgelehnt.

*****

Mit "Ja" stimmten die Bundesräte:

Dr. Böhm, Dr. Bösch;

Eisl;


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
637. Sitzung / Seite 133

Mag. Gudenus;

Haunschmid;

Mühlwerth;

Ramsbacher, Dr. Riess-Passer;

Schaufler, Mag. Scherb;

Dr. Tremmel;

Waldhäusl, Weilharter.

Mit "Nein" stimmten die Bundesräte:

Bieringer;

Crepaz;

Drochter;

Fischer, Freiberger;

Giesinger, Ing. Grasberger, Grillenberger, Gstöttner;

Hager, Haselbach, Mag. Himmer, Dr. Hummer;

Jaud;

Dr. Kaufmann, Konečny;

Dr. Ludwig, Lukasser;

Markowitsch, Dr. h. c. Mautner Markhof, Meier;

Payer, Ing. Penz, Pfeifer, Ing. Polleruhs, Prähauser, Pühringer;

Rauchenberger, Richau, Rieser, Rodek;

Schicker, Schöls, Steinbichler;

Vindl;

Weiss, Mag. Wilfing, Winter.

*****

Präsident Ludwig Bieringer: Es liegt ein Antrag der Bundesräte Haunschmid und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend Maßnahmen zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes Österreich vor einer allfälligen EU-Osterweiterung vor.

Ich lasse über diesen Entschließungsantrag abstimmen.

Hiezu ist namentliche Abstimmung verlangt worden. Da dieses Verlangen von fünf Bundesräten gestellt wurde, ist gemäß § 54 Abs. 3 der Geschäftsordnung eine namentliche Abstimmung durchzuführen. Ich gehe daher so vor.

Im Sinne des § 55 Abs. 5 erfolgt die Stimmabgabe nach Aufruf durch die Schriftführung in alphabetischer Reihenfolge mündlich mit "Ja" oder "Nein".


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
637. Sitzung / Seite 134

Ich ersuche nunmehr die Schriftführung um den Aufruf der Bundesräte in alphabetischer Reihenfolge.

(Über Namensaufruf durch die Schriftführerinnen Markowitsch und Giesinger geben die Bundesrätinnen und Bundesräte ihr Stimmverhalten mit "Ja" oder "Nein" bekannt.)

Präsident Ludwig Bieringer: Die Stimmabgabe ist beendet.

Ich gebe nun das Abstimmungsergebnis bekannt:

Es entfallen auf den Entschließungsantrag der Bundesräte Haunschmid und Kollegen 13 "Ja"-Stimmen und 38 "Nein"-Stimmen.

Der Entschließungsantrag der Bundesräte Haunschmid und Kollegen ist somit abgelehnt.

*****

Mit "Ja" stimmten die Bundesräte:

Dr. Böhm, Dr. Bösch;

Eisl;

Mag. Gudenus;

Haunschmid;

Dr. Kaufmann;

Mühlwerth;

Ramsbacher, Dr. Riess-Passer;

Mag. Scherb;

Dr. Tremmel;

Waldhäusl, Weilharter.

Mit "Nein" stimmten die Bundesräte:

Bieringer;

Crepaz;

Drochter;

Fischer, Freiberger;

Giesinger, Ing. Grasberger, Grillenberger, Gstöttner;

Hager, Haselbach, Mag. Himmer, Dr. Hummer;

Jaud;

Konečny;

Dr. Ludwig, Lukasser;

Markowitsch, Dr. h. c. Mautner Markhof, Meier;


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
637. Sitzung / Seite 135

Payer, Ing. Penz, Pfeifer, Ing. Polleruhs, Pühringer;

Rauchenberger, Repar, Richau, Rieser, Rodek;

Schaufler, Schicker, Schöls, Steinbichler;

Vindl;

Weiss, Mag. Wilfing, Winter.

*****

Präsident Ludwig Bieringer: Es liegt ein Antrag der Bundesräte Waldhäusl und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend besondere Grenzlandförderung vor.

Ich lasse über diesen Entschließungsantrag ebenfalls abstimmen.

Hiezu ist namentliche Abstimmung verlangt worden. Da dieses Verlangen von fünf Bundesräten gestellt wurde, ist gemäß § 54 Abs. 3 der Geschäftsordnung eine namentliche Abstimmung durchzuführen. Ich gehe daher so vor.

Im Sinne des § 55 Abs. 5 erfolgt die Stimmabgabe nach Aufruf durch die Schriftführung in alphabetischer Reihenfolge mündlich mit "Ja" oder "Nein".

Ich ersuche nun die Schriftführung um den Aufruf der Bundesräte in alphabetischer Reihenfolge.

(Über Namensaufruf durch die Schriftführerinnen Markowitsch und Giesinger geben die Bundesrätinnen und Bundesräte ihr Stimmverhalten mit "Ja" oder "Nein" bekannt.)

Präsident Ludwig Bieringer: Die Stimmabgabe ist somit beendet.

Ich gebe nun das Abstimmungsergebnis bekannt:

Es entfallen auf den Entschließungsantrag der Bundesräte Waldhäusl und Kollegen 15 "Ja"-Stimmen und 37 "Nein"-Stimmen.

Der Entschließungsantrag der Bundesräte Waldhäusl und Kollegen ist somit abgelehnt.

*****

Mit "Ja" stimmten die Bundesräte:

Dr. Böhm, Dr. Bösch;

Eisl;

Mag. Gudenus;

Haunschmid;

Dr. Kaufmann;

Mühlwerth;

Ramsbacher, Dr. Riess-Passer;

Schaufler, Mag. Scherb;

Dr. Tremmel;


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
637. Sitzung / Seite 136

Waldhäusl, Weilharter, Mag. Wilfing.

Mit "Nein" stimmten die Bundesräte:

Bieringer;

Crepaz;

Drochter;

Fischer, Freiberger;

Giesinger, Ing. Grasberger, Grillenberger, Gstöttner;

Hager, Haselbach, Mag. Himmer, Dr. Hummer;

Jaud;

Konečny;

Dr. Linzer, Dr. Ludwig, Lukasser;

Markowitsch, Dr. h. c. Mautner Markhof, Meier;

Payer, Ing. Penz, Pfeifer, Ing. Polleruhs, Prähauser, Pühringer;

Rauchenberger, Richau, Rieser, Rodek;

Schicker, Schöls, Steinbichler;

Vindl;

Weiss, Winter.

*****

5. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 25. Februar 1998 betreffend ein Bundesgesetz über Maßnahmen und Initiativen zur Gesundheitsförderung, -aufklärung und -information (Gesundheitsförderungsgesetz – GfG) (1043 und 1072/NR sowie 5634/BR der Beilagen)

6. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 25. Februar 1998 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über öffentliche Schutzimpfungen gegen übertragbare Kinderlähmung geändert wird (947 und 956/NR sowie 5644/BR der Beilagen)

Präsident Ludwig Bieringer: Wir gelangen nun zu den Punkten 5 und 6 der Tagesordnung, über welche die Debatte unter einem abgeführt wird.

Es sind dies:

ein Bundesgesetz über Maßnahmen und Initiativen zur Gesundheitsförderung, -aufklärung und
-information (Gesundheitsförderungsgesetz – GfG) und

ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über öffentliche Schutzimpfungen gegen übertragbare Kinderlähmung geändert wird.


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
637. Sitzung / Seite 137

Die Berichterstattung über die Punkte 5 und 6 hat Herr Bundesrat Johann Payer übernommen. Ich bitte um die Berichterstattung. (Vizepräsidentin Haselbach übernimmt den Vorsitz.)

Berichterstatter Johann Payer: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bericht des Gesundheitsausschusses zum Tagesordnungspunkt 5 über den Beschluß des Nationalrates vom 25. Februar 1998 betreffend ein Bundesgesetz über Maßnahmen und Initiativen zur Gesundheitsförderung, -aufklärung und -information (Gesundheitsförderungsgesetz) liegt vor. Ich verzichte daher auf die Verlesung.

Der Gesundheitsausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 10. März 1998 mit Stimmenmehrheit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.

Der Bericht des Gesundheitsausschusses zum Tagesordnungspunkt 6 über den Beschluß des Nationalrates vom 25. Februar 1998 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über öffentliche Schutzimpfungen gegen übertragbare Kinderlähmung geändert wird, liegt ebenfalls schriftlich vor. Ich verzichte auf die Verlesung.

Der Gesundheitsausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 10. März 1998 mit Stimmenmehrheit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Ich danke der Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein, die über die zusammengezogenen Punkte unter einem abgeführt wird.

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrätin Haunschmid. Ich erteile es ihr.

19.50

Bundesrätin Ulrike Haunschmid (Freiheitliche, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Zu diesem Punkt, also zum Gesundheitsgesetz, möchte ich noch einmal das Bazillenausscheidergesetz, das am 27. November mit einer Antwort der Frau Ministerin für Gesundheit bestätigt wurde, in Erinnerung rufen.

Das Bazillenausscheidergesetz regelt die Untersuchungspflicht für Menschen, die mit der Herstellung beziehungsweise Abgabe von Nahrungs- und Genußmitteln beschäftigt sind. Dies dient dem gesundheitlichen Schutz sowohl der Verbraucher als auch der Beschäftigten. Jeder Angehörige dieses Personenkreises, der durch Erlaß des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales bestimmt wird, muß in einem amtsärztlichen Zeugnis nachweisen, die ausgeübte Tätigkeit ohne Gefahr für die Verbraucher von Nahrungs- und Genußmitteln und ohne Gefährdung der Mitarbeiter der betreffenden Betriebe verrichten zu können. Jedes Jahr müssen von den Beschäftigten Stuhlproben und alle zwei Jahre ein Lungenröntgen erbracht werden, um die gesundheitsgefährdenden Einflüsse dieser Tätigkeit für die Konsumenten zu minimieren, was ich im Sinne des Tourismus und im Sinne der Jugend sehr befürworte. Diese Maßnahmen sollen also nicht nur dem persönlichen Schutz dienen, sondern wir sehen darin eine Verpflichtung dem österreichischen Gast gegenüber, der sich hier sicher und wohl fühlen soll.

Nun wurde per Erlaß vom 11. Juli 1997 eine Reihe von Personengruppen ausgenommen, und zwar Krankenpflegepersonal, Hausarbeiter in Spitälern, die fertig zubereitete Speisen auf die Stationen transportieren, Heimhelfer und Heimhelferinnen, Personen, die aus einer Küche bezogenes Essen ausschließlich an Betriebsangehörige ausgeben und portionieren, Essenszusteller und Fahrer der Aktion "Essen auf Rädern", Personal, das regelmäßig in Schulen angeliefertes Essen ausgibt, Schüler und Lehrkräfte, die in Lehrküchen Essen zubereiten, das an der eigenen Schule oder einer Nachbarschule verzehrt wird, Schüler, die an berufspraktischen Tagen in Lebensmittel- und Gastronomiebetrieben teilnehmen, Personal von Supermärkten, Personal in Betriebsküchen und Kasernenküchen, Personen, die als freiwillige Aushilfskräfte bei Volks- und Feuerwehrfesten Speisen und Getränke zubereiten und abgeben, Personen, die in öffentlichen Wasserversorgungsanlagen, welche Trinkwasser zur Verfügung stellen, arbeiten, und Personen, die in Einrichtungen innerhalb der Lebenshilfe oder ähnlicher privater Vereine beschäftigt sind. – Sie alle wurden vom Bazillenausscheidergesetz ausgeschlossen.


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
637. Sitzung / Seite 138

Bitte, meine Damen und Herren, das kann doch so nicht gehen! Wir sind doch nicht zweitrangig! Warum sollen diese Bestimmungen allein für die Gastronomie, für Konditoren und für Bäcker gelten?

Diese für uns unverständliche Entscheidung des Ministeriums gerade in einer solch sensiblen Gesundheitsfrage führt zu einer klaren Ungleichbehandlung der Unternehmer Österreichs, da die Untersuchung für Beschäftigte in Gasthäusern und Restaurants weiterhin aufrecht bleibt und nur für jene Personen entfällt, die zum Beispiel als Aushilfskräfte bei Volks- und Feuerwehrfesten Speisen und Getränke zubereiten, aber auch, wie Sie gehört haben, für Praktikanten an berufsbildenden Schulen. Bisher war es obligatorisch, daß sich Schüler und Lehrer an Lehranstalten für Tourismus und an Hotelfachschulen jährlich einer Untersuchung nach dem Bazillenausscheidergesetz unterziehen. Mit großer Verwunderung mußten wir im letzten Herbst zur Kenntnis nehmen, daß diese Untersuchung für die genannten Personengruppen nicht mehr durchgeführt werden soll. Dies stellt eine Verantwortungslosigkeit sondergleichen dar, und zwar sowohl im Hinblick auf die Volksgesundheit als auch auf die individuelle Gefährdung Jugendlicher.

Solche Tourismus- und Hotelfachschulen umfassen manchmal mehr als 400 Schüler und verköstigen täglich an die 150 bis 300 Personen. Im fachpraktischen Unterricht liegt neben der Vermittlung von fachpraktischem Wissen in Küchenführung, Restaurantkunde und Betriebspraktiken einer der Schwerpunkte in der Vermittlung von Kenntnissen im Hinblick auf Maßnahmen der persönlichen Hygiene, der küchenwirtschaftlichen Hygiene sowie der Lebensmittelhaltung und -lagerung.

Der Argumentation der Frau Gesundheitsministerin, daß Ausscheider von Salmonellen nur eine, aber bei weitem nicht die häufigste Quelle bakterieller Kontaminationen bei der Speisenzubereitung seien, kann nicht gefolgt werden, meine Damen und Herren! Es reicht nämlich schon ein Ausscheider, um weitere Infektionen auszulösen. Aufgrund jahrelanger Erfahrungen wissen wir, daß alljährlich immer wieder Fälle von der Ausscheidung von Salmonellen auftreten. Diese konnten wir bis jetzt nur deshalb erfassen, da wir in den Schulen vor Beginn des Unterrichts und in den Restaurants vor Antritt der Arbeit Untersuchungen nach dem Bazillenausscheidergesetz vorgenommen haben. Dies geschah vor allem deshalb, weil die Schüler ein zwölfwöchiges Pflichtpraktikum in in- oder ausländischen Beherbergungs- und Verpflegungsbetrieben zu absolvieren haben. Für die Angestellten dieser Betriebe ist eine derartige Untersuchung sehr wohl verpflichtend, wenn aber Praktikanten in diesen Betrieben arbeiten, so arbeiten sie praktisch ohne eine Untersuchung.

Realität ist meiner Ansicht nach, daß dieser Erlaß nicht aus den genannten Gründen herausgegeben wurde, sondern eine Einsparungsmaßnahme darstellt. Es ist unserer Jugend gegenüber unverantwortlich, sie solch folgenschweren Infektionsrisiken auszusetzen. Unverantwortlich ist es besonders auch, dem Ruf Österreichs als "Feinkostladen" nicht gerecht zu werden.

Wir sind ein Aushängeschild, und wir sollen es auch bleiben. Wir wollen nicht, daß ein Urlaubsland wie Österreich diesbezüglich keinen ausreichenden Schutz bietet und daß es dann gar noch heißt, daß Touristen, die als Gäste in unser Land kommen, genauso geimpft werden müssen wie jemand, der in exotische Länder reist.

Meine Damen und Herren! Eines der höchsten Güter eines Staates ist die Bildung und die Gesundheit seines Volkes, im besonderen seiner Jugend. Ich glaube, an ihr zu sparen, ist der falsche Weg. Ich ersuche daher, den Antrag, daß dieses Gesetz wieder geändert wird, zu unterstützen. – Ich bedanke mich. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

19.57

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächste Rednerin ist Frau Bundesrätin Lukasser zu Wort gemeldet. – Bitte.

19.58

Bundesrätin Therese Lukasser (ÖVP, Tirol): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Der spektakuläre Teil dieser Sitzung ist vorbei. Jetzt geht es wieder um andere, einfachere Dinge, die meiner Ansicht nach genauso wichtig sind.


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
637. Sitzung / Seite 139

Heute wurde schon so vielfältig und so umfangreich von Gesundheit geredet, daß ich eigentlich nur noch zusammenfassen kann. Ein wesentlicher Bestandteil der Gesundheitspolitik ist seit Jahren die Vorsorgemedizin. Ein umfassendes System der Gesundheitsvorsorge soll durch Vorsorgeuntersuchungen dazu beitragen, daß sich die Menschen möglichst lange gesund fühlen, daß etwaige Krankheiten bereits im Frühstadium erkannt und behandelt werden und daß durch Impfungen bestimmte Krankheiten gänzlich vermieden werden. So wären Investitionen in die Vorsorge und Gesundheitsförderung langfristig die besten Sparmaßnahmen im Gesundheitsbereich.

Auf Einladung und unter Vorsitz des Abgeordneten zum Nationalrat Primarius Dr. Günther Leiner hat ein Expertenteam Programme, Thesen und Forderungen für acht Bereichen erarbeitet, die ich im folgenden anführen werde, wobei ich mich kurz fassen kann, denn es sind fast alle Bereich heute schon angesprochen worden.

These 1 zum Beispiel, der Mutter-Kind-Paß: Die Ausweitung des derzeitigen Untersuchungsprogramms soll forciert und bis zum 6. Lebensjahr ausgedehnt werden.

These 2: das Team "Gesundheit in der Schule". Da ich mich in diesem Bereich besser auskenne, möchte ich diesen Punkt etwas ausführlicher behandeln. Dem Schularzt sollen andere Experten wie Ernährungswissenschafter, Psychologen, Pädagogen, Aids- und Drogenexperten, Orthopäden, Sportmediziner und Bewegungstherapeuten helfen, eine optimale Gesundheitsbetreuung unserer Schulkinder zu gewährleisten.

Dieses Team sollte bei Fragen zur Ernährung der Kinder verbindlich einbezogen werden – dies passiert schon; so gibt es zum Beispiel an der Schule, an der ich zuletzt war, das ganze Jahr hindurch das gesunde Schulbuffet –, bei Fragen der körperlichen Belastung, wie sie im Zusammenhang mit den Schulmöbeln oder dem Gewicht der Schultaschen auftreten, bei psychologischen oder psychosozialen Problemen. Auch die Einbeziehung des Teams "Gesundheit in der Gesetzeswerdung" und entsprechende legistische Maßnahmen wären hiebei zu berücksichtigen.

Insbesondere möchte ich das Europäische Netzwerk "Gesundheitsfördernde Schulen" ansprechen. Österreich beteiligt sich seit September 1993 mit elf Projektschulen. Die wichtigsten Ergebnisse dieser Pilotphase auf nationaler Ebene sind zum Beispiel die Herausgabe eines Grundsatzerlasses zur Gesundheitserziehung, die Erweiterung des im Unterrichtsressort eingerichteten Umweltbildungsfonds um den Bereich Gesundheitsförderung, die Weiterführung des Projekts durch das Unterrichtsressort und das Gesundheitsressort bis 1999 aufgrund der positiven Erfahrungen in der Pilotphase und die Konstituierung des "Wiener Netzwerks – Gesundheitsfördernde Schulen".

Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Die Sorge um die eigene Gesundheit und um die der anderen ist ein hoher menschlicher und gesellschaftlicher Wert. Wenn es richtig ist, daß die Schule dem Leben dienen und auf seine positive Gestaltung und Bewältigung vorbereiten soll, dann gehört Gesundheitserziehung zweifelsohne zu den ureigensten Aufgaben jeglicher Bildung. Dabei ist Gesundheit im umfassenden Sinn zu verstehen, als physische genauso wie als psychische, deren enger Zusammenhang im Begriff "Psychosomatik" zum Ausdruck kommt. Von daher erklärt sich auch die Verknüpfung von Gesundheitsförderung und Suchtprävention.

Ein angenehmes, menschenfreundliches Klima, in dem sich Schülerinnen und Schüler, aber auch Lehrerinnen und Lehrer trotz aller vernünftigen Leistungsanforderung angenommen wissen, ist die Grundvoraussetzung für ihre gesunde Entwicklung und für die Entfaltung ihrer persönlichen und sozialen Kompetenzen.

Als drittes wäre ein weiterer Schwerpunkt zu nennen: die Arbeitsmedizin. Auch hier kann ich mich kurz fassen, da Herr Kollege Drochter und Herr Kollege Schöls schon darauf hingewiesen haben. Nur eines: Arbeitsmedizinische Betreuung sollte für alle österreichischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer möglich sein und vor allem durch die niedergelassenen, speziell ausgebildeten Ärzte und Vertrauensärzte wahrgenommen werden. Dafür wäre ein Zusatzbedarf von


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etwa 200 Ärzten erforderlich. Diese Maßnahme wäre besonders auch zur Eindämmung gesundheitsbedingter Frühpensionen wichtig.

Eine andere These, eine andere Forderung bezieht sich auf die Rehabilitation, auf den gezielten Ausbau der Rehabilitationskapazitäten unter Einbeziehung der Kureinrichtungen zur gezielten Behandlung von Schlaganfall-, Herz-Kreislauf- und Krebspatienten bis zur Ausbildung ausreichender Fachkräfte, vor allem Logopädinnen und Logopäden, Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten.

These 5: die Ausweitung der Sportmedizin auf den Breitensport. 54,4 Milliarden Schilling kosten jährlich die Folgen von Heim-, Freizeit- und Sportunfällen. 25 Prozent der Unfälle könnten laut Experten durch vermehrte Aufklärung vermieden werden. So kennen zum Beispiel 65 Prozent der Schifahrer keine einzige Pistenregel.

Eine zusätzliche Forderung: Unfallversicherung für gefährliche Freizeitsportarten wie Drachenfliegen, Paragleiten, Rafting und Mountainbiking und sportmedizinische Betreuung für alle Sportvereine, nicht nur für den Leistungssport.

Mehrfach angesprochen wurde heute auch schon die Forderung, gegen die modernen Seuchen wie Drogen und Aids aufzutreten. Prävention und Aufklärung sind nach allen internationalen Erkenntnissen die wichtigsten Maßnahmen. Dazu gibt es auf europäischer Ebene bereits gute Aktionsprogramme, an denen wir uns auch in Österreich beteiligen sollten.

Ich bin dankbar, daß Kollege Gerstl jetzt nicht da ist, und komme zum siebenten Punkt: Maßnahmen gegen Tabakkonsum und nicht nur Maßnahmen zum Schutz der Nichtraucher. (Heiterkeit bei der ÖVP. – Beifall der Bundesrätin Pühringer. ) Noch immer muß die Gesellschaft zirka 40 Milliarden Schilling jährlich als Folgekosten des Rauchens tragen. Das Nichtrauchergesetz erfüllt, wenn überhaupt, nur eines von drei wichtigen Zielen im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Tabakkonsums, die da sind: erstens die Kinder und Jugendlichen vor der Verführung zu schützen, zweitens die Nichtraucher vor Beeinträchtigung durch den Rauch zu schützen und drittens den Rauchern zu helfen, von ihrer Sucht loszukommen.

Der achte Punkt schließlich betrifft die psychischen Krankheiten. Ich habe mich gewundert, daß das heute im Zusammenhang mit dem Gesundheitsbericht nicht oder nicht explizit angesprochen wurde. Aufklärung und psychiatrische Versorgung sind zu verbessern. Jährlich sterben in Österreich mehr Menschen durch Selbstmord als durch Verkehrsunfälle. Viele leiden – oder litten – an einer durchaus heilbaren psychischen Krankheit. Leider ist die Akzeptanz und das Wissen über derartige Erkrankungen in Österreich noch sehr gering. Es bedarf deshalb dringend einer verstärkten Aufklärung der Ärzte, vor allem auch in der Aus- und Weiterbildung, und der Bevölkerung, des Auf- und Ausbaues der dezentralen psychiatrischen Versorgung sowie schließlich einer leistungsgerechten Honorierung des ärztlichen Gesprächs. Laut einer niederländischen Untersuchung entfallen etwa 20 Prozent der gesamten Kosten des Gesundheitssystems auf psychiatrische Erkrankungen.

Wie eingangs erwähnt, wären dies acht Schwerpunkte zur Gesundheitsförderung und -vorsorge.

Meine Damen und Herren! Hoher Bundesrat! Durch die in dem Bericht des Gesundheitsausschusses des Nationalrates aufgenommene Feststellung zu § 2 Z 2 wird ausdrücklich festgehalten, daß sich die Möglichkeit der Mitfinanzierung von Projekten auch auf Einreichungen von natürlichen oder juristischen Personen erstreckt. Ich muß explizit darauf hinweisen, da in der Stellungnahme des Landes Tirol zu diesem Bundesgesetz eine verbindliche Regelung der Mitwirkungsrechte der Länder gefordert wird, und – ich darf wörtlich zitieren – es heißt dort: "Die bisherige Erfahrung in der Präventivmedizin zeigt, daß gerade die föderalistische, bevölkerungsnahe Umsetzung von Vorsorgeprojekten die effizienteste ist, da dabei auch die regionalen und lokalen Gegebenheiten berücksichtigt werden können. Im Interesse der bestmöglichen Erreichung der angestrebten Ziele sowie im Interesse der effizientesten Mittelverwendung werden daher entsprechende Mitwirkungs- und Mitentscheidungsrechte der Länder gefordert." – Ende des Zitats.


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Dieser Forderung wurde Rechnung getragen, und es wurde festgelegt, daß sowohl bei strukturellen Anpassungen der Satzungen des Fonds "Gesundes Österreich", der mit der administrativen und inhaltlichen Abwicklung dieses Bundesgesetzes betraut wird, als auch bei der Besetzung der Fondsorgane all jene Gebietskörperschaften zu berücksichtigen sind, die durch ihre Zustimmung zum Finanzausgleichsgesetz die Aufbringung der Mittel ermöglicht haben. Wir haben gestern im Ausschuß gehört, wie dieser Fonds zusammengesetzt ist. Es liegen mir nun die Satzungen vor, aber ich möchte nicht Ihre Zeit zu sehr beanspruchen.

Meine Damen und Herren! Hoher Bundesrat! Noch einige Anmerkungen zur zweiten Vorlage, mit der das Bundesgesetz über öffentliche Schutzimpfungen gegen übertragbare Kinderlähmung geändert wird. Nach der jüngsten Impfempfehlung des Obersten Sanitätsrates soll die Impfung gegen Poliomyelitis im Säuglings- und Kleinkindesalter auf den Totimpfstoff umgestellt werden, sobald ein entsprechender Kombinationsimpfstoff für Diphtherie, Tetanus, Haemophilus influenzae und Polio verfügbar ist. Säuglinge und Kleinkinder sollen dann je nach Alter individuell mit diesem Kombinationsimpfstoff geimpft werden.

In diesem Zusammenhang hat mich der Begriff "Totimpfstoff" etwas irritiert. Ich habe mich informiert und erfahren, daß Totimpfstoffe jene Impfstoffe genannt werden, bei denen den Mikroorganismen die Vermehrungsfähigkeit genommen wurde, das sind also inaktive Impfstoffe. Wenn die Gifte der Mikroorganismen in eine unschädliche Form umgewandelt wurden, nennt man sie Toxoide. Mit inaktiven Erregern wird gegen Cholera, Typhus, Paratyphus, Keuchhusten und Grippe geimpft, die Schutzimpfung mit Toxoiden hat sich bei Infektionen bewährt.

Hoher Bundesrat! Meine Damen und Herren! Das Bundes-Impfkonzept, das einen flächendeckenden Schutz von Kleinkindern vor bakteriellen Atemwegserkrankungen – Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten – garantieren soll, spießt sich an der Finanzierung. In Tirol zum Beispiel ist noch unklar, wie hoch die Kostenbeteiligung der Krankenkassen an der Finanzierung des Impfstoffes sein soll, wer den Impfstoff ausgeben soll und wie die niedergelassenen Ärzte, ohne die eine flächendeckende Impfaktion kaum möglich ist, honoriert werden sollen.

Der Hintergrund der geplanten flächendeckenden Immunisierung der österreichischen Kinder ist klar. Seit Jahren gibt es beträchtliche Impflücken, da kein Impfzwang besteht. Die früher verpflichtend vorgeschriebene Pockenschutzimpfung wurde mit Ende des Jahres 1980 aufgehoben. Eine hohe Impfbeteiligung kann nur durch intensive Information erreicht werden. Zur Orientierung über Art und Zeitpunkt der empfohlenen Schutzimpfungen gibt es einen Impfplan. Sie werden sagen: Wo ist dieser Impfplan? – Ich könnte Ihnen diesen vorlesen, aber da er im Mutter-Kind-Paß enthalten ist, weiß jede Mutter genau, daß in der ersten Woche gegen Tuberkulose geimpft wird, in der vierten bis fünften Woche sind die Teilimpfungen, die mit dem Kombinationsimpfstoff abgedeckt werden, fällig, und schließlich erfolgt bis zum dreizehnten Lebensjahr bei Mädchen die Rötelimpfung. Das steht alles im Impfpaß.

Herr Bundesminister! Hohes Haus! Trotz der tatsächlichen oder vermeintlichen Mängel, die die besprochenen Vorlagen aufweisen mögen, halte ich diese für einen wesentlichen Fortschritt. Welche Firma wäre nicht hellauf begeistert von der Möglichkeit, die Planungsabteilung mit 100 Millionen Schilling aufstocken zu können? – "Gesundheit ist nicht alles", sagt Dr. Rasinger immer, "aber ohne Gesundheit ist alles nichts." – Ich danke Ihnen. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

20.12

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Gstöttner. – Bitte.

20.12

Bundesrat Ferdinand Gstöttner (SPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzter Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Zum Tagesordnungspunkt über öffentliche Schutzimpfungen gegen übertragbare Kinderlähmung kann man, wenn man in den fünfziger Jahren selbst die Erfahrung gemacht hat, wie es ist, wenn Kollegen, Bekannte und Freunde an Kinderlähmung erkranken und jahrelang in Behandlung stehen müssen, wenn sogar Schulkollegen an dieser Krankheit sterben, eigentlich nur feststellen, daß man im Wissen um


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diese Erfahrung alles tun muß, um auch weiterhin einen guten Immunitätszustand der Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Wenn es – wie wir gehört haben – neue, verbesserte Möglichkeiten gibt, so soll man diese natürlich auch für unsere Kinder und für alle, die es betreffen könnte, nutzen. Die SPÖ-Bundesräte werden daher gegen den Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch erheben.

Zum zweiten Punkt, dem Gesundheitsförderungsgesetz: Damit eröffnen sich neue Möglichkeiten und große Chancen. Mit dem zusätzlichen Volumen von 100 Millionen Schilling besteht die Möglichkeit, verschiedenste Projekte und Programme der Gesundheitsförderung zu unterstützen sowie mittel- und längerfristige Ziele zu realisieren. Umgesetzt werden sollen die Ziele des Gesundheitsförderungsgesetzes über den Fonds "Gesundes Österreich".

Bedeutend und wichtig erscheint mir, daß die verschiedenen Partner in diesem neuen Kuratorium in Zukunft konstruktiv zusammenarbeiten. Ausschlaggebend wird sein, daß weiterhin der Hauptverband der Sozialversicherungsträger nicht nur die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellt, sondern auch entscheidend mitwirkt. Besonders wichtig ist auch, daß Länder und Gemeinden in Zukunft ihre Ideen und Initiativen einbringen. Im Zusammenwirken werden sich neue Möglichkeiten und Chancen ergeben – wie ich bereits gesagt habe –, dadurch können neue Impulse und Akzente gesetzt werden. Die Bereitschaft der Österreicher zum Mitmachen ist von größter Bedeutung. Um dieses Mitmachen müssen wir uns gemeinsam verstärkt bemühen.

Grundsätzlich soll auch noch festgestellt werden, daß man Bestehendes, wenn es funktioniert, daß man gute und bewährte Programme nicht oder nur geringfügig verändern sollte. Wir müssen die schon bisher gut gelaufenen Arbeiten und Erfahrungen einfließen lassen und ein Zusammenwirken erreichen. Sicherlich kann man dabei auch die Aktivitäten des Sportes miteinbringen. Der Sport hat schon viele Jahre lang Initiativen gesetzt, zum Beispiel die Fitneßbewegungen oder die Herz-Kreislauf-Aktionen der Sportverbände und Dachverbände. Zigtausende haben mitgemacht und damit die Bereitschaft gezeigt, neuen Ideen zu folgen. Wir sind auch von seiten des Sports froh darüber und dankbar dafür, daß das Gesundheitsförderungsgesetz nun zusätzliche Möglichkeiten bietet.

Abschließend sei allen gedankt, die zum Entstehen und letztlich zum Gelingen beigetragen haben. Dieser Gesetzentwurf setzt mit der Dotierung des Fonds "Gesundes Österreich" neue Maßstäbe. Es liegt an uns allen, diese Chancen zu nützen. Die SPÖ-Bundesräte werden gegen den Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch erheben. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

20.16

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Meier. – Bitte.

20.16

Bundesrat Erhard Meier (SPÖ, Steiermark): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte dieses Gesundheitsförderungsgesetz mit dem Titel "Vorbeugen ist besser als heilen" überschreiben. Es geht um Information, um Aufklärung, darum, die Gesundheit zu fördern. Leider ist der Mensch hie und da inkonsequent, willensschwach oder sorglos, bis er krank wird. Und dann sagt er: Hätte ich das vorher gewußt, hätte ich Maßnahmen ergriffen.

Die österreichischen Ärzte informieren ohnehin laufend, aber die Gesundenuntersuchungen werden eben nicht so angenommen, wie wir es gerne hätten. Auch beim Mutter-Kind-Paß, Nikotin und Alkohol bis hin zu Drogen und Purinsäure schädlich sind. Das heißt, man muß schien es fast so, daß man etwas bezahlen muß, damit diese Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch genommen werden. Jeder weiß heute schließlich, daß zu hoher Blutdruck, hohe Blutfettwerte, erhöhter Cholesterinspiegel, zuviel Blutzucker, überhöhter Triglyceridspiegel, Übergewicht, Nikotin und Alkohol bis hin zu Drogen und Purinsäure schädlich sind. Das heißt, man muß die Menschen immer wieder daran erinnern, ja sie nahezu mit einem Trommelfeuer darüber informieren, daß Prävention wichtig ist.


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An meiner Schule gibt es zwei Gesundheitsklassen, die etwas mehr Sport betreiben und sich durchgehend fächerübergreifend mit Themen der Gesundheit befassen. Ein Jahr lang war alles, was mit der Wirbelsäule zusammenhängt, das Thema, das nächste Jahr stand unter dem Themenschwerpunkt Ernährung – unter ärztlicher Begleitung. Ich möchte dieses Beispiel nur anführen, um zu zeigen, daß präventive Maßnahmen auch mit ärztlicher Untersuchung zu Beginn und am Ende solcher Perioden positive Ergebnisse bringen. So meine ich, daß der Fonds "Gesundes Österreich" die durch dieses Gesetz vorgesehenen finanziellen Mittel für die im Gesetz aufgezeigten Bestimmungen und Ziele verwenden wird.

Es wird oft gesagt, der Staat kümmere sich um zu viele Dinge. In diesem Fall übergibt der Staat einer Organisation die Durchführung dieser Aktivitäten; Vertreter des Bundes, der Länder und der Gemeinden sind in diesem Fonds vertreten, um zu kontrollieren. Es gibt die Präventionskonferenz, in der – über diesen engen Kreis hinausgehend – auch die Öffentlichkeit die Möglichkeit der Kontrolle und der Überprüfung der Tätigkeiten dieses Fonds hat. Es heißt oft, Gesetze seien schwer lesbar und zu unübersichtlich. Das kann man bei diesem Gesetzentwurf nicht sagen, denn er hat nur fünf, wirklich kurz bemessene Paragraphen.

In Österreich wird darüber hinaus sehr viel für das Gesundheitswesen ausgegeben. Wenn es insgesamt an die 200 Milliarden Schilling sind – davon 100 Milliarden Schilling nur für das Spitalswesen –, so ist die Hoffnung berechtigt, daß durch Aufklärung, Information und Vorsorge bei Erkrankungen Kosten eingespart werden können und das in diesem Bereich aufgewendete Geld sinnvoll ausgegeben wird.

Zu den 9 Prozent Verwaltungskosten möchte ich sagen, daß sie nicht als fixe Zahl gelten sollten. Wir erwarten von diesen 9 Prozent auch einen entsprechenden Erfolg. Es sollte also nicht eine Verteilung der übrigen 91 Prozent genügen, um die 9 Prozent Verwaltungskosten zu rechtfertigen, sondern es sollte zu einem sichtbaren Erfolg in der Anwendung dieser Mittel kommen, sodaß darin keine Automatik des Verwaltungsaufwandes, sondern eine Höchstgrenze für die gesamte Aktion zu sehen ist. Ich meine, daß mit diesem Wunsch nach verstärkter, wirkungsvoller Förderung, Aufklärung und Information für die Gesundheit in unserem Lande sehr viel getan werden kann.

Noch eine kurze Anmerkung zum Gesetzentwurf über die öffentlichen Schutzimpfungen. Meine Damen und Herren! Wir wissen, wenn akute Fälle auftreten – ich spreche hier über die Fälle von Meningokokken-Meningitis in meinem Heimatbezirk in der Steiermark –, wie wichtig Impfungen und das Vorhandensein der entsprechenden Seren in entsprechenden Dosen sind.

Es geht auch darum, die in Österreich schon sehr gut bekämpfte Kinderlähmung, Poliomyelitis, weiterhin fernzuhalten. Die für die Impfung von Kindern vom Babyalter an verwendeten Mehrfachimpfungen haben sich grundsätzlich bewährt.

Wenn ich in meinen Impfpaß schaue, kann ich feststellen, daß ich bis zum sechsten oder achten Lebensjahr zehn Impfungen hatte. Mit den Mehrfachimpfungen erfolgen nun mehrere Impfungen auf einmal, und Menschen, die nicht gerne zur Impfung gehen, können das auf einmal erledigen. Auch Kinder fürchten sich vor Impfungen, vor diesen Nadelstichen, und wenn es in einem Durchgang geht, schafft man dadurch eine positive psychologische Voraussetzung, daß sich die Menschen vielleicht leichter impfen lassen.

Wenn es nun möglich ist, die Poliomyelitis-Erstimpfung – später bleibt die Schluckimpfung erhalten – mit den Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis und Haemophilus influenzae zu kombinieren, meine ich, daß dem nichts entgegenstehen darf. Natürlich müssen die medizinischen Gründe und Argumente beachtet werden, der Impfschutz muß verbessert und Impfaktionen besser organisiert werden. Ich bin auch der Meinung, daß es daneben noch Einzelimpfungen geben sollte; das ist aber, glaube ich, für Tetanus und Diphtherie ohnehin der Fall. Der Staat kann aber nicht beides nebeneinander in gleicher Weise anbieten. Wenn die Mehrfachimpfung – hier die Fünffachimpfung – angeboten wird, soll sie von der Bevölkerung möglichst angenommen werden.


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Ich meine, daß auch dieser Gesetzentwurf einen wichtigen und guten Erfolg bringt, und schließe mich der Ansicht meines Vorredners an, daß wir dagegen keinen Einspruch erheben sollten. – Danke. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

20.22

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Dr. Bartenstein. – Bitte.

20.22

Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie Dr. Martin Bartenstein: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren des Bundesrates! Sie wissen, ich vertrete heute Frau Sozial- und Gesundheitsministerin Hostasch, und ich möchte hier nicht dilettieren, indem ich in ihr Fachgebiet eingreife. Da ich aber dieses Gesundheitsförderungsgesetz gemeinsam mit der Frau Gesundheitsministerin verhandeln durfte, freue ich mich besonders und doppelt darüber, heute in Vertretung von Frau Kollegin Hostasch bei Ihnen sein zu dürfen.

Lassen Sie mich zu der Einschätzung einen kurzen Bogen spannen, nämlich jenen, daß ein Gesundheitsbericht, wie er alle drei Jahre dem Parlament zugeleitet wird, natürlich vor allem daran zu messen ist, wie sich gesundheitspolitische Kernparameter wie die Lebenserwartung auf der einen Seite und die Säuglingssterblichkeit auf der anderen Seite entwickeln. Wir können gemeinsam diesem Bericht entnehmen, daß sich innerhalb des dreijährigen Beobachtungszeitraumes von 1993 bis 1995 die Lebenserwartung von Frau und Herrn Österreicher – aus männlicher Sicht gibt es dort eine Ungleichbehandlung, ausnahmsweise einmal zu Lasten der Männer – um zwei Jahre erhöht hat und daß die Säuglingssterblichkeit in diesem Zeitraum um 28 Prozent zurückgegangen ist. Das ist höchst beeindruckend. Ich meine, wir können mit dem österreichischen Gesundheitswesen, auch mit den Kosten und der Effizienz dieses Gesundheitswesens im großen und ganzen zufrieden sein. Es ist uns mit der leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung nach langen Vorarbeiten eine Weichenstellung gelungen, die sich bis jetzt als zielführend herausgestellt hat.

Zum Gesundheitsförderungsgesetz möchte ich nur anmerken – weil es ein guter Übergang ist –, daß der Fonds "Gesundes Österreich" im Jahre 1988 begründet worden ist; zum zehnjährigen Jubiläum wird jetzt die entsprechende Geldsumme von 100 Millionen Schilling jährlich zugeführt, meine Damen und Herren! Dieser Fonds hat jetzt alle Chancen, vorbeugend Gesundheitsschutz zu bewirken. Als Mitverantwortlicher für Österreichs bei weitem erfolgreichste vorsorgemedizinische Aktion, nämlich den Mutter-Kind-Paß, weiß ich, wovon ich spreche, wenn ich von der Bedeutung des vorbeugenden Gesundheitsschutzes rede.

Es ist von mir als Mitverhandler bei diesem Gesetz dankend zur Kenntnis zu nehmen, daß Sie, meine Damen und Herren, angemerkt haben, es handle sich nicht nur um ein schlankes Gesetz, sondern auch um eine schlanke Struktur. Darauf habe ich persönlich besonderes Augenmerk gelegt. Es gibt ein Kuratorium, in dem sich alle finden, die in Österreich zu diesem Thema etwas zu sagen haben und zum Teil auch mitzahlen, aber im übrigen gibt es einen Geschäftsführer und letztlich auch eine Geschäftsordnung, die überschaubar ist. Es soll einfach und transparent sein, diese 100 Millionen Schilling pro Jahr sinnvoll in den vorbeugenden Gesundheitsschutz zu investieren und langfristig Parameter wie die Lebenserwartung der Mitbürger und den Säuglingsschutz für unsere ganz kleinen Mitbürger weiter zu optimieren. – Danke schön. (Allgemeiner Beifall.)

20.26

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Auch das ist nicht der Fall.

Die Abstimmung über die vorliegenden Beschlüsse des Nationalrates erfolgt getrennt.


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Wir kommen zuerst zur Abstimmung über den Beschluß des Nationalrates vom 25. Februar 1998 betreffend ein Bundesgesetz über Maßnahmen und Initiativen zur Gesundheitsförderung, -aufklärung und -information.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Beschluß des Nationalrates vom 25. Februar 1998 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über öffentliche Schutzimpfungen gegen übertragbare Kinderlähmung geändert wird.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Dies ist Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

7. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 25. Februar 1998 betreffend ein Bundesgesetz über die Gründung und Beteiligung an der Nationalpark Thayatal GmbH (904 und 1074/NR sowie 5645/BR der Beilagen)

8. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 25. Februar 1998 betreffend eine Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG zwischen dem Bund und dem Land Niederösterreich zur Errichtung und Erhaltung eines Nationalparks Thayatal samt Anlage (905 und 1075/NR sowie 5646/BR der Beilagen)

...Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wir gelangen nun zu den Punkten 7 und 8 der Tagesordnung, über welche die Debatte unter einem abgeführt wird.

Es sind dies:

ein Bundesgesetz über die Gründung und Beteiligung an der Nationalpark Thayatal GmbH und eine Vereinbarung gemäß Art. 15a Bundes-Verfassungsgesetz zwischen dem Bund und dem Land Niederösterreich zur Errichtung und Erhaltung eines Nationalparks Thayatal samt Anlage.

Ich bitte Frau Bundesrätin Schicker um die Berichterstattung.

Berichterstatterin Johanna Schicker: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Die Berichte zu diesen beiden Tagesordnungspunkten liegen Ihnen in schriftlicher Form vor, und ich beschränke daher meine Ausführungen auf die Antragstellung.

Der Ausschuß für Familie und Umwelt stellt nach Beratung der beiden Vorlagen am 10. März 1998 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke

Wir gehen nunmehr in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Mag. Wilfing. – Bitte.

20.28

Bundesrat Mag. Karl Wilfing (ÖVP, Niederösterreich): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Geschätzte Damen und Herren! Wenn man die vielen Initiativen, die in den vergangenen Jahren von unserem Umweltminister Martin Bartenstein gesetzt wurden, betrachtet, so fällt vor allem


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eines auf: Dank seines Engagements ist der Nationalfeiertag zum Nationalparkfeiertag geworden. Wir alle können uns daran erinnern, daß am 26. Oktober 1996 der Nationalpark Donau-Auen eröffnet wurde und ein Jahr darauf – und deswegen freue ich mich, hier als Weinviertler Mandatar sprechen zu können – der Staatsvertrag gemäß Artikel 15a B-VG am 26. Oktober 1997 in Hardegg im Thayatal für den Nationalpark Thayatal unterschrieben wurde. Schon heute wissen wir, wo wir am 1. Jänner 2000 sein werden, nämlich wieder in Hardegg, weil wir das nächste Jahrtausend mit der Eröffnung des Nationalparks Thayatal beginnen wollen.

Es ist daher heute ein stolzer Tag für uns, weil wir auch hier im Bundesrat darüber befinden können und weil damit langjährige Initiativen endlich zu einem positiven Abschluß kommen. Man muß hier denjenigen danken, die – auch ausgehend von tschechischer Seite, auf der es heute schon einen Nationalpark gibt – auf österreichischer Seite jene Pioniere waren, die zuerst für Naturschutzgebiete und später für die Nationalpark-Idee eingetreten sind. Gerade im Vergleich mit anderen Nationalparks läßt sich feststellen, daß es im Thayatal mit viel Fingerspitzengefühl hervorragend gelungen ist, daß nicht nur die Bürgermeister und Gemeinderäte, sondern die gesamte Bevölkerung, auch die Vereine und – mit Ausnahme eines letzten, der sich noch ablehnend verhält – jetzt auch alle Grundbesitzer für den Nationalpark Thayatal eintreten. Ich bin mir sicher, daß wir auch in letzterer Hinsicht noch eine Lösung zustande bringen werden.

Dank gebührt hier – ich möchte da bewußt einen Namen nennen – vor allem Bürgermeister Norbert Kellner aus Hardegg. Er ist schon seit mehr als zehn Jahren für diese Idee eingetreten, er hat für diese Idee gekämpft und nun endlich mit Martin Bartenstein und Erwin Pröll jene Partner gefunden, die mit ihm gemeinsam dieses Ziel realisiert haben.

Ich möchte auch dafür danke sagen, daß das Thayatal in den letzten Jahren vom Umweltministerium und der niederösterreichischen Landesregierung gemeinsam nicht nur für den Nationalpark zu einem Schwerpunkt gemacht wurde, sondern daß dort in der Riegersburg vor drei Jahren bewußt auch die letzte Landesausstellung abgehalten wurde, weil wir die Nationalpark-Idee mit der Idee des sanften Tourismus koppeln wollten. Wir wissen eben, daß in dieser herrlichen Tallandschaft, verbunden mit vorzüglichen Wanderwegen und einladenden Buschenschenken, die selbst bei einer Alkoholgrenze von 0,5 Promille immer noch eine Reise wert sind, darüber hinaus nun auch viele weitere Ideen Platz greifen sollen.

Wir brauchen nur daran zu denken, daß noch im heurigen Jahr der KTM-Radweg – Kamp-Thaya-March – eröffnet wird. Damit werden wir auch erreichen, daß in Zukunft viele Touristen über den Radtourismus hinaus diese herrliche Landschaft betrachten können. Es ergeben sich dadurch für diese Region hart an der tschechischen Grenze viele Zukunftschancen. Wir haben heute schon sehr lange und sehr ausführlich über verschiedenste Möglichkeiten wirtschaftlicher Entwicklung in diesem Gebiet gesprochen.

Diese Tallandschaft ist aufgrund einer Vielzahl von Lebensräumen und des großen Artenreichtums von hohem ästhetischen und ökologischen Wert. Wir werden hoffentlich sehr bald von den 1 330 Hektar zu einem Ausmaß von 1 700 Hektar auf österreichischem Gebiet kommen, das – wie ich schon gesagt habe – um die 6 300 Hektar, die in Tschechien schon als Nationalpark eingerichtet worden sind, ergänzt wird.

Ich bin glücklich darüber, daß wir heute auch im Bundesrat ja zum Nationalpark Thayatal und zur Errichtung der GesmbH sagen können, und ich weiß, wo ich am 1. Jänner 2000 sein werde: im Nationalpark Thayatal. – Danke. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

20.32

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Markowitsch. – Bitte.

20.33

Bundesrätin Helga Markowitsch (SPÖ, Niederösterreich): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der Unterzeichnung des 15a-Vertrages für den Nationalpark Thayatal durch Landeshauptmann Erwin Pröll und die Minister Martin Bartenstein sowie Rudolf Edlinger am Nationalfeiertag 1997 – Kollege Wilfing hat das bereits erwähnt –


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wurde binnen Jahresfrist nach den Donau-Auen der zweite Nationalpark in Niederösterreich "amtlich".

Neben den regionalpolitischen Vorteilen des Nationalparks tragen Initiativen wie dieses bilaterale Projekt dazu bei, die jahrzehntelange Erstarrung an den Grenzen zu den Reformländern aufzuweichen. Denn neben der Verantwortung, die Naturjuwele des Landes zu erhalten, sind die Zukunftsperspektiven für die Region, die vier Jahrzehnte durch den Eisernen Vorhang ins Abseits gedrängt war, sehr wichtig. Durch 30 bis 50 Millionen Schilling zusätzliche Kaufkraft jährlich sind wichtige Impulse zu erwarten. Diese erwartete Umwegrentabilität und der wirtschaftliche Nutzen für die Region sprechen eindeutig für den Nationalpark. Immerhin sind mittel- bis langfristig 40 000 bis 110 000 Besucher beziehungsweise Tagesgäste pro Jahr und 6 000 bis 12 000 Nächtigungen mit entsprechenden zusätzlichen Umsätzen in der Region zu erwarten.

Das Nationalparkgesetz soll am 1. Jänner 1999 in Kraft treten. Die für die Verwaltung des Areals zuständige Nationalparkgesellschaft wird am 1. Jänner 1999 eingesetzt, und die Eröffnung ist für Anfang 2000 geplant. Der Nationalpark Thayatal soll in der Anfangsphase 1 330 Hektar umfassen und später auf bis zu 1 700 Hektar anwachsen. Ab Anfang 2000 werden auch die Zoneneinteilung und die Grenzen des Nationalparks Thayatal gelten. Die Verwaltung des Nationalparks übernimmt eine gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Anteile der Bund und das Land Niederösterreich je zur Hälfte halten.

Diese Nationalparkgesellschaft Thayatal GesmbH soll die Errichtung und Verwaltung des Nationalparks Thayatal durchführen und wird mit 1. Jänner 1999 gegründet. Geplant ist, einen regionalen Beirat einzurichten. Die Errichtungskosten werden mit bis zu 12 Millionen Schilling festgelegt, der laufende Betrieb darf höchstens 8 Millionen Schilling pro Jahr kosten. Die jährlichen durchschnittlichen Kosten für den laufenden Betrieb des Nationalparks Thayatal werden für den Bund rund 4 Millionen Schilling betragen.

"Das Thayatal zählt zu den letzten naturnahen Tallandschaften Mitteleuropas", heißt es in einem Gutachten von Gerhard Heiss, Mitglied der internationalen Nationalpark-Kommission. "Das Gebiet hebt sich unter den bestehenden europäischen Nationalparks einzigartig durch das geomorphologische Phänomen eines beeindruckend ausgeprägten Umlaufberges heraus, das bisher noch mit keinem europäischen Nationalpark geschützt ist", wird in der IUCN-Studie ausgeführt. Das Thayatal verdient also als Teil des weltweiten Naturerbes höchsten Schutz. Auch wegen der Vielzahl an Lebensräumen und des großen Artenreichtums – im Thayatal wurden über 700 Pflanzenarten und über 80 Brutvogelarten, darunter der so seltene Schwarzstorch, nachgewiesen – wurde das Gebiet als nationalparkwürdig eingestuft.

Hier heimische Vertreter gefährdeter Tierarten sind unter anderem der Fischotter, der Wanderfalke, der Wespenbussard, die Äskulapnatter, die Smaragdeidechse sowie mehrere Käfer- und Schmetterlingsarten, darunter der Thayatal-Apollofalter. Zu den seltenen Pflanzenarten gehören Orchideenarten wie das Kleine Knabenkraut und das Brand-Knabenkraut, die auf ebenfalls selten gewordenen Trockenrasen wachsen. Im Thayatal ist die Vielfalt der Lebensräume auf engstem Raum beachtlich. Sie reicht von flußbegleitenden Augehölzen und Wiesen über verschiedene Typen von Laubmischwäldern bis hin zu Komplexen aus Felsfluren, Trockenrasen und Gebüschen.

Aus raumordnungspolitischer Sicht kommt dem Nationalpark Thayatal als wichtigem Imageträger der Region zentrale Bedeutung zu. Hardegg ist mit 80 Bewohnern und 125 Häusern Österreichs kleinste Stadt (Bundesrat Meier: Falsch!), blickt aber auf eine kulturhistorisch sehr interessante Vergangenheit zurück. Die Großgemeinde Hardegg besteht aus neun Gemeinden und hat zusammen 1 800 Einwohner. Neben den touristischen Attraktionen der Nationalparkregion auf österreichischer Seite – Burg Hardegg, Schloß Riegersburg, Stadt Retz, Stift Geras – sind auch Ausflugsziele auf tschechischer Seite – Burg und Stausee Vranov, Stadt Znajm – in der Regionalentwicklung von Interesse.

Bereits seit Jahren liegt eine gemeinsame Rad- und Wanderkarte auf. Schon jetzt gibt es innerhalb der Region mehrere Aktivitäten, die sich die Förderung von qualitätsorientiertem Fremden


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verkehr, das Marketing regionaler ökologischer Produkte sowie die Präsentation der Region in den Medien zum Ziel gesetzt haben. Direkte positive regionalwirtschaftliche Effekte durch Ausgaben der Nationalparkbesucher einerseits sowie durch Investitionen in die notwendige Nationalpark-Infrastruktur andererseits werden ebenfalls erwartet.

Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß es in Niederösterreich gelungen ist, diesen Nationalpark zu beschließen. Ich wünsche ihm viel Erfolg und bitte um Ihre Zustimmung zu dieser Regierungsvorlage. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

20.39

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Gudenus. – Bitte.

20.39

Bundesrat Mag. John Gudenus (Freiheitliche, Wien): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Die beiden vorliegenden Entschließungen finden selbstverständlich unsere große Zustimmung. Ich will auch die Gründe dafür erläutern.

Der nun realisierte Thayatal-Nationalpark ist nicht nur im umweltpolitischen Sinne, sondern auch im regionalpolitisch-ökonomischen Sinne von großer Bedeutung. Dieses bilaterale Projekt trägt mit dazu bei, die jahrzehntelange Erstarrung an der Grenze etwas aufzulockern. Wir haben die Verantwortung gegenüber der Natur und müssen gleichzeitig dazu betonen, daß der Nationalpark Thayatal aufgrund der Verbindung zwischen Umweltschutz und Förderung der soziopolitischen und ökonomischen Rahmenbedingungen für diese benachteiligte Region von großer Bedeutung ist.

Meine Damen und Herren! Ich habe jetzt zum Großteil die Presseaussendung von Frau Kollegin Markowitsch zitiert, da sie schon um 19 Uhr bekanntgegeben hat, was sie reden wird. (Bundesrat Prähauser: Ein Zeichen dafür, daß sie sich vorbereitet hat!) Dabei ist das, was sie gesagt hat, nicht unrichtig. Ich habe es mir nur durch Verwendung einiger Zitate aus dieser Presseaussendung leichtgemacht. Um 19 Uhr gesagt – Sie sind etwas später drangekommen, und da habe ich mir gedacht, ich bringe das eben vor. (Bundesrat Dr. Tremmel: Du hast die Zustimmung, wenn du die gleiche Presseaussendung hast!)

Widersprechen muß ich aber, wenn Nationalparks zu stark mit fremdenverkehrspolitischen Ambitionen in Zusammenhang gebracht werden. Gerade das ist nicht die Aufgabe von Nationalparks, wenn man dem die internationale Nationalpark-Idee zugrunde legt. (Bundesrat Dr. Linzer: Auch! Auch!) Nicht in erster Linie, sondern – wie ich gesagt habe – begrenzt. In Amerika gibt es in den Nationalparks eine Personenbegrenzung, eine wöchentliche, eine monatliche und eine jährliche. Also richten wir nicht unsere Absichten oder unsere Überlegungen nur auf den Fremdenverkehr, denn das wäre gegen die Idee des Nationalparks!

Die Frau Kollegin hat von den 700 Pflanzenarten berichtet, von den 80 Brutvogelarten und x anderem, was da kreucht und fleucht. Also mißbrauchen wir bitte den Nationalpark nicht wie ein "Disneyland" oder wie einen "Jurassic Park"! Das soll es nicht werden. Ich glaube, das ist doch so, Herr Bundesminister? (Bundesminister Dr. Bartenstein: Vielleicht auch!)  – Auch, sagen Sie; soll so sein. (Bundesrat Ing. Penz: Die Amerikaner kommen mit Autobussen!)

Aber passen wir auch auf, meine Damen und Herren! Geplant sind zwei weitere Nationalparks, nämlich jene von Kalkhochalpen und Gesäuse. Wenn diese insgesamt vier Nationalparks geschaffen sind und unter einer Direktion stehen, sind 3 Prozent des österreichischen Staatsgebietes Nationalpark. Ich möchte nur – ohne mich gegen diese Nationalparks aussprechen zu wollen, das auf keinen Fall – sagen und aufrufen: Achtung, halt! Nicht zuviel Nationalpark! Denn mit diesen Nationalparks sind gewisse Anforderungen verbunden, die nicht unterschritten werden dürfen. Es ist schon der Nationalpark Donau-Auen, wie ich vor einem Jahr sagen konnte, ein Problem, weil er wirklich das Naherholungsgebiet Wiens darstellt. Diese Probleme sind – wie vorher schon gesagt – nicht Probleme eines Nationalparks, sondern sie können zum Problem für einen Nationalpark werden, und zwar derart, daß er dann die Aufgabe nicht mehr erfüllen kann.


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Selbstverständlich bleibt es nicht aus, daß Landeshauptmann Pröll mit der Errichtung des Nationalparks Thayatal Signale verknüpft. Ich weiß nicht, welche Signale das sind, aber es ist im Wahlkampf eben so: Man erkennt überall Signale – möglicherweise auf Grün, damit es weitergeht, und nicht auf Rot. Herr Minister Edlinger wiederum erblickt im Nationalpark eine Gesinnungsfrage, meine Damen und Herren – eine besonders edle Ausdrucksweise, im Nationalpark die Gesinnung zu erkennen! Ich kann mich dem nur anschließen und bin in diesem Fall der gleichen Gesinnung wie Herr Minister Edlinger. (Bundesrat
Konečny: Das sage ich ihm aber!) Da wird Herr Minister Edlinger Freude haben, das sage ich auch.

Etwas, das an diesem Nationalpark doch ein wenig irritieren sollte, ist der Zusammenschluß mit einem Park nördlich der Thaya, der in Tschechien entstanden ist, mit ungeklärten Rechtsverhältnissen. Dort gibt es Enteignete und Vertriebene, deren ehemals in ihrem Eigentum stehender Grund und Boden vor jetzt schon längerer Zeit Nationalpark geworden ist und die infolgedessen noch weniger Chancen haben, ihn zurückzubekommen. Unsere österreichischen Grundbesitzer, die ihre Grundstücke in den Nationalpark eingebracht haben, wurden, so glaube ich, finanziell sehr gut abgepolstert, sodaß sie die Möglichkeit, ihren Boden nicht mehr wie ehedem bewirtschaften zu können, leichter missen können. Aber die Betroffenen drüben in Tschechien, seien es Vertriebene oder seien es noch dort ansässige Tschechen, haben damit sicherlich ihre Probleme. (Präsident Bieringer übernimmt den Vorsitz.)

Es ist überhaupt die Frage, wie es zu einem Nationalpark kommt. Ein solcher Nationalpark wurde natürlich an einem Ort, an einer Stelle geschaffen, welche schon von den Grundbesitzern her in einem so tadellosen Zustand war, daß es überhaupt einen Anlaß gegeben hat, diese Grundstücke als Nationalpark zu widmen. Wäre es eine reine Gstätten gewesen, ein heruntergewirtschafteter, ausgeplünderter Wald mit keinen 700 Pflanzenarten und keinen 80 Brutvogelarten, dann hätte man in diesem Gebiet niemals einen Nationalpark schaffen können. Zu würdigen sind daher besonders jene Leute, die diesen Grund und Boden bisher so bewirtschaftet haben, daß man dort mit geringen Umstellungsproblemen einen Nationalpark schaffen und die entsprechenden Umwidmungen vornehmen konnte.

In diesem Sinne wünschen wir diesem Nationalpark – wie auch den anderen – viel Glück und nicht zuviel Fremdenverkehr! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

20.46

Präsident Ludwig Bieringer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesminister Dr. Martin Bartenstein. Ich erteile es ihm.

20.46

Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie Dr. Martin Bartenstein: Herr Präsident! Meine Damen und Herren des Bundesrates! Bei allem Optimismus für die Entwicklung des Nationalparkes Thayatal und der dortigen Radwege wird es meiner Ansicht nach noch einige Zeit dauern, bis man unter "KTM-Radweg" den Kamp-Thaya-March-Radweg versteht und nicht zuerst einmal an eine Motocross-Strecke denkt, was im Zusammenhang mit einem Nationalpark von besonderer Pikanterie wäre.

Aber Scherz beiseite, meine Damen und Herren! Ich meine, daß die Entwicklung der Nationalparks in Österreich sehr erfreulich ist. Ich freue mich über die breite Zustimmung, daß auch die Freiheitlichen heute hier dieses Projekt mittragen können, wie Herr Bundesrat Gudenus angekündigt hat. Ich halte es auch für gut, daß hier gesagt wird, daß man mit meinem Kollegen Edlinger einer Meinung ist. Auch ich bin mit ihm einer Meinung, nicht nur hier, aber vor allem auch hier. Es hat mich sehr gefreut, daß der Finanzminister – nicht zuständigerweise, aber trotzdem – einen guten Teil des 26. Oktober geopfert oder aufgewendet hat, um auch nach Hardegg zu kommen und mit Landeshauptmann Pröll, mit Landesrat Wagner, mit mir und mit vielen anderen zu feiern.

Was bei solchen Gelegenheiten anzumerken ist, ist selbstverständlich auch der Dank, den Kollege Gudenus angesprochen, der notwendige Dank an die einheimische Bevölkerung, nota bene vor allem an die Grundbesitzer – einen gilt es noch zu überzeugen –, weil nur in einer


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gemeinsamen Aktion, die nicht über einige Wochen, sondern immer erst über einige Jahre aufgebaut werden kann, ein Nationalparkprojekt zum Erfolg werden kann.

Dabei muß ich eines schon sagen: Im Verhältnis zu dem, was ich rund um den Nationalpark Kalkalpen und rund um den Nationalpark Donau-Auen – vor allem von den Nordufer-Gemeinden – gehört habe, ist die Harmonie in und um Hardegg besonders groß. Das ist erfreulich.

Lassen Sie mich kurz eine Anmerkung zu dem Widerspruch machen, den Herr Bundesrat Gudenus bei den Themen Nationalpark und/oder Tourismus gesehen hat. Das muß kein Widerspruch sein. Wenn wir uns auf der einen Seite klar dazu bekennen, daß der Naturschutzgedanke prioritär die Grundlage des Nationalparks sein muß – die hoffentlich ewige, aber jedenfalls sehr langfristige Sicherung eines einzigartigen Naturjuwels muß der Grundgedanke eines jeden Nationalparkprojektes sein –, dann darf es schon auch eine touristische Attraktion werden.

Ich möchte anhand eines Salzburger Beispieles erwähnen, daß das nicht zu Lasten, sondern zugunsten der Natur geschehen kann. Ich denke an einen Besuch mit dem ehemaligen Salzburger Landeshauptmann Hans Katschthaler im Rauriser Tal, in Kolm-Saigurn, wo er sagte – er hatte sich für den Nationalpark Hohe Tauern schon zu einer Zeit stark engagiert, als der Widerstand noch groß war –, daß das Talende rund um das Naturfreunde-Haus, also dort, wo es mit der Materialseilbahn hinauf auf den Sonnblick geht, in früheren Zeiten auch schon von Hunderten, vielleicht Tausenden Autos verparkt war. Sie hören recht: Der dortige Almboden war mit Autos einfach zugeparkt!

Das hat man abgestellt. Man kann jetzt zu Fuß dorthin gehen, und das Ganze ist wunderschön geworden. Die Region wird nicht weniger von Bergsteigern und Touristen genutzt, aber es ist ein gerichteter Besucherstrom, es gibt ein ökologisches Verkehrsmanagement, und in der Kernzone haben Verkehrsmittel, haben Autos nichts mehr verloren. Ähnlich ist das auch anderswo. Wenn es zuviel wird, dann werden wir es beschränken.

Ich bin überzeugt, Herr Bundesrat Gudenus, daß dann, wenn einmal so viele Leute in den Nationalpark Thayatal kommen, wie in den Yosemite-Nationalpark oder in den Yellowstone-Nationalpark einfallen, die künftig tätige Geschäftsführung der Nationalparkgesellschaft – letztere wird sehr kostengünstig und schlank errichtet werden – schon die entsprechenden Maßnahmen setzen wird, um dem Schutz der Natur Priorität zu gewähren.

Ich bedanke mich schon im vorhinein für die Zustimmung des Bundesrates zu diesem wichtigen, dem nunmehr fünften Nationalparkprojekt Österreichs: Nationalpark Hohe Tauern, Nationalpark Neusiedler See – Seewinkel, Nationalpark Donau-Auen, Nationalpark Kalkalpen und jetzt der Nationalpark Thayatal. Damit ist jetzt bis auf weiteres ohnehin Schluß, sodaß ein Zuviel an Nationalparken – so Ihre erste Sorge, Herr Bundesrat Gudenus – nicht sein muß. Ich würde mich freuen, wenn gerade in meinem Heimatland, der Steiermark, im wunderschönen Gesäuse in absehbarer Zeit auch ein Nationalpark errichtet werden könnte.

Weitere Nationalparkprojekte, die in absehbarer Zeit realisierbar und auch finanzierbar sind, sehe ich aus heutiger Perspektive nicht. – Danke schön. (Allgemeiner Beifall.)

20.51

Präsident Ludwig Bieringer: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Auch das ist nicht der Fall.

Die Abstimmung über die vorliegenden Beschlüsse des Nationalrates erfolgt gesondert.

Wir kommen zur Abstimmung über den Beschluß des Nationalrates vom 25. Februar 1998 betreffend ein Bundesgesetz über die Gründung und Beteiligung an der Nationalpark Thayatal GmbH.


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Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Beschluß des Nationalrates vom 25. Februar 1998 betreffend eine Vereinbarung gemäß Artikel 15a B-VG zwischen dem Bund und dem Land Niederösterreich zur Errichtung und Erhaltung eines Nationalparks Thayatal samt Anlage.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

9. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 26. Februar 1998 betreffend ein Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten samt Erklärung (889 und 1067/NR sowie 5647/BR der Beilagen)

Präsident Ludwig Bieringer: Wir gelangen nun zum 9. Punkt der Tagesordnung: ein Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten samt Erklärung.

Die Berichterstattung hat Herr Bundesrat Alfred Schöls übernommen. Ich bitte um den Bericht.

Berichterstatter Alfred Schöls: Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Hohes Haus! Der Bericht des Ausschusses für Verfassung und Föderalismus über den Beschluß des Nationalrates betreffend ein Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten samt Erklärung liegt auf.

Ich kann auf die Verlesung verzichten und darf im Auftrag des Ausschusses den Antrag stellen, 1. dem gegenständlichen Beschluß des Nationalrates gemäß Artikel 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen, 2. gegen den Beschluß des Nationalrates, gemäß Artikel 50 Abs. 2 B-VG den gegenständlichen Staatsvertrag durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen, keinen Einspruch zu erheben.

Präsident Ludwig Bieringer: Ich danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach. Ich erteile es ihr.

20.54

Bundesrätin Anna Elisabeth Haselbach (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Zu einem geschichtsträchtigen Termin kommt das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten nach dem Beschluß des Nationalrates nun endlich auch in den Bundesrat. Das ist deshalb so erfreulich, weil damit ein Rechtsinstrument geschaffen wird, das sicherlich dazu führen wird, innerstaatlich weitere Verbesserungen im Rahmen unserer Volksgruppenpolitik zu ermöglichen und voranzutreiben.

Es steht außer Zweifel, daß vieles getan wurde und vieles getan wird, aber aufgrund sich ständig ändernder gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Interdependenzen auch in Zukunft noch vieles zu tun sein wird. Kaum jemand bezweifelt die positive Wirkung kultureller Vielfalt. Dazu bedarf es aber der Förderung, die es ermöglicht, die eigene, von den Eltern ererbte Identität zu


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leben und gleichzeitig die Identität der Mehrheitsbevölkerung nicht als aufgezwungen, sondern als ebenfalls mitlebbar zu empfinden.

Wir Österreicher haben aus den grauenhaften Ereignissen, die im Gefolge des März 1938 über uns hereingebrochen sind, gelernt. Wir haben eine gefestigte Demokratie. Die Werte der Toleranz, der Menschenrechte und der Menschenwürde sind weitgehend in uns verwurzelt. Doch Verführer können in schlechten Zeiten immer wieder eine Gefolgschaft rekrutieren. Daher müssen wir immer und immer wieder dort, wo Diskriminierung oder eine Einschränkung der Chancengerechtigkeit möglich ist, diese durch gesetzliche Regelungen hintanhalten. Jede Vertiefung der Demokratie, meine Damen und Herren, jede Erleichterung des Zugangs zur Ausbildung, zu kulturellem Selbstbewußtsein und zu sozialer Integration verhindert ein Abgleiten in Rassismus und chauvinistischen Nationalismus oder auch das Ausgrenzen von bestimmten Gruppen.

Meine Damen und Herren! Dieses Rahmenabkommen ist die erste rechtsverbindliche, multilaterale Übereinkunft, die dem Schutz von Minderheiten in einem Staatsgebiet gewidmet ist. Nichts hätte uns die Notwendigkeit eines Bekenntnisses zu den Rechten von nationalen Minderheiten deutlicher zeigen können als die furchtbaren Ereignisse am Balkan in Vergangenheit und Gegenwart.

Als sich der Zusammenbruch der kommunistischen Regime abzeichnete, stellte Alain Minc folgende provokante Fragen – ich zitiere –: Wer kann ernsthaft versichern, die Bulgaren werden nicht nach Thrakien schielen, die Ungarn nicht in Siebenbürgen den Aufstand schüren, die Moldawier nicht den Anschluß an Rumänien verlangen und die Slowenen nicht unruhig werden? Wer kann sagen, auf dem Balkan werde es zwischen Serben, Kroaten und Slowenen, zwischen Orthodoxen und Mohammedanern nicht zum Kochen kommen, Vilnius werde für die Polen nicht wieder Wilna heißen und die Ukraine sich nicht an Europa anschließen wollen? – Soweit die Fragen von vor nahezu zehn Jahren.

Nicht alles ist so gekommen, aber einiges doch, und zwar noch grauenhafter und unmenschlicher, als wir es Ende des 20. Jahrhunderts zu denken gewagt hätten. Erinnern wir uns: Nach dem Tod des Kommunismus hat sich eine ideologische Wüste ausgebreitet und wirtschaftliche Ernüchterung eingestellt. Vor einem derartigen Hintergrund sind Nationalisten und Populisten sofort zur Stelle. Die Renaissance des Nationalismus, die wir beobachten mußten, war häufig fanatischer, haßerfüllter und gewalttätiger, als man es sich vorstellen konnte. Irredentismus feierte Wiederauferstehung aufgrund geographischer und geschichtlicher Absurditäten. Denn, meine Damen und Herren, Grenzen haben nicht immer Gründe, die sich aus der Landschaft ergeben, wie zum Beispiel die Pyrenäen. Viel häufiger sind sie Produkte von Zufall und Ungerechtigkeit. Nichts legitimiert so manche Grenzziehungen, nichts die rücksichtslose Zerstückelung einiger Territorien durch Stalin.

Jetzt, nachdem es die politische Ordnung nicht mehr gibt, die dazu geführt hat, bleiben allein die vollendeten Tatsachen bestehen. Was, meine Damen und Herren, kann man einem Bedrängten, der in der Irredenta die Lösung seiner Probleme zu erkennen glaubt, entgegenhalten, außer einem Appell an die Vernunft, indem man klarmacht, daß diese geäußerten Wünsche zu Unruhen führen müssen? – Der gesunde Menschenverstand als Pflaster auf den Wunden, die die Geschichte geschlagen hat oder die von noch regierenden machtbesessenen Potentaten geschlagen werden, ist aber, wie ich meine, eine unsichere Methode.

Wer aber hat die Macht, zu intervenieren, meine Damen und Herren? Wer legitimiert wen? Kraft welchen Rechts mischt man sich ein? – Die alte, traurige Methode der Nichteinmischung in sogenannte innerstaatliche Konflikte wird heute von der den Menschenrechten verpflichteten Völkergemeinschaft nicht mehr durchgängig akzeptiert. Zu lange hat die Zeit des kalten Krieges Unbeweglichkeit gefördert: Man konnte sich das Nachdenken über Lösungsansätze ersparen, die Einflußgebiete waren klar abgesteckt, und jede Einmischung hätte das fragile Gleichgewicht erheblich gestört.

Das letzte Jahrzehnt hat uns jedoch in aller Grausamkeit gezeigt, daß das Repertoire an Ideen und Strategien zur Konfliktbeilegung vergrößert, aber auch erneuert werden muß. Es ist zuge


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gebenermaßen schwer, in Anbetracht der doppelten Herausforderung einer ebenso internationalistischen wie nationalistischen Umwelt klug zu reagieren. Wir können aber durchaus zufrieden feststellen, daß Mechanismen gefunden wurden, die auf eine friedliche Entwicklung im europäischen Osten und Südosten hoffen lassen. Die OSZE leistet auf diesem Gebiet Großes, der Europarat bewältigt die neuen Herausforderungen beachtenswert, und die Projekte der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung helfen, letztendlich von Armut und Not zu befreien. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit fördert das gegenseitige Verstehen und beeinflußt die Chancen von Volksgruppen auf Pflege ihres kulturellen Erbes in ganz besonderem Maße.

Zu diesen wenigen genannten Beispielen für ein besseres Zusammenleben gesellt sich nun das heute vorliegende Rahmenabkommen zum Schutz nationaler Minderheiten. Wenn alle Maßnahmen wie Zahnräder ineinandergreifen, dann werden wir eine Weiterentwicklung der neuen Demokratien auch im Sinne der von uns als selbstverständlich erachteten Menschenrechte erreichen können.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Schluß noch auf einen Vorwurf, den man immer wieder hört, eingehen: Es wird von vielen Seiten bedauert, daß man in diesem Abkommen nur den kleinsten gemeinsamen Nenner für Verpflichtungen gefunden hat. Ich glaube, wir sollten dabei aber bedenken, daß wir, wenn wenigstens dieser kleinste gemeinsame Nenner in vielen der mittel- und osteuropäischen Länder zum Tragen käme, wesentlich beruhigter in die Zukunft schauen könnten. – Daher wird meine Fraktion den Anträgen des Berichterstatters gerne die Zustimmung erteilen.

Zu guter Letzt: Artikel 6 Abs. 1 des Rahmenabkommens besagt: "Die Vertragsparteien fördern den Geist der Toleranz und des interkulturellen Dialogs und treffen wirksame Maßnahmen zur Förderung der gegenseitigen Achtung und des gegenseitigen Verständnisses sowie der Zusammenarbeit zwischen allen in ihrem Hoheitsgebiet lebenden Menschen, unabhängig von deren ethnischer, kultureller, sprachlicher oder religiöser Identität, und zwar insbesondere in den Bereichen Bildung, Kultur und Medien."

Meine Damen und Herren! Wenn wir allein das in der vollen Bedeutung der verwendeten Worte umsetzen, dann hätten wir Gewaltiges geleistet für ein Zusammenleben in Würde, Anstand und Menschlichkeit! – Danke. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

21.05

Präsident Ludwig Bieringer: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Peter Rieser. Ich erteile ihm dieses.

21.05

Bundesrat Peter Rieser (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Hohes Haus! Österreich war und bleibt ein weltoffenes Land. Viele Tausende Ausländer haben in den letzten Jahrzehnten hier eine neue Heimat gefunden. Ausländische Arbeitnehmer haben in jahrelanger Arbeit hierzulande einen Beitrag zum Fortschritt geleistet und sich persönliche Grundlagen für eine bessere Zukunft in ihrer Heimat geschaffen.

Ihnen allen galt und gilt in gleicher Weise der Schutz, die Vorsorge dieses Staates. Weltoffenheit, soziale Gerechtigkeit gegenüber allen Mitmenschen, aber auch Toleranz und Gewissensfreiheit sind die Kennzeichen einer christlichen alpenländischen Kultur. Sie ist das geistige, wehrhafte Fundament für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft.

Für unsere Fraktion ist die europäische weltoffene Kultur des Verstandes und des Herzens auch Grundlage jeglichen politischen Handelns und des friedlichen Zusammenlebens der Menschen. Christentum, Humanismus und Aufklärung gebieten Toleranz. Diese Werte wollen wir erhalten, Weltordnung und Toleranz müssen wir auch respektieren. Wir schaffen Anlässe, daran zu erinnern, wir diskutieren darüber und besinnen uns in diesem Sinne: Die Frau Vizepräsidentin hat in ihren Ausführungen treffend auch das Jahr 1938 erwähnt, ebenso hat heute zu Beginn dieser Sitzung der Herr Bundespräsident das Schicksal dieser Zeit geschildert.


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Die EU steht als Wohlstandszone in Europa unter wachsendem Zuwanderungsdruck. In einem Wirtschafts- und Rechtsraum ohne Binnengrenzen lassen sich Wanderungen nur EU-weit beherrschen und regeln. Deshalb brauchen wir eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik, in der gesamteuropäische Interessen vertreten werden. Unser Europa kann nur dann in Freiheit und Frieden weiterleben, wenn es die Kraft zur Einigung findet. Ein geeintes Europa war und bleibt für uns nach den Katastrophen dieses Jahrhunderts eine grundlegende Voraussetzung für eine gesicherte Zukunft aller Völker. Nur ein bürgernahes, starkes und entscheidungsfähiges Europa bewahrt den Völkern unseres Kontinents ihre Unabhängigkeit und sichert ihre weltpolitische Handlungsfähigkeit. Die großen Zukunftsaufgaben Europas lassen sich nicht mit dem Mittel des nationalen Staates allein lösen. Europa muß gemeinsam Frieden und Freiheit sichern. Es kann nur gemeinsam die Sicherung und Erhaltung unserer Exportmärkte gewährleisten, die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, vor allem gegenüber den technischen, industriellen Hochleistungsregionen Nordamerikas und des Fernen Ostens, stärken und so den Wohlstand sichern.

Hohes Haus! Gemeinsam mit unseren westlichen Partnern müssen wir Wege finden, den jetzt freien Völkern Mittel-, Ost- und Südeuropas die geistige, politische und wirtschaftliche Heimkehr nach Europa zu ermöglichen. Es bedarf der gemeinsamen Anstrengung des gesamten Westens, um den demokratischen Kräften in den ehemals kommunistisch beherrschten europäischen Staaten zu dauerhaftem Erfolg zu verhelfen. Dies ist eine vordringliche gesamteuropäische Aufgabe. Die Stabilität der eigenen Währung, das Wachstum der eigenen Wirtschaft, die Sicherheit des eigenen sozialen Systems, aber auch eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die ein wirkungsvolles Krisenmanagement miteinschließt, sind Voraussetzungen dafür, daß die Europäische Union anderen zu helfen imstande ist.

Als christliche Partei treten wir stets für das Recht auf die angestammte Heimat als unabdingbares Menschenrecht ein und verurteilen jede Form von Vertreibung. Eine freie, friedliche und gerechte Ordnung in Europa erfordert zwingend die Schaffung eines international verbrieften Volksgruppenrechtes und eines durchsetzbaren Minderheitenschutzes. Dafür müssen wir mit aller Kraft kämpfen, denn ohne Sicherung dieser Rechte wird es keine gerechte und dauerhafte Friedensordnung auf unserem Kontinent geben.

Diese Rechte müssen vor dem Europäischen Gerichtshof einklagbar sein. Neben der religiösen finden wir die sprachliche und nationale Gemeinschaft. Es gibt heute nur wenige Staaten, die restlos einsprachig sind. Wenn wir auch über die verschiedenen Sprachen diskutieren, so glauben wir doch, daß mehrere Sprachen und deren Kenntnis auch eine Bereicherung sind. Sie eröffnen denjenigen, die in einer gemischt nationalen Gegend leben, neue Horizonte und geben ihnen nicht nur das nötige Wissen, um die Eigenheit anderer Völker kennenzulernen, sondern verleihen in diesem Geiste auch den Schliff für die Entfaltung großer Möglichkeiten. Der Kampf, der immer wieder um die Sprache in den Schulen tobt, ist weitgehend unberechtigt, denn gerade mehrsprachiger Unterricht bereitet junge Menschen besser auf das Leben vor.

Hohes Haus! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Franz Josef Strauß hat einmal gesagt: Europa endet für uns weder an einem Fluß noch an einem Gebirge. Europa steht, wo Freiheit und Menschenrechte sind, und endet, wo die Wertegemeinschaft freier Völker nicht mehr gilt. – Die europäische Nation muß auf Souveränität nicht verzichten. Denn nur, wenn Europa in der Außen- und Sicherheitspolitik als Kontinent handlungsfähiger wird, werden wir unsere Rechte und Interessen in der Welt angemessen wahren. Der Binnenmarkt ohne Grenzen kann nur mit gemeinsamen sozial- und umweltpolitischen Mindeststandards funktionieren. Dazu muß auch die Bekämpfung der Kriminalität und natürlich auch der Drogen für uns oberstes Gebot sein.

Europa kann nur in Frieden und Freiheit seinen Weg ins nächste Jahrtausend gehen, wenn es die Kraft findet, gemeinsam zu handeln und das Werk seiner Einigung fortzusetzen. Die Erfahrung bestätigt diese Einsicht. – Unsere Fraktion wird diesem Entwurf gerne die Zustimmung geben. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

21.13


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637. Sitzung / Seite 155

Präsident Ludwig Bieringer:
Als nächster hat sich Herr Bundesrat Professor Dr. Peter Böhm zu Wort gemeldet. Ich erteile ihm dieses.

21.13

Bundesrat Dr. Peter Böhm (Freiheitliche, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Geschätzte Damen und Herren des Hohen Hauses! Dem vom Europarat beschlossenen Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten wird auch meine Fraktion ihre Zustimmung nicht versagen. Denn es steht – wie bereits erwähnt wurde – durchaus außer Zweifel, daß allein schon die Tatsache des Zustandekommens eines solchen Übereinkommens einen historischen Fortschritt gegenüber dem bis heute unveränderten und überaus beklagenswerten Zustand auf dem Gebiet des europäischen Volksgruppenrechts und des internationalen Rechtsschutzes nationaler Minderheiten bedeutet. Handelt es sich dabei doch um das erste verbindliche multilaterale Abkommen, das dem Schutz von Minderheiten im allgemeinen gewidmet ist.

In diesem Sinn ist positiv hervorzuheben, daß bereits in der Präambel der Schutz nationaler Minderheiten mit der Wahrung und mit der Entwicklung der Menschenrechte und Grundfreiheiten verknüpft wird. Demgemäß wird dieses Anliegen in Artikel 1 ausdrücklich zum Bestandteil des internationalen Schutzes der Menschenrechte erklärt. Der Schutz dieser Rechte fällt daher nicht länger in die domaine réservé der Staaten, also in deren rein innere Angelegenheiten und somit in einen Bereich, der ausschließlich den Nationalstaaten vorbehalten ist.

In der Präambel wird auch hervorgehoben, daß eine wahrhaft demokratische Gesellschaft die ethnische, kulturelle, sprachliche und religiöse Identität der Angehörigen einer nationalen Minderheit zu achten habe. Damit jedoch nicht genug, denn es kann nicht allein um die formale Achtung gehen, wie sie in Artikel 4 Abs. 1 mit dem Verbot jeglicher Diskriminierung aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit und in Artikel 6 Abs. 2 mit dem Schutz vor diskriminierenden, feindseligen oder gewaltsamen Handlungen verankert wurde. Vielmehr bedarf es auch geeigneter materialer Bedingungen, die es den Angehörigen dieser Minderheit real ermöglichen, ihre Identität zum Ausdruck zu bringen, zu bewahren und zu entwickeln. Daher verpflichten sich die Vertragsparteien gemäß Artikel 4 Abs. 2 dazu, erforderlichenfalls angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um in allen Bereichen des wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Lebens die vollständige und tatsächliche Gleichheit zwischen den Angehörigen einer nationalen Minderheit und den Angehörigen der Mehrheit zu fördern. Nach Artikel 4 Abs. 3 werden solche sozial-kompensatorischen Maßnahmen nicht als Diskriminierung angesehen. Damit ist die sachliche Rechtfertigung der sogenannten "positiven Diskriminierung" angesprochen, die auch in der Diskussion um die Frauenförderungsprogramme eine wesentliche Rolle spielt.

In Artikel 5 Abs. 1 wird diese Zielvorstellung nochmals etwas konkreter ausgeführt und zugleich definiert, was für Angehörige nationaler Minderheiten die wesentlichen Bestandteile – wohl besser: Merkmale – ihrer Identität ausmacht, nämlich deren Religion, Sprache und Traditionen sowie deren kulturelles Erbe. Von vorrangiger Bedeutung scheint mir auch die im Abs. 2 statuierte Selbstverpflichtung der Vertragsstaaten zu sein, unbeschadet der Maßnahmen im Rahmen ihrer allgemeinen Integrationspolitik eine Assimilierung von Angehörigen der Minderheiten gegen ihren Willen zu vermeiden und sie davor zu schützen.

Bemerkenswert ist weiters das Artikel 10 Abs. 2 zugrundeliegende Bestreben, daß in jenen Gebieten, die von Angehörigen nationaler Minderheiten traditionell oder in beträchtlicher Zahl bewohnt werden, die Voraussetzungen dafür sichergestellt werden sollen, daß im Verkehr zwischen den Angehörigen dieser Minderheit und den Verwaltungsbehörden die Minderheitensprache gebraucht werden kann. – Freilich ist nur davon die Rede, daß sich die Vertragsstaaten darum bemühen werden, und auch das nur dann, wenn es die Angehörigen dieser Minderheiten verlangen und dieses Anliegen einem tatsächlichen Bedarf entspricht.

Ferner ist auch der Gebrauch der Minderheitensprache vor Gericht nicht gewährleistet. Aus Artikel 10 Abs. 3 ergibt sich lediglich das Recht des Minderheitsangehörigen, in einer ihm ver


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ständlichen Sprache über die Gründe seiner allfälligen Festnahme und über die Art und den Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung in Kenntnis gesetzt zu werden sowie sich in dieser Sprache zu verteidigen. An dieser Stelle bleibt allerdings ziemlich unbestimmt, welche Verpflichtungen die Vertragsstaaten diesbezüglich tatsächlich übernommen haben.

Damit bin ich bei der negativen Seite der Bilanz angelangt. – Kritisch ist vor allem zu vermerken, daß das Abkommen weithin rein programmatische Bestimmungen enthält, in denen bloß die Zielvorstellungen genannt sind, denen die Vertragsparteien verbunden sind. Sie umschreiben mit anderen Worten kein unmittelbar anwendbares Recht. Somit ist die Umsetzung der in diesem Rahmenübereinkommen festgelegten Grundsätze völlig auf innerstaatliche Rechtsvorschriften angewiesen.

Das Hauptproblem besteht indes im Fehlen jeder Definition, was eine nationale Minderheit ist. Hierfür fehlte unverkennbar der politische Minimalkonsens der Mitgliedsstaaten. Eine einheitliche Begriffsbestimmung war daher realpolitisch nicht erreichbar.

Wen schützt dann aber das Übereinkommen, wenn das Subjekt des Schutzes überhaupt nicht eindeutig festgelegt ist? – In Wahrheit bleibt es den Vertragsstaaten selbst überlassen, konkret zu bestimmen, was eine nationale Minderheit ist und ob es sie folglich auf dem Hoheitsgebiet des betreffenden Staates überhaupt gibt. Somit werden gerade jene Staaten, die einen Bestand von Minderheiten auf ihrem Gebiet leugnen, zuungunsten jener ethnisch-kulturellen Entitäten, die des internationalen Rechtsschutzes am meisten bedürften, nicht ausreichend in die Pflicht genommen. Man muß dabei gar nicht an das Extrembeispiel offizieller politischer Erklärungen der Türkei denken, wonach es gar keine Kurden gebe, weil es sich bei ihnen um sogenannte "Bergtürken" handle. – Mit diesem Hinweis will ich nicht einseitig die ohnehin recht empfindliche Türkei belasten. Ich gebe in diesem Zusammenhang auch zu bedenken, wie es diesbezüglich in Spanien in bezug auf Basken und Katalanen oder in Frankreich in bezug auf Elsässer, Bretonen und Korsen steht.

Ferner folgt aus dem Defizit fehlender Klarstellung, was eine Minderheit im Sinne dieses Übereinkommens ist und welche Minderheiten es somit in den einzelnen Vertragsstaaten gibt, leider ein weiterer erheblicher Mangel: Gemäß Artikel 3 bleibt nämlich spannungsreich in Schwebe, ob sich eine Minderheit allein nach objektiven Merkmalen konstituiert oder ob das zweifellos liberalere Prinzip des subjektiven Bekenntnisses gelten soll. Gewiß liegt es eher auf dessen Linie, wenn das Recht jeder Person proklamiert wird, daß sie frei entscheiden kann, ob sie als einer Minderheit zugehörig behandelt werden möchte oder nicht, und daß dem einzelnen aus dieser Entscheidung beziehungsweise aus der Ausübung der damit verbundenen Rechte keine Nachteile erwachsen dürfen.

Andererseits lautet der einleitende Passus: "Jede Person, die einer Minderheit angehört  ...". – Das ist eindeutig objektiv, das heißt: unabhängig vom eigenen, subjektiven Bekenntnis, formuliert. Demnach stünde es, denkt man beide Prämissen zusammen, den Angehörigen einer Minderheit zwar frei, ob sie die entsprechenden Minderheitsrechte für sich in Anspruch nehmen oder nicht; diese Option wäre aber erst unter der Voraussetzung eröffnet, daß es sich um eine Person handelt, die einer nationalen Minderheit angehört. – Mit anderen Worten ist die subjektive Entscheidung der Person, sich unter diesen Schutz zu stellen, untrennbar mit objektiven, für ihre Identität maßgeblichen Kriterien verbunden.

Meine Damen und Herren! Sie erkennen gewiß die damit aufgeworfene Problematik: Wer bestimmt die für die Ausübung der daran geknüpften Rechte relevante Eigenschaft, einer Minderheit anzugehören? – Zweifellos der jeweilige Vertragsstaat für sein eigenes Hoheitsgebiet, und somit auch jeder Staat, der anhand objektiver Kriterien, die er selbst beurteilt, das Vorhandensein einer Minderheit leugnet. Diese nicht bloß formal-logische petitio principii, sondern dieser meines Erachtens vielmehr polito-logische Zirkel macht wohl die wahre Schwäche des mit dem vorliegenden Übereinkommen erreichten Schutzes jeder wirklich gefährdeten Minderheit überdeutlich.


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Die Republik Österreich hat nicht zuletzt deshalb die völkerrechtlich verbindliche interpretative Erklärung abgegeben, daß für sie unter dem Begriff "nationale Minderheit" im Sinne des Übereinkommens die vom Anwendungsbereich des Volksgruppengesetzes erfaßten Gruppen österreichischer Staatsbürger mit nicht deutscher Muttersprache und eigenem Volkstum zu verstehen sind. – Das ist meines Erachtens sachlich völlig korrekt, doch stellt sich die Frage, ob wir damit nicht eine Einbahnstraße beschritten haben. Auf eine Vorbildwirkung mit Eigendynamik kann man nur hoffen! Denn wie sieht es vice versa mit der altösterreichischen Minderheit deutscher Zunge in Slowenien aus?

Ein weiteres gravierendes Manko des Übereinkommens sehe ich darin, daß man sich erklärtermaßen nicht dazu durchringen konnte, nationalen Minderheiten auch kollektive Rechte einzuräumen. So sehr sich das erneut aus den realpolitischen Gegebenheiten erklärt, insbesondere aus den Abwehrtendenzen jener Staaten, die solchen Minderheitsrechten scharf ablehnend gegenüberstehen, muß doch auf die daraus resultierende innere Brüchigkeit des mit diesem Übereinkommen eben nur scheinbar errichteten effektiven Schutzsystems hingewiesen werden. Ich bin nicht weltfremd und politisch naiv genug, um nicht zu begreifen, daß mit dem vorliegenden Rahmenübereinkommen zweifellos keine europaweit verbindliche Norm erzielbar oder auch nur ernsthaft angestrebt war, die jeden Vertragsstaat dazu verpflichtet, seinen nationalen Minderheiten, in welcher Form auch immer, ob in personeller oder räumlicher Dimension, politische Autonomie zu gewähren.

In diesem Zusammenhang stellt sich eher eine grundsätzliche Frage: Kann es einen echten Schutz nationaler Minderheiten überhaupt geben, wenn man ihn auf die an sich selbstverständlichen, weil schon durch den Gleichheitssatz und das Diskriminierungsverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention verbürgten, individuellen Rechte verkürzt? – Daher bestreite ich entschieden die dem Übereinkommen zugrundeliegende These, daß der Schutz einer nationalen Minderheit allein schon durch den Schutz der Rechte der einzelnen Angehörigen dieser Minderheit erreicht werden kann! Daß das schon rein begrifflich nicht nachvollziehbar ist, wird aus insoweit eindeutigen Aussagen des vorliegenden Dokuments selbst hinlänglich klar. So wird bereits in der Präambel das Ziel beschworen, daß die Entwicklung Europas nicht nur von der Zusammenarbeit zwischen den Staaten abhängt, sondern auch der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen lokalen und regionalen Gebietskörperschaften bedarf. Ferner wird in Artikel 3 Abs. 2 festgelegt, daß die Angehörigen nationaler Minderheiten ihre Rechte und Freiheiten nicht nur einzeln, sondern auch in Gemeinschaft mit anderen ausüben und genießen können.

In der Tat ist die Ausübung von Minderheitenrechten aus der Natur der Sache heraus ein intersubjektiver Prozeß unter gruppenspezifischen Aspekten. Drastisch formuliert: Ich kann nicht als isoliertes Individuum meine ethnisch-kulturelle, sprachliche oder religiöse Identität ausleben, da diese stets eine entsprechende überindividuelle Gemeinschaft voraussetzt.

Zuletzt muß noch Kritik an der völligen Unklarheit geübt werden, die darüber besteht, nach welchen Kriterien das Ministerkomitee des Europarats und dessen beratender Ausschuß die rechtliche beziehungsweise politische Beurteilung vorzunehmen haben, ob die Vertragsstaaten angemessene Maßnahmen zur Verwirklichung der im Übereinkommen niedergelegten Grundsätze getroffen haben.

Meine Damen und Herren! Ich darf die Abwägung der Vor- und Nachteile des gegenständlichen Rahmenübereinkommens wie folgt zusammenfassen: Seinem Inhalt nach bildet es offensichtlich den kleinsten gemeinsamen Nenner der europäischen Staaten in der so sensiblen Frage des Schutzes nationaler Minderheiten. Zudem bekräftigt es deren Position bloß in mehr oder weniger dem Minderheitenschutz aufgeschlossenen Staaten, stärkt deren Position jedoch nicht entscheidend in jenen Staaten, die ihren Minderheiten ablehnend bis feindselig gegenüberstehen.

Das ist alles in allem ein eher enttäuschendes Resümee. Dennoch ist anzuerkennen, daß dieses Übereinkommen ein wesentlicher erster Schritt in die gebotene Entwicklungsrichtung ist. Es bleibt zu hoffen, daß es in Zukunft eine entsprechende Eigendynamik entfalten wird.


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
637. Sitzung / Seite 158

Da meine Fraktion stets mit Nachdruck für ein zeitgemäßes und umfassendes europäisches Volksgruppenrecht und seine Absicherung durch wirksamen internationalen Rechtsschutz eingetreten ist, wird sie dieser Vorlage trotz aller Vorbehalte zustimmen. – Ich danke Ihnen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

21.27

Präsident Ludwig Bieringer: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Das ist ebenfalls nicht der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem vorliegenden Beschluß des Nationalrates im Sinne des Artikels 50 Abs. 1 zweiter Satz Bundes-Verfassungsgesetz die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag, dem vorliegenden Beschluß im Sinne des Artikels 50 Abs. 1 zweiter Satz Bundes-Verfassungsgesetz die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen, ist somit angenommen.

Weiters bitte ich jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den Beschluß des Nationalrates, gemäß Artikel 50 Abs. 2 Bundes-Verfassungsgesetz den gegenständlichen Staatsvertrag durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen, keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies ebenfalls Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag, gegen den Beschluß des Nationalrates, gemäß Artikel 50 Abs. 2 Bundes-Verfassungsgesetz, den gegenständlichen Staatsvertrag durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

10. Punkt

Wahl eines Vertreters Österreichs in die Parlamentarische Versammlung des Europarates

Präsident Ludwig Bieringer: Wir gelangen nun zum 10. Punkt der Tagesordnung: Wahl eines Vertreters Österreichs in die Parlamentarische Versammlung des Europarates.

Vom Bundesrat ist anstelle des bisherigen Ersatzmitgliedes, Frau Abgeordneter zum Nationalrat Dr. Irmtraut Karlsson, ein Ersatzmitglied in die Parlamentarische Versammlung des Europarates zu wählen.

Es liegt mir nur ein Wahlvorschlag vor, der auf Bundesrat Dr. h. c. Manfred Mautner Markhof lautet.

Wird die Durchführung der Wahl mittels Stimmzettel gewünscht? – Dies ist nicht der Fall.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem von mir bekanntgegebenen Wahlvorschlag ihre Zustimmung geben, um ein Handzeichen. – Das ist Stimmeneinhelligkeit.

Der Wahlvorschlag ist somit angenommen.

Herr Bundesrat Dr. h. c. Manfred Mautner Markhof ist somit als Ersatzmitglied in die Parlamentarische Versammlung des Europarates gewählt.

Die Tagesordnung ist erschöpft.


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
637. Sitzung / Seite 159

Ich gebe noch bekannt, daß seit der letzten beziehungsweise in der heutigen Sitzung insgesamt 12 Anfragen – 1361/J bis 1372/J – eingebracht wurden.

Die Einberufung der nächsten Sitzung des Bundesrates wird auf schriftlichem Weg erfolgen. Als Sitzungstermin ist Freitag, der 17. April 1998, 9 Uhr in Aussicht genommen.

Für die Tagesordnung dieser Sitzung kommen jene Vorlagen in Betracht, die der Nationalrat bis dahin verabschiedet haben wird, soweit sie dem Einspruchsrecht beziehungsweise dem Zustimmungsrecht des Bundesrates unterliegen.

Die Ausschußvorberatungen sind für Mittwoch, den 15. April 1998, ab 14 Uhr vorgesehen.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluß der Sitzung: 21.31 Uhr