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Stenographisches Protokoll

 

 

 

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795. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

 

Donnerstag, 14. April 2011

 

 


Stenographisches Protokoll

795. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Donnerstag, 14. April 2011

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 14. April 2011: 9.03 – 17.27 Uhr

*****

Tagesordnung

1. Punkt: Bundesgesetz über Maßnahmen gegen Unerbetene Werbeanrufe, mit dem das Telekommunikationsgesetz 2003 geändert wird

2. Punkt: Jahresvorschau des BMVIT 2011 auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Kommission sowie des operativen Jahresprogramms des Rates

3. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Konsumentenschutzgesetz (KSchG) geändert wird (Konsumentenschutzrechts-Änderungsgesetz 2011 – KSchRÄG 2011)

4. Punkt: Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über bestimmte Aspekte der grenzüberschreitenden Mediation in Zivil- und Handelssachen in der Europäischen Union erlassen sowie die Zivilprozessordnung, das IPR-Gesetz und das Suchtmittel­gesetz geändert werden

5. Punkt: Jahresvorschau des BMJ auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeits­programms der Europäischen Kommission für 2011 sowie des Achtzehnmonatspro­gramms des spanischen, belgischen und ungarischen Ratsvorsitzes

6. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Abschlussprüfungs-Qualitätssicherungsgesetz geändert wird

7. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Außenhandelsgesetz 2011 – AußHG 2011 erlassen wird

8. Punkt: Bericht des Bundesministers für Wirtschaft, Familie und Jugend zu den Vorhaben der Europäischen Union 2011

9. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz, das Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz, das Landarbeitsgesetz 1984, das Arbeitskräfte­über­las­sungsgesetz und das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert werden (Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz – LSDB-G)

10. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Ausländerbeschäftigungsgesetz und das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 geändert werden

11. Punkt: Europäische Sozialcharta (revidiert)


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 2

12. Punkt: Internationale Arbeitsorganisation (IAO); Übereinkommen (Nr. 187) über den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz; Empfehlung (Nr. 197) über den För­derungsrahmen für den Arbeitsschutz

13. Punkt: Sozialbericht 2009–2010

14. Punkt: Jahresvorschau des BMASK 2011 an Nationalrat und Bundesrat auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission für 2011 sowie des Achtzehnmonatsprogramms des spanischen, belgischen und unga­rischen Ratsvorsitzes

15. Punkt: Protokoll zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland zur Abänderung des am 24. August 2000 in Berlin unterzeichneten Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen

16. Punkt: Abkommen zwischen der Republik Österreich und Bosnien und Herze­gowina zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen samt Protokoll

17. Punkt: EU-Jahresvorschau 2011 des Bundesministeriums für Finanzen

*****

Ergänzung der Tagesordnung ........................................................................................ 35

18. Punkt: Selbständiger Antrag der Bundesräte Gottfried Kneifel, Mag. Gerald Klug, Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen betreffend Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 66 GO-BR für ein Hearing der Bewer­berinnen und Bewerber um die Stelle eines Mitgliedes des Verfassungs­ge­richtshofes, für welche dem Bundesrat das Vorschlagsrecht zukommt (184/A-BR/2011)

*****

Inhalt

Bundesrat

Schreiben des Präsidenten des Oberösterreichischen Landtages betreffend Mandatsverzicht des Bundesrates Mag. Michael Hammer sowie Wahl eines Mitgliedes und eines Ersatzmitgliedes in den Bundesrat ....................................................................................................................... 11

Angelobung des Bundesrates Mag. Christian Jachs ................................................ 13

Mitteilung des Präsidenten Gottfried Kneifel betreffend Mandatsverzicht des Bundesrates Peter Zwanziger ............................................................................................................................... 13

Mitteilung des Präsidenten Gottfried Kneifel betreffend Verzicht des Bundesministers für Finanzen Vizekanzler Dipl.-Ing. Josef Pröll auf die Ausübung seiner politischen Ämter ........... 13

Trauerkundgebung anlässlich des Ablebens des langjährigen Landtagsprä­si­denten des Wiener Landtages Johann Hatzl ................................................................................................................. 33

Antrag der Bundesräte Gottfried Kneifel, Mag. Gerald Klug, Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen, den Selbständigen Antrag 184/A-BR/2011


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 3

der Bundesräte Gottfried Kneifel, Mag. Gerald Klug, Monika Mühlwerth, Kolle­ginnen und Kollegen betreffend Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 66 GO-BR für ein Hearing der Bewerberinnen und Bewerber um die Stelle eines Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofes, für welche dem Bundesrat das Vorschlagsrecht zukommt, gemäß § 16 Abs. 3 GO-BR ohne Vorberatung durch einen Ausschuss unmittelbar in Verhandlung zu nehmen – Annahme               35, 35

Schreiben des Präsidenten des Kärntner Landtages betreffend Neuwahl eines Mitgliedes beziehungsweise eines Ersatzmitgliedes in den Bundesrat .................................................................... 127

Angelobung des Bundesrates Franz Pirolt .............................................................. 127

Personalien

Verhinderung .................................................................................................................. 11

Aktuelle Stunde (6.)

Thema: „Aktuelle Wissenschafts- und Forschungspolitik unter besonderer Berücksichtigung der Perspektive der Bundesländer“ ............................................................................... 13

Redner/Rednerinnen:

Josef Saller .............................................................................................................. ..... 14

Monika Kemperle .................................................................................................... ..... 16

Mag. Reinhard Pisec .............................................................................................. ..... 18

Bundesministerin Mag. Dr. Beatrix Karl ............................................................  20, 31

Dr. Jennifer Kickert ................................................................................................ ..... 25

Mag. Bettina Rausch .............................................................................................. ..... 27

Reinhard Todt ......................................................................................................... ..... 28

Monika Mühlwerth .................................................................................................. ..... 30

Bundesregierung

Vertretungsschreiben ..................................................................................................... 34

Schreiben des Bundeskanzlers betreffend seinen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ....................................................................................................... 34

Nationalrat

Beschlüsse und Gesetzesbeschlüsse .......................................................................... 35

Ausschüsse

Zuweisungen .................................................................................................................. 34

Verhandlungen

1. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 30. März 2011 betreffend ein Bun­desgesetz über Maßnahmen gegen Unerbetene Werbeanrufe, mit dem das Telekommunikationsgesetz 2003 geändert wird (1008 d.B. und 1031 d.B. sowie 8466/BR d.B.) ...................................................................................... 36

Berichterstatter: Werner Stadler ................................................................................... 36

Redner/Rednerinnen:

Ewald Lindinger ...................................................................................................... ..... 36

Elisabeth Greiderer ................................................................................................ ..... 38

Elisabeth Kerschbaum ........................................................................................... ..... 39


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 4

Stefan Zangerl ......................................................................................................... ..... 39

Bundesministerin Doris Bures ............................................................................. ..... 41

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................................................... 42

2. Punkt: Jahresvorschau des BMVIT 2011 auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Kommission sowie des operativen Jahresprogramms des Rates (III-432-BR/2011 d.B. sowie 8467/BR d.B.)   ............................................................................................................................... 42

Berichterstatter: Werner Stadler ................................................................................... 42

Redner/Rednerinnen:

Gerd Krusche .......................................................................................................... ..... 43

Karl Boden ............................................................................................................... ..... 45

Georg Keuschnigg ................................................................................................. ..... 46

Elisabeth Kerschbaum ........................................................................................... ..... 47

Bundesministerin Doris Bures ............................................................................. ..... 50

Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht III-432-BR/2011 d.B. zur Kenntnis zu nehmen        ............................................................................................................................... 53

3. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 30. März 2011 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Konsumentenschutzgesetz (KSchG) geändert wird (Konsumentenschutzrechts-Änderungsgesetz 2011 – KSchRÄG 2011) (1007 d.B. und 1108 d.B. sowie 8465/BR d.B. und 8468/BR d.B.)                        53

Berichterstatter: Christian Füller .................................................................................. 53

Redner/Rednerinnen:

Hermann Brückl ...................................................................................................... ..... 54

Edgar Mayer ............................................................................................................ ..... 55

Elisabeth Kerschbaum ........................................................................................... ..... 56

Mag. Muna Duzdar .................................................................................................. ..... 57

Bundesministerin Mag. Claudia Bandion-Ortner ............................................... ..... 58

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................................................... 59

4. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 30. März 2011 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über bestimmte Aspekte der grenz­überschreitenden Mediation in Zivil- und Handelssachen in der Europäischen Union erlassen sowie die Zivilprozessordnung, das IPR-Gesetz und das Sucht­mittelgesetz geändert werden (1055 d.B. und 1125 d.B. sowie 8469/BR d.B.) ................................. 59

Berichterstatter: Christian Füller .................................................................................. 59

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................................................... 59

5. Punkt: Jahresvorschau des BMJ auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission für 2011 sowie des Acht­zehnmonatsprogramms des spanischen, belgischen und ungarischen Ratsvor­sitzes (III-425-BR/2011 d.B. sowie 8470/BR d.B.) ....................... 59

Berichterstatter: Christian Füller .................................................................................. 60

Redner/Rednerinnen:

Monika Kemperle .................................................................................................... ..... 60

Dr. Jennifer Kickert ................................................................................................ ..... 61

Bundesministerin Mag. Claudia Bandion-Ortner ............................................... ..... 62


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 5

Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht III-425-BR/2011 d.B. zur Kenntnis zu nehmen        ............................................................................................................................... 62

6. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 30. März 2011 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Abschlussprüfungs-Qualitätssicherungsgesetz geändert wird (1029 d.B. und 1126 d.B. sowie 8471/BR d.B.) ............................................................................................................................... 63

Berichterstatterin: Dr. Angelika Winzig ........................................................................ 63

Redner/Rednerinnen:

Mag. Reinhard Pisec .............................................................................................. ..... 63

Dr. Jennifer Kickert ................................................................................................ ..... 64

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................................................... 64

7. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 30. März 2011 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Außenhandelsgesetz 2011 – AußHG 2011 erlassen wird (1073 d.B. und 1127 d.B. sowie 8472/BR d.B.)           ............................................................................................................................... 64

Berichterstatter: Franz Perhab ...................................................................................... 64

Redner/Rednerinnen:

Efgani Dönmez, PMM ............................................................................................. ..... 65

Sonja Zwazl ............................................................................................................. ..... 66

Mag. Muna Duzdar .................................................................................................. ..... 67

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................................................... 69

8. Punkt: Bericht des Bundesministers für Wirtschaft, Familie und Jugend zu den Vorhaben der Europäischen Union 2011 (III-429-BR/2011 d.B. sowie 8473/BR d.B.) ......................... 70

Berichterstatterin: Anneliese Junker ............................................................................ 70

Redner/Rednerinnen:

Staatssekretärin Mag. Verena Remler ................................................................. ..... 70

Mag. Reinhard Pisec .............................................................................................. ..... 72

Friedrich Reisinger ................................................................................................. ..... 75

Stefan Schennach ................................................................................................... ..... 76

Efgani Dönmez, PMM ............................................................................................. ..... 78

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, den Bericht III-429-BR/2011 d.B. zur Kenntnis zu nehmen        ............................................................................................................................... 80

Gemeinsame Beratung über

9. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 31. März 2011 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz, das Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz, das Landarbeitsgesetz 1984, das Arbeitskräfteüberlas­sungsgesetz und das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert werden (Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz – LSDB-G) (1076 d.B. und 1094 d.B. sowie 8474/BR d.B.) ............................................................. 80

Berichterstatterin: Monika Kemperle ........................................................................... 80

10. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 31. März 2011 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Ausländerbeschäftigungsgesetz und das Arbeits­


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 6

losenversicherungsgesetz 1977 geändert werden (1077 d.B. und 1092 d.B. sowie 8475/BR d.B.) ............................................................................... 80

Berichterstatterin: Monika Kemperle ........................................................................... 80

Redner/Rednerinnen:

Gerd Krusche .......................................................................................................... ..... 81

Mag. Gerald Klug .................................................................................................... ..... 84

Hermann Brückl ...................................................................................................... ..... 86

Martina Diesner-Wais ............................................................................................. ..... 87

Cornelia Michalke ................................................................................................... ..... 88

Bundesminister Rudolf Hundstorfer ..................................................................  90, 98

Efgani Dönmez, PMM ............................................................................................. ..... 93

Juliane Lugsteiner .................................................................................................. ..... 95

Dr. Angelika Winzig ................................................................................................ ..... 96

Peter Mitterer .......................................................................................................... ..... 97

Franz Perhab ........................................................................................................... ..... 99

Annahme des Antrages der Berichterstatterin zu Punkt 9, 1. gegen den vor­liegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben und 2. dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Artikel 44 Abs. 2 B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen .................... 100

Annahme des Antrages der Berichterstatterin zu Punkt 10, gegen den vorlie­genden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................ 100

11. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 31. März 2011 betreffend Euro­päische Sozialcharta (revidiert) (1068 d.B. und 1090 d.B. sowie 8476/BR d.B.) ........................................................... 101

Berichterstatterin: Mag. Muna Duzdar ....................................................................... 101

Redner/Rednerinnen:

Stefan Schennach ................................................................................................... ... 101

Edgar Mayer ............................................................................................................ ... 103

Efgani Dönmez, PMM ............................................................................................. ... 104

Monika Kemperle .................................................................................................... ... 105

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, 1. gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, 2. dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 2 B-VG die verfas­sungsmäßige Zustimmung zu erteilen und 3. gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates, gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 3 B-VG den gegenständlichen Staatsvertrag durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen, keinen Einspruch zu erheben ................................................... 107

12. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 31. März 2011 betreffend Inter­nationale Arbeitsorganisation (IAO); Übereinkommen (Nr. 187) über den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz; Empfehlung (Nr. 197) über den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz (1069 d.B. und 1091 d.B. sowie 8477/BR d.B.)        ............................................................................................................................. 108

Berichterstatterin: Juliane Lugsteiner ........................................................................ 108

Redner/Rednerinnen:

Mag. Gerald Klug .................................................................................................... ... 109

Edgar Mayer ................................................................................................................ 110

Efgani Dönmez, PMM ................................................................................................ 111


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 7

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, 1. gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, 2. dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 2 B-VG die verfas­sungsmäßige Zustimmung zu erteilen, 3. gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates, gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 3 B-VG den gegenständlichen Staats­vertrag durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen, keinen Einspruch zu erheben und 4. die Empfehlung (Nr. 197) über den Förderungsrahmen für den Arbeits­schutz zur Kenntnis zu nehmen .......................... 112

13. Punkt: Sozialbericht 2009–2010 (III-418-BR/2010 d.B. sowie 8478/BR d.B.) ...... 112

Berichterstatterin: Mag. Muna Duzdar ....................................................................... 112

Redner/Rednerinnen:

Monika Mühlwerth .................................................................................................. ... 113

Mag. Gerald Klug .................................................................................................... ... 116

Gregor Hammerl ..................................................................................................... ... 118

Bundesminister Rudolf Hundstorfer ................................................................... ... 121

Efgani Dönmez, PMM ............................................................................................. ... 124

Ana Blatnik .............................................................................................................. ... 126

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, den Bericht III-418-BR/2010 d.B. zur Kenntnis zu nehmen        ............................................................................................................................. 127

14. Punkt: Jahresvorschau des BMASK 2011 an Nationalrat und Bundesrat auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission für 2011 sowie des Achtzehnmonatsprogramms des spanischen, belgischen und ungarischen Ratsvorsitzes (III-434-BR/2011 d.B. sowie 8479/BR d.B.)      ............................................................................................................................. 127

Berichterstatterin: Juliane Lugsteiner .................................................................... ... 128

Redner/Rednerinnen:

Monika Kemperle .................................................................................................... ... 128

Edgar Mayer ............................................................................................................ ... 129

Efgani Dönmez, PMM ............................................................................................. ... 131

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, den Bericht III-434-BR/2011 d.B. zur Kenntnis zu nehmen        ............................................................................................................................. 133

Gemeinsame Beratung über

15. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 31. März 2011 betreffend Protokoll zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland zur Abän­derung des am 24. August 2000 in Berlin unterzeichneten Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Ein­kommen und vom Vermögen (1071 d.B. und 1117 d.B. sowie 8480/BR d.B.) ........... 133

Berichterstatter: Michael Lampel ............................................................................... 133

16. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 31. März 2011 betreffend Ab­kommen zwischen der Republik Österreich und Bosnien und Herzegowina zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Ein­kommen und vom Vermögen samt Protokoll (1064 d.B. und 1118 d.B. sowie 8481/BR d.B.) ............................................................................................................................. 133

Berichterstatter: Michael Lampel ............................................................................... 133


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 8

Redner:

Johann Ertl .............................................................................................................. ... 134

Staatssekretär Mag. Andreas Schieder ............................................................... ... 134

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 15, 1. gegen den vor­liegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben und 2. dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 2 B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen .............. 135

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 16, 1. gegen den vor­liegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben und 2. dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 2 B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen .............. 136

17. Punkt: EU-Jahresvorschau 2011 des Bundesministeriums für Finanzen (III-428-BR/2011 d.B. sowie 8482/BR d.B.) ............................................................................................................... 136

Berichterstatter: Michael Lampel ............................................................................... 136

Redner/Rednerinnen:

Johann Kraml .......................................................................................................... ... 136

Elisabeth Kerschbaum ........................................................................................... ... 138

Staatssekretär Mag. Andreas Schieder ............................................................... ... 140

Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht III-428-BR/2011 d.B. zur Kenntnis zu nehmen        ............................................................................................................................. 142

18. Punkt: Selbständiger Antrag der Bundesräte Gottfried Kneifel, Mag. Gerald Klug, Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen betreffend Abhaltung einer par­lamentarischen Enquete gemäß § 66 GO-BR für ein Hearing der Bewerberinnen und Bewerber um die Stelle eines Mitgliedes des Verfas­sungsgerichtshofes, für welche dem Bundesrat das Vorschlagsrecht zukommt (184/A-BR/2011) ................. 142

Annahme des Selbständigen Antrages 184/A-BR/2011 .............................................. 142

Eingebracht wurden

Antrag der Bundesräte

Gottfried Kneifel, Mag. Gerald Klug, Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen betreffend Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 66 GO-BR für ein Hearing der Bewerberinnen und Bewerber um die Stelle eines Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofes, für welche dem Bundesrat das Vorschlagsrecht zukommt (184/A-BR/2011)

Anfragen der Bundesräte

Cornelia Michalke, Dr. Magnus Brunner, LL.M, Edgar Mayer, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Gesundheit betreffend Strukturausgleich der Gesundheitsfinanzierung (2807/J-BR/2011)

Elisabeth Kerschbaum, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft betreffend AKW-Pläne in Weißrussland (2808/J-BR/2011)


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 9

Edgar Mayer, Dr. Magnus Brunner, LL.M, Cornelia Michalke, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend Aktionsplan Konsumentenschutz (2809/J-BR/2011)

Edgar Mayer, Dr. Magnus Brunner, LL.M, Cornelia Michalke, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend Änderung des Telekommunikationsgesetzes (2810/J-BR/2011)

Elisabeth Kerschbaum, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft betreffend Planung der Endlagerung von Atommüll in Tschechien (2811/J-BR/2011)

Dr. Jennifer Kickert, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend betreffend Ungleichbehandlungen von eingetragenen PartnerInnen und EhegattInnen (2812/J-BR/2011)

Dr. Jennifer Kickert, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Finanzen betreffend Ungleichbehandlungen von eingetragenen PartnerInnen und EhegattInnen (2813/J-BR/2011)

Dr. Jennifer Kickert, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Inneres betreffend Ungleichbehandlungen von EP zum Eherecht (2814/J-BR/2011)

Dr. Jennifer Kickert, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend Ungleichbehandlungen von eingetra­genen PartnerInnen und EhegattInnen (2815/J-BR/2011)

Dr. Jennifer Kickert, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz betreffend Ungleichbehandlungen von EP zum Eherecht (2816/J-BR/2011)

Dr. Jennifer Kickert, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Frauen und öffentlichen Dienst betreffend Ungleichbehandlungen von eingetragenen Part­nerInnen und EhegattInnen (2817/J-BR/2011)

Elisabeth Kerschbaum, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz betreffend Atomhaftpflicht, Berichte lt. Atomhaftungsgesetz 1999 (2818/J-BR/2011)

Elisabeth Kerschbaum, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft betreffend Atomhaftpflicht und Wettbewerbsverzerrung (2819/J-BR/2011)

Elisabeth Kerschbaum, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend betreffend Atomhaftpflicht und Wettbewerbsverzerrung (2820/J-BR/2011)

Georg Keuschnigg, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend Gesamtverkehrskonzept für Westösterreich (2821/J-BR/2011)

Stefan Zangerl, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend Brenner Basistunnel (2822/J-BR/2011)


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 10

Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Inneres betreffend Verlegung der Soldatengrabstätte Walter Nowotny (2823/J-BR/2011)

Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten betreffend Integration von in Österreich lebenden Türken (2824/J-BR/2011)

Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Inneres betreffend Integration von in Österreich lebenden Türken (2825/J-BR/2011)

Martin Preineder, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend Kahlschlag im ÖBB Schienen-Güterverkehr (2826/J-BR/2011)

Anfragebeantwortungen

der Bundesministerin für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Gerd Krusche, Kolleginnen und Kollegen betreffend Errichtung eines Schubhaftzentrums in Vordern­berg und Abschiebepraxis von Minderjährigen und Jugendlichen (2587/AB-BR/2011 zu 2796/J-BR/2011)

der Bundesministerin für Justiz auf die Anfrage der Bundesräte Manfred Gruber, Kolleginnen und Kollegen betreffend die absolut unverständliche Nichtverfolgung einer mutmaßlich schweren Straftat und die damit verbundene Verhöhnung des schwer geschädigten Opfers (2588/AB-BR/2011 zu 2797/J-BR/2011)


 


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 11

09.03.46Beginn der Sitzung: 9.03 Uhr

 


Präsident Gottfried Kneifel: Ich eröffne die 795. Sitzung des Bundesrates.

Das Amtliche Protokoll der 794. Sitzung des Bundesrates vom 17. März 2011 ist auf­gelegen, unbeanstandet geblieben und gilt daher als genehmigt.

Als verhindert gemeldet ist das Mitglied des Bundesrates Hans-Jörg Jenewein.

09.04.14Einlauf

 


Präsident Gottfried Kneifel: Eingelangt sind Schreiben des Oberösterreichischen Landtages betreffend Mandatsverzicht und die Wahl eines Mitgliedes und eines Ersatzmitgliedes des Bundesrates.

Hinsichtlich des Wortlauts dieser Schreiben verweise ich auf die im Sitzungssaal verteilten Mitteilungen gemäß § 41 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates, die dem Stenographischen Protokoll dieser Sitzung angeschlossen werden.

Die schriftlichen Mitteilungen haben folgenden Wortlaut:

Schreiben des Präsidenten des Oberösterreichischen Landtages betreffend Mandats­verzicht sowie Wahl eines Mitgliedes und eines Ersatzmitgliedes:

                                                                                                                                         „Friedrich Bernhofer

                                                                                                         Erster Präsident des Oö. Landtags

An den

Präsidenten des Bundesrates

Herrn Gottfried Kneifel

Dr. Karl-Renner-Ring 3                                                                                           L-16/24-XXVII-Rm

1017 Wien                                                                                                                             21. März 2011

Änderungen in der Zusammensetzung des Bundesrates

Sehr geehrter Herr Präsident!

Ich teile mit, dass Bundesrat Mag. Michael Hammer und dessen Ersatzmann Dominik Thauerböck mit Ablauf des 21. März 2011 auf ihre Mitgliedschaft bzw. Ersatz­mitgliedschaft im Bundesrat verzichtet haben. Kopien der Verzichtserklärungen sind in der Anlage angeschlossen.

Die Nachwahl eines neuen Mitglieds und eines neuen Ersatzmitglieds erfolgt im Rah­men der Landtagssitzung am 7. April 2011.

Mit freundlichen Grüßen!

2 Anlagen“

„Vbgm. Mag. Michael Hammer

Raiffeisenweg 2/3

4203 Altenberg bei Linz

An den

Ersten Präsidenten des Oö. Landtages

Friedrich Bernhofer

Landhausplatz 1

4021 Linz


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 12

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident!

Ich verzichte mit Ablauf des 21. März 2011 auf meine Mitgliedschaft im Bundesrat.“

„Dominik Thauerböck

Puchberg 18

4324 Perg

An den

Ersten Präsidenten des Oö. Landtages

Friedrich Bernhofer

Landhausplatz 1

4021 Linz

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident!

Ich verzichte mit Ablauf des 21. März 2011 auf meine Ersatzmitgliedschaft (Ersatz 8. Stelle) im Bundesrat.“

                                                                                                                                         „Friedrich Bernhofer

                                                                                                        Erster Präsident des Oö Landtages

An den

Präsidenten des Bundesrates

Herrn Gottfried Kneifel

Dr. Karl-Renner-Ring 3

1017 Wien                                                                                                                                 7. April 2011

Nachwahlen zum Bundesrat

Sehr geehrter Herr Präsident!

Ich teile mit, dass der Oberösterreichische Landtag in seiner Sitzung am 7. April 2011 gemäß Art. 35 Abs. 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes und Art. 29 des Oö. Landes-Verfassungsgesetzes die Nachwahl eines Mitglieds und eines Ersatzmitglieds durch­geführt hat.

Es wurden gewählt:

Mitglied an 8. Stelle:                                                            Bürgermeister Mag. Christian Jachs,

                                                                                                                                                geb. 25.09.1966

                                                                                                              4240 Freistadt, Waldeckstraße 6

Ersatzmitglied an 8. Stelle:                                                                               Dominik Thauerböck,

                                                                                                                                                geb. 25.10.1986

                                                                                                                     4324 Rechberg, Puchberg 18

Diese Nachwahl wurde notwendig, weil Bundesrat Mag. Michael Hammer und dessen Ersatzmitglied Dominik Thauerböck mit Ablauf des 21. März 2011 auf ihr Mandat als Mitglied bzw. Ersatzmitglied verzichtet haben.

Mit freundlichen Grüßen“

*****

09.04.57Angelobung

 


Präsident Gottfried Kneifel: Das neue Mitglied des Bundesrates ist im Hause anwesend. Ich werde daher sogleich seine Angelobung vornehmen.

Nach Verlesung der Gelöbnisformel durch die Schriftführung wird die Angelobung mit den Worten „Ich gelobe“ zu leisten sein.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 13

Ich ersuche nun die Schriftführung um Verlesung der Gelöbnisformel.

9.05.11

 


Schriftführer Josef Saller: „Sie werden geloben unverbrüchliche Treue der Republik Österreich, stete und volle Beobachtung der Verfassungsgesetze und aller anderen Gesetze sowie gewissenhafte Erfüllung Ihrer Pflichten.“

 


9.05.41

Bundesrat Mag. Christian Jachs (ÖVP, Oberösterreich): Ich gelobe.

 


Präsident Gottfried Kneifel: Ich begrüße das neue Mitglied des Bundesrates recht herzlich in unserer Mitte. (Allgemeiner Beifall.)

*****

Ich teile darüber hinaus mit, dass Herr Peter Zwanziger mit Ablauf des 13. April 2011 auf sein Mandat im Bundesrat verzichtet hat.

Nach erfolgter Neuwahl im Kärntner Landtag, der heute tagt, und sofern das dies­bezügliche Schreiben des Präsidenten betreffend Mandatsverzicht beziehungsweise Neuwahl eines Mitglieds des Bundesrates noch rechtzeitig einlangt beziehungsweise das neue Mitglied im Laufe dieser Sitzung eintrifft, wird es während des heutigen Plenums ebenfalls noch angelobt werden.

*****

Sehr geschätzte Damen und Herren! Sie alle haben über die Medien erfahren, dass Vizekanzler und Bundesminister für Finanzen Dipl.-Ing. Josef Pröll von sämtlichen Funktionen in der Regierung zurückgetreten ist.

In den rund acht Jahren seiner Ministerfunktionen war er stets ein fairer und enga­gierter Partner der Bundesländer und des Bundesrates, deshalb möchte ich ihm von dieser Stelle aus für seine Arbeit in diesen vergangenen rund acht Jahren herzlich danken und ihm für die Zukunft alles Gute und vor allem beste Gesundheit wünschen. (Allgemeiner Beifall.)

09.09.01Aktuelle Stunde

 


Präsident Gottfried Kneifel: Wir gelangen nun zur Aktuellen Stunde betreffend

„Aktuelle Wissenschafts- und Forschungspolitik unter besonderer Berücksichtigung der Perspektive der Bundesländer“

mit Frau Bundesministerin für Wissenschaft und Forschung Mag. Dr. Beatrix Karl, die ich im Hause herzlich willkommen heißen darf. (Allgemeiner Beifall.)

Der Ablauf gestaltet sich im Sinne der in der Präsidialkonferenz getroffenen Ver­einba­rung:

Zunächst kommt je ein Redner/eine Rednerin pro Fraktion zu Wort, deren Redezeit jeweils 10 Minuten beträgt.

Dann folgt die Stellungnahme der Frau Bundesministerin, die ebenfalls 10 Minuten nicht überschreiten soll.

Sodann folgt ein Redner oder eine Rednerin der Bundesräte ohne Fraktions­zuge­hörigkeit und dann je ein Redner oder eine Rednerin der Fraktionen mit jeweils einer fünfminütigen Redezeit.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 14

Zuletzt kann noch eine abschließende Stellungnahme der Frau Bundesministerin erfolgen, die nach Möglichkeit 5 Minuten nicht überschreiten soll.

Als Erster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Saller. – Ich erteile es ihm.

 


9.10.14

Bundesrat Josef Saller (ÖVP, Salzburg): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bun­desministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir leben in einer Zeit, in der einerseits den Ländern und Regionen ganz besondere Bedeutung beigemessen wird – ich denke da an den Erhalt der Eigenart, der Vielfalt –, auf der anderen Seite findet aber gerade auch in der Wissenschaft ein zunehmend globaler Wettbewerb statt. Wis­senschaft und Forschung sind längst weltweit vernetzt und finden nicht mehr nur im eigenen Land, in der eigenen Region statt, sondern über alle Grenzen hinweg.

Zum ersten Aspekt, was die Regionalität und die Länder betrifft, darf ich Folgendes sagen: Die Einführung der Studieneingangs- und Orientierungsphase durch die letzte Novellierung des Universitätsgesetzes war ein erster und wichtiger Schritt, um die Planbarkeit der Unis zu verbessern. Natürlich sind weitere Regelungen des Hoch­schulzugangs notwendig, vor allem auch bezüglich der Finanzierung der Unis.

Ein geregelter Hochschulzugang steigert unter anderem die Qualität für die Studieren­den und senkt so auch die Drop-out-Rate. Das wurde zum Beispiel gerade beim Medizinstudium sichtbar. Dort kann man das besonders gut beobachten, denn die Drop-out-Rate ist von an die 50 Prozent in den neunziger Jahren auf jetzt 5 Prozent gesenkt worden, und der Großteil der Studierenden liegt in der Mindeststudienzeit plus die Toleranzsemester.

Ich darf an dieser Stelle dir, sehr geehrte Frau Bundesministerin, sehr herzlich dafür danken, dass du dich mehrfach für die Verlängerung dieses Moratoriums eingesetzt hast! Es ist beruhigend zu wissen, dass du dich für die Sicherstellung gerade der Deckung des Ärztebedarfes auch auf europäischer Ebene einsetzt. Herzlichen Dank also!

Eine weitere wichtige Säule in diesem Gefüge sind die Fachhochschulen. – Die Fachhochschulen sind für viele Regionen in Österreich nicht nur Hochschulen, sondern sie sind für viele Gemeinden auch ganz besondere Bildungsmotoren. Ich denke da an Salzburg, ich denke an Puch, wo sich eine große Fachhochschule befindet, die ja nicht mehr wegzudenken ist. Ich bin sehr froh, dass seitens des Ministeriums an die 10 Mil­lionen € gerade aus den Offensivmitteln an die Fachhochschulen gehen und neue Studienplätze geschaffen werden. Gerade im regionalen Bereich ist es besonders wichtig, Ausbildungsplätze zu schaffen und somit auch längerfristig die Wirtschaft ent­sprechend zu stärken.

In den Ländern geschieht sehr viel. Es sind nicht alle Länder gleich – Oberösterreich zum Beispiel ist eigentlich eher Spitzenreiter (Zwischenrufe und Kopfnicken der Bun­desräte Steinkogler und Astleitner), aber auch andere Länder. (Ruf bei der ÖVP: Vorarlberg!) Hier gibt es also keine totale Gleichschaltung, das wäre auch nicht mög­lich, aber wichtig ist, und das muss man einmal so sagen, diesbezüglich eine spezielle Koordination und auch die Einbindung der Länder in diese Planung. Die Länder können natürlich nicht nur Zahler sein, sondern gehören mit eingebunden und werden auch mit eingebunden.

Wir leben in einer Zeit, in der eigentlich irgendwo eine gewisse – ich sage es einmal so – Technikfeindlichkeit in Erscheinung tritt. Da mag jetzt auch die Situation in Japan durchaus mit eine Rolle spielen. Gegenüber Atomkraftwerken ist eine gewisse Skepsis angebracht. Deswegen ist gerade auch die MINT-Kampagne wichtig, sage ich jetzt einmal. Dabei stehen die Anfangsbuchstaben für bedeutende Dinge: Das M für Mathe­


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 15

matik, das I für Informatik, N für Naturwissenschaften und T für Technik. Gerade diese Initiative seitens des Ministeriums ist also sehr zu begrüßen und als sehr positiv zu bewerten.

Besonders hervorheben möchte ich aber auch die FTI-Strategie des Bundes. Dabei möchte ich einige Dinge herausgreifen. Es ist – in dieser Form eigentlich erstmals – gelungen, eine richtige Forschungsstrategie zu entwickeln. Ziel ist es, dass sich Öster­reich verändert und es aus der Gruppe, wie es so schön heißt, der Innovation Follo­wers in die Gruppe der Innovation Leader kommt, das heißt, in das vordere Feld der EU-Länder vordringt. Dabei heißt das Ziel Potenziale ausschöpfen, Dynamik steigern und Zukunft schaffen. Das könnte man jetzt als die wichtigsten Punkte heraus­streichen.

Österreich hat in den vergangenen – ja, man muss es eigentlich so sagen – Jahr­zehnten einen beeindruckenden Aufholprozess begonnen und führt diesen weiter. Das war nicht selbstverständlich! Die Forschungsquote, die einmal 1,94 Prozent des Brutto­inlandsprodukts betragen hat, ist jetzt auf 2,76 Prozent gestiegen, und es ist natürlich unser gemeinsames Bestreben, diesen Prozentsatz weiter zu heben.

Wir wollen die Potenziale von Wissenschaft, Forschung, Innovation und Technologie weiterentwickeln, entfalten und gesamthaft zum Einsatz bringen, um die großen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen auch wirklich zu meistern. Dazu brauchen wir eine ganz besondere gemeinsame Anstrengung! Dazu ist es wichtig, die Forschungsstrukturen koordiniert auszubauen, keine Einzelgänge zu machen, sondern sie zu vernetzten und zu koordinieren.

In diesem Zusammenhang ist auch die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft wichtig, denn ohne das geht es nicht – das heißt, Barrieren und Schwel­lenängste in den Unternehmen abbauen, speziell auch bei den kleinen und mittleren Unternehmen, die da fallweise vielleicht bestimmte Vorurteile haben –, also dass insbesondere die Kooperation und die Forschung weiter vorangetrieben werden.

Die international erfolgreichen Leitbetriebe, die wir in Österreich ja haben, sollen in ihrer tragenden Rolle für dieses Innovationssystem besonders gestärkt und auch die KMU in ihrer Forschungs- und Innovationsleistung aktiviert werden – da ist sicher noch allerhand zu tun, um diese einzubinden. Dazu gehören aber auch ein gesunder Wettbewerb und eine aktive, innovationsfördernde Wettbewerbspolitik, und das ist nicht einfach, weil die finanziellen Ressourcen immer knapper werden, das wissen wir alle. Überall muss gespart werden und wird gespart, und daher ist natürlich auch besonders auf bestimmte Schwerpunktsetzungen zu achten. Dabei ist auf die Stärkefelder der heimischen Wissenschaft und Wirtschaft besonders Bezug zu neh­men, Kompetenzen und Potenziale österreichischer Unternehmen sind also schwer­punktmäßig zu berücksichtigen.

Ein weiteres besonderes Ziel ist auch die internationale Positionierung über unsere Grenzen hinaus. Österreich soll sich also durch gestaltende Mitwirkung an der Formu­lierung einer gesamteuropäischen Forschungs-, Technologie- und Innovationspolitik optimal positionieren. Zusätzlich soll auch eine stärkere österreichische Beteiligung an europäischen Förderprogrammen stattfinden – diese ist besonders anzustreben –, aber auch eine selektive globale Zusammenarbeit, zum Beispiel mit den USA, ausge­wählten asiatischen Ländern oder auch anderen Ländern, die betroffen sind, mit denen über unsere Grenzen hinweg die Zusammenarbeit gesucht werden muss. Auch die Zusammenarbeit mit den Ländern in Mittel-, Ost- und Südeuropa muss weiter vertieft werden.

Es ist festzuhalten, dass, wenn Österreich weiterhin international wettbewerbsfähig und ein attraktiver Standort sein möchte, Wissenschaft und Forschung ebenfalls gestärkt


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 16

werden müssen. Das ist einfach ein Muss. Ich bin überzeugt, dass wir hier mit Frau Bundesministerin Karl einen Garant dafür haben, dass Wissenschaft und Forschung in Österreich weiterhin einen hohen Stellenwert einnehmen müssen und auch einnehmen werden. Wenngleich wir in Zeiten der Krise sparen müssen, alle, in den verschie­densten Bereichen, so ist eines ganz klar, und damit möchte ich schließen, nämlich dass wir in Wissenschaft und Forschung auch nachhaltig investieren müssen. Das wünschen wir uns, das wünsche auch ich mir. – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

9.21


Präsident Gottfried Kneifel: Als Nächster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Todt. Ich erteile es ihm. (Bundesrat Todt: Monika Kemperle! Wir haben getauscht!)

Ich korrigiere: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Kemperle. – Bitte.

 


9.21.39

Bundesrätin Monika Kemperle (SPÖ, Wien): Frau Bundesministerin! Geschätztes Präsidium! Werte Damen und Herren des Bundesrates! Bei all den unterschiedlichen Debatten um eine bessere Hochschulpolitik müssen wir stärker das Gesamtbild im Auge behalten, denn es hilft wenig, wenn wir immer an einzelnen Schrauben drehen, damit die eine oder andere Hochschule einmal nicht aus allen Nähten platzt oder um Geld betteln gehen muss. Wir brauchen daher einen Dialog hin zu einer verant­wortlichen Hochschulpolitik, mit realistischen Zukunftsszenarien und klaren Zielen. Daher sollte es zunächst nicht unbedingt darum gehen, wie viel unsere Hochschulen jetzt kosten oder kosten dürfen.

Eine verantwortungsbewusste Hochschulpolitik muss in Österreich auch Wachstum und Beschäftigung schaffen sowie die Binnennachfrage erhöhen. Das heißt, verant­wortliche Hochschulpolitik rechnet sich eigentlich von selbst.

Dass wir mit unserem derzeitigen Hochschulsystem in Österreich bei Vergleichen ziemlich weit abgeschlagen liegen, mit einigen Ausnahmen, egal ob bei Uni-Rankings oder Akademikerquoten, zeigt uns, dass die gesamte Grundausrichtung nicht mehr stimmig ist. Die Probleme beginnen ja schon weit vor dem Studium. Wenn einem zum Beispiel eine 17-jährige AHS-Schülerin erzählt, dass sie sich nach dem Besuch einer Berufsfindungsmesse überhaupt nicht besser informiert fühlt oder von einem Berufsorientierungstest zum nächsten rennt, dann müssen wir mit der Berufs- und Studienberatung intensiver und vor allem weitaus länger vor der Matura beginnen, zum Beispiel als verbindliche Übung in der Oberstufe. Wir haben ja bereits, wie schon von meinem Vorredner erwähnt, bei der letzten Bundesratssitzung diesbezüglich auch einen Beschluss gefasst.

Überhaupt könnte heute der Eindruck entstehen, dass viele Jugendliche eigentlich orientierungslos zu studieren beginnen. Das zeigen ja zum Teil auch die Zahlen über die langen Studienzeiten in Österreich: Die Durchschnittszeit liegt in Österreich mit 5,6 Jahren deutlich über dem OECD-Schnitt mit 4,5 Jahren. Das heißt, nur mit Ein­führungs- und Orientierungsphasen werden wir diesen Umstand nicht verbessern können, im Gegenteil, bei einem Wechsel der Studienrichtung sind dann schon einmal einige Semester verloren. Diese verlorenen Semester fehlen einem dann irgendwann im weiteren Leben, entweder beim späteren Berufseinstieg, beim Gehalt oder Lohn und ganz sicher beim Pensionsantritt. Daher brauchen wir überschaubare und ver­ständliche Bildungswegweiser und eine Hochschullandschaft, in der sich Jugendliche leicht und gut zurechtfinden können. Damit können wir die Studienzeiten zumindest ein wenig verkürzen.

Ein anderer Grund für lange Studienzeiten ist, dass sich Studierende das Studium nicht mehr leisten können. Das ist in unserem Land, einem angeblich entwickelten Land,


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 17

doch einigermaßen beschämend. Vielleicht ein kleiner Sidestep: In alten Gewerk­schaftszeitschriften kann man nachlesen, wie Studierende in der Zeit des Wieder­aufbaus immer wieder ihr Studium für ein Jahr unterbrechen mussten, nur um sich durch harte Arbeit Geld fürs Weiterstudieren anzusparen.

Und heute? – Ich möchte nicht unbedingt die Parallelen ziehen müssen, aber vor allem Kinder aus einkommensschwachen Familien sind nach wie vor von einem Studium fast ausgeschlossen. Einerseits werden sie viel zu oft bereits nach der Volksschule in Richtung Abstellgleis geschoben, oder es fehlt ihnen später an finanzieller Unterstützung. Oft streben die Eltern auch gar keinen akademischen Abschluss für ihre Kinder an. Zum Beispiel wollen nur 11,7 Prozent der Eltern in mittelqualifizierten Haus­halten einen akademischen Abschluss für ihre Kinder. Wir wollen aber allen Jugend­lichen zumindest die Möglichkeit geben, ein Studium absolvieren zu können, unabhän­gig von ihrer sozialen Herkunft. Wir brauchen daher ein sinnvolles Stipendiensystem, das ein effizientes Studieren ohne reiche Eltern und ohne Nebenjobs ermöglicht. Auch das verkürzt Studienzeiten.

Es hätte auch manch anderen Nutzen: Kürzere Studienzeiten bedeuten geringere Kosten für die Universitäten, früheren Berufseinstieg der Absolventen und Absol­ven­tinnen und dadurch frühere Steuereinnahmen für den Staat und frühere Sozialversiche­rungsbeiträge. Und eine Hochschulbildung ist eine gute Voraussetzung für gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt und zugleich auch der beste Schutz vor Armutsge­fährdung.

Was wir bei einer verantwortlichen Hochschulpolitik auch berücksichtigen müssen, ist, dass es neben finanziellen Barrieren auch noch geographische Barrieren gibt. Zu lange Anfahrtszeiten oder ungünstige Fahrpläne im öffentlichen Verkehr können eben­so leicht zu einem Hindernis werden. Und Kinder von einkommensschwächeren Eltern am Land werden sich ohne ein intelligentes Stipendiensystem eine Studentenwohnung in der nächsten Universitätsstadt schwer leisten können.

Wir müssen aber auch in die umgekehrte Richtung denken: Hochschulen und For­schungszentren am Land zur regionalen Wirtschaftsbelebung und durchaus auch als Entlastung von Großstädten. Das heißt, ähnlich, wie Ärztezentren angelegt sind, könnte man auch über neue, zusätzliche Forschungs- und Entwicklungszentren mit angeschlossenen Hochschulen nachdenken. Daran sollte auch die Wirtschaft größtes Interesse haben, denn ohne exzellente und international anerkannte Forschung wer­den wir den wissenschaftlichen Nachwuchs schwer in unserem Land halten können.

Derartige Zentren könnten in den Ländern neue Arbeitsplätze schaffen und so zu einer wirtschaftlichen und auch kulturellen Belebung von Regionen beitragen.

Die Ausgaben für die Hochschulpolitik dürfen nicht als Kosten gesehen werden, sondern als Investition in die Zukunft, in den Wirtschaftsstandort Österreich, in die Wirt­schaft, in gut bezahlte Arbeitsplätze, in die Sicherung unseres Pensions- und Gesund­heitssystems und in die Weiterentwicklung unseres Landes. Zudem sind im Hoch­schulbereich Tausende Menschen beschäftigt, und dieser zählt, genauso wie Pflege und Betreuung, zu den Zukunftsbranchen.

Verantwortliche Hochschulpolitik muss auch heißen, dass ein Studium mit einem Lehr­abschluss in vernünftiger, erträglicher und unbürokratischer Form möglich sein muss. (Beifall bei der SPÖ.)

Vergleichbare oder einheitliche Qualitätsstandards sollen die Durchlässigkeit der verschiedenen Bildungssysteme auch im Bereich der Weiter- beziehungsweise der Erwachsenenbildung garantieren sowie für internationale Anerkennung sorgen.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 18

Für eine verantwortliche Hochschulpolitik brauchen wir auch die besten Pädagoginnen und Pädagogen. Wir brauchen didaktisch besser geschulte Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer. Auch in diesem Bereich gibt es jede Menge Handlungsbedarf.

Wir müssen auch darauf schauen, dass schon erreichte Bildungsabschlüsse besser anerkannt werden. Wir können es uns nicht leisten, auf vorhandene Qualifikationen zu verzichten, weil sie zum Beispiel im Ausland erworben wurden. Das Recht auf Bildung steht allen offen. Daher müssen wir dafür sorgen, dass Hochschulpolitik, Hochschul­bildung weiterhin von der öffentlichen Hand getragen werden, denn teure Privat­universitäten können sich nur Kinder mit reichen Eltern leisten. Wir werden daher ganz genau darauf achten, dass unsere Hochschulpolitik auch in Zukunft für alle offensteht und zu keinem lukrativen Privatbusinessbereich privater Investoren verkommt.

Wir wollen die besten Hochschulen in unserem Land, wir wollen aber auch die besten Köpfe in unserem Land. Dann rechnet sich verantwortliche Hochschulpolitik am besten. – Danke. (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie der Bundesrätin Kerschbaum.)

9.31


Präsident Gottfried Kneifel: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Mag. Pisec. Ich erteile es ihm.

 


9.31.34

Bundesrat Mag. Reinhard Pisec (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ziel einer guten Wissens­politik muss es sein, das produktive Umfeld dafür zu schaffen, dass die ent­sprechen­den Forschungsergebnisse zustande kommen und diese auch vermarktet werden können. Dabei ist es wichtig, vor allem junge Wissenschaftler entsprechend auszu­bilden und heranzuziehen. Daher sollten die Förderungen nicht so sehr in die Breite als vermehrt in die Tiefe verlagert werden und sollte man die bestehenden wissenschaft­lichen Cluster, die in Österreich zur Genüge existieren, nützen, wie zum Beispiel die öffentlichen Universitäten.

Ich möchte als Beispiel unsere Universität, drei Gehminuten von hier entfernt, nennen, die renommierteste österreichische Universität, die zwar im internationalen Ranking auf ungefähr Rang 150 abgerutscht ist, aber trotzdem in Österreich den Platz 1 bean­sprucht, und im Vergleich dazu als Kontrapunkt die Eliteuniversität in Gugging, ein Beispiel, wie man es nicht machen soll.

Die Eliteuniversität in Gugging hat extreme Probleme bei der Rekrutierung von Professoren und Assistenzprofessoren, weil sie einfach auf die grüne Wiese gesetzt wurde. Stattdessen wäre es besser, die öffentlichen Universitäten, wie zum Beispiel diese Hauptuni, mehr zu unterstützen, ihr mehr Forschungsbeiträge zukommen zu lassen, damit diese wieder an internationalem Rang gewinnt. Sie ist auch deswegen auf Rang 150 abgerutscht, weil man die Medizinische Fakultät ausgegliedert hat. Und gerade im internationalen Ranking zählen die Nobelpreisträger sehr viel. (Zwischenruf des Bundesrates Dönmez.) – Stichwort USA, als Beispiel für dich: Wirtschafts­wissen­schaften. Jeder dritte Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften kommt aus den USA. Sie kommen von einer fertigen Universität: das ist Princeton, das ist das Institute of Massachusetts, das ist Harvard und das ist vor allem Chicago. (Bundesrätin Kerschbaum: Soll Wien jetzt doch Chicago werden?! – Weitere Zwischenrufe.) Allein Chicago hat in den letzten 40 Jahren, seitdem es diesen Nobelpreis gibt – genauer: seit 1969 – über 20 Nobelpreisträger geschaffen. Das nur ein Beispiel, wie Forschung an öffentlichen Universitäten funktioniert. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Als Beispiel: In Deutschland findet gerade die Gründung einer Eliteuniversität statt. In Deutschland ist eine Eliteuniversität ausgeschrieben. Dort bewerben sich bestehende


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 19

autonome Universitäten um den Zuschlag, allen voran die Humboldt-Universität in Berlin. Daher mein Appell: Bitte fördern wir die bestehenden wissenschaftlichen Clus­ter, vor allem unsere Hauptuniversität hier an der Ringstraße! (Beifall bei der FPÖ.) Gerade für Wissenschaftler ist es wichtig, dass sie international vernetzt sind. Ein Wissenschaftler arbeitet in einer wissenschaftlichen Community und nicht im Allein­gang. Daher müssen wir den Wissenschaftlern auch diese Vernetzung anbieten.

Zum Thema Förderungen: Natürlich sind die Förderungen gestiegen, und zwar auf 2,73 Prozent, aber die Grundlagenforschung liegt bei 0,4 Prozent, und das ist zu wenig. Die Grundlagenforschung ist auch im europäischen Durchschnitt im untersten Bereich zu finden. Daher müssen die Anstrengungen für die Grundlagenforschung erhöht werden, und die Grundlagenforschung gehört an die Universitäten, denn dort findet die Forschung statt und dort gehört sie auch hin! (Beifall bei der FPÖ.)

Bei den Förderungen ist auffällig, dass wir zwar diesbezüglich im oberen Bereich liegen, aber bei den Patentanmeldungen und bei den innovativen Produkten in Öster­reich an eher unterer Stelle, sogar im unteren Durchschnitt. Das verwundert mich aber nicht, denn es ist das übliche System des österreichischen Förderwesens, dass dieses eher Lobbyisten begünstigt und nicht diejenigen, die es wirklich benötigen. Daher wäre es wesentlich besser, wenn man jungen Unternehmern die innovativen Start-ups erleichtert – durch Steuersenkungen, durch Investitionsfreibeträge und durch die Senkung der Lohnnebenkosten, damit diese leichter auch Mitarbeiter anstellen können. Das ist wirkliche Förderung.

Österreich hat wenige multinationale Konzerne. Österreich besteht aus KMUs, und daher ist eine Wissenspolitik der Zukunft, die Wissensorte zu fördern, Modelle zu schaffen, die Unis und diese innovativen Betriebe gemeinsam berücksichtigen und vor allem – vor allem! – eine bessere Vermarktung der Universitäten vorantreiben. Eine solche findet nur sehr wenig statt, die Universitäten gehören wesentlich besser ver­marktet.

Es sind an der Hauptuniversität exzellente Wissenschaftler, die exzellente Produkte hervorbringen – nur weiß das keiner –, und Patentanmeldungen werden einfach nicht vermarktet. Hier muss man einfach Hilfe leisten und auch ein Management installieren, damit diese Vermarktung stattfinden kann.

Sicherlich ist die Idee, die Universität für Wirtschaftswissenschaften im Prater neu zu errichten, eine ausgezeichnete. Hier ist eine Konstellation zu schaffen, dass sich auch Österreich auf seine Tradition der Wirtschaft wieder mehr spezialisieren und kon­zentrieren kann. Daher ist es im Sinne der Konzentration, im Sinne der Hervorbringung der wissenschaftlichen Cluster nicht notwendig, dass an anderen Universitäten gleichzeitig Volkswirtschaft und Betriebswirtschaft angeboten wird. Das ist in einer Großstadt wie Wien nicht notwendig. Konzentrieren wir uns auf die neue oder auf die alte WU, schaffen wir dort die entsprechenden Voraussetzungen mit anderen Gege­benheiten, aber man sollte nicht doppelgleisig fahren.

Der Einfluss von staatlicher Politik gehört auch zurückgedrängt. Wissenschaftler haben mit Politik wenig gemein. Wissenschaftler wollen unabhängig sein, wollen forschen, wollen frei sein, wollen individuell tätig sein. Daher ist es wichtig, die Autonomie der Uni­versitäten zu stärken. Universitäten müssen selbständig entscheiden können, welche Leute sie anstellen, in welche Richtung sie forschen und wofür sie forschen.

Der Staat muss für die Vermarktung garantieren, muss Hilfestellung leisten, muss ein Management installieren. Die Wissenschaft darf nicht der Politik dienen – die Politik muss der Wissenschaft dienen.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 20

Daher mein Appell:

Konzentration auf bestehende, anerkannte, bereits ausgebildete wissenschaftliche Cluster, aber natürlich auch auf außeruniversitäre Einrichtungen wie die Akademie der Wissenschaften, die auch exzellente Ergebnisse liefert, Förderung der öffentlichen Unis, weil nur an den Universitäten Forschung und Lehre gemeinsam stattfindet – nur dort werden Wissenschaftler ausgebildet, nur dort, im Zuge dieses neuen dreistufigen Bachelor-Systems, das ja gar nicht so schlecht ist, werden Leute mit Wissenschaft in Verbindung gebracht und vor allem dafür interessiert –, Förderung der Grundlagen­forschung, Steuererleichterungen für Betriebe, weniger Förderungen, mehr Steuer­erleichterungen, und vor allem, last but not least, die bessere Vermarktung unserer Universitäten, denn so schlecht sind wir nicht. Dieses Dilemma mit den Studenten, wie es immer in der Zeitung steht, ist ein Problem, aber die Forschung findet bei uns sehr wohl statt, und die Forschung gehört mehr in den Vordergrund gestellt. – Danke sehr. (Beifall bei der FPÖ.)

9.39


Präsident Gottfried Kneifel: Für eine einleitende Stellungnahme hat sich die Frau Bundesministerin für Wissenschaft und Forschung zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihr. Auch ihre Redezeit soll 10 Minuten nicht überschreiten.

 


9.39.31

Bundesministerin für Wissenschaft und Forschung Mag. Dr. Beatrix Karl: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Bundesräte! Ich habe vor etwas mehr als einem Jahr das Ruder in der Hochschul- und Forschungspolitik übernommen, und – ich glaube, da werden Sie mir zustimmen – das ist alles andere als ein Sonntags­spaziergang.

Die Herausforderungen in diesem Bereich lagen von Anfang an auf dem Tisch, und ich habe diese Herausforderungen auch sehr gerne angenommen, weil ich die Heraus­forderungen und die Bedürfnisse und die Anliegen der Universität sehr gut kenne: aus meiner Zeit als Studierende, als Assistentin, aber auch als Professorin.

Die Herausforderungen sind tatsächlich groß. Wir erwarten von den Universitäten sehr viel. Wir erwarten, dass sie unsere Studierenden bestmöglich ausbilden. Wir erwarten, dass sie auch als Innovationstreiber tätig sind und damit natürlich auch einen Mehrwert für die Wirtschaft bringen. Auf der anderen Seite muss man aber natürlich auch sehen, dass die Universitäten mit steigenden Studierendenzahlen und mit einer immer kosten­intensiveren Forschungsinfrastruktur zu kämpfen haben. Außerdem agieren sie natür­lich auch in einem größeren internationalen Wettbewerb, und all das bei stagnierenden Budgets. Was unsere Hochschulen daher brauchen, um diesen Herausforderungen begegnen zu können, lässt sich eigentlich in einem Satz sagen: Sie brauchen einen geregelten Zugang und eine ausreichende Finanzierung bei gleichzeitiger Steigerung der Effizienz.

Ich bin der Meinung, wir sind es den Hochschulen – und damit vor allem auch unserer Zukunft – einfach schuldig, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sie den Anforderungen, die wir zu Recht an sie stellen, auch gerecht werden können. Es ist nämlich nicht fair, nur Anforderungen an die Hochschulen zu stellen, ihnen aber nicht die notwendigen Rahmenbedingungen zu gewähren. Diese Priorität verfolge ich vor allem unter Beachtung folgender Grundsätze:

Teilhabe möglichst breiter Bevölkerungsschichten und damit auch vielfältige Zugangs­wege zur Universität; Steigerung der Zahl der Absolventinnen und Absolventen; mehr Planbarkeit und ein höheres Qualitätsbewusstsein in Forschung und Lehre; höhere


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 21

Transparenz ebenso wie eine Entlastung von unnötiger Bürokratie und – ich habe es bereits angesprochen – mehr Effizienz.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Politik bedeutet für mich aber vor allem auch gestalten. Lassen Sie mich deshalb sagen, mit welchen vordringlichen Maßnahmen ich diesen so wichtigen Kriterien auch tatsächlich zum Durchbruch verhelfen will.

Es wurde von Frau Bundesrätin Kemperle bereits angesprochen, dass wir eine Ge­samtsicht der Universitäten brauchen. – Ja. Genau dieses Ziel verfolge ich auch mit dem österreichischen Hochschulplan. Der österreichische Hochschulraum muss sich künftig im Interesse der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und Leistungsfähigkeit gezielter entwickeln, als das bisher der Fall war. Dazu gehört ein fundiertes Standort­konzept, das besagt, wo künftig welche Leistungen in Forschung und Lehre erbracht werden sollen. Ziel ist es, bis Ende des Jahres ein Konzept in Hinblick auf Studien­plätze, Forschungsinfrastruktur und Bauten zu präsentieren, dessen Umsetzung mit der nächsten Leistungsvereinbarungsperiode 2013 bis 2015 bereits beginnen kann.

Wir sehen in Österreich aber schon derzeit einige sehr erfolgreiche Projekte, bei denen unsere Universitäten ihre Kräfte bündeln – darum geht es ja auch beim öster­reichi­schen Hochschulplan –, um gemeinsam mehr zu erreichen und auch im internationalen Wettbewerb besser sichtbar sein zu können. Beispiele der Zusammenarbeit bieten etwa die Technische Universität Wien, die Technische Universität Graz und die Montanuniversität Leoben. Das sind die drei technischen Universitäten in Österreich, und diese drei technischen Universitäten haben sich zur „TU Austria“ zusammenge­schlossen. Dadurch entsteht im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich ein Ver­bund mit über 38 000 Studierenden, über 300 Millionen € Bilanzsumme und fast 8 000 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen.

Worum geht es bei diesem Verbund? – Es geht um eine bessere Abstimmung der Forschungsschwerpunkte und des Lehrangebots, um eine verstärkte Kooperation in Forschung und Lehre, aber auch bei Berufungen und Dienstleistungen.

Auch ein anderes Beispiel möchte ich Ihnen noch nennen: Für den Bereich High Performance Computing wird gemeinsam mit den Universitäten eine Gesamtstrategie für den Bereich des wissenschaftlichen Hochleistungsrechnens entworfen. Dafür gibt es auch bereits sehr gute Role Models oder Best-Practice-Beispiele. So gibt es etwa in den westlichen Bundesländern bereits einen solchen HPC-Cluster an den Univer­sitäten Linz, Salzburg und Innsbruck sowie einen weiteren HPC-Cluster mit dem Standort Wien Arsenal für die Technische Universität, die Universität Wien und die Universität für Bodenkultur. Das sind wirklich Modellprojekte, wie wir sie in Zukunft vermehrt brauchen, und in diese Richtung will ich auch mit dem österreichischen Hochschulplan gehen.

Es wurde bereits angesprochen: Unsere Hochschulen haben – Gott sei Dank! –Stärken, und auch unsere außeruniversitären Forschungseinrichtungen haben Stärken. Aber es geht natürlich auch darum, diese Stärken besser sichtbar zu machen und durch eine sinnvolle Bündelung und eine bessere Kooperation noch besser nutzbar machen zu können.

Ein wesentlicher Teil des österreichischen Hochschulplans wird auch die Studienplatz­finanzierung sein.

Wie beim Universitätsgipfel letzten November vereinbart, soll ab der Leistungsverein­barungsperiode 2013 bis 2015 eine Studienplatzfinanzierung auf Normkostenbasis implementiert werden. Damit untrennbar verbunden ist auch eine Kapazitätsfestlegung für alle Universitäten. Die Studienplatzfinanzierung stellt auf der Grundlage eines geregelten Hochschulzugangs eine transparente Finanzierung der Universitäten sicher.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 22

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man muss in diesem Zusammenhang auch erwähnen, dass sich in Österreich kaum ein Postulat in der bildungs- und wissen­schaftspolitischen Diskussion so lange und so stabil als so dominierend erwiesen hat wie die Idee des offenen Hochschulzugangs. Diese Idee steht allerdings in einem merkwürdigen Widerspruch zu dem, was mit dieser Idee eigentlich erreicht werden sollte.

Erstens hat der offene Hochschulzugang zu keiner sichtbaren Verbesserung der sozialen Struktur der Studierenden an den Universitäten geführt. Zweitens zahlen wir für diesen offenen Hochschulzugang einen sehr hohen Preis. Wir zahlen nämlich den Preis der Qualität. Wir sind mit dem bekannten massiven Phänomen der Massenuni­versitäten konfrontiert. Darunter leidet die Qualität der Studienbedingungen, es gibt schlechte Betreuungsverhältnisse und damit natürlich auch schlechte Ausbildungs­bedin­gungen. Drittens ist der offene Hochschulzugang das falsche Rezept, um zu mehr Akademikern und Akademikerinnen zu kommen. Wir haben nämlich trotz offenen Hochschulzugangs nach wie vor eine sehr niedrige Akademikerquote.

So gibt es zum Beispiel in Finnland in allen Studienrichtungen sehr strenge Zugangs­regelungen, und zwar sogar im doppelten Sinn. Es gibt dort nämlich einen Numerus clausus plus sehr strenge Aufnahmeverfahren. Trotzdem ist in Finnland die Akademi­kerquote doppelt so hoch wie in Österreich.

Das österreichische Modell des offenen Hochschulzugangs stellt in Europa tatsächlich eine Sondersituation dar. Fast alle Länder in Europa haben diese Problematik anders gelöst und haben mit ihren Lösungen bessere Ergebnisse erzielt, und zwar im Hinblick darauf, dass mit ihren Lösungen eine bewusstere Studienwahl bei den Studien­anfängern erzielt werden konnte. Zudem konnten sie auch eine höhere Motivation bei Studierenden und Lehrenden sowie eine kürzere Studiendauer erreichen. Es gibt weniger Studienabbrecher, dafür mehr Absolventinnen und Absolventen. – All das sind Ziele, die ich mir auch für unsere Universitäten wünschen würde. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Stillstand führt zum Kollaps, gerade auch in der Politik. Daher ist auch die Neuregelung des Hochschulzugangs durch die Univer­sitätsgesetz-Novelle, die wir erst kürzlich hier diskutiert haben, ein ganz wesentlicher erster Schritt zu mehr Klarheit für die Studierenden und einer besseren Planbarkeit für die Universitäten.

Die Eckpunkte, die wir auch erst kürzlich diskutiert haben, sind eine verpflichtende Voranmeldung zum Studium, eine verpflichtende Studienwahlberatung sowie die Neugestaltung der Studieneingangs- und Orientierungsphase. Aber wie auch Herr Bundesrat Saller bereits angesprochen hat, ist klar, dass diese Lösung nur ein erster Schritt sein kann und die österreichischen Universitäten ein transparentes Zugangs­management brauchen, um die Qualität, die sie den Studierenden und den Lehrenden und Forschenden meines Erachtens bieten müssen, auch sicherstellen zu können. Spätestens mit der Einführung der Studienplatzfinanzierung sind daher festgelegte Kapazitäten ein absolutes Muss im Sinne der Steigerung der Qualität.

Ich möchte aber noch einmal auf die Studienwahlberatung NEU zu sprechen kommen, weil sie auch von Frau Bundesrätin Kemperle zu Recht angesprochen und ihre Bedeu­tung hervorgehoben wurde. In der Novelle zum Universitätsgesetz – insbesondere zu dieser Neugestaltung der Studieneingangsphase – wurde auch festgelegt, dass es ab dem Wintersemester 2012/13 eine verpflichtende Studienwahlberatung vor der Inskrip­tion geben soll, um die angehenden Studierenden tatsächlich besser auf ihre Studien­wahl vorzubereiten.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 23

Neben einer flächendeckenden Ausweitung des Studiencheckers werden auch Qualitätskriterien für anerkannte Studienwahlberatungen definiert. Kollegin Claudia Schmied und ich arbeiten gerade daran, eine entsprechende Verordnung auszuar­beiten, um damit sicherzustellen, dass nicht irgendeine Studienwahlberatung flächen­deckend etabliert wird, sondern eine qualitativ hochwertige Studienwahlberatung flächendeckend etabliert ist. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

Unser gemeinsames Ziel ist es dabei, die Studienwerber und Studienwerberinnen so zu informieren, dass wir künftig nicht mehr die bekannten Zahlen hören, dass sich rund 60 Prozent der Studienanfänger für nur 10 Prozent der Studienfächer entscheiden. Davon müssen wir wegkommen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein ganz anderes Bild ergibt sich, wenn wir den Bereich der Fachhochschulen betrachten. Dieser vergleichsweise erst sehr junge Tertiärbereich ist eine echte Erfolgsgeschichte in der österreichischen Hochschul­landschaft und ist natürlich gerade aus Sicht der Bundesländer von großer Bedeu­tung – darauf hat auch Herr Bundesrat Saller bereits hingewiesen. Als regionale, nationale und auch internationale Innovationstreiber sind sie einfach eine wichtige Schnittstelle zwischen der Wissenschaft und den lokal und global agierenden Unter­nehmen, die sehr gerne auf die Experten und Expertinnen der Fachhochschulen und deren Absolventinnen und Absolventen zurückgreifen.

Mit aktuell zirka 38 000 Studierenden zeichnet sich der Fachhochschulbereich durch einige nun folgende Maßnahmen ganz besonders aus, nämlich durch eine Studien­platzfinanzierung mit Studiengebühren, die je nach Entscheidung des Erhalters eingehoben werden, durch objektive Aufnahmeverfahren und Eignungstests zu Stu­dien­beginn und durch ein sehr praxisnahes Hochschulstudium in enger Abstimmung mit der Wirtschaft.

Nach Monaten der notwendigen Konsolidierung freut es mich, dass wir nunmehr wieder einen moderaten quantitativen Ausbau des Fachhochschulbereichs vornehmen können. Ich werde einen Teil der 80-Millionen-€-Offensivmittel, die ich bei den Budgetverhandlungen in Loipersdorf für die Hochschulen ausverhandelt habe, auch für den Ausbau der Fachhochschulen verwenden.

So werden wir bereits ab dem kommenden Wintersemester damit beginnen, zusätz­liche Studienplätze zu finanzieren, und im Vollausbau wird es dann rund 1 300 zusätzliche Studienplätze geben. Somit können die Fachhochschulen die dringend benötigten Fachkräfte rasch und praxisnah ausbilden, andererseits werden dadurch natürlich die Universitäten etwas entlastet.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir dürfen aber natürlich auch nicht verges­sen, die Rahmenbedingungen im Bereich der Forschung zu verbessern. Auch das muss uns ein zentrales Anliegen sein. Herr Bundesrat Saller hat bereits darauf hinge­wiesen, dass die Bundesregierung am 8. März 2011 die erste FTI-Strategie des Bundes verabschiedet hat. Für mein Ressort finden sich darin folgende wesentliche Aussagen:

Erstens geht es um eine Stärkung der Grundlagenforschung, denn die Grundlagen­forschung ist eine der Treiberinnen für Innovation und wird noch stärker als zentrale Aufgabe der staatlichen Forschungsförderung positioniert. Zweitens sind starke Hochschulen ein zentraler Faktor im internationalen Standortwettbewerb. Daher ist für mich die Stärkung der Hochschulen und der Forschungseinrichtungen zum Beispiel durch die Entwicklung eines österreichischen Hochschulplans von ganz besonderer Bedeutung. Und drittens müssen wir neben Forschung und Lehre auch die Innovation, also den Wissens‑ und Technologietransfer aus den Hochschulen in die Wirtschaft, als


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 24

von mir oft zitierte dritte Säule an den Universitäten etablieren. Wir brauchen neben Forschung und Lehre auch Innovation als dritte Säule an unseren Hochschulen.

Die FTI‑Strategie des Bundes sieht zur Stärkung der Innovationsfähigkeit heimischer Hochschulen die Einführung von Wissenstransferzentren vor. In den laufenden Leistungsvereinbarungen wird die Einführung derartiger Maßnahmen auch ein ganz zentraler Punkt sein.

Die Kooperation ist schließlich ein weiterer wesentlicher Punkt in dieser Forschungs­strategie. Es ist wichtig, dass alle Einrichtungen im nationalen Innovationsprozess noch stärker als bisher aufeinander zugehen, weil am Ende des Tages nur so Wachstum und Aufschwung erzielt werden können.

In diesem Zusammenhang möchte ich auf das IST Austria hinweisen. Das IST Austria hat sich wirklich sehr gut in das nationale Wissenschaftssystem eingelebt. Daher muss ich die Kritik von Herrn Bundesrat Pisec entschieden zurückweisen: Das IST Austria gehört mittlerweile zu den ganz wenigen europäischen Erfolgsbeispielen, wie man Grundlagenforschung ganz gezielt fördern kann.

Es gab erst kürzlich einen ersten Evaluierungsbericht zum IST Austria. Herr Bundesrat! Sie haben auf die Bedeutung der Nobelpreisträger hingewiesen, und in diesem Evaluierungskomitee saßen auch zwei Nobelpreisträger, neben Direktoren von Max-Planck‑Instituten et cetera. Dieses Evaluierungskomitee ist zum Ergebnis gekommen, dass das IST Austria eine großartige Einrichtung ist. Viele aus diesem Evaluierungs­board haben gesagt, sie hätten es Österreich gar nicht zugetraut, dass wir es schaffen, ein solch großartiges Grundlagenforschungsinstitut zu errichten und zu etablieren. – Man kann daher wirklich nur sagen: Hut ab vor dem, was dort geleistet wird!

Sie haben auch darauf hingewiesen, dass es besser gewesen wäre, öffentliche Universitäten zu fördern. – Dazu muss man sagen: Das IST Austria ist keine öffentliche Universität, aber es ist auch keine Elite-Universität, wie es oft genannt wird. Das IST Austria ist eine Exzellenzforschungseinrichtung, und eine solche ist es tatsächlich. Die Leistungen dort sind exzellent! Ich möchte Sie wirklich herzlich einladen, sich vor Ort davon zu überzeugen, was dort geschieht! Es wurden Top-Professorinnen und ‑Professoren dorthin berufen, es ist gelungen, wahnsinnig viele Projekte einzuwerben und auch viele ERC-Grants auf europäischer Ebene einzuwerben.

Die aktuelle Evaluierung hat tatsächlich gezeigt, dass die Entscheidung, ein solches Spitzenforschungsinstitut in Österreich zu gründen, richtig war und auch zu einer massiven Stärkung des Standortes geführt hat. Ich kann Ihnen versichern, dass Professor Henzinger ein Garant dafür ist, dass jeder öffentliche Euro gut und nach­haltig investiert ist. Professor Henzinger, Präsident des IST Austria, ist selbst ein sehr renommierter Computerwissenschafter, und ich selbst konnte erst kürzlich den Startschuss für ein wirklich spannendes Forschungsnetzwerk im Bereich der Compu­terwissenschaften geben, an dem einerseits das IST Austria, aber auch vier Univer­sitäten, nämlich die Universität Salzburg, die Universität Linz, die TU Wien und die TU Graz beteiligt sind. – Daran sehen Sie, dass das IST Austria auch sehr gut mit Universitäten zusammenarbeitet und das auch einen Mehrwert für die Universitäten bedeutet.

Dieses Forschungsnetzwerk im Bereich der Computerwissenschaften plant, auf die­sem Gebiet Weltgeltung zu erlangen. Dazu wurden auch Spitzenforscher aus Berkeley, Lausanne, München und Zürich nach Österreich geholt, wie zum Beispiel der Computerwissenschafter Helmut Veith, der an die TU Wien berufen werden konnte. Hier haben die österreichischen Bemühungen tatsächlich einen Vorsprung gegenüber den europäischen Mitbewerbern, und auch das zeigt wiederum, wie wichtig Koope­ration bei Wissenschaft und Forschung ist.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 25

Ich möchte hier auch Professor Henzinger zitieren, der im O‑Ton einmal gesagt hat: „Es ist besser, ein gutes Ergebnis mit viel Kooperation zu erzielen, als ein mittel­mäßiges Ergebnis im Alleingang.“ – Ich glaube, dem ist nichts hinzuzufügen.

Lassen Sie mich abschließend noch ein weiteres Beispiel für sehr gute Kooperationen im Forschungsbereich anführen, nämlich das Beispiel der Medical Science City in Graz. Von Graz aus wird ein einzigartiges EU‑ und OECD‑Vorhaben koordiniert, nämlich das Projekt der Biobanken. Graz hat eine der weltweit größten Sammlungen von erkranktem und gesundem Gewebe. Dank der tollen Koordination von Professor Zatloukal hat Graz auch die Chance, Sitz dieser europäischen Forschungsinitiative zu werden. Bund und Land Steiermark investieren dafür mehr als 12 Millionen € in den nächsten Jahren.

Diese exzellente Forschungsinfrastruktur liefert auch zahlreiche Impulse für weitere Kooperationen mit der Wirtschaft, denn Sie dürfen nicht vergessen, dass diese Samm­lungen von Proben essenzielle Quellen zur Erforschung von Ursachen von Krankheiten sowie für die Entwicklung neuer diagnostischer und therapeutischer Methoden, insbe­sondere auch der personalisierten Medizin darstellen. Das ist also ein ganz wesent­licher Zukunftsbereich. Den Biobanken kommt daher auch in der Weiterentwicklung des medizinischen Fortschritts und der medizinischen Forschung eine ganz zentrale Schlüsselrolle zu. Dass wir das nicht nur in Österreich so sehen, sondern dass das auch international anerkannt wird, belegt etwa das „Time“‑Magazin, welches das Konzept der Biobank 2009 sogar auf die Liste jener zehn Ideen setzte, die die Welt in naher Zukunft verändern werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie Sie sehen, stehen wir vor wirklich sehr herausfordernden hochschulpolitischen und forschungspolitischen Entscheidungen. Ich bin davon überzeugt, dass wir diese zentralen Entscheidungen nur gemeinsam treffen können und dass es hiebei unserer Zusammenarbeit bedarf. Wenn wir diese Aufgaben im Bereich Bildung, Wissenschaft und Forschung tatsächlich bewältigen wollen, dann bedarf es dazu des gemeinsamen Agierens. (Vizepräsidentin Mag. Neuwirth über­nimmt den Vorsitz.)

Im Hinblick darauf hoffe ich, dass auch die Bundesländer weiterhin zentrale Weg­begleiter der Zukunft in diesen Bereichen sein werden, und ersuche auch die Mitglieder des Bundesrates, mich weiterhin dabei zu unterstützen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

9.59


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als nächste Rednerin ist Frau Bundesrätin Dr. Kickert zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


9.59.19

Bundesrätin Dr. Jennifer Kickert (Grüne, Wien): Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Werte KollegInnen! Nachdem wir jetzt die verschie­denen Ebenen von Wissenschaft und Forschung angesprochen haben, auf der einen Seite die Forschung mit Exzellenz und dem Ansehen, das sie unserem Staat gibt, und auf der anderen Seite die zahlreichen Schwierigkeiten und den großen Handlungs­bedarf in der Ausbildung, möchte ich ganz kurz einen Slogan der FPÖ abwandeln, nachdem mir Kollege Pisec jetzt sozusagen die Rutsche dazu gelegt hat.

Ich würde mir also wünschen, dass Wien, aber auch alle anderen Universitäts- und Fachhochschulstandorte doch Chicago werden sollen – wie auch immer Sie das schaffen und die Politik die dazu notwendigen Rahmenbedingungen setzt. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 26

Forschung existiert, wenn sie exzellent oder auf internationalem Niveau betrieben wird. Internationales Niveau bedingt in diesem Fall schon Kooperation. Ich weiß nicht, wie Wissenschaft oder Forschung ohne Kooperation bestehen sollte, denn wissenschaft­liche Arbeit basiert immer auf Vorarbeiten von Kolleginnen und Kollegen, und auch die eigenen Arbeiten werden weiterverwendet. Kooperation ist ein Schlagwort, ist aber gerade in Wissenschaft und Forschung selbstverständlich. Allein daran kann man – wie soll ich sagen – den Wert der Forschung und unserer Hochschulpolitik nicht mes­sen.

Wenn Kollegin Kemperle jede Menge Handlungsbedarf attestiert hat, dann kann ich ihr nur zustimmen. Und ja, es ist kein Sonntagsspaziergang. Nichtsdestotrotz ist in den von Ihnen skizzierten notwendigen Rahmenbedingungen für die Steigerung der Effi­zienz schon einiges an Drohpotenzial vorhanden – je nachdem, wie viel Information man darüber hat, wie diese notwendigen Rahmenbedingungen aussehen werden.

Bis Ende dieses Jahres wird ein Standortkonzept erarbeitet. Es klingt ausgesprochen logisch, dass die Lehr- und Forschungsangebote der einzelnen Standorte aufeinander folgen sollten, also abgestimmt werden sollten.

Gleichzeitig werden aus der Sicht der Institutionen an allen Ecken und Enden aber auch Streichungen und Kürzungen hingenommen werden müssen. Wir wissen, dass die Subventionen für die Förderung von wissenschaftlichen Zeitschriften und Publi­kationen ab 2012 eingestellt werden. Wir wissen, dass gerade jetzt die Basisförderung außeruniversitärer Forschungseinrichtungen gestrichen wird – übrigens auch für solche, die Exzellenz vorweisen. Das sind sozusagen diese kleinen Handlungsbedarfs­ebenen. Die Unis klagen über Raumnot und viel Sanierungsbedarf. Wer an die Hauptuni gegangen ist oder vor zwanzig Jahren dort studiert hat, kennt die Situation der bröckelnden Decken – nicht nur das Parlament, sondern auch so manche Uni bricht zusammen.

Und selbst wenn mit der neuen Regulierung der Studieneingangsphase die ersten Ansätze dazu da sind, junge Menschen, die studieren wollen, die eine gute Ausbildung haben und auch in die Forschung gehen wollen, gut auf das Studium vorzubereiten, scheint – trotzdem – noch einiges zu fehlen. Allein die kleinen Stellschrauben zu drehen, reicht nicht aus. Wir brauchen eine gute Verbindung mit der Schule als Aus­bildungszentrum.

Zum Abschluss möchte ich noch erwähnen, dass es meiner Meinung nach zu wenig ist, alle großen Probleme, die wir auch immer wieder zitieren – das heißt, die fehlende soziale Durchmischung, kaum einkommensschwache Personen an den Universitäten, 62 Prozent der Studierenden erwerbstätig und Ähnliches mehr –, nur auf den offenen Hochschulzugang zu schieben. Ja, möglicherweise würde die Studienplatzfinanzierung einen Ansatz bieten. Trotzdem ist der offene Hochschulzugang per se nicht schuld an all den von Ihnen aufgezählten Problemen und Versäumnissen – der letzten 20 Jahre, da gebe ich Ihnen recht. Sie müssen mit viel mehr kämpfen, seitdem Sie angetreten sind. Trotzdem ist es zu wenig.

Einerseits reicht es nicht – und das sage ich jetzt als Grüne –, nur auf dem offenen Hochschulzugang zu bestehen, aber ebenso wenig reicht es zu sagen, der offene Hochschulzugang sei schuld an allen Problemen, die wir haben. In diesem Sinne wünsche ich mir einen wirklich gut erarbeiteten österreichischen Hochschulplan für die nächsten 20 Jahre. – Danke. (Beifall bei Grünen und SPÖ sowie des Bundesrates Keuschnigg.)


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 27

10.05


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als nächste Rednerin ist Frau Bundesrätin Mag. Rausch zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


10.05.18

Bundesrätin Mag. Bettina Rausch (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema unserer heutigen Aktuellen Stunde ist die aktuelle Wissenschafts- und Forschungs­politik unter Berücksichtigung der Perspektive der Bundesländer. Daher möchte ich ganz besonders auf Aktivitäten in den Bundesländern am Beispiel des Bundeslandes, aus dem ich komme, eingehen und darstellen, wie wichtig diese Investitionen und die Partnerschaft der Länder mit dem Bund in diesem Bereich sind.

Wissenschaft und Forschung sind ja kein Selbstzweck. Es geht dabei immer um die Frage, wo wir als Menschen Neues entdecken, Neues entwickeln können. Es geht auch darum, wo wir in Österreich und in den Bundesländern Entwicklungschancen haben. Wissenschaft und Forschung bieten enorme Entwicklungschancen. Ob und wie wir unsere Lebensqualität, unseren Wohlstand und unsere soziale Sicherheit erhalten können, wird aus meiner Sicht letztlich davon abhängen, wie dynamisch sich Wirtschaft und Gesellschaft entwickeln können, wie wir im europäischen und weltweiten Wettbewerb bestehen und wie viel wir in Wissenschaft und Forschung investieren. Die beiden Bereiche Wissenschaft und Forschung bieten Menschen nicht nur Arbeits­plätze, spannende und zukunftssichere Jobs, sie sind vor allem ein Motor für Wirt­schaftswachstum in den Ländern und Regionen.

Ich möchte gerne anhand der Wissenschaftspolitik und der wirtschaftlichen Entwick­lung Niederösterreichs zeigen, was möglich ist, wenn man diese Bereiche priorisiert und die Kooperation zwischen Bund und Ländern sehr pragmatisch und zielorientiert eingeht.

Niederösterreich hat Wissenschaft, Forschung und Technologie zu Schwerpunkt­themen dieses und der nächsten Jahre gemacht und da sehr viel investiert. Ich möchte das anhand dreier Beispiele darstellen: Erstens das IST Austria, das Institute of Science and Technology Austria in Klosterneuburg, das heute schon mehrfach erwähnt wurde. Es wurde anfangs belächelt und hat sich mittlerweile als einzigartiges Projekt in Österreich etabliert. Seit 2009 ist das Institut im Aufbau begriffen. Es beherbergt mittlerweile zwölf Forschungsgruppen mit etwa hundert Mitarbeiterinnen und Mitar­beitern und bietet Top-Grundlagenforschung in Naturwissenschaften, Mathematik und Computerwissenschaften – das haben wir schon gehört. Im Vollbetrieb, der 2016 erreicht werden soll, werden in etwa 500 Menschen am Campus tätig sein und somit Wissenschaftsmotor für die Region und für ganz Österreich sein können.

Ich möchte Kollegen Pisec an dieser Stelle raten, auch einmal vorbeizuschauen. Ich habe das gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Niederösterreich schon gemacht. Sie können sich selbst überzeugen, dass dort dynamisch geforscht und gearbeitet wird. Professor Henzinger ist ein Mensch, der von seiner Arbeit sehr beseelt ist, sehr viel Leidenschaft investiert und dafür sorgt, dass ein ideales Umfeld für For­scherinnen und Forscher geboten wird. Ich habe es toll gefunden, einen Einblick in eine Welt zu bekommen, die man nicht sehr oft sieht, die aber für uns alle sehr wichtig ist. So viel zum IST Austria.

Das zweite Beispiel sind die sogenannten Technopole. Niederösterreich hat sehr viel in Technopol-Standorte in Krems, Tulln und Wiener Neustadt investiert. Das sind Standorte, wo Forschung, Technologie und entsprechende Unternehmen konzentriert sind. Wir haben rund 90 Millionen € investiert, die sich insofern zum Konjunkturmotor entwickelt haben, als pro Jahr etwa 27 Millionen € an Steuern und Abgaben an die öffentliche Hand zurückfließen. Entscheidend ist für mich auch noch, dass in diesen Technopol-Bezirken das Wirtschaftswachstum 3 Prozent über dem landesweiten Durchschnitt liegt, in etwa 1 400 Personen direkt in Technopol-Betrieben tätig sind und 2 200 Arbeitsplätze indirekt dadurch gesichert und geschaffen werden. Auch heuer


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 28

investieren wir konsequent in den Campus Krems, dort wird schon in Hinblick auf die medizinische Privatuniversität erweitert. In Tulln wird das Universitätszentrum der BOKU fertig, und mit Wieselburg kommt ein neuer Standort dazu, wo man schon sehr viel Lernerfahrung aus den anderen Standorten einbauen kann.

Als drittes Beispiel – ich erwähne das zum Schluss, weil erst kürzlich der Spatenstich erfolgte – möchte ich MedAustron ansprechen, eine hervorragende Einrichtung für Grundlagenforschung, die nach Niederösterreich kommt. MedAustron wird zum einen Anbieter für Strahlentherapie sein. Da die wichtigere Aufgabe des Zentrums die Gesundheit von Menschen ist, wird mit einer neuen Technologie Krebspatienten mit sehr heikel gelegenen Tumoren geholfen, den Krebs zu bekämpfen. Aber gleichzeitig – und das ist relevant für die Forschung – wird nicht-klinische Forschung betrieben wer­den. Es wird ein Ort sein, der für Teilchenphysik eine große Rolle spielt.

Abschließend möchte ich sagen, dass es bei all diesen Projekten wichtig ist, eine verlässliche Partnerschaft zwischen Bund und Land zu haben. Wir erleben eine hervorragende Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftsministerium. Ich möchte der Frau Bundesministerin herzlichen Dank dafür sagen und darf dich ersuchen, dass wir diese Zusammenarbeit auch in Zukunft aufrechterhalten und intensivieren. Gerade bei MedAustron wird von Bundesseite die nicht-klinische Forschung sehr intensiv unter­stützt. Ich glaube, jetzt liegt es daran, dass wir auf beiden Seiten, wenn man so will, die wissenschaftliche Community einladen und positive Stimmung dafür machen, das Projekt auch zu nutzen.

Weil es heute mehrfach angesprochen wurde, ganz zum Schluss noch ein Gedanke: Wissenschaft und Forschung brauchen natürlich Bereitschaft und ein entsprechendes Klima, sie brauchen Kooperation innerhalb Österreichs und international, und sie brauchen die entsprechenden Mittel. Aber sie brauchen vor allem Menschen, die forschen können und wollen. Es ist natürlich ein Renommee für Österreich, wenn internationale Forscherinnen und Forscher aus dem Ausland zu uns kommen, umso mehr sollen Wissenschaft und Forschung aus meiner Sicht vor allem aber Betäti­gungsfelder für junge Menschen aus Österreich sein können. Dazu brauchen wir eine Bildungslandschaft – von vorschulischer über schulische bis hin zur universitären Ausbildung, aber nicht nur zu der –, die Talente erkennt, Interesse weckt, Leistung fördert und Neugier erhält. Ich wünsche mir in Zukunft möglichst rasche konkrete Schritte auf allen Ebenen, damit junge Menschen wissenschaftsfit werden und Österreich damit zukunftsfit wird. – Herzlichen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

10.11


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als Nächster ist Herr Bundesrat Todt zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


10.11.20

Bundesrat Reinhard Todt (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Ich möchte Ihnen zuerst einmal gratulieren, dass Sie diesen Sonntagsspaziergang, wie Sie ihn genannt haben, eigentlich sehr gut bewältigt haben. Einen Punkt, auf den Sie immer wieder hinweisen, möchte ich ganz klar betonen: Uns ist es wichtig, dass es einen offenen Hochschulzugang gibt. (Beifall bei SPÖ und Grünen.) Uns ist es auch wichtig, dass die Studiengebühren nicht wieder eingeführt werden. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich möchte auf ein paar Punkte noch einmal hinweisen, einiges wurde schon von meinen Vorrednern genannt. Insgesamt gesehen ist die Hochschulpolitik im letzten Jahr, seit Sie Ministerin sind, um einiges verbessert worden.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 29

In Österreich beträgt die Zahl der Personen mit Hochschulabschluss gemessen am Anteil der gleichaltrigen Bevölkerung 10 Prozent. Das ist die geringste Rate aller OECD-Länder. Der OECD-Schnitt beträgt 20 Prozent, ist also doppelt so hoch wie die Quote in Österreich. (Bundesrat Perhab: Der Vergleich hinkt! – Zwischenruf der Bun­des­rätin Mühlwerth.) Trotz alledem kann man nicht immer alles nur mit Studien­gebühren und Studienzugangsbeschränkungen beantworten, sondern muss darüber nachdenken, warum diese Quote so ist, wie man diese Quote verbessern kann und was man hier tun kann.

Österreich verfügt auch über die niedrigste Studienanfängerquote und eine niedrige Absolventenquote. Das haben Sie selbst genannt. Der Anteil der Studienanfänger im Hochschulbereich an einem Altersjahrgang liegt in Österreich mit 42 Prozent stark unter dem OECD-Schnitt von 56 Prozent. Zieht man die sogenannten Bildungsländer ab, liegt Österreich sogar nur bei 32 Prozent. Der Anteil der Absolventen eines Hochschulstudiums an einem Altersjahrgang ist in Österreich mit 22,1 Prozent ebenfalls stark unterdurchschnittlich, der OECD-Durchschnitt liegt bei 38,7 Prozent.

In Österreich hängt der Hochschulzugang stark von der Bildung der Eltern ab. In Österreich haben 27 Prozent der Väter von Studierenden einen Hochschulabschluss, aber nur 11 Prozent aller Männer in der vergleichbaren Altersgruppe. Obwohl der Bevölkerungsanteil also nur bei 10 Prozent liegt, sind knapp 30 Prozent der Studie­renden mit einem solchen familiären Bildungshintergrund ausgestattet.

Die Studienbedingungen in einigen Studien an Universitäten sind unzumutbar. In be­stimmten Studienrichtungen sind die Studienbedingungen schon seit Jahren konstant schlecht, vor allem das Betreuungsverhältnis von Studierenden zu Lehrenden ist in diesen Massenstudien untragbar. Die Ausgaben für Hochschulen sind gemessen an unserer Wirtschaftsleistung unterdurchschnittlich. Österreich investiert rund 1,3 Prozent des BIP in Hochschulen, in den tertiären Bereich. Spitzenländer wie Kanada und Finnland investieren 1,7 Prozent, Korea sogar 2 Prozent. Die Durchschnittsstudienzeit ist in Österreich überdurchschnittlich lang, Österreich liegt mit 5,6 Jahren deutlich über dem OECD-Durchschnitt von 4,5 Jahren.

Alle diese Faktoren führen zu mittelmäßigen Resultaten unserer Universitäten bei internationalen Rankings. In den aktuellen Times Higher Education World University Rankings findet sich nur eine unserer Universitäten unter den 200 besten weltweit, das wurde schon genannt.

Die Bundesregierung hat ein sehr ambitioniertes Programm im Regierungsprogramm genannt. Nur zu ein paar Punkten hätte ich gerne Antworten: Wie schaut es mit mehr Geld für die Universitäten aus? Ich erinnere daran, dass im Regierungsprogramm steht, dass im Jahr 2020 2 Prozent des BIP erreicht werden sollten. Wie schaut es dabei aus? Wie schaut es mit der Schaffung eines österreichischen Hochschulplanes aus? Was geht weiter, was geschieht in diesem Bereich? Wie geht es mit der Einführung eines Studienplatzfinanzierungsmodells weiter? Noch eine Frage, weil darüber sehr viel diskutiert wird, und diese Diskussionen wieder auf uns zukommen: Wie schaut es mit einer europäischen Lösung für Studierende aus anderen EU-Ländern in Bezug auf Beschränkungen aus – Stichwort: Medizin-Universität?

Das hätte ich gerne von Ihnen gewusst, Frau Bundesminister. Ansonsten danke ich Ihnen für Ihre ambitionierte Arbeit. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 30

10.17


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als Nächste ist Frau Bundesrätin Mühlwerth zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


10.17.24

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Minister! Von vielen Kollegen vor mir ist heute schon sehr viel, um nicht zu sagen fast alles, gesagt worden – noch nicht von jedem, weil ich jetzt hier draußen stehe. Ich meine aber auch, dass man, wenn die Aktuelle Stunde heute unter dem Motto der aktuellen Themen aus Wissenschaft und Forschung aus Sicht der Bun­desländer steht, schon auch etwas Grundsätzliches sagen muss.

Mein Kollege Pisec – übrigens: sein Name spricht sich Pisec (die Rednerin spricht den Namen mit „tse“ anstatt „k“ am Ende); ich nütze die Gelegenheit, wenn ich hier stehe, gleich kundzutun, wie sein Name richtig ausgesprochen wird, weil das immer so unterschiedlich gehandhabt wird (Bundesrat Mag. Pisec: Danke sehr!) –, Kollege Pisec hat gesagt, dass wir durchaus exzellente Wissenschafter haben, und das ist das Spannungsverhältnis, in dem wir stehen. Wir haben auf der einen Seite tatsächlich exzellente Wissenschafter. Sie, Frau Minister, haben ein zugegebenermaßen schwe­res Erbe angetreten, und ich glaube Ihnen auch, dass das kein Sonntagsspaziergang ist. Dass Sie Ihre Arbeit loben und Ihre Kollegen Sie loben, ist eigentlich klar, jede Partei lobt die eigene Ministerin, aber die Sicht der Opposition ist, dass wir trotzdem glauben, dass es einige grundsätzliche Sachen zu sagen gibt.

Eine Diskussion, die wir ständig führen, ist, dass zu wenig Geld für die Universitäten da ist. Da stimme ich bis zu einem gewissen Teil zu. Die 3 Prozent, die im Nationalrat beschlossen worden sind, sind ja noch nicht erreicht. Auf der anderen Seite muss man aber schon sagen, dass die Universitäten selbst nicht sehr kreativ sind, wenn es darum geht, Mittel zu lukrieren oder zu schauen, wie sie ihre Mittel einsetzen. Im Grunde genommen – bis auf wenige Ausnahmen – rufen die Rektoren immer dasselbe: Es muss mehr Geld her!, und glauben, dass damit alles getan sei.

Das Zweite ist die Regelung des Zuganges. Ich bin ganz auf der Seite des Kollegen Todt. Wir sind auch für den freien Hochschulzugang. Sie sagen: Nein, man muss sich quasi die Besten aussuchen. Jetzt habe ich natürlich in gewissem Maße Verständnis dafür, denn wenn vier oder fünf Studienrichtungen permanent überbelegt sind, dann muss man sich etwas überlegen. Die Frage ist nur, ob wir wirklich Hundertschaften von Publizistikstudenten, Psychologen, Historikern et cetera brauchen. Sie haben ja jetzt begonnen, diesbezüglich einen Schritt zu setzen, und sagen, man soll diese Studien­beratung machen, die im letzten Universitätsgesetz vorgekommen ist. Dazu sage ich Ihnen jetzt aber, dass sogar einige Ihrer Rektoren das so sehen, dass sie – wie sie uns gesagt haben – nicht einmal glauben, dass diese Verordnung kommen wird, weil sie der Meinung sind, dass sich das praktisch nicht umsetzen lassen wird. Aber Sie haben ja noch das Schlusswort, Frau Bundesministerin, vielleicht können Sie uns noch ein bisschen Aufschluss darüber geben, wie das tatsächlich sein wird.

Auch die Forderung nach der hohen Akademikerquote tragen wir so nicht mit. Erstens einmal ist das im internationalen Vergleich ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen. Dass die Krankenschwester oder die Kindergartenpädagogin in anderen Ländern einen Uni-Abschluss hat, heißt ja nicht, dass die deswegen besser ist als unsere. Aber es erhöht insgesamt die Quote. Ich bin der Meinung, dass wir wirklich gute und ausgezeichnete Akademiker bilden und ausbilden sollen. – Das sind für mich zwei Paar Schuhe: Bildung und Ausbildung. Über Bildung unterhalten wir uns ja in dem Zusammenhang nur ganz selten. – Aber die bekommen dann auch Arbeitsplätze, die bekommen dann wirklich gute und qualifizierte Jobs. Wir haben nichts davon, wenn wir zum Beispiel am laufenden Band Juristen ausbilden, die dann als Taxifahrer arbeiten oder beim AMS arbeitslos gemeldet sind.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 31

Was die Bildung betrifft, so muss ich Folgendes sagen – ich sage es deswegen, weil es nie angesprochen wird, weil es da eigentlich keinen Grundkonsens gibt –, und ich darf da Professor Liessmann zitieren. Dieser sagt:

„In keinen Bereich des Lebens wurde seit der Entwicklung moderner Gesellschaften so viel Hoffnung gesetzt wie in den der Bildung.“ – Aber er sagt auch weiter:

„..., Bildung war das Vehikel, mit dem Unterschichten, Frauen, Außenseiter, Behinderte und unterdrückte Minderheiten emanzipiert und integriert werden sollten, Bildung gilt als begehrte Ressource im Kampf um die Standorte der Informationsgesellschaft, Bildung ist das Mittel, mit dem Vorurteile, Diskriminierungen, Arbeitslosigkeit, Hunger, Aids, Inhumanität und Völkermord verhindert, die Herausforderungen der Zukunft bewältigt und nebenbei auch noch Kinder glücklich gemacht werden sollen.“

Und dann sagt Liessmann noch – das ist ein Zitat aus einer Rede, die er beim Bundeslehrertag der Österreichischen Professoren Union gehalten hat –:

„Gerade weil dies alles nicht geht, wurde und wird in kaum einem Bereich so viel gelogen wie in der Bildungspolitik.“ (Beifall bei der FPÖ.)

Sehr geehrte Frau Ministerin! Da muss ich schon noch kritisch anmerken: Ihre Forde­rung – vielleicht sind Sie ja mittlerweile wieder davon abgerückt – des Gymnasiums für alle war wirklich unglücklich, ungeschickt und meiner Meinung nach auch wirklich falsch, denn im Hintergrund steht die Gesamtschule. Und auch wenn Kollegin Kickert gemeint hat, man müsse bei den Schulen ansetzen, haben wir garantiert zwei völlig unterschiedliche Zugänge dazu. Wir glauben nicht, dass das Heil in der Gesamtschule zu suchen ist. Es gibt ja auch in Deutschland sehr viele Beispiele, die genau belegen, dass es nicht zu dem Erfolg geführt hat, nämlich vor allem auch was das Soziale anbelangt – dass also nicht die unterprivilegierten sozialen Schichten dorthin geführt worden sind, wo man sie hinführen wollte, sondern genau das Gegenteil passiert ist.

Wir plädieren deshalb für den freien Hochschulzugang, weil wir der Meinung sind, man muss bei den Schulen beginnen. Wir müssen schauen, dass die Matura wieder das wird, was sie einmal war. Darum bin ich auch so sehr gegen ein Gymnasium für alle. Es soll jeder die Matura machen können und jeder ein Hochschulstudium absolvieren können, der dazu fähig ist! (Beifall bei der FPÖ.)

Das ist wirklich die Grundforderung. Und dann, glaube ich, hätten wir auch an den Universitäten, was die Masse anbelangt, etwas weniger Probleme. (Beifall bei der FPÖ.)

10.24


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Zur Abgabe einer abschließenden Stel­lungnahme hat sich nochmals die Frau Bundesministerin für Wissenschaft und For­schung zum Wort gemeldet. Ich erteile es ihr und darf sie bitten, die Redezeit von 5 Minuten nach Möglichkeit einzuhalten.

 


10.25.00

Bundesministerin für Wissenschaft und Forschung Mag. Dr. Beatrix Karl: Ich werde mich bemühen. Danke. – Ich möchte mit den Fragen beginnen, die Herr Abgeordneter Todt an mich gestellt hat.

Zunächst zur Finanzierung. Sie haben gemeint: Wie schaut das aus mit den 2 Prozent des BIP, die erreicht werden sollen? – Da muss man schon sagen, es sind 2 Prozent des BIP für den gesamten tertiären Bildungsbereich, und zwar 2 Prozent des BIP bestehend aus öffentlichen und privaten Mitteln. Wenn man sich die Universitäts­finanzierung ansieht, so sehen wir im internationalen Vergleich, dass wir einen sehr hohen Anteil an öffentlicher Finanzierung und einen sehr niedrigen Anteil an privater


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 32

Finanzierung haben. Ein Vergleich mit 20 europäischen Ländern hat zum Beispiel ergeben, dass im Durchschnitt dieser Länder 67 Prozent der Mittel für die Universitäten öffentlich finanziert werden. Bei uns sind es nicht 67 Prozent, sondern 78. Das ergibt eine Reihe von Studien. Wir haben also einen sehr hohen Anteil an öffentlicher Finan­zierung. Es wird uns deshalb auch immer wieder empfohlen, den privaten Finanzie­rungsanteil zu erhöhen. Es empfiehlt zum Beispiel auch die OECD immer wieder die Wiedereinführung von Studiengebühren. (Bundesrat Todt: Was geschieht, dass das erhöht wird?) – Ja, einen höheren privaten Finanzierungsanteil brauchen wir in Öster­reich. Wir haben einen sehr hohen öffentlichen Finanzierungsanteil. (Bundesrat Todt: Da muss es ja Maßnahmen geben, dass der erhöht wird!)

Außerdem – zur Finanzierung noch ein Wort –: Die Verhandlungen betreffend Univer­sitätsbudget werden im Herbst geführt werden, denn es ist im Universitätsgesetz vorgesehen, dass ich bis Jahresende mit dem Finanzminister das Universitätsbudget ausverhandeln muss, und dieses Universitätsbudget wird dann im Jahr 2012 in Form von Leistungsvereinbarungen an die einzelnen Universitäten verteilt. Das heißt, da werden wir dann im Herbst mehr Klarheit darüber haben, was die Universitäten wirklich an Budget zur Verfügung haben. Es wird also ein heißer Universitätsbudget-Herbst.

Sie haben auch gefragt, wie es mit dem Hochschulplan ausschaut: Wie geht es weiter? Was geschieht hier? – Ich habe ein international besetztes Expertengremium damit beauftragt, bis Ende Juli einmal eine Ist-Stands-Analyse zu erarbeiten und, ausgehend von dieser Ist-Stands-Analyse, auch bereits erste Empfehlungen abzugeben, in welche Richtung die Weiterentwicklung der österreichischen Hochschullandschaft gehen soll. Das ist natürlich noch nicht der fertige Hochschulplan, sondern das ist die Grundlage für die weiteren Diskussionen in diesem Zusammenhang. Aber wir wollen bereits bis Jahresende erste Eckpunkte haben, wie man hier künftig eine solche Planung betref­fend Studienplätze, Forschungsinfrastruktur, Bauten aufsetzen kann.

Ihre dritte Frage hat sich auf die Studienplatzfinanzierung bezogen. Wie schaut es hier aus? – Da liegen bereits erste Eckpunkte dazu vor, wie eine solche Studienplatz­finanzierung aussehen soll. Wir arbeiten weiter daran, aber die ersten Eckpunkte dazu haben wir schon erarbeitet. Und das ist natürlich auch wichtig für die Budgetverhand­lungen im Herbst, das wird dafür auch eine wesentliche Grundlage sein.

Dann haben Sie noch gefragt, wie das ist mit den ausländischen Studierenden – Stichwort Med-Unis. Da geht es um diese Quotenregelung. Ich möchte ja, dass hier die Quotenregelung verlängert wird. Ich habe auch einen Brief an den Herrn Bundes­kanzler geschrieben, dass er bei seinem Gespräch mit Kommissionspräsident Barroso auch anspricht, dass das Moratorium betreffend die österreichische Quotenregelung verlängert wird, weil wir einfach eine längere Zeit brauchen, um die von der Kom­mission geforderten Zahlen auch wirklich gut erheben zu können. Hier arbeite ich mit Bundeskanzler Werner Faymann zusammen, dieses Moratorium auch verlängern zu können.

Sie haben auch noch angesprochen – das war auch mehrfach Thema –, dass die Akademikerquote beziehungsweise die Studienanfängerquote in Österreich sehr niedrig ist. – Ja, das stimmt natürlich, aber da muss man natürlich auch Folgendes sehen: Das hat in gewisser Weise auch einen positiven Grund. Wir haben nämlich ein sehr gutes mittleres und höheres berufsbildendes Schulsystem. Die Absolventinnen und Absolventen von berufsbildenden mittleren und höheren Schulen steigen bei uns sehr oft gleich direkt in das Berufsleben ein und gehen nicht an eine Hochschule weiter. Das ist auch wieder etwas Positives, muss man sagen, wenn sie gute Jobaussichten haben.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 33

Der offene Hochschulzugang wurde auch mehrfach angesprochen. Dazu muss man sagen: Die Frage ist, wie man ihn definiert. Was versteht man unter offenem Hoch­schulzugang? Es gab kürzlich ein Interview mit einem Professor vom MIT, und dieser sagte, er ist so stolz darauf, dass das MIT einen offenen Hochschulzugang hat. Und er sagte: Es gibt ein sehr strenges Aufnahmeverfahren, und jeder, der das Aufnahme­verfahren besteht, also geeignet ist für ein Studium, kann studieren, ungeachtet der sozialen Herkunft, des Geschlechtes, der Rasse. Es gibt Stipendien. – Alles das ist offener Hochschulzugang, wie er eben am MIT verstanden wird. Das hat ja auch Frau Abgeordnete Mühlwerth gesagt: Es soll jeder Matura machen und studieren, der dazu fähig ist. – Ja, dieser Meinung bin ich auch: Jeder, der dazu fähig ist und geeignet ist, soll auch studieren können. Aber das muss man in Form von Aufnahmeverfahren feststellen, ob jemand für ein Studium geeignet ist oder nicht! Also das muss man tatsächlich feststellen können.

Sie haben gesagt, ich verstehe unter offenem Hochschulzugang, die Besten auszu­suchen. – Ich verstehe darunter, die Geeigneten auszusuchen. Jeder, der geeignet ist für ein Studium, der soll auch studieren können. Aber man muss eben in Form von Aufnahmeverfahren feststellen, ob jemand für ein Studium geeignet ist oder nicht. (Bundesrätin Mühlwerth: Oder man macht die Matura besser!)

Das waren – ich glaube, meine Redezeit ist schon abgelaufen – die wichtigsten Punkte.

Zu den außeruniversitären Forschungseinrichtungen noch ein kurzer Satz – das wurde von Frau Bundesrätin Kickert angesprochen –: Für die außeruniversitären Forschungs­einrichtungen, die wirklich exzellent sind, für die haben wir alle eine Lösung gefunden. Also die exzellenten außeruniversitären Forschungseinrichtungen wird es auch weiterhin geben. Das war mir wichtig, und das ist auch sichergestellt. – Danke. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

10.30


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Danke, Frau Bundesministerin. – Die Aktuelle Stunde ist somit beendet.

Ich begrüße nun auch die Ministerin für Verkehr, Innovation und Technologie bei uns im Bundesrat. – Herzlich willkommen! (Allgemeiner Beifall.)

Werte Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir fortfahren, darf ich Sie bitten, sich von den Plätzen zu erheben. (Alle im Saal Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.)

Trauerkundgebung

 


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Vor wenigen Tagen, am 10. April, ist der langjährige Landtagspräsident des Wiener Landtages Johann Hatzl verstorben.

1948 geboren, von Beruf Betriebs- und Wagenbauschlosser, hat er in einer eindrucks­vollen politischen Karriere die Politik Wiens maßgeblich mitgeprägt. Er hatte durch viele Jahre als amtsführender Stadtrat zahlreiche Ressorts in seiner Verantwortung. Von 2001 bis 2008, bis zu seinem Ausscheiden, war er Erster Präsident des Wiener Landtages.

Wir werden ihm stets ein ehrendes Andenken erweisen. (Die Anwesenden verharren kurze Zeit in stillem Gedenken.)

Ich danke für die Kundgebung. (Die Anwesenden nehmen ihre Plätze wieder ein.)


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 34

10.31.47Einlauf und Zuweisungen

 


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Hinsichtlich der eingelangten, vervielfäl­tigten und verteilten Anfragebeantwortungen 2587/AB bis 2588/AB und

jenes Verhandlungsgegenstandes, der gemäß Artikel 42 Abs. 5 B-VG nicht dem Mitwirkungsrecht des Bundesrates unterliegt, beziehungsweise

der Mitteilungen des Ministerratsdienstes des Bundeskanzleramtes betreffend Ver­tretung des Bundesministers für Finanzen Vizekanzler Dipl.-Ing. Josef Pröll durch die Bundesministerin für Inneres Dr. Maria Fekter sowie

den Aufenthalt des Bundeskanzlers Werner Faymann vom 14. abends bis 20. April 2011 innerhalb eines EU-Mitgliedstaates

verweise ich auf die im Sitzungssaal verteilten Mitteilungen gemäß § 41 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates, die dem Stenographischen Protokoll dieser Sitzung angeschlossen werden.

Die schriftlichen Mitteilungen haben folgenden Wortlaut:

Liste der Anfragebeantwortungen (siehe S. 10)

*****

Beschluss des Nationalrates, der gemäß Art. 42 Abs. 5 B-VG nicht dem Mitwirkungs­recht des Bundesrates unterliegt:

Beschluss des Nationalrates vom 31. März 2011 betreffend ein Bundesgesetz über österreichische Beiträge an internationale Finanzinstitutionen (IFI-Beitragsgesetz 2010) (1045 und 1119/NR der Beilagen)

*****

Schreiben des Bundeskanzlers betreffend Aufenthalt des Bundeskanzlers in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union:

„BUNDESKANZLERAMT: ÖSTERREICH

                                                                                                                                  WERNER FAYMANN

                                                                                                                                       BUNDESKANZLER

An den

Präsidenten des Bundesrates

Gottfried KNEIFEL

Parlament                                                                                                       GZ 350.100/0006-I/4/2011

1017 Wien                                                                                                            Wien, am 4. April 2011

Sehr geehrter Herr Präsident!

Ich beehre mich, Ihnen mitzuteilen, dass ich mich innerhalb des Zeitraumes vom 14. April (abends) bis 20. April 2011 im Ausland, aber innerhalb eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, aufhalten werde.

Mit den besten Grüßen“

*****

 


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Eingelangt ist der Beschluss des National­rates vom 31. März 2011 betreffend ein Trilaterales Abkommen zwischen der Regie­


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 35

rung der Bundesrepublik Deutschland, der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Zusammenarbeit im Bereich Film, der dem Ausschuss für Unterricht, Kunst und Kultur zur Vorberatung zugewiesen wurde.

Eingelangt ist weiters der Bericht des Bundesministers für europäische und inter­nationale Angelegenheiten betreffend Fortschreibung des Dreijahresprogramms der österreichischen Entwicklungspolitik 2010 bis 2012, der dem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten zur Vorberatung zugewiesen wurde.

Eingelangt sind und den zuständigen Ausschüssen zugewiesen wurden jene Be­schlüsse des Nationalrates beziehungsweise jene Berichte, die jeweils Gegenstand der heutigen Tagesordnung sind.

Die Ausschüsse haben ihre Vorberatungen abgeschlossen und schriftliche Ausschuss­berichte erstattet.

Ich gebe bekannt, dass von den Bundesrätinnen und Bundesräten Gottfried Kneifel, Mag. Gerald Klug, Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen gemäß § 21 der Geschäftsordnung des Bundesrates der Selbständige Antrag 184/A-BR/2011 betreffend Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 66 der Geschäftsord­nung des Bundesrates für ein Hearing der Bewerberinnen und Bewerber um die Stelle eines Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofes, für welche dem Bundesrat das Vorschlagsrecht zukommt, eingebracht wurde.

Antrag gemäß § 16 Abs. 3 GO-BR

 


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Des Weiteren wurde gemäß § 16 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates beantragt, diesen Selbständigen Antrag ohne Ausschussvorberatung in Verhandlung zu nehmen.

Ich lasse daher über den Antrag der Bundesrätinnen und Bundesräte Gottfried Kneifel, Mag. Gerald Klug, Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen, den gegenständ­lichen Antrag 184/A-BR/2011 betreffend Abhaltung einer parlamentarischen Enquete gemäß § 16 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates ohne Vorberatung durch einen Ausschuss unmittelbar in Verhandlung zu nehmen, abstimmen.

Hierzu ist eine Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen erforderlich.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem vorliegenden Antrag der Bun­desrätinnen und Bundesräte Gottfried Kneifel, Mag. Gerald Klug, Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen ihre Zustimmung geben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag, den Antrag 184/A-BR/2011 ohne Vorberatungen durch einen Ausschuss unmittelbar in Verhandlung zu nehmen, ist somit mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen.

Ich werde daher die Tagesordnung um den Antrag 184/A-BR/2011 ergänzen und diesen als 18. und somit letzten Tagesordnungspunkt in Verhandlung nehmen.

Ich habe die zuvor genannten Verhandlungsgegenstände sowie den Selbständigen Antrag 184/A-BR/2011 der Bundesrätinnen und Bundesräte Gottfried Kneifel, Mag. Gerald Klug, Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gestellt.

Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 36

Behandlung der Tagesordnung

 


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Aufgrund eines mir zugekommenen Vor­schlages beabsichtige ich, die Debatte über die Tagesordnungspunkte 9 und 10 sowie 15 und 16 unter einem zu verhandeln.

Wird dagegen eine Einwendung erhoben? – Das ist nicht der Fall. Wir werden daher so vorgehen.

Wir gehen nun in die Tagesordnung ein.

10.35.431. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 30. März 2011 betreffend ein Bundesgesetz über Maßnahmen gegen Unerbetene Werbeanrufe, mit dem das Telekom­muni­kationsgesetz 2003 geändert wird (1008 d.B. und 1031 d.B. sowie 8466/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Wir kommen zum 1. Punkt der Tagesord­nung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Stadler. Ich bitte um den Bericht.

 


10.36.00

Berichterstatter Werner Stadler: Frau Präsidentin! Geschätzte Frau Ministerin! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Verkehr, Innovation und Technologie über den Beschluss des Nationalrates vom 30. März 2011 betreffend ein Bundesgesetz über Maßnahmen gegen Unerbetene Werbeanrufe, mit dem das Telekommunikationsgesetz 2003 geändert wird.

Da Ihnen der Bericht schriftlich vorliegt, beschränke ich mich auf die Antragstellung.

Der Ausschuss für Verkehr, Innovation und Technologie stellt nach Beratung der Vor­lage am 12. April 2011 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Lindinger. – Bitte.

 


10.36.44

Bundesrat Ewald Lindinger (SPÖ, Oberösterreich): Frau Präsidentin! Geschätzte Frau Bundesministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist an der Zeit, dass wir dem Spuk dieser Werbeanrufe und unerbetenen Anrufe ein Ende setzen oder sie mit einem erheblichen Strafausmaß belegen, sodass es dann auch die Callcenter unterlassen, diese Anrufe zu tätigen.

Warum ist es so weit gekommen? – Es war in den letzten Jahren schon Usus, dass man fast wöchentlich einmal von einem Unternehmen angerufen wurde, um an einem Glücksspiel teilzunehmen, an einem Wettbewerb teilzunehmen oder an einem Gewinn­spiel, wie auch immer, oder um etwas zu erwerben oder auch, wie es die Telefon­anbieter gerne gemacht haben, den Netzbetreiber zu wechseln, unter dem Einfluss von allen möglichen Angeboten und Lockangeboten.

Gerade die ältere Generation ist bei den Netzbetreibern sehr anfällig gewesen und ist immer hineingefallen, aber auch bei Angeboten wie sehr günstigen Urlaubsreisen oder sehr günstigen Gewinnen, wo es hieß, wenn man jetzt die Kontonummer bekanntgibt, wird einem das Geld sofort überwiesen, oder: man soll 50 € überweisen, damit der Gewinn dann überwiesen werden kann, „und Sie haben gewonnen“. – Mit all diesen Tricks wurden die Angerufenen gelockt.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 37

Es erfolgt jetzt die Einführung einer möglichen Geldstrafe allein dafür, dass die Rufnummer unterdrückt wird, sodass erkennbar ist, von wo der Anruf kommt. Es wird laut dieser Novelle mit einer Höchststrafe von 37 000 € bestraft, wenn man die Rufnummer unterdrückt. Weiters erfolgt eine Erhöhung der Strafandrohung für unzu­lässige Werbeanrufe von bisher 37 000 € auf 58 000 €. Das tut schon weh.

Mit dieser Novelle wird wirklich ein Instrument geschaffen, damit man Anrufer künftig ermitteln kann und mit der verpflichtend angegebenen Rufnummer identifizieren kann. Die Strafverfolgung wird dadurch erleichtert, und unzulässige Anrufe werden für das Unternehmen, das solche durchführt, wesentlich weniger attraktiv.

Ein Problem ist natürlich noch das Anrufen aus dem Ausland, da bei bestehender Anonymität keine Strafverfolgung möglich ist oder nur sehr schwer möglich ist. Aber es ist wichtig, bei der Geschäftsgrundlage anzusetzen, und dies ist im Konsumen­ten­schutz geregelt und soll auch noch eine Änderung erfahren.

Die Erhöhung der Strafandrohung wird auch dem hohen Unrechtsgehalt Rechnung tragen, was bei der Strafbemessung in einem Strafrahmen zu berücksichtigen ist.

Unzulässige Werbeanrufe sind in mehrfacher Hinsicht überaus problematisch. Wir sehen, dass es zum Beispiel ein massives Eindringen in die Privatsphäre bedeutet, wenn man zu allen Tageszeiten angerufen wird. Anrufe zu Werbezwecken ohne vorherige Einwilligung des Teilnehmers sind unzulässig. Man darf auch nicht ohne vorhergehende Einwilligung des Teilnehmers ein Fax an ihn senden, wenn er eine Faxanschrift, eine Faxnummer hat.

Aber das ist auch noch nicht das Problem, wenn man zumindest die Möglichkeit eines persönlichen Gespräches oder eine Einwilligung hat; meistens werden diese Kontakt­adressen und Kontaktdaten auch an andere Unternehmen weiterverkauft, die dann wieder anrufen. Das geht wie im Schneeballsystem: Wenn man von einem Unter­nehmen angerufen wird, dann hat man in den nächsten Wochen und Monaten über­haupt keine Ruhe mehr. Es endet dann meistens damit, dass man die Telefonnummer ändert, um vor diesen Anrufen wenigstens ein paar Wochen Ruhe zu haben.

In der Praxis hat sich gezeigt, dass unseriöse Firmen für die Vertragsakquisition meistens einen sogenannten kalten Kontakt verwenden, um sich beim Versuch einer Geschäftsanbahnung – etwa, wie ich schon erwähnt habe, Wechsel zu einem anderen Telefonanbieter – Kundendaten und Kontonummern zu erschleichen, sie dem Angerufenen herauszulocken.

Konsumenten und Konsumentinnen werden dabei oft von verkaufsgeschulten Anrufern von den Callcentern irregeführt. Hier ist nicht dasjenige Callcenter verantwortlich, in dem jemand beschäftigt ist, sondern die Beschäftigten dort müssen zum Großteil eine Erklärung unterschreiben, die lautet: Ich erkläre hiermit, dass alle geworbenen Kunden über die Modalitäten ausreichend von mir informiert worden sind und ich nur die wahrheitsgemäßen Zahlen, Daten und Fakten weitergegeben habe. Ich bin über meine Verpflichtung, den Kunden nur wahrheitsgemäß die Angaben zu übermitteln, aus­reichend informiert worden. – Zitatende.

Sie sehen, die Betreiber der Callcenter geben die Schuld an die Mitarbeiter weiter, wenn hier etwas Unseriöses gemacht wird, und schützen sich. Da wird es auch noch notwendig sein, die Betreiber der Callcenter in die Verantwortung zu nehmen und nicht die Mitarbeiter der Callcenter zu bestrafen, denn die sind ja wahrscheinlich mit Provisionen gelockt, mehr Kunden zu akquirieren und dadurch vielleicht auch die Daten nicht so genau zu nehmen, wie sie sie zu nehmen hätten.

Die Fernmeldebehörden haben durch diese Übertretungen in den letzten Jahren sehr viel Arbeit, und die Arbeit ist gewachsen. Das zeigt allein die Zahl der Anzeigen. Im


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Jahr 2007 waren es 500, in den ersten fünf Monaten des Jahres 2010 waren es schon über 600. Sie sehen, die Zahl der Anzeigen wächst an, und es soll angestrebt werden, auch die Zahl der Mitarbeiter in der Fernmeldebehörde zu erhöhen, um diese Anzeigen zu bearbeiten und jenen auf die Schliche zu kommen, die mit unlauteren Maßnahmen, mit unlauteren Anrufen die Konsumentinnen und Konsumenten betrügen.

Geschätzte Damen und Herren! Es ist äußerst wichtig, dass wir gerade die ältere Generation, aber auch sehr viele junge Menschen vor diesen Anrufen schützen und dass wir die Regeln hier im Telekommunikationsgesetz genau festlegen. Es wird aber noch weitere Maßnahmen geben, damit wir auch den Telefonbetreibern, die erhöhte Gebühren verlangen, vielleicht in Zukunft nähertreten, damit diese nicht im Nachhinein erhöhte Rechnungen senden, sondern damit sie die Konsumenten besser informieren über die laufenden Kosten der Telekommunikationsgebühren, der sogenannten Handy­gebühren. Hier wird es auch, glaube ich, eine Gesetzesvorlage geben, damit man aufgrund der Initiative der Arbeiterkammer die Konsumenten schützt.

Wir werden dieser Novelle zustimmen. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

10.45


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Greiderer. – Bitte sehr.

 


10.45.38

Bundesrätin Elisabeth Greiderer (ÖVP, Tirol): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Wir leben in einer Zeit, in der sich der technische Fortschritt rasant entwickelt. Dazu gehören auch die Handy- und Internettechnologien, die aus unserem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken sind.

So sehr diese Technologien unser Leben erleichtern, so sehr bringen diese aber auch Probleme mit sich. Unsere Aufgabe ist es deshalb, diese Probleme zu erkennen und die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass der Missbrauch höchstmöglich einge­schränkt und die Bürgerinnen und Bürger davor geschützt, aber nicht entmündigt werden. Es geht um den Schutz der Privatsphäre, um den Datenschutz und um Schutz vor illegaler Abzocke. Dieses Gesetz, welches wir heute beschließen, ist ein großer und wichtiger Schritt in diese Richtung.

Fast jeder von uns hat schon selbst oder in seinem Umfeld mit dubiosen Machen­schaften und Keilereien am Telefon zu tun gehabt oder davon gehört. Immer mehr Menschen werden durch illegale, unerbetene Telefonanrufe, die sogenannten Cold Callings, belästigt beziehungsweise geschädigt. 80 Prozent dieser Anrufe sind im Lotterie- und Gewinnspielbereich. Die Übertretungen sind hier in den vergangenen drei Jahren angeblich um mehr als 100 Prozent gestiegen. Man kann aber davon ausge­hen, dass die Dunkelziffer wesentlich höher ist, da ja nicht alle Fälle angezeigt werden.

Es wird in Zukunft Gott sei Dank verboten sein, eine Rufnummer zu unterdrücken oder diese zu verfälschen. Wenn es sich bei den unerbetenen Werbeanrufen um Lotterie- und Gewinnspielfirmen handelt, werden diese Verträge gar nicht erst zustande kom­men beziehungsweise werden diese nichtig sein.

Mit dieser Novelle wird unerwünschten Telefonkeilern endlich das Handwerk gelegt. Die Strafbestimmungen werden verschärft, die Rücktrittsregeln verbessert. Das bedeutet, dass dem Konsumenten ab Erhalt der Ware beziehungsweise Dienstleistung ein Rücktrittsrecht von sieben Tagen eingeräumt wird. Derzeit ist es nämlich so, dass im Zuge von Cold Calling ab dem Anruf der Vertrag schon zustande kommt. Der Konsument ist sich dessen aber oft nicht bewusst, und das Rücktrittsrecht wird vom Cold Caller absichtlich über die gesetzliche Frist hinausgezögert.


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Die Regelung umfasst nun auch jene Betrügereien, wo die Rechnung erst viele Monate später für bereits erbrachte Dienstleistungen gestellt wird, bei denen bis jetzt kein Rücktrittsrecht mehr möglich war. Jetzt gilt die siebentägige Rücktrittsfrist eben erst ab der Rechnungslegung.

Abschließend möchte ich mich bei den zuständigen RessortministerInnen für die Ausarbeitung einer guten Regelung im Sinne der Konsumentinnen und Konsumenten bedanken und bitten, dass auch rasch an einer europäischen Lösung gearbeitet wird, damit auch diejenigen, die aus dem Ausland anrufen, erfasst werden. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

10.49


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Kerschbaum. – Bitte sehr.

 


10.49.20

Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum (Grüne, Niederösterreich): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Lindinger hat schon ganz genau und gut erklärt, worum es geht. Ich glaube, darauf brauche ich nicht mehr näher einzugehen. Ich denke, das Cold Calling ist sicher nicht in erster Linie über das Telekommunikationsgesetz einzudämmen und in den Griff zu bekommen, aber das Telekommunikationsgesetz wirkt in diesem Fall unterstützend, würde ich einmal sagen, und so, wie es umgesetzt ist, können wir daher nur zustimmen.

Ich möchte nur darauf hinweisen – ganz kurz, denn wir sind ja heute alle in Eile –, wir haben im Ausschuss auch noch angesprochen, dass es ähnliche Probleme gibt, zum Beispiel bei den Mehrwert-SMS, wo meiner Meinung nach auch einmal eine Regelung erforderlich wäre. Das sind so Dinge, die auf der Telefonrechnung nicht auffallen, weil es nur 2,50 € sind oder 50 Cent, aber es läppert sich zusammen und es ist einfach nicht fair, weil die meisten Menschen gar nicht mitbekommen, dass sie da einen Vertrag abgeschlossen haben. Trotzdem ist es dann immer wieder notwendig, dass man zum Telekommunikationsbetreiber geht und sagt, dass man das nicht mehr will und dass man es abbestellt. Es ist irgendwie auch so eine Grauzone, und in vielen Fällen ist es dann auch noch eine ein bisschen peinliche Telefonnummer, die man da kriegt. Deshalb denke ich, dass man auch hier vielleicht gesetzlich eingreifen könnte.

Das Gleiche gilt beim Internet, wo es nach wie vor kostenpflichtige Seiten gibt, wo man in Wirklichkeit irgendwo bei den Nutzerbedingungen hinterher liest, das kostet 60 €. Davon sind vor allem Jugendliche und Kinder betroffen, wo man dann auch drei Monate später eine Rechnung bekommt, die man zwar nicht zahlen muss, aber man weiß nicht, dass man sie nicht zahlen muss. Und da gibt es auch noch andere Probleme, die ähnlich gelagert sind und wo man meiner Meinung nach auch ansetzen könnte und sollte, ja müsste.

Wie gesagt, dieser Vorlage hier stimmen wir gerne zu. – Danke. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ sowie des Bundesrates Zangerl.)

10.51


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Zangerl. – Bitte sehr.

 


10.51.19

Bundesrat Stefan Zangerl (ohne Fraktionszugehörigkeit, Tirol): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Mit der geplanten Novelle zu unzulässigen Telefonanrufen reagiert der Gesetzgeber auf die langjährigen Forderungen der Konsumentenschützer nach mehr Schutz vor Telefonterror und unerbetenen Anrufen. Ich muss sagen, ich sehe auch deshalb die


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 40

Grenzen zwischen dem Punkt 1 und dem Punkt 3 der heutigen Tagesordnung als fließend.

Mit dieser zukünftigen Regelung sind Verträge, die im Rahmen eines unzulässigen Anrufes im Zusammenhang mit Gewinnzusagen oder Wett- und Lotteriedienst­leistun­gen abgeschlossen werden, grundsätzlich als nichtig zu betrachten. Die Novelle sieht nun ein Mischsystem für Cold-Calling-Verträge vor. Zum einen müssen die Unter­nehmer dem Kunden innerhalb einer Woche eine Bestätigung senden, zum anderen sollen bestimmte Verträge ungeachtet einer solchen Bestätigung hinkünftig für null und nichtig erklärt sein.

Diese neuen gesetzlichen Bestimmungen sind nach meinem Dafürhalten ein Schritt in die richtige Richtung. Darüber hinaus wäre auch darüber nachzudenken, ob nicht alle Verträge, die im Rahmen einer unzulässigen Telefonwerbung abgeschlossen werden, erst nach einer nachträglichen ausdrücklichen schriftlichen Bestätigung durch den Kun­den rechtsgültig sein sollen.

Bisher konnten sich die Initiatoren im Segment Telefonmarketing durch anonymes Auftreten oft der Rechtsverfolgung entziehen. In Zukunft müssen Verträge, die im Rahmen unerbetener Werbeanrufe abgeschlossen werden, innerhalb einer Woche von Seiten des Unternehmens schriftlich bestätigt werden. Dabei ist für die Konsumenten ein spezielles Rücktrittsrecht vorgesehen. Cold-Calling-Verträge im Zusammenhang mit Gewinnzusagen und Wett- und Lotteriedienstleistungen sind überhaupt nichtig.

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Diese Novelle ist ein erster wichtiger Schritt zu mehr Konsumentensicherheit. Wir sollten diese Novelle aber auch zum Anlass nehmen, auch darüber nachzudenken, wie der Gesetzgeber in Hinkunft schneller und effizienter gegen Abzockmethoden bei Telefon und Internet reagiert.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang an exorbitante Rechnungen nach Überschrei­ten von Download-Volumen bei mobilem Internet, wo ich der Meinung bin, dass eine freiwillige Regelung der Telefonanbieter zu wenig ist. Man denke nur an die immer ausgefeilteren Methoden, mit denen Konsumenten bei nicht erkennbaren kosten­pflichtigen Internetseiten zur Kassa gebeten werden.

Beim sogenannten Cold-Calling, das besser Cold-Cashing heißen sollte, kam und kommt es immer wieder zu exorbitanten Vorschreibungen für angebliche Anrufe zu Telefonsexhotlines, bei denen die Betroffenen oft aus Scham einfach bezahlen. Es war auch kein Einzelfall, dass Sammelanrufe getätigt wurden, um damit reihenweise den Konsumenten das Geld aus der Tasche zu ziehen. Diesbezüglich können wir uns in Österreich zum Glück auf engagierte Konsumentenschutzeinrichtungen, wie jene der Arbeiterkammer und auch den Verein für Konsumenteninformation, verlassen, die zumeist als Erste von den Betroffenen kontaktiert werden.

Hohes Haus! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Internet und Telekommunikation sind zu wichtige Kommunikationsmittel, als dass man dieses Feld nationalen und internationalen Betrügern überlassen dürfte. Diesbezüglich appelliere ich auch an die EU-Abgeordneten auf europäischer Ebene, vielleicht einmal selbständig tätig zu werden, um all diesen Betrügereien und Gaunereien einen Riegel vorzuschieben. Und ich frage mich schon: Wäre es wirklich zu viel verlangt, wenn unsere Damen und Herren in Brüssel endlich selbständig Fahrt aufnähmen, um diesbezüglich rasch zu handeln? Die Entwicklungen bei Internet und Mobiltelefon sind dermaßen rasant, dass der Gesetzgeber das Tempo erhöhen muss, um die Konsumenten wirksam schützen zu können. Das wäre weitaus wichtiger als Lobbying, Sektglasl-Halten und Golfspielen.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 41

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der ÖVP sowie der Bundesrätin Kerschbaum.)

10.56


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Zu Wort gelangt Frau Bundesministerin Bures. – Bitte schön.

 


10.56.09

Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie Doris Bures: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Telekommunikationsgesetz, das dankenswerterweise heute offensichtlich einstimmig hier beschlossen werden soll, soll sozusagen auch einen soliden Rahmen für Verbesserungen im Konsumenten­schutzgesetz ermöglich, das Sie unter Tagesordnungspunkt 3 diskutieren.

Mein Bemühen als Infrastrukturministerin war es, hier den Rahmen dafür zu geben, im Konsumentenschutzgesetz wirklich dafür zu sorgen, dass wir dort, wo neue Tech­nologien nicht dazu führen, dass sich das Leben der Menschen erleichtert, sondern wo Telefonkeiler auf Kosten anderer Geschäfte machen, das unterbinden und dass wir dem einen Riegel vorschieben. Es sind vor allem ältere Menschen, die von Telefon­keilern betroffen sind und die dann im Zuge von Rücktrittsrechten immer Schwierig­keiten haben, auch tatsächlich zu ihrem Recht zu kommen.

Ich glaube, mit der heutigen Beschlussfassung und den Vorgaben im Telekom­munikationsgesetz können wir dem wirklich einen Riegel vorschieben und auch, wie gesagt, Verbesserungen im Konsumentenschutzgesetz vornehmen.

Mir als Infrastruktur- und Innovationsministerin ist es auch wichtig, dass man natürlich dort, wo es um neue Technologien geht, diese auch fördert und unterstützt, weil sie in vielen Lebensbereichen auch Erleichterungen darstellen, etwa auch im Bereich von medizinischen Technologien, im Bereich von Kommunikationstechnologien. Daher wird die Forschung im Bereich von Informations- und Kommunikationstechnologie seitens dieser Bundesregierung mit Förderungen in der Größenordnung von immerhin 100 Millionen € jährlich unterstützt. Aber wir müssen gleichzeitig bei allen Entwick­lungen von neuen Technologien eben darauf achten, dass wir Konsumentenschutz­rechte stärken. Das heißt, im Gleichklang mit technologischen Entwicklungen muss auch auf Gefahren und Risken von neuen Technologien Rücksicht genommen werden. Und daher tun wir das heute.

Es wurde schon angesprochen, dass Technologien sich sehr rasant und sehr schnell entwickeln, daher muss man, wie gesagt, auch mit Schutzregelungen sehr schnell sein. Ich habe deshalb auch eine weitere Änderung im Telekommunikationsgesetz in Begut­achtung geschickt, in der es darum geht, dass immer mehr Menschen mit abenteuerlichen Handyrechnungen konfrontiert sind. Bei der Regulierungsbehörde haben wir allein 4 400 Beschwerden im Jahr, die besagen, es ist nicht nachvollziehbar, warum Rechnungen so hoch sind. Das sind auch oft unabsichtliche Downloads, die da passiert sind.

Auch da werden wir einen Riegel vorschieben, indem die Telekommunikationsbetreiber auf Wunsch der Konsumentinnen und Konsumenten verpflichtet werden, mittels SMS eine Information zu geben, die Rechnung begibt sich gerade in die und die Größen­ordnung. Das kann jeder für sich bestimmen, ab wann er informiert werden möchte oder ob das Handy auch abgeschaltet werden soll. Das heißt, auch da gilt es, wirklich einen Riegel vorzuschieben, auch im Hinblick darauf, dass wir schneller reagieren müssen, wenn eben Technologien für Konsumentinnen und Konsumenten neue Risken bedeuten.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 42

Aber heute im Telekommunikationsgesetz machen wir ganz konkret drei Dinge.

Das eine ist neu: Wir werden erstmals die Unterdrückung oder Verfälschung der Telefonnummer des Anrufers verbieten.

Wir werden erstmals auch eine Strafe bei Missachtung dieses Verbots einführen, immerhin in einer Größenordnung von bis zu 37 000 €.

Weiters werden wir die jetzt schon bestehende Strafdrohung bei unzulässigen Werbe­anrufen ordentlich anheben, nämlich von 37 000 € auf 58 000 €.

Ich meine, mit dem Konsumentenschutzrechts-Änderungsgesetz und der Novelle des Telekommunikationsgesetzes setzen wir Schritte, die ein Plus für den Konsumenten­schutz bringen werden, und das ist auch die Zielsetzung, die ich verfolgt habe.

Klar ist: Wir werden damit möglicherweise nicht verhindern, dass es nach wie vor unerbetene Anrufe gibt. Wir werden damit möglicherweise auch nicht verhindern, dass es weiterhin solch üble Geschäftspraktiken gibt. Aber wir werden versuchen, dem gesetzlich so weit wie möglich einen Riegel vorzuschieben. Daher bin ich sehr froh darüber und finde, es ist gut so, dass wir heute strengere Gesetze gegen Telefonkeiler beschließen. – Danke. (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie des Bundesrates Zangerl.)

11.00


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen nun zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit ange­nom­men.

11.01.372. Punkt

Jahresvorschau des BMVIT 2011 auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeits­programms der Kommission sowie des operativen Jahresprogramms des Rates (III-432-BR/2011 d.B. sowie 8467/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Wir gelangen nun zum 2. Punkt der Tages­ordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Stadler. – Bitte um den Bericht.

 


11.01.55

Berichterstatter Werner Stadler: Frau Präsidentin! Geschätzte Frau Ministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Verkehr, Innovation und Technologie über die Jahresvorschau des BMVIT 2011 auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Kommission sowie des operativen Jahresprogramms des Rates.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor; ich komme daher sogleich zur Antrag­stellung.

Der Ausschuss für Verkehr, Innovation und Technologie stellt nach Beratung der Vorlage am 12. April 2011 den Antrag, die Jahresvorschau des BMVIT 2011 auf der


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Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Kommission sowie des opera­tiven Jahresprogramms des Rates zur Kenntnis zu nehmen.

 


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Krusche. – Bitte.

 


11.02.46

Bundesrat Gerd Krusche (FPÖ, Steiermark): Hohes Präsidium! Sehr geehrte Frau Bundesminister! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, eingangs einige allgemeine Bemerkungen zu machen, die sinngemäß auch für die folgenden Berichte der anderen Ministerien Gültigkeit haben.

Das Erste, was einem bei diesem Bericht auffällt, ist, dass er kein Inhaltsverzeichnis hat, was bei einem viergliedrigen Bericht schon eine ganz schöne Herausforderung ist. In meinem zivilen Beruf, wenn ich das so formulieren darf, würde ich den Bericht gar nicht lesen. In der Politik bin ich aber wesentlich toleranter und habe ihn gelesen. (Rufe bei der SPÖ: Danke sehr!)

Die Beilagen sind ja im Prinzip bei all diesen Berichten dieselben. Manche sind dankenswerterweise – so wie bei dem vorliegenden, heute zu diskutierenden Bericht – in deutscher Sprache, es gibt aber auch manche schlecht lesbare englische Kopien. Es fehlt auch, dass man bei den jeweiligen Beilagen das herausstreicht, was eigentlich für diesen Bericht von Relevanz wäre.

Der Zeitpunkt der Vorlage ist immerhin um sechs Monate besser als letztes Jahr; da haben wir ja im Oktober über die Vorschau für 2010 debattiert. Jetzt – es ist schon April – debattieren wir über die Jahresvorschau 2011. Daraus folgt, dass einige dieser Punkte eigentlich bereits erledigt sein müssten, denn allein auf Seite 2 werden beispielsweise drei Punkte angeführt, die schon im ersten Quartal abgehandelt hätten werden sollen, und zwar  die „Roadmap zur emissionsarmen Gesellschaft 2050“, der „European Energy Efficiency Plan until 2020“ und das „Weißbuch zur Zukunft der Verkehrspolitik“.

Im Ausschuss habe ich die relevante Frage gestellt, ob es da schon etwas an Ergebnissen gibt, und ich habe als Antwort die lakonische Bemerkung erhalten, dass vieles ja aus Termingründen noch gar nicht erledigt sein kann. Es stellt sich dann also schon die Frage: Was ist das Papier überhaupt wert? Es wäre schon schön, wenn man eine Aktualisierung in Form eines Beiblattes bekäme, die wirklich den aktuellen Stand zum Zeitpunkt der Debatte widerspiegelt.

Es fehlt auch eine Liste oder zumindest ein Hinweis auf die unerledigten Punkte, die auf nationaler Ebene umzusetzen sind beziehungsweise im Jahr 2011 umgesetzt werden sollten. Es ist zwar immer sehr schön die österreichische Haltung zu den einzelnen Punkten angeführt, aber mehr oder weniger ohne konkrete Maßnahmen und Vorschläge. Sie erschöpft sich in Floskeln wie „Entwicklung einer nachhaltigen Ver­kehrs­infrastruktur“, der „Einsatz neuer Technologien“ wird „grundsätzlich begrüßt“, es dürfe aber „nicht zu Wettbewerbsverzerrungen“ kommen, „transparente, nichtdis­krimi­nierende, objektive und sachgerechte Verwaltungsverfahren“ sollen entwickelt werden. – No na!

In jedem zweiten Punkt kommen die Wörter „grundsätzlich“ und „nachhaltig“ vor, und wenn ich diese beiden Wörter höre, dann schrillen bei mir schon alle Alarmglocken, denn sie sind eigentlich Synonym für inhaltliche Leere in bedeutungstriefender Ver­packung – also schlicht hohle Phrasen.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 44

So etwas scheint genau dann zu passieren, wenn man brave Beamte damit beauftragt, diese Berichte zu erstellen, es aber von politischer Seite verabsäumt, sie mit Inhalten und mit Leben zu erfüllen. (Bundesrat Stadler: Ich frage mich nur, warum du im Ausschuss warst!)

Lassen Sie mich noch auf einige inhaltliche Punkte eingehen. Es gibt da zum Beispiel die Haftungsregelung für GNSS – im Wesentlichen ist das das GALILEO-System. Dazu heißt es im Bericht, dass in Abstimmung mit den zuständigen Ressorts eine Position erarbeitet werden muss, die den Interessen sozusagen aller Rechnung trägt. Da wäre es schon wünschenswert zu erfahren, um welche Haftungen es sich über­haupt handelt und was diesbezüglich auf uns zukommen kann, denn wir alle wissen ja, dass dieses GALILEO mittlerweile ein sehr kostspieliges Vorhaben geworden ist und weit über den ursprünglich budgetierten Rahmen hinausgeht.

Auch zu der Position zu den Sicherheitsscannern auf den Flughäfen, zu den soge­nannten Bodyscannern, wurde im Ausschuss angemerkt, dass Österreich eine zurück­haltende Haltung einnimmt. Das ist mir aber eigentlich zu wenig. Es fehlt mir erstens das klare Bekenntnis zum Vorrang der Sicherheit, und zweitens muss natürlich die gesundheitliche Sicherheit gewährleistet sein. Es darf also nicht durch irgend­welche gesundheitsschädlichen Strahlenemissionen eine Gefährdung herbeigeführt werden. Die Persönlichkeitsrechte könnte man aber, glaube ich, durch entsprechende Begleit­maßnahmen sehr wohl wahren. Ich habe nämlich nichts davon, wenn ich mit dem Flieger über dem Atlantik irgendwo in die Luft fliege und dann mein letzter Gedanke sein wird: Wenigstens ist meine Intimsphäre gewahrt geblieben!

Weil wir schon beim Luftverkehr sind: Bei den Passagierrechten heißt es hier auch wieder so allgemein, es dürfe zu keiner Verschlechterung für die Passagiere kommen. Gerade vor Kurzem haben wir ja gehört, dass die Europäische Union offensichtlich vor der Lobby der Airlines wieder in die Knie gegangen ist, und zwar mit Argumenten im Zusammenhang mit Vulkanasche und Wetter. Da muss ich schon sagen, auch in diesem Bereich wäre es wichtig, eine Einbindung der Flughafenbetreiber in diese Verantwortung gezielt zu fordern. – Die Verantwortung haben nicht nur die Airlines allein, das ist ganz klar. Wenn man zwei Stunden im Flugzeug in Parkposition sitzt, beim Fenster hinausschaut, draußen die Gepäckswagerl sieht und sich, wenn man Glück hat, noch freuen darf, wenn man seinen eigenen Koffer entdeckt und daher weiß, dass er nicht verloren gegangen ist, und nach zwei Stunden kommt der Bus und holt die Passagiere wieder ab, weil der Flughafen – in diesem Fall war es Frankfurt – nicht in der Lage war, Personal zur Verfügung zu stellen, das das Gepäck in den Flieger einlädt, und als Grund wird das Wetter angegeben, weil es am Vortag einen Zentimeter geschneit hat, dann muss ich schon sagen, da haben auch die Flughäfen eine große Verantwortung und gehören in die Pflicht genommen.

Es ist schon klar, dass bei höherer Gewalt nicht ausufernde Haftungsansprüche Platz greifen müssen, aber es ist dafür zu sorgen, dass die Passagiere auch in solchen Fällen erstens einmal kompetent und ausreichend informiert werden und dass zweitens für eine Unterbringung gesorgt wird, die menschenwürdig ist, und sie nicht tagelang irgendwo auf einem Flughafen stehen müssen. (Beifall bei der FPÖ.)

Es würde also genügend inhaltliche Punkte geben, die man in die österreichische Position aufnehmen und durch die man das Ganze mit Leben erfüllen könnte.

Zusammenfassend muss ich also sagen, dass diese Chancen leider nicht genützt werden. Man hat das Gefühl, es ist Ihnen halt eine lästige Pflicht und Sie sagen sich: Die Berichte müssen wir alle Jahre machen, dann legen wir halt irgendein „Papierl“ vor! Deshalb werden wir auch diesen Bericht und alle weiteren ähnlicher Art ablehnen. – Danke. (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrat Stadler: Sagst du das im Vorfeld


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schon? Bundesrat Beer: Im Ausschuss war’s einstimmig! Bundesrat Krusche das Rednerpult verlassend : Na, war’s nicht!)

11.11


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Boden zu Wort. – Bitte.

 


11.11.35

Bundesrat Karl Boden (SPÖ, Niederösterreich): Frau Präsidentin! Frau Bundes­ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! So kritisch wie mein Vorredner sehe ich diese Jahresvorschau des BMVIT 2011 auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Kommission sowie des operativen Jahresprogramms des Rates nicht. Sie gliedert sich in fünf politische Prioritäten, nämlich erstens „Bewältigung der Wirtschaftskrise und Schaffung der Grundlage für den Aufschwung“, zweitens „Wachs­tumsbelebung zur Schaffung von Arbeitsplätzen durch die beschleunigte Umsetzung der Reformagenda Europa 2020“, drittens „Schaffung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“, viertens „Aufnahme der Verhandlungen über einen modernen EU-Haushalt“ und fünftens „Stärkung der Rolle der Union auf dem inter­nationalen Parkett“.

Sehr wohl muss ich anmerken, dass es viele Punkte gibt, hinsichtlich derer die Ziele zwar formuliert sind, der Ist-Stand derzeit aber noch immer fehlt, so auch im Weißbuch über die Zukunft des Verkehrs, wo über die Bereiche Verkehrsinfrastruktur, Binnen­markt­gesetzgebung, Entkarbonisierung des Verkehrs, Technologien im Zusammen­hang mit Verkehrsmanagement und sauberen Fahrzeugen, die Nutzung von Stan­dards, marktbasierten Instrumenten und Anreizen berichtet wird, wobei wir ja wissen und auch im Ausschuss gehört haben, dass das Weißbuch erst Ende März vorgelegt wurde und auf breiter Basis noch nicht diskutiert werden konnte.

Die im Weißbuch genannten Strategieziele für 2020 betreffen die Reduzierung der Treibhausgase, erneuerbare Energien und Energieeffizienz.

Was neue Technologien betrifft, mithilfe derer von den Fahrzeugen immer wieder weniger Sprit verbraucht wird, haben wir in Österreich sehr gute Fortschritte zu verzeichnen; genauso bei der Erzeugung von Elektroautos – auch darin liegt, glaube ich, die Zukunft. Vor allem müsste man in der Forschung von Motoren nachsetzen, die bereits ohne Erdöl betrieben werden können. Auch da gäbe es sehr viel Potenzial, und ich glaube, dass man dieses nützen sollte.

Das Weißbuch ist kein Regelwerk, das auf Punkt und Beistrich formuliert ist und eingehalten werden muss, sondern es wird ständig verbessert, so wie das erste Weißbuch, das 2001 vorgelegt wurde und im Vergleich zu dem es jetzt wesentliche Verbesserungen gibt.

Vielleicht noch ein paar Anmerkungen zur aktuellen Verkehrssituation: Was mich besonders stört, sind die Mautflüchtlinge, die nicht auf hochrangigen Straßen unter­wegs sind und immer wieder verkehrsbehindernd in Erscheinung treten. Wir im Wald­viertel sind ja derzeit noch nicht mit einer Autobahn ... (Bundesrätin Dr. Kickert: Gesegnet!) – na, „gesegnet“ will ich gar nicht sagen. Wir haben keine Autobahn und müssen natürlich diese Mautflüchtlinge auf unseren niederrangigen Straßen immer wieder bewältigen. Ich glaube, da müssten wesentlich mehr Kontrollen durchgeführt werden. Es gibt bereits Sonderkommissionen, die diese Fahrzeuge kontrollieren, aber ich meine trotzdem, es müssten mehr Kontrollen durchgeführt werden, denn wenn Kontrollen erfolgen, sieht man immer wieder, dass innerhalb einer Stunde keine Lkws mehr unterwegs sind.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 46

Ein weiteres Thema sind die Nebenbahnen. Frau Bundesminister, Sie haben ja mit 1. Jänner dieses Jahres die Nebenbahnen in Niederösterreich dem Land Nieder­österreich übergeben. Wie ich gestern aus Medienberichten erfahren habe, soll heute im Niederösterreichischen Landtag ein Aktuelle Stunde stattfinden, in der über die 26 Standorte beziehungsweise die Schließung von Verladestellen durch die Rail Cargo diskutiert wird.

Wenn man weiß, dass man über solche Dinge diskutiert und selbst in Niederösterreich von allen Nebenbahnen lediglich eine in Betrieb hält, während man alle anderen zusperrt, dann ist es, glaube ich, nicht richtig, dass man hier kritisiert, dass Verlade­stellen von Rail Cargo geschlossen werden. (Demonstrativer Beifall der Bundesrätin Kerschbaum.) – Danke.

Auch fordern wir immer wieder mehr Polizei auf der Straße. Wir wissen, wir haben viel zu wenige Kontrollen auf der Straße, und überall dort, wo mehr kontrolliert wird, sinken die Unfallzahlen, sinkt die Todesrate und haben wir eine wesentlich sicherere Ver­kehrs­verbindung.

Auch ist es nicht immer schön, wenn auf die Bediensteten der ÖBB ... (Ruf bei den Grünen: Hing’haut!) – ich will nicht sagen hingeschlagen wird, aber wenn sie zumindest diskreditiert werden. (Bundesrat Ertl: Wegen der Pensionierungen!) Mein Kollege Werner Stader hat dies ja bei der letzten Sitzung schon dementsprechend ange­sprochen. Die ÖBB können nur so gut sein, wie die Rahmenbedingungen sind, und wie wir wissen, wurden diese Rahmenbedingungen von 2000 bis 2006 so massiv verändert, dass die ÖBB nicht in der Lage sind, ein positives Ergebnis zu schreiben. (Bundesrat Mayer: ... mit der Rail Cargo ...!)

Frau Bundesminister, die Fraktion der Sozialdemokraten möchte diese Jahresvorschau natürlich gerne zur Kenntnis nehmen, und ich würde mir wünschen, dass die Ziele und auch der Standard in der nächsten Vorschau bereits beschrieben und definiert werden. (Beifall bei der SPÖ, bei Bundesräten der ÖVP sowie der Bundesräte Kerschbaum und Zanger.)

11.18


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Keuschnigg zu Wort. – Bitte.

 


11.18.49

Bundesrat Georg Keuschnigg (ÖVP, Tirol): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Montag, den 18. April, findet im Landhaus zu Innsbruck ein ganz besonderer Festakt statt, unter Beteiligung von verkehrspolitischen Vertretern der Republik Österreich – auch die Frau Bundes­minis­terin dürfen wir sehr herzlich begrüßen –, Deutschlands, Italiens und der Europäischen Union, und bei diesem Festakt wird der offizielle Startschuss für die Hauptbauphase des Brenner-Basistunnels gegeben.

Damit mündet ein über Jahrzehnte – über viele Jahrzehnte – betriebenes Infra­strukturprojekt zur Entlastung der Tiroler Bevölkerung von den Auswirkungen des internationalen Durchzugsverkehrs in die Realisierungsphase. Der Brenner-Basis­tunnel wird wahrscheinlich eines der größten Einzelprojekte der Europäischen Union sein, ein seit Jahren erstgereihtes TEN-Projekt, und auch unter starker finanzieller Mitwirkung der Europäischen Union.

Und es wurden – zur Erinnerung sei das hier gesagt – schon Milliardenbeträge als Vorleistung in dieses Projekt, in die Brenner Eisenbahngesellschaft investiert, um den Nordzulauf im Tiroler Unterinntal zu bauen. Das Unterinntal hat über Jahre wie ein Maulwurfhaufen ausgeschaut, es hat sich ein Erdhaufen an den nächsten gereiht. Es


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 47

wurden bereits mehr als 2 Milliarden € in diese Zulaufstrecke investiert. Und was immer wieder vergessen wird – diese ist bereits seit Jahren in Betrieb – ist die eisen­bahntechnische Umfahrung der Landeshauptstadt Innsbruck.

Dieser Brenner-Basistunnel wird das Herzstück einer Eisenbahntransversale von Berlin bis Palermo sein, die gleichzeitig auch Großbaustellen beim nördlichen Zulauf in der Bundesrepublik Deutschland und beim südlichen Zulauf in Italien zur Folge hat. Jetzt, da sozusagen die Realisierung unumkehrbar geworden ist und die Sache auf Schiene ist, müssen wir alle zusammen das volle Augenmerk auf die Verlagerungspolitik legen. Das gesamte Projekt dient dazu, Mensch und Natur zu entlasten. Aus diesem Grund, glaube ich, müssen wir hier neues europäisches Recht schreiben, das den Vorrang der Gesundheit des Menschen und der Natur vor den überbordenden Auswirkungen des Verkehrs definiert.

Sie werden verstehen, dass in Tirol Freude aufkommt. Es gab bereits in den fünfziger Jahren erste Konzepte, die Bemühungen gingen weiter in den sechziger und siebziger Jahren, ganz intensiv waren die Bemühungen seit den achtziger Jahren. Vier Landes­hauptleute waren an diesem Projekt beteiligt, um durch ständiges Lobbying auf nationaler und internationaler Ebene mit allen Rückschlägen, die es gegeben hat, dieses Projekt auf Schiene zu bringen.

Ich möchte heute hier nicht mehr dazu sagen, sondern freue mich darüber, dass wir diese Erfolgsmeldung auch in diesem Hohen Haus verkünden können. Ich möchte mich über alle Parteigrenzen hinweg bei allen bedanken, die dazu beigetragen haben, heute an diesem besonderen – auch für die Volkspartei, aber auch für die Republik Österreich ganz besonderen – Tag: bei unserem amtierenden Vizekanzler Josef Pröll, der in diesen schwierigen Jahren der Wirtschafts- und Finanzkrise Stabilität bewiesen hat und für dieses internationale Infrastrukturprojekt die Finanzierung sicherstellen konnte.

Und auch bei Ihnen, Frau Bundesministerin Bures. Es war ja in den letzten zwei Jahren ganz besonders schwierig, nach diesen budgetären Begrenzungen, die wir alle in Kauf nehmen mussten, hier für Stabilität zu sorgen und dieses Projekt schlussendlich über die Bühne zu bringen. Herzlichen Dank auch für diese Bemühungen, die Sie unternommen haben. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

Sie werden am Montag in Innsbruck auch einen Freudentag haben, wenn Sie das verkünden können. Ich darf mich dem Applaus vom Rednerpult aus anschließen. (Der Redner spendet Beifall.) – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie des Bundesrates Zangerl.)

11.23


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Kerschbaum. – Bitte.

 


11.23.11

Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum (Grüne, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht – wie schon erwähnt – ist diesmal einigermaßen zeitgerecht erschienen. Inhaltlich – jetzt von der Zusammenfassung her – spricht nichts dagegen und wir werden ihm natürlich gerne zustimmen. Es steht auch im Vergleich zu den Berichten der Vorjahre immer wieder ein bisschen mehr von der österreichischen Haltung drinnen, die ich in diesem Bereich besonders wichtig finde. Ich denke, das ist ein Thema, worüber wir hier immer wieder interessiert diskutieren sollten.

Ich möchte jetzt nur einen Punkt herausnehmen, das ist das Weißbuch über die Zukunft des Verkehrs. Ich habe schon geglaubt, Kollege Boden nimmt mir meine gan­


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ze Rede weg, aber du hast es nur angedeutet. Dieses Weißbuch hat ja in den letzten Tagen doch einiges Medieninteresse gebracht. Prinzipiell ist zu sagen: Die Erkennt­nisse sind schon richtig. Wenn wir aber so weitertun wie bisher, dann haben wir ein großes Problem, dann haben wir viele große Probleme. Es wurden auch relativ hohe Ziele gesteckt, nämlich 60 Prozent Reduktion der Emissionen.

Das erste Problem bei diesem Weißbuch ist, dass es die Probleme leider nur auf die Zukunft verschiebt. Diese 60 Prozent Reduktion werden so erreicht, dass wir uns bis 2030 vornehmen, jährlich 1 Prozent zu reduzieren und ab 2030 gehen wir quasi volle Wäsche ran, und es werden dann 5 Prozent jährlich. – Wie auch immer das funktio­nieren soll!

Ein weiterer Kritikpunkt des Weißbuchs zielt in erster Linie auf technische Errungen­schaften ab; also die Motoren werden alle super sauber und wir werden dann alle nur noch 0,5-Liter-Autos fahren. Da frage ich mich schon, ob es wirklich so viel einfacher ist, von 10-Liter-Autos auf 5-Liter-Autos zu kommen oder ob es nicht doch schwieriger ist, von einem 5-Liter-Auto auf ein 3-Liter-Auto zu kommen oder noch tiefer. Der technische Fortschritt wird ja immer schwieriger zu erreichen sein – gerade wenn man von Prozenten im Emissionsbereich spricht.

Ein Punkt, der wirklich der Angelpunkt ist, warum ich dieses Weißbuch leider etwas als „Wischi-Waschi-Weißbuch“ einordnen muss und zum Teil auch falsche Ziele drinnen stehen, ist, dass in Punkt 2.1 steht: Wir wollen das Verkehrswachstum gewährleisten und Mobilität unterstützen bei Erreichung des Emissionsminderungsziels von 60 Prozent.

Zuerst muss man einmal feststellen, dass Verkehr ja nicht Mobilität ist. Mobilität auszuweiten – keine Frage –, das ist ein gutes Ziel, aber Verkehrswachstum an sich in ein Weißbuch des Verkehrs hineinzuschreiben finde ich prinzipiell schon einen großen Fehler. Das Verkehrswachstum, das wir bisher hatten, ist enorm. Von 1980 bis 2010 hat sich der Verkehr auf der Straße verdreifacht. Also diese Zahlen sind immens, das bringt viele Probleme mit sich.

Es steht in diesem Weißbuch nicht einmal drinnen, dass wir dieses Verkehrswachstum jetzt zurückfahren oder den Verkehr nicht mehr in dem Ausmaß wachsen lassen wollen. Es steht einfach drinnen: Das Verkehrswachstum soll gewährleistet werden. – Es ist für mich kein Ziel, dass der Verkehr in dem Ausmaß zunimmt, wie er bis jetzt zugenommen hat, auch dann nicht, wenn die technischen Mittel – was ich schwer bezweifeln würde – dazu führen, dass man möglicherweise die Emissionen in den Griff bekommt, denn der Verkehr bringt noch viele andere Probleme mit sich, mit denen sich ein Verkehrsministerium oder ein Verkehrskommissar schon auch auseinandersetzen sollte.

Ich muss sagen, es ist in dem Weißbuch auch angegeben, dass im Anhang 3 Berech­nungen enthalten wären, wie das mit den Fortschreibungen wäre. Dieser Anhang 3 ist komischerweise nicht dabei, aber es steht dann irgendwo, wie sich die Emissionen entwickelt haben, die Emissionen im Verkehrsbereich, nämlich plus 10 Prozent in etwa von 1990 bis 2008.

Da frage ich mich jetzt ernsthaft: Wenn wir so weitermachen mit dem Verkehrs­wachstum, dann können wir noch so viele technische Schrauben drehen, es wird sich nicht ausgehen, dass wir 60 Prozent Emissionen reduzieren. Tut mir leid, das ist das Papier nicht wert, auf dem es steht.

Wenn Sie jetzt in Ihrem Bericht – um kurz auf den Bericht zurückzukommen – beim Verkehrswachstum in erster Linie die Verankerung der Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene fordern, dann ist das schön und nett, aber das ist in


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Wirklichkeit leider ein Lippenbekenntnis. Wenn man sich nämlich die Punkte anschaut, die zur Zielerreichung führen sollten, dann geht es zunächst um die Verbannung der Autos mit Verbrennungsmotoren aus den Städten.

Das klingt super toll. Was aber sind „Städte“? In Wien, da kann ich mir das vielleicht irgendwann einmal vorstellen, im Jahr 2050. Aber sind 5 000-Einwohner-Städte auch noch Städte? Und was haben die dann für Alternativen?

Dann steht noch im Bericht, 50 Prozent des Personen- und Güterverkehrs bei Entfer­nungen über 300 Kilometer auf Schiff und Schiene zu verlagern. Ich meine: 50 Prozent klingen gut, aber wenn man die Wege berechnet, die 300 Kilometer betragen, dann ist das ein ganz kleiner Anteil von dem, was wir an und für sich täglich an Wegen zurücklegen und viele Menschen mit dem Auto zurücklegen. Also die Entfernungen unter 300 Kilometer sind offenbar egal bei dieser Verlagerung.

Beim Flugverkehr schaut man darauf, dass 40 Prozent CO2-emissionsarme und nach­haltige Flugkraftstoffe verwendet werden. Flugverkehr verursacht auch viele weitere Probleme wie Lärm, und meines Wissens geht es da auch um den Wasserdampf, der in hohen Sphären ausgestoßen wird. Dieser ist auch nicht ganz harmlos, was die Treibhausgase betrifft. Also die 40 Prozent CO2-emissionsarmen und nachhaltigen Flugkraftstoffe sind nur ein kleiner Teil. Das wird vielleicht ein bisschen etwas lösen, wobei die Herstellung der Kraftstoffe wieder Probleme aufwerfen wird. Das ist keine endgültige Lösung.

Bei den angedachten Maßnahmen, die zu dieser Zielerreichung führen sollen, wie 60 Prozent weniger Treibhausgase, da ist nichts Neues dabei. Da finde ich nichts Neues! Und deshalb würde ich mich doch sehr wundern, wenn dieses Weißbuch Verkehr auch nur irgendwie dazu führen würde, dass wir uns diesem Ziel nähern.

Da braucht man natürlich auch Maßnahmen, da braucht man einen Fahrplan. Und der Fahrplan – wie ich schon am Anfang erwähnt habe: bis 2030 machen wir 1 „Pro­zentpunkterl“ im Jahr – ist auch nicht wirklich optimal.

Wenn wir die Klimaschutzziele wirklich ernstnehmen und zusätzlich noch aus der Atomkraft aussteigen – was wir wollen und was, glaube ich, die SPÖ will; bei der ÖVP gibt es auch einige –, wenn wir also diese Ziele erreichen wollen, dann werden wir das nicht mit einem weiteren Verkehrswachstum erreichen. Und dann werden wir das nicht erreichen, wenn wir rein auf technische Lösungen setzen, sondern da brauchen wir einen Systemwandel. (Beifall bei den Grünen.)

In Niederösterreich – das hat schon Kollege Boden angesprochen – schaut dieser Systemwandel so aus, dass beim Bau von Hochleistungsstraßen inzwischen ein bisschen gebremst wird. Im Waldviertel habt ihr erst eine, das ist ein bisschen ein Problem. Wir haben schon sehr viele, wir haben jetzt zum Beispiel die S 1; die haben wir vor Kurzem bekommen. Auf der findet man fast keine Autos, weil es die Verkehrs­zahlen in Wirklichkeit nicht gerechtfertigt haben, diese zu bauen.

Jetzt kommt Herr Kollege Wilfing aus dem Niederösterreichischen Landtag und sagt, es gibt 20 Millionen Autos am Grenzübergang nach Tschechien, deshalb brauchen wir unbedingt eine Autobahn. Er sagt aber nicht dazu, dass das erst in zehn Jahren sein wird. Wenn man das herunterrechnet, was das pro Tag oder pro Minute bedeutet, dann sind das pro Tag an diesem Grenzübergang 5 500 Fahrzeuge. Ich weiß, in Korneuburg am Hauptplatz fahren täglich um die 14 000 Fahrzeuge. Also eine Autobahn rechtfertigt das nicht! In Niederösterreich brauchen wir aber für diese 5 500 Fahrzeuge am Tag unbedingt eine Autobahn bis nach Tschechien, bis nach Brünn.

Heute in den Medien ist auch schon gestanden: Ganz toll ist dieses neue Verkehrs­projekt in der Wachau. Jeder Ort in der Wachau ist erreichbar mit dem Bus, mit der


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Bahn oder mit dem Rad. – Dass man in Wirklichkeit die Bahn „abgedreht“ hat und nur mehr am Wochenende fahren lässt und dass man inzwischen alle Schüler et cetera mit dem Bus durch die Gegend chauffiert, steht nicht so detailliert drinnen. Und mit dem Rad ist man wahrscheinlich vorher auch schon in alle Gemeinden gekommen – davon gehe ich aus. Aber so verkauft man halt in Niederösterreich die Verlagerung des Verkehrs von der Schiene auf die Straße als tolle Leistung. (Zwischenruf des Bundes­rates Kainz.) – Der Herr Kollege ist auch überzeugt davon, was für eine tolle Leistung das ist, wenn wir die Schüler nicht mehr in den Zug, sondern in den Bus setzen und durch den Stau führen.

Wie gesagt: Statt diesen Lippenbekenntnissen von der Verlagerung von der Straße auf die Schiene hätten wir in Wirklichkeit Vorgaben gebraucht, so wie es sie in der Schweiz gibt. Dort gibt es ab einer gewissen Zahl von Menschen, die in einer Gemeinde woh­nen, ein Anrecht darauf, dass es einen öffentlichen Verkehr und eine regelmäßige Anbindung gibt. Das bräuchte man auch in einem Weißbuch Verkehr 2050, das es vielleicht dann wirklich ermöglicht, die Emissionen und die anderen Probleme des Verkehrs in Zukunft zu begrenzen. Und ich würde mich freuen, wenn Sie, Frau Ministerin, sich dafür einsetzen. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

11.32


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Zu Wort gelangt die Frau Bundesministerin Bures. – Bitte.

 


11.32.58

Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie Doris Bures: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das, was wichtig ist, ist: Dieser Jahresbericht ist ein Jahresbericht der Kommission. Daher möchte ich auch nicht verhehlen, dass unsere Ansprechperson einer der Kommissare ist, nämlich Kommissar Hahn, mit dem ich, was das Jahresprogramm und vor allem das Weißbuch betrifft, immer in enger Abstimmung war. Ich möchte auch sagen, dass er zu jenen gehört hat, die in Brüssel sehr vehement auf die spezielle topografische Situation und damit auch auf die Situation Österreichs als Transitland und die Bedeutung des Schienenausbaus hingewiesen hat. Er war tatsächlich ein Verbündeter, und die eine oder andere Veränderung, auch im Weißbuch Verkehr, ist mit seiner Unterstützung gelungen.

Das letzte Jahresprogramm der Kommission ist auch deshalb erst so spät diskutiert worden und am Tisch gelegen, weil wir keine Kommission hatten. Es gab ja die Neubestellung der Kommission, darauf wurde gewartet. Das gilt für alle Kapitel, für alle Bereiche. Daher ist im letzten Jahr eben aufgrund der Neubestellung der Kommission das Jahresprogramm relativ spät zur Diskussion gestanden.

Ich bin froh darüber, dass wir jetzt, im April, dieses Jahresprogramm diskutieren. Einige Punkte, Herr Bundesrat, sind natürlich auch seither schon passiert. Es ist nicht so, dass im ersten Quartal im Zusammenhang mit dem Jahresprogramm nichts geschehen wäre. Ich werde darauf noch zurückkommen. Aber das ganz Entscheidende ist, dass natürlich für Österreich gerade in der Verkehrspolitik die europäische Ausrichtung so wesentlich ist, weil Österreich ein Transitland ist, weil Verkehr ja bekanntlich an Gren­zen nicht Halt macht, weil wir bei allen großen europäischen Schienenkorridoren die enge Zusammenarbeit benötigen und weil wir die verkehrspolitischen Rahmenbedin­gungen seitens Europas brauchen, um mehr Kostenwahrheit zwischen Straße und Schiene zu bekommen.

Was sind denn die Maßnahmen, die dazu führen können, dass wir den Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagern? – Da bin ich sehr froh, dass wir in Österreich meiner Einschätzung nach über alle Parteigrenzen hinweg einen verkehrspolitischen


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Konsens haben, dass das die Zielsetzung ist. Anders schaut es wieder bei einzelnen Projekten aus: Da sind zwar auch immer regional die einzelnen Abgeordneten und Länder dafür. Wenn es dann aber um die Investitionen geht, gestaltet sich das manch­mal schwieriger, denn der öffentliche Verkehr kostet natürlich Geld, und da muss man investieren. Da würde ich mir diesen gesamtösterreichischen Konsens auch stärker wünschen so wie bei der grundsätzlichen Ausrichtung, was die Verlagerungspolitik betrifft.

Es ist so, dass die europäische Verkehrspolitik ganz massive Auswirkungen auf Österreich hat. Das ist mit ein Grund dafür, warum ich am Ende der schwedischen EU-Präsidentschaft dagegen gestimmt habe, dass es einen völlig freien Warenverkehr ohne Beschränkungen geben soll. Ich bin auch immer dafür eingetreten, dass es keine Gleichbehandlung der Verkehrsträger, keine Gleichbehandlung zwischen Straße und Schiene gibt, sondern dass es eindeutig eine Priorisierung für jenen Verkehrsträger geben muss, der auch effizient ist, was die Ressourcen betrifft, und der ökologisch ist. Das hat dazu geführt, dass ich als Vertreterin Österreichs im Verkehrsbereich dagegen gestimmt habe, als die schwedische Präsidentschaft eine Gleichbehandlung aller Verkehrsträger vorhatte.

Was das Weißbuch Verkehr betrifft – das haben Sie selbst erwähnt, Frau Bundesrätin Kerschbaum –: Da gibt es ein ambitioniertes Ziel, nämlich jenes, wo es um die Emis­sionsreduktion um 60 Prozent geht. Ich bin ganz bei jenen, die sagen, dem müssen aber Taten folgen. Das heißt, es geht um die konkreten Maßnahmen, die gesetzt werden. Ich verhehle auch nicht, dass im Weißbuch der Kommission einzelne Dinge sind, die ich nicht ambitioniert finde. Wenn im Weißbuch für das Jahr 2050 in der EU von einem Modal Split von 30 Prozent, nämlich 30 Prozent des Güterverkehrs auf der Schiene, die Rede ist und das als Ziel in der EU formuliert ist, dann bin ich stolz darauf, dass wir das in Österreich schon jetzt im Jahr 2011 haben.

Wir haben das heute schon deshalb, weil wir eben diese Verlagerungspolitik machen, weil wir für eine Wegekostenrichtlinie mit mehr Kostenwahrheit zwischen Straße und Schiene gekämpft haben. Wir haben das auch deshalb, weil wir ein gutes Verkehrs­transportunternehmen für den Güterverkehr auf der Schiene haben. Um das auch in Zukunft zu haben, wird es einzelne Maßnahmen geben, was aber an der grundsätz­lichen Ausrichtung der Verlagerung auf die Schiene nichts ändert.

Wenn wir in Zukunft ein Unternehmen haben wollen, das Güter und Personen ökolo­gisch transportiert, dann muss das auch wirtschaftlich auf soliden Beinen stehen. Daher müssen wir heute Maßnahmen setzen und schauen: Wo kann ich Einsparungs­potenziale nützen, ohne die Erhöhung des Verkehrsanteils auf der Schiene aus dem Auge zu verlieren? Das ist Sinn der Maßnahmen, die wir heute setzen.

Zur Frage der Verladestellen. Es stimmt, Herr Bundesrat, es werden Verladestellen geschlossen. Wir haben derzeit in Österreich ungefähr 560, das wird auf rund 450 reduziert. Diese Verladestellen sind aber wie ein Postkasten. Das ist nicht einmal ein Postamt, das ist keine Universaldienstleistung an einem Kunden, sondern das ist ein Postfach, wo abgegeben werden kann. Wenn sich das aber überhaupt nicht rechnet, wenn das finanziell stark unterstützt werden muss, dann muss sich ein Unternehmen Gedanken darüber machen, ob sich das rechnet oder nicht.

Wir werden in Zukunft 450 dieser Verladestellen in Österreich haben. Ich sage Ihnen: In Frankreich – ich schätze, flächenmäßig zehnmal so groß wie Österreich – gibt es 200, in Deutschland gibt es zehn, um eine Größenordnung zu haben. Wir wollen trotzdem bei unserer Verlagerungspolitik bleiben und das Unternehmen zukunftsfit machen. Wenn wir den Schienenausbau vorgenommen haben werden, ob es der Brenner Basistunnel ist oder ob es die Baltisch-Adriatische Achse ist – daher bekenne


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ich mich auch immer zum Ausbau dieser Gesamtstrecke; da geht es nicht um Tunnel, da geht es um Strecken, nämlich auch durch den Semmering und die Koralm –, soll die Zielsetzung 40 Prozent Modal Split im Jahr 2025 sein, dann, wenn diese Schienen­investitionen wirksam werden und die Strecken in Betrieb genommen werden können.

Daher werden wir einzelne Diskussionen haben. Wir werden auch beim Stückgut Diskussionen haben, aber 3 Prozent der gesamten Gütertonnagen sind Stückgut. Das heißt, bei 97 Prozent ändert sich nichts.

Ich glaube, man darf das Kind nicht immer mit dem Bade ausschütten. Wir haben eine klare verkehrspolitische Ausrichtung, und ich versuche mit großem Engagement und großer Vehemenz diese wirtschaftlichen Voraussetzungen in den Unternehmungen mit Unterstützung eines guten Managements zu schaffen, dass wir diese Zielsetzungen umsetzen können.

Das wird auch dazu führen, dass man manchmal mit dem Bus fahren muss. Die Eisenbahn ist ein Massenverkehrsmittel. Da werden Hunderte Menschen mit einer Lok oder einem Zugfahrzeug transportiert. Wenn das aber nicht gegeben ist, dann ist der öffentliche Verkehr auch ein Autobus – hoffentlich bald ein elektrischer Autobus, wofür wir mit Gemeinden viele Projekte machen –, ein öffentlicher Verkehr, den ich jedenfalls unterstütze.

Das ist das, wovon ich denke, dass es wichtig ist: dass wir nicht immer glauben, das ist sofort ein Abrücken, sondern das ist in Wirklichkeit die Voraussetzung dafür, dass wir die verkehrspolitischen Zielsetzungen auch halten können.

Daher vielleicht noch in aller Kürze zu den weiteren Punkten im Bericht. – Ich habe auch immer klar gesagt, was die Verlagerungspolitik betrifft, dürfen wir in Europa nicht die Zielsetzung 60 Prozent Emissionsreduktion hineinschreiben und auf der anderen Seite Gigaliner einführen, nämlich Monster-Lkws. Das konterkariert dieses Ziel, damit machen wir uns in der Verkehrspolitik auch in Europa unglaubwürdig. Daher kämpfe ich ja gegen diese Gigaliner, die aus verkehrspolitischer, umweltpolitischer, aber auch verkehrssicherheitspolitischer Sicht wirklich unsinnig sind.

Im Übrigen hat das BMVIT zwei Studien dazu gemacht, wo klar hervorgeht, was das auch für Infrastrukturkosten verursacht: höhere Tunnel, breitere Tunnel, stärkere Brücken, stärkere Leitschienen, also irre Investitionen, die in Wirklichkeit die Verkehrs­politik konterkarieren würden. Diese Studien würde ich Ihnen auch gerne zur Verfü­gung stellen. Ich habe sie der Europäischen Kommission, ich habe sie den EU-Abgeordneten schon zur Verfügung gestellt, damit das auf europäischer Ebene auch breit diskutiert wird. Ich würde Ihnen diese auch gerne zukommen lassen, um Sie als Verbündete gegen diese Monster-Lkws, die Gigaliner, zu gewinnen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Zwei Punkte noch ganz kurz: Was hat sich aufgrund der Jahresvorschau schon getan? Single European Sky: Da geht es darum, dass wir derzeit in Europa 35 Lufträume haben. Das ist ökologisch unklug, das ist aus Sicherheitsgründen unklug, und daher wird es in Zukunft nur mehr sieben Luftraumblöcke in Europa geben. Österreich hat im ersten Halbjahr jetzt den Vorsitz des FAB Zentraleuropa, zu dem Österreich mit weiteren sechs Staaten gehört. Wir werden im Mai noch diesen gemeinsamen Vertrag unterschreiben, das heißt die Basis und die Grundlage für diesen Luftraum, in dem sich Österreich befindet, beschließen.

Das Zweite: Ich teile alle Skepsis, was den Bereich Einsatz von Bodyscannern betrifft. Da habe ich immer eine sehr kritische Haltung eingenommen. Da gibt es viele Dinge, die wirklich noch offen sind, was gesundheitliche Auswirkungen, was auch Eingriffe in die Privatsphäre betrifft. Und solange diese Fragen nicht restlos beantwortet werden


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können, ist es – so glaube ich – auch richtig, dass wir weiter diese kritische Haltung haben sollten.

Beim letzten Punkt bin ich dort kritisch, wo es ums Geld geht – nicht in der Sache, da unterstütze ich das sehr –, nämlich in der Frage von Galileo, eines eigenen Naviga­tions­systems Europas. Ich glaube, es ist sinnvoll, wenn Europa ein unabhängiges Navigationssystem hat, dass wir nicht nur von den amerikanischen Naviga­tions­systemen abhängig sind. Mir geht es natürlich um ein ziviles und nicht ein militärisches, aber ich glaube, das ist ohnehin relativ klar. Diese Satellitensysteme, dieses euro­päische Projekt ist mir auch so wichtig, weil Österreich da, auch was Technologie betrifft, eine wichtige Rolle spielt.

Wir haben drei große Unternehmen in Österreich: RUAG Space, Magna Space, Siemens Austria, da sind 250 Menschen allein im Bereich Weltraumforschung, Satel­litenforschung tätig. Insgesamt sind es 800 hochqualifizierte Arbeitsplätze, die wir in Österreich haben. Wir werden erstmals auch zwei Kleinsatelliten – sozusagen „Made in Austria“ – in die Umlaufbahn schicken. Da haben wir, auch was unseren Tech­nolo­gietransfer betrifft, wirklich nicht nur in Europa, sondern weltweit hohe Anerkennung.

Daher glaube ich, es ist richtig – und daraus haben die Verkehrsminister bei der letzten Sitzung in Brüssel auch kein Hehl gemacht, dass das nicht nachvollziehbar ist, was die Kostenentwicklung betrifft –, dass wir da mehr Transparenz wollen, dass es da auch Modelle von möglichen Kostenreduktionen geben muss. In der Sache selbst, so glaube ich, ist es für Europa wichtig, ist es aber auch für Österreich wichtig, weil das ein gutes Beispiel in der Weltraumforschung ist, wo Österreich zeigt, dass wir ein hervorragender Wirtschafts- und Technologiestandort sind. – Danke. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

11.45


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit, der Antrag ist somit angenommen.

11.45.433. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 30. März 2011 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Konsumentenschutzgesetz (KSchG) geändert wird (Konsumen­tenschutzrechts-Änderungsgesetz 2011 – KSchRÄG 2011) (1007 d.B. und 1108 d.B. sowie 8465/BR d.B. und 8468/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Nunmehr kommen wir zum 3. Punkt der Tagesordnung, zu dem ich die Frau Justizministerin ganz herzlich bei uns im Bundesrat begrüße. Herzlich willkommen! (Allgemeiner Beifall.)

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Füller. Ich bitte um den Bericht.

 


11.46.11

Berichterstatter Christian Füller: Frau Ministerin! Frau Präsidentin! Werte Kolle­ginnen und Kollegen! Ich bringe den Bericht des Justizausschusses über den Be­schluss des Nationalrates vom 30. März 2011 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Konsumentenschutzgesetz geändert wird.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor.


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Der Justizausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 12. April 2011 mit Stimmen­mehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Ich danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Brückl. – Ich bitte darum.

 


11.46.51

Bundesrat Hermann Brückl (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Auf der Tagesordnung steht die Änderung des Konsumentenschutzgesetzes, und ich halte Änderungen in diesem Bereich für notwendig und für richtig. Ich halte es für richtig, dass man Menschen davor schützen will, dass sie unerbetene, illegale Anrufe erhalten. Ich halte es für richtig, dass man diesem sogenannten Cold Calling Einhalt gebietet.

Ein erster Schritt wurde ja heute bereits im Zuge der Änderung des Telekom­munikationsgesetzes gesetzt, wo – wie Frau Ministerin Bures gesagt hat – ein Rahmen gegeben wurde, um auch das Konsumentenschutzgesetz entsprechend zu ändern: mit dem Verbot der Unterdrückung der Rufnummern, mit einem erleichterten Rücktritts­recht, auch mit der Erhöhung des Strafrahmens auf eine Größenordnung von 58 000 €. Das ist sicherlich ein guter Schritt. Persönlich halte ich es für zu gering. Man hätte den Strafrahmen durchaus höher ansetzen können, weil die Gewinnspannen offensichtlich gerade in diesem Bereich sehr, sehr hoch sind.

Ich berufe mich auf eine Pressemeldung des Landeskriminalamtes Niederösterreich von dieser Woche, vom 11. April 2011 – das war der Montag –, in der steht: Alleine in Niederösterreich ist seit 2010 in diesem Bereich ein Schaden in der Größenordnung von 5 Millionen € entstanden. Wenn man das hochrechnet – Professor Kathrein hat im Ausschuss gesagt, man kann das hochrechnen –, ergibt sich daraus ein Schaden auf Österreich bezogen in der Höhe von etwa 25 bis 30 Millionen €. Das ist aber der offizielle Schaden sozusagen, da gibt es mit Sicherheit noch eine Dunkelziffer, die hier nicht berücksichtigt ist. Dass man dagegen vorgeht, ist in Ordnung.

Ich darf aus dem Regierungsprogramm zitieren – und ich halte es für richtig, dass man das damals ausverhandelt hat –, wo es heißt: „Verträge, die im Rahmen unerbetener Werbeanrufe geschlossen werden, sollen entweder nichtig oder bis zur schriftlichen Bestätigung durch den Kunden schwebend unwirksam sein.“

Das war ein guter Vorschlag, das war ein guter Ansatz. Auch der Entwurf war ein guter Ansatz. Was aber nicht in Ordnung ist, ist die Endfassung, die jetzt zur Beschluss­fassung vorliegt, die Änderung nämlich dahin gehend, dass sich dieses Gesetz jetzt „nur mehr“ – zwischen Anführungszeichen – auf Wett- und Lotteriedienstleistungen bezieht beziehungsweise auf Anrufe, die im Zusammenhang mit Gewinnzusagen stehen. Damit deckt man zwar sicherlich – es wird so sein – 80 Prozent der Beschwer­den, die anfallen, ab. Da bleiben aber immer noch 20 Prozent übrig. Und diese 20 Pro­zent lässt man hier einfach außen vor.

Da frage ich schon: Warum ist es zu dieser Änderung gekommen? Wer hat Interesse an so einer Änderung? Scheinbar liegt hier ein typisch klassischer Fall von Lobbyismus vor – diesen Eindruck habe ich in dieser Sache. (Heiterkeit bei Bundesräten der ÖVP.)

Das wirklich Unergründliche kommt ja noch! Als Beispiel, weil Sie lachen, Herr Kollege Mayer: Ich erhalte einen Anruf, ich werde mit einer unterdrückten Rufnummer angerufen. Ich weiß, wir haben beschlossen, das darf man nicht, das ist verboten. Der Anrufer macht es aber. Ich führe ein Gespräch, der schwatzt mir etwas auf.


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Diesbezüglich kann ich durchaus aus dem Ausschuss-Bericht zitieren: in einer „geschaffenen Überrumpelungssituation“ sozusagen Verbrauchern etwas einzureden, bei der „den Verbrauchern überhaupt nicht bewusst ist, dass sie einen Vertrag abge­schlossen haben“.

Also, er ruft mich mit einer unterdrückten Nummer an, ich führe ein Gespräch, und der schwatzt mir etwas auf. Das kann eine Heizdecke oder ein 27-bändiges Lexikon sein, das kann ein Schreibtischsessel mit Massagefunktion sein, das kann alles sein. Aber es steht nicht im Zusammenhang mit einer Gewinnzusage. Das wäre dann möglich, dieser Vertrag wäre gültig.

Das halte ich für den falschen Weg, sehr geehrte Damen und Herren! Die ursprüng­liche Fassung, so wie sie vorgelegen ist, wäre durchaus eine gute gewesen, die auch von uns zu unterstützen gewesen wäre. Die Endfassung, die jetzt vorliegt, halte ich allerdings für nicht zu befürworten, und wir lehnen diese daher auch ab. (Beifall bei der FPÖ.)

11.51


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mayer. – Bitte.

 


11.51.37

Bundesrat Edgar Mayer (ÖVP, Vorarlberg): Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Brückl! Dieses Gesetz ist ein wichtiger Schritt, ein erster Schritt und beinhaltet wirklich viele, viele Maßnahmen, die längst überfällig sind! Wenn zumindest 80 Prozent dieser Materie deiner Meinung nach hervorragend sind, dann ist das eine qualifizierte Mehrheit. Schon deshalb würde ich diesem Gesetz zustimmen, denn auch deinen Wählerinnen und Wählern ist mit dem, was hier ge­schaffen wird, ganz sicher geholfen. (Bundesrat Brückl: ... 20 Prozent offen!) – Nein, Herr Kollege, das ist eine Verallgemeinerung, und die lasse ich nicht gelten! (Zwischenruf von Bundesrätin Mühlwerth.)

Ich denke, wir sind auf dem richtigen Weg, dass wir endlich einmal diese Telefon-Abzocke – wie es mit einem modernen Wort zu sagen ist – eindämmen, dass wir die richtigen Maßnahmen setzen und auch dieses sogenannte Cold Calling – wie wir heute schon gehört haben – eindämmen.

Es ist natürlich auch ein Schutz für unsere ältere Bevölkerung. Insbesondere auch bei der älteren Bevölkerung ist das Festnetz praktisch noch überall vorhanden. Da machen wir einen wichtigen Schritt – so denke ich –, dass wir besonders diese Altersgruppe entsprechend in Schutz nehmen.

Kollege Zangerl hat heute schon erwähnt, dass das mit dem Telekommunikations­gesetz und dem Konsumentenschutzgesetz fließend ist. Ich kann mir auch die von Ihnen bereits formulierten Bereiche dieses Gesetzes ersparen, das brauche ich nicht zu wiederholen. Ich möchte aber auf einen anderen Punkt kommen beziehungsweise mich mit einem anderen Punkt auseinandersetzen. Das ist momentan auch eine Materie oder ein Segment in diesem Telefonbereich, der wirklich heiß diskutiert wird und heute schon kurz angesprochen wurde.

Wir haben es in den letzten Wochen vermehrt mit diesen Kostenfallen im Bereich der Handy-Rechnungen zu tun. Insbesondere die Arbeiterkammer Vorarlberg hat sich damit auseinandergesetzt. Ich habe diesbezüglich auch zwei Anfragen an die Ministerin für Infrastruktur und Telekommunikation und an den Konsumentenschutz­minister gerichtet. Ich weiß schon, Frau Ministerin, das gehört nicht unmittelbar in Ihren Bereich, aber ich möchte es trotzdem erwähnen, weil es einfach auch wichtig ist. Es geht da um die Verantwortung dieser Handy-Anbieter, weil das Missbrauchsrisiko


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einfach abgewälzt wird. Das heißt, die Konsumenten sind sozusagen immer die Blöden, und die Handy-Betreiber, die Handy-Anbieter putzen sich sozusagen ab.

Von der Vorarlberger Arbeiterkammer gibt es Sachverhaltsdarstellungen, die bereits auch mit dem Landeskriminalamt zur Anzeige gebracht wurden. Gegen die A1 Tele­kom, gegen Telering, T-Mobile und auch gegen Orange sind bereits Sachverhalts­fest­stellungen gemacht worden, und auch das Landeskriminalamt Vorarlberg ermittelt wegen Sachwucher. Das muss man sich einmal vorstellen.

Es gibt x Beispiele, die man hier erwähnen könnte. Ich kann das auch gerne zur Verfügung stellen. Ich erspare Ihnen, dass ich das im Detail vorlese. Ich denke, was derzeit im Bereich dieser Handy-Rechnungen abgeht, ist einfach unglaublich. Da werden zum Beispiel Rufumleitungen gelegt, und dadurch entstehen Kosten von in etwa 15 000 €. Es werden 25 000 € für Datenverbindungen verlangt, bei denen niemand erklären kann, wie sie eigentlich zustande kommen. Selbst der zuständige Netzbetreiber – das muss man sich einmal vorstellen! – beruft sich entweder auf den Datenschutz oder er gibt in einer Anfragebeantwortung dann noch zu, lediglich Vermutungen anstellen zu können, wie es zu diesem Datenverbrauch gekommen ist. Das ist einfach unglaublich.

Gleichzeitig wird von den Mobilfunkern so gut wie jedes Missbrauchsrisiko – das habe ich schon erwähnt – auf die Kunden abgewälzt. Es ist auch für den Kunden und den Konsumenten nicht nachvollziehbar, was für Dienste eigentlich abgerufen und welche Internet-Pages angesurft wurden. Ganz abgesehen davon, dass die erbrachte Leistung in keinem logischen Verhältnis zu den verrechneten Kosten steht. Denn warum sollen für 7,58 Gigabyte 25 000 € bezahlt werden, wenn es daneben Flatrate-Pakete um 20 € gibt?! Das muss man sich einmal wirklich auf der Zunge zergehen lassen!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, diese Beispiele zeigen eindeutig, dass im Bereich des Konsumentenschutzgesetzes und des Telekommunikationsgesetzes höchster Handlungsbedarf besteht. Ich denke, dass wir hier auch unsere Verant­wortung als Parlamentarier gegenüber den Konsumenten wahrnehmen sollten. – Ich danke Ihnen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ und bei Bundesräten der FPÖ.)

11.56


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Kerschbaum. – Bitte.

 


11.56.32

Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum (Grüne, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich gebe dem Kollegen Mayer recht, es besteht großer Handlungsbedarf gerade im Bereich des Telekommu­nikations- und Konsumentenschutzgesetzes. Das Problem, das ich mit Ihrer Vorlage habe, ist Folgendes: Es ist meiner Meinung nach das falsche System, denn, so wie der Kollege es an und für sich, glaube ich, auch gemeint hat, dieser Vertrag darf im Prinzip erst gar nicht zustande kommen.

Auch wenn man dann sieben Tage Rücktrittsrecht hat, nachdem man die Rechnung bekommen hat, geht es doch darum: Ich persönlich habe auch immer wieder ein Problem, Abos et cetera zu kündigen, denn da muss man ein Brieferl schreiben und mit der Post wegschicken, und das möglichst noch eingeschrieben. Und bis man das einmal gemacht hat, hat man den Zeitpunkt schon versäumt. Dass das nicht so einfach ist und dass das ein doch nicht unerheblicher Aufwand für den Konsumenten und die Konsumentin ist, ist – so glaube ich – unbestritten.

Die viel einfachere Lösung wäre es, wenn man es so wie in Frankreich macht, dass man sagt, es braucht eine schriftliche Bestätigung, und dann ist der Vertrag erst gültig.


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Damit würde man all diese Dinge viel besser „abdrehen“ als mit dieser Rücktritts­rege­lung, wo es wahrscheinlich wieder viele nicht schaffen werden, das dann auch wirklich zu machen.

Dass der Strafrahmen erhöht wird, ist natürlich grundsätzlich zu begrüßen, keine Frage. Aber was Strafanzeigen betrifft: Aus meiner Erfahrung weiß ich genau, bei diesen Dingen gibt es kaum Strafanzeigen. Wenn es nicht um große Summen geht, dann bezahlt man einmal und denkt sich: Da habe ich mich selbst gestraft! Ich kann mir nicht vorstellen, dass es allzu oft passiert, dass man dann vielleicht noch zur Polizei geht und sagt: Das war unrechtmäßig, denn der hat mir am Telefon nicht gesagt, dass ich diese und diese Rechte habe!

Ich denke, das sind zwar nette Nebenregelungen, aber die wichtigste Regelung, nämlich dass dieser Vertrag nicht zustande gekommen wäre, fehlt leider. (Beifall bei den Grünen.)

11.58


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Duzdar. – Bitte.

 


11.58.43

Bundesrätin Mag. Muna Duzdar (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Wir haben heute im Zusammenhang mit Cold Calling schon sehr viel gehört. Ich möchte deshalb auch nichts wiederholen. (Präsident Kneifel übernimmt den Vorsitz.)

Es ist bereits eine Gesetzesänderung im Telekommunikationsgesetz beschlossen worden. Während es dort um ein Verbot der Unterdrückung und Verfälschung von Rufnummernanzeigen eben bei unerbetenen Werbeanrufen geht, ist es natürlich auch notwendig, im Konsumentenschutzbereich die Weichen zu stellen, denn es geht auch darum, die Verbraucher vertragsrechtlich zu schützen, vor allem im Zusammenhang mit übereilten Verträgen. Oft werden Verbraucher überrumpelt und schließen Verträge ab, die sie gar nicht so abgeschlossen hätten. Oft ist Verbraucherinnen und Ver­brauchern gar nicht bewusst, dass sie überhaupt Verträge abgeschlossen haben, bis sie spätestens mit dem Erhalt der Rechnung ein böses Erwachen erleben müssen.

Es wird ja dann im Nachhinein oft von Unternehmen behauptet, es wäre ein Vertrag zustande gekommen, obwohl das gar nicht der Fall ist.

Bisher hat es ja schon Regelungen gegeben, die allerdings bei diesem Sachverhalt zu kurz gegriffen haben. Es gibt ja jetzt schon im Konsumentenschutzbereich diese Fern­absatzbestimmungen, die bereits ein Rücktrittsrecht vorsahen. Allerdings bestand der Haken vor allem darin, dass dieses Rücktrittsrecht innerhalb von sieben Tagen aus­geübt werden musste, was oftmals zu kurz war. Dieses Rücktrittsrecht war vor allem bei bestimmten Verträgen, nämlich gerade bei Verträgen über Wett- und Lotterie­dienstleistungen, ausgeschlossen. Um diesem nicht zufriedenstellenden Umstand abzuhelfen, sieht eben die neue Gesetzesänderung für Verträge, die während eines unerwünschten Telefonanrufes ausgehandelt worden sind, ein neues Regime vor:

Zum einen sollen die Unternehmer verpflichtet werden – wir haben es heute schon gehört –, innerhalb einer Woche eine schriftliche Bestätigung an den Verbraucher zu übermitteln. Zum Zweiten wird nun erstmals dem Verbraucher ein besonderes Rück­trittsrecht zugewiesen, dass eben über die bestehenden Fernabsatzrücktrittsrecht­bestimmungen hinausreicht. Und zum Dritten ist es jetzt so, dass bestimmte Verträge absolut nichtig sind, nämlich gerade im Zusammenhang mit Gewinnzusagen und Wett- und Lotteriedienstleistungen. Das ist deshalb sehr wichtig – es ist heute auch gesagt


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worden –, weil gerade in diesem Bereich 80 Prozent der Beschwerdefälle vorgekom­men sind und ebendieser nicht von der EU-Fernabsatz-Richtlinie erfasst war.

In dieser Hinsicht stellt diese Gesetzesänderung jedenfalls einen wesentlichen politi­schen Fortschritt dar. Man wird aber natürlich auch in Zukunft dranbleiben müssen, um diese Sachverhalte immer wieder gesetzlich zu erfassen. Meine Fraktion wird jeden­falls diesem Gesetz zustimmen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

12.02


Präsident Gottfried Kneifel: Zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesministerin Mag. Claudia Bandion-Ortner. Ich erteile es ihr.

 


12.02.22

Bundesministerin für Justiz Mag. Claudia Bandion-Ortner: Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Selbst ich werde immer wieder zuhause angerufen mit unterdrückter Nummer, wo sich dann wer meldet und sagt: Sie haben gewonnen! Wenn Sie die Kochbuchreihe sowieso bestellen, bekommen Sie den Kochtopf, den Superkochtopf gratis dazu! – Eines von vielen Beispielen. Ich glaube, wir kennen das alle.

Ganz wichtig ist mir, dass solche Verträge, die mit Gewinnzusagen behaftet sind, und Verträge, mit denen die Spielsucht von Menschen ausgenutzt wird, absolut nichtig sind, denn das sind, wenn Sie so wollen, zivilrechtlich die schärfsten Sanktionen. Übrigens: Was die Geldstrafen betrifft, handelt es sich um Verwaltungsstrafen nach dem Telekommunikationsgesetz, und dafür ist Kollegin Bures zuständig.

Was ist jetzt mit den anderen Verträgen? Mir ist jetzt vor allem wichtig, dass der Kon­sument weiß: Mit wem hat er es zu tun? Was ist der Inhalt des Vertrages?, und dass dann verschiedene rechtliche Schritte eingeleitet werden können. Das wäre zum Beispiel die Inanspruchnahme des Rücktrittsrechts, von dem wir heute schon gesprochen haben. Das wäre aber zum Beispiel auch die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen den Unternehmer. Das wäre auch eine Anfechtung wegen List oder Irrtum. Das kann aber auch eine verwaltungsstrafrechtliche Anzeige nach sich ziehen oder eine strafrechtliche Anzeige etwa wegen Betrugs. Es gibt hier Sanktionen.

Aber vielleicht gehen wir in Zukunft noch ein Stück weiter, die Möglichkeit besteht. Es ist so, dass im Jänner die allgemeine Ausrichtung auf europäischer Ebene beschlos­sen wurde, was das neue Verbraucherschutzregime in Europa betrifft. Mir ist sehr wichtig, dass wir dann wirklich ein einheitliches Verbraucherschutzregime in Europa haben, denn die unlauteren Geschäftspraktiken, die machen, wie wir alle wissen, nicht an den Staatsgrenzen Halt. Es wäre natürlich auch nicht sehr sinnvoll, wenn wir nach ein paar Monaten wieder die gesetzlichen Bestimmungen ändern müssten. Also, wie gesagt, auf europäischer Ebene ist etwas im Laufen, und das ist wirklich sehr wesent­lich, denn wir brauchen hier eine einheitliche Regelung.

Zum Abschluss: Ich glaube, dass das jetzige Gesetz auf alle Fälle ein wesentlicher Fortschritt für die Konsumentinnen und Konsumenten ist, dass es einerseits nicht zu einer Entmündigung der Konsumenten führt, aber andererseits den Schutz massiv erhöht. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

12.05


Präsident Gottfried Kneifel: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist damit ge­schlossen.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 59

Wir kommen somit zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

12.05.434. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 30. März 2011 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über bestimmte Aspekte der grenzüberschreitenden Mediation in Zivil- und Handelssachen in der Europäischen Union erlassen sowie die Zivilprozessordnung, das IPR-Gesetz und das Suchtmittelgesetz geändert werden (1055 d.B. und 1125 d.B. sowie 8469/BR d.B.)

 


Präsident Gottfried Kneifel: Wir gelangen damit zum 4. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Füller. Ich bitte um den Bericht.

 


12.06.11

Berichterstatter Christian Füller: Bericht des Justizausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 30. März 2011 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über bestimmte Aspekte der grenzüberschreitenden Mediation in Zivil- und Handelssachen in der Europäischen Union erlassen sowie die Zivilprozess­ord­nung, das IPR-Gesetz und das Suchtmittelgesetz geändert werden.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor.

Der Justizausschuss hat den gegenständlichen Beschluss des Nationalrates in seiner Sitzung am 12. April 2011 in Verhandlung genommen.

Der Justizausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 12. April 2011 mit Stimmen­einhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Ich bitte, in die Diskussion eintreten zu lassen.

 


Präsident Gottfried Kneifel: Wortmeldungen dazu liegen nicht vor.

Wünscht jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist damit geschlossen.

Wir gelangen nun zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

12.07.335. Punkt

Jahresvorschau des BMJ auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitspro­gramms der Europäischen Kommission für 2011 sowie des Achtzehnmonats­programms des spanischen, belgischen und ungarischen Ratsvorsitzes (III-425-BR/2011 d.B. sowie 8470/BR d.B.)

 


Präsident Gottfried Kneifel: Wir gelangen nun zum 5. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter dazu ist Herr Bundesrat Füller. Ich bitte um den


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 60

Bericht.

 


12.07.58

Berichterstatter Christian Füller: Bericht des Justizausschusses über die Jahres­vorschau des BMJ auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Euro­päischen Kommission für 2011 sowie des Achtzehnmonatsprogramms des spanischen, belgischen und ungarischen Ratsvorsitzes.

Auch dieser Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor.

Der Justizausschuss hat den gegenständlichen Bericht in seiner Sitzung am 12. April 2011 in Verhandlung genommen.

Der Justizausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 12. April 2011 den Antrag, die Jahresvorschau des BMJ auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission für 2011 sowie des Achtzehnmonatsprogramms des spanischen, belgischen und ungarischen Ratsvorsitzes zur Kenntnis zu nehmen.

 


Präsident Gottfried Kneifel: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrätin Kemperle. Ich erteile es ihr.

 


12.08.54

Bundesrätin Monika Kemperle (SPÖ, Wien): Geschätztes Präsidium! Frau Bun­desministerin! Geschätzte Damen und Herren des Bundesrates! Die Vorschau lässt natürlich erwarten, dass eine Fülle von Rechtsakten vorbereitet wird, die die Sicherheit und das Recht der Bürger und Bürgerinnen in der EU stärken sollen. Im Strafrecht ist zum Beispiel geplant, dass Opfer von Straftaten in allen EU-Mitgliedstaaten die notwendige Unterstützung erfahren und bei Gefahr entsprechenden Schutz erhalten sollen.

Weiters sind diverse Richtlinien im Bereich Verfahrensrechte angekündigt, die bei Strafverfahren Mindestnormen für zum Beispiel Zuziehung eines Anwalts – Österreich hat diese Entschließung ja mitgetragen –, gemeinsame Beweiserhebungsnormen oder einheitliche Anerkennung und Vollstreckung von Geldstrafen, einschließlich für Verkehrsdelikte, vorsehen. Ebenso sollen Mindestvorschriften über die Tatbestands­merkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhan­dels überarbeitet werden.

Angekündigt ist auch ein Vorschlag für eine Überprüfung der Richtlinie über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden.

Im Bereich Zivilrecht sind Verordnungen betreffend Erb- und Testamentssachen sowie eheliche Güterstände vorgesehen. Diese werden von Österreich zur umfassenden Ver­einheitlichung des internationalen Privatrechts grundsätzlich begrüßt.

Die Vollstreckung von Urteilen bei Forderungen in einem anderen Mitgliedstaat soll durch eine Verordnung effizienter werden. Derzeit sind 60 Prozent der grenzüber­schreitenden Forderungen im Binnenmarkt nicht einbringlich.

Im Rahmen der Digitalen Agenda für Europa kündigt die EU-Kommission auch die Verbesserung der Verwaltung, Transparenz und europaweiten Lizenzierung für die Online-Rechteverwaltung an.

Die Verschärfung bei Kreditvergabe und Kreditaufnahme, über die heimische Medien bereits berichteten, soll bewirken, dass es bei Hypothekarkrediten weder zu einer Überschuldung, zu Kreditausfällen noch zu Zwangsvollstreckungen kommt. Österreich würde einen möglichst einheitlichen Rechtsbestand anstreben. Ein Vorschlag liegt jedoch noch nicht vor.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 61

Zur Verfahrensbeschleunigung soll die Anwendung von e-Justice massiv voran­getrieben werden, da diese derzeit im europäischen Raum nur sehr eingeschränkt Anwendung findet. Die Vernetzung von Strafregister, Insolvenzregister, Handels- und Unternehmensregister sowie Grundbuchregister soll grenzüberschreitende Verfahren inklusive Beweisaufnahme beschleunigen.

Österreich fordert in Zukunft eine verstärkte Einbindung der Mitgliedstaaten in alle europäischen IT-Vorhaben im Justizbereich, da sich der Start des e-Justice-Portals von Dezember 2009 auf Juli 2010 wegen Fehlleistungen verzögerte.

Alle hier kurz erwähnten Vorhaben bedürfen der diesbezüglichen Vorschläge und Richtlinien der EU-Kommission und werden dann bei deren Vorliegen entsprechend bewertet. Die Ergebnisse dazu bleiben selbstverständlich abzuwarten.

Wir werden den vorliegenden Bericht natürlich zur Kenntnis nehmen. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

12.12


Präsident Gottfried Kneifel: Zu Wort gemeldet hat sich Frau Dr. Kickert. Ich erteile es ihr.

 


12.12.52

Bundesrätin Dr. Jennifer Kickert (Grüne, Wien): Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Jahresvorschau des Justizministeriums zu den Legislativvorhaben der EU-Kommission bietet, wie Kollegin Kemperle gerade ausgeführt hat, einen sehr guten Überblick über diese Vorhaben und skizziert auch jeweils die österreichische Position dazu. Selbst wenn diese Skizze betreffend die österreichische Position ziemlich kursorisch erfolgt, also zumeist nur mit einem kurzen Satz zum Verhandlungsstand und zur österreichischen Haltung, so ist diese Vorschau trotzdem eine wertvolle Übersicht über die zukünftige Gesetzgebung.

Als Hinweis an Kollegen Krusche: Dieser Bericht hat sehr wohl ein Inhaltsverzeichnis und ist ausgesprochen übersichtlich aufgebaut. (Beifall des Bundesrates Mayer.)

Allerdings hat der Bericht zumindest in einem Beispiel nur sehr beschränkte Aus­sagekraft, vor allem deshalb, weil die Information, kaum dass wir sie in der Hand haben, ganz offensichtlich wieder veraltet ist. Dieses eine Beispiel ist dieses Umset­zungsvorhaben zur Richtlinie der Rechte der Verbraucher und Verbraucherinnen, wie wir ja gerade im vorhergehenden TOP 3 besprochen haben.

Da steht zur österreichischen Haltung unter anderem – Stand Februar –:

„Den reduzierten Vorschlag“ – Anmerkung: Die weiter oben erwähnten, besonders umstrittenen Kapitel sind gestrichen – „konnte Österreich schließlich vorerst mittragen und einer in diesem Sinn angestrebten allgemeinen Ausrichtung zustimmen. (...) Sollte diesen Bedenken nicht nachgekommen werden, wird eine Neubewertung durchzu­führen sein.“

Diese Neubewertung ist dann offensichtlich flugs passiert, denn gleich am 17. März, im Bericht des Ausschusses für Konsumentenschutz, wird darauf hingewiesen, dass auf europäischer Ebene die Verhandlungen über den Vorschlag für diese Richtlinie nach der Verabschiedung der Regierungsvorlage im November letzten Jahres „erheb­lich an Fahrt gewonnen“ haben und dass schließlich „in wenigen Tagen (...) auch das Europäische Parlament seine definitive Haltung zu diesem Regelungsprojekt festlegen“ wird.

Das heißt, ich halte hier einen Bericht in der Hand, in dem die österreichische Haltung und der Stand der Dinge nicht mehr aktuell sind. Dieses Beispiel zeigt – mög­


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 62

licherweise ist es ein drastisches Einzelbeispiel – neben der Kurzlebigkeit des Berichts jedenfalls, dass die in der Jahresvorschau dargestellte österreichische Haltung nicht zwingend mit jener der Regierungsparteien übereinstimmen muss, was den Wert der Vorschau als Arbeitsgrundlage leider doch ein wenig mindert.

Nichtsdestotrotz werden wir Grüne diesen Bericht zustimmend zur Kenntnis nehmen – no na net, nachdem wir ihn so ausführlich durchgearbeitet haben. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

12.16


Präsident Gottfried Kneifel: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesministerin Mag. Bandion-Ortner. Ich erteile es ihr.

 


12.16.12

Bundesministerin für Justiz Mag. Claudia Bandion-Ortner: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Bundesräte! Ganz kurz – ich habe mir gedacht, ich muss mich noch einmal zu Wort melden, denn ich habe wirklich ein großes Anliegen, was die im Bericht auch erwähnte Richtlinie zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern betrifft.

Da hat es nämlich ganz aktuell vorgestern in Luxemburg wieder eine Diskussion gegeben, einen kleinen Disput, den ich mit dem deutschen Kollegen hatte, denn meines Erachtens wäre es wirklich sehr, sehr wichtig, dass man Internetseiten mit kinderpornographischen Darstellungen nicht nur löschen, sondern auch sperren kann. Löschen kann man nämlich Internetseiten nur dann, wenn der Provider mitspielt, kooperativ ist und wenn man den Provider überhaupt fassen kann. Wenn der auf irgendeiner karibischen Insel sitzt, wird es sehr, sehr schwierig. Da muss man sperren können!

Es ist jetzt so, dass vor allem Deutschland gegen dieses Sperren ist, aber es haben sich jetzt auch ein paar andere Länder dagegen ausgesprochen. Ich hoffe sehr, dass da nicht die Internetlobby ihre Rolle spielt.

Es wird immer wieder mit dem Beginn einer Zensur im Internet dagegen argumen­tiert. – Sehr geehrte Damen und Herren! Auch das Internet ist kein rechtsfreier Raum, und das Wort „Zensur“ in einem Satz mit Kinderpornographie zu verwenden, das ist wirklich vollkommen verfehlt.

Deswegen ersuche ich Sie um Unterstützung im Kampf um eine einheitliche Regelung in Europa, denn es hat keinen Sinn, wenn in einem Land ein Sperren möglich ist und im anderen nicht. Das bringt dann überhaupt nichts. Deswegen brauchen wir einheitliche Regelungen, und dafür kämpfe ich. – Danke. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

12.18


Präsident Gottfried Kneifel: Weitere Wortmeldungen hiezu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist damit geschlossen.

Wir kommen nun zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 63

12.18.386. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 30. März 2011 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Abschlussprüfungs-Qualitätssicherungsgesetz geändert wird (1029 d.B. und 1126 d.B. sowie 8471/BR d.B.)

 


Präsident Gottfried Kneifel: Nunmehr gelangen wir zu Punkt 6 der Tagesordnung.

Berichterstatterin dazu ist Frau Bundesrätin Dr. Winzig. Ich bitte um den Bericht.

 


12.18.59

Berichterstatterin Dr. Angelika Winzig: Bericht des Wirtschaftsausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 30. März 2011 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Abschlussprüfungs-Qualitätssicherungsgesetz geändert wird.

Der Bericht liegt Ihnen schriftlich vor.

Ich komme zur Antragstellung:

Der Wirtschaftsausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 12. April 2011 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Präsident Gottfried Kneifel: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. Pisec. – Ich erteile es ihm.

 


12.20.05

Bundesrat Mag. Reinhard Pisec (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Sehr geehrte Damen und Herren! In Österreich gibt es an der Akademie der Wirtschaftstreuhänder eine ausgezeichnete Ausbildung für Steuer­berater und Wirtschaftsprüfer. In diesem Sinne haben alle Wirtschaftsprüfer die gleiche Ausbildung. Aufgrund des nun zur Beschlussfassung vorliegenden Qualitäts­sicherungsgesetzes kann jedoch ein Wirtschaftsprüfer jetzt nicht mehr prüfen, weil er sich eben diesem Qualitätssicherungsgesetz unterziehen muss. Interessant ist, dass sich nach diesem Qualitätssicherungsgesetz die werdenden Wirtschaftsprüfer mit dem Qualitätssicherungsbescheid nun gegenseitig prüfen können. Für mich ist das irgendwie eine Art des In-sich-Geschäftes, wenn man sich wechselseitig prüft.

Dieses Qualitätssicherungsgesetz schafft zwei Arten von Wirtschaftsprüfern: die einen, die die Qualitätssicherungsprüfung nicht beantragen – und das sind drei Viertel aller österreichischen Wirtschaftsprüfer – und ihrem Beruf trotz voller Ausbildung und trotz Prüfung bei der Kammer der Wirtschaftstreuhänder nicht mehr nachgehen können, und die anderen, die jetzt Bessergestellten, nämlich jene, die die Prozedur der Qualitäts­prüfung über sich ergehen lassen und einen Bescheid erhalten.

Aus diesen Gründen lehnen wir Freiheitliche dieses Qualitätssicherungsgesetz ab, weil es eigentlich nur um einen Persilschein geht. Wir bevorzugen das althergebrachte österreichische Modell mit Prüfung für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer bei der Kammer der Wirtschaftstreuhänder. Durch das Prüfen großer Wirtschaftskanzleien untereinander wird der Wettbewerb reduziert und auf die Großen verlagert – und die Kleinen kommen zum Handkuss.

Abschließend noch eine interessante Sache: Was die Qualität von Wirtschaftsprüfern definitiv beeinträchtigt, ist, dass man seit einigen Jahren Wirtschaftsprüfer sein kann, ohne Steuerberater zu sein. – Danke. (Beifall bei der FPÖ sowie des Bundesrates Zangerl.)

12.21



BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 64

Präsident Gottfried Kneifel: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dr. Kickert. Ich erteile es ihr.

 


12.22.01

Bundesrätin Dr. Jennifer Kickert (Grüne, Wien): Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Wertes Präsidium! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Diese neue Gesetzesvorlage bringt im Großen und Ganzen formale, aber keine wesentlichen inhaltlichen Änderun­gen mit sich. Daher werden wir dieser Gesetzesänderung zustimmen. Trotzdem möchte ich den Anlass nutzen, um auf einige aus meiner Sicht kritische Punkte hinzuweisen.

Dieses Abschlussprüfungs-Qualitätssicherungsgesetz – ein Zungenbrecher – ist auch in seiner jetzt geänderten Form nur die kleinstmögliche Umsetzung der Abschluss­prüferrichtlinie der EU. Eine ernsthafte Reform der Qualitätsprüfung von Abschluss­prüfungen ist weiterhin ausständig. Das, obwohl wir wissen, dass gerade auch mangelnde öffentliche Aufsicht und mangelhafte Abschlussprüfungen ihren Beitrag zu diversen krisenhaften Situationen in Banken und anderen Institutionen auch in Öster­reich geleistet haben.

Mein zweiter Kritikpunkt bezieht sich darauf – das hat Kollege Pisec schon erwähnt –, dass die Abschlussprüfer ihre Qualitätsprüfer und -prüferinnen nach wie vor mehr oder weniger selbst aussuchen dürfen. Diese Gesetzesstelle wird von uns Grünen seit ihrem Inkrafttreten 2005 kritisiert. Es wäre uns ein großes Anliegen, dass dieses – ich versuche es noch einmal korrekt – Abschlussprüfungs-Qualitätssicherungsgesetz nicht nur saniert wird, sondern dass eine ernsthafte Reform der Qualitätsprüfung vor allem auch in Hinsicht auf die öffentliche Aufsicht angegangen wird und nicht lediglich eine Sanierung. – Danke. (Beifall bei den Grünen sowie des Bundesrates Zangerl.)

12.24


Präsident Gottfried Kneifel: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist damit geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit, der Antrag ist somit angenommen.

12.24.387. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 30. März 2011 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Außenhandelsgesetz 2011 – AußHG 2011 erlassen wird (1073 d.B. und 1127 d.B. sowie 8472/BR d.B.)

 


Präsident Gottfried Kneifel: Wir gelangen somit zum 7. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter dazu ist Herr Bundesrat Perhab. Ich bitte um den Bericht.

 


12.25.00

Berichterstatter Franz Perhab: Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Staatssekretärin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bringe den Bericht des Wirtschaftsaus­schusses über den Beschluss des Nationalrates vom 30. März 2011 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Außenhandelsgesetz 2011 – AußHG 2011 erlassen wird.

Der Bericht liegt Ihnen schriftlich vor. Ich komme daher zur Antragstellung.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 65

Der Wirtschaftsausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 12. April 2011 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des National­rates keinen Einspruch zu erheben.

 


Präsident Gottfried Kneifel: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein. Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dönmez. Ich erteile es ihm.

 


12.25.43

Bundesrat Efgani Dönmez, PMM (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir Grüne haben mit unserem Entschließungsantrag eine Verschärfung der bisher noch löchrigen Waffenhandelskontrolle gefordert. Schließlich wollen wir nicht, dass irgendwo auf der Welt Menschen getötet werden und wir letztendlich die Nutznießer sind, indem wir Waffen dazu zur Verfügung stellen.

Es geht um Pistolen, kleinkalibrige Waffen sowie um Ausrüstungsgegenstände, aber auch um Aufklärungsmaterial, das sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden kann. Über den Export dieser Güter entscheidet das Wirtschaftsministerium auf Basis des Außenhandelsgesetzes. Zum Teil ist der Ministerialentwurf unseren Forderungen nachgekommen, aber leider nur zum Teil, und in diesem Fall ist uns das einfach zu wenig. Obwohl Sanktionen teilweise angehoben wurden und auch eine strengere Endverbraucherkontrolle eingeführt wird, sind die Zielrichtung und der Geist unserer Ideen zu sehr verwaschen worden. Deshalb werden wir diesem Antrag heute nicht unsere Zustimmung erteilen.

Ein Teil der Kritik richtet sich gegen die Sanktionen, die ich soeben erwähnt habe. Die Formulierungen sind uns nicht eindeutig genug. Wir brauchen handfeste, konkrete und konsequente Regelungen. Offenbar haben beim Entstehungsprozess dieser gesetzlichen Materie noch einzelne Interessengruppen ein Wörtchen mitreden dürfen.

Konkret handelt es sich um zwei menschenrechtlich relevante Bestimmungen: In der bestehenden Fassung dürfen Güter dann nicht ausgeführt werden, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass die Geräte zur internen Repression eingesetzt werden. In der neuen Fassung heißt es nun, die Güter dürfen nur dann nicht ausgeführt werden, wenn ein eindeutiges Risiko besteht, dass sie zur Repression beziehungsweise zu Men­schenrechtsverletzungen eingesetzt werden. In der Praxis ist ein eindeutiges Risiko kaum beweisbar, und somit kommt diese Version einem Freibrief gleich. Die Waffen­lobbyisten haben sehr gute Arbeit geleistet. Ich wünschte, Menschenrechtslobbyisten hätten die gleichen Möglichkeiten und würden von den Regierungsmitgliedern ebenso gehört werden. (Beifall bei den Grünen.)

Das neue Wording entspricht natürlich der EU-Vorschrift, realpolitisch aber ist diese Vorlage ein Rückschritt für die österreichische Gesetzgebung. Sie ist eine Verwäs­serung der Ausfuhrbestimmungen für Waffenlieferungen. Die EU gibt Minimalstandards vor – aber niemand zwingt uns, strengere Vorschriften auf niedrigere Standards abzusenken.

Der zweite Kritikpunkt richtet sich gegen die auffallend vielen Streichungen im Vergleich mit dem ersten Gesetzentwurf. Sanktionsunter- und -obergrenzen, Genehmi­gungspflicht für Lizenzproduktionen in Drittstaaten, Aufbewahrungspflicht und vieles andere – all diese Streichungen sind nicht nachvollziehbar und sachlich nicht begründ­bar. Wir befürchten, dass massive Einflussnahme beziehungsweise massives Lob­bying seitens der Waffenhändler erfolgt ist.

Mir geht es dabei auch um das Prinzip: Wenn ich mich zwischen Menschenrechten und wirtschaftlichen Einzelinteressen entscheiden muss, dann entscheide ich mich


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 66

natürlich für die Menschenrechte. (Beifall bei den Grünen.) Wenn wir eine friedlichere Welt wollen, dann dürfen wir das Außenhandelsgesetz nicht einfach so verwässern, wie es den Waffenschiebern gerade passt. Deshalb werden wir diesem Gesetzes­antrag nicht unsere Zustimmung erteilen. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

12.29


Präsident Gottfried Kneifel: Zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrätin Zwazl. – Ich erteile es ihr.

 


12.29.44

Bundesrätin Sonja Zwazl (ÖVP, Niederösterreich): Herr Präsident! Frau Staats­sekretärin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Diesem uns vorliegenden neuen Außen­handelsgesetz 2011 ist eine achtmonatige Verhandlungs- und Vorbereitungszeit vorausgegangen. Es hat in den letzten Wochen vor der Beschlussfassung einige sehr unseriöse, weil vor allem inhaltlich unrichtige Medienkampagnen von Vereinigungen gegen dieses vorliegende Außenhandelsgesetz gegeben. Erfreulicherweise hat sich unsere Regierung von diesen unsachgemäßen Meinungsäußerungen nicht beirren lassen, und so wurde das letzte Verhandlungsergebnis als Regierungsvorlage fixiert.

Es wäre bei der Novellierung des Außenhandelsgesetzes in erster Linie um die Umsetzung von EU-Vorgaben gegangen, konkret um die Regelung der innergemein­schaftlichen Verbringung von Militärgütern und um entsprechende Bewilligungskrite­rien. Man hat sich allerdings zu einer gänzlichen Neufassung des Außenhandels­ge­setzes entschlossen, was auch neue nationale Bestimmungen mit sich gebracht hat.

Die ursprünglich vorgesehene grundsätzliche Genehmigungspflicht von Lizenzpro­duk­tionen in Drittstaaten sowie die beschränkte Weitergabe von Immaterialgüterrechten wären absurd und verwaltungstechnisch ganz einfach nicht umsetzbar gewesen. Es liegt weder in unserem Interesse noch im Interesse der einzelnen Unternehmen, dass Produkte im Endbestimmungsland bewaffnete Konflikte auslösen oder diese auch nur verlängern würden.

Es war uns wichtig, dass die europäischen Bestimmungen umgesetzt werden. Das heißt, dass die Genehmigung der Ausfuhr zu verweigern ist, wenn ein klares bezie­hungsweise eindeutiges Risiko besteht, dass der Empfänger die Güter zum Zwecke der Aggression gegen ein anderes Land benützt. Konkret wurde in diesem Zusammenhang in § 6 auch die Achtung der Menschenrechte aufgenommen. Darüber hinaus enthält § 13 eine gesetzlich verankerte Verpflichtung zur Kontrolle der Endverwendung, was allerdings bereits der derzeitigen Bewilligungspraxis entspricht. Manche wollen einen im Vergleich zur EU-Norm noch strengeren Maßstab. Das wäre wieder einmal ein klassischer Fall von „Golden Plating“ und würde die heimischen Unternehmen im Wettbewerb ganz schön benachteiligen.

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Manche haben sich auch eine strengere Beurteilung für Produkte gewünscht, die einerseits einen zivilen Nutzen haben, andererseits theoretisch auch einen militärischen Nutzen haben könnten, sprich für die Dual-Use-Güter. Dazu kann man sagen: Schön und gut, solange wir im europaweiten Konzert mitspielen! Eine rein nationale strengere Handhabung bringt Wettbewerbs­nachteile, die wir uns ganz einfach nicht leisten können.

Das gilt auch für Bereiche, an die man im ersten Moment gar nicht denkt. Ich kenne ein niederösterreichisches Unternehmen, ein traditionelles Familienunternehmen, das sich auf die Erzeugung von Metallpigmenten spezialisiert hat. Diese Metallpigmente werden für die Lackindustrie, aber auch für die Porenbetonindustrie verwendet, und man könnte sie – theoretisch – auch für militärische Zwecke verwenden. Als die ersten Vorschläge zur Abänderung des Außenhandelsgesetzes vorlagen, sind die Geschäfts­


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 67

führer dieser Firma zu uns gekommen und haben gemeint, in dieser geplanten Fassung würde das Außenhandelsgesetz für ihren Betrieb einem gänzlichen Export­verbot gleichkommen. Man muss sich das vorstellen: Dieses Unternehmen hat einen 90-prozentigen Exportanteil und mehr als 170 Mitarbeiter. Daher muss man sich das genauer ansehen, im Detail – das muss man ganz einfach tun, dieses Unternehmen ist kein Einzelfall –, denn der Umstand, dass Produkte nicht nur einen zivilen, sondern theoretisch auch einen militärischen Nutzen haben können, kann sehr schnell eintreten; das kann man auch nicht so einfach ausschließen.

Wir sind als relativ kleines Land auf unser Wirtschaftswachstum angewiesen, und vor allem der Export ist unser Wirtschaftswachstumsmotor. Dank der Leistungen unserer heimischen Unternehmen und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist die heimische Exportquote von 24 Prozent im Jahr 1995 auf 42 Prozent im Jahr 2007 angewachsen. Dank dieser Leistungen haben wir auch eine recht gut ausgewogene Handelsbilanz. Durch das Einsetzen der internationalen Finanzkrise ist es, wie wir wissen, zu einem Einbruch der Exporte gekommen. Im Jahr 2009 waren es um 8 Prozent weniger als im Jahr 2007, und wir alle wissen auch, welche Auswirkungen das auf unsere heimische Konjunktur, auf unsere Wirtschaft gehabt hat. Die Unternehmen dürfen sich daher mit Recht erwarten, dass wir sie in ihren Exportvorhaben unterstützen und nicht behindern.

Selbstverständlich – da brauchen wir gar nicht drum herumzureden –, ist das Thema Sicherheit uns allen wichtig; es geht uns alle an und wir gehen mit diesem Thema auch sehr sorgsam um. Wir haben größtes Interesse daran und werden alles dafür unter­nehmen, dass unsere Produkte nicht für Kriegs- oder Terrorzwecke eingesetzt werden können beziehungsweise eingesetzt werden. Ich bin auch überzeugt, dass dieses Außenhandelsgesetz 2011 eine Grundlage für diesen Grundsatz bietet, ohne die Unternehmen in ihrem Handeln unnötig einzuschränken. Von einem Freibrief für die Waffenlobby kann man in diesem Zusammenhang wirklich nicht sprechen. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP.)

12.36


Präsident Gottfried Kneifel: Zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrätin Mag. Duzdar. Ich erteile es ihr.

 


12.36.25

Bundesrätin Mag. Muna Duzdar (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir beschließen heute das Außenhandelsgesetz 2011. Wie Frau Kollegin Zwazl schon gesagt hat, handelt es sich dabei nicht um eine Novelle des Außenhandelsgesetzes 2005, sondern um eine Neufassung in Anlehnung an europarechtliche Bestimmungen. Dieses Gesetz hat sowohl wirtschaftspolitische als auch außenpolitische Auswirkungen, und das ist sehr bedeutend, denn das Außenhandelsgesetz stellt in Österreich neben dem Kriegs­materialgesetz die Rechtsgrundlage schlechthin für Waffenexporte dar. Während die Europäische Richtlinie betreffend die Verbringung von Verteidigungsgütern innerhalb der Europäischen Union den EU-Mitgliedstaaten vorschreibt, bis spätestens 30. Juni 2011 nationale Rechtsvorschriften zu erlassen, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie nachzukommen, präzisiert der gemeinsame Standpunkt des Rates die Genehmigungskriterien.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin der Meinung, dass dieses Außenhandels­gesetz angesichts aktueller Veränderungen in bestimmten Regionen dieser Welt einen sehr guten Anlass dazu bietet, die bisherige Politik im Umgang mit Waffenexporten zu evaluieren, aber auch zu hinterfragen. Es ist unsere Aufgabe als Europäer und Europäerinnen, als Demokraten und Demokratinnen, die wir die Möglichkeit haben und gehabt haben, in demokratischen Gesellschaften aufzuwachsen, demokratische


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 68

Entwicklungen in der Welt zu fördern und zu unterstützen. Demokratie ist kein europäisches Phänomen, es ist vielmehr ein Grundrecht, auf das alle Völker ein Anrecht haben.

Die Revolutionen und Revolten in der arabischen Welt, durch die innerhalb von wenigen Tagen und Wochen Diktatoren, die sich jahrzehntelang an der Macht gehalten haben, weggefegt wurden – wenn man das so sagen kann –, haben aber gerade im Zusammenhang mit Waffenexporten doch ein Bild von Europa zum Vorschein gebracht, das manchmal, so würde ich meinen, der Glaubwürdigkeit des Westens und ganz allgemein auch Europas etwas geschadet hat. Wenn heute Krieg in Libyen geführt wird und nun die politisch Verantwortlichen erkennen, dass man es mit einem Despoten und Tyrannen zu tun hat, der zu allem bereit ist und zu allem in der Lage ist, dann muss man auch sagen, dass er nicht erst seit gestern ein Despot ist, sondern dass er das schon seit Jahrzehnten ist. Seit Libyen im Jahr 2003 von der Liste der terroristischen Staaten gestrichen wurde, ist unter den europäischen Staaten beinahe ein Rüstungswettbewerb um die Gunst des libyschen Diktators ausgebrochen. Man schätzt, dass Libyen im Zeitraum von 2003 bis 2010 für Waffen und Rüstung 6 bis 8 Milliarden Dollar ausgegeben hat, und das nicht nur an amerikanische Rüstungs­konzerne, sondern auch an europäische, und damit ist nicht nur der französisch-deutsche Rüstungskonzern EADS gemeint.

Im Jahr 2009 hat Deutschland zum Beispiel allein mit Libyen Waffengeschäfte im Wert von zirka 80 Millionen € getätigt. Und das, obwohl es bisher in der deutschen Rüstungsindustrie Richtlinien gab, und das, obwohl es in der Europäischen Union einen Verhaltenskodex für Waffenausfuhren gab, der allerdings nicht verbindlich war.

Daher ist der gemeinsame Standpunkt des Rates vom 8. Dezember 2008, der den Europäischen Verhaltenskodex ersetzt, ein politischer Fortschritt, denn er stellt ein rechtlich verbindliches Kontrollinstrument für Waffenausfuhren dar.

Ich habe das Beispiel Libyen deshalb gebracht, weil ich finde, dass es sehr gut aufzeigt, dass trotz Bestimmungen, die europäische Länder dazu anhalten und seit 2008 verpflichten, keine Exporte von Waffen in Drittstaaten zu tätigen, die zur Verlet­zung von Menschenrechten, humanitärem und internationalem Völkerrecht, zur inter­nen Repression eingesetzt werden, nach wie vor mit derartigen Staaten Geschäfte in Milliardenhöhe gemacht werden, Exporte dorthin stattfinden.

Durch die Ereignisse im arabischen Raum – es gibt kaum Staaten, die nicht von diesen Protesten und Unruhen erfasst wurden – ist sehr stark hervorgetreten – gerade auch deswegen, weil wir da eine sehr starke mediale Berichterstattung haben –, in welcher Art und Weise in diesem Raum Despoten und Autokraten, die bisher als mit dem Westen befreundet und westlich orientiert galten – ich nenne hier nur Tunesien und Ägypten –, ihre Völker unterdrückt und der fundamentalen Grundrechte beraubt haben.

Die internationale mediale Berichterstattung, mit der diesen Ländern nun viel Aufmerksamkeit gewidmet wird, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass seit Jahren Berichte, nämlich nicht nur Berichte von Menschenrechtsorganisationen, sondern auch Berichte von Botschaftern, auch außenpolitische Berichte, zur Genüge darlegen, dass dort demokratische Rechte nicht gewährleistet wurden, dass dort staatliche Repression gegen Bürger eingesetzt wurde.

Ein deutscher Uni-Professor aus Kassel hat einmal geschrieben, dass es in Sachen Menschenrechte genügt, nur die Länderberichte des US-Außenministeriums abzu­rufen, die detaillierter sind als jeder Bericht von Amnesty International, die die bestialischen Foltermethoden in den Ländern des arabischen Raums beschreiben. Der Vorwand und die Ausrede, man hätte davon keine Kenntnis gehabt, gelten daher nicht. Vieles ist seit Jahrzehnten bekannt!


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 69

Der Umstand, dass nach wie vor Waffen in Staaten ausgeführt werden, die eben zur Verletzung von Menschenrechten eingesetzt werden, muss uns zu denken geben. Das ist auch ein Auftrag an uns, in diesem Bereich mehr Sensibilität zu entwickeln.

Die Lehre, die wir daraus ziehen müssen, ist, dass Kontrollmechanismen für die Ausfuhr von Waffen – das ist meine Auffassung – nicht streng genug sein können. Es hat sich nämlich in der Vergangenheit gezeigt, dass viele Güter – das ist heute auch schon erwähnt worden – auch viele Fragen aufwerfen, nämlich über den Verwen­dungs­zweck, und zwar dann, wenn sie einen doppelten Verwendungszweck haben, da sie ja sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können, Helikopter zum Beispiel. Da gibt es Grenzfälle, die aufzeigen, dass unser bisheriges Kontrollsystem auch Lücken aufweist, und es gilt, Gesetzeslücken zu schließen und höchste Kontroll­maßstäbe zu garantieren.

Dieses Gesetz weist zweifelsfrei auch Fortschritte auf. Besonders hervorzuheben ist und hervorgehoben wurde ja bereits der § 6 bezüglich der Achtung der Men­schenrechte, dass in Hinkunft bei der Beurteilung der Menschenrechtslage als Quellen nicht nur Berichte internationaler Organisationen, sondern auch jene zivilgesellschaft­licher Menschenrechtsorganisationen, die einen Konsultativ- und Beobachterstatus bei der UNO oder dem Europarat innehaben, zu berücksichtigen sind.

Dieses Gesetz erfolgt zweifellos in Umsetzung europäischer Bestimmungen. Die oft angeführte Europäische Richtlinie betreffend Verbringung von Verteidigungsgütern innerhalb der Europäischen Union legt allerdings meinem Verständnis nach den Schwerpunkt auf Waffenausfuhr innerhalb der Europäischen Union.

Viel wesentlicher erscheint mir daher in diesem Zusammenhang der gemeinsame Standpunkt des Rates. Und Artikel 3 sagt ganz klar, dass das Recht der Mitglied­staaten, eine restriktivere Politik zu verfolgen, unberührt bleibt. Das heißt, es hindert uns niemand daran, in Zukunft restriktivere Gesetze zu schaffen, als sie der euro­päische Gesetzesrahmen vorgibt. Gerade Österreich als neutrales Land kann diesbezüglich als Musterbeispiel vorangehen und hier Regulierungsmaßstäbe, die höchsten Kontrollmaßstäben Genüge tun, schaffen. Wir können vorzeigen und Signale setzen im Hinblick auf eine äußerst restriktive Handhabung, wenn es um Waffen­exporte, um Waffenexportkontrollen im Zusammenhang mit Drittstaaten geht, die eben Menschenrechte nicht garantieren. Die Europäische Union gibt uns richtungsweisend Richtschnüre vor; nichts hindert uns daran, es in Zukunft besser zu machen.

In diesem Sinne wird meine Fraktion diesem Gesetz zustimmen, aber Handel mit Waffen an Drittstaaten wird uns angesichts der aktuellen Situation auch in Zukunft beschäftigen. Und es ist auch ein klarer Auftrag an uns, dass wir als neutrales Land auch auf Ebene der Europäischen Union in Zukunft die Entwicklung strenger Kontrollkriterien forcieren müssen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

12.45


Präsident Gottfried Kneifel: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen nun zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 70

12.46.208. Punkt

Bericht des Bundesministers für Wirtschaft, Familie und Jugend zu den Vorhaben der Europäischen Union 2011 (III-429-BR/2011 d.B. sowie 8473/BR d.B.)

 


Präsident Gottfried Kneifel: Wir gelangen nun zum 8. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin dazu ist Frau Bundesrätin Junker. – Ich bitte um den Bericht.

 


12.46.37

Berichterstatterin Anneliese Junker: Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Frau Staatssekretärin! Meine Damen und Herren! Ich bringe den Bericht des Wirtschafts­ausschusses über den Bericht des Bundesministers für Wirtschaft, Familie und Jugend zu den Vorhaben der Europäischen Union 2011.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor; ich komme daher zur Antragstellung.

Der Wirtschaftsausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 12. April 2011 den Antrag, den Bericht des Bundesministers für Wirtschaft, Familie und Jugend zu den Vorhaben der Europäischen Union 2011 zur Kenntnis zu nehmen.

 


Präsident Gottfried Kneifel: Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Staatssekretärin Mag. Remler. Ich erteile ihr das Wort.

 


12.47.29

Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend Mag. Verena Remler: Herr Präsident! Werte Bundesrätinnen und Bundesräte! Der Bericht ist aufgrund des Artikels 23f Abs. 2 B-VG und des Beschlusses des Ministerrates vom 17. November 2004 jährlich zu Jahresbeginn dem Parlament vorzulegen. Die Grundlagen für diesen Bericht sind das Achtzehnmonatsprogramm der drei EU-Rats­prä­sidentschaften Spanien, Belgien und Ungarn, das Arbeitsprogramm der ungari­schen Präsidentschaft und das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission für das Jahr 2011.

Um den Bericht übersichtlicher zu gestalten, hat das Wirtschaftsministerium seinen Bericht auf die Schwerpunkte und die großen Vorhaben angelegt. Hauptanknüpfungs­punkt war dabei das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission mit den Schwerpunkten Wachstum, Binnenmarkt und Außenwirtschaft.

Zum Schwerpunkt Wachstum ist zu sagen, dass es deutliche Anzeichen der wirtschaftlichen Erholung in Österreich nach der Wirtschafts- und Finanzkrise gibt. Das Wachstum der österreichischen Wirtschaft lag im Durchschnitt 2005 bis 2010 mit 1,5 Prozent über dem der EU-27, das sind 0,8 Prozent. Auch das Krisenjahr 2009 hat Österreich relativ gut bewältigt, mit minus 3,9 Prozent fiel der Rückgang geringer aus als im EU-Durchschnitt. Nach der jüngsten WIFO-Prognose dürfte Österreich 2011 und 2012 mit 2,5 Prozent beziehungsweise 2,0 Prozent rascher wachsen als die EU.

Zur EU-2020-Strategie als Nachfolgestrategie der Lissabon-Strategie ist zu sagen, dass sie das Gerüst der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten für ein intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum ist. Ziel ist es, die Krise nach­haltig zu bewältigen und Arbeitsplätze zu schaffen.

Die 2020-Strategie enthält fünf Kernziele, diese betreffen die Bereiche Beschäftigung, F&E, Energie/Klimaschutz, Bildung und Reduzierung der Armut.

Nationale Reformprogramme sind von allen Mitgliedstaaten bis Ende April der Euro­päischen Kommission zu übermitteln. Das Wirtschaftsministerium hat im Zuge der Erstellung Beiträge zur Erreichung der Ziele an das federführend koordinierende Bundeskanzleramt übermittelt. Derzeit laufen gerade die Abstimmungen innerhalb der Ministerien.


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Kurz zu Energie und Klimaschutz: Im Rahmen der Umsetzung der EU-2020-Strategie hat der Bereich Energie und Klima natürlich große Bedeutung. Initiativen auf euro­päischer Ebene sollen vor allem Energiesicherheit gewährleisten, und langfristig und nachhaltig etwa durch die Leitinitiativen wie „Ressourcenschonendes Europa“ oder die „Roadmap 2050“ das Klima schützen. Angesichts der Katastrophe in Japan ist natürlich auch ein Umdenken in der EU-Energiepolitik notwendig. Auf europäischer Ebene setzt sich das Wirtschaftsministerium vor allem für europaweit verbindliche AKW-Stresstests und die Forcierung erneuerbarer Energien ein.

Die Energiestrategie Österreich ist die Basis für die Arbeiten Österreichs zur Erreichung der EU-2020-Energieziele. Das ambitionierte Ziel Österreichs von 34 Pro­zent Anteil von erneuerbaren Energien am Endenergieverbrauch und die Reduktion der Treibhausgase um 16 Prozent bis 2020 unterstützt das Wirtschaftsministerium, wie Sie wissen, mit der Novelle zum Ökostromgesetz.

Im Bereich der Energieeffizienz hat das Wirtschaftsministerium den „Pakt für Energieeffizienz“ mit Unternehmen abgeschlossen, ein Abkommen mit den Ländern verhandelt, und es fördert die thermische Sanierung mit 100 Millionen € jährlich.

Ganz kurz zu Forschung und Entwicklung: Österreich hat sich das Ziel gesetzt, bis 2020 3,76 Prozent des BIP in Forschung und Entwicklung zu investieren, also mehr als das EU-Ziel von 3 Prozent.

Die Strategie für Forschung, Technologie und Innovation wurde im März 2011 von der Bundesregierung beschlossen. Es gibt zusätzliche Offensivmittel in Form einer Erhöhung der steuerlichen Forschungsprämie von 8 auf 10 Prozent, für die Stärkung der Universitäten und zusätzliche F&E-Maßnahmen von Unternehmen.

Die Mittel für Maßnahmen des Wirtschaftsministeriums im Bereich Forschung, Tech­nologie und Innovation betragen laut Bundesvoranschlag für das Jahr 2011 96,9 Millionen €.

Die Förderung der Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft war schon bisher zentrales Handlungsfeld im Wirtschaftsministerium und wird es natürlich auch in Zukunft bleiben.

In der Familienpolitik nimmt Österreich nach wie vor eine Vorreiterrolle in Europa ein. Es gibt finanzielle Leistungen wie eben die Familienbeihilfe oder das Kinder­betreuungsgeld in seinen fünf Varianten, Zuverdienstmöglichkeiten während des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld, die Beihilfe zum Kinderbetreuungsgeld sowie eine Bezugsverlängerung in Härtefällen für Alleinverdienende.

Weiters gibt es Unterstützungsmaßnahmen in Form des Kinderabsetzbetrages und der Maßnahmen zur Elternbildung. Auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird vom Wirtschaftsministerium gefördert. Und 2011 wird zum sechsten Mal der Kinderbetreuungspreis für innovative und bedarfsgerechte Kinderbetreuungsangebote in den Schulferien 2011 ausgeschrieben. Die Preisgelder belaufen sich immerhin auf 22 000 €.

Auch die Jugendpolitik ist ein wesentliches Element der EU-2020-Strategie. Mit der Leitinitiative „Youth on the move“, „Jugend in Bewegung“, wurde eine Agenda für neue Kompetenzen und neue Beschäftigungsmöglichkeiten für Jugendliche geschaffen.

Unser Ministerium engagiert sich dabei über das Bundes-Jugendförderungsgesetz mit einer Gesamtförderung von 6,3 Millionen € jährlich. Es gibt Projekte zur Förderung der E-Kompetenz von Jugendlichen und des kreativen Umgangs mit neuen Medien und Technologien. Wie Sie wissen, wurde eine neue Jugend- und Medieninfostelle einge­richtet, die im Mai offiziell eröffnet wird.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 72

Förderschwerpunkt 2011 für die Jugend ist der Berufseinstieg.

Schwerpunkt Binnenmarkt, noch ganz kurz: Zur Erreichung der gesetzten Wachstums­ziele ist natürlich auch die Stärkung und die Entfesselung des europäischen Binnenmarktes essenziell. Die Basis für die Arbeiten auf EU-Ebene sind die Leit­initiative zur Industriepolitik, die Binnenmarktakte und der Small Business Act.

Die Leitinitiative zur Industriepolitik zielt darauf ab, ein Umfeld für die EU-Industrie für den Übergang zu einer nachhaltigeren, integrativeren und ressourcenschonenderen Wirtschaft zu schaffen.

Die Binnenmarktakte umfasst 50 Maßnahmenvorschläge aus den unterschiedlichsten Politikbereichen wie Steuern, Konsumentenschutz, Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik. Und um nicht den Anschluss an andere Weltregionen zu verlieren, muss natürlich auch der europäische Binnenmarkt auf allen Ebenen belebt werden. Prioritäre Maßnahmen sind hier der Zugang zu alternativen Finanzierungsmöglichkeiten, vor allem der KMUs, und im Bereich der Standardisierung. Diese beiden Themenbereiche finden sich auch in den zwölf Maßnahmenvorschlägen wieder, deren Umsetzung die Kommission nach einem breit geführten Prozess in den Mitgliedstaaten prioritär mit einem Umsetzungs­horizont bis zirka 2012 verfolgen will.

Mit dem neuen EU-Patent wird der Schutz von Erfindungen zukünftig um 90 Prozent verbilligt. Am 10. März 2011 war der Startschuss dafür.

Der Small Business Act soll eben die Vorfahrt für KMUs in Europa bringen, mit „Think Small First“, also die Kleinsten zuerst.

Mit der „Mittelstandsoffensive“ wurde das Risikokapital, das den österreichischen Unternehmen zur Verfügung steht, auf 400 Millionen € verdoppelt. Durch die „Mittelstandsoffensive“ sollen auch Innovationspotenziale der KMUs gehoben werden.

Es gibt die „3. Europäische KMU-Woche“, die „Europäischen Unternehmer­prei­se 2011“, das sind zwei Maßnahmen des Wirtschaftsministeriums in Zusammenarbeit mit der GD Unternehmen und Industrie der Europäischen Kommission 2011.

Schwerpunkt Außenwirtschaft: Europas Weltmarktstellung muss natürlich auch weiter ausgebaut werden. Der Handel ist der Weg aus der Wirtschafts- und Finanzkrise. Für Österreich als kleine und exportorientierte Volkswirtschaft ist natürlich der Zugang zu den Märkten der Handelspartner von zentraler Bedeutung. Eine florierende Exportwirt­schaft schafft Arbeitsplätze, Wohlstand und Steuereinnahmen.

2010 stiegen die österreichischen Warenexporte um 16,5 Prozent auf 109,2 Milliar­den €. Damit liegt Österreich innerhalb der EU an fünfter Stelle hinter Luxemburg, Irland, Belgien und den Niederlanden.

Die Internationalisierungsoffensive hat auch dazu beigetragen, die negativen Auswir­kungen der Wirtschaftskrise in Grenzen zu halten und die österreichische Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs zu bringen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der ÖVP.)

12.56


Präsident Gottfried Kneifel: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Mag. Pisec. Ich erteile es ihm.

 


12.56.36

Bundesrat Mag. Reinhard Pisec (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für die ausgezeichnete Auflistung der Thematiken – und da sind wir auch schon beim Thema, denn der Bericht hat 30 Seiten, er müsste jedoch, um bei all


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diesen Thematiken in die Tiefe zu gehen, 500 Seiten haben. Das tut er aber nicht, er hat eben nur 30 Seiten. – Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt: Im Bericht werden viele Themen unter der EU-Strategie 2020 subsumiert, und dieser Zeitraum ist für die Wirtschaft, entschuldigen Sie bitte, viel zu lange. Wer weiß, was sich bis 2020 und 2020 in Österreich, in Europa tut? Gerade in der heutigen Zeit bin ich mir gar nicht so sicher, ob es den Euro und die EU in dieser Form dann überhaupt noch gibt. (Ironische Heiterkeit bei ÖVP und SPÖ. – Ruf bei der ÖVP: Der war gut!)

Daher habe ich mir, sehr geehrte Damen und Herren, das österreichische Nationale Reformprogramm herausgenommen, denn das bezieht sich auf das Jahr 2011, auf das Jahr, in dem wir heute stehen. Darin nennen Sie – nicht Sie ad personam; der Herr Wirtschaftsminister – makroökonomische Ziele, die Sie erreichen möchten.

Ein Ziel ist die – ich zitiere – „Umsetzung einer raschen, wachstumsschonenden Bud­get­konsolidierung“. Dazu muss man sagen, da muss man sich einfach die Fakten anschauen. Wir haben es mit einer Staatsverschuldung von bereits über 200 Milliar­den € zu tun, die permanent wächst, über 70 Prozent ausmacht, und wenn ich die Haftungen und die ausgelagerten Betriebe dazunehme, sind es weit über 90 Prozent, mit permanent steigender Tendenz. – Das ist das Erste.

Das Zweite ist: Die Minister – es sind mehrere – schaffen es nicht einmal, die Neuverschuldung 2010/2011 im Maastrichtkriterien-Rahmen von 3 Prozent zu halten. Wie soll da eine Budgetkonsolidierung stattfinden?

Wir Freiheitlichen lehnen Wachstum mit permanenter Kreditaufnahme ab, weil das für den österreichischen Staat schädlich ist. (Beifall bei der FPÖ.)

Das erinnert mich ein bisschen an den Leverage-Effekt auf dem Kapitalmarkt, wo Aktien auf Pump gekauft werden und man hofft, dass die Aktien immer steigen – aber wehe dem, das geschieht einmal nicht!

Punkt zwei im Reformprogramm ist die Stärkung des Finanzsektors. Was ist damit gemeint? Das ist nicht präzisiert. Meint man damit die Banken oder den Kapitalmarkt?

Wenn man damit den Kapitalmarkt meint, dann ist das eigentlich eine gute Sache, weil damit die KMUs gestärkt werden, denn die KMUs haben wenig Zugang zu Eigen­mitteln. Sie leiden unter wenig Eigenmitteln, unter wenig Eigenkapital. Diesen Zugang muss man fördern, gerade im Vorfeld von Basel III, das vor der Tür steht und das den Zugang zu Eigenkapitalmitteln für KMUs weiter erschweren wird.

Wenn Sie mit der Stärkung des Finanzsektors aber die Banken meinen, dann habe ich dafür überhaupt kein Verständnis, denn die Banken sind die Einzigen, die nach der Beendigung der Wirtschaftskrise, Beginn 2010 bis heute, profitiert haben und Milliar­den­gewinne schreiben. Die Banken sind die Hauptnutznießer der geringen Refinan­zierung bei der Europäischen Zentralbank und der hohen Anlage in den Schwellen­ländern. Die Banken machen Milliardenprofite, die brauchen wir nicht extra zu unterstützen. Wen wir unterstützen müssen, das sind die KMUs, damit die Abhängig­keit von den Banken reduziert wird – und das steht in diesem Bericht nicht drinnen!

Die KMUs sind zu stärken in jedem Sinne, und zwar mittels Stärkung des Eigen­kapitals, mittels Steuerfreiheit für nicht entnommene Gewinne, mittels eines Investitionsfreibetrages, der nämlich auch die Startups schafft – das haben wir heute schon mit der Frau Wissenschaftsministerin besprochen –, und dadurch ermöglicht man innovative Produkte, dadurch schafft man das Umfeld für innovative Produkte, wenn man Investitionen abschreiben kann.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 74

Der nächste Punkt – und da sind wir auch schon bei der Investition – ist die Innovation in der Wirtschaft, wovon auch im Bericht des Wirtschaftsministers die Rede ist.

Der Ansatz ist gut, aber nicht mit den im vorliegenden Bericht angeführten Mitteln. Sie schreiben explizit fest: Nachfrageorientierte Bewirtschaftung mit der öffentlichen Hand. – Das ist Planwirtschaft pur, und das lehnen wir Freiheitlichen ab! Für uns steht der Markt im Zentrum und nicht der Staat. Für uns steht das Individuum im Zentrum und nicht der Staat. Für uns zählt der Einzelne und nicht der Staat. (Ruf bei der ÖVP: ... soziale Heimatpartei! – Bundesrätin Mühlwerth: Das eine schließt das andere nicht aus!) Richtig! – Und diese Freiheit schaffe ich durch Steuersenkungen. Diese Freiheit schaffe ich, indem ich es dem Einzelnen ermögliche, seinen Betrieb mit geringeren Kosten, mit geringeren Abgaben zu führen. Aber unsere Abgabenquote liegt bei 45 Pro­zent, und dafür sind Sie verantwortlich!

Leider gibt es in Österreich wenig Zugang zu Private Equity, es gibt wenig Zugang zu Venture Capital, und es gibt wenig Zugang zur Wiener Börse, weil die Kapitalisierung sehr gering ist. Daher kommen wir immer wieder zu einer Abhängigkeit von den Banken zurück – immer wieder, egal, welches Thema wir wählen, wie wir es drehen und wenden –, und diese Abhängigkeit gilt es zu reduzieren, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Nächster Punkt: Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit. – Dazu ein Zitat: Wett­bewerbsfähigkeit erhält man in erster Linie dann, wenn man den Standort stärkt.

Aber Österreich ist ein Hochsteuerland. Österreich hat mittlerweile die höchsten Steuern – zusammen mit der Abgabenquote – in ganz Europa. Und gerade im Vorfeld der Arbeitsmarktöffnung am 1. Mai wird es interessant, wie wir uns gegen die Slo­wakei, Deutschland und die Schweiz und mittlerweile auch gegen Italien, die allesamt niedrigere Steuern haben als wir, erwehren können.

Das alternative Modell dazu ist: mit weniger Steuern mehr Arbeitsplätze schaffen, mit weniger Steuern die Eigenkapitalbasis unserer KMUs stärken und mit weniger Steuern die sündteure Verwaltung reduzieren.

Interessant ist, dass die europäischen Agenden die Verminderung der Steuer auf Arbeit festlegen. Darauf hätte der Minister eingehen können, das tat er aber nicht. Es wäre nämlich interessant, zu wissen, warum wir eine Lohnsteuer von 36 Prozent haben, warum wir keinen Eingangssteuersatz haben, von 0 bis 36, warum wir eine so hohe kalte Progression haben. Dadurch steigen nämlich die Wachstumsraten: durch Inflation und durch die kalte Progression. Ob da aber eine wirklich reale Wirtschafts­kraft dahinter ist, wage ich zu bezweifeln.

Weiterer Punkt: die Anhebung des Pensionsalters. – Das halte ich für Österreich für nicht sinnvoll, weil nur 5 Prozent der 65-Jährigen mit dem tatsächlichen Ablauf dieses Eintrittsalters in Pension gehen, und das ist viel zu wenig. Das müsste man steigern, bevor man das Pensionsantrittsalter wirklich anhebt.

Summa summarum: Es ist ein schöner Bericht mit vielen Titeln und Überschriften, aber ein Reformansatz ist darin überhaupt nicht zu erkennen. Das trifft vor allem auf das Kapitel „Österreichisches Nationales Reformprogramm“ zu. Ich finde da keinen einzigen Reformansatz.

Aus den genannten Gründen lehnen wir Freiheitlichen dieses Programm, das nur aus Schlagworten besteht – und für die Schlagworte nicht einmal einen Zeitplan für deren Umsetzung festhält, sondern alles unter einer EU-Strategie 2020 subsumiert –, ab. – Ich danke sehr. (Beifall bei der FPÖ.)

13.04



BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 75

Präsident Gottfried Kneifel: Zu Wort gelangt als Nächster Herr Bundesrat Reisinger. – Bitte.

 


13.04.24

Bundesrat Friedrich Reisinger (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Frau Staatssekretärin! Geschätzte Damen und Herren! Der vorliegende und zur Diskussion stehende Bericht des Bundesministeriums für Wirtschaft, Familie und Jugend enthält eine Reihe wichtiger und zielführender Maßnahmen zur Stärkung der Wirtschaft Europas, aber vor allem auch Österreichs. Er gliedert sich im Wesent­lichen in die drei Bereiche Wachstum, Binnenmarkt und Außenwirtschaft. Aber ich möchte heute – nicht zuletzt aus aktuellem Anlass – vor allem einem Teil besondere Beachtung schenken, das ist der Bereich Wachstum, und da vor allem der Bereich Energie und Klima.

Die aktuelle Situation in Japan, aber auch zahlreiche Ereignisse in der Vergangenheit, wie beispielsweise extreme Unwetter, Meeresverschmutzungen durch Öl oder auch die rasant steigenden Öl- und Gaspreise, zeigen, dass unser derzeitiges fossil-nukleares Energiesystem nicht nur den Wohlstand, die Sicherheit und die Umwelt zunehmend gefährdet.

Ich glaube – und darüber sind wir uns, glaube ich, alle einig –, wir müssen vor allem energiepolitisch umdenken. Österreich ist da zwar auf einem sehr guten Weg, dennoch gibt es, glaube ich, noch sehr viel zu tun. Umdenken müssen wir nicht nur bei der Erzeugung und bei der Gewinnung von Energie, sondern wir müssen vor allem auch umdenken, wenn es um den effizienten Einsatz von Energie geht. Gerade diese Maß­nahmen würden, glaube ich, auch die Wirtschaft stärken und starke Beschäftigungs­impulse bringen. Ich denke da an die thermische Sanierung, an die Dämmung der Außenmauern, den Tausch alter Fenster, den Tausch alter E-Geräte und Kühlgeräte, aber vor allem denke ich da auch an eine Verschrottungsprämie für alle jene, die alte Ölkessel durch moderne Holzpellets- oder Holzvergaserkessel ersetzen.

Aber auch im Bereich der Mobilität müssen wir, glaube ich, umdenken. Neben der Entwicklung der E-Mobilität und der Entwicklung neuer sparsamer Motoren kommt auch dem öffentlichen Verkehr eine besondere Bedeutung zu. Ich weiß schon, dass wir heute bereits über die ÖBB diskutiert haben, aber ich glaube, in diesem Bereich besteht bei der Bahn besonderer Handlungsbedarf. Es bedarf attraktiver Fahrpläne und attraktiver Zugsgarnituren.

Unverständlich ist für mich – so wie heute auch schon gesagt wurde –, dass viele Verladestationen geschlossen beziehungsweise eingespart werden. Das bringt zusätz­lichen Verkehr auf die Straße.

Ich bin auch absolut nicht davon überzeugt, dass Kosten gespart werden, wenn Mitarbeiter der ÖBB frühzeitig in Pension geschickt werden. In Wirklichkeit verlagert man dadurch nur die Kosten an eine andere Stelle. Ich glaube, es ist sinnvoller, Mitarbeiter weiter zu beschäftigen, als sie vorzeitig in Pension zu schicken. (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Dönmez.)

Aber weg wieder von den ÖBB, über die ja heute schon diskutiert wurde, obwohl man natürlich, wenn man den Bereich Energie, Umwelt und Wirtschaft diskutiert, die ÖBB nicht außer Acht lassen kann.

Ich habe schon zuvor gesagt, dass wir energiepolitisch umdenken müssen. Wir müssen vor allem den Bereich der erneuerbaren Energien stärken, fördern und aus­bauen. Da gibt es ein enormes Potenzial, vor allem in den Bereichen Biomasse, Wasserkraft, Fotovoltaik, Solarwärme und Ausbau der Windkraft. Bei entsprechender Förderung könnte da ein enormes Investitionsvolumen ausgelöst werden. Ich sehe da


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 76

ein sehr großes wirtschaftliches Potenzial. Dazu brauchen wir aber ein Ökostrom­gesetz, das erneuerbare Energiequellen ordentlich unterstützt. (Beifall bei der ÖVP sowie der Bundesräte Kerschbaum und Dönmez.)

Es freut mich, dass dem Bereich Energie und Klima in diesem Bericht des Bundes­ministeriums für Wirtschaft, Familie und Jugend sehr große Bedeutung zukommt. Ich hoffe, dass die Umsetzung der angestrebten Ziele auch gelingt, und ich nehme daher den vorliegenden Bericht nicht nur zur Kenntnis, sondern darf vor allem auch ersuchen, diesen konsequent umzusetzen. (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Dönmez.)

13.08


Präsident Gottfried Kneifel: Zu Wort gelangt als Nächster Herr Bundesrat Schennach. – Bitte.

 


13.09.06

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Lieber Kollege Pisec, Sie hätten bei diesem Bericht über die Seite sieben hinaus lesen müssen. Sie haben offensichtlich bei der Seite sieben zu lesen aufgehört – und das ist Ihr Fehler!

Sie hätten zum Beispiel auch die Seiten 20, 21 und 22 lesen müssen, es wäre Ihnen dann nämlich aufgefallen, dass da sehr viel zu den KMUs und auch sehr viel zu den EPUs steht. (Bundesrat Mag. Pisec:  nicht realisiert!) Wir kommen noch darauf zu sprechen. Aber, wie gesagt, ein bisschen mehr lesen als nur die Überschriften ist gerade angesichts dessen von großer Wichtigkeit.

Es handelt sich da um das letzte Stück einer dreigeteilten Präsidentschaft – von den Spaniern zu den Belgiern bis zu den Ungarn –, das jetzt die Ungarn abarbeiten. Wenn man sich die großen Kapitel dieses Trios ansieht, dann muss man sagen, sie sind den Fragen der Zeit entsprechend, denn dieses Achtzehnmonatsprogramm ist entstanden, bevor die Spanier die Präsidentschaft angetreten haben. Und da sind ganz wichtige Punkte drinnen, nämlich die Bekämpfung der Folgen der Weltwirtschaftskrise, vor allem in der Abwendung zum Schutz der Bevölkerung als auch der Wirtschaft.

Das Zweite ist die Schlüsselposition von Forschung, Entwicklung und Innovation.

Und das Dritte ist – und man kann es nicht genug unterstreichen – der gesamte Klima- und Energiepakt.

Vielleicht bedurfte es des Unfalls und des tragischen Super-GAUs in Japan, dass das jetzt meiner Meinung nach in einer ganz anderen Art und Weise eine Umsetzung erfährt. Aber das, was bereits mit dem Beginn der spanischen Präsidentschaft in die­sem Programm grundgelegt ist, ist eigentlich modernes, verantwortungsvolles res­sourcenschonendes, zukunftsorientiertes Wirtschaften.

Und was die „2020-Ziele“ betrifft, Herr Kollege Pisec: Man muss irgendeine Strategie verfolgen, denn es geht da um große langfristige Umstellungen, um zu einem inte­grativen, zu einem intelligenten und vor allem zu einem nachhaltigen Wachstum zu kommen. Das passiert nicht innerhalb eines Jahres, sondern das passiert, indem man da eine klare Zielsetzung macht, was in den „2020-Zielen“ ja drinnen steht.

Nur um in Erinnerung zu rufen: die Erhöhung der Beschäftigungsquote auf 75 Pro­zent. – Das kann man nicht innerhalb eines Jahres bewerkstelligen!

Oder: die Erhöhung des Anteils der Akademikerinnen und Akademiker auf 40 Prozent oder die Senkung der Zahl der Schulabbrecher und Schulabbrecherinnen unter zehn Prozent.


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Das sind Ziele, die gepaart sind zum Beispiel mit den großen Anstrengungen der „2020-Strategie“ in den Bereichen Treibhauseffekt, Anteil erneuerbarer Energien, Steigerung der Energieeffizienz, die im Konzert einer Gemeinsamkeit erfolgen müssen.

Die ungarische Ratspräsidentschaft setzt nun – und sie hat das ja auch schon dar­gestellt – auf die Schaffung weiterer Arbeitsplätze, was letztlich auch Armutsbekämp­fung bedeutet, denn wenn man Arbeit hat und Arbeitsplätze schafft, dann bekämpft man gleichzeitig auch Armut. Weiters setzt sie darauf, die Wirtschaftsleistungen insgesamt zu verbessern und nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu fördern.

Interessant ist auch, dass die ungarische Ratspräsidentschaft derzeit ganz stark die EU-Erweiterung ins Auge fasst. Ich hatte gestern die besondere Ehre, beim großen Dialog, bei den wichtigen Verhandlungen über die EU-Erweiterung in Richtung Südost­europa beziehungsweise Westbalkan für den Bundesrat und für meine Fraktion die Erstrede in Brüssel zu halten. Dort hat sich gezeigt, dass die Verhandlungen über den EU-Beitritt Kroatiens – meiner Meinung nach etwas ganz Wichtiges für Österreich – von der ungarischen Ratspräsidentschaft so weit finalisiert werden können, dass es in der Zeit der polnischen Ratspräsidentschaft zu einem Abschluss kommen kann beziehungsweise dass die Europäische Union bis Ende dieses Jahres aus 28 Mitgliedern wird bestehen können. Das ist ein ganz, ganz wichtiger Brückenschluss.

Schon zuvor haben wir auch von Budgetschwächen und von der Binnenmarktstrategie, vor der übrigens Österreich profitiert, gesprochen, und in diesem Zusammenhang möchte ich sagen: Man muss auch einmal bei der Beschleunigung des Binnenmarktes innerhalb der Europäischen Union mit berücksichtigen, das nicht zufällig jene Staaten, die am Rande der Europäischen Union liegen – werfen Sie einmal einen Blick auf die Landkarte!; das sind unter anderem Portugal, Irland und Griechenland –, unter enormen Druck geraten sind, nämlich unter den Druck, an diesem Binnenmarkt partizipieren zu können.

Wir können uns mehr als glücklich schätzen, ein Binnenland innerhalb der EU zu sein, das von verschiedenen Programmen, die auch in diesem Bericht angesprochen sind, in einer ganz besonderen Art und Weise begünstigt ist. So ist die Donauraumstrategie, die ja von Österreich, Deutschland, Ungarn und Rumänien ausgeht, etwas Essentielles auch für unsere Wirtschaft, für die Schaffung von Arbeitsplätzen und auch für die Mobilität.

Und das, was jetzt immer wichtiger wird neben der Südost-Strategie, ist die Schwarzmeer-Politik. Das ist ein ganz, ganz wichtiger Aspekt. Man soll nicht denken, Schwarzmeer – na ja, das ist irgendwo! Nein, das ist etwas ganz, ganz wichtiges für die österreichische Wirtschaft und die österreichische Wirtschaftsentwicklung und für unsere Beziehungen, etwas, das man gar nicht genug unterstreichen kann.

Aber gehen wir zurück zum vorliegenden Bericht! Dieser enthält meiner Meinung nach ein weiteres ganz wichtiges Kapitel, und das ist das Kapitel „Jugend in Bewegung“. Ich habe das schon seinerzeit im EU-Ausschuss gesagt, ich wiederhole es hier gerne: Ja, wir sind für „Jugend in Bewegung“. Das können wir, glaube ich, alle hier unterschrei­ben. Die Mobilität junger Menschen in Europa muss gefördert werden. Sie baut Schranken im Kopf und in den Herzen ab und bedeutet eine ganz andere europäische Identität, aber auch andere Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Aber wir dürfen das nicht nur auf die sogenannten Studierten, auf die Akademikerinnen und Akademiker beschränken, sondern wir müssen da ganz bewusst den Sektor der Lehrlinge mit einbeziehen. Es muss im Rahmen der Lehrlingsausbildung für jeden Lehrling die Möglichkeit geben, ein halbes Jahr lang von dieser Mobilität ein Teil zu sein. Ja zu einem halben Jahr Lehrlingsausbildung irgendwo in Europa. Das bedeutet einen doppelten Gewinn, eine Win-Win-Situation.


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Erstens: Wir erhöhen dadurch bei den Lehrlingen die Sprachkompetenz, denn in einem Europa von morgen ist die Zweisprachigkeit absolutes Minimum als berufliche Voraus­setzung, und das betrifft auch Lehrlinge.

Zweitens: Wir schaffen in Österreich nicht die Kluft, die Studierten sind für Europa, aber die Lehrlinge haben Angst vor Europa.

Und drittens bedeutet das natürlich für die Wirtschaft Tolles, denn wenn ein Lehrling, der ein halbes Jahr den Lehrberuf zum Beispiel in Amsterdam ausgeübt hat, zurück­kommt, dann kann er zu seinem Unternehmer sagen: Die dort machen das so! oder er kann sagen: Bei uns in Österreich machen wir das zwar so, aber wollen Sie nicht vielleicht das Modell von dort übernehmen? – Das bedeutet auf vielfältiger Ebene eine Win-Win-Situation. Deshalb: Ja zu „Jugend in Bewegung“ – aber niemals ohne Lehrlinge! (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

Und nun zu Ihnen, Herr Kollege Pisec, ich muss Ihnen das noch sagen: Es gibt einfach auch andere Kapitel und Initiativen in diesem Bericht drinnen.

Es gibt zum Beispiel das Kapitel „Small Business Act“. – Da finden wir die KMUs und da finden wir die EPUs drinnen.

Es gibt die Initiative „Entrepreneurship Education“. – Da finden wir die KMUs und da finden wir die EPUs drinnen.

Es gibt das Programm „evolve“. – Da finden wir die KMUs und da finden wir die EPUs drinnen.

Es gibt weiters den sogenannten KMU-Helpdesk. – Da finden wir auch die KMUs drinnen. – Diese Einrichtung ist insofern für Österreich wichtig, als, wie wir alle wissen – Frau Präsidentin ist gerade nicht da –, die KMUs, die kleinen und mittleren Betriebe, und auch die EPUs in der österreichischen Wirtschaft ganz stark sind. Und ich bin froh, dass sie bei den Maßnahmen, die in diesem Bericht enthalten sind, so oft vorkommen.

Man kann das noch ausbauen, Frau Staatsekretärin, da gebe ich Ihnen recht. Es ist eine Stütze unserer Wirtschaft, vor allem auch beschäftigungspolitisch.

All das ist in diesem Bericht enthalten, es werden nur andere Begriffe dafür verwendet, aber es ist halt in Europa so, dass man nicht alles unter dem Wort „KMU“ findet. – Danke schön. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

13.19


Präsident Gottfried Kneifel: Zu Wort gelangt als Nächster Herr Bundesrat Dönmez. – Bitte.

 


13.19.28

Bundesrat Efgani Dönmez, PMM (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das vorliegende Achtzehnmonatsprogramm läuft seit 2010 und endet im Juni 2011, also in wenigen Monaten.

Beim Studium der Schwerpunkte Handelspolitik, Wettbewerbspolitik und Energiepolitik ist der Zeitpunkt der Verabschiedung des Programms sehr gut spürbar. Das Programm ist ein sehr ehrgeiziges, wenn auch von konventioneller Stoßrichtung geprägt. Man setzt sich hehre Ziele. – Dagegen ist auch nichts einzuwenden. Wie man so schön sagt, Papier ist geduldig.

Ich möchte Ihnen jetzt nicht den Unterschied zwischen den in einem Papier dar­gelegten Zielen und den realpolitischen Maßnahmen, die die Bundesregierung setzt, erläutern. Es gibt Abweichungen, die beträchtlich sind. Als Beispiel: Das Programm


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 79

sieht sich einem CO2-armen und ressourcenschonenden Europa verpflichtet. Real­politisch sind wir aber in Linz mit der Errichtung einer Stadtautobahn konfrontiert, die weder dazu geeignet ist, den CO2-Ausstoß zu senken, noch dazu, die Ressourcen zu schonen. Ressourcenschonend ist der Ausbau des öffentlichen Verkehrs, auf keinen Fall aber eine Transitautobahn mitten durch das Stadtgebiet, werte Kollegen. (Bun­desrat Hensler: Kollege, bitte! – Beifall der Bundesrätin Dr. Kickert.)

Ich möchte noch ein anderes Thema ansprechen, da sei auch die ÖVP erwähnt. Wenn es um die Gesamtentwicklung Europas geht, wenn wir über mittelfristige strategische Entscheidungen sprechen, dann möchte ich auf jeden Fall unsere augenblickliche Lage kurz beleuchten. Rahmenbedingungen und Ausgangslage können sich rasch ändern. Seit Wochen beherrscht ein Thema den gesamten Erdball, und das ist die Atomkatastrophe in Japan.

Im vorliegenden Programm wird Atomenergie nicht einmal erwähnt. Das kann ich gut nachvollziehen, schließlich wurde das Programm 24 Jahre nach Tschernobyl aufs Papier gebracht. Und in diesen 24 Jahren haben viele vergessen, welche Gefahren mit der Atomenergie vor unserer Haustür lauern.

Ich bin mir auch ganz sicher, dass bei den kommenden mittelfristigen Strategien zur Energiepolitik die friedliche Nutzung der Kernenergie thematisiert wird. Es tut sich ja schon eine Menge auf dem Atomstrommarkt. Deutschland diskutiert den Ausstieg, auch andere Länder schätzen die Gefahren zunehmend nüchtern und realistisch ein. Andere wiederum versprechen sich noch immer große Gewinne durch den Ausbau der Kernkraftwerke. Vielleicht ist es nur ein Gerücht, aber allein das Gerücht reicht schon, um darauf zu reagieren.

Entsprechend Medienberichten erwägen die tschechischen AKW-Betreiber einen vor­gezogenen Ausbau Temelíns. Unter den Impressionen von Fukushima ist das – formu­lieren wir es einmal positiv! – sehr mutig. Ich finde, das ist eine handfeste Drohung, und ich erwarte, dass unsere Bundesregierung da klare Worte findet und dies auf keinen Fall einfach so hinnimmt.

Ich gehe davon aus, dass die Atomenergie bald ausgedient haben wird. Natürlich wird es nicht einfach sein, und es geht auch nicht von heute auf morgen. Wir haben es in der Hand, die Lücke, die abgeschaltete Atommeiler hinterlassen, zu schließen. In Ober­österreich haben wir im Landtag auf Initiative unseres Landesrates Anschober einen Anti-Atom-Plan beschlossen, der auch ein entsprechendes Maßnahmenpaket mit einschließt. (Zwischenruf des Bundesrates Hensler.) Freut mich! Danke für den Hinweis, ich nehme das mit.

Diese gemeinsame Erklärung ist ein nachdrückliches Zeichen für den konsequenten Weg Oberösterreichs und auch der Steiermark in der Anti-Atom-Politik. (Zwischenruf.) Vorarlberg, Entschuldigung! – Die Energiewende, die wir Grüne seit Jahrzehnten predigen, wird nun verstanden und von anderen Parteien unterstützt – zumindest in zwei Bundesländern, wie man sieht.

Anders sieht es leider in der Bundesregierung aus. Und deshalb möchte ich an dieser Stelle die Gelegenheit nützen, an die anwesende Frau Staatssekretärin zu appellieren, ein echtes Anti-Atom-Bekenntnis abzulegen und einen Anti-Atom-Kurs einzuschlagen. Wir fordern Sie auf, die Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren gegen die Slowakei und gegen Tschechien wegen europarechtswidriger UVP-Verfahren betref­fend den Ausbau von Mochovce und Temelín zu diskutieren und die vollständige Um­setzung des Melker Abkommens einzuklagen, weiters Rechtsschritte mit den Bundes­ländern gegen Isar 1 bei der eventuellen Wiederinbetriebnahme einzufordern. Weiters: keine Zustimmung zur Neudotierung des Euratom-Budgets 2012 und 2013.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 80

Das sind unsere Forderungen und – wohlgemerkt! – keine rein grünen und keine rein oberösterreichischen, sondern diese werden von vielen Landtagen und von allen Par­teien, zumindest in Oberösterreich, unterstützt und auch verabschiedet. (Zwischenruf des Bundesrates Hensler.)

Zum Schluss möchte ich auf den Bericht des Wirtschaftsministers für das vorliegende Programm der EU zurückkommen und sagen: Ich hoffe, dass wir ausreichend Politiker und Politikerinnen haben, die den Mut aufbringen, einmal eingeschlagene Wege rechtzeitig zu verlassen.

In Oberösterreich hat das die ÖVP vorgemacht, und ich glaube, die Umstruk­turie­rungen, die jetzt unmittelbar anstehen, geben Mut und Hoffnung für einen echten Neubeginn in vielen, vielen Politikbereichen. – Danke. (Beifall der Bundesrätin Dr. Kickert und bei Bundesräten von SPÖ und FPÖ sowie des Bundesrates Zangerl.)

13.25


Präsident Gottfried Kneifel: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen nun zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

13.25.469. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 31. März 2011 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz, das Insolvenz-Entgelt­siche­rungsgesetz, das Landarbeitsgesetz 1984, das Arbeitskräfteüberlassungs­gesetz und das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert werden (Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz – LSDB-G) (1076 d.B. und 1094 d.B. sowie 8474/BR d.B.)

10. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 31. März 2011 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Ausländerbeschäftigungsgesetz und das Arbeitslosenversiche­rungsgesetz 1977 geändert werden (1077 d.B. und 1092 d.B. sowie 8475/BR d.B.)

 


Präsident Gottfried Kneifel: Wir gelangen nun zu den Punkten 9 und 10 der Tages­ordnung, über welche die Debatte unter einem durchgeführt wird.

Berichterstatterin zu den Punkten 9 und 10 ist Frau Bundesrätin Kemperle. Ich bitte um die beiden Berichte.

 


13.27.44

Berichterstatterin Monika Kemperle: Geschätzter Herr Bundesminister! Wertes Präsidium! Werte Damen und Herren des Bundesrates! Der Bericht des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über den Beschluss des Nationalrates vom 31. März 2011 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz, das Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz, das Landarbeits­ge­setz 1984, das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz und das Allgemeine Sozialversiche­rungs­gesetz geändert werden (Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz), liegt Ihnen in schriftlicher Form vor. Ich nehme daher von einer Verlesung Abstand und komme sogleich zur Antragstellung.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 81

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz stellt nach Beratung der Vorlage am 12. April 2011 mit Stimmenmehrheit den Antrag,

1. gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben,

2. dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Artikel 44 Absatz 2 B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen.

Des Weiteren bringe ich den Bericht des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Kon­sumentenschutz über den Beschluss des Nationalrates vom 31. März 2011 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Ausländerbeschäftigungsgesetz und das Arbeitslosen­versicherungsgesetz 1977 geändert werden. Dieser Bericht liegt Ihnen ebenfalls in schriftlicher Form vor. Ich nehme daher wiederum Abstand von einer Verlesung und komme sogleich zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz stellt nach Beratung der Vorlage am 12. April 2011 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Präsident Gottfried Kneifel: Ich danke für die Erstattung der beiden Berichte.

Wir gehen nun in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich als Erster Herr Bundesrat Krusche. Ich erteile es ihm.

 


13.28.22

Bundesrat Gerd Krusche (FPÖ, Steiermark): Hohes Präsidium! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit dem ersten Gesetz, dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz, mit der griffigen Abkürzung LSDB-G, beginnen.

Spät, aber doch hat die Bundesregierung erkannt und eingesehen, dass aufgrund der Freigabe des österreichischen Arbeitsmarktes für die Bürger insbesondere unserer östlichen Nachbarn Handlungsbedarf zum Schutz der heimischen Arbeitnehmer und zum Schutz vor Wettbewerbsverzerrung gegeben ist.

Und wie reagiert diese Bundesregierung darauf? – Wie üblich: dilettantisch, denn das Ziel, mit diesem Gesetz Lohn- und Sozialdumping zu verhindern, wird nicht erreicht werden.

Ich komme aus einem Bundesland, der Steiermark, das mit seinen Grenzen zu Slo­wenien und insbesondere zu Ungarn besonders betroffen sein wird. Seitens des Ministeriums rechnet man mit 15 000 bis 16 000 Arbeitnehmern aus den Nachbar­ländern, mit 25 000 insgesamt. Aber niemand kann genau sagen, wie viele es wirklich sein werden, es sind dies Schätzungen. Wir glauben, dass es viel mehr sein werden. (Zwischenruf des Bundesrates Perhab.)

Und wie ist die Argumentation der Beschwichtiger und Befürworter dieser Öffnung? –Sie wirkt eher armselig und hilflos. Beispielsweise heißt es und hat es auch im Ausschuss geheißen, Österreich hätte ohnehin Rekordbeschäftigung, also keine Gefahr. Herr Minister, ich frage Sie: Gilt dieses Gesetz nur bei Hochkonjunktur, und haben Sie für Wirtschaftskrisen noch ein Alternativgesetz in der Lade? Ich habe davon bis jetzt nichts gehört. (Bundesminister Hundstorfer: Ja, ja! – Heiterkeit.) Schön, Sie werden es uns dann vorstellen, nehme ich an. Da freue ich mich schon darauf. (Vizepräsident Mag. Himmer übernimmt den Vorsitz.)

Wie fragil der Aufschwung ist, das wissen wir ja. Es ist heute schon erwähnt worden, drei Staaten der Union haben sich bereits unter den Rettungsschirm geflüchtet. Auch wenn es heißt, dass diese angeblich nur an der Peripherie sind und deshalb nicht so wesentlich, muss ich doch sagen, falls die Nächsten Spanien und Italien sein werden, rückt das ganze Krisenszenario schon etwas näher an uns heran.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 82

Ein weiteres Argument lautet, dass sich das Lohn- und Einkommensniveau in den neuen Staaten rasant an unseres angleicht, teilweise schon nahezu vergleichbar ist. – Meine Damen und Herren! Das durchschnittliche Bruttoeinkommen eines Vollzeit­arbeiters in Ungarn betrug im Jahr 2010 bis einschließlich November laut Statistik 201 800 Forint, das sind ungefähr 740 €; Arbeitslosenquote 11 Prozent, das sei nur am Rande bemerkt. In der Steiermark bekommt ein Arbeiter im Monatsdurchschnitt 1 835 €. Das ist immerhin ein Unterschied von zirka 1 100 €. Ein ungarischer Arbeiter verdient 40 Prozent von dem, was im Durchschnitt ein Arbeiter in der Steiermark verdient. Wenn das von Ihnen als Angleichung bezeichnet wird, dann, muss ich sagen, habe ich meine Zweifel.

Es heißt weiters, dass im Durchschnitt ohnehin nur die besser Qualifizierten zu uns kommen werden und damit gleich der Facharbeitermangel bei uns bekämpft werden kann. Ich glaube, es wäre wahrscheinlich klüger, die Qualifikation der heimischen Arbeit­nehmer anzuheben. Bildung statt Zuwanderung wäre das bessere Rezept. (Beifall bei der FPÖ.)

Aber auch sonst bin ich davon überzeugt, dass dieses Gesetz ein zahnloser Tiger sein wird, zwar teuer in der Umsetzung, aber mehr oder weniger wirkungslos. Die Kontrolle wird einen enormen Verwaltungsaufwand verursachen, die Regelungen werden aber trotzdem unterlaufen werden.

Es heißt immer, es dürfen nicht Löhne, die unter jenen im Kollektivvertrag vorgege­benen liegen, bezahlt werden, das sei strafbar. Ich bringe nur ein moderates Beispiel: Laut Rahmenkollektivvertrag für die Angestellten in Handwerk und Gewerbe erhält beispielsweise jemand in der Verwendungsgruppe II nach vier angerechneten Verwen­dungsgruppenjahren ungefähr 1 420 €, in der Verwendungsgruppe III mit acht ange­rechneten Jahren 1 990 €, das ist ein Unterschied von 570 €. Und ich sage, das ist ein moderates Beispiel.

Was wird passieren? – Jene, die zu uns wollen, verdienen bei uns immer noch doppelt so viel wie in ihrem Heimatland und werden sehr wohl bereit sein, sich die Vordienstjahre nicht entsprechend anrechnen zu lassen oder in einer schlechteren Verwendungsgruppe beschäftigt zu werden. Dabei, das zu kontrollieren, wünsche ich Ihnen viel Glück. Und was wird die Folge sein? – Heimische Arbeiter werden entweder Einkommenseinbußen hinnehmen müssen, um wettbewerbsfähig bleiben zu können, oder – und da sehe ich vor allem die Problematik bei den älteren Arbeitnehmern, die entsprechend besser verdienen – ältere Arbeitnehmer werden entweder arbeitslos oder in Frühpension geschickt werden. Und damit unterlaufen Sie alle Bemühungen zur Bekämpfung der Altersarbeitslosigkeit und des frühen Pensionsantrittsalters.

Auch die Rechtsanwaltskammer spricht von einer lex imperfecta, weil die rechtliche Verfolgung im Rahmen der grenzüberschreitenden Rechtsdurchsetzung nicht möglich sein wird. Du, Herr Kollege Klug, wirst dann alles nach mir richtigstellen. (Bundesrat Mag. Klug: Genau!) Du hast das in einer Presse-Aussendung heute schon bejubelt und davon gesprochen, dass das ein wirksamer Schutz und ein Beitrag zum fairen Wettbewerb sein wird. Wir werden uns das dann wieder anhören müssen. Aber als Steirer erwarte ich mir von dir als Steirer eigentlich mehr Kritikfähigkeit und Verant­wortungsbewusstsein und weniger das treue Einstimmen in das Jubelgeheul deiner Fraktion. (Beifall bei der FPÖ.)

Und wenn ich sage, wie ich es eingangs gesagt habe, dass dieses Gesetz dilettantisch ist, dann kann ich jetzt auch sagen: Es gibt ja seit vorgestern den Beweis dafür. So hat man im Innenausschuss des Nationalrates festgestellt, dass man im Zuge der mehr­maligen Umarbeitung des Entwurfes aufgrund eines technischen Versehens nur Dienstgeber ohne Sitz in Österreich einbezogen hat – das betrifft die Land- und


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 83

Forstwirtschaft – und daher eine Ahndung bei österreichischen Dienstgebern in dieser Sparte nicht vorgenommen werden kann. Das ist EU-widrig und muss repariert werden, und das soll nun durch einen §-27-Geschäftsordnungsantrag zum Fremdenrechtsänderungsgesetz geschehen.

Man sieht also: Das Gesetz ist noch gar nicht in Kraft, aber es muss schon repariert werden! Das bestätigt unsere schlimmsten Befürchtungen.

Und es steht jetzt schon fest: Es wird zu einem Lohndumping kommen, und einheimische Arbeitnehmer werden arbeitslos werden oder weniger verdienen, da können Sie sicher sein.

Nun auch einige Worte zum Ausländerbeschäftigungsgesetz und zum Arbeitslosen­versicherungsgesetz, das man unter dem Begriff „Rot-Weiß-Rot-Karte“ zusammen­fassen kann. Die gibt es auch in Plus. Ich frage mich nur, warum man nicht gleich vorgesehen hat, dass das als Bankomat-Funktion auf die Karte so wie bei Billa oder Merkur gebucht werden kann. Da hat man ausgerechnet mit der zeitgleichen Öffnung des Arbeitsmarktes noch ein zusätzliches Einwanderungsinstrumentarium eingeführt. Man hat also wirklich, wenn man sich das so anschaut, den Eindruck, dass diese Regierung zwar ausländerfreundlich, aber eher inländerfeindlich agiert.

Ich habe nichts dagegen, wenn hochqualifizierte Universitätsprofessoren natürlich auch mit ihren Familien nach Österreich kommen. Aber dieses Gesetz reicht ja bis auf das Lehrabschlussniveau hinunter. Ich weiß, ja wir alle wissen um die Vergleichbarkeit solch formaler Voraussetzungen. Das wird alles unter dem Deckmantel des Fach­arbeitermangels gesagt. Ich habe in meinem beruflichen Leben mit sehr vielen Civil Engineers aus Drittstaaten zu tun gehabt, die einen Universitätsabschluss vorweisen konnten, aber in Wirklichkeit einem österreichischen HTL-Abgänger nicht einmal im ersten Dienstjahr das Wasser reichen konnten. Diese Erfahrung habe ich persönlich gemacht mit Arbeitnehmern aus Drittstaaten, aber auch aus peripheren EU-Staaten.

Man verzichtet auf eine Bildungs- und Qualifizierungsoffensive und holt dafür lieber die Ausländer herein. Es ist mir auch irgendwie klar, warum. – Eine Bildungsreform zu machen, das wäre sicher eine viel zu komplizierte Materie für diese Regierung. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenrufe bei der ÖVP.) Daher wählt sie den Weg des geringsten Widerstandes und schickt dafür weiterhin hochqualifizierte heimische Arbeitskräfte, manchmal sogar auch aus staatsnahen Betrieben, mit einem goldenen Handshake in den vorzeitigen Ruhestand. Mit dem Punktesystem hat man sich ... (Bundesrat Beer: ... als ihr in der Regierung wart!) Wir werden schon wieder kommen, machen Sie sich keine Sorgen, und dann zeigen wir Ihnen, wie es geht.

Wir reden hier über die Zukunft! (Bundesrat Gruber: Lies einmal nach!) Mit diesem Punktesystem, das man dem Ganzen zugrunde legt, hat man sich an klassischen Einwanderungsländern wie Kanada orientiert. Österreich ist aber kein solches Ein­wanderungsland! (Bundesrätin Mag. Neuwirth: Österreich ist ein Einwanderungsland, ob ihr wollt oder nicht!)

Gänzlich abzulehnen ist aus unserer Sicht auch diese kurze Frist von zehn Monaten, nach der man den unbeschränkten Zugang und das unbeschränkte Aufenthaltsrecht erhält, und der freie Zugang zum Arbeitsmarkt für Familienangehörige ab dem ersten Tag. Das öffnet auch dem Missbrauch Tür und Tor.

Meine Damen und Herren! Mit diesen beiden Gesetzen wird es mittelfristig oder wahrscheinlich sogar kurzfristig zu einer Zuspitzung auf dem heimischen Arbeitsmarkt kommen, und eine weitere Gefährdung unseres Sozialsystems wird deren Folge sein. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.) Wir stehen für den Schutz der öster­


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 84

reichischen Arbeitnehmer und ihrer Familien und nicht für ungehemmten Zuzug aus aller Herren Länder!

Ich bin schon gespannt, was jetzt du, Kollege Klug, uns alles erzählen wirst und wie schön du sagen wirst, dass das alles falsch wäre. Aber die Zukunft wird beweisen, dass wir recht haben. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

13.41


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gelangt nun Herr Fraktionsobmann Mag. Klug. – Bitte.

 


13.41.27

Bundesrat Mag. Gerald Klug (SPÖ, Steiermark): Eigentlich hätten wir den Antrag stellen sollen, dass wir abstimmen. (Bundesrat Krusche: Worüber denn? Hast nichts zu sagen?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! In Summe sollten wir uns überlegen, liebe Mitglieder des Sozialausschusses, auch einmal über die Geschäfts­ordnung nachzudenken, denn selbst wenn Kollegen von der FPÖ als Zuhörer teilnehmen, merken sie sich die Geschichten keine zwei Tage. (Heiterkeit bei SPÖ und ÖVP. – Bundesrätin Mühlwerth: ... dann alles wieder falsch!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, daher zwei Punkte vorab: Nicht zu spät, sondern rechtzeitig vor dem 1. Mai  so fängt das Ganze an , der verständlicherweise für uns von der Sozialdemokratie als Tag der Arbeit ein besonderer Tag in dieser Republik ist (Bundesrat Krusche: Die Reparatur wird aber nicht mehr rechtzeitig vor dem 1. Mai eintreten!), rechtzeitig vor dem 1. Mai und vor dem nächsten Schritt der Übergangs­fristen beziehungsweise der EU-Osterweiterung wird ein Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz beschlossen, ein Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz, für das natürlich der richtige Zeitpunkt gewählt wurde, nämlich rechtzeitig vor dem 1. Mai.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, dass in einer verantwortungsvollen Politik in diesem Zusammenhang alles andere angebracht ist, als hier wieder mit Polemik Ängste zu schüren. (Bundesrätin Mühlwerth: Geh, mach dich nicht lächerlich!) Es ist in unserer Diskussion im Sozialausschuss deutlich geworden, wie sich diese Arbeit­nehmerfreizügigkeit jetzt für den österreichischen Arbeitsmarkt darstellen wird. Das wurde deutlich diskutiert, und ich glaube, dass es auch wichtig ist, dass man noch einmal darauf zurückkommt, wenn mit derart mieser Polemik versucht wird, auf einfachen Stimmenfang zu gehen. (Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jawohl, es ist so, dass wir mit 1. Mai neue Arbeits­märkte erschließen. (Bundesrat Krusche: Wir werden erschlossen!) Klar ist auch – und da brauchen wir nicht unqualifiziert zwischenzurufen, das sowieso nicht, aber da brauchen wir auch nicht herumzureden –, diese neue Öffnung wird bedeuten, dass wir in Summe einen Markt von 30 Millionen Erwerbstätigen erschließen.

Aber: In den Gebieten, die unmittelbaren an Österreich angrenzen, sind es nicht 30 Millionen, sondern 12 Millionen neue Erwerbstätige. Wenn wir dieser Situation den österreichischen Arbeitsmarkt gegenüberstellen, dann bedeutet das natürlich, dass der Arbeitsmarkt mit rund 3,4 Millionen Beschäftigten in Österreich ein kleinerer ist. Aber die Frage, die sich auftut, ist: Welche Motivation werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben, um zu wandern?

Da ist es miesester Populismus – auch das haben wir im Ausschuss diskutiert –, es ist miesester Populismus, zu sagen: Na, schauen wir uns an, was die dort verdienen und was unsere verdienen. – Es ist 50 Prozent Wahrheit, wie man es zu fortgeschrittener Stunde in irgendeinem Gasthaus diskutiert, weil klar ist, dass Wanderungsmotivationen


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 85

nicht von absoluten Werten des Einkommens, sondern von Kaufkraftdisparitäten ab­hän­gen.

Was bedeutet in Kaufkraftdisparitäten das Einkommen in Ungarn? – Wenn sich jemand wirklich damit auseinandersetzt, weiß er auch, dass es in Westungarn anders aus­schaut als in Ostungarn. Und wenn sich ein steirischer Bundesrat, der aus Leoben kommt, mit Slowenien beschäftigt, dann weiß er auch, dass in Wirklichkeit Slowenien von jenen Mitgliedstaaten, die jetzt betroffen sind, aus unserer Sicht die besten Kaufkraftdisparitäten hat. Aber das müsste man sich eben anschauen! (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was beschließen wir mit dem Lohn- und Sozial­dumping-Bekämpfungsgesetz wirklich? Wir beschließen de facto einen Paradigmen­wechsel – auch das wird von der Opposition verschwiegen –, einen Paradigmen­wechsel im Arbeitsrecht! In Zukunft, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird es nicht so sein, dass die einzelne Arbeitnehmerin und der einzelne Arbeitnehmer seinen Anspruch geltend machen muss. Nein, der Anspruch wird von Amts wegen dahin gehend kontrolliert, ob die kollektivvertragliche Grundentlohnung korrekt ist oder nicht – ein Paradigmenwechsel im Arbeitsrecht! Das wissen natürlich all jene, die sich intensiver mit dem Arbeitsrecht beschäftigt haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir schließen mit dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz auch eine Lücke. Ich glaube, dass man das deutlich sagen soll: Sozialpolitisch schließen wir eine Lücke zur Bekämpfung des Sozialbetrugs (Bun­desrätin Mühlwerth: Ihr habt eh lang dazu gebraucht!) – rechtzeitig! Neben den einschlägigen Vorschriften zum Thema Anmeldung zur Sozialversicherung vor Arbeitsaufnahme schließen wir auf der anderen Seite mit der Auftraggeberhaftung für Sozialversicherungsbeiträge in diesem Zusammenhang eine bedeutende Lücke.

Ich mache auch darauf aufmerksam: Viele von uns wissen, oft ist ein Gesetz nur halb so gut, es hängt auch vom Vollzug und von den Strafen ab. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die meisten haben – die Opposition offensichtlich nicht – das Gesetz auf­merk­sam gelesen: ein Strafrahmen bis zu 50 000 €, und – der zweite Aspekt – es kann dazu führen, dass dem ausländischen Unternehmen die Erbringung der Dienstleistung im Inland untersagt werden kann. Zwei maßgebliche Kriterien im Bereich des Strafrahmens, die ihre generalpräventive Wirkung meines Erachtens sicherlich nicht verfehlen werden!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu guter Letzt sollte eines nicht unter den Tisch gekehrt werden: Das Gesetz schützt nicht nur die Arbeitnehmerinnen und Arbeit­neh­mer, sondern es schützt auch die heimische Wirtschaft. Das Gesetz wird den redlichen Unternehmer schützen, und meines Erachtens sind redliche Unternehmer schützens­wert, weil die österreichische Wirtschaft keinesfalls ein Interesse daran haben kann, dass es Wettbewerbsverzerrungen durch Lohn- und Sozialdumping geben kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir zu guter Letzt noch daran denken, dass mit Lohndumping ohne geeignete gesetzliche Maßnahmen ein volkswirtschaftlicher Scha­den von rund 119 Millionen € jährlich entsteht, dann ist das heute nicht nur ein besonders begrüßenswerter Tag, mit einem Beschluss, der rechtzeitig vor dem 1. Mai erfolgt, sondern der Dank der sozialdemokratischen Fraktion gilt in diesem Zusam­menhang auch den Wirtschafts- und Sozialpartnern, die – wie so oft zu Zeiten dieser Bundesregierung! – mit wertvollen Vorarbeiten die Verwirklichung dieses Gesetzes ermöglicht haben. – Danke schön. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 86

13.49


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als nächster Redner zu Wort gelangt Herr Bundesrat Brückl. – Bitte.

 


13.49.21

Bundesrat Hermann Brückl (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Minister! Herr Kollege Klug! Immer dann, wenn wir recht haben, immer dann, wenn wir die Wahrheit sagen, immer dann, wenn euch die Argumente ausgehen (Bundesrat Gruber: Wo habt denn ihr je recht gehabt?), immer dann sind wir die Populisten. Immer dann sind wir diejenigen, die Ängste schüren und die schwarzmalen. So schaut’s aus im Schneckenhaus – in einem Schneckenhaus, in dem ihr euch gerne versteckt, weil ihr euch vor der Wahrheit verstecken wollt, weil ihr die Augen verschließt! (Bundesrat Gruber: Schau dir einmal eure Politik von 2000 bis 2006 an!) Genau so schaut’s aus! (Beifall bei der FPÖ.) Seid mir nicht bös, ich werde das schon erläutern. (Bundesrat Gruber: Da würde ich mich gar nicht mehr trauen, hier herauszugehen!)

Natürlich wird es Wanderungsbewegungen geben. Kollege Krusche hat es ja gesagt: ein durchschnittliches Einkommen in Ungarn von 740 € brutto! Ich bin ein Oberösterreicher und habe mir jetzt auch noch herausgesucht, weil es interessant ist, wie das Durchschnittseinkommen in Tschechien und in der Slowakei aussieht. In der Slowakei bewegen wir uns bei knapp über 700 € und bei den Tschechen bei etwa 988 € brutto. Das ist in Wirklichkeit immer noch weniger  viel weniger!  als bei uns das Existenzminimum. Das ist immer noch weniger, als bei uns diese bedarfs­orientierte Mindestsicherung sein wird beziehungsweise ist. So schaut’s hier aus!

Ich brauche mir ja nur die Zahlen anzuschauen. Greifen wir zum Beispiel auf die Statistik Austria zurück, die im Jahresbericht zur Migration und zur Integration 2010 schreibt – ich zitiere; das kommt nicht von mir –: „Niedrigere Erwerbstätigkeit und höhere Arbeitslosigkeit bei Zuwanderern.“ Die Arbeitslosigkeit liegt bei ausländischen Staatsangehörigen bei etwa 10,2 Prozent, bei österreichischen Staatsbürgern bei etwa 6,7 Prozent. „Das Lohnniveau ist bei Zuwanderern deutlich niedriger: Ausländische Staatsangehörige, die ganzjährig erwerbstätig waren, verdienten netto im Jahr 2008 mit 17.949 Euro rund 15 % weniger als der Durchschnitt in Österreich (21.156 Euro).“ (Bundesrat Lampel: Woran liegt das?)

Das heißt, dass da offensichtlich Lohndumping stattfindet, weil ausländische Mitar­beiter bereit sind, für weniger Geld als die Österreicher zu arbeiten. Der niedrigste Kollektivvertrag in Österreich – wenn ich da den Kollektivvertrag der Hilfsarbeiter am Bau anschaue – liegt in etwa bei 1 200 € netto. Das heißt, da sind wir immer noch weit darunter.

Natürlich wird es zu diesen Bewegungen kommen, das ist ja auch im Ausschuss gesagt worden. Beispiel Polen: Als Polen zur Europäischen Union gekommen ist, sind etwa 740 000 Polen nach Großbritannien ausgewandert. 740 000 Polen sind nach Großbritannien ausgewandert  nur nach Großbritannien! Da sind wieder einige zurückgekehrt, aber in Summe leben immer noch in etwa 440 000 Polen in Großbritan­nien.

Aber wir hier in Österreich wollen das einfach nicht erkennen, die Regierung will das nicht erkennen (Bundesrat Mag. Klug: Ihr wollt es nicht erkennen!): Was wir erleben, ist eine Zuwanderung ins Sozialsystem! (Ruf bei der ÖVP: Genau umgekehrt! – Weitere Zwischenrufe.) Es ist eine Zuwanderung ins Sozialsystem nur um den Preis billiger Arbeitskräfte für die Wirtschaft. So schaut’s in Wirklichkeit aus.

Was wir in Österreich haben, ist ja nicht ein Mangel an Arbeitskräften, sondern was wir haben, ist ein Mangel an Arbeitsplätzen. (Ruf bei der ÖVP: ... sind die Angebote!) Wir haben einen Mangel an Arbeitsplätzen, und die Strategie der Regierung, die geplante Strategie der Regierung in diesem Zusammenhang, nämlich die Zuwanderung, die das Sozialsystem retten soll, halte ich einfach für grundlegend falsch! Die Lösung wäre


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 87

eine Ausbildungsoffensive; vielleicht, Herr Bundesminister, trägt ja Ihr Vorschlag mit der Ausbildungsverpflichtung oder Ausbildungspflicht dazu bei.

Tatsächlich ist es aber auch so, dass die Regierung – egal, ob Rot-Schwarz, ob Blau-Grün, ob Schwarz-Blau, wer immer es ist, eine jede Regierung – ihr Hauptaugenmerk auf die Qualifizierung der heimischen Arbeitskräfte richten muss. Und sie muss mit einer entsprechenden Familienpolitik dafür sorgen, dass auf die demographische Entwicklung in Österreich Einfluss genommen wird, und zwar positiv Einfluss genommen wird. (Beifall bei der FPÖ.)

Da kommt jetzt diese Öffnung des Arbeitsmarktes, und in Wirklichkeit weiß niemand, was auf uns zukommt. Ich habe es ja gesagt: Als Polen zur EU gekommen ist, hat es diese Auswanderung nach Großbritannien gegeben, auch in andere Länder. Das Lohnniveau in den östlichen Ländern ist wesentlich niedriger als bei uns. Diese Situation auf dem Arbeitsmarkt, die sich künftig darstellen wird, wird zusätzlich noch verschärft durch die Öffnung am 1. Mai, gemeinsam mit der Rot-Weiß-Rot-Karte, die da kommen soll.

Wir halten das für einen falschen Weg. Wir lehnen dieses Gesetz ab, weil es sich nicht an den Bedürfnissen der Österreicher orientiert, sondern an den Bedürfnissen der Zuwanderer nach Österreich! (Beifall bei der FPÖ.)

13.54


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Diesner-Wais. – Bitte.

 


13.54.42

Bundesrätin Martina Diesner-Wais (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren im Bundesrat! Wir haben es bereits gehört: Mit dem 1. Mai unterliegen die EU-8-Mitgliedstaaten nicht mehr dem Ausländerbeschäftigungsgesetz und haben somit das Grundrecht der EU erhalten, überall in der Europäischen Union zu arbeiten.

Herr Krusche, es ist, so meine ich, sehr verantwortungsvoll, dass wir jetzt das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz beschließen, denn wir tragen Verantwortung für unser Land, und daher ist das wichtig. Ich komme selbst aus der Baubranche und weiß, dass es oft sehr wettbewerbsverzerrend ist, wenn es Firmen gibt, die ihre Abgaben dann praktisch nicht mehr zahlen, sondern von der Bildfläche verschwinden. Gerade dieses Gesetz hilft in diesem Fall auch.

Wenn Sie sagen, es gibt bei uns im Land keine Bildungsoffensive, wir holen nur die Ausländer herein, so kann ich dem nicht zustimmen. Gerade in der Bildung sind wir bestrebt – das zeigt auch das Budget, das wir abgeschlossen haben und das wir auch für die Zukunft andenken –, gerade im Bereich Bildung und Forschung gibt es keine Reduzierung, obwohl wir sonst einen Sparkurs fahren. Das ist ein Weg, der durch Zahlen belegt ist, und da können Sie nicht widersprechen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Aber nun zum Ausländerbeschäftigungsgesetz: Ich glaube, es ist wegen der Verän­derungen, die mit 1. Mai in Kraft treten, wichtig, dass wir dies wieder neu regeln und auch den Zuwanderungswilligen ein transparentes System bieten können, denn dieses Gesetz ist eben die Voraussetzung für die Rot-Weiß-Rot-Card, bei der es darum geht, einerseits die Niederlassung zu regeln, bei der auch wichtig ist, dass Deutschkennt­nisse vor Zuzug vorgesehen sind, bei der es aber auf der anderen Seite um den Arbeitsmarktzugang geht, über den wir heute diskutieren und der erstmals – wie Sie es selbst schon angesprochen haben – durch ein kriteriengeleitetes System mit Punkte­bewertung erfolgt.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 88

Da sind Kriterien enthalten wie eben die Berufserfahrung, die Qualifikation, das Alter, die Sprachkenntnisse und noch manches andere. Ich glaube, so kann es unserem Land nur guttun, wenn hochqualifizierte Menschen zuwandern. Gerade in unserem Bundesland – wir haben es auch heute schon in der Diskussion gehört – setzen wir besonders auf Forschung und Entwicklung und haben dahin gehend einen thema­tischen Schwerpunkt gesetzt. Es braucht natürlich hochqualifizierte Arbeitskräfte, die das Ganze auch bereichern.

Es geht aber auch um den Fachkräftebereich, und zwar in Mangelberufen. Viele Betriebe haben gerade mit dem Fachkräftemangel ein Problem, da sie keine Fach­kräfte mehr finden. An erster Stelle steht natürlich die Bildung, die Aus- und Weiter­bildung unserer heimischen Bevölkerung. Aber wenn das den Bedarf noch nicht erfüllt, dann ist es natürlich auch wertvoll, wenn Menschen zuwandern.

Es geht auch um die Schlüsselkräfte aus Drittländern, und es geht weiters um die ausländischen Studenten, die auf unseren Hochschulen ihre Ausbildung absolvieren. Da investiert der Staat Österreich schon einiges, und da ist es natürlich auch gut, wenn das unserem österreichischen Arbeitsmarkt zugutekommt. (Vizepräsidentin Mag. Neuwirth übernimmt den Vorsitz.)

Dieses Ausländerbeschäftigungsgesetz schafft aber auch ein neues System für die Saisonniers. Gerade für die Landwirtschaft und auch für die wirtschaftlichen Betriebe in der Gastronomie und im Fremdenverkehr sind die Saisonniers von großer Bedeutung. Daher soll es zukünftig eine Stammsaisonnier-Regelung geben.

Ich glaube, dieses Gesetz gibt uns die Möglichkeit, durch transparente Richtlinien Menschen, die unser Arbeitsmarkt braucht, gezielt anzusprechen und damit auch die Wirtschaftsleistung unseres Standortes Österreich zu verstärken und besser weiter­zuentwickeln. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

13.59


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bun­desrätin Michalke. – Bitte.

 


13.59.20

Bundesrätin Cornelia Michalke (FPÖ, Vorarlberg): Hohes Präsidium! Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Klug, wenn das alles so wunderbar wäre, dann müssten wir hier heute nicht sitzen und so ein Gesetz verabschieden. Es ist uns offensichtlich allen klar, dass mit dieser Öffnung selbstverständlich Probleme auf uns zukommen werden. Wir werden versuchen müssen, denen gerecht zu werden. Aber man sollte, glaube ich, nicht einfach nur lobhudeln, denn das stimmt genauso wenig wie Panikmache.

Wir sind nicht Panikmacher in dieser Richtung, absolut nicht. Allerdings: Wenn Dinge nicht genau im selben Wortlaut gesagt werden, wie das von Ihrer Seite kommt, wird das als Panikmache ausgelegt. Ich verwahre mich genauso dagegen, wie Sie das offensichtlich für Ihre Partei tun.

Lohn- und Sozialdumping ist eine sozialpolitisch unerwünschte Erscheinung, die nicht nur Arbeitnehmern das ihnen zustehende Entgelt für die erbrachte Arbeitsleistung vorenthält, sondern auch einen fairen Wettbewerb zwischen den Unternehmen unter­gräbt. Im Zuge der Öffnung des Arbeitsmarktes werden unter Zugrundelegung von verschiedenen Daten rund 8 000 Vorstöße, die mit Lohndumping verbunden sein könnten, angenommen.

Dieses Gesetz soll nun also mit verschiedenen Ansätzen solchen Verstößen entge­genwirken, die von uns Freiheitlichen klar abgelehnt werden – und nicht nur von uns, darauf lege ich sehr viel Wert! Wenn man nachliest, dann sieht man die Vielzahl an


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negativen Stellungnahmen und Einwänden, dass dieses Gesetz so nicht sinnvoll ist. Nur um einige Punkte anzusprechen: Eine Forderung in diesem Gesetz lautet zum Beispiel, dass ausländische Unternehmen unterschiedslos für jegliche Beschäftigte ihre Lohnunterlagen in die deutsche Sprache übersetzen und vor Ort vorhalten müssen. Ein Verstoß gegen die Verpflichtung stellt eine Verwaltungsübertretung dar.

Ich frage jetzt: Welchen Sinn hat es, wenn Unterlagen in deutscher Sprache vorge­halten werden müssen, aber die entsendeten Bediensteten oder Arbeitnehmer bei der Kontrolle gar nicht deutsch sprechen?! Wie sollen in einem solchen Fall die Unterlagen zum Beispiel auf der Baustelle überhaupt gefunden werden? Konsequenterweise müsste man dann auch die ununterbrochene Anwesenheit einer deutschsprachigen Auskunftsperson fordern. (Bundesrat Perhab: Binnen 24 Stunden ...!) – Moment, dazu komme ich noch.

Aber es könnten jetzt durch diese Forderungen selbstverständlich auch Retorsions­maßnahmen entstehen. Das bedeutet, dass, wenn österreichische Firmen in einem angrenzenden EU-Land arbeiten und Personen dorthin zur Arbeit entsenden – was ja möglich ist –, auch bezüglich dieses Personals die jeweilige Landessprache – Unga­risch, Tschechisch, welcher auch immer – gefordert wird, wodurch die gesamte österreichische Exportwirtschaft schwer geschädigt würde.

In dieser Forderung wurde scheinbar auch übersehen, dass die Bestimmungen unterschiedslos, das heißt für Konzernbedienstete, für Diplomaten et cetera, über­haupt für jegliche ausländischen Unternehmungen gelten – auch dort, wo, wie zum Beispiel bei Bankbediensteten, die Unterschreitung von Mindestlohnbestimmungen wenig wahrscheinlich ist.

Die Industriellenvereinigung schreibt in ihrer Stellungnahme, dass dieses gesetzliche Vorhaben mit völlig überschießenden und untauglichen Methoden verfolgt wird. Für die Österreichische Rechtsanwaltskammer „ist insbesondere die Regelung, dass alle Betriebsstätten, auswärtigen Arbeitsstätten, Betriebsräume und Aufenthaltsräume ungehindert betreten werden dürften und von allen ‚dort angetroffenen Personen‘ Auskünfte über die zur Ermittlung maßgebenden Tatsachen verlangt werden könnten, überschießend, ja schon fast grotesk, weil es sich bei diesen Personen zB auch um Kunden, Lieferanten oder sonstige betriebsfremde Personen handeln und mit einem solchen Vorgehen insbes ein erheblicher (Image)Schaden verbunden sein könnte.“ – Das sagt die Rechtsanwaltskammer.

Ein weiterer Punkt: Für die Zwecke der Kontrolle soll bei der Wiener Gebiets­krankenkasse ein Kompetenzzentrum eingerichtet werden. – Also gerade in Zeiten von notwendigen Strukturstraffungen, Verwaltungsvereinfachungen und Kostensenkungen in der öffentlichen Verwaltung ist das unnötig, teuer, bürokratisch und daher abzuleh­nen! Zur Ermittlung des nach dem Kollektivvertrag zustehenden niedrigsten Grundge­haltes reichen die bestehenden Behörden und Strukturen völlig aus.

Es gibt noch weitere Absurditäten, aber darüber haben wir bereits gesprochen. Ich möchte da auf die Stellungnahme der Vorarlberger Landesregierung hinweisen, die unter anderem auf die anfallenden Kosten hinweist. Da steht zum Beispiel, dieses Gesetz verursacht „zusätzlichen Aufwand“, und „die dadurch (auch den Ländern) entstehenden Kosten [sind] mangels einer entsprechenden Kostendarstellung nicht nachvollziehbar“.

Insbesondere hinsichtlich § 7 lit. l des Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetzes bezüglich Einrichtung einer zentralen Verwaltungsstrafevidenz darf nicht übersehen werden, dass den Verwaltungsstrafbehörden und den unabhängigen Verwaltungs­senaten durch die vorgesehene Übermittlungspflicht ein zusätzlicher Verwaltungs­aufwand entsteht, der von den Ländern zu tragen ist.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 90

In der Kostendarstellung wird lediglich auf jene Kosten eingegangen, die dem Bund entstehen. Andere Kosten werden nicht erwähnt. Es entstehen aber auch den Ländern Kosten – einerseits durch die zusätzlich durchzuführenden Strafverfahren, andererseits durch die bereits angesprochene vorgesehene Übermittlungspflicht.

Ebenso wenig ist auch aus der Sicht der Vorarlberger Landesregierung – nachvoll­ziehbar, dass durch den vorliegenden Entwurf keine neuen oder zusätzlichen Kosten für Unternehmen durch die Verpflichtung zur Bereithaltung von Lohnunterlagen in deutscher Sprache am Arbeitseinsatzort – oder, sofern das nicht zumutbar ist, Herr Kollege, die Pflicht zur Übermittlung der Unterlagen binnen 24 Stunden ab Verlangen – verursacht werden sollen. – Alles in allem Grund genug, dieser Gesetzesvorlage keine Zustimmung zu erteilen. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenrufe bei SPÖ und ÖVP.)

14.06


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Zu Wort gelangt Herr Bundesminister Hundstorfer. – Bitte.

 


14.06.27

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Rudolf Hundstorfer: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Damen und Herren von der Frei­heitlichen Partei! Sagen Sie doch den Menschen, was Sie wollen: Sie wollen einen Nachtwächterstaat, Sie wollen einen Käseglockenstaat, das ist Ihr Lebensziel. (Bundesrat Krusche: Nein, wieso?!) Ihr Lebensziel ist nicht ein Österreich, das mitten in Europa exportorientiert ist und von der EU-Erweiterung, von allen europäischen Staaten das größte Plus hat. Wir haben am meisten inländische Arbeitsplätze durch diese EU-Erweiterung abgesichert! Sagen Sie doch den Menschen, was Ihr Lebensbild ist!

Kommen Sie doch nicht mit diesen Lohnvergleichen! Auf das gesamte Land bezogen stimmen diese Lohnvergleiche zwar, aber vergleichen Sie doch bitte das, was zu vergleichen ist! Warum sind es nur 5 000 Personen aus Tschechien, die hier arbeiten? Weil das Niveau in Brünn nur mehr um 20 Prozent unter unserem liegt! Warum haben wir relativ wenig Leute aus Bratislava? Weil das Niveau in Bratislava nur mehr um 20 Prozent unter unserem liegt! Deshalb findet da keine Wanderungsbewegung mehr statt.

Kommen Sie doch nicht mit diesen zutiefst herausgezogenen Argumenten! Wo waren Sie 2003? Inwiefern haben Sie 2003 den österreichischen Arbeitsmarkt geschützt? Damals waren Sie in der Regierung, und alles war egal. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen. – Bundesrat Gruber in Richtung FPÖ : Ihr wart in der Regierung! Zwischenruf der Bundesrätin Michalke.) – Seit wann haben wir diesen Anstieg bei den Saisonarbeitskräften zu verzeichnen? Schauen Sie sich doch die Statistiken von 2004, 2005 und 2006 an! Damals sind Sie in dieser Regierung gesessen, und damals gab es eine Explosion der Saisonarbeitskräfte! (Rufe bei der SPÖ: Ach so?)

Seit der Regierung 2006 ... (Bundesrat Krusche: Ist alles besser?) – Es geht nicht um „alles besser“. Natürlich gibt es Sorgen, Befindlichkeiten, Ängste, aber was haben wir 2006 gemeinsam mit der ÖVP gemacht? Wir haben uns 2006 hingesetzt, und was haben wir da gemeinsam gemacht? Ich war damals ÖGB-Präsident, ich war live dabei: Punkt 1: Mangelberufsliste, Punkt 2: Schlüsselkräfte-Verordnung. (Zwischenruf bei der FPÖ.) Wir haben den österreichischen Arbeitsmarkt step by step vorbereitet! Und kommen Sie mir bitte noch einmal mit dem Zwischenruf mit der BAWAG, dazu hätte ich Ihnen nämlich noch ein bisschen was zu sagen! (Heiterkeit und Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 91

Wir haben den österreichischen Arbeitsmarkt step by step vorbereitet. 28 000 Men­schen aus Ungarn sind schon lange hier. 10 Prozent der burgenländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kommen aus Ungarn, ohne Probleme – weil wir eben hinschauen anstatt wegzuschauen und nur Ängste zu schüren.

Natürlich gibt es auch heute Ängste, das ist gar keine Frage. Das steirische Bau­nebengewerbe, das burgenländische Baunebengewerbe, das niederösterreichische Baunebengewerbe, sie alle haben natürlich eine gewisse Sensibilität, das ist doch ganz logisch. Aber, was Sie hier tun ... Lesen Sie einmal das Protokoll der Reden nach! Sie unterstellen automatisch der gesamten österreichischen Wirtschaft, sie würde nur darauf warten, Lohndumping betreiben zu können. – Das ist es, was Sie hier sagen. Sie sagen nicht, dass es ordnungsgemäße österreichische Unternehmen gibt, die darauf achten, dass Kollektivverträge eingehalten werden. – Das sagen Sie nicht, sondern Sie sagen von Haus aus, da kommen 2 Millionen oder 1 Million Menschen – und alle österreichischen Unternehmer werden sofort Lohndumping betreiben. Das ist die Ratio Ihrer Aussage.

Zum Thema Wettbewerb. (Bundesrat Krusche: ... Wettbewerb!) – Na, dann kommen wir ein bisschen zum Wettbewerb. Wie ist denn das mit den Mattersburger Bäcke­reien? Kaum haben sie in Ungarn, in Sopron Geschäfte gekauft, haben sie die gesamte Backstube dorthin verlegt, und jetzt pendeln sie zurück nach Mattersburg und verkaufen das als burgenländisches Brot! Dieses Beispiel habe ich von Ihnen noch nie gehört – weil Sie sich eben nicht darum kümmern, nicht hinschauen, sondern nur Ängste schüren. (Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Ich kann Ihnen ein paar solche Missstände erzählen. Ich kann Ihnen auch erzählen, was wir tun. Wir schauen zum Beispiel, was im Seewinkel passiert, wo unter anderem auch Ihrer Partei sehr nahestehende Gärtnereien 3,50 € pro Stunde zahlen. (Uh-Rufe bei SPÖ, ÖVP und Grünen.) Wir schauen da nicht weg, wir schauen schon jetzt hin. (Zwischenrufe bei der SPÖ in Richtung FPÖ.)

Ich möchte ganz kurz noch ein paar inhaltlich relevante Punkte erwähnen. Die Frage der Verfolgbarkeit von Verwaltungsstrafen ist natürlich ein Thema, aber die Rechts­anwaltskammer hat auch auf ein paar Dinge vergessen. Sie hat darauf vergessen, dass es seit 2005 innerhalb der Europäischen Union einen Rahmenbeschluss über die Frage der Vollstreckbarkeit von Strafen gibt. Die wichtigsten Nachbarländer, nämlich Ungarn, Slowakei und Tschechien, sind diesem Rahmenabkommen beigetreten. Das ist einmal Punkt 1.

Punkt 2: Im Gegensatz zu Ihnen, die Sie sich hinstellen und sagen, wie gut das alles nicht funktioniert – wir „hackeln“. Ich war schon in Budapest (Bundesrat Krusche: Ich auch schon!) beim Arbeitsminister, beim Sozialminister und auch bei der Steuer­behörde. – In Budapest gibt es nämlich eine zentrale Steuerbehörde. (Bundesrat Gruber: Und wo wart ihr? Nirgends!)

Dann haben wir in diesem Gesetz noch etwas gemacht, auch das wird gern vergessen: Wir haben uns in diesem Gesetz auch eine Sicherheitsleistung gegeben – sie ist Teil dieses Gesetzes.

Das heißt: Wenn wir eine Strafe bei einer ausländischen Firma überhaupt nicht einheben können, dann kann man sich beim österreichischen Auftraggeber teilweise schadlos halten; und der österreichische Auftraggeber wird sehr daran interessiert sein, dass das nicht schlagend wird. Das ist auch Teil dieses Gesetzes. Man sollte immer beide Seiten sehen, denn Ihre Behauptung, die österreichische Bundes­regierung wäre untätig, muss ich zurückweisen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)


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Schauen Sie, ich habe überhaupt kein Problem damit, zuzugeben, dass da ein Fehler passiert ist. Uns ist bei den inländischen Arbeitskräften in der Landwirtschaft mit der Überprüfbarkeit ein Fehler passiert. Das ist überhaupt nicht mein Problem, dieser Fehler ist passiert. Ich möchte noch auf zwei Dinge hinweisen: Wir sind auf diesen Fehler selbst draufgekommen, im eigenen Haus. Wir haben keine Zurufe von außen gebraucht, sondern wir sind selbst draufgekommen, dass wir einen Fehler gemacht haben.

Wir sind dann selbst zum Koalitionspartner gegangen und haben gemeinsam beschlossen, das im Innenausschuss gestern so quasi in der Pipeline zu halten. Sie brauchen keine Angst zu haben, diese Bestimmung für die Landwirtschaft für inländische ArbeitnehmerInnen wird 14 Tage später gültig sein. Ich glaube, in der Geschichte Europas wird in 14 Tagen nicht die Welt zusammenbrechen. (Zwischenruf des Bundesrates Krusche.)

Weil hier gesagt wurde, mit der Rot-Weiß-Rot-Card würden die Menschen nur so hereinströmen. (Bundesrat Brückl: Die sind eh schon unterwegs!) – Ganz im Gegenteil! Ich glaube, Sie sollten einmal die Bestimmungen der Rot-Weiß-Rot-Card lesen. Bei der Rot-Weiß-Rot-Card gibt es zwei gravierende Probleme – die Grünen werden Ihnen dazu einiges anderes sagen als ich; das hat gesellschaftspolitische Gründe.

Da gibt es zwei gravierende Probleme. Punkt 1: Man braucht einen inländischen Arbeitnehmer, der einem überhaupt einen Arbeitsplatz zur Verfügung stellt. Punkt 2: Es gibt gewisse Mindestkriterien, die man erfüllen muss.

Würden Sie das genau lesen, würden Sie merken: Das ist in Wirklichkeit die Abbildung der Mangelberufsliste und der Schlüsselkräfte-Verordnung. Das ist in Wirklichkeit das, was passiert ist. Es geht um einen geordneten Zugang zum Arbeitsmarkt, um ein geordnetes System.

Dass wir von Familienangehörigen – das ist hier der größte Kritikpunkt – nicht nur eine sogenannte Deutschprüfung verlangen, sondern ihnen auch ab dem ersten Tag am Arbeitsmarkt die Möglichkeit geben, zu arbeiten, halte ich persönlich für einen enormen sozialpolitischen Fortschritt im Interesse der Frauen, denn bisher mussten sie zwölf Monate zu Hause bleiben und warten, bis sie in Österreich einen Beruf ergreifen durften. Jetzt hingegen können sie ab dem ersten Tag hier arbeiten (Bundesrätin Michalke: Und in Wahrheit ...!) – und in Wahrheit in unser Sozialsystem einzahlen!

Meine Damen und Herren, ich weiß, dass Sie das alles nicht gerne hören, aber es gibt 400 000 Österreicherinnen und Österreicher, die im Ausland arbeiten. Gerade Sie, Frau Bundesrätin Michalke, kommen aus einem Landesteil, wo die Frage, ob man im Ausland arbeiten soll, überhaupt kein Thema ist: Einmal arbeiten Sie in Deutschland, das nächste Mal in der Schweiz, das dritte Mal in Liechtenstein, und manchmal weiß man gar nicht genau, wo man gerade ist. Das ist kein Vorwurf, da ist eben so ein enger Ballungsraum.

Was ich damit sagen will, ist: Haben wir doch keine Angst vor einem gemeinsamen Europa! Haben wir doch keine Angst vor einem Step-by-step-Übergang in einen gemeinsamen Arbeitsmarkt! Eines ist nämlich ganz klar: Wir haben viele Studien durchgeführt, und ich habe mit Professor Aiginger erst vor Kurzem eine Studie vor­gestellt. Das ist keine „Eintagsfliegen-Studie“, sie wurde schon 2004 begonnen. Seit 2004 messen wir diese Länder, und es ist herausgekommen: 20 000 bis 25 000 werden es werden. Ja, wir haben 3,4 Millionen Beschäftigtenverhältnisse. Ich werde Ende des Monats diese 3,4 Millionen der österreichischen Bevölkerung wieder darstellen dürfen – der höchste Beschäftigtenstand, seit es diese Republik gibt.


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Wir müssen, glaube ich, der Bevölkerung sagen: Ja, da oder dort müssen wir genau hinschauen. Darum dieses Gesetz. Wir müssen genau kontrollieren, dass kein Lohn­dumping betrieben wird, das ist gar keine Frage. Aber wir haben auch profitiert von dieser Öffnung Europas, denn bei allen Statistiken, bei allen internationalen Bewer­tungen werden Sie auch eines lesen und sehen: Österreich war der Hauptprofiteur der Osterweiterung. – Danke. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

14.19


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Zu Wort gelangt nun Herr Bundesrat Dönmez. – Bitte.

 


14.19.10

Bundesrat Efgani Dönmez, PMM (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich kann diese diffusen Ängste bei den Vertreterinnen und Vertretern der FPÖ und auch Teilen des BZÖ wirklich durchaus nachvollziehen, denn wenn man nicht in der Lage ist, über den Teller­rand hinauszuschauen, hat man natürlich Angst, dass einem jemand in die Suppe spuckt. Das Gleiche war schon 1995, vor dem EU-Beitritt, als der verstorbene Landeshauptmann und viele, viele andere aus dem rechten Lager uns davor gewarnt haben, dass wir überrannt würden – von den Polen, Tschechen, Russen, ja sogar die Türken würden kommen.

Wie schaut es denn heute aus? – Wir profitieren davon, genauso wie es meine Vorrednerinnen und Vorredner und der Herr Minister richtig angemerkt haben. (Bun­desrätin Blatnik: Part of the game!)

Kollege Brückl hat – wie so viele in seiner Partei – immer wieder eine Diktion in den Mund genommen, die für mich zwei Rückschlüsse zulässt: Entweder wollt oder könnt ihr es nicht verstehen! (Bundesrat Kraml: Letzteres!)

Der Herr Minister hat zahlreiche nachweisbare Studien im Parlament und in den Medien publiziert und zur Sprache gebracht, die aufzeigen, dass es keine Zuwan­derung ins Sozialsystem gibt. Wir profitieren davon. Die Ausländer zahlen mehr ein, als sie herausnehmen. Nochmals: Sie zahlen mehr ein, als sie herausnehmen. Das ist, glaube ich, ganz einfach zu merken, auch für die Kollegen der FPÖ.

Meiner Meinung nach stellen das Problem nicht ein paar arbeitswillige europäische Bürgerinnen und Bürgern dar, die herkommen, um zu arbeiten – man tut so, als handle es sich um Heuschreckenschwärme; wir wissen, dass Heuschrecken anders einfallen, und dieser Vergleich ist meines Erachtens sowieso pietätlos –, sondern die Probleme, mit denen wir zurzeit konfrontiert sind, haben ganz andere Ursachen.

Obwohl wir diesem Gesetz zustimmen werden, üben wir auch Kritik daran, und zwar in der Form, dass sachliche Kritik geäußert wird, die keine Sündenpolitik ist und Unschul­dige einfach als Schmarotzer und Kriminelle darstellt. Das ist auch möglich.

Lohn- und Sozialdumping findet statt. Das ist ein Faktum, und es ist höchst an der Zeit, dass dagegen Maßnahmen ergriffen werden. Mir liegt vor allem der enorme Anstieg der prekären Arbeitsverhältnisse sehr am Herzen. Immer mehr Menschen, die arbeiten, finden mit ihrem Einkommen kein Auskommen, sind sozial nicht oder zu wenig abgesichert, weil sie keinen umfassenden Versicherungsschutz haben. Wir brauchen eine Neudefinition der Arbeit.

Wir Grüne in Oberösterreich werden dazu einen Zukunftskongress am 1. Mai abhalten, sozusagen eine Gegenveranstaltung oder Parallelveranstaltung zum Maiaufmarsch der SPÖ. (Ruf bei der FPÖ: Sind wir da eingeladen?) Aber vielleicht kommen ja die oberösterreichischen Kollegen auf ein Seiterl vorbei, und wir plaudern ein bisschen. Ich würde mich freuen. (Bundesrat Mag. Klug: Erst danach!)


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 94

Wenn wir über unterbezahlte Leistung reden, so fällt mir als Erstes der Pflegebereich ein. Die Arbeitsbedingungen in dieser Branche sind alles andere als in Ordnung, und es ist kein Wunder, dass wir den Bedarf an Pflegekräften nicht decken können. Wenn ausgebildetes Personal diese Arbeit höchstens ein paar Jahre aushält, ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass da große Missstände herrschen. Der größte Missstand ist meiner Meinung nach höchstwahrscheinlich die schlechte Bezahlung.

Aber nicht nur bei der Pflege sehen wir große Defizite, der gesamte Dienstleistungs­sektor leidet an chronischer Unterbezahlung, und die Tendenz des Einkommens ist sinkend. Die Kolleginnen und Kollegen mussten in den vergangenen Jahren reale Einkommensverluste hinnehmen. Dieser Trend wird sich noch fortsetzen, weil es im Dienstleistungsbereich zu weiteren Rationalisierungen kommen wird. Wir werden die computergestützte Automatisierung nicht aufhalten können, auch nicht an den Grenzen, und bei diesem Strukturwandel werden viele Arbeitsplätze verloren gehen. Das heißt, dass es zu einem noch größeren Verteilungskampf kommen wird, der über die Grenzen Österreichs hinausgeht.

Da stimme ich einem Kritikpunkt aus eurem Eck wirklich zu, nämlich dem, dass für jene, die keine bis eine schlechte Ausbildung und Qualifizierung haben – das ist belegt und nachvollziehbar –, in diesem Segment der Druck und der Konkurrenzkampf sicher größer werden wird. Da habt ihr recht, aber ich glaube, das erkennen wir alle. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir in Bildung, in Qualifizierung investieren. (Beifall der Bundesrätin Kerschbaum.)

Die Frage lautet nun, wie man mit diesem Phänomen umgeht. Polemisch könnte man jetzt die Frage stellen: Sollen auch an dieser Entwicklung die Ausländer schuld sein? – Tatsache ist, je mehr automatisiert und rationalisiert wird, desto weniger Arbeitsstun­den im Niedriglohnsektor fallen an; ein Mehr an Arbeit würde es nur für SpezialistInnen und ExpertInnen geben. Der Ansatz muss, wie ich schon gesagt habe, Bildung sein.

Was wir aber bei der sogenannten Bildungsreform erleben, deutet darauf hin, dass den Verantwortlichen nicht bewusst ist, was auf uns zukommt. Wir brauchen viel mehr Hochgebildete in diesem Land, wenn wir langfristig unsere Lebensqualität halten wollen. Ich weiß, dass das Bildungsbudget kaum gekürzt wurde, wenn, dann nur indirekt. Aber die Mittel, die wir bräuchten, um im internationalen Vergleich aufzuholen, werden nicht zur Verfügung gestellt. Da ist der Rückstand in den vergangenen Jahren einfach zu groß geworden.

Bildung ist der eine Ansatzpunkt, der andere ist die soziale Absicherung unter Wahrung der Menschenwürde. Wir brauchen ein System, das ein Absinken großer Gruppen in Armut verhindert. Das ist meiner Meinung nach die bedarfsorientierte Grund­sicherung und nicht diese Mini-Mindestsicherung, um die sich die Menschen anstellen müssen. Ich finde das schon interessant: Auf der einen Seite werden Bettel­verbote verabschiedet, und auf der anderen Seite wird Betteln praktisch institutio­nalisiert.

Mit der bedarfsorientierten Grundsicherung können wir kostenneutral neue Perspek­tiven für viele NiedriglohnbezieherInnen schaffen.

Wie gesagt, das Sozial- und Lohndumping-Bekämpfungsgesetz, das wir heute be­schließen, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Gleichzeitig ist es ein Beweis dafür, dass die Zeichen der Zeit nicht ausreichend verstanden werden.

Dass das vorliegende Gesetz nur greift, wenn wir es auch tatsächlich exekutieren können, ist klar. Daher brauchen wir ausreichend Kontrolle, und wir brauchen auch ein Verbandsklagerecht, um Missbrauch aufzudecken und zu bestrafen.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 95

Darüber hinaus fordern wir einen neuen Verwaltungsstraftatbestand, der Sozialbetrug ahndet. Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen ist nichts anderes als Sozial­betrug.

Eines möchte ich zum Schluss wiederholen: Es bringt uns nicht weiter, wenn wir in den Reihen der Unterbezahlten und Ausgebeuteten nach Schuldigen suchen.

Wir werden dem ersten Teil, Tagesordnungspunkt 9, zustimmen, dem zweiten Teil werden wir nicht zustimmen. Sie haben es schon skizziert, die Rot-Weiß-Rot-Karte ist ein wichtiger und richtiger Schritt, Herr Minister. Ich begrüße diesen Schritt, weil es höchst an der Zeit ist; eigentlich ist für uns der Zug schon längst abgefahren. Das sagen alle Spezialisten, denn die Experten und Expertinnen, die sich am Markt orientieren und für die sozusagen ein Wechsel des Arbeitsortes in Frage kommen würde, sind schon längst in vielen anderen Ländern.

Die Kriterien, die aufgestellt worden sind, sind sehr streng, werte KollegInnen der FPÖ. Daher kann man nicht einfach sagen, man sollte sie, so wie es der Kollege polemisch formuliert hat, gleich bei der Bankomatkarte als Zusatzoption mit draufbuchen. Es gibt Kriterien, deren Erfüllung wird niemandem nachgeworfen, das wird niemandem geschenkt, diese sind sehr hoch angelegt. Die Kriterien müssen erst erfüllt werden, bevor man überhaupt in dieses Land kommen kann. Und selbst dann bedeutet das nicht, dass die Person für unbegrenzte Zeit hier bleiben darf, sondern der Aufenthalt ist zeitlich befristet, und bei jeder Verlängerung muss der Nachweis erbracht werden, dass die sonstigen Erteilungsvoraussetzungen, auf die ich jetzt aufgrund des Zeitmangels nicht näher eingehen möchte und kann, erfüllt werden.

Bitte, hört endlich einmal mit dieser Panikmache auf! Das bringt uns nichts. Wenn ihr patriotisch sein möchtet, dann schaut, wie der Herr Minister gesagt hat, in die anderen Länder. Schauen wir, dass wir ein Klima des Willkommens schaffen, aber auch die Probleme, die es gibt, ganz offen und ehrlich benennen. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Mit einer Sündenpolitik, bei der man Schuldige betitelt, gewinnen wir nichts, wir verlieren nur – international, und auch das Klima in diesem Land wird dadurch nicht besser.

In diesem Sinne: Punkt 9 stimmen wir zu; Punkt 10: Njet. (Beifall der Bundesrätin Kerschbaum.)

14.28


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Lugsteiner. – Bitte.

 


14.29.03

Bundesrätin Juliane Lugsteiner (SPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsi­dentin! Lieber Herr Minister! Am 1. Mai 2011 wird der Arbeitsmarkt auch für EU-Bürger aus Ungarn, Tschechien, der Slowakei, Slowenien, Polen, Estland, Litauen und Lettland geöffnet. Für Bürger aus Rumänien und Bulgarien wird die Übergangsfrist hinsichtlich der Ausnahme von der Arbeitnehmerfreizügigkeit bis Ende 2013 verlängert. Wir werden heute einen Teil des Regierungsprogramms beschließen, das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz.

Die siebenjährige Übergangsfrist läuft mit Ende dieses Monats aus, und da werden zusätzliche Schutzmechanismen eingebaut. Allen Arbeitnehmern aus dem EU-Raum, aus den Drittstaaten, aber auch aus Österreich wird mit diesem Gesetz der Kollektiv­vertragslohn gesichert.

Obwohl fast alle Arbeitnehmer von Kollektivverträgen erfasst sind, kommt es immer wieder vor, dass Arbeitnehmer nicht das Entgelt erhalten, das ihnen zusteht. Dieses


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 96

Gesetz soll dazu beitragen, gleiche Bedingungen, Wettbewerbsfähigkeit und Abgaben für alle gleich festzulegen. Das sichert Arbeitsplätze und verhindert Lohndumping.

Lohn- und Sozialdumping ist eine Vorgangsweise, bei der auch großer volkswirt­schaftlicher Schaden entsteht. Es geht um die Sicherung von Arbeitsplätzen. Lohn­dumping ist etwas, das jeder Arbeitnehmer spürt. Es fällt der Verdrängungswettbewerb auf dem Arbeitsmarkt weg, wenn alle den gleichen Lohn für ihre Arbeit bekommen. Unerlaubter Wettbewerb trifft gerade Klein- und Kleinstbetriebe. Dieses Gesetz sichert Arbeitsplätze, und unser Sozialversicherungssystem wird nicht geschädigt.

Eine große Aufgabe kommt den Betriebsräten zu, die darauf achten, dass arbeits­rechtliche Vereinbarungen eingehalten werden, das heißt, auch Zulagen sollen den Arbeitnehmern nicht vorenthalten werden. Es wird jetzt leichter zu kontrollieren, ob Leiharbeiter und selbständig Angestellte den gleichen Grundlohn erhalten. Es müssen sich alle an die Regeln halten, es gelten unsere Löhne.

Bisher musste man auch den Grundlohn zahlen. Zahlte man zu wenig und es kam zu einer Prüfung, konnte man nachzahlen. In Zukunft wird es, wie Herr Bundesrat Klug schon angeführt hat, neben der Nachzahlung auch Strafen geben, im Extremfall bis zu 50 000 € oder gar den Entzug der Gewerbeberechtigung.

Dieses Gesetz gilt für alle Arbeitgeber in Österreich, aber auch für Arbeitgeber ohne Sitz im Inland, die Dienstnehmer nach Österreich entsenden, überlassen oder mit gewöhnlichem Arbeitsort in Österreich beschäftigen. Anhand der Lohnunterlagen wird überprüft, ob jener Grundlohn bezahlt wird, der diesem nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien gebührt.

Eine besondere Informationspflicht haben ausländische Arbeitgeber, die die Unter­lagen am Arbeitsplatz bereithalten müssen. Für die Feststellung des Grundlohns sind Kontrollen vorgesehen. Von einer Strafe ist abzusehen, wenn es sich um eine geringe Unterschreitung des Grundlohns handelt.

Dieses Gesetz schafft Sicherheit für die österreichischen Arbeitnehmer, nicht durch sogenannte Billigarbeitskräfte vom Arbeitsmarkt verdrängt zu werden. Dieses Gesetz ist der richtige Weg, und wir werden gerne zustimmen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

14.32


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Winzig. – Bitte.

 


14.32.58

Bundesrätin Dr. Angelika Winzig (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Prä­sidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! In Bad Ischl ist dieser Konsens unserer Sozialpartner entstanden, einerseits das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz, andererseits die Rot-Weiß-Rot-Karte. Einige von uns waren ja dort. Erstaunlicherweise habe ich von Ihrer Fraktion (in Richtung FPÖ) dort niemanden getroffen. Da hat, glaube ich, auch niemand mitgearbeitet. (Bundesrat Ertl: Haben Sie das im Geheimen gemacht?) – Ja, sehr geheim. Die Interessen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber zu vertreten, Herr Kollege, das ist wirklich irrsinnig geheim.

Ihre Befürchtungen zum Arbeitsmarkt finde ich schon ein bisschen skurril. Wir wissen, die Mobilität der Arbeitnehmer dieser Länder ist sehr gering, genauso wie die Mobilität unserer Arbeitnehmer in Österreich sehr gering ist.

Wir haben zurzeit eine Arbeitslosenrate von 4,3 Prozent, die Tendenz ist weiter sinkend, und wenn Sie sich ein bisschen in Ihrer Region umschauen, dann wissen Sie, wie sehr Fachkräfte gesucht werden.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 97

Wir suchen verzweifelt Fachkräfte in der Gastronomie. Wir haben extrem viele offene Stellen, aber wir bekommen über das AMS niemanden. Das sollte man auch einmal berücksichtigen. Wir haben 30 arbeitslos gemeldete Kellner, aber diese Menschen kommen leider nicht zu uns in die Betriebe, obwohl sehr viele Qualifikationsmaßnah­men gesetzt werden. Wir investieren immerhin 600 Millionen € für die Qualifikation unserer Arbeitslosen.

Ich hoffe, dass das auch unseren heimischen Arbeitslosen einen Motivationsschub gibt, wieder in den Arbeitsmarkt einzusteigen.

Da der Erfolg der österreichischen Wirtschaft nicht auf der Ausbeutung der Mitarbeiter basiert, sehe ich auch bei den Unternehmerinnen und Unternehmern kein Problem mit diesem Gesetz, ganz im Gegenteil, es wird gleiche Wettbewerbschancen schaffen.

Wir werden bei der Umsetzung natürlich auch von Wirtschaftskammerseite her ganz genau beobachten, ob die Gratwanderung zwischen effizienter Kontrolle und flächendeckender Schikane tatsächlich gelingt.

Wichtig ist mir auch, dass die KMUs bei geringer Verfehlung nicht bestraft werden, sondern nachzahlen können, denn unser Kollektivvertragssystem ist sehr umfassend, und als Kleinbetrieb kann man das allein nicht mehr durchschauen und braucht eine qualifizierte Beratung.

Dieses Paket mit der Rot-Weiß-Rot-Card ist sehr gelungen. Bei der Rot-Weiß-Rot-Card – Sie haben das angeschnitten, Herr Minister – werden neben der fachlichen Qualifikation auch Deutschkenntnisse gefordert. Das ist mir als KMU-Vertreterin sehr wichtig, denn gerade im Kleinbetrieb, wo Menschen handwerklich sehr eng miteinander arbeiten, ist es für die Arbeitssicherheit ein sehr wichtiger Punkt, dass Deutschkennt­nisse nicht erst nach ein oder zwei Jahren vorhanden sind, sondern bereits dann, wenn die Mitarbeiter in die Firma kommen.

Ich bin überzeugt davon, dass dieses Paket eine positive Weiterentwicklung unseres Arbeitsmarktes bewirken wird, und daher stimme ich gerne zu. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie des Bundesrates Dönmez.)

14.36


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Bitte schön, Herr Kollege Mitterer.

 


14.36.40

Bundesrat Peter Mitterer (FPÖ, Kärnten): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bun­desminister! Ich war ursprünglich auf der Rednerliste, habe mich streichen lassen, aber jetzt trotzdem etwas vermisst in der gesamten Diskussion, nämlich einen Bereich: den grenznahen Arbeitsbereich, bei dem man im Lande Österreich arbeitet, aber noch in seinem Herkunftsland wohnt. Ich glaube, da gibt es wesentliche Punkte, die zu beach­ten sind.

Ich möchte zum Thema Polemik etwas anmerken: Wenn die Opposition aufzeigt, wo sie glaubt, dass es Fehlentwicklungen geben könnte, dann ist das Polemik, wenn der Herr Minister von der Ministerbank aus polemisiert, indem er einzelne Firmen nennt und an den Pranger stellt, dann ist das etwas ganz Normales.

Ich möchte festhalten, dass gerade das Polemik ist und dass das in einem Haus der Abgeordneten nicht Platz finden sollte. (Bundesrat Mag. Klug: Das eine sind Fakten, und das andere ist Polemik!)


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 98

Ich glaube, dass das Gesetz sehr viele positive Bereiche abdeckt, wirklich wahr. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) Es schützt die redlichen, ehrlichen und auch die sozialen Unternehmer. Ich glaube, das ist auch für den Wettbewerb wichtig. Aber trotzdem wird es kaum Schutz für den Arbeitnehmer und die Arbeitnehmerin im grenznahen Bereich geben. Bezahlung unter Kollektiv war bisher schon strafbar und wurde von der Arbeiterkammer und so weiter auch verfolgt, aber von Laibach nach Klagenfurt fährt man genau 50 Minuten, und wenn man dort das Doppelte oder Zweieinhalbfache verdient und dann am Abend wieder nach Laibach zurückfährt, dann, glaube ich, hat Österreich keinen Vorteil dabei. (Vizepräsident Mag. Himmer übernimmt den Vorsitz.)

In Österreich verdientes Geld wird der slowenischen Wirtschaft zugeführt, und das ist etwas, das also doppelter  (Bundesrätin Blatnik: Wie viele Unternehmen gibt es denn in Slowenien? Es gibt mehr arbeitende Menschen in Slowenien als da!) – Ich möchte nur darauf hinweisen, dass es wünschenswert gewesen wäre, wenn auch auf diesen Umstand Bezug genommen worden wäre, denn das betrifft nicht nur Kärnten, sondern auch die Steiermark, das Burgenland, Wien, Niederösterreich und Oberöster­reich, wo diese Fälle eintreten werden. Darauf haben wir, glaube ich, zu wenig Rück­sicht genommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte noch zu der Rot-Weiß-Rot-Card sagen: Es gibt so viele negative Stellungnahmen, auf die nicht eingegangen wurde. Das ist auch der Grund, warum wir ebenfalls dagegen stimmen, zwar mit anderen Argumenten als die Grünen, aber wir werden beiden Punkten natürlich nicht die Zustimmung geben. (Beifall der Bundesrätin Mühlwerth.)

14.39


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Hundstorfer. – Bitte, Herr Minister.

 


14.39.25

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Rudolf Hundstorfer: Meine Damen und Herren, ich möchte die Sitzung nicht verlängern, muss aber Folgendes doch sagen: Herr Bundesrat, wie viele Oberösterreicher sind vor 30, vor 20, vor 15 Jahren tagtäglich nach Bayern gependelt, pendeln heute, arbeiten angemeldet dort, zahlen dort Steuern und leben in Österreich?

Wie viele Vorarlberger machen das in der Schweiz? Wie viele Kärntner machen das in Slowenien? – Entschuldigung, wir leben in einem gemeinsamen Europa, und das Leben in diesem gemeinsamen Europa ist ein Geben und Nehmen und ein Step-by-Step-Zusammenwachsen.

Warum ist es denn solch eine Tragödie, wenn jemand einpendelt? Sagen Sie das doch den 11 000 Ungarn, die tagtäglich pendeln. Tagtäglich! Seit 20 Jahren, seit 15 Jahren. Die pendeln ganz entspannt. Wir haben zwischenzeitlich Österreicher, die nach Ungarn gezogen sind und zurückpendeln, weil in Ungarn die Grundstücke billiger waren. Wollen Sie all das nicht sehen? Entschuldigen Sie, wollen Sie all das nicht sehen?

Kommen Sie doch einmal aus Kärnten heraus und stellen Sie sich mit mir zu drei ungarisch-burgenländischen Grenzübergängen. Da werden wir dann sehen, welchen Verkehr es dort gibt, und zwar in beide Richtungen.

Zwischenzeitlich haben sich Menschen aus Bratislava rund um Kittsee angesiedelt, weil das Leben in Bratislava inzwischen teurer ist als in Kittsee. Wir haben nordburgen­ländische Gemeinden, die ein Bevölkerungswachstum aufweisen, weil sich Slowaken bei uns angesiedelt haben. Das ist doch Realität! Genauso wie es Schweizer Gemein­


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den gibt, die ein Bevölkerungswachstum gehabt haben, weil Vorarlberger dorthin gezogen sind.

Entschuldigen Sie, ich kann Ihre Aufregung einfach nicht nachvollziehen. – Fakt ist, es gibt Spielregeln, und eine weitere Spielregel wird mit diesem Gesetz geschaffen, damit sie auch eingehalten werden. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

14.41


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Perhab. – Bitte.

 


14.41.51

Bundesrat Franz Perhab (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Ich wollte mich als Dreizehnter auf der Rednerliste eigentlich nicht mehr zu diesem Tagesordnungspunkt melden, aber, Frau Kollegin (in Richtung der Bundesrätin Mühlwerth), Ihre Mitstreiter fordern das natürlich ein bisschen heraus.

Allgemein habe ich den Eindruck, dass diese Diskussion von der Natur der Sache her sehr arbeitnehmerlastig geführt wird. Wir als Unternehmer sind jedoch auch betroffen von diesen gesetzlichen Maßnahmen, im Guten wie im Schlechten. Das möchte ich hier auch betonen.

Herr Kollege Krusche, du bist ja auch einmal aus Tirol in die Steiermark zugewandert – das ist auch so eine Sache. (Allgemeine Heiterkeit.)

Zweitens grenzt die Steiermark meines Wissens nicht direkt an Ungarn an. (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrat Krusche: Es ist in der Nähe!)

Und drittens möchte ich dich fragen: Was glaubst du, aus welchem Land die größte Zuwanderung in den österreichischen Arbeitsmarkt stattfindet? – Aus Deutschland! Möchtest du die in Zukunft auch alle aussperren oder sonst etwas?

Das zeigt schon, wie komplex diese Materie ist. Und ich möchte schon sagen, dass wir in Österreich doch andere Rahmenbedingungen haben, die eine geordnete Zuwan­derung in den Arbeitsmarkt erlauben. Das betrifft nicht nur die Beschäftigungssituation. 87 Prozent unserer Branchen sind mit Kollektivverträgen abgedeckt – das gibt es nicht einmal in Deutschland, die kämpfen heute noch um Flächenkollektivverträge. Wir haben de facto den gesetzlichen Mindestlohn. Im Großen und Ganzen, so hoffe ich beziehungsweise davon bin ich überzeugt, haben die 300 000 Unternehmer in Öster­reich diese Dinge auch jetzt schon ohne Sanktion eingehalten.

Natürlich wohnen auch in meiner Brust zwei Seelen, wenn ich mir beispielsweise anschaue, dass die Finanzpolizei auf 600 Leute aufgestockt wird. Sie wird nicht nur jene Betriebe prüfen, die aus dem Ausland kommen oder ausländische Entsendungen vornehmen, sondern natürlich uns als einheimische Betriebe genauso. Ich habe selbst schon solch eine Prüfung gehabt. Also ganz angenehm ist das nicht, wenn vier Polizeiposten die Ausgänge besetzen und drei Beamte hereinkommen und sagen: Alles hört auf mein Kommando! Da geht es dann nicht nur um die Überprüfung der Beschäftigungsbewilligungen, da geht es auch um ganz andere Dinge.

Jede Medaille hat also zwei Seiten. Der Wirtschaft ist die Öffnung des Arbeitsmarktes willkommen. Ganz freiwillig haben wir das in Österreich ja nicht gemacht. Wir sind die Letzten in Europa neben Deutschland, die diese Übergangsbeschränkungen gehabt haben – sieben Jahre –, und es wäre fast unmöglich gewesen, eine weitere Verlän­gerung in Brüssel durchzusetzen. Das ist Fakt.

Also machen wir den nächsten Schritt, indem wir im Gegenzug dieses Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz beschließen zur Abfederung und Absicherung des erwarteten Zustroms neuer Arbeitskräfte. In der Steiermark wird der nach den Hoch­


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rechnungen 2 000 betragen. Aus Slowenien werden Sie keine Massenbewegung in die Steiermark sehen, denn Slowenien ist inzwischen ein hochentwickeltes Land mit einem ähnlichen Lohnniveau. Auch von der Bevölkerungszahl her gesehen, wird das keine große Rolle spielen. (Bundesrat Schennach: Tausende Kärntner arbeiten in Slo­wenien! – Bundesrat Mitterer: Weil auch Betriebe dorthin verlagert wurden!)

Letzten Endes stellt sich die Frage: Wollen wir als Europäer einen Binnenmarkt oder nicht? – Ich glaube, wir Österreicher, die wir ein bisschen in die Zukunft denken, stehen zu diesem Binnenmarkt. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

14.45


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Weitere Wortmeldungen hiezu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Die Abstimmung über die gegenständlichen Beschlüsse des Nationalrates erfolgt getrennt.

Wir gelangen zunächst zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 31. März 2011 betreffend ein Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz.

Der gegenständliche Beschluss bedarf nach Artikel 44 Abs. 2 Bundes-Verfassungs­gesetz der Zustimmung des Bundesrates bei Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder des Bundesrates und einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen.

Zunächst stelle ich die für die Abstimmung erforderliche Anwesenheit der Mitglieder des Bundesrates fest.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Ich bitte all jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

Nun lasse ich über den Antrag abstimmen, dem vorliegenden Beschluss gemäß Artikel 44 Abs. 2 Bundes-Verfassungsgesetz die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Der Antrag ist somit unter Berücksichtigung der besonderen Be­schluss­erfordernisse mit Mehrheit angenommen.

Ausdrücklich stelle ich die verfassungsmäßig erforderliche Zweidrittelmehrheit fest.

Wir gelangen nun zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 31. März 2011 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Ausländerbeschäfti­gungs­gesetz und das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 geändert werden.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist ebenfalls die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit ange­nommen.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 101

14.47.2411. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 31. März 2011 betreffend Europäische Sozial­charta (revidiert) (1068 d.B. und 1090 d.B. sowie 8476/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Wir gelangen zum 11. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Mag. Duzdar. Ich bitte um den Bericht.

 


14.47.36

Berichterstatterin Mag. Muna Duzdar: Der Bericht des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über den Beschluss des Nationalrates vom 31. März 2011 betreffend Europäische Sozialcharta liegt Ihnen in schriftlicher Form vor; ich komme daher gleich zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz stellt nach Beratung der Vorlage den Antrag,

1. gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben,

2. dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Art. 50 Abs. 2 Z 2 B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen

3. gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates, gemäß Art. 50 Abs. 2 Z 3 B-VG den gegenständlichen Staatsvertrag durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen, keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Ich danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Schennach. – Bitte.

 


14.48.37

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Lieber Herr Bundesminister! Als 1949 vor dem Hintergrund eines zerstörten Europa, zerstörter Demokratien, verfolgter Minderheiten, ermordeter Menschen, von Zwangsarbeit, in Straß­burg der Europarat gegründet wurde, hatte man das große Ziel, auf europäischem Boden die Menschenrechte, die politische Demokratie und die Rechts­staatlichkeit nicht nur wiederzufinden, sondern sie gemeinsam neu zu setzen. Und da gibt es zwei ganz große Säulen: Die eine ist die Europäische Menschenrechts­konvention, die sozusagen den Schutz der bürgerlichen Grundrechte und Grundfrei­heiten beinhaltet, und die andere ist die Europäische Sozialcharta, die die wirtschaft­lichen und sozialen Grundrechte umfasst.

Es war 1961 in Turin, als diese Europäische Sozialcharta aus der Taufe gehoben wurde, der in der Folge auch Österreich beigetreten ist. Österreich hat sie 1969 ratifiziert. Da geht es ein bisschen auch darum, nicht nur zu schauen, wie es im eigenen Land ist, sondern gleiche Rechte, gleiche soziale Standards, gleichen Zugang zu Grund- und Menschenrechten in ganz Europa zu schaffen.

Heute sind dieser Europäischen Sozialcharta Länder beigetreten wie Albanien, Rumänien, Aserbaidschan, Bosnien, Georgien, Moldawien, Montenegro und die Türkei, aber auch Staaten, die damals noch nicht dabei waren, wie zum Beispiel die Slowakei, Schweden oder die Niederlande und Finnland.

Diese Europäische Sozialcharta hat eine Modernisierung und Anpassung benötigt. Es wäre ein bisschen kompliziert nachzuvollziehen, was 1988, was 1990 war und warum 1999 was in Kraft getreten ist. Wichtig ist jedoch, dass ganz prinzipielle Artikel, in denen es zum Beispiel um Mutterschutz am Arbeitsplatz geht, um das Recht auf Arbeit, um das Recht, Gewerkschaften zu bilden, sich in Betrieben zu vereinigen, auf


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einem so breiten Konsens vom Kaukasus bis nach Portugal und von Finnland bis nach Georgien beruhen, und zwar gefasst als völkerrechtlich verbindlicher Vertrag. Ein völkerrechtlicher Vertrag bedeutet eine Verpflichtung, eine Bindung.

Man könnte einwenden, dass wir uns oft an irgendetwas binden. Die ganz große Beson­derheit dieser Europäischen Sozialcharta ist jedoch, dass sie jährlich für jedes Land evaluiert wird, dass es einen Überwachungsmechanismus gibt, indem das jährlich angeschaut wird.

Da so viele Staaten, an die 50, mit sehr unterschiedlichen innerstaatlichen Entwick­lungen, Verfassungen und konstitutionellen Grundstrukturen teilnehmen, bedarf es einer schrittweisen Umsetzung. Dafür hat die Europäische Sozialcharta ein paar ganz, ganz spannende Mechanismen entwickelt. Die, die sie ratifizieren – übrigens muss jeder zuerst einmal das 1961er-Papier unterzeichnen, dann kann er auch das jetzige unterzeichnen, das gilt also für alle –, sprechen grundsätzlich vom selben.

Jeder Staat hat die Verpflichtung, aus neun Grundrechten sechs für sein Land ver­pflichtend zu machen. Auszuwählen ist aus den folgenden neun Grundrechten – ich hoffe, das interessiert euch –: das Recht auf Arbeit, das Vereinigungsrecht, das Recht auf Kollektivvertragsverhandlungen, das Recht auf Schutz von Kindern und Jugend, das Recht auf soziale Sicherheit, das Recht auf Fürsorge, das Recht auf sozialen, rechtlichen und wirtschaftlichen Schutz der Familien, das Recht der Wanderarbeiter und ihrer Familien und das Recht auf Chancengleichheit und Gleichbehandlung ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. – Das sind die neun Grundrechte, und jeder Unterzeichnerstaat muss von diesen neun sechs nehmen und sagen: Ich verpflichte mich, die zu erfüllen, und das wird jährlich überprüft.

So, bis hierher wäre es noch leicht. Weiters muss jeder Unterzeichnerstaat weitere zehn Grundsätze zur Selbstverpflichtung auswählen. Da könnte ich zum Beispiel anbieten: das Recht auf gerechte Arbeitsbedingungen, das Recht auf gerechtes Entgelt, das Recht auf Mutterschutz, das Recht auf berufliche Bildung oder das Recht älterer Menschen auf sozialen Schutz. Von diesen müssen also weitere zehn ausge­wählt werden.

Das ist der Kern dessen, was wir heute hier vorliegen haben. Es gibt einfach ein paar Bereiche, in denen die Entwicklung weitergegangen ist. Aus ursprünglich 27 Artikeln sind heute bedeutend mehr geworden. Da geht es zum Beispiel um die Verlängerung des bezahlten Jahresurlaubs von zwei auf vier Wochen. Wir betonen immer, dass Europa eine andere soziale Tradition und eine andere soziale Verantwortung hat als die Vereinigten Staaten von Amerika, die ja das alles, wovon wir hier reden, im Grunde nicht kennen.

Seit 1961 sind ganz wichtige neue Aspekte hinzugekommen, wie zum Beispiel die Unterrichtung von Arbeitnehmerinnen und Arbeiternehmern über wesentliche Inhalte eines Arbeitsvertrages, die Neugestaltung der Schutzbestimmungen für Frauen, beson­dere Maßnahmen zur Umschulung und Wiedereingliederung von Langzeit­arbeits­losen. Völlig neu ist zum Beispiel auch die Erweiterung der Rechte behinderter Menschen. Dafür hat es 1961 einfach noch nicht das Bewusstsein gegeben, obwohl es natürlich auch damals sehr viele behinderte Menschen gab. Der Schutz der Kinder und Jugendlichen außerhalb der Arbeitswelt ist ein Schritt zu einer ganz neuen Qualität. Die Neuerungen gehen so weit, dass von einem Recht auf Wohnen und einem Recht auf Gesundheit am Arbeitsplatz die Rede ist, die es 1961 noch in keiner Weise gab.

Das waren jetzt Beispiele für neue Artikel. Wenn ich jetzt noch hinzufüge, dass man neben den sechs und den zehn verbindlichen Artikeln noch eine ganze Menge von Absätzen ebenfalls für verbindlich zu erklären hat, merkt man langsam, welchen Charakter dieses Werk hat. Man kann es wahrlich als wichtigen Baustein der sozialen


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Demokratie bezeichnen. Das ist etwas, von dem wir immer sagen, dass es der EU fehlt. Der EU fehlt ein solcher Baustein der sozialen Demokratie, aber der Europarat bietet mit seiner Europäischen Sozialcharta genau dieses Missing Link. Wir hoffen, das irgendwann einmal auch insgesamt in der Europäischen Union implementieren zu können und nicht nur teilweise – und trotzdem ist das einer der großen Meilensteile des Lissabon-Vertrags – in der Grundrechtscharta. Darüber hinaus ginge es um die Weiterentwicklung der Europäischen Union in eine soziale Union. Das fehlt noch! Diese große Brücke müssen wir noch bauen. Im Rahmen des Europarats ist das jedoch bereits einer der ganz, ganz großen Bausteine.

Ich freue mich, da ich gesehen habe, dass es keine Gegenstimme gibt, und ich hoffe, es bleibt bis zum Ende dieser Debatte auch so. – Danke. (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie bei Bundesräten der ÖVP.)

14.58


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bun­desrat Mayer. – Bitte.

 


14.59.06

Bundesrat Edgar Mayer (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minister! – Grüß Gott, Herr Minister! (Bundesminister Hundstorfer: Servus!) Übrigens, Herr Minister, ich wollte noch etwas anfügen zur Diskussion um das soziale Lohn­dum­ping, in der Vorarlberg und die Schweiz zitiert worden sind: Die Vorarlberger gehen und pendeln schon auch in die Schweiz. Das ist auch ein Akt der Entwicklungshilfe. (Heiterkeit bei der ÖVP.)

Wir haben die Schweiz und natürlich auch Liechtenstein aufgebaut. Das möchte ich doch noch erwähnen.

Kollege Schennach hat ziemlich ausführlich die Materie erklärt. Der vorliegende Vertrag, der revidiert wird, stammt aus dem Jahr 1999. Er ist, wie gesagt, eine ganz große Errungenschaft des Europarates. Das muss man hier in aller Deutlichkeit feststellen.

Ich bin mir nicht sicher, Herr Kollege Schennach, ob es hier lauter Zustimmung geben wird. Ich denke, dass die Freiheitlichen der Sozialcharta nicht zustimmen werden, aber ich komme vielleicht noch darauf zurück. Im Ausschuss war es auf jeden Fall so (Zwischenruf des Bundesrates Schennach), dass es keine Zustimmung gab. Aber das ist wahrscheinlich wieder eine andere Geschichte, oder? (Bundesrat Schennach: Das ist eine andere Geschichte!) Ein soziales Europa wollen wir auch nicht, Frau Kollegin Mühlwerth, oder? Das brauchen wir nicht, nein, nicht unbedingt. (Bundesrätin Mühlwerth: In gewissem Maße schon, aber nicht so gern ...!)

Was den geltenden Vertrag anbelangt, geht es natürlich um wesentliche Dinge im Sozialbereich. Es geht um sichere, gesunde Arbeitsbedingungen, ein gerechtes Arbeitsentgelt, eine adäquate Gesundheitsversorgung, Schutz gegen Armut – essen­zielle Dinge. Im Vertrag, der revidiert wurde und zur Beschlussfassung vorliegt – Kolle­ge Schennach hat es wirklich im Detail ausgeführt –, sind Bestimmungen wie etwa zum bezahlten Jahresurlaub enthalten. Ihr müsst euch einmal ansehen, was da alles an sozialen Errungenschaften drin ist. Dass Europa sich auf dieser Ebene entwickelt, Frau Kollegin Mühlwerth, ist ein entscheidender Punkt, oder?

Der Jahresurlaub wurde erwähnt, er wurde von zwei auf vier Wochen verlängert. Da sind wir längst darüber, da können wir bei der Zustimmung nur lächeln – mit Freude lächeln natürlich. Oder die Information der Beschäftigten über wesentliche Inhalte ihres Arbeitsvertrages, ein Recht auf Kündigungsschutz, das Verbot der Beschäftigung von Jugendlichen unter 18 Jahren in bestimmten gefährlichen, gesundheitsschädlichen


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Berufen, ein 14-wöchiger Mutterschaftsurlaub – wie kann man dagegen sein? –, ein Recht auf Wohnung sowie verpflichtende Maßnahmen zur Umschulung und Wiederein­gliederung von Langzeitarbeitslosen.

Das Recht, Kollektivverträge abzuschließen, Gewerkschaften und Vereinigungen in diesem Bereich zu gründen, wurde auch schon erwähnt. Weiters wurden auch die Schutzbestimmungen für Frauen erweitert und neu gestaltet, wie auch die Rechte behinderter Menschen, ein essenzieller Punkt in diesem Bereich. Österreich hat in der Behindertenarbeit – und das sieht man auch im Sozialbericht, Herr Minister, ich werde darüber nicht reden, aber ich möchte es ausdrücklich erwähnen – großartige Leistun­gen erbracht. Österreich ist natürlich noch nicht auf allen Ebenen – nicht nur im Baubereich – barrierefrei, aber Österreich ist im Bereich der Behindertenarbeit vorbildlich. Hier sind wir sehr gut unterwegs, und das möchte ich auch ausdrücklich erwähnt haben.

Unser Arbeits- und Sozialrecht ist natürlich auf einem hohen Level entwickelt, darum kostet es uns wirklich nicht allzu große Mühe, dieser Sozialcharta zuzustimmen. Es ist eigentlich ein Tagesordnungspunkt, bei dem jeder bei genauer Betrachtung und Einschaltung des Hausverstandes davon ausgehen kann, dass es sich um eine einstimmige Materie handelt. Es ist für mich wirklich nicht nachvollziehbar, wie man ein derartiges Stimmverhalten an den Tag legen und gegen diese Sozialcharta stimmen kann.

Da außerdem auch Länderkompetenzen betroffen sind – das haben wir im Ausschuss gehört –, bedarf es natürlich einer ausdrücklichen Zustimmung des Bundesrates. Wie gesagt, Kollege Stefan Schennach hat viel erwähnt, danke dafür. Meine Fraktion wird dieser Sozialcharta natürlich gerne die Zustimmung erteilen. – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

15.03


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bun­desrat Dönmez. – Bitte, Herr Kollege.

 


15.03.23

Bundesrat Efgani Dönmez, PMM (Grüne, Oberösterreich): Wertes Präsidium! Sehr geehrter Herr Minister! Werte KollegInnen! Seit ihrer Initiierung im Jahr 1961 wird die Sozialcharta laufend ergänzt. Zur Ratifikation ist es notwendig, zumindest 63 Absätze der Charta für bindend zu erklären.

Österreich hat bereits bisher diese Anforderung erfüllt, erklärt aber einige Teile nicht für bindend. Alles, was bereits gesetzlich abgesichert ist, kann für verbindlich erklärt werden. So betrachtet, ist die Charta eine hervorragende Auflistung jener Punkte, die in Österreich sozial- und arbeitsrechtlich zu verbessern sind. Leider legt die Charta keine innerstaatlichen Rechte fest. Wir stimmen der Ratifizierung trotzdem zu, wohl wissend, dass in vielen Bereichen Verbesserungen notwendig sind.

Aufgabe des Parlaments und der Regierung muss es sein, alle Artikel der Euro­päischen Sozialcharta innerstaatlich umzusetzen. Jede einzelne Bestimmung ist wichtig. Die Europäische Sozialcharta hat ihre Daseinsberechtigung mehr denn je, da wir – wie in vielen europäischen Staaten – ein immer größer werdendes Gefälle zwischen Reich und Arm zu verzeichnen haben. Die Einkommensschere öffnet sich immer weiter, und obwohl wir eine steigende Erwerbsquote haben, befinden sich immer mehr Menschen in Armut oder sind von Armut bedroht.

Einige Maßnahmen könnten wir rasch umsetzen, um die ärgste Gefahr zu bannen. Eine solche Maßnahme ist die Erfüllung von Mindestlöhnen. Mindestlöhne sind ein wirksames Mittel gegen die Probleme der Working Poor, wie wir Menschen nennen,


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 105

die zwar arbeiten, aber davon nicht leben können. Ein Mindestlohn stellt nur einen Teil eines umfassenden Maßnahmenpaketes dar, das wir von der Bundesregierung einfordern.

Der Begriff der Erwerbsarbeit beziehungsweise der ArbeitnehmerInnenbegriff bedarf einer Überarbeitung. Wir sind immer mehr mit prekären Arbeitsverhältnissen konfron­tiert. Freie DienstnehmerInnen oder neue Selbständige, wie sie auch genannt werden, verfügen über eine schlechte soziale Absicherung. Es ist ja nicht so, dass die Sozial­partner nicht darauf reagiert hätten. Es gibt eine Sozialpartnereinigung, die branchen­weise kollektivvertragliche Regelungen für Einkommen über 900 € bis zum Jahr 2008 beziehungsweise für Einkommen unter 900 € bis 2009 vorsieht. Durch diese Mindest­lohnregelung sollen je nach Quelle zwischen 20 000 und 50 000 Beschäftigte pro­fitieren.

Aus unserer Sicht ist diese Maßnahme völlig unzureichend, um das Problem der Working Poor in Österreich in den Griff zu bekommen. Zum einen ist der geforderte Mindestlohn von 1 000 € brutto – das wären 820 € netto – viel zu niedrig, zum anderen erreicht die Regelung besonders betroffene Gruppen gar nicht. Ich möchte noch zu bedenken geben, dass Österreich zur Minderheit jener Länder in Europa gehört, die keinen gesetzlichen Mindestlohn haben. Tatsache ist, dass die Lohnquote trotz höherer Beschäftigungsquote nicht gestiegen ist, und das gibt Anlass zur Sorge.

Wir Grüne unterstützen die Sozialcharta des Europarates jedenfalls und hoffen und fordern, dass die Ratifizierung eindeutige Verbesserungen in Österreich nach sich zieht. – Danke. (Beifall der Bundesrätinnen Kerschbaum und Dr. Kickert und bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)

15.06


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundes­rätin Kemperle. – Bitte, Frau Kollegin.

 


15.07.01

Bundesrätin Monika Kemperle (SPÖ, Wien): Herr Minister! Geschätzte Damen und Herren! Wertes Präsidium! Ich werde mich ein wenig mit technischen Entwicklungen im Zusammenhang mit der Sozialcharta befassen. Da Kollege Mayer diesmal vor mir gesprochen hat und wir uns die Punkte im sozialen Bereich meistens teilen, habe ich mir heute gedacht, ich gehe es einmal von der anderen Seite an, nehme es eher von der rechtlichen Situation in Augenschein und bewerte die Artikel. (Bundesrat Mayer: ... Schennach!)

Mit der Ratifikation der Europäischen Sozialcharta wird die Europäische Sozialcharta aus dem Jahre 1961 modernisiert und an die geänderten Bedingungen angepasst. Die revidierte Europäische Sozialcharta ist ein umfassender völkerrechtlicher Vertrag. Der Beschluss dazu ist ja bereits am 31. März 2011 im Nationalrat erfolgt.

Da durch die revidierte Europäische Sozialcharta Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder geregelt werden, die davon betroffen sind, bedarf diese der Zustimmung des Bundesrates. Gemäß den Erläuterungen trägt das österreichische Recht sechs von neun Kernartikeln beziehungsweise 73 nummerierten Absätzen der bereits 1999 unterzeichneten Sozialcharta Rechnung.

Um nur einige grundlegende Neuerungen durch die revidierte Sozialcharta zu nennen: Art. 3 Abs. 1 ist zum Beispiel neu und verlangt eine kohärente nationale Politik, die die Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit verbessert. Ebenso wurde Art. 7 Abs. 2 geändert. Die revidierte Fassung kennt im Gegensatz zur ursprünglichen ein konkretes Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung in bestimmten Berufen, die als gefährlich oder gesundheitsschädlich gelten. Das Mindestalter wurde auf 18 Jahre


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 106

festgesetzt. Ich glaube, das ist ein sehr guter Schritt hinsichtlich ArbeitnehmerInnen­schutzbestimmungen, vor allem was den Bereich Kinder und Jugendliche betrifft.

Erweitert wurde zudem Art. 15, das Recht behinderter Menschen auf Eigenständigkeit, soziale Eingliederung und Teilhabe am Leben der Gemeinschaft. Art. 15 bezieht sich nun nicht mehr nur auf die Ausbildung und berufliche Eingliederung oder Wiederein­gliederung, sondern sieht das Recht von Menschen mit besonderen Bedürfnissen auf Eigenständigkeit und soziale Eingliederung sowie auf Teilhabe am Leben der Gemeinschaft ausdrücklich vor.

Art. 17 wurde geändert und präzisiert nunmehr das Recht der Kinder und Jugendlichen auf sozialen, gesetzlichen und wirtschaftlichen Schutz außerhalb der Arbeitswelt. Der Anhang zur revidierten Europäischen Sozialcharta stellt klar, dass Art. 17 alle Per­sonen unter 18 Jahren erfasst, sofern nach dem auf das Kind anzuwendenden Recht die Volljährigkeit nicht früher erreicht wird.

Das Recht auf Chancengleichheit und Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes wurde allerdings – wegen bestehen­der Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern – nicht ratifiziert. Dieser Artikel verpflichtet die Vertragsparteien, die Anwendung des Rechts auf Gleichbehand­lung zu gewährleisten oder zu fördern und normiert ein Diskriminierungsverbot einschließlich des Entgelts sowie beim beruflichen Werdegang.

Durch die nun festgeschriebene Offenlegung der Gehälter im Gleichbehandlungs­gesetz hätte man hier durchaus mutiger sein können, zumal auch Länder diesen Artikel ratifiziert haben, die ebenfalls Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Män­nern verzeichnen. Das Recht auf Würde am Arbeitsplatz wurde durch den neuen Art. 26 aufgenommen. Abs. 1 verpflichtet die Vertragsparteien, in Beratung mit Organisationen der ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen das Bewusstsein hin­sicht­lich sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zu schärfen und alle Maßnahmen zu ergreifen, um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor solchem Verhalten zu schüt­zen.

Ebenso neu sind Art. 27 – das Recht der ArbeitnehmerInnen mit Familienpflichten auf Chancengleichheit und Gleichbehandlung – und Art. 28, welcher die Vertragsparteien verpflichtet, sicherzustellen, dass ArbeitnehmerInnenvertreter und -vertreterinnen im Betrieb gegen Benachteiligungen einschließlich Kündigung geschützt sind. Auf vorherrschende Systeme der Arbeitsbeziehungen sowie die Erfordernisse, Größe und Leistungsfähigkeit des jeweiligen Betriebes wird dabei Rücksicht genommen.

Besonders schmerzlich ist jedoch, dass sich die Arbeitgeberseite nicht zur Ratifizierung des Art. 6 Abs. 4 durchringen konnte. Um die wirksame Ausübung des Rechts auf Kollektivvertragsverhandlungen zu gewährleisten, verpflichten sich in Art. 6 die Ver­tragsparteien gemäß Abs. 1, gemeinsame Beratungen zwischen ArbeitnehmerIn­nen und ArbeitgeberInnen zu fördern, und gemäß Abs. 2, Verfahren für freiwillige Ver­handlungen zwischen ArbeitgeberInnen oder ArbeitgeberInnen-Organisationen einer­seits und ArbeitnehmerInnen-Organisationen andererseits zu fördern – soweit dies notwendig und zweckmäßig ist –, mit dem Ziel, die Beschäftigungsbedingungen durch Gesamtarbeitsverträge zu regeln. (Vizepräsidentin Mag. Neuwirth übernimmt den Vorsitz.)

Weiters verpflichten sie sich gemäß Abs. 3, die Einrichtung und die Benützung geeig­neter Vermittlungs- und freiwilliger Schlichtungsverfahren zur Beendigung von Arbeits­streitigkeiten zu fördern, und anerkennen in Abs. 4 das Recht der ArbeitnehmerInnen und der ArbeitgeberInnen auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts im Falle von Interessenskonflikten vorbehaltlich etwaiger Verpflichtungen aus geltenden


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 107

Gesamtarbeitsverträgen. Die Absätze 1, 2 und 3 wurden bereits 1969 ratifiziert, nicht jedoch Abs. 4. Die Arbeitnehmerseite hat sich für die Ratifizierung des Art. 6 Abs. 4 ausgesprochen.

Hinzuweisen ist diesbezüglich auf die Judikatur des EuGH, der im Rahmen seines Urteils vom 11. Dezember 2007 – das ist die Rechtssache Viking Line – die Ansicht vertrat, dass das Recht auf Durchführung einer kollektiven Maßnahme einschließlich des Streikrechts als Grundrecht anzuerkennen ist, das fester Bestandteil der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ist.

Mit der revidierten Europäischen Sozialcharta werden die Ziele des Europarates, eine engere Verbindung zwischen seinen Mitgliedern herzustellen, um die Ideale und Grundsätze zu wahren und ihren wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu fördern, insbesondere durch die Erhaltung und Weiterentwicklung der Menschenrechte dem Zeitgeist angepasst und in modernisierter Form festgehalten.

Nicht modernisiert werden in Österreich die erwähnten Kritikpunkte, was natürlich schade ist. Wir werden der Europäischen Sozialcharta aber dennoch unsere Zustim­mung geben, weil wir glauben, dass das ein sehr guter Schritt hinsichtlich der Weiterentwicklung der sozialen Belange ist. – Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Mayer.)

15.15


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung.

Da der gegenständliche Beschluss Angelegenheiten des selbständigen Wirkungs­bereiches der Länder regelt, bedarf dieser der Zustimmung des Bundesrates gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 2 Bundes-Verfassungsgesetz.

Wir gelangen zunächst zur Abstimmung, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

Nun lasse ich über den Antrag abstimmen, dem vorliegenden Beschluss des National­rates gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 2 Bundes-Verfassungsgesetz die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Es ist dies die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

Des Weiteren lasse ich über den Antrag abstimmen, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates, gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 3 Bundes-Verfassungsgesetz den gegenständlichen Staatsvertrag durch die Erlassung von Gesetzen zu erfüllen, keinen Einspruch zu erheben.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Es ist dies die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 108

15.16.3312. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 31. März 2011 betreffend Internationale Ar­beits­organisation (IAO); Übereinkommen (Nr. 187) über den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz; Empfehlung (Nr. 197) über den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz (1069 d.B. und 1091 d.B. sowie 8477/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Somit kommen wir zum 12. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Lugsteiner. Ich bitte um den Bericht.

 


15.16.54

Berichterstatterin Juliane Lugsteiner: Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über den Beschluss des Nationalrates vom 31. März 2011 betreffend Internationale Arbeitsorganisation; Übereinkommen (Nr. 187) über den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz; Empfehlung (Nr. 197) über den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz.

Das Übereinkommen Nr. 187 legt fest, dass jeder ratifizierende Mitgliedstaat zur Ver­hütung von arbeitsbedingten Unfällen, Erkrankungen und Todesfällen in Beratung mit den maßgebenden Arbeitgeberinnen- und Arbeitgeberverbänden sowie den maßge­benden Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerverbänden die ständige Verbesserung des Arbeitsschutzes durch die Entwicklung einer innerstaatlichen Politik, eines inner­staatlichen Systems und eines innerstaatlichen Programms zu fördern hat.

Die Empfehlung (Nr. 197) betreffend den Förderungsrahmen für den Arbeits­schutz, 2006, ergänzt die Maßnahmen des Übereinkommens um weiter reichende Vorschläge zur innerstaatlichen Politik, zum innerstaatlichen System und zum inner­staatlichen Programm.

Da auch Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder geregelt werden, ist eine Zustimmung des Bundesrates gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 2 B-VG erforderlich.

Der Nationalrat hat anlässlich der Beschlussfassung im Gegenstand gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 3 B-VG beschlossen, dass dieser Staatsvertrag durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen ist.

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz hat den gegenständlichen Bericht des Nationalrates in seiner Sitzung vom 12. April 2011 in Verhandlung genom­men und stellt mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag,

1. gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben,

2. dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 2 B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen,

3. gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates, gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 3 den gegenständlichen Staatsvertrag durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen, keinen Einspruch zu erheben,

4. die Empfehlung (Nr. 197) über den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz zur Kenntnis zu nehmen.

 


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist der Klubvorsitzende Mag. Klug. – Bitte.

 



BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 109

15.18.38

Bundesrat Mag. Gerald Klug (SPÖ, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Uns liegen beide Übereinkommen vor. Das eine wollen wir gerne zur Kenntnis nehmen, das andere wollen wir gerne ratifizieren. Insofern lag es daher im Ausschuss auch in der Natur der Sache, dass sich die Frage aufgedrängt hat, welchen unmittelbaren innerstaatlichen Regelungsbedarf diese beiden Übereinkommen auslösen werden. – Das Diskussionsergebnis war ein sehr eindeutiges und ein sehr rasches: Einen sehr überschaubaren bis de facto fast gar keinen.

Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Erkenntnis, dass wir ein internationales Überein­kommen ratifizieren, dessen Inhalte wir innerstaatlich schon leben, die wir innerstaat­lich schon erfüllt haben, war natürlich für uns Sozialpolitikerinnen und Sozialpolitiker eine sehr, sehr angenehme, weil wir wissen, dass wir innerstaatlich eine aktive Sozialpolitik betreiben. Das ist das eine, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Zweitens wird den Sozialpolitikern immer Beharrlichkeit nachgesagt und dass Stillstand Rückschritt ist. Insofern möchte ich die heutige Gelegenheit nützen, um im Zusam­menhang mit diesen beiden Übereinkommen einen Kernpunkt hervorzuheben.

Wenn wir uns das genauer anschauen, dann sehen wir, dass durch diese Thematik des Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerschutzes sehr vieles angesprochen wird. Ich glaube, dass es gut täte  auch in der Plenarsitzung des Bundesrates –, uns in diesem Zusammenhang einmal bei den wesentlichen Schützerinnen und Schützern zu bedanken.

Erstens sind es die Arbeitsinspektorinnen und Arbeitsinspektoren, denen unser Dank gilt, auf der anderen Seite ist die Beratung sehr wichtig. (Zwischenruf bei der ÖVP.)  Ganz entspannt, es hat sich ohnehin alles geändert, es geht um Beratung, nämlich um die Personalvertreterinnen und Personalvertreter, die Betriebsrätinnen und Betriebs­räte, aber auch die Unternehmer, die sich bemühen ... (Bundesrätin Greiderer: -Innen!)  und Unternehmerinnen, habe ich ja gesagt! (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Zangerl, sämtliche Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerschutzvor­schriften einzuhalten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, einen Gedankenanstoß möchte ich noch geben, aber das richtet sich jetzt wirklich schon an jene, die sich mit den Materien auseinander­setzen. Daher schaue ich nach links und dann nach rechts zu unseren lieben Kolle­ginnen und Kollegen  dem Koalitionspartner , zum Teil auch noch zu den Grünen, aber der Rest macht echt keinen Sinn. (Allgemeine Heiterkeit. Zwischenruf des Bundesrates Zangerl.) Kollege Zangerl, Sie habe ich ja in der großen Familie schon gemeinschaftlich betrachtet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte den Blick für einen Teilaspekt im Arbeit­nehmerschutz schärfen, nämlich die arbeitsbedingten Erkrankungen. Die arbeitsbe­dingten Erkrankungen lösen de facto derzeit einen volkswirtschaftlichen Schaden von rund 2,8 Milliarden € aus. Das Wirtschaftsforschungsinstitut hat das erhoben. Ich glaube, dass wir uns in Zukunft in der Diskussion über den Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerschutz näher mit diesen arbeitsbedingten Erkrankungen auseinander­setzen sollten – Klammer auf: und auch müssten – Klammer zu.

Das hat mehrere angenehme oder notwendige Nebenerscheinungen. Die eine notwen­dige Nebenerscheinung führt im Wesentlichen dazu, dass wir ein an sich sozialpolitisch sehr erstrebenswertes Ziel erreichen, wenn wir arbeitsbedingte Erkrankungen vermei­den oder es gelingen kann, gemeinsam arbeitsbedingte Erkrankungen zu reduzieren, nämlich dass unsere österreichischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gesund in


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den wohlverdienten Ruhestand gehen können. Ich glaube, da trennt uns inhaltlich nichts.

Insofern wollte ich diese Gelegenheit kurz ergreifen, um das Bewusstsein für diese arbeitsbedingten Erkrankungen wieder ein bisschen in den Vordergrund zu rücken, weil die Dinge in unserer heutigen Tagesordnung sehr verzahnt, sehr vernetzt sind und inhaltlich häufig zusammenhängen  für jene, die sich wirklich für das Thema interes­sieren.

Werte Kolleginnen und Kollegen, für die sozialdemokratische Fraktion ist das Thema Arbeitnehmerschutz und das Thema Gesundheit eines, das uns brennend interessiert und auch ein wichtiges politisches Anliegen ist. Insofern ratifizieren wir auf der einen Seite sehr gerne und nehmen natürlich auf der anderen Seite die beiden Überein­kommen sehr gerne zur Kenntnis.

Werte Kolleginnen und Kollegen, da ich beim Thema Gesundheit angelangt bin, erlau­ben Sie mir in diesem Zusammenhang eine kurze Anmerkung. Aufgrund der aktuellen politischen Entwicklung wurde uns allen deutlich vor Augen geführt, dass es neben der Politik wichtige Dinge gibt, und dass es neben der Politik auch ganz wichtige Dinge gibt, dass uns die Gesundheit alle vereinen und uns da oder dort daran erinnern sollte, dass sie nicht nur ein sehr hohes und wichtiges Gut ist, sondern dass wir alle  bei all unseren Bemühungen  daran denken sollten, dass es neben der Politik auch noch sehr wichtige andere Dinge gibt.

Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang im Namen der sozialdemokratischen Bun­desrats­fraktion, aufgrund der aktuellen personellen Änderungen unserem Koalitions­partner, dem Bundesparteiobmann der ÖVP, dem Vizekanzler, dem Finanzminister für seine weitere gesundheitliche Zukunft alles, alles Gute, beste Genesungswünsche und darüber hinaus für seine weitere berufliche Entwicklung das Allerbeste zu wünschen.

Ich möchte ihm seitens unserer Fraktion in aller Form für all die Tätigkeiten, die er in seiner politischen Funktion und während seiner Amtsausübung als Mitglied der Bundesregierung für die österreichische Bevölkerung geleistet hat, den Dank übermitteln.  Herzlichen Dank. (Allgemeiner Beifall.)

15.25


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als nächster Redner zu Wort gelangt Herr Bundesrat Mayer. – Bitte.

 


15.25.24

Bundesrat Edgar Mayer (ÖVP, Vorarlberg): Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Kollege Klug! Ich darf mich für die anerkennenden Worte für unseren scheidenden Bundesparteiobmann bedanken. Auch die Genesungs­wünsche haben wir wirklich sehr gerne gehört, wir werden es weiterleiten. Ich zolle Ihnen Respekt und sage nochmals ein ausdrückliches Dankeschön für diese Würdi­gung.

Zu den vorliegenden Vereinbarungen und zu den Abkommen: Ich bin eigentlich der Auffassung, dass man über die IAO, die Internationale Arbeitsorganisation, nicht besonders lange zu reden braucht, da es um Arbeitnehmerschutz geht. Das ist ein wichtiges Thema, das man nicht genug beachten und fördern kann. Ich denke, dem Dank des Kollegen Klug an alle UnternehmerInnen und ArbeitnehmerInnen, alle Betriebsräte, alle Sicherheitsvertrauenspersonen, die in diesem Bereich tätig sind und sehr vieles in unseren Betrieben leisten, kann man sich nur anschließen.

Wenn man die Statistik betrachtet, erkennt man, es ist die Zahl der Arbeitsunfälle – insbesondere in Österreich – stark zurückgegangen, weil wir da sehr, sehr aufmerksam und sehr weit entwickelt sind. Auch die Zahl der Unfälle – Betriebsunfälle, Arbeits­


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unfälle – ist stark zurückgegangen. Also wir sind da auf einem sehr guten Level, und dieses Übereinkommen beinhaltet ja auch Rahmenbedingungen des Arbeitsumfeldes, die verbessert werden sollen, auch im Bereich der Gesundheit und der Sicherheit. Weiters sollen dann auch noch Projekte entwickelt werden, die sich damit auseinan­dersetzen, Krankheiten zu minimieren und arbeitsbedingte Unfälle und selbstverständ­lich auch Todesfälle zu vermeiden.

Kollege Klug hat auch ausgeführt, dass wir im Sozialbereich, in der Sozialgesetz­gebung einen sehr hohen Standard haben, das hat bei uns in Österreich auch ein besonderen Stellenwert. Ich denke, wir haben auch in den letzten Jahren und Jahrzehnten kontinuierlich an dieser Sozialgesetzgebung gearbeitet und gefeilt. Es ist deshalb auch ein Leichtes für uns, diesem Übereinkommen, diesem Abkommen zuzustimmen – was meine Fraktion auch gerne tun wird. – Ich danke. (Allgemeiner Beifall.)

15.27


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als nächster Redner zu Wort gelangt Herr Bundesrat Dönmez. – Bitte.

 


15.27.48

Bundesrat Efgani Dönmez, PMM (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir werden dieser Vorlage auch unsere Zustimmung erteilen und damit den Vorschlägen der IAO gerne nachkom­men.

Wir unterstützen das Übereinkommen 187 und auch die Empfehlung 197, die den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz definiert. Ich möchte hier aber noch einmal darauf hinweisen, dass Maßnahmen, die dem Arbeitsschutz dienen, nicht selbstver­ständlich umgesetzt werden.

Einerseits brauchen Unternehmen eine vernünftige Beratung, und dann müssen wir natürlich auch in einem bestimmten Maße kontrollieren. Dazu ist das notwendige Fachpersonal zur Verfügung zu stellen. Damit die Arbeitsinspektoren und -inspek­torinnen auch erfolgreich arbeiten können, ist eine ausreichende Zahl von Inspektoren und Inspektorinnen anzustellen, damit wir auch weiterhin im Bereich des Arbeits­schutzes international gute Werte erzielen.

Zum Thema Arbeitsschutz möchte ich noch anmerken, dass nicht nur Arbeitneh­merinnen und Arbeitnehmer Schutzmaßnahmen ernst nehmen sollten, auch für die Unternehmer und Unternehmerinnen selbst haben die Maßnahmen Geltung.

Dasselbe gilt natürlich auch für die Bauern und Bäuerinnen. Bei uns in Oberösterreich gab es in der Landwirtschaft mehrere tragische Unfälle: Innerhalb von 14 Tagen sind vier Personen in eine Jauchegrube gefallen und dort ertrunken. Ich weiß, dass es in der Landwirtschaft viele ältere Betriebsnehmer gibt und dass viele auch nach der Pensionierung fleißig weiter arbeiten. Drei der vier Verunglückten sind Frauen, zwei davon aktive Betriebsführerinnen.

Es ist also nicht allein das Alter, in Verbindung mit immer größeren Maschinen und Gerätschaften, die vorherrschende Gefahrenquelle. Ich gehe davon aus, dass die zuständigen Interessensvertretungen rasch tätig werden. In erster Linie braucht es bewusstseinsbildende Maßnahmen, Information und Beratung und auch konkrete Vorschläge, wie diese Güllegrubenöffnungen sicherer gemacht werden können.

Ich hoffe, dass es in Zukunft keine derartigen Unfälle gibt und dass es sich sozusagen nur um Zufälle handelt. Nichtsdestotrotz sind Maßnahmen, die ein sicheres Arbeiten in


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 112

den Vordergrund stellen, zu begrüßen. Deswegen werden wir natürlich auch unsere Zustimmung erteilen. (Allgemeiner Beifall.)

15.29

 


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen nun zur Abstimmung.

Da der gegenständliche Beschluss Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbe­reiches der Länder regelt, bedarf dieser der Zustimmung des Bundesrates gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes.

Wir gelangen zunächst zur Abstimmung, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Es ist dies die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

Nunmehr lasse ich über den Antrag abstimmen, dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 2 Bundes-Verfassungsgesetz die verfas­sungsmäßige Zustimmung zu erteilen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Es ist dies die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

Nun lasse ich über den Antrag abstimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 3 Bundes-Verfassungsgesetz, den gegen­ständ­lichen Staatsvertrag durch die Erlassung von Gesetzen zu erfüllen, keinen Ein­spruch zu erheben.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Es ist dies die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenom­men.

Schließlich ersuche ich jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, die gegenständliche Empfehlung über den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Es ist dies die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

15.32.0813. Punkt

Sozialbericht 2009–2010 (III-418-BR/2010 d.B. sowie 8478/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Wir gelangen nun zum 13. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Mag. Duzdar. Ich bitte um den Bericht.

 


15.32.22

Berichterstatterin Mag. Muna Duzdar: Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über den Sozialbericht 2009–2010. Da der Bericht schriftlich vorliegt, komme ich gleich zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz stellt nach Beratung der Vorlage am 12. April 2011 den Antrag, den Sozialbericht 2009–2010 zur Kenntnis zu nehmen.

 



BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 113

Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Mühlwerth. – Bitte. (Bundesrat Mag. Klug: Bitte zustimmen!)

 


15.32.50

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Klug hat heute, glaube ich, seinen Wunschtag! – Nein, wir werden den Sozialbericht nicht zur Kenntnis nehmen, das voran. (Bundesrat Gruber: Das haben wir ja auch nicht erwartet!) Eben, ich wollte euch nicht enttäuschen.

Ich danke aber all jenen, die diesen Sozialbericht erstellt haben, denn das ist immer sehr viel Arbeit, sehr viel Zusammentragen von Material, und ich finde diese Arbeit gehört auch honoriert, auch von uns. Daher möchte ich mich bei all Ihren Mitarbeitern, Herr Minister, die diesen Bericht erstellt haben, auch gerne bedanken.

Die andere Seite eines solchen Berichtes ist eben immer, dass diese Medaille zwei Seiten hat. Das eine ist die Berichterstellung, das andere ist die politische Dimension, die dahinter steht, und die sehen wir halt nicht ganz so positiv.

Am 1. Mai sind die neuen Arbeitslosenzahlen präsentiert worden, und Sie, Herr Minister, haben ja vorher schon in der Nationalratssitzung angekündigt, dass die Arbeitslosigkeit erfreulicherweise gesunken ist – laut ORF-Bericht um 5,2 Prozent, und die Zahl der Schulungen ist auch um 17,3 Prozent zurückgegangen.

Das ist natürlich erfreulich, da jeder Arbeitslose einer zu viel für uns ist. Trotzdem sind laut diesem Bericht noch immer 322 102 Personen – inklusive jener, die in einer Schulung sind – arbeitslos. Auch wenn wir im Bereich der Europäischen Union eigentlich die Weltmeister sind, was ja toll ist, sind 322 000 Personen immer noch zu viel. Daher gibt es auch keinen Grund zu jubeln, vor allem wenn man einen Blick auf die Einkommen wirft und sieht, dass da sehr viele Working Poor dabei sind, die am untersten Ende der Einkommensskala angesiedelt sind. (Bundesrat Mag. Klug: Deshalb wollen wir ja kein Sozial- und Lohndumping!)

Ja, aber das hätten wir schon viel früher machen können! Ich meine, es ist traurig, dass ihr so lange gewartet habt, bis diese Arbeitsmarktöffnung gekommen ist, um euch endlich einmal durchzuringen, das zu machen. Es haben ja auch meine Kollegen gesagt, der Kollege Mitterer im Besonderen, dass da durchaus viel Positives dabei ist. Es sagt ja auch niemand etwas dagegen, dass es Kontrollen geben soll, dass sozialer Betrug verhindert werden soll – das sind ja alles durchaus positive Dinge. Trotzdem ist das ja als Gesamtpaket zu sehen, und da könnt ihr euch schon dafür genieren, dass ihr so lange gewartet habt, um endlich ein entsprechendes Gesetz zu machen. Jetzt müsst ihr euch nicht auf die Schulter klopfen und sagen, wie toll ihr nicht wart. (Beifall bei der FPÖ. Bundesrat Kraml: He, he!)

Die Zahlen über diese sogenannten Working Poor gehen ja auseinander. Im Sozial­bericht stehen 247 000, manche sagen, es seien mehr, nämlich bis zu 350 000. Wie viele auch immer es sind, jeder Einzelne ist zu viel, denn wir meinen doch alle, dass die Menschen ein Einkommen haben sollten, mit dem sie auch auskommen können, ohne dass sie drei Jobs machen müssen, damit sie ihre Miete, ihre Stromrechnung und ihre Telefonrechnung zahlen können.

Laut diesem Bericht sind 12,8 Prozent der Menschen immer noch armutsgefährdet. Das war 2008 schon so, das hat sich 2009 leider überhaupt nicht geändert, da ist die Zahl nämlich gleich, und es ist auch immer dieselbe Gruppe, die armutsgefährdet ist.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 114

Dies sind die Frauen, die Ein-Personen-Haushalte beziehungsweise die Ein-Elternteil-Haushalte, Mehrkinder-Haushalte – wo die Gefährdung ab dem dritten Kind sprunghaft zu steigen beginnt –, Langzeitarbeitslose und auch Migranten, die meistens mangels Bildung in sehr prekären Beschäftigungsverhältnissen sind.

Das hat aber zu einem großen Teil auch damit zu tun, dass sie die Bildung und Aus­bildung, die sie angeboten bekommen, nicht annehmen. Es ist nämlich nicht so, wie oft behauptet wird, dass sie benachteiligt sind, weil sie keine Angebote bekommen, sondern sie nehmen die Angebote leider nicht an. Aber gerade bei den Familien, die mit in diese armutsgefährdete Gruppe gehören – leider! –, hat die Bundesregierung bei ihrer Budgeterstellung den Sparstift am allermeisten angesetzt.

Bei allem Verständnis dafür, dass das Budgetdefizit gesenkt werden muss und dass wir unsere Schulden abbauen müssen, finde ich wirklich degoutant, muss ich sagen, dass man sich 80 Prozent im Bereich der Familien holt. Das ist nicht nur nicht in Ordnung, sondern das ist wirklich ungustiös.

Aber auch wenn wir uns die Lohnentwicklung anschauen, dann sehen wir, dass diese mehr als unbefriedigend ist. Laut Sozialbericht sind die Bruttoeinkommen zwischen 1995 und 2008 nur um 2,2 Prozent gestiegen. Die Nettoeinkommen waren rückläufig, nämlich minus 2,6 Prozent, und auch das betrifft vor allem wieder die niedrigen Einkommen. Die beiden untersten sind von 3,4 Prozent auf 2,7 Prozent beziehungs­weise von 12,1 Prozent auf 10,9 Prozent gesunken.

Gleichzeitig hat sich aber der oberste Einkommensanteil der 20 Prozent mit den höchsten Bezügen von 42,1 Prozent auf 43,6 Prozent erhöht, und das Einkommen von jenem einem Prozent, das am allermeisten hat, ist laut Sozialbericht um 32,4 Prozent gestiegen.

Das heißt, die, die am allerwenigsten haben, sind wieder und noch einmal mehr die Verlierer. Deshalb meinen wir, dass da doch wirklich grundsätzlich etwas falsch läuft, wenn die Menschen 40 Stunden in der Woche arbeiten gehen und ein Einkommen haben, mit dem sie nicht auskommen können. Das ist einer der Gründe, warum wir diesen Sozialbericht nicht zur Kenntnis nehmen – weil uns gar nichts anderes übrig bleibt, weil es keine andere Möglichkeit gibt – und glauben, dass da doch wirklich etwas falsch läuft.

Noch einmal: Die Hälfte der Zahl der erwerbstätigen Personen, die armutsgefährdet sind, sind nach wie vor und weiterhin in prekären Jobs tätig – ohne Aussicht, da je wieder herauszukommen. Damit gelange ich zur Ausbildung der Jugend.

1997 – ich kann mich noch erinnern – hat euer Genosse, damals Bundeskanzler Klima, gesagt, im Herbst werde kein Jugendlicher mehr auf der Straße stehen, er werde dafür sorgen, dass es Ausbildungsplätze für die Jugendlichen geben werde.

Das war der Beginn des Jugendausbildungs-Sicherungsgesetzes, also für all diese Maßnahmen, die dann im Zusammenhang damit getroffen worden sind, beispielsweise die überbetrieblichen Lehrwerkstätten. Die Regierung war zufrieden damit und ist es auch heute noch. Ich sage ja nicht grundsätzlich etwas dagegen – es ist besser, diese Jugendlichen sind in einer Ausbildungsstätte, als sie lungern irgendwo auf der Straße oder in einem Einkaufszentrum oder sonst wo herum und kommen auf allerlei dumme Ideen (Zwischenruf des Bundesrates Mayer) –, aber gegriffen haben die Maßnahmen auch nicht wirklich.

Herr Minister! Ich fordere Sie auf: Reden Sie einmal mit Ihren Berufsschullehrern, nämlich Berufsschullehrern, die auch durchaus der SPÖ zuordenbar sind! Die werden Ihnen sagen, wie diese Jugendlichen mit dem Ausbildungsprogramm umgehen: Die gehen dort hin und sitzen in den Berufsschulen, denn in dem Moment, in dem sie in


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 115

einer überbetrieblichen Lehrwerkstätte sind, haben sie ja das Recht, die Berufsschule zu besuchen. Aber es gibt viele Berufsschullehrer, die uns dann erzählen, die sitzen da drinnen, weil sie Geld bekommen, der Rest ist ihnen egal. (Bundesrätin Blatnik: Das stimmt nicht! Ich bin Berufsschullehrerin – das stimmt nicht, Monika! Das stimmt nicht!) – Ja, das mag vielleicht bei dir in Kärnten so sein. In Wien, das kann ich dir sagen, ist es in vielen Schulen so!

Und jetzt sind wir dort, worüber wir schon vorhin die ganze Zeit diskutiert haben. Wenn irgendjemand von der Opposition etwas Kritisches sagt, ist eure erste Reaktion: Das stimmt nicht! Das gibt es nicht, weil bei mir an der Schule, bei mir im Betrieb ist es nicht so! – Mag sein, das heißt aber nicht, dass es nirgends so ist. Tatsache ist, dass ich von den Berufsschullehrern immer wieder höre, dass diese Jugendlichen leider ohne jede Motivation da drinnen sitzen und das, was wir eigentlich wollen, nämlich sie auszubilden, nicht gelingt. (Zwischenruf des Bundesrates Mag. Klug.)

Der einzige und für die Regierung positive Effekt ist, sie sind aus der Arbeitslosen­statistik draußen, und wir können sagen, wir haben eine sehr niedrige Jugendarbeits­losigkeit, die wir wahrscheinlich sowieso hätten. Es ist nicht nur diese Maßnahme allein, denn ich glaube, dass unser duales Ausbildungssystem, unser berufsbildendes System ein wirklich gutes ist.

Dem Vorstoß, den der Herr Minister jetzt gemacht hat, nämlich die Berufsausbildung bis zum 19. Lebensjahr, glaube ich (Bundesminister Hundstorfer: 18!), bis zum 18. Lebensjahr zu garantieren und eine Nichtbeachtung durchaus auch mit Sanktionen zu belegen – sprich: eine Kürzung der Familienbeihilfe –, kann ich durchaus etwas Positives abgewinnen, auch wenn Ihnen die Verfassungsrechtler über die Zeitungen ausgerichtet haben, dass das alles rechtlich nicht möglich ist. Ich muss sagen, ich habe Verständnis dafür, weil ich doch meine, dass wir wissen, dass die Leute leider immer über Geld zu motivieren sind.

Wenn man den Eltern sagt: Wenn du deinem Kind oder dem Jugendlichen keine Ausbildung zukommen lässt, zwicke ich dir etwas vom Geld weg!, geht es plötzlich. Leider ist es so! Wir wollten, es wäre anders und es bräuchte diesen Druck nicht, weil ich doch meine, wesentlich ist ja, dass wir nicht die künftigen Hilfsarbeiter aus den Schulen herausbekommen, sondern qualifizierte Fachkräfte, was heute auch schon diskutiert worden ist, sodass wir keine vermehrte Zuwanderung brauchen, ob mit oder ohne Rot-Weiß-Rot-Card, sondern unsere eigenen Jugendlichen die entsprechende qualifizierte Ausbildung haben, um dann einen Job zu bekommen, denn das ist auch nicht immer so selbstverständlich.

Ich habe es noch gut im Ohr, als Schweißer gesucht worden sind. (Zwischenruf der Bundesrätin Dr. Winzig.) Es hat plötzlich geheißen, es werden viele Schweißer ge­braucht. – Da gab es wirklich genügend österreichische. Mir haben Lehrlinge, die sich um einen Job bemüht haben, gesagt, dass sie keinen bekommen haben, obwohl sie gute Zeugnisse von der Berufsschule hatten. Dann gibt es – ich kenne mich da nicht so genau aus – ein europäisches Schweißzertifikat, das sie auch hatten, und trotzdem haben sie keinen Job bekommen, obwohl angeblich so viele gesucht worden sind. (Bundesrätin Zwazl: Dann schick sie bitte nach Niederösterreich! Schick mir die Namen, ich vermittle sie innerhalb von 14 Tagen!) – Okay, vielleicht nehme ich dich beim Wort. Schauen wir einmal!

Trotzdem bleibt folgende Tatsache bestehen – und das besprechen wir ja in vielen Bereichen, weil die Schulbildung eben auch in viele Bereiche hineinfällt, natürlich auch in den Sozialbereich –: Wenn nach neun Schuljahren 20 Prozent aller Schulabgänger nicht ausreichend lesen und schreiben können, dann ist im System der Wurm drinnen. Und wenn ein großes Handelsunternehmen sagt: Wir nehmen sehr gerne Lehrlinge,


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aber wir nehmen halt nur die, die lesen, schreiben und rechnen können!, dann stimmt hier schon von vornherein etwas nicht und dann kann der Sozialbericht zum Teil natürlich auch nicht besser sein.

Das heißt aber, dass da die Politik versagt hat, denn wenn wir 2009 523 Millionen € und 2010 566 Millionen € für die Arbeitsmarktpolitik für Jugendliche ausgegeben haben, dann ist es zwar gut, wenn Geld in die Hand genommen wird, aber es sollte natürlich auch etwas bewirken. Eigentlich sollten wir so weit sein, dass wir nicht immer hinterher so viel Geld ausgeben müssen. Vielleicht können wir das Geld einmal vorher investieren und schauen, dass die Jugendlichen zumindest in den Kulturtechniken Lesen und Schreiben verfestigt ausgebildet sind. Da müssen wir eben schon bei der Volksschule ansetzen.

Es läuft also nach unserem Dafürhalten trotz aller Bemühungen, die wir ja durchaus anerkennen, vieles in die falsche Richtung, und ich sehe immer wieder, dass Sie dann nicht oder nur sehr schwer dazu bereit sind, doch eine Kurskorrektur vorzunehmen. Meistens ist es leider so, dass Sie sich immer selber oder gegenseitig auf die Schulter klopfen und sagen: Es passt eh alles, die Opposition betreibt Panikmache und hat unrecht, wie sie immer unrecht hat. (Bundesrat Gruber: Genau!) – Ja, das seht aber auch nur ihr so!

Das allein wird Österreich nicht weiterbringen. Die Bevölkerung diagnostiziert den Stillstand der Regierung nicht erst seit heute oder seit gestern, sondern schon seit Längerem.

Da wir dieses System so, wie es ist, nicht gut finden, werden wir diesen Sozialbericht auch nicht zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei der FPÖ.)

15.46


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Klubvorsitzender Mag. Klug. – Bitte.

 


15.46.33

Bundesrat Mag. Gerald Klug (SPÖ, Steiermark): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal darf ich mich seitens der sozialdemokratischen Bundesratsfraktion in aller Form bei dir, sehr geehrter Herr Bundesminister, für die Vorlage dieses Berichtes auf das allerherzlichste bedanken. Wir, jene, die sich dafür interessieren, finden darin auf 260 Seiten eine umfassende Darstellung, eine hervorragende Analyse, toll aufgearbeitete Hintergrund­informationen.

Wenn nicht Kollegin Monika Mühlwerth dazu gesprochen hätte, dann wäre in Richtung einiger Kolleginnen und Kollegen von der Opposition jetzt der Zeitpunkt gekommen gewesen, jenen Hinweis anzubringen: Datensicht vor der Rede schadet nie! Kollegin Mühlwerth ist jedoch jene Vertreterin der Opposition, die sich häufig bemüht, sich inhaltlich seriös mit den Themen auseinanderzusetzen. Wir haben ja heute auch schon anderes hören müssen. (Bundesrätin Mühlwerth: Womit habe ich das jetzt verdient? – Bundesrat Boden: Ehre, wem Ehre gebührt!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Plattitüden wie „Stillstand der Regierung“ und all diese Dinge (Bundesrätin Mühlwerth: Stimmt ja! – Zwischenruf des Bundesrates Mitterer) sind im Zusammenhang mit dem Sozialbericht 2009–2010 eine völlig fehlgeleitete Analyse, denn eines, liebe Kolleginnen und Kollegen, sage ich jetzt und heute – 2011 – schon: Ich bin froh, dass wir im Nachhinein einen Sozialbericht für 2009 und 2010 diskutieren können, der natürlich unter ganz anderen Vorzeichen gestanden ist als alle anderen Sozialberichte davor.


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Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erinnern wir uns: Was war denn 2008, 2009 im Land los? (Zwischenruf der Bundesrätin Michalke.) – Vor dieser Zeit hätten wir gesagt: Wenn wir einen Sozialbericht analysieren und diskutieren, ist die Analyse und sind die Erkenntnisse für uns Sozialpolitiker eigentlich vollkommen klar. Ein bisschen salopp formuliert hätten wir gesagt: All das, was in der Wirtschaftspolitik nicht gelingt, muss in der Sozialpolitik repariert werden. – Das war die Analyse 2006, 2007 und das war eine einhellige Analyse.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! 2011 schaut die Analyse völlig anders aus, denn heute lautet die Analyse so: All das, was in einer grenzenlos gierigen Finanzwelt passiert, muss von der Wirtschaft ausgebadet und letztlich über die Sozialpolitik repariert werden, denn all das, was in Zeiten der Krise, der Finanzkrise passiert ist, ist der Realwirtschaft auf den Kopf gefallen, die überwiegend nichts dafür gekonnt hat (Zwischenruf des Bundesrates Perhab), aber betroffen war, und musste dann letztlich von der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ausgeglichen werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, daher ganz deutlich an dieser Stelle: Jawohl, es wurden zum richtigen Zeitpunkt gemeinschaftlich die richtigen Maßnahmen gesetzt. Denken wir an das zurück, was wir im Zusammenhang mit der Kurzarbeit in unserem Land gemeinsam regeln mussten! Daher sage ich an dieser Stelle auch, der Dank gilt primär den Sozialpartnern und der Dank gilt auch den BetriebsrätInnen und den steirischen und anderen österreichischen Unternehmungen, denn diese mussten vor Ort Maßnahmen setzen, um Arbeitslosigkeit in diesem Land möglichst zu vermeiden.

Insofern glaube ich, dass wir heute froh sein können, wenn wir im Nachhinein die Erkenntnis aus diesen beiden Sozialberichten ziehen können, dass zum richtigen Zeitpunkt die richtigen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen gesetzt wurden. (Beifall bei der SPÖ.)

Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe bewusst den Bericht mit heraus genommen, denn ganz am Anfang der Tagesordnung haben wir uns von einem steirischen FPÖ-Bundesrat anhören müssen, dass die Berichte heute sowieso alle abgelehnt werden. Da gibt es kein Inhaltsverzeichnis. (Bundesrat Krusche: ... Bericht! Zuhören! Zu­hören!) – Also man merkt schon, mit welchen Zugängen wir die Berichte aus der Sicht der FPÖ diskutieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Sozialbericht 2009–2010 finden wir zuerst einmal ein Foto unseres feschen Ministers (Heiterkeit bei SPÖ und ÖVP), und nach dem Minister haben wir ein Inhaltsverzeichnis, Kollege Krusche. (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Und dieses Inhaltsverzeichnis bietet einen hervorragenden Überblick über alle im Sozialbericht relevanten Themen.

Da ich mir natürlich die Rednerinnen- und Rednerliste vorher angeschaut habe und weiß, dass Gregor Hammerl nach mir spricht, kann ich mir einen Teil meiner Ausführungen sparen, weil ich sicher bin, dass du inhaltlich darauf eingehen wirst.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, einen Schwerpunkt möchte ich trotzdem heraus­greifen – nur einen Schwerpunkt, weil auch der heute mehrfach ignoriert wurde.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach der Krise (Ruf: Ist vor der Krise!) befinden wir uns in Österreich in einer arbeitsmarktpolitischen Situation, in der wir Rekordbe­schäftigung haben – Rekordbeschäftigung! Es gibt 3,6 Millionen unselbständig Erwerbstätige, so viele unselbständig Erwerbstätige wie noch nie in dieser Republik. Die Zahl der aktiv Beschäftigten ist um 70 000 gestiegen, die Arbeitslosigkeit ist um 14 000 zurückgegangen. Nach der Berechnungsmethode der Europäischen Union haben wir eine Arbeitslosenrate von 4,8 Prozentpunkten und sind damit hervorragend aufgestellt, auch wenn jeder Arbeitslose ein Arbeitsloser zu viel ist.


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Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Arbeitslosigkeit sinkt in allen Altersgruppen, und der Stand an offenen Stellen ist um 16,4 Prozentpunkte zurückgegangen. Ich weiß, dass das Zahlen sind, die die Opposition nicht hören will, trotzdem sind es Zahlen vom österreichischen Arbeitsmarkt. Insofern sollten sie im Zusammenhang mit dem Sozialbericht 2009–2010 auch einmal hervorgehoben werden.

Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh, dass wir uns in Österreich in einer wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Situation befinden, in der es langsam, aber stetig wieder aufwärts geht. Insofern wollen wir den Sozialbericht auch gerne zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie der Bundesrätin Kerschbaum.)

15.53


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als Nächster Redner ist Herr Bundesrat Hammerl zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


15.53.44

Bundesrat Gregor Hammerl (ÖVP, Steiermark): Hohes Präsidium! Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine geschätzten Damen und Herren! Frau Kollegin Mühlwerth, ich bin schon der Meinung, dass dieser Bericht, keine Frage, sehr positiv ist. Gleich­zeitig danke ich dir, Kollege Klug, und möchte schon ein bisschen schwerpunktmäßig auf diesen Bericht eingehen.

Du hast schon vorher die 260 Seiten erwähnt, und Sie alle haben die 260 Seiten Gott sei Dank, glaube ich, gelesen. Wenn Sie diese 260 Seiten durchgelesen haben, dann wissen Sie: Der Bericht ist, keine Frage, positiv. Er zeigt auf, welche Leistungen es im Sozialbereich in Österreich gibt.

Der Sozialbericht, meine Damen und Herren, zeigt aber auch auf, dass trotz der krisenhaften Entwicklung in der Wirtschaft im Berichtszeitraum auch durch soziale Leistungen, durch gezielte Leistungen die Krise gut bewältigt werden konnte, beson­ders auch in Bezug auf die Arbeitslosigkeit.

Du, Herr Kollege Klug, hast auch die Kurzarbeit erwähnt, und diesbezüglich möchte ich Danke sagen, Herr Bundesminister! Du warst wirklich an der Kurzarbeit schwer­punktmäßig beteiligt, und in diesem Zusammenhang ist uns in Österreich, keine Frage, viel gelungen. Wenn wir uns die Arbeitslosenzahlen in Europa, also pro Millionen Einwohner, im Vergleich anschauen, dann sehen wir, wir stehen in Europa immer noch am besten da, auch mit der Jugendarbeitslosigkeit. Hier ein großes Danke!

Meine Damen und Herren! Es gilt aber das Ziel zu erreichen, das auch im Berichts­zeitraum galt, und das heißt hier die bedarfsorientierte Mindestsicherung. Hier steht:

„Im derzeitigen Regierungsprogramm wurden die Stärkung des sozialen Zusam­menhalts und die Bekämpfung von Armut in allen relevanten Politikbereichen als zentrale Zielsetzung formuliert.“

Wir haben bei uns in Österreich auch die Mindestsicherung eingeführt. Wir in der Steiermark waren dabei die Letzten. Man hat darüber diskutiert, ob wir sie 14-mal ausbezahlen; es ist jetzt 12-malige Auszahlung eingeführt worden, also sehr positiv. Auch da sind wir die Einzigen im europäischen Raum, die eine Mindestsicherung von immerhin zirka 752 € haben. Das ist einfach großartig! Damit werden Frauen und Männer, die jetzt arbeitslos sind oder vielleicht in eine soziale Schiene gekommen sind, unterstützt.

Es muss aber im Bereich der Mindestsicherung auch in Zukunft, meine Damen und Herren, um Gleichberechtigung in allen Bundesländern gehen. Das ist derzeit nicht der Fall.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 119

In der Steiermark wurde jetzt wieder ein Regress eingeführt. Das war am Dienstag; in 14 Tagen ist das fix. Das heißt, wenn Eltern in ein Pflegeheim kommen, müssen sie 16 Prozent von ihrer Pension oder Kinder einen Anteil von ihrem Einkommen bezah­len.

Wir haben natürlich auch bei uns in der Steiermark Grenzen. Es gibt die Grenze mit dem Burgenland und es gibt die Grenze mit Kärnten, und wir spüren jetzt bereits, dass Kinder ihre Eltern, die pflegebedürftig werden, die bereits eine höhere Pflegestufe haben, in Kärnten oder auch im Burgenland anmelden, damit sie dort – keine Frage! – die 16 Prozent nicht zu zahlen brauchen. Wir müssen einfach einmal dahin kommen, dass wir in Österreich in Zukunft gerade im Sozialbereich gleiche Gesetze haben, insbesondere auch was den Regress betrifft.

Meine Damen und Herren! Relativ still ist es geworden – das wird im Sozialbericht kurz erwähnt – um die Transparenzdatenbank in Bezug auf soziale Leistungen und deren Ausdehnung auf alle öffentlichen Stellen, die Unterstützung gewähren. Auch da ist es wichtig, dass diese Transparenzdatenbank so kommt. Sie ist ein wichtiger Faktor, damit der, der wirklich soziale Unterstützung braucht, auch Unterstützung bekommt. Ich glaube, das ist sehr wichtig. Wenn wir sparen wollen, dann müssen wir auch da daran denken.

Der Sozialbereich, meine Damen und Herren, ist ein Bereich, der nicht nur auf eine Legislaturperiode hin ausgelegt werden darf, sondern er erfordert eine Langzeit­struktur. Im Hintergrund gibt es einige wichtige Punkte, die ich herausstreichen möchte: Die Zahl der alten und damit auch kranken Menschen steigt. Herkömmliche Siche­rungssysteme wie die Familie werden schwächer und sind im Umbau begriffen. Der Zuzug von Asylwerbern hat ein sehr hohes Niveau erreicht. Die Gesellschaft ist gegenüber Schwachen nicht sehr sensibel, und die Pflegebedürftigkeit wird größer.

Es wurde schon gesagt: Im Sozialbericht wird auch die Armutsgefährdung behandelt. 22 Prozent sind zeitweilig armutsgefährdet, 5 Prozent dauerhaft. Auch das ist schlimm, aber ich bin sicher, dass in allen Bundesländern, und das spüren wir auch, gerade für diesen Personenkreis sehr, sehr viel gemacht wird.

Noch etwas ist wichtig, und, Herr Bundesminister, vor Kurzem hast du das auch erwähnt, von der Historie her: die Pensionsfrage. Keine Frage, diese ist ganz, ganz wichtig. Auch darüber müssen wir in Zukunft ein bisschen enger – wie soll ich sagen? – diskutieren und vielleicht auch einmal ganz ehrlich fragen: Inwieweit können wir uns das noch leisten, damit der Generationenvertrag noch gilt, das heißt, dass junge Frauen und Männer, die heute arbeiten, auch noch eine Pension bekommen?

Herr Minister! Denken wir nur einmal an die Hacklerregelung. Auch diese verursacht sehr hohe Kosten. Wenn man bedenkt, dass der Bundesbeitrag zur Pensions­versiche­rung 2009 5 093 Millionen € betragen hat, wie der Bericht feststellt, dann müssen wir auch festhalten, dass wir irgendwann einmal darüber diskutieren müssen, ob wir alle – nicht alle, aber Männer – mit 60 oder mit 62 Jahren in Pension gehen und Frauen vielleicht noch früher. Das ist nicht der Punkt! Also auch das Pensions­antrittsalter ist zu hinterfragen.

Ich möchte aber um eines bitten: Keine Schwarzmalerei im Sozialbereich! Wir stehen diesbezüglich gut da.

Und ich möchte noch etwas sagen: Dass wir die Arbeitslosigkeit in den Griff bekommen haben, das ist auch ein Verdienst der Wirtschaft.

Ein weiterer Punkt im Sozialbericht: die Pflege. Wir haben derzeit 363 000 Öster­reicher, die vom Bund Pflegegeld beziehen, von den Ländern sind es 63 000. Betref­


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 120

fend das Pflegegeld muss man festhalten, dass wir in Österreich das einzige Land in Europa mit einem siebenstufigen Pflegegeld sind. 

Jeder bekommt ab der Geburt 156 € in der ersten Stufe, bis zur Stufe 7 1 655,80 €. Das gibt es sonst in keinem Land, gar keine Frage. Wir haben die Pflegestufen 1 und 2, Herr Minister, auf zehn Stunden erhöht, und das war gut so. Zirka 20 000 Frauen und Männer kommen nicht mehr so rasch in diese Pflegestufen. Aber trotzdem halten wir eines fest: In der Steiermark haben wir 197 Pflegeheime – es ist derzeit kein einziger Platz in einem Pflegeheim frei! Wir müssen bereits versuchen, Frauen und Männer auch irgendwo anders unterzubringen, weil das einfach ein Gebot der Stunde ist. Von 1,2 Millionen Einwohnern sind bereits 346 000 über 60 Jahre alt.

Auch das ist ein Punkt, wo sich in den Ländern die Frage stellt: Wie können wir uns das noch leisten? Und hier, Herr Minister, ein großes Danke auch an Ihre Person und natürlich auch an unseren Herrn Vizekanzler Pröll, dass es gelungen ist, soundso viele Millionen für diesen Pflegefonds freizustellen.

Was Familienangehörige im Bereich der Pflege betrifft, meine Damen und Herren, möchte ich festhalten, dass es immer weniger Familien gibt, die die Pflege über­nehmen. Bei uns gibt es eine Statistik, die besagt, 18 000 von 1,2 Millionen Menschen werden in der Steiermark noch zu Hause gepflegt, und zwar in den Pflegestufen 5, 6 und 7, und auch hier ist die Tendenz so, dass immer weniger Frauen und Männer in der Familie die Pflege in diesen Pflegestufen übernehmen.

Ich führe, Sie wissen es inzwischen, Herr Minister, seit 20 Jahren ehrenamtlich das Hilfswerk Steiermark. Ich habe über 1 300 MitarbeiterInnen, zu 98 Prozent sind es Frauen, und zirka 50 Prozent der Frauen dürfen/können nur mehr halbtägig arbeiten. Warum halbtägig arbeiten? – Weil sie Familien haben, und zirka 42 Prozent unserer Mitarbeiterinnen sind geschieden.

Pflege ist kein leichter Beruf! Und jetzt kommt der Punkt: Wir wissen, dass die Mindestsicherung jetzt zirka 752 € beträgt und der Pax-Vertrag, zum Beispiel der Vertrag für eine Heimhilfe, für eine Pflegehelferin oder für eine Diplomkranken­schwester, sehr niedrig ist. Und ich sage Ihnen jetzt, was bei uns und auch in Ihrem Bereich eine Diplomkrankenschwester netto mit 50 Prozent verdient. Sie beginnt um zirka 6 Uhr und hört zwischen 12 Uhr und 13 Uhr auf. Eine Diplomkrankenschwester, drei Jahre Ausbildung, verdient netto 840,16 €, eine Pflegehelferin 737,97 € und die Heimhilfe 623,38 €. (Bundesrat Ertl: Warum kostet die Pflege dann 2 000 € im Monat?) – Mit Gebühren!

Wenn ich jetzt die Mindestsicherung habe, meine Damen und Herren, bekomme ich 752 €. Und jetzt kommt der Punkt: Natürlich muss ich jetzt die Mindestsicherung sehen, und ich sehe vor allem Frauen, die arbeiten und die nicht hundertprozentig arbeiten können, und die bekommen jetzt diese Minderbezahlung von 623 €. Und die Pflegehelferin, die immerhin ein Jahr Ausbildung hat, bekommt 737 €, also weniger als die Mindestsicherung. Und da liegt auch die Gefahr, und das sagt auch unser Betriebsrat mit 1 300 Mitarbeitern: Herr Hammerl, ich sage Ihnen eines: Die arbeiten alle gern, nur müssen wir in Zukunft den Pflegeberuf unbedingt stark aufwerten und, auch keine Frage, mehr unterstützen. (Beifall bei ÖVP und Grünen.) Anders wird es nicht möglich sein.

Ich weiß, Herr Minister, die Länder haben auch dieses Geld nicht mehr. Wir haben jetzt ganz rigoros eingespart in unserem Bundesland, gar keine Frage, aber das muss in Zukunft ein wichtiger Beruf werden. Ich war (Bundesrat Ertl: Das könnten Sie ja einführen, dass mehr bezahlt wird!) – ich komme gleich dazu! – im Landtag zehn Jahre Sozialsprecher, und bevor ich den Landtag verlassen habe, durfte ich mit unserer Frau Landesrat Vollath dabei sein, als an 138 Diplomkrankenschwestern, davon sechs


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 121

Pfleger, Zeugnisse verteilt wurden. Ich durfte auch sagen: Gratuliere, Sie haben einen Beruf, Sie werden nie arbeitslos werden! Pflege – in dem Bereich werden Sie immer gebraucht! Und ich habe gesagt: Ich sitze hier oben, ich habe alle Unterlagen hier, wir würden in unserer Organisation neun Diplomkrankenschwestern und natürlich auch Männer, die die Pflege übernehmen, brauchen. – Keine einzige Diplomkranken­schwester und kein einziger Pfleger ist zu mir gekommen! Und ich bin dann hinun­tergegangen, bin von Dame zu Dame und von Herrn zu Herrn, es waren nur sechs Herren dabei, gegangen und habe gesagt: Wollen Sie nicht? – Danke, in die Alten­pflege gehe ich nicht! Ich gehe in die Großkrankenpflege, in die Kinderkrankenpflege – aber in diesen schweren Beruf gehe ich nicht!

Das heißt, wir müssen auch der Jugend, den 18-, 19-, 20-jährigen jungen Frauen sagen: Bitte übernehmen Sie diesen Beruf und, wenn möglich, gehen Sie auch in die Altenpflege.

Noch einmal ein herzliches Danke vor allem jenen, die am Sozialbericht mitgearbeitet haben.

Und abschließend, meine Damen und Herren: Wenn wir hier vielleicht auch unter­schiedlicher Meinung sind, sage ich immer, das Soziale hat kein politisches Mascherl – kein rotes, kein schwarzes, kein blaues und kein grünes. Im Sozialbereich müssen wir alle zusammenarbeiten, und es wird in Zukunft schwieriger denn je, das Soziale in unserem Land entsprechend voranzubringen. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

16.05


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Hundstorfer. – Bitte schön.

 


16.05.45

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Rudolf Hundstorfer: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte nur auf zwei, drei Punkte eingehen. Leider ist die Frau Mühlwerth jetzt nicht da, aber damit wir uns hier nicht missverstehen: Ideen der Opposition werden nicht immer reflexartig abgelehnt. Die Frage ist erstens: Welche Ideen sind es?, und zweitens: Wie sind sie umsetzbar?

Die Kollegin wird dann noch aus dem täglichen Leben an der Berufsschule etwas sagen. Aber ich weiß ja, wo die Frau Mühlwerth das herhat – ich rede ja mit den Berufschullehrern, denn ich bin alle 14 Tage in irgendeiner Berufsschule. Ich war erst vorige Woche in Wolfsberg, in Kärnten, in der Berufsschule und habe dort nicht nur mit dem Herrn Landesschulinspektor, dem Landeshauptmann-Stellvertreter von Kärnten geredet – er war auch da, weil ich da war –, sondern ich habe auch mit Schülerinnen und Schülern geredet. Das ist ja nicht das Thema. Aber natürlich haben wir in Wiener Berufsschulen, wo Lehrlinge aus den überbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen hingehen, Probleme, gar keine Frage. Aber die Frage ist ja: Was mache ich mit den Problemen? Nur sagen, die Berufsschullehrer regen sich auf, dass die Kids nichts können? – Das ist ein netter Befund. (Heiterkeit bei der SPÖ.) Die Frage ist: Was mache ich, damit die etwas können? Was muss ich mit denen tun, dass die eben was zusammenbringen?

Es ist ja, glaube ich, in Österreich unbestritten: Wir haben in unserem Grund­schul­system Probleme gehabt. Das ist ja unbestritten. Aber wir haben zum Beispiel auch Handelsketten, die nicht sagen: Die können nichts mehr!, sondern die jetzt Hauslehrer engagieren, die eigenen Sprachunterricht machen, weil sie ganz einfach diese Jugend­lichen brauchen.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 122

Die Frau Präsidentin Zwazl kommt aus einem Bundesland, wo ich meine erste Lehrwerkstätte habe, entlang der Südbahnstrecke, wo der Betrieb aus sich heraus einen Hauslehrer engagiert hat, weil er gesagt hat: Ja, ich habe das Problem. Die können halt nicht so perfekt Deutsch. – Aber nicht Migranten, sondern (Bundesrat Gruber: Eingeborene!) alle da geboren. Und da geht jetzt auf einmal ein Betrieb her und sagt: Ich mache was daraus, ich tue etwas. Und natürlich komme jetzt ich über die Förderschiene, und wenn wir das zusammenbringen in unserem Förderausschuss, werden wir solche Hauslehrer ein bisschen mit bezahlen aus AMS-Mitteln. Das ist ja überhaupt nicht das Thema. (Bundesrätin Zwazl: Potenzialklassen hätten wir gern finanziert!) – Die haben wir doch ohnehin schon mit bezahlt, Frau Präsidentin! (Bundesrätin Zwazl: Nein, nicht ganz! – Heiterkeit.)

Sie haben jetzt gerade miterlebt, wie Sozialpartnerverhandlungen geführt werden. Es fehlen nämlich noch 20 000 €, die ich aber während meiner Rede hier im Bundesrat nicht vergeben kann. (Neuerliche Heiterkeit.)

Was ich damit sagen will, ist: Es ist vollkommen klar, es gibt Schwierigkeiten. Gar keine Frage. Aber ich kann nur alle Kritiker einladen, nicht nur Probleme aufzuzeigen, sondern auch zu sagen, wie man etwas anders umsetzen kann, wie wir etwas verbessern können. Darum geht es ja in Wahrheit. Es hilft uns nichts: Ja, wir haben diese Probleme. Ja, wir haben 247 000 Working Poor. Die haben wir. Und jetzt ist die Frage: Wie kann ich diese Zahl reduzieren?

Der Herr Abgeordnete Hammerl hat ja gerade ein Beispiel gebracht. Wenn man jetzt grob nachrechnet, liegt der Ursprungsbezug, der Vollzeitbezug der Diplomierten Kran­kenschwester bei brutto 2 800 €. Natürlich reduziert sich das wegen der Teilzeit auf diese 800 € netto. Und natürlich muss man immer wieder sagen: Bitte überlegt, warum ihr so viel Teilzeit macht! Viele machen es ja auch freiwillig, und viele machen es unfreiwillig, weil eben irgendwo in einem Landesteil um 14 Uhr der Kindergarten zusperrt und im städtischen Teil der Kindergarten bis 17 Uhr offen hat, und durch Teil­zeitarbeit ist es eben besser gestaltbar.

Ich glaube, wir können immer nur daran arbeiten, es anders zu machen und besser zu machen. Und ich würde auch bitten, der Frau Abgeordneten Mühlwerth mitzuteilen – ich weiß, was im Bericht drinsteht, aber das ist jetzt ein bisschen ein Spiel von mir –, wir hatten gestern, 17 Uhr, inklusive der Schulungsteilnehmer 303 000 Arbeitslose, also – das ist jetzt, wie gesagt, ein bisschen ein Spielchen von mir – nicht mehr 322 000, sondern 303 000. Ich hoffe, dass wir in der Karwoche diese „drei Hunderter“ unterschreiten können. Ich hoffe es. (Bundesrätin Michalke: Und wie viele sind in AMS-Ausbildung?) Wir haben 236 000 Arbeitslose, und der Rest auf 303 000 sind Schulungsteilnehmer.

Es würden sich ein paar Dinge hervorragend eignen, etwas dazu zu sagen, aber ich möchte nur noch einen Punkt herausgreifen. Da ich das heute Vormittag im Sozial­ausschuss schon getan habe, möchte ich es auch hier noch ganz kurz tun.

Worum geht es mir bei dieser Ausbildungsverpflichtung? Wir haben pro Jahrgang ungefähr 100 000 Jugendliche; das ist die Messgröße. Ein Geburtsjahrgang in Österreich ist 100 000. Von diesen 100 000 machen 90 000 nach Ende der Schulpflicht irgendwas. Sie gehen weiter in die Schule, in eine Oberstufe, eine Lehre, eine HAK, eine HTL, was auch immer. 90 000 tun das. 10 000 – das sind 10 Prozent – machen zur Hälfte nichts, und zur anderen Hälfte sind sie jugendliche Hilfskraft, wo auch immer, aber sie machen keine weitergehende Ausbildung.

Mir geht es bei dieser Weiterentwicklung der Ausbildungsgarantie darum, dass diese 10 000 pro Jahrgang sich weiterentwickeln in einer weitergehenden Ausbildung, und die weitergehende Ausbildung kann sein eine Teillehre, eine Lehre, was auch immer.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 123

Warum ist das so wichtig? – Es ist deshalb wichtig, weil 50 Prozent derjenigen, die als Jugendliche arbeitslos sind, keine Ausbildung haben. 50 Prozent – das sind derzeit in Zahlen 19 800 Köpfe –, die arbeitslos sind, haben keine Ausbildung, null, die haben nur die Pflichtschule. Ich möchte, dass diejenigen etwas weitermachen, und Ausbil­dungspflicht heißt auch für uns als Gesellschaft, dass der Betreffende dann ein Recht hat auf eine Ausbildung.

Das heißt auch, dass ich ihm was anbieten muss, wo er etwas tun kann. (Bundesrat Brückl: Wo?) Ja, das muss ich anbieten, daher erarbeiten wir ja dieses Thema. (Bundesrat Brückl: Wo soll er was tun?) Wo soll er was tun? – Wenn es geht, in Betrieben, in Lehrwerkstätten. Ich habe heute schon 121 000 Lehrverträge in Betrieben. Es ist ja nicht so, dass da nichts geschieht! Wir haben rund 130 000, 131 000 Lehrlinge, davon haben wir 10 000 in überbetrieblichen Ausbildungen, 121 000 bis 122 000 haben wir in normalen betrieblichen Ausbildungen. Da müssen wir weiterarbeiten. Mir geht es ja bei diesem Thema darum, dass man jungen Menschen sagt: Du bist 15, 16, bitte tu etwas weiter!, denn all diejenigen, die mit 15, 16 beschließen: Meine Ausbildung ist beendet!, habe ich mit 20 in der Arbeitslosigkeit und mit 25 am Sozialamt. Und das kann es nicht sein, und darum geht es mir! (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

Ich weiß, dass das natürlich nicht einfach ist. (Es betritt gerade eine Reihe von jungen Menschen den Sitzungssaal.) – Durch einen Zufall des Lebens – ich habe das nicht inszeniert (Heiterkeit) – kommen gerade unheimlich viele junge Leute herein, die aber alle irgendwo in Ausbildung sind, sonst wären sie nicht da.

Mir ist vollkommen klar, dass natürlich nicht die Kids alleine diejenigen sind, die jetzt beschließen: Ich mache nichts mehr! Da gibt es ein Elternhaus, da gibt es eine soziale Umgebung, und es ist klar, dass wir Jugendliche darunter haben, die wir ganz speziell bei der Hand nehmen müssen. Deshalb haben wir ja diese Produktionsschulen entwickelt – in Oberösterreich heißt es Job Factory, in Wien heißt es Jugendwerkstatt, in Niederösterreich heißen sie Produktionsschulen. Es ist immer das Gleiche: Wir müssen Jugendliche teilweise bei der Hand nehmen, und wir haben derzeit 2 000 in solchen Job Factories, und denen müssen wir in den ersten drei Wochen eben beibringen, sieben Uhr früh ist sieben Uhr früh. What shalls? Es ist so! (Bundesrätin Mühlwerth: Aber leider zu spät!) Ja, Frau Mühlwerth, „zu spät“! (Ruf bei der ÖVP: Es ist nie zu spät!) Erstens einmal ist Lernen nie zu spät. Nehmen Sie doch auch einmal eine Änderung Ihrer Politik vor! Sie hauen immer nur hin: Der Migrationshintergrund, bum, bum, bum! Ändern Sie Ihre Politik und sagen Sie: Es ist so, wie es ist, aber wir geben noch zwei Lehrer dazu! (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen. – Bundesrätin Mühlwerth: Ihr könntet auch einmal eure Politik ändern und es in der Schule ein bisschen besser machen!)

Ja, da sind wir ja dabei! Entschuldigen Sie, wir haben gemeinsam das fünfte Jahr Kindergarten verpflichtend zustande gebracht, eine erste Eingangsstufe. Und es haben ganz gute, konstruktive Verhandlungen begonnen bezüglich Lehrerdienstrecht und, und, und. Das wird auch der Wechsel in der ÖVP nicht aufhalten, denn der aus­scheidende Parteivorsitzende ist voll dahintergestanden und auch der neue steht hier voll dahinter. Da wird sich nichts ändern, das ist ein ganz reibungsloser Umstieg, der eben gesundheitlich bedingt ist. Es ist leider so.

Wir müssen den jungen Menschen sagen – und darum bin ich so auf diesem Thema drauf –: Du hast Chancen! Wir müssen diese Chancen zur Verfügung stellen, wir müssen das Angebot zur Verfügung stellen, und wir müssen schauen, dass das auch geht. Denn eines – und dann komme ich schon zum Schluss – möchte ich hier schon auch sagen: Es kommt nicht von ungefähr, dass diejenigen, die am höchsten qualifiziert sind, die niedrigste Arbeitslosigkeit haben, und wir wissen, dass viele, die


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 124

hochqualifiziert sind, etwas ganz anderes arbeiten, als sie jemals studiert haben oder sonst gemacht haben. Aber man muss den jungen Menschen auch sagen: Du hast aufgrund der Breite der Ausbildung trotzdem immer noch einen besseren Arbeitsmarkt­zugang, als wenn du gar keine Ausbildung hast.

Und ich hoffe, dass für die jungen Damen und Herren, die durch Zufall des Lebens vorhin da hereingekommen sind – ich danke für die Inszenierung (Heiterkeit) –, im Leben die Ampel auf Grün steht und nicht auf Rot, obwohl Rot meine Lieblingsfarbe ist. (Lebhafte Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ.) Aber fürs Leben, für den Lebensweg brauchen die jungen Damen und Herren – und es sei mir gestattet, „Kids“ zu sagen; ich habe drei Kids plus Enkelkind –, brauchen die Kids grüne Ampeln. Sie brauchen unsere Unterstützung, unsere Hilfe, und hie und da müssen wir ein bisschen mehr helfen, ein bisschen anstoßen, aber den Weg müssen sie selber gehen. Es ist aber notwendig, sie darauf hinzuweisen: Bitte, macht eine Ausbildung über die Pflichtschule hinaus!

Darum geht es mir, und deshalb treibe ich das Thema Ausbildungspflicht jetzt so lange durch die Gegend, bis wir diese irgendwann, 2013 oder 2014, haben werden – Punkt eins – und – Punkt zwei – bis wir bei allen das Bewusstsein erzielt haben, es ist eine „geile G’schicht’“, eine Lehrlingsausbildung zu machen, eine Oberstufe, eine HTL zu machen, was auch immer, eine Ausbildung über die Pflichtschule hinaus. – Danke. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen sowie der Bundesrätin Mühlwerth.)

16.19


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dönmez. – Bitte.

 


16.19.25

Bundesrat Efgani Dönmez, PMM (Grüne, Oberösterreich): Herr Minister! Ihren Worten kann man eigentlich nichts hinzufügen, man kann sie nur unterstreichen. (Bundesrat Mag. Klug: „Grüne Ampel“ hat er gesagt! – Heiterkeit.) Das mit den „grünen Ampeln“ nehme ich als Signal mit; ich werde das in unseren internen Be-sprechungen deponieren.

Aber Spaß beiseite: Auch unser Dank gilt den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Ministeriums für das Zustandekommen dieses Berichtes. Der Sozialbericht ist für mich wie immer ein Gradmesser, wohin es Österreich treibt und treiben wird und welche Strömungen uns erfassen beziehungsweise schon erfasst haben, denn das Budget ist in Zahlen gegossene Politik, und der Sozialbericht ist der Gradmesser der Folgen unserer Politik.

Ich habe bereits mehrmals an dieser Stelle auf die soziale Schieflage in Österreich hingewiesen. Armut und Armutsgefährdung sind tendenziell steigend – was ich als sehr beunruhigend empfinde. Und was ich noch beunruhigender finde, ist der Umgang mit Armut. Leider hat sich nun auch Oberösterreich in die Reihe derer gestellt, die gegen Arme mit gesetzlicher Härte vorgehen. Nicht die Armut wird hier thematisiert, sondern diejenigen, die Armut für alle sichtbar verkörpern: Menschen, die betteln.

Auch der vorliegende Sozialbericht widmet sich in seinem Kapitel 12 eingehend dem Thema Armutsgefährdung und soziale Ausgrenzung. Ich sehe diesen Aspekt im Zusammenhang mit dem Phänomen der Bettelei. Natürlich wird nicht jeder Mensch, der mit Armut konfrontiert wird, automatisch betteln gehen, aber Bettelei findet ihren Ausgangspunkt immer in Armut und führt zu sozialer Ausgrenzung. Die Antwort auf die Probleme von Armut und sozialer Ausgrenzung hat aus Sicht der Grünen aber die Sozialpolitik zu geben und nicht die Sicherheitspolitik. Es geht darum, die Armut zu bekämpfen und nicht die von Armut betroffenen Menschen.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 125

Zum vorliegenden Bericht möchte ich sagen, dass er zahlreiche interessante Studien enthält, wie immer gut aufbereitet und übersichtlich ist. Was mir aber im Bericht fehlt, ist eine politische Bewertung des umfangreichen Datenmaterials. Bei der Lektüre hatte ich oft den Eindruck, dass, obwohl es eine Fülle von besorgniserregendem Material gibt, eine objektive Bewertung erst gar nicht versucht wurde. Irgendwie klingt alles ein wenig nach Eigenlob, und überhaupt fehlen konkrete Verbesserungsvorschläge. Das Grundproblem ist, dass er nur von der Tätigkeit des Sozialressorts berichtet und keine Problemdarstellung enthält. Skurril wird es etwa, wenn – Beispiel Pensionsrecht – im letzten Bericht eine gesetzliche Änderung wie die Abschaffung der Nicht-Valorisierung im ersten Pensionsjahr gefeiert wird. Diese wurde mit 1.1.2011 wieder eingeführt. Da 2011 aber nicht zur Berichtsperiode zählt, wird das nicht erwähnt, obwohl es zum Zeitpunkt der Berichtsveröffentlichung Anfang Dezember bereits bekannt war.

Genauer habe ich mir auch die Berichte über die Arbeitsmarktpolitik angeschaut. Vor allem die Kurzarbeit während der Krise hat mich interessiert. Zu unterscheiden ist zwischen beantragter und effektiver Kurzarbeit. Im Durchschnitt des Jahres 2009 waren knapp 43 000 Menschen zur Kurzarbeit angemeldet. Der Höchstwert wurde im April 2009 mit 56 600 Menschen erreicht. Wirklich kurzgearbeitet haben aber im April 2009 nur 37 000 Menschen in 300 Betrieben. Im Jahr 2009 effektiv kurzgearbeitet haben insgesamt 66 400 Menschen.

Abgesehen von der nicht unerwarteten Tatsache, dass Kurzarbeit männlich ist, fallen zwei Werte im Bericht auf: Die Möglichkeit der Qualifizierung in der Kurzarbeit wurde recht wenig genützt. 8 000 Menschen haben von sich aus an Qualifizierungsangeboten teilgenommen und dafür Qualifizierungsunterstützung erhalten. Die Qualifizierungsför­derung über Betriebe wurde für 3 100 Personen in Anspruch genommen. Eine Über­prüfung der Behalteverpflichtung nach Ende der Kurzarbeit ergab, dass unmittelbar nach Ende der Kurzarbeit 98 Prozent der Betroffenen, drei Monate später 96 Prozent der Betroffenen in derselben Beschäftigung tätig waren.

Auch bei den Arbeitslosenzahlen gibt es ein sehr reiches Datenmaterial. Hier ist mir ein Bereich aufgefallen, und zwar die Sanktionen, mit denen das AMS seine Kundinnen und Kunden bestraft. Versäumte Kontrollmeldungen werden separat aufgelistet und einfach so stehen gelassen. Diese Art der Berichterstattung ist einfach tendenziös, denn diese Zahl hat überhaupt keine Aussagekraft. Und auch der § 11, vier Wochen Wartefrist wegen unberechtigten Austritts – allein diese Formulierung ist merkwürdig genug. Ich finde überhaupt, dass es keine Wartepflicht auf eine Versicherungsleistung in diesem Kontext geben sollte.

Was ich in diesem Sozialbericht ebenfalls vermisse, sind grundsätzliche Feststellungen zur Pensionssicherung. Wo, wenn nicht im Sozialbericht, sollte darüber etwas stehen? Der Bericht beruht auf den Daten 2008/2009 und umschifft gekonnt die Frage der Kom­mission zur langfristigen Pensionssicherung. Damit wird das Problem des Sozial­berichtes deutlich: Im Prinzip ist er ohne Problembewusstsein und fast aussagelos. Es wird die Chance vergeben, grundsätzliche Feststellungen, etwa jene, dass der Bericht der Kommission aus einer überholten Krisenperspektive geschrieben wurde, zu treffen.

Eine besondere Skurrilität ergibt sich auch aus dem Vergleich der letzten zwei Sozialberichte. Im Bericht 2007/2008 wird die Aufhebung der Reformmaßnahme genannt. Am 1.1.2011 wurde dieselbe unter demselben berichtslegenden Minister wieder eingeführt.

Die sozialpolitische Analyse beinhaltet eine nicht uninteressante Darstellung des Systems, leider jedoch mit oberflächlichen internationalen Vergleichsdaten. Auch diesen Beitrag finde ich tendenziös, weil man sehr einfach sehr viel hineininterpretieren kann. Man könnte daraus den Schluss ziehen, dass Österreich überdurchschnittliche


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 126

Sozialausgaben habe. Das ist ein Unsinn. Österreich liegt in der Gruppe der vergleich­baren Länder vor Deutschland an zweitletzter Stelle. Andere Länder wie Frankreich, Belgien, die Niederlande liegen zum Teil auch deutlich vor Österreich; Schweden und Dänemark sowieso. Die Frage ist nicht, ob wir zu viel ausgeben, sondern wie wir das Geld ausgeben.

Was die Vermögensverteilung beziehungsweise deren Darstellung im Bericht anlangt, so ist hier eine Gesamtsicht schwierig. Zu differenziert ist die Darstellung. Offenbar ist dies aber auch den AutorInnen bewusst, sodass sie den Beitrag „Aspekte der Vermögensverteilung in Österreich“ nennen. Und weiter führen sie aus, dass es wohl Hinweise auf eine noch stärkere Vermögenskonzentration gäbe, jedoch aufgrund der großen Intransparenz eine übersichtliche Darstellung nicht möglich sei.

Wir wissen, dass die Reichen reicher und die Armen ärmer werden. Dazu schweigt der Bericht. Aber wir nehmen ihn trotzdem zur Kenntnis und hoffen, dass im folgenden Bericht diese Themenpunkte auch aufgegriffen werden. (Beifall bei den Grünen sowie bei Bundesräten von SPÖ und ÖVP.)

16.27


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Blatnik. Ich erteile ihr dieses.

 


16.27.22

Bundesrätin Ana Blatnik (SPÖ, Kärnten): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Gospa predsednica! Sehr geehrter Herr Minister! Gospod zvezni minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Arbeitslosigkeit ist ein Punkt, und wir müssen uns fragen: Welche Menschen sind am meisten arbeitslos? Es sind diejenigen Menschen, vor allem junge Menschen, die nur den Pflichtschulabschluss haben. Deswegen ist es irrsinnig wichtig, dass man gerade den jungen Menschen die Chance auf Ausbildung gibt, diesen jungen Menschen das Gefühl vermittelt, dass man sie nicht fallen lässt, das Gefühl vermittelt, dass es uns nicht egal ist, ob sie in Armut verfallen oder nicht. Ich glaube, unsere Aufgabe, die Aufgabe der Politik – der Politikerinnen und Politiker – ist, sie aufzuheben, ihnen die Hand zu reichen und mit ihnen einen Weg zu gehen.

Ich bin Berufsschullehrerin mit Leib und Seele. Ich kann Ihnen sagen, dass ich in meiner Klasse 28 Schüler und Schülerinnen habe, wovon zwei Drittel ordentliche Schüler sind, das heißt mit einem Lehrvertrag, und ein Drittel außerordentliche Schüler, das heißt Schüler, die keinen Lehrvertrag haben. Aber ich verwahre mich massivst gegen die Behauptung, dass diese Schülerinnen und Schüler nicht motiviert seien und nur deshalb in der Klasse sitzen würden, weil sie Geld kassieren. Das stimmt nicht! (Bundesrätin Mühlwerth: Woher willst du das wissen?) Nein, ich bin 32 Jahre an der Berufsschule, Frau Kollegin, und ich verwahre mich massiv gegen diese Behauptung! (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätin Zwazl.)

Auch diese Schüler und Schülerinnen sind motiviert, wollen etwas lernen – nur haben sie ein Pech: Sie haben keinen Arbeitsplatz. Diese Menschen fallen zu lassen, das ist nicht der richtige Weg der Politik!

(Die Rednerin setzt ihre Ausführungen in slowenischer Sprache fort.)

Danke. Hvala. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätinnen Zwazl und Kerschbaum.)

16.30


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 127

Wir gelangen nun zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Es ist dies die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

16.30.34 Mandatsverzicht und Angelobung

 


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Peter Zwanziger und sein Ersatzmitglied haben mit Ablauf des 13. April auf ihr Mandat verzichtet.

Eingelangt ist inzwischen das Schreiben des Präsidenten des Kärntner Landtages betreffend Neuwahl eines Mitgliedes beziehungsweise eines Ersatzmitgliedes des Bun­desrates.

Ich ersuche die Schriftführung um Verlesung dieses Schreibens.

 


Schriftführer Josef Saller: „Herrn Gottfried Kneifel, Präsident des Bundesrates, Dr. Karl Renner Ring 3, 1017 Wien.

Sehr geehrter Herr Präsident!

Der Kärntner Landtag hat in seiner 27. Sitzung am 14.4.2011 folgende Wahl in den Bundesrat gemäß Artikel 35 Abs. 1 und 2 B-VG vorgenommen:

Auf Vorschlag des F-Klubs wurde zum Bundesrat Franz Pirolt, Langwiesen 11, 9341 Straßburg und zu seinem Ersatzmitglied Ing. Gerhard Altziebler, Weißensteiner­straße 151, 9712 Fresach gewählt.“

 


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Danke. – Das neue Mitglied des Bun­desrates ist im Saal anwesend. Ich werde daher sogleich seine Angelobung vorneh­men.

Nach Verlesung der Gelöbnisformel durch die Schriftführung wird die Angelobung mit den Worten „Ich gelobe“ zu leisten sein.

Ich ersuche nun die Schriftführung um Verlesung der Gelöbnisformel.

 


Schriftführer Josef Saller: „Sie werden geloben unverbrüchliche Treue der Republik Österreich, stete und volle Beobachtung der Verfassungsgesetze und aller anderen Gesetze sowie gewissenhafte Erfüllung Ihrer Pflichten.“

 


Bundesrat Franz Pirolt (FPÖ, Kärnten): Ich gelobe.

 


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Ich begrüße das neue Mitglied in unserer Mitte. Herzlich willkommen! (Allgemeiner Beifall.)

16.32.3714. Punkt

Jahresvorschau des BMASK 2011 an Nationalrat und Bundesrat auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission für 2011 sowie des Achtzehnmonatsprogramms des spanischen, belgischen und ungarischen Ratsvorsitzes (III-434-BR/2011 d.B. sowie 8479/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Wir gelangen nun zum 14. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Lugsteiner. Ich bitte um den


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 128

Bericht.

 


Berichterstatterin Juliane Lugsteiner: Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Jahresvorschau des Bundes­ministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz 2011 an Nationalrat und Bundesrat auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission für 2011 sowie des Achtzehnmonatsprogramms des spanischen, belgi­schen und ungarischen Ratsvorsitzes.

Der Bericht liegt in schriftlicher Form vor.

Ich komme daher zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz stellt nach Beratung der Vorlage am 12. April 2011 den Antrag, die Jahresvorschau des BMASK 2011 an Nationalrat und Bundesrat auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission für 2011 sowie des Achtzehnmonatsprogramms des spanischen, belgischen und ungarischen Ratsvorsitzes (III-434-BR/2011 d.B.) zur Kenntnis zu nehmen.

 


Vizepräsidentin Mag. Susanne Neuwirth: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Kemperle. – Bitte.

 


16.33.41

Bundesrätin Monika Kemperle (SPÖ, Wien): Herr Bundesminister! Geschätztes Präsidium! Werte Damen und Herren des Bundesrates! Ich glaube, dass die Jahres­vorschau des BMASK relativ ambitioniert ist und sich sehr mit der Entwicklung insgesamt der Arbeitsplätze beziehungsweise der Beschäftigung befasst. Mit der Bewältigung der Wirtschaftskrise und mit der Förderung des Aufschwunges sind natürlich auch wiederum einige Problematiken im Zusammenhang mit dem Finanz­markt verbunden, die sich nicht mehr wiederholen dürfen, denn eine Krise, wie wir sie gerade gehabt haben, ist genug, und es ist sicherzustellen, dass nicht – wie bereits wieder Ansätze zu sehen sind – Zocker unterwegs sind, um neuerlich eine Krise heraufzubeschwören.

Was natürlich in dieser Jahresvorschau noch beinhaltet ist, sind eine Wachs­tumsbelebung und eine Schaffung von Arbeitsplätzen, was sich dadurch manifestiert, dass es eine Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern geben und Vorschläge erarbeitet werden sollen im Zusammenhang mit der Verbesserung, Um- und Durchsetzung der Entsenderichtlinie, die neu vorgelegt werden soll, beziehungsweise auch die Richtlinie zur Arbeitszeitgestaltung überarbeitet werden soll. Ich glaube, dass das Maßnahmen sind, die sinnvoll und wertvoll sind und insgesamt zur Wachstumsbelebung bezie­hungs­weise auch zur Schaffung von Arbeitsplätzen beitragen. Was dazukommt, ist natürlich auch, dass für 2012 vorgesehen ist, dass eine angemessene und nachhaltige Altersvorsorge mit in Augenschein genommen wird, und das Jahr 2012 zum Euro­päischen Jahr für aktives Altern erklärt wird.

Die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ist, glaube ich, ein wichtiges Schwerpunktthema in diesem Zusammenhang, weil es auch darum geht, einen verbesserten Schutz zum Beispiel für die Rechte von Verbrechensopfern vorzu­schlagen beziehungsweise ein Korruptions- und Betrugsbekämpfungsgesetz bezie­hungs­weise Strategien dafür zu entwickeln, beziehungsweise auch um den Katastro­phenschutz.

Was vor allem wichtig ist, ist, dass man die Stärkung der Europäischen Union in der Welt forciert und vorantreibt. Ein Punkt besteht darin, dass im Rahmen der Handels­politik Verhandlungen mit der WTO geführt werden, um die Entwicklungsländer bei der


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 129

Integration in die Weltwirtschaft zu unterstützen – ich denke da nur zum Beispiel an die Aufnahme der internationalen Kernarbeitsnormen bei solchen Verträgen.

Was dazukommt, ist natürlich die Aufnahme der Verhandlungen über einen modernen EU-Haushalt. Hier ist es notwendig, einige Überprüfungen stattfinden zu lassen bezie­hungsweise einige Mitgliedstaaten daran zu erinnern, dass es gilt, hier verschiedene Vereinheitlichungen zu erreichen, allerdings auch wieder unter kritischer Betrachtung dessen, was passiert, denn es kann nicht sein, dass Länder dann unter Umständen Strafzahlungen entrichten müssen, wenn es im Vorfeld möglich wäre, durch verschie­dene andere Maßnahmen Vorkehrungen zu treffen.

Ich glaube, dass die geplanten Initiativen und Maßnahmen, bei denen das BMASK federführend sein kann und sein wird, dazu dienen werden, die notwendigen Vorkeh­rungen zu treffen. Hervorheben möchte ich nur einen Vorschlag für eine beschäfti­gungs­politische Leitlinie, die natürlich auch zu Wachstum und zu Arbeitsplätzen führen soll, oder die Überarbeitung der Arbeitszeitrichtlinie, wie bereits erwähnt. (Präsident Kneifel übernimmt wieder den Vorsitz.)

Gleichzeitig geht es auch darum, im Zusammenhang mit dem Tabakkonsum am Arbeitsplatz den Schutz der ArbeitnehmerInnen in den Vordergrund zu stellen, und natürlich auch, was für uns besonders wichtig ist, dass die Konsultation der Sozialpart­nerInnen zur Beteiligung der ArbeitnehmerInnen bei der Europäischen Aktiengesell­schaft und Genossenschaft mit in den Bereich der Verhandlungen beziehungsweise des Vorschlagswesens genommen wird. Gleichzeitig aber muss auch weiterhin Bedacht darauf genommen werden, dass es zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf notwendig ist, Vorschläge zu machen, beziehungsweise Anpassungen oder Überprü­fun­gen stattfinden sollen.

Es gäbe noch sehr vieles, was in dieser Vorschau beinhaltet ist. Ich glaube, das Programm selbst und die Vorschau sind sehr ambitioniert, und hoffe, dass die Umsetzung genauso ambitioniert sein wird, wobei ich schon der Meinung bin, dass die Umsetzung selbst in eine richtige Richtung geht, denn wir haben ein gutes, ein funktionierendes und ein vor allem sozialpartnerschaftlich relevantes Bundesministe­rium, bei dem die Garantie dafür vorhanden ist.

Ich glaube daher, dass es für uns wichtig ist, diese Jahresvorschau auch so zur Kenntnis zu nehmen und letztendlich auch an der Umsetzung mitzuwirken und beteiligt zu sein. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

16.39


Präsident Gottfried Kneifel: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Mayer. Ich erteile es ihm.

 


16.40.01

Bundesrat Edgar Mayer (ÖVP, Vorarlberg): Herr Präsident! Herr Minister! Herr Staatssekretär! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren an und für sich einen Bericht, der als Vorschau gekennzeichnet ist. Eher könnte man jedoch ein Resümee ziehen, weil er praktisch mit der ungarischen Ratspräsidentschaft endet. Ich möchte dennoch auf einige Themen eingehen, die das dritte oder vierte Quartal betreffen – die Punkte sind ja vom Bundesministerium auf das ganze Jahr verteilt –, wie zum Beispiel der Vorschlag zur verbesserten Umsetzung der Richtlinie zur Entsendung von Arbeit­nehmerInnen, die Überarbeitung der Arbeitszeitrichtlinie, das Weißbuch zu den Pensionen, der Vorschlag für beschäftigungspolitische Leitlinien, die Konsultation der Europäischen Sozialpartner zur Vereinbarkeit von Arbeit, Familie und Beruf und die Vorschläge für die EU-Förderprogramme nach 2013.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 130

Ich möchte kurz auf einige dieser Punkte eingehen und mich dann abschließend insbesondere mit der Entsenderichtlinie und der Arbeitszeitrichtlinie befassen.

Zum Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission ein paar Sätze: Unter dem Titel Wachstumsbelebung und Schaffung von Arbeitsplätzen werden 2011 konkrete Vorschläge und Maßnahmen zu den  Europa 2020-Leitinitiativen – genannt „Inno­vationsunion“, „Jugend in Bewegung“ und „Eine digitale Agenda für Europa“ – vorge­legt werden.

In Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern, das wurde von Frau Kollegin Kemperle schon erwähnt, soll ein neuer Vorschlag zur Verbesserung von Um- und Durch­setzbarkeit der Entsenderichtlinie vorgelegt und gleichzeitig die Richtlinie zur Arbeits­zeitgestaltung überarbeitet werden.

Gespannt darf man, wie erwähnt, auf das Weißbuch zu den Pensionen sein, was im Bereich Qualitätsrahmen für Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse dann im Zusammenhang mit den Pensionen praktisch zu diesem Weißbuch führen wird. Da dürfen wir wirklich sehr gespannt sein, was uns Europa zur Pensions­entwicklung mitzuteilen hat.

Wichtig zur Stärkung der Verbraucherinteressen ist auch die Fortsetzung der Arbeiten zu den Sammelklagen.

Jetzt in aller Kürze noch ein Ausblick, was sich während des ungarischen und polnischen Ratsvorsitzes noch bewegen wird. Ich gebe zu, es ist ein ambitioniertes Programm, Frau Kollegin Kemperle, und wir sind auch wirklich aufgerufen, mitzuar­beiten. Es wird einige Themenschwerpunkte im Sozialbereich geben, die hervorzu­heben sind: Wachstum und Beschäftigung zur Bewahrung des europäischen Sozial­modells, wobei neben den Schwerpunkten Schaffung von Arbeitsplätzen und nach­haltige Wettbewerbsfähigkeit vor allem dem Kampf gegen die Kinderarmut und der Integration der Roma – auch ein besonderes Thema – besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden soll.

Es gibt auch in diesem Bereich im Rahmen des Rates Leitinitiativen, und zwar „Agenda für neue Kompetenzen und Beschäftigungsmöglichkeiten“ und „Europäische Plattform gegen Armut und soziale Ausgrenzung“. Außerdem plant der ungarische Ratsvorsitz noch eine Annahme von Schlussfolgerungen zur Kinderarmut.

Kurz noch zum Verbraucherschutz: Kernthema des ungarischen Ratsvorsitzes im Bereich des Konsumentenschutzes wird die mögliche finale Einigung zur Verbraucher­rechte-Richtlinie sein. Weiters werden – wohl schon unter polnischem Vorsitz – dann die Verhandlungen zur Überarbeitung der Pauschalreise-Richtlinie sowie zur Überarbeitung der allgemeinen Produktsicherheits-Richtlinie starten.

Abschließend zur Entsenderichtlinie und zur Arbeitszeitrichtlinie: Es soll um eine grenzüberschreitende Durchsetzung von Ansprüchen gehen. – Wir haben heute ja bereits das Thema Lohndumping diskutiert. – Nach der Entsenderichtlinie haben entsandte ArbeitnehmerInnen Anspruch auf jene Arbeitsbedingungen und Löhne, die vergleichbaren ArbeitnehmerInnen im Beschäftigerstaat gebühren. Dadurch soll, wie gesagt, Sozialdumping im Rahmen einer Richtlinie verhindert werden.

Bei der Umsetzung gibt es praktische Schwierigkeiten, die durch ein elektronisches System gelöst werden sollen. Österreich unterstützt die Einführung dieses Systems selbstverständlich.

Zur Arbeitszeitrichtlinie: Das ist eine etwas längere Geschichte, die schon seit dem Jahre 2004 andauert. Ich erspare uns jetzt, den Werdegang seit dieser Zeit zu beschreiben. Im Jänner haben die europäischen Sozialpartner einen neuen Anlauf


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 131

unternommen. Die österreichische Position dazu ist folgende: „Eine Regelung des Bereitschaftsdienstes, wie sie zwischen Rat und EP im Vermittlungsverfahren vereinbart wurde, ist aus österreichischer Sicht zu begrüßen. Nicht aktive Zeiten wären danach nicht auf das Höchstausmaß der Arbeitszeit anzurechnen.“

So viel in aller Kürze zu diesem Bericht. Meine Fraktion wird dem natürlich gerne ihre Zustimmung geben. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

16.44


Präsident Gottfried Kneifel: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Dönmez zu Wort. – Bitte.

 


16.45.04

Bundesrat Efgani Dönmez, PMM (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrtes Präsidium! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Werte Zuseher! Diese Jahresvorschau befasst sich mit zahlreichen Thematiken. Ich möchte das, was Herr Kollege Edgar Mayer hinsichtlich der Arbeits­zeitrichtlinie ganz kurz angesprochen hat, etwas detaillierter skizzieren – dafür lasse ich andere Themen weg.

Die Kommission will gemeinsame Mindeststandards auf EU-Ebene. Das heißt, dass die Arbeitszeit nicht auf lokaler oder nationaler Ebene geregelt werden soll. Die Bereiche der Bereitschaftsdienste und Ausgleichsruhezeiten sind bisher unbefriedi­gend gelöst. Daher werden nun zwei Möglichkeiten in Erwägung gezogen: Entweder es werden neue Lösungen für die Bereitschaftsdienste und die Ausgleichsruhezeiten gesucht, oder es wird eine umfassende Revision der Richtlinie geben, die dem anhaltenden Trend zu flexibleren Arten der Arbeitsorganisation und individualisierter Arbeitszeit Rechnung trägt.

Wir Grünen haben dazu eine ganz klare Meinung und einen umfassenden Forderungs­katalog.

Erstens: Bereitschaftsdienste sollen weiterhin im Einklang mit der einschlägigen Judikatur des Europäischen Gerichtshofes als Arbeitszeit im Sinne der Richtlinie gewertet werden. Ausnahmeregelungen davon lehnen wir ab.

Zweitens: Aktuelle Studien bestätigen, dass das Aufschieben der täglichen oder wöchent­lichen Ausgleichsruhezeiten schwere Auswirkungen auf Gesundheit und Sicherheit der ArbeitnehmerInnen hat. Hier wird sehr genau zu prüfen sein, welche Art der Flexibilisierung sich die Kommission in den sogenannten besonderen Fällen vorstellt.

Drittens: Die Möglichkeit des individuellen Abweichens von der Höchstarbeitszeit, also das Opt-Out, sollte unserer Meinung nach abgeschafft werden.

Viertens: Bei einer allfälligen Ausdehnung der Durchrechnungszeiten für die maximal zulässige Arbeitszeit fordern wir den Vorrang kollektivvertraglicher Lösungen.

Fünftens: Die vom Europäischen Parlament vorgesehenen Bestimmungen zur bes­seren Vereinbarkeit von Beruf und Familie sollten natürlich in die Richtlinie aufgenom­men werden. Generell sind wir für eine Verkürzung der Arbeitszeit statt ihrer weiteren Ausdehnung.

Am 21. Dezember 2010 hat die Europäische Kommission eine neue Anhörungsrunde zur Überarbeitung der EU-Arbeitszeitrichtlinie eröffnet. Dazu präsentierte sie in einer Mitteilung einige Überlegungen. Sie legte damit den Sozialpartnern – das sind die Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und der Arbeit­


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 132

geber und Arbeitgeberinnen – ihre Vorschläge vor. In der Mitteilung greift die Kommis­sion alle zentralen Festlegungen in dieser Richtlinie für den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz auf und stellt sie gleichzeitig zur Disposition.

Dazu sagen wir European Greens – unsere Kollegen auf europäischer Ebene – Folgendes: Es ist enttäuschend, „dass die Kommission in ihren neuen Vorschlägen weit hinter die Vorschläge des Parlaments zurückfällt. Sie versucht erneut die Arbeits­zeitrichtlinie an vielen Stellen zu öffnen und damit den Arbeits- und Gesundheitsschutz zurückzufahren. Zwar behauptete die Kommission am Anfang ihrer Mitteilung, an europäischen Minimalvorschriften für den Arbeitsschutz festhalten zu wollen. Aber im folgenden Text ist das nicht mehr zu erkennen. Nach ihren Vorstellungen kann die Flexibilität in den wichtigsten Schutzmechanismen, wie Tages- und Wochenarbeitszeit bzw. in den dazu gehörigen Ruhezeiten erhöht werden. Zudem will sie zulassen, dass entgegen der Rechtssetzung des Europäischen Gerichtshofs für bestimmte Arbeitformen doch Sonderregelungen gelten können. Damit gibt die Kommission de facto die Schutzmechanismen für den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz auf. [...]

Gleichzeitig hat die Kommission nicht den Mut, als Alternative die immer noch geltende Ausnahmeklausel der Richtlinie (das so genannte ,Opting Out‘) endlich zu beenden, obwohl diese damals nur als Übergangsregelung gedacht war. Sie hofft allein darauf, dass eine hohe Flexibilität in den Vorschriften der Arbeitszeiten und der Ruhezeiten die ,Opting-Out-Klausel‘ irgendwann praktisch überflüssig machen wird. Damit setzt sie doppelt auf Beliebigkeit im Arbeitsrecht, auf Flexibilität und auf Ausnahmen in den Arbeitsverträgen.“

Und weiter: Diese Vorschläge sind „ein Kniefall vor den Mitgliedsstaaten, die die Arbeitszeitrichtlinie nicht vollständig umsetzen wollen.“ Da stellt sich die berechtigte Frage: „Welchen Wert hat eine solche durchlöcherte europäische Mindestvorschrift für den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz dann noch? Dieser Vorschlag ist typisch für Präsident Barroso und das von ihm geführte Kollegium. Er ergreift keine Initiative für den sozialen Schutz in Europa, sondern überlässt das anderen.“

Natürlich ist diese Materie vor dem Hintergrund der gesamten Arbeitszeitentwicklung zu betrachten. Eine Anfang Februar 2011 präsentierte Studie zum Thema Arbeits­zeitentwicklung in Europa bestätigt in weiten Teilen die langjährigen Forderungen der Gewerkschaften im Arbeitszeitbereich.

„Der vermehrte Hinweis darauf, dass überlange Arbeitszeiten und unzureichende Erholungs- beziehungsweise Freizeitphasen zu erheblichen Gesundheitsschädigungen führen,“ ist aus dieser Studie klar ersichtlich. Es geht auch klar daraus hervor, dass „die Arbeitszeitentwicklung in Europa [...] insgesamt äußerst bedenklich“ ist und „einer klaren und die ArbeitnehmerInnen schützenden Normierung“ bedarf.

Schließlich wird angesprochen: „Die Studie lässt auch erkennen, dass die miss­bräuchliche Anwendung der derzeitigen geltenden Richtlinie – Stichwort Opt-Out – dringend gestoppt werden muss, da eine systematische Unterwanderung von Arbeits­zeitvorschriften nicht vertretbar ist.“

Wir haben heute schon über Arbeitsschutzmaßnahmen gesprochen und darüber, wie wichtig Arbeitsschutz ist. Wir Grünen treten für den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein – Schutz vor Ausbeutung und Übervorteilung. Ich verlange von der Kommission, auf eine gerechte Verteilung des Wohlstandes zu achten – des Wohl­standes, den wir uns alle gemeinsam erarbeiten. Faire Arbeitsbedingungen schließen kontrollierte Arbeitszeitgesetze mit ein und sind Teil unseres Wohlstandes.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 133

Wir werden dem Antrag ebenfalls zustimmen und den Bericht zur Kenntnis nehmen. Danke. (Bundesrätin Mühlwerth – auf die leeren Plätze der Grünen weisend –: Jetzt ist niemand da, der klatscht!)

16.52


Präsident Gottfried Kneifel: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen nun zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

16.52.5015. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 31. März 2011 betreffend Protokoll zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland zur Abänderung des am 24. August 2000 in Berlin unterzeichneten Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (1071 d.B. und 1117 d.B. sowie 8480/BR d.B.)

16. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 31. März 2011 betreffend Abkommen zwischen der Republik Österreich und Bosnien und Herzegowina zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen samt Protokoll (1064 d.B. und 1118 d.B. sowie 8481/BR d.B.)

 


Präsident Gottfried Kneifel: Nunmehr kommen wir zu den Punkten 15 und 16 der Tagesordnung, über welche die Debatte unter einem durchgeführt wird.

Berichterstatter zu den Punkten 15 und 16 ist Herr Bundesrat Lampel. – Bitte um die Berichte.

 


16.53.33

Berichterstatter Michael Lampel: Sehr geschätzter Herr Präsident! Herr Staatssekre­tär! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich bringe den Bericht des Finanzaus­schus­ses über den Beschluss des Nationalrates vom 31. März 2011 betreffend Proto­koll zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland zur Abände­rung des am 24. August 2000 in Berlin unterzeichneten Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor; ich komme daher sogleich zur Antragstellung. (Unruhe im Saal. Präsident Kneifel gibt das Glockenzeichen.)

Der Finanzausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 12. April 2011 mit Stimmenmehrheit den Antrag,

1. gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben,

2. dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 2 B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen.

Weiters bringe ich den Bericht des Finanzausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 31. März 2011 betreffend Abkommen zwischen der Republik Öster­


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 134

reich und Bosnien und Herzegowina zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen samt Protokoll.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor; ich komme daher sogleich zur Antragstellung.

Der Finanzausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 12. April 2011 mit Stimmen­mehrheit den Antrag,

1. gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben,

2. dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 2 B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen.

 


Präsident Gottfried Kneifel: Wir gehen in die Debatte ein. Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ertl. – Bitte.

 


16.55.35

Bundesrat Johann Ertl (FPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Mit der Übernahme des OECD-Standards für Amtshilfe in Steuersachen bleibt nicht mehr viel vom traditionellen österreichischen Bankgeheimnis übrig. In den letzten Jahren hat sich der Druck aus dem Ausland auf das österreichische Bankgeheimnis stetig erhöht. Vorläufiger Höhepunkt war, als die OECD drohte, Österreich auf die schwarze Liste der Steueroasen zu setzen.

Die FPÖ steht natürlich zum Doppelbesteuerungsabkommen, wie dieses im Jahr 2000 vereinbart wurde. Diese Abkommen aus dem Jahr 2000 haben elf Jahre lang gehalten, und es hat keine Probleme gegeben. Die OECD hat jetzt neue Richtlinien erlassen und ergänzt die bisherigen Doppelbesteuerungsabkommen, weil man unter dem Titel Terrorbekämpfung sogenannte Steueroasen beseitigen will und auch Österreich als ein solcher Staat vermutet wurde.

Man hat uns, wie schon erwähnt, mit einer schwarzen Liste gedroht, wenn wir die Grundsätze nicht übernehmen. Wir glauben, dass dadurch eine Riesengefahr besteht, das Bankgeheimnis auch für Inländer aufzuheben. Ich erinnere nur daran, dass jedes Gesetz für jeden gleich gilt – nicht nur für den Ausländer.

Wir stimmen deshalb gegen diese Gesetzesvorlage, weil das Bankgeheimnis ein Grundrecht der Österreicher bleiben muss. (Beifall bei der FPÖ.)

Meine Damen und Herren von der ÖVP, Ostern steht vor der Tür. (Bravorufe bei der ÖVP.) Sie haben in den nächsten Tagen einige wichtige Personalentscheidungen zu treffen, und ich hoffe, Sie aktivieren zum Finanzminister nicht den ehemaligen Innen­minister Strasser. – Danke. (Beifall bei der FPÖ. – Ironische Heiterkeit und Rufe bei der ÖVP: Der war gut! Bundesrat Gruber in Richtung FPÖ : Mit dem habt ihr doch eh so gut zusammengearbeitet!)

16.57


Präsident Gottfried Kneifel: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Staatssekretär Mag. Schieder. – Bitte.

 


16.58.08

Staatssekretär im Bundesministerium für Finanzen Mag. Andreas Schieder: Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Hoher Bundesrat! Nur in aller Kürze: Es ist natürlich auch mit dem revidierten Artikel 26, der den Standards der OECD-Musterabkommen entspricht, nicht so, dass das Bankgeheimnis ausgehöhlt oder gar abgeschafft wird. – Diesen Eindruck hat ja mein Vorredner erweckt.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 135

Aber ein wichtiger Punkt, auf den ich noch – angesichts der schon lang andauernden Debatte in aller Kürze – verweisen möchte, ist weniger das Doppelbesteuerungs­abkommen mit Deutschland, das quasi nur die neuen OECD-Standards inkorporiert, sondern das aus handelspolitischer Sicht wesentlich bedeutendere Abkommen mit Bosnien-Herzegowina, weil wir bis dato kein Abkommen mit Bosnien-Herzegowina haben und dadurch in unserem Netzwerk von Ländern, mit denen wir Doppelbe­steuerungsabkommen haben, eine bestehende Lücke geschlossen wird.

Das hat auch zur Folge, dass es handelspolitisch, wirtschaftspolitisch und standort­po­litisch für Österreich ein sehr positives Ereignis ist, dass wir heute mit dem Beschluss endlich auch mit Bosnien-Herzegowina ein Doppelbesteuerungsabkommen haben, was Sicherheit, Kontinuität und vermehrte Handels- und Wirtschaftsbeziehungen bedeuten wird. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

16.59


Präsident Gottfried Kneifel: Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Die Abstimmung über die gegenständlichen Beschlüsse des Nationalrates erfolgt getrennt.

Wir gelangen zunächst zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 31. März 2011 betreffend Protokoll zwischen der Republik Österreich und der Bundes­republik Deutschland zur Abänderung des am 24. August 2000 in Berlin unterzeich­neten Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen.

Da der gegenständliche Beschluss Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbe­reiches der Länder regelt, bedarf dieser der Zustimmung des Bundesrates gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 2 Bundes-Verfassungsgesetz.

Wir kommen zuerst zur Abstimmung, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

Nun lasse ich über den Antrag abstimmen, dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 2 Bundes-Verfassungsgesetz die verfas­sungsmäßige Zustimmung zu erteilen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

Wir gelangen somit zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 31. März 2011 betreffend Abkommen zwischen der Republik Österreich und Bosnien und Herzegowina zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen samt Protokoll.

Da der gegenständliche Beschluss Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbe­reiches der Länder regelt, bedarf dieser der Zustimmung des Bundesrates gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 2 Bundes-Verfassungsgesetz.

Wir kommen zunächst zur Abstimmung, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 136

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag, keinen Einspruch zu erhe­ben, ist somit angenommen.

Nun lasse ich über den Antrag abstimmen, dem vorliegenden Beschluss des National­rates gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 2 Bundes-Verfassungsgesetz die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

17.02.4517. Punkt

EU-Jahresvorschau 2011 des Bundesministeriums für Finanzen (III-428-BR/2011 d.B. sowie 8482/BR d.B.)

 


Präsident Gottfried Kneifel: Wir gelangen somit zum 17. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Lampel. – Ich bitte um den Bericht.

 


17.02.58

Berichterstatter Michael Lampel: Sehr geschätzter Herr Präsident! Herr Staats­sekretär! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich bringe den Bericht des Finanzaus­schusses über die EU-Jahresvorschau 2011 des Bundesministeriums für Finanzen.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor; ich komme daher sogleich zur Antrag­stellung.

Der Finanzausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 12. April 2011 mit Stimmenmehrheit den Antrag, die EU-Jahresvorschau 2011 des Bundesministeriums für Finanzen zur Kenntnis zu nehmen.

 


Präsident Gottfried Kneifel: Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Kraml. Ich erteile es ihm.

 


17.03.49

Bundesrat Johann Kraml (SPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die EU-Jahres­vorschau 2011 des Bundesministeriums für Finanzen stellt sowohl das Legislativ- und Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission als auch das Arbeitsprogramm des Ecofin-Rates für 2011 vor.

Der Bericht befasst sich auch mit der wirtschaftlichen Steuerung der EU. Unter der jetzigen Präsidentschaft wird erstmals das Europäische Semester umgesetzt, durch das in Zukunft eine stärkere und bessere Abstimmung nationaler Wirtschafts- und Budgetpolitiken erreicht werden soll.

Seit heuer müssen die Mitgliedstaaten ihre nationalen Stabilitäts- beziehungsweise Konvergenzprogramme der Europäischen Kommission übermitteln. Die Kommission kann dann länderspezifische Empfehlungen aussprechen, aber auch Sanktionen, wenn ein übermäßiges Defizit erwirtschaftet wird beziehungsweise sich ein Land nicht an die Empfehlungen hält.

Dabei geht es darum, dass alle Schulden, die jetzt irgendwo geparkt sind, auf eine Ebene kommen und das dann die gesamten Staatsschulden sind. Ich habe diese Auslagerungen sowieso nie verstanden, denn Schulden sind für mich Schulden und sind irgendwann zu bezahlen. Es ist ja so, wenn ich mein Haus mit 100 000 € belaste und dann gefällt mir das nicht so richtig, dann sage ich, 30 000 € gebe ich weg, dafür


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 137

belaste ich mein Gartenhaus, dann werden es immer noch 100 000 € Schulden sein, die einmal zu bezahlen sind.

Neben der budgetpolitischen Überwachung gibt es auch noch die Überwachung von makroökonomischen Ungleichgewichten, die eingeführt wird. Es war ein Erfolg von Bundeskanzler Faymann – das darf man hier auch einmal sagen –, dass im Pakt für den Euro beschlossen wurde, dass die Lohn- und Pensionspolitik in der Kompetenz der Mitgliedsländer voll gewahrt bleibt.

Ein Schwachpunkt im steuerlichen Bereich ist meiner Ansicht nach das Verhalten der Kommission bezüglich einer europaweiten Finanztransaktionssteuer. Obwohl, wie aus dem Bericht hervorgeht, 529 EU-Abgeordnete für eine solche Finanztransaktionssteuer eingetreten sind und nur 127 dagegen waren, kümmert das die Kommission nicht wirklich. Der zuständige EU-Steuerkommissar Šemeta warnt vor einem Alleingang der EU. Ich meine, dass es schon wünschenswert wäre, wenn wir weltweit ein Abkommen zusammenbrächten. Aber wenn wir darauf warten, werden wir alle zumindest nicht mehr in unseren jetzigen Funktionen sein.

Ich glaube, dass wir danach trachten müssen, dass wir zumindest europaweit so eine Finanztransaktionssteuer auf die Schiene bringen. Ich denke, dass wir das einfach brauchen. Die Finanzmärkte dürfen nicht ungeschoren davonkommen, meine ich. Ich habe heute gehört, dass die amerikanischen Banken schon wieder sehr gut drauf sind. Sie haben eine Reihe von Banken in Konkurs gehen lassen, ohne mit der Wimper zu zucken. Aber diese restlichen Banken sind natürlich schon wieder bereit, sich hier in die Schlacht zu werfen. Und was es heißt, wenn sich Banken und Finanzinstitute in die Schlacht werfen, das haben wir alle in den letzten Jahren mitbekommen.

Im Vorhabensbericht sind auch Maßnahmen zur Stabilität des Finanzmarktes ange­führt. Da geht es vorerst einmal um eine höhere Eigenkapitalquote und Vorschriften für Banken, dieses sogenannte Basel III – das uns alle, die Klein- und Mittelbetriebe sind, nicht recht freut; das darf man auch einmal ganz offen dazu sagen.

Aber was ganz wichtig ist, ist, dass die Rating-Agenturen an die Kandare genommen werden beziehungsweise dass vielleicht sogar europäische Rating-Agenturen geschaf­fen werden. Es kann nämlich nicht so sein, dass wir den amerikanischen Rating-Agenturen ausgeliefert sind. Wer verfolgt hat, wie sie das Spiel mit Griechenland, mit Portugal gespielt haben oder es jetzt auch schon mit Spanien versuchen, der weiß, wo das hinführt. Denn wenn ein Land in Schwierigkeiten ist und man setzt noch eins drauf, dann wird es natürlich für dieses Land immer schwieriger, dass es sich erfängt.

Wir haben ja jetzt den Rettungsschirm für drei Jahre, der dann in den Stabilitäts­mechanismus übergeht. (Bundesrätin Mühlwerth: In den dauerhaften!) – In den dauerhaften. Frau Kollegin, da haben Sie recht.

Ich glaube, dass wir einfach einmal aufhören müssen, dass wir reihum nur die Zahler sind – und ich sage jetzt andererseits nicht: die „Nehmer“, sondern: die Empfänger; die gibt es ja auch –, denn das hält das System nicht aus. Die EU ist finanztechnisch nur so gut, wie ihre Länder sind. Danach müssen wir trachten, und das muss unser Ziel sein.

Insgesamt meine ich, dass der Stabilitätspakt etwas sehr Gutes ist, weil wir alle nichts davon haben, wenn in der EU ein Land nach dem anderen – sage ich jetzt einmal ganz locker – den Bach hinuntergeht. Das können wir nicht brauchen. Wir müssen uns in der EU zu einer Wirtschaftsunion entwickeln, die wirklich schlagkräftig ist. Wir haben Konkurrenten, wir haben den asiatischen Markt und wir haben auch die Amerikaner. Daher braucht es ein sehr starkes Europa.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 138

Wir werden dieser Vorlage unsere Zustimmung geben. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

17.09


Präsident Gottfried Kneifel: Zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrätin Kersch­baum. Ich erteile es ihr.

 


17.10.01

Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum (Grüne, Niederösterreich): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch wir werden den Bericht zur Kenntnis nehmen. Ich würde mir allerdings wünschen, dass man auch im Finanzbereich vielleicht die Sprache ein bisschen ändert. Bei den Medizinern ist man ja das Fachchinesisch gewöhnt, im Finanzbereich ... also wenn man sich den Bericht durchliest, glaube ich, gibt es nicht allzu viele, die ihn verstehen. Das fängt an mit Abkürzungen und geht weiter mit Fachbegriffen, wo wahrscheinlich viele nachschauen müssen, worum es eigentlich geht.

Also ein bisschen mehr Verständlichkeit des Berichts wäre schön. Das wäre ja auch mit den Kriterien, die das Bundeskanzleramt für die Form des Berichts vorgibt, vereinbar. Das wäre noch ein Wunsch, den ich hier unterbringen möchte.

Dann komme ich noch zum Inhaltlichen. Hauptpunkt des Berichts ist ja die Strategie Europa 2020. Schön ist, dass diese künftig für ein intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum in Europa sorgen soll. Das ist prinzipiell ein guter Ansatz. Probleme haben wir eher mit dem Weg zum Ziel, denn dieser Weg zum Ziel ist für den Herrn Finanzminister – auch für Sie wahrscheinlich – erst einmal eine Verschärfung des Stabilitätspakts.

Prinzipiell ist klar, dass Defizite und Schulden überwacht werden müssen, weil wir ja alle in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum wohnen. Aber die dazugehörigen Struk­turen und die Form, wie überwacht wird und auf welche Dinge dann mehr oder weniger Rücksicht genommen wird, wenn es zu Kürzungen kommt, gehören festgelegt. Da geht es eben viel zu sehr in Richtung Kürzungen von Budgetausgaben, in Richtung Lohnkürzungen, in Richtung Sozialleistungskürzungen, in Richtung Dienstleistungskür­zun­gen öffentlicher Dienstleistungen. Das wiederum ist dann das, was die Bevölke­rung, und zwar die sozial schwächere Bevölkerung in erster Linie, ausbaden muss, wenn es eine Krise in einem Land gibt.

Wenn alle Staaten gleichzeitig konsolidieren und alle Staaten gleichzeitig ihre Sozialleistungen et cetera kürzen, dann haben wir wahrscheinlich auch das Problem, dass ja die Kaufkraft gerade für die sozial Schwächeren, die ihr Geld sowieso nicht im Ausland ausgeben, sinkt und damit unser BIP auch nicht wirklich wachsen wird. Also die Nachfrageseite, denke ich, ist bei diesen Stabilitätspaktvorschlägen doch etwas ins Hintertreffen geraten.

Es ist ja nicht so, dass die letzte Krise in erster Linie durch jahrelange Defizitüber­schreitungen oder jahrelange Überschreitungen der Schuldenkriterien ausgelöst wurde. Gerade bei Irland und Spanien zum Beispiel ist es so, dass weder Defizite noch Schuldenkriterien großartig überschritten worden wären. Da ging es eher um negative Leistungsbilanzen, um zu hohe Auslandsverschuldungen auch im privaten Sektor – und nicht zu vergessen die Finanzkrise, die ja auch mit Spekulationen etwas zu tun hatte. Also es hat nicht unbedingt immer etwas damit zu tun, dass die Sozialleistungen zu hoch sind, es gibt auch andere Parameter, die eine Krise auslösen können.

Es ist ja erfreulich, dass künftig auch makroökonomische Faktoren berücksichtigt werden sollen. Das ist einer dieser Ausdrücke, die ich vorhin gemeint habe. Das ist gut und positiv. Die Frage in diesem Bereich ist auch: Welche Faktoren werden da berücksichtigt? Es ist nämlich ein Unterschied, ob ich die Leistung meines Landes nur


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 139

in Lohnstückkosten messe oder ob ich vielleicht auch gegenüberstelle, wie das mit der Lohnquote und mit der Gewinnentwicklung der Unternehmen ist. Es ist nicht ganz unwichtig, wie diese Faktoren festgelegt werden, denn wenn ich danach messe, werde ich auch meine Maßnahmen entsprechend setzen.

Soweit ich das verstanden und mitbekommen habe, ist es noch nicht ganz sicher, wie diese Indikatoren aussehen werden. Ich bin mir nicht so hundertprozentig sicher, dass es diesbezüglich wirklich bis Juni eine Einigung mit dem Europäischen Parlament geben wird.

Dann gibt es noch dieses Europäische Semester, also die laufende Überwachung der Budgets. Prinzipiell ist das natürlich eine sehr sinnvolle Sache. Es lässt sich ja auch jedes größere Unternehmen zertifizieren und extern überprüfen, also prinzipiell eine gute Sache. Das, was mich daran aber am meisten stört, ist Folgendes: Wir haben vorhin von der EU-Kommission diesen Bericht bekommen, den Jahreswachstums­bericht. Jetzt liefern wir unsere Vorhaben, unsere nationalen Pläne dazu ab. Und auch die Länder haben schon ihre Pläne zum Teil – haben wir im Ausschuss gehört – dazu eingebracht, wobei: Länder sind in dem Fall auch wieder Landesregierungen.

Was mir fehlt, ist die Befassung des Parlaments, denn im Prinzip ist das, was wir jetzt nach Brüssel liefern, schon ein bisschen so etwas, was dann eigentlich in unser Budget einfließen sollte. Und das Parlament sollte sich ja mit dem Budget befassen. Wenn die Grundlagen jetzt schon mit der Kommission von der Regierung so abge­glichen werden, denke ich: Im Nachhinein berichten und das Parlament darf nur mehr die Hand heben, das sollte es ja wohl auch nicht sein! Es ist an und für sich prinzipiell nicht so gedacht, dass das Parlament erst im Nachhinein mit diesen Dingen und mit diesen Meldungen befasst wird.

Ich hatte im Ausschuss ein wenig den Eindruck, es gab eine gewisse Verwunderung darüber, warum ich das überhaupt frage und wie es das geben kann, dass sich das Parlament – wir vielleicht als Kammer nicht unbedingt, aber zumindest der National­rat – nicht schon im Vorhinein mit diesen Zahlen und Vorschlägen, die von Österreich nach Brüssel geliefert werden, befasst.

Ich möchte zum Schluss noch ganz kurz auf den letzten EU-Ausschuss eingehen. Ich würde mir wünschen, dass wir diesen EU-Ausschuss und auch die Themen, die dort behandelt werden, ein wenig ernster nehmen. Die Einladung haben wir zwei Tage vorher bekommen. Bei mir persönlich sind die Links nicht aufgegangen. Ich weiß, es hat bei anderen auch nicht funktioniert, das war ein technisches Problem, das hoffentlich einmalig war.

Aber es ist auch die Tagesordnung so gewesen, dass es ein sehr breites Diskus­sionsthema zu einem Tagesordnungspunkt gab. Dementsprechend hat sich auch die Diskussion ziemlich zerfetzt und war nicht wirklich so, dass man sagt, jetzt wissen alle, wovon die anderen reden. Also ich würde mir wünschen, dass man da konkretere Vorgaben macht, was die Tagesordnung betrifft, vor allem auch, dass wir diese früher kennen und dass wir auch die Unterlagen bekommen. (Bundesrätin Mühlwerth: Dass jeder die gleichen Unterlagen hat!) – Genau.

Dann war noch das „Nette“ beim Tagesordnungspunkt 3, der ja dann sowieso verscho­ben wurde, dass es eine Länderstellungnahme gibt und wir im Ausschuss nicht einmal die Länderstellungnahme vorher bekommen haben. (Bundesrat Mayer: ... vertagt worden!) – Ja, ist eh vertagt worden, sage ich ja.

Aber es war schon spannend; ich denke, diese Länderstellungnahmen zu diesen Tagesordnungspunkten sind ja keine Geheimpapiere. Also ich hoffe doch, dass die Länderstellungnahmen etwas sind, was man in Wirklichkeit in die Öffentlichkeit tragen


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 140

will. Die Länder sind doch interessiert und haben ihre Stellungnahme abgegeben. Das ist super und toll, wir diskutieren mit! – Aber irgendwie scheint es manchmal so zu sein, als wäre gewünscht, dass das alles ein bisschen ein Geheimpapier ist. Und das ist nicht das, was wir uns wünschen.

Ich würde mir, wie gesagt, wünschen, dass wir das ernster nehmen und künftig gerade diese Themen auch ausführlich im Ausschuss diskutieren, wo man sich auch vorbereiten kann.

Ganz zum Schluss noch zu dem Antrag, den wir nach diesem Tagesordnungspunkt beschließen sollen, denn dazu gibt es keine eigene Diskussion, glaube ich. Da geht es um das Hearing der Bewerberinnen und Bewerber um die Stelle eines Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofes, für welche dem Bundesrat das Vorschlagsrecht zukommt.

Also prinzipiell ist es so, dass der Teilnehmerkreis besteht aus zehn Bundesrätinnen und Bundesräten auf Vorschlag der parlamentarischen Klubs ... (Bundesrat Mag. Klug: Das ist erst im nächsten Tagesordnungspunkt!) – Ich habe gesagt, ich mache das gleich dazu, denn es gibt keine eigene Diskussion. Diese BundesrätInnen werden also auf Vorschlag der parlamentarischen Klubs eingeladen. Es gibt da nur ÖVP, SPÖ, FPÖ. Offenbar sind damit die Bundesratsklubs gemeint und nicht die parlamenta­rischen Klubs, denn im Parlament gibt es schon einen Grünen Klub.

Es ist natürlich nicht so fein, wenn wir nicht einmal zuhören dürfen, wenn das Hearing stattfindet. Es wird schon irgendeinen Grund haben, warum wir das nicht dürfen. (Bundesrat Mag. Klug: Stimmt ja nicht!)

Was aber noch dazukommt, ist, dass das Hearing für Medienvertreter nicht zugänglich ist. (Bundesrat Mag. Klug: Haben wir noch nie gemacht, bitte schön!) Das finde ich auch ein wenig eigenartig. Und in dem Fall werden wir hier unsere Hand nicht heben. (Beifall bei den Grünen.)

17.18


Präsident Gottfried Kneifel: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Staatssekretär Mag. Schieder. Ich erteile es ihm.

 


17.18.33

Staatssekretär im Bundesministerium für Finanzen Mag. Andreas Schieder: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zum vorliegenden Tages­ordnungspunkt EU-Jahresvorschau 2011. Im Kern sind es ja viele Punkte, die schon seit 2010 auch im Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission gestanden sind und noch einmal um das Arbeitsprogramm der Präsidentschaften verfeinert wurden.

Zu den angesprochenen Punkten. Im Wesentlichen, wenn man so will, kann man das auch in vier Punkten zusammenfassen:

Zur Sprache. Da gebe ich der Kollegin Vorrednerin, Bundesrätin Kerschbaum, durch­aus recht: Die Finanzweltsprache ist eine, die sich in Abkürzungen ergeht. Noch dazu ist dann immer die Frage: Ist es eine deutsche Abkürzung, eine englische Abkürzung oder eine französische Abkürzung? Nicht immer ist das gleich erkennbar. Aber ich glaube, es gibt schon ein Bemühen, hier sehr viele Begriffe nur mehr in der Klammer abzukürzen und davor durch einen langen Ausdruck zu beschreiben.

Trotzdem sei auch diese kritische Anmerkung als Verbesserungsvorschlag mitgenom­men.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 141

Zum Europäischen Semester muss man zwei Dinge sagen: Natürlich ist es das Resultat aus all den Ereignissen der letzten Jahre, dass man sagt, es sollen die nationalen Haushaltspläne der nationalen Regierungen sowie die Stabilitätspläne an die Europäische Kommission gemeldet werden.

Wo das Parlament ins Spiel kommt – das ist hiebei schon auch beteiligt –, ist beim Bundesfinanzrahmengesetz, das ja auch eine mehrjährige Planung ist und das auch an die Europäische Kommission gemeldet wird. In Zukunft wird diese ja auch zurückmelden, wie sie das sieht und was immer sie dazu zu sagen haben wird.

Der zweite wichtige Punkt ist Regulierung und Verbesserung der Aufsicht. So sind ja in den Vorhaben der Europäischen Kommission und auch des ECOFIN-Rats noch wichtige regulatorische Vorhaben enthalten, wie Verbesserung der Einlagensicherheit, des Anlegerschutzes, die CDS-Handel-Frage – also jener Handel mit Credit Default Swaps, also die Kreditausfallsversicherungen (Bundesrätin Kerschbaum: Super!); das ist allerdings ein bisschen eine Herausforderung! –, die Verbesserung der Rating­agen­turen, also jener Einheiten, die – beziehungsweise deren Manager – Bewertungen abgeben, der ganze Bereich von anderen Governance-Fragen bis hin zu Basel III, sprich dem Prinzip, mehr Risiko auch mit mehr Eigenkapital zu hinterlegen.

Drittens, zu dieser wirtschaftspolitischen Koordinierung nur ein paar Anmerkungen: Ich glaube, dass die 2020-Ziele der Europäischen Union – sprich: mehr Wachstum, mehr Beschäftigung, mehr ökologisch nachhaltige Dimension – die Punkte sind, an denen sich auch in Zukunft die wirtschaftspolitische Koordinierung der Europäischen Union im Sinne von mehr Stabilität, Wachstum und Beschäftigung zu orientieren hat.

Beschäftigung scheint mir jener Punkt zu sein, der noch viel zu wenig in der europäischen Diskussion in der Umsetzung auch berücksichtigt wird. Und wenn man über Wettbewerbsfähigkeit spricht, so ist eine Beschäftigungslage und eine Ausbil­dungs­lage und alles, was damit zu tun hat, auch zu beachten.

Gerade aus österreichischer Position – vorher war gerade der Herr Sozialminister hier; wir sind das Land mit der niedrigsten Arbeitslosigkeit innerhalb der Europäischen Union und waren das auch in der Krise – ist es daraus auch unsere Verpflichtung, diese Arbeitsmarktdiskussionen auf europäischer Ebene in allen Gremien – also sprich: auch ECOFIN, Europäischer Rat – und bei diesen Wettbewerbsdiskussionen einzubringen, denn das hängt schon auch zusammen. Und wir können auch nicht sehenden Auges hinnehmen, dass es Länder wie Italien oder Spanien gibt, wo 30, 40 Prozent der jungen Leute überhaupt keinen Job haben und daraus natürlich auch eine große Hoffnungslosigkeit resultiert.

Der letzte Punkt: Ich glaube, ganz, ganz wichtig ist die gesamte Frage der Besteuerung des Finanzsektors, wo ja aus österreichischer Sicht das Mega-Thema die Finanz­transaktionssteuer ist. Wie richtig von meinem Vorredner Bundesrat Kraml erwähnt wurde: Das Europäische Parlament hat glücklicherweise mit überwältigender Mehrheit für eine Finanztransaktionssteuer gestimmt. Einige nationale Parlamente und Regie­run­gen sind auch dafür. Es werden immer mehr und nicht weniger. Daher ist das – wie ich denke  ein klarer Wink – womit auch immer – an die Europäische Kommission, in dieser Frage umzudenken und auch weiterzugehen.

Jedenfalls halte ich das für die politische Diskussion in der nächsten Zeit, die sowohl aus Einnahmensicht als auch aus Gerechtigkeits- und auch aus regulatorischer Spekulationsbekämpfungssicht ganz, ganz wichtig ist. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

17.23



BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 142

Präsident Gottfried Kneifel: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Damit ist die Debatte geschlossen.

Wir gelangen nun zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

17.24.2518. Punkt

Selbständiger Antrag der Bundesräte Gottfried Kneifel, Mag. Gerald Klug, Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen betreffend Abhaltung einer parlamenta­rischen Enquete gemäß § 66 GO-BR für ein Hearing der Bewerberinnen und Bewerber um die Stelle eines Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofes, für welche dem Bundesrat das Vorschlagsrecht zukommt (184/A-BR/2011)

 


Präsident Gottfried Kneifel: Wir gelangen zum 18. Punkt der Tagesordnung.

Wortmeldungen dazu liegen nicht vor.

Wünscht jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Selbständigen Antrag 184/A-BR/2011 der Bundesräte Gottfried Kneifel, Mag. Gerald Klug, Monika Mühlwerth, Kolleginnen und Kollegen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag die Zustimmung geben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag auf Abhal­tung der gegenständlichen Enquete ist somit angenommen.

Hinsichtlich des Termins, der Tagesordnung und des Teilnehmerkreises für die soeben beschlossene Enquete darf ich auf den bereits allen Mitgliedern des Bundesrates zugegangenen Selbständigen Antrag 184/A-BR/2011 verweisen.

*****

Die Tagesordnung ist erschöpft.

17.26.02Einlauf

 


Präsident Gottfried Kneifel: Ich gebe bekannt, dass seit der letzten beziehungsweise in der heutigen Sitzung insgesamt 20 Anfragen, 2807/J-BR bis 2826/J-BR, eingebracht wurden.

*****

Die Einberufung der nächsten Sitzung des Bundesrates wird auf schriftlichem Wege erfolgen. Als Sitzungstermin wird Donnerstag, 12. Mai 2011, 9 Uhr, in Aussicht genom­men.


BundesratStenographisches Protokoll795. Sitzung / Seite 143

Für die Tagesordnung dieser Sitzung kommen jene Beschlüsse in Betracht, die der Nationalrat bis dahin verabschiedet haben wird, soweit sie dem Einspruchsrecht beziehungsweise dem Zustimmungsrecht des Bundesrates unterliegen.

Die Ausschussvorberatungen sind für Dienstag, 10 Mai 2011, ab 14 Uhr, vorgesehen.

*****

Diese Sitzung ist geschlossen.

17.26.59Schluss der Sitzung: 17.27 Uhr

 

 

 

 

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