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Stenographisches Protokoll

 

 

 

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860. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

 

 

 

Donnerstag, 17. November 2016

 

 


Stenographisches Protokoll

860. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Donnerstag, 17. November 2016

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 17. November 2016: 9.03 – 15.14 Uhr

*****

Tagesordnung

1. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbe­werb 1984 – UWG und das Preisauszeichnungsgesetz geändert werden

2. Punkt: Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Re­gierung der Republik Kosovo über kulturelle Zusammenarbeit

3. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Gehaltsgesetz 1956 und das Vertrags­bediens­tetengesetz 1948 geändert werden (Besoldungsrechtsanpassungsgesetz)

4. Punkt: Bundesgesetz, mit dem die Exekutionsordnung, das Gerichtsge­bühren­ge­setz, das Gerichtliche Einbringungsgesetz und das Vollzugsgebührengesetz geändert werden (Exekutionsordnungs-Novelle 2016 – EO-Nov. 2016)

5. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Rechtspflegergesetz geändert wird

6. Punkt: Sicherheitsbericht 2015

7. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), die Natio­nal­rats-Wahlordnung 1992, das Bundespräsidentenwahlgesetz 1971, die Europawahl­ord­nung, das Europa-Wählerevidenzgesetz, das Volksabstimmungsgesetz 1972, das Volksbefragungsgesetz 1989 geändert sowie das Volksbegehrengesetz 2018 und das Wählerevidenzgesetz 2018 erlassen werden (Wahlrechtsänderungsgesetz 2017)

8. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Gewebesicherheitsgesetz geändert wird

9. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Apothekengesetz geändert wird

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Inhalt

Bundesrat

Trauerkundgebung anlässlich des Ablebens des ehemaligen Präsidenten des Bundesrates Professor Alfred Gerstl ............................................................................................................................... 7


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 2

Schreiben des Bundeskanzlers betreffend Nominierung eines österreichischen stellvertretenden Mitgliedes für den Ausschuss der Regionen gemäß Artikel 23c Abs. 5 Bundes-Verfassungsgesetz               28

Mitteilung des Präsidenten Mario Lindner betreffend Erklärung des öster­reichischen Bundesrates zur Lage in der Türkei .................................................................................................................... 31

Unterbrechung der Sitzung .......................................................................................... 31

Personalien

Verhinderungen ................................................................................................................ 7

Aktuelle Stunde (47.)

Thema: „Altersarmut verhindern“ ............................................................................... 7

Redner/Rednerinnen:

Reinhard Todt ......................................................................................................... ....... 8

Mag. Klaus Fürlinger .............................................................................................. ..... 10

Ing. Bernhard Rösch .............................................................................................. ..... 12

David Stögmüller .................................................................................................... ..... 15

Bundesminister Alois Stöger, diplômé ..............................................................  17, 26

Rene Pfister ............................................................................................................. ..... 19

Edgar Mayer ............................................................................................................ ..... 21

Monika Mühlwerth .................................................................................................. ..... 23

Mag. Dr. Ewa Dziedzic ........................................................................................... ..... 24

Bundesregierung

Schreiben des Bundeskanzleramtes betreffend Aufenthalt eines Mitgliedes der Bundesregierung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ............................................................. 30

Vertretungsschreiben ..................................................................................................... 30

Nationalrat

Beschlüsse und Gesetzesbeschlüsse ............................................................................ 31

Ausschüsse

Zuweisungen .................................................................................................................. 27

Verhandlungen

1. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 9. November 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbe­werb 1984 – UWG und das Preisauszeichnungsgesetz geändert werden (1251 d.B. und 1305 d.B. sowie 9654/BR d.B.) ................................................ 32

Berichterstatterin: Marianne Hackl ................................................................................ 32

Redner/Rednerinnen:

Robert Seeber ......................................................................................................... ..... 32

Renate Anderl ......................................................................................................... ..... 34

Mag. Reinhard Pisec, BA ....................................................................................... ..... 36

Dr. Heidelinde Reiter .............................................................................................. ..... 39

Christian Poglitsch ................................................................................................. ..... 40


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 3

Günther Novak ........................................................................................................ ..... 42

Gerd Krusche .......................................................................................................... ..... 43

Vizekanzler Dr. Reinhold Mitterlehner ....................................................................... 44

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ..................................................................................................... 47

2. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 10. November 2016 betreffend Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Republik Kosovo über kulturelle Zusammenarbeit (1147 d.B. und 1303 d.B. sowie 9659/BR d.B.) ............................................................. 47

Berichterstatterin: Mag. Daniela Gruber-Pruner ......................................................... 48

Redner/Rednerinnen:

Ana Blatnik .............................................................................................................. ..... 48

Gregor Hammerl ..................................................................................................... ..... 49

Gerhard Dörfler ....................................................................................................... ..... 51

David Stögmüller .................................................................................................... ..... 53

Stefan Schennach ................................................................................................... ..... 54

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, 1. gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben und 2. dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 2 B-VG die verfas­sungsmäßige Zustimmung zu erteilen ..................................................... 55

3. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 10. November 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Gehaltsgesetz 1956 und das Vertragsbediens­teten­gesetz 1948 geändert werden (Besoldungsrechtsanpassungsgesetz) (1296 d.B. und 1325 d.B. sowie 9657/BR d.B.)                   55

Berichterstatter: Dr. Andreas Köll ................................................................................ 55

Redner/Rednerinnen:

Werner Herbert ....................................................................................................... ..... 56

Wolfgang Beer ........................................................................................................ ..... 58

Staatssekretärin Mag. Muna Duzdar .................................................................... ..... 59

Dr. Heidelinde Reiter .............................................................................................. ..... 60

Peter Oberlehner .................................................................................................... ..... 61

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ..................................................................................................... 63

4. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 9. November 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem die Exekutionsordnung, das Gerichtsgebührengesetz, das Gerichtliche Einbringungsgesetz und das Vollzugsgebührengesetz geändert werden (Exekutionsordnungs-Novelle 2016 – EO-Nov. 2016) (1294 d.B. und 1306 d.B. sowie 9655/BR d.B.) ............................................................................... 63

Berichterstatterin: Renate Anderl ................................................................................. 64

Redner/Rednerinnen:

Mag. Klaus Fürlinger .............................................................................................. ..... 64

Mag. Susanne Kurz ................................................................................................ ..... 64

Thomas Schererbauer ............................................................................................ ..... 65

Bundesminister Dr. Wolfgang Brandstetter ........................................................ ..... 66


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 4

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ..................................................................................................... 67

5. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 9. November 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Rechtspflegergesetz geändert wird (1295 d.B. und 1308 d.B. sowie 9656/BR d.B.)                         67

Berichterstatterin: Renate Anderl ................................................................................. 67

Redner/Rednerinnen:

Mag. Klaus Fürlinger .............................................................................................. ..... 68

Mag. Susanne Kurz ................................................................................................ ..... 68

Arnd Meißl ............................................................................................................... ..... 69

Mag. Dr. Ewa Dziedzic ........................................................................................... ..... 70

Bundesminister Dr. Wolfgang Brandstetter ........................................................ ..... 70

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ..................................................................................................... 71

6. Punkt: Sicherheitsbericht 2015 (III-594-BR/2016 d.B. sowie 9662/BR d.B.) ............ 71

Berichterstatter: Mag. Klaus Fürlinger ......................................................................... 71

Redner/Rednerinnen:

Werner Herbert ....................................................................................................... ..... 72

Armin Forstner, MPA ............................................................................................. ..... 74

Martin Weber ........................................................................................................... ..... 76

Mag. Dr. Ewa Dziedzic ........................................................................................... ..... 79

Dr. Andreas Köll ........................................................................................................... 80

Ewald Lindinger ...................................................................................................... ..... 81

Stefan Schennach ................................................................................................... ..... 83

Bundesminister Dr. Wolfgang Brandstetter ........................................................ ..... 84

Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht III-594-BR/2016 d.B. zur Kenntnis zu nehmen         ............................................................................................................................... 87

7. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 10. November 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), die Nationalrats-Wahlordnung 1992, das Bundespräsidentenwahlgesetz 1971, die Europawahl­ord­nung, das Europa-Wählerevidenzgesetz, das Volksabstimmungsgesetz 1972, das Volksbefragungsgesetz 1989 geändert sowie das Volksbegehren­ge­setz 2018 und das Wählerevidenzgesetz 2018 erlassen werden (Wahlrechtsänderungs­gesetz 2017) (1809/A und 1298 d.B. sowie 9653/BR d.B. und 9658/BR d.B.) ................................................. 87

Berichterstatter: Robert Seeber .................................................................................... 87

Redner/Rednerinnen:

Reinhard Todt ......................................................................................................... ..... 88

Edgar Mayer ............................................................................................................ ..... 88

Peter Samt ............................................................................................................... ..... 90

Dr. Heidelinde Reiter .............................................................................................. ..... 92

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ..................................................................................................... 93

8. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 10. November 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Gewebesicherheitsgesetz geändert wird (1293 d.B. und 1309 d.B. sowie 9660/BR d.B.)               93


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 5

Berichterstatterin: Adelheid Ebner ............................................................................... 93

Redner/Rednerinnen:

Inge Posch-Gruska ................................................................................................. ..... 94

Angela Stöckl-Wolkerstorfer ................................................................................. ..... 95

Christoph Längle .................................................................................................... ..... 95

Dr. Heidelinde Reiter .............................................................................................. ..... 96

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ..................................................................................................... 97

9. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 10. November 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Apothekengesetz geändert wird (1863/A und 1310 d.B. sowie 9661/BR d.B.) ............. 97

Berichterstatterin: Mag. Daniela Gruber-Pruner ......................................................... 97

Redner/Rednerinnen:

Adelheid Ebner ....................................................................................................... ..... 97

Ferdinand Tiefnig .................................................................................................... ..... 98

Rosa Ecker .............................................................................................................. ..... 99

Dr. Heidelinde Reiter .............................................................................................. ... 100

Bundesminister Dr. Wolfgang Brandstetter ........................................................ ... 101

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................................................... 102

Eingebracht wurden

Anfragen der Bundesräte

Werner Herbert, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend „Gemeinsam.sicher“ in Graz (3182/J-BR/2016)

Peter Samt, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft betreffend „schoolgames“ (3183/J-BR/2016)

Peter Samt, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen betreffend e-card Lichtbild (3184/J-BR/2016)

Peter Samt, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen betreffend e-card (3185/J-BR/2016)

Arnd Meißl, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Landesverteidigung und Sport betreffend Kasernenstandort Aigen (3186/J-BR/2016)

Arnd Meißl, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend Sicherheitslage in steirischen Krankenhäusern (3187/J-BR/2016)

Gerd Krusche, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Verkehr, Inno­vation und Technologie betreffend aktuellen Stand des Baus der S 7 – Fürstenfelder Schnellstraße (3188/J-BR/2016)

Gerd Krusche, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen betreffend die Elektronische Gesundheitsakte (ELGA) in der Steiermark (3189/J-BR/2016)


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 6

Anfragebeantwortung

des Bundesministers für Landesverteidigung und Sport auf die Anfrage der Bundesräte Christoph Längle, Kolleginnen und Kollegen betreffend Fluglotsen sowie Flugbe­ratungspersonal und deren Gehalt sowie Zulagen (2934/AB-BR/2016 zu 3170/J-BR/2016)

 

 


 


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 7

09.02.55Beginn der Sitzung: 9.03 Uhr

 


Präsident Mario Lindner: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolle­ginnen, liebe Kollegen! Einen wunderschönen guten Morgen! Ich eröffne die 860. Sit­zung des Bundesrates.

Das Amtliche Protokoll der 859. Sitzung des Bundesrates vom 25. Oktober 2016 ist aufgelegen, unbeanstandet geblieben und gilt daher als genehmigt.

Als verhindert gemeldet sind die Mitglieder des Bundesrates Dr. Magnus Brunner, Elisabeth Grimling, Hans-Jörg Jenewein, MA, Sandra Kern und Mag. Michael Lindner.

09.03.29Trauerkundgebung anlässlich des Ablebens von Alfred Gerstl

 


Präsident Mario Lindner: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Nachricht über das Ableben des früheren Präsidenten des Bundesrates Professor Alfred Gerstl hat uns tief betroffen gemacht. Der Bundesrat verliert mit Herrn Professor Gerstl einen über alle Fraktionsgrenzen hinweg äußerst geachteten und verdienstvollen Parla­men­tarier, der sich immer mit vollem Engagement für die Menschen seines Bundeslandes Steiermark und insbesondere für die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger der Stadt Graz in vorbildlicher Weise eingesetzt hat. Unser Mitgefühl und unsere Anteilnahme gelten in dieser Stunde vor allem seiner Familie.

Der österreichische Bundesrat dankt, der österreichische Bundesrat gedenkt seiner.

Ich darf Sie ersuchen, sich zum Gedenken an den ehemaligen Präsidenten Professor Alfred Gerstl von den Sitzen zu erheben. (Die Anwesenden erheben sich von ihren Sitzplätzen und verharren einige Zeit in stummer Trauer.)

Ich danke Ihnen für das Zeichen Ihrer Trauer. (Die Anwesenden nehmen ihre Sitz­plätze wieder ein.)

09.05.00Aktuelle Stunde

 


Präsident Mario Lindner: Wir gelangen nun zur Aktuellen Stunde mit dem Thema

„Altersarmut verhindern“

mit dem Herrn Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Alois Stöger, den ich herzlich willkommen heißen darf. – Einen wunderschönen guten Mor­gen! (Allgemeiner Beifall.)

In der Präsidialkonferenz wurde Einvernehmen über folgenden Ablauf erzielt: Zunächst kommt je ein Redner/eine Rednerin pro Fraktion zu Wort, dessen/deren Redezeit jeweils 10 Minuten beträgt. Sodann folgt die Stellungnahme des Herrn Bundes­minis­ters, die ebenfalls 10 Minuten nicht überschreiten soll. Danach folgt wiederum je ein Redner/eine Rednerin der Fraktionen sowie anschließend je eine Wortmeldung der Bundesräte ohne Fraktionszugehörigkeit mit einer jeweils 5-minütigen Redezeit. Zuletzt kann noch eine abschließende Stellungnahme des Herrn Bundesministers erfolgen, die nach Möglichkeit 5 Minuten nicht überschreiten soll.

Als Erster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Todt. Ich mache darauf auf­merksam, dass entsprechend der Vereinbarung in der Präsidialkonferenz die Redezeit 10 Minuten beträgt. – Bitte.

 



BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 8

9.06.01

Bundesrat Reinhard Todt (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Her­ren! Die Armutsgefährdung für ältere Menschen ist in Österreich niedriger als im europäischen Durchschnitt und auch deutlich geringer als in unseren Nachbarländern. Während in unserem Land die Armutsgefährdung bei 13 Prozent liegt, sind es zum Beispiel in Deutschland 17 Prozent der Menschen im Alter von 65 plus, die von Armut gefährdet sind. Auch wenn wir mit diesem Prozentsatz in Europa sozusagen gut dastehen, dürfen wir uns keinesfalls darauf ausruhen – wir tun dies auch nicht –, denn für uns Sozialdemokraten steht Folgendes fest:

Jeder von Armut betroffene oder gefährdete Mensch ist einer zu viel, denn Armut tut weh – nicht nur seelisch, sondern oftmals auch körperlich. Armut grenzt aus, sie stigmatisiert, sie führt zu sozialer Isolation. Die Betroffenen ziehen sich häufig aus dem sozialen Leben zurück, aus Scham oder weil ihnen schlicht die finanziellen Mittel fehlen, um zum Beispiel an einem Ausflug teilzunehmen, ins Theater zu gehen, mit FreundInnen einen Kaffee zu trinken oder auch um Gäste zu Hause zu bewirten.

Armut macht aber auch krank, psychisch und physisch. Von Armut betroffene Men­schen erkranken überdurchschnittlich häufig an psychischen Leiden wie zum Beispiel an einer Depression und haben auch eine geringere Lebenserwartung. Wir müssen daher alles daran setzen, das Armutsrisiko in Österreich zu senken, und tun dies auch mit Erfolg. Unter den Sozialministern Buchinger, Hundstorfer und Stöger wurden laufend Maßnahmen im Kampf gegen Altersarmut gesetzt. Dadurch hat sich der Anteil der armutsgefährdeten Älteren in Österreich seit 2008 von 19 Prozent auf 13 Prozent verringert.

Wir haben in Österreich mit unserem staatlich umlagefinanzierten Pensionssystem einen der europaweit stärksten Schutzschirme im Kampf gegen die Altersarmut. Zahlreiche Studien, nationale wie auch internationale, beweisen deutlich, dass unser staatliches Pensionssystem deutlich besser vor Armut schützt als private, kapital­gedeckte Systeme. Darum muss es auch unser oberstes Bestreben sein, unser kon­kurrenzlos sicheres staatliches Pensionssystem, um das uns die ganze Welt beneidet, gegen Angriffe zu verteidigen und durch nachhaltige Reformen wie zum Beispiel eine Verbreiterung der Finanzierungsgrundlage durch die Einführung einer Wertschöpfungs­abgabe für die Zukunft abzusichern.

Da wurden in den letzten Jahren unter anderem mit der Reform der Invaliditätspension, speziellen Arbeitsmarktmaßnahmen für die Generation 50 plus und der Einführung des Pensionskontos die größten Reformen seit Einführung des ASVG umgesetzt.

Und diese Maßnahmen wirken. Das faktische Pensionsantrittsalter steigt und hat längst den für 2018 angepeilten Zielwert von 60,1 Jahren erreicht. Auch die Erwerbs­quote der Älteren steigt. Dies ist ein besonders entscheidender Faktor gegen die Altersarmut, denn das Risiko, von Altersarmut betroffen zu sein, wird meist bereits in den vorhergehenden Lebensphasen angelegt.

Die Ursachen sind, abgesehen von Schicksalsschlägen wie zum Beispiel Krankheit, meist Teilzeitarbeit, Zeiten der Arbeitslosigkeit und Kindererziehungszeiten. Damit wird bereits deutlich, dass Armut meist weiblich ist.

Eine internationale Studie kam zu dem Ergebnis, dass in 90 Prozent der untersuchten Länder Frauen ein um die Hälfte größeres Risiko haben, von Altersarmut betroffen zu sein als Männer. In Österreich sind Frauen sogar dreimal häufiger betroffen als Männer. Die durchschnittliche Pension eines Mannes beträgt in Österreich 1 400 € brutto, einer Frau hingegen nur 850 € brutto. Die Gründe dafür sind meist fehlende Erwerbszeiten durch die Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 9

sowie Teilzeitarbeit. Um diese gefährliche Spirale in Richtung Altersarmut zu durch­brechen, sind Politik und Gesellschaft gefordert: Frauen muss die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtert werden. Die Betreuungsmöglichkeiten für pflegebedürftige Menschen müssen ausgebaut und Kindererziehungszeiten sowie Zeiten der Teilzeit­arbeit besser bei der Pensionshöhe berücksichtigt werden. (Beifall bei SPÖ und Grü­nen sowie bei Bundesräten der ÖVP.)

Es wurden bereits wesentliche Schritte gesetzt. Das Betreuungsangebot für die unter Dreijährigen sowie die Ganztagsschulen werden stetig ausgebaut. Dieser Weg muss konsequent weiter beschritten werden. Weiters braucht es eine stärkere Entlastung von pflegenden Angehörigen sowie ein verstärktes Angebot an stationären und mobilen Pflegeangeboten.

Erst in dieser Woche wurden im Ministerrat weitere wichtige Maßnahmen im Kampf gegen die Altersarmut beschlossen. So kommt es in Zukunft zu einer besseren An­rech­nung von Kindererziehungszeiten und die Ausgleichszulage für Mindestpensionis­tInnen wird für jene mit mindestens 30 Erwerbsjahren von 882,78 € auf 1 000 € erhöht. Dies betrifft vor allem Personen, die viele Jahre nur Teilzeit gearbeitet und dadurch nur geringe Pensionsansprüche erworben haben, darunter besonders viele Frauen. Das sind wichtige Maßnahmen, die uns – und da bin ich zuversichtlich – helfen werden, die Altersarmut in Österreich und das Risiko, davon betroffen zu sein, noch weiter zu reduzieren.

Die Risikofaktoren für Altersarmut liegen in Österreich aber auch in den stetig steigen­den Kosten für die sogenannten täglichen Ausgaben. Mieten, der tägliche Einkauf, Gebühren, Pflegeleistungen, Energie – alles wird teurer. Diese Kostentreiber fressen Österreichs Menschen, vor allem den Pensionistinnen und Pensionisten Tag für Tag das Geld aus dem Börsel und treiben insbesondere die Bezieherinnen und Bezieher kleiner Pensionen in die Armutsgefährdung. Mit der Steuerreform wurden die Men­schen in Österreich spürbar entlastet. Alle steuerpflichtigen Pensionistinnen und Pensionisten erhielten dadurch mindestens 300 € netto mehr, und erstmals haben auch die Bezieherinnen und Bezieher einer Ausgleichszulage Anrecht auf 110 € Gutschrift für bezahlte Krankenversicherungsbeiträge, die sogenannte Negativsteuer. Das sind wichtige Verbesserungen, die nicht kleingeredet werden dürfen.

Leider ist es aber eine Tatsache, dass keine Steuerentlastung und auch keine Pen­sions­anpassung die steigenden Kosten der Lebenserhaltung vollständig ausgleichen kann. Daher müssen wir hier an mehreren Hebeln ansetzen. Wir müssen die Teuerung in Österreich bekämpfen und Österreichs Pensionistinnen und Pensionisten finanziell entlasten. Die für 2017 vorgesehene Pensionsanpassung mit 0,8 Prozent ist eigentlich zu gering. Natürlich ist sie gesetzeskonform und deckt die rückwirkend berechnete Teuerung, die Inflation ab. In diesem Warenkorb sind zum Beispiel aber auch Flach­bild­schirme enthalten. Welcher Pensionist kauft sich jedes Jahr einen Flachbildschirm? (Heiterkeit bei Bundesräten der ÖVP.) Daher sollten in Wirklichkeit die tatsächlichen Lebenshaltungskosten in diese Teuerung miteingerechnet werden. (Bundesrätin Mühlwerth: Ihr seid in der Regierung!)

Es gibt auch Vorschläge, um auch diese Teuerung entsprechend abzugelten. Es gibt ja auch die Forderung, die vor allem von der SPÖ und vom Pensionistenverband erhoben wird, dass man zum Beispiel bei der Pensionserhöhung jedem Pensionisten 100 € draufgibt. Das ist noch nicht umgesetzt. Wir sind ja gemeinsam in einer Koalition, und es gibt auch einen Koalitionspartner, mit dem man das verhandeln muss. (Bundesrat Dörfler: Macht es mit der FPÖ, dann geht es!) – Das halte ich für ein Gerücht. Das halte ich deswegen für ein Gerücht, Kollege Dörfler, weil ich am Montag beim Hearing des Budgetausschusses des Nationalrates war, wo ich ganz genau gehört habe, was Ihre Expertin verlangt hat, nämlich den Ausbau der dritten Säule und die Schwächung


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 10

des staatlichen Pensionssystems. Also das möchte ich nicht gerne haben, sondern ich habe lieber das staatliche Pensionssystem, das sicherlich hilft, Altersarmut zu bekämp­fen, und nicht ein kapitalgedecktes Pensionssystem. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Im Kampf gegen Altersarmut gibt es aber auch weitere notwendige Maßnahmen und Veränderungen. So gingen 224 000 Bezieherinnen und Bezieher einer Ausgleichszu­lage bei der Steuerreform leider leer aus. Es ist daher eine Frage der Gerechtigkeit, dass auch sie ein Recht auf Negativsteuer haben, und zwar bis zu 110 €. Diese sollten sie ebenfalls erhalten, wenn möglich auch noch rückwirkend. (Präsident Lindner gibt das Glockenzeichen.)

Abschließend möchte ich noch einmal betonen, dass der Kampf gegen Armut eines der obersten Ziele bleiben muss. Mit Sozialminister Alois Stöger haben wir hier einen starken, mutigen Streiter für die sozial Schwächsten, der in seiner bisherigen Amtszeit bereits große und wichtige Verbesserungen umsetzen konnte. Armut ist kein Fluch, kein Schicksal, man kann sie verhindern, man kann sie bekämpfen und besiegen. Dies betrifft alle Generationen; aber insbesondere jene, die im Alter von Armut betroffen sind, haben kaum die Chance, dieser Spirale allein wieder zu entfliehen. Wir alle müssen daher an einem Strang ziehen und die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass jede und jeder in Österreich in Würde und sozial abgesichert altern kann. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

9.18


Präsident Mario Lindner: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. Fürlinger. – Bitte.

 


9.18.27

Bundesrat Mag. Klaus Fürlinger (ÖVP, Oberösterreich): Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich kann Ihnen, Herr Kollege Todt, versichern, nicht nur Pensionisten kaufen nicht jeden Tag einen Flachbildschirm. (Bundesrätin Posch-Gruska: Jedes Jahr!) Ich glaube, das gilt auch für den Rest der Bevölkerung, wenn­gleich die Flachbildschirme mittlerweile auch schon billig zu bekommen sind.

Bezüglich des Hunderters haben Sie sich ja ohnehin schon mit einem Experten unterhalten. Kollege Dörfler hat ja blendende Erfahrung damit, wie es ist, extra Hunderter auszuzahlen, was auch nicht immer ganz ohne Kritik gewesen ist, wenn ich mich richtig erinnere. (Zwischenruf des Bundesrates Dörfler.)

Eines ist aber abseits all dieser kleinen Geplänkel, meine Damen und Herren, sicher – und da bin ich mit dem Fraktionsvorsitzenden der Sozialdemokraten vollkommen einer Meinung –: Österreich ist ein soziales Musterland. Wir haben sehr, sehr hohe staat­liche Einnahmen, und von diesen sehr hohen staatlichen Einnahmen geben wir 50 Pro­zent für Soziales aus. Der Herr Minister wird das bestätigen können. Das ist schon ein ordentlicher Betrag, den wir für Soziales und für Pensionen ausgeben.

Primär geht es beim Thema Altersarmut, wie Sie richtig gesagt haben, natürlich um die Mindestpensionisten, die wir über verschiedene Ausgleichshebesätze dorthin bringen, dass sie in die Nähe der Mindestsicherung kommen. Das ist aber nicht das Einzige, was Bund und Länder, aber auch Gemeinden für unsere Mindestpensionisten tun; ich spreche natürlich auch für die Länder, die da ihren Anteil leisten. Ich spreche hier von verschiedensten Gebührenbefreiungen, ich spreche von Wohnbeihilfen, teilweise in Gemeinden, wie auch meiner Heimatstadt, Heizkostenzuschüssen. All das dürfen wir ja im Zusammenhang mit den Segnungen des Sozialstaates und den Sozialbudgets der Länder nicht völlig außer Acht lassen, wenn wir hier nur die nackten Zahlen sehen,


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 11

wo wir qua Ausgleichszulage die Mindestpensionen knapp über die oder in die Gegend der Mindestsicherung heben.

All diese Dinge sind notwendig, sie sind gerechtfertigt, das können wir auch leisten, aber wenn man es umrechnet, ist das schon ein schöner Beitrag, den wir hier gemeinsam leisten, was auch dazu führt, dass wir an die berühmte Grenze in der Nähe des Medianeinkommens kommen, über die wir immer diskutieren.

Richtig ist auch, jetzt den Versuch einer Anhebung für die Mindestpensionisten zu machen, also auf 1 000 € zu kommen, das ist ein sehr gutes Vorhaben. Voraussetzung dafür sind 30 Versicherungsjahre, und auch das ist richtig, denn wir müssen irgend­wann auch sehen – diese Debatte führen wir ja parallel auch in anderen Bereichen; ich denke an die Mindestsicherungsdebatte –, dass es gewisse Anwartschaften für das System geben muss.

Wenn ich keine Anwartschaftszeiten habe, wenn ich keine Versicherungsjahre habe – ich weise darauf hin, dass die deutsche Pensionsreform sogar an Beitragszahlerjahre geknüpft worden ist, wobei das Rentenalter von der großen Koalition wieder gesenkt worden ist –, wenn ich keine solchen Jahre habe, wird es für das System so oder so schwierig, wobei ich in diesem Zusammenhang auch der Vereinheitlichung des Systems ein bisschen das Wort rede und für die Bevölkerungsgruppe der Landwirte das Wort ergreife, bei der das in der Form bis jetzt nicht gewährleistet ist. Und ich muss ganz offen sagen, es ist dringend notwendig, dass die Mindestpensionen der Bäuerinnen und Bauern angehoben und angeglichen werden, denn es ist gerade das Leben der Landwirte kein einfaches, ein von wenig Freizeit geprägtes Leben, weshalb man dieser Bevölkerungsgruppe am Schluss ihres Arbeitslebens auch Respekt in Form einer entsprechenden Rente zollen muss. (Beifall bei der ÖVP.)

Meine Damen und Herren! Armut als Begriff kann man ja nicht nur mit mangelndem Konsum beschreiben, sondern man sollte Armut lediglich als das beschreiben, was es ist: ein Mangel an Versorgung. Dieser Mangel an Versorgung ist in Österreich Gott sei Dank nicht gegeben. Wir haben keinen Mangel an Versorgung mit Wohnraum, keinen Mangel an Versorgung mit Essen, Trinken und keinen Mangel an medizinischer Grund­versorgung. Die Versorgung geht auch bei unseren Mindestpensionisten deutlich darüber hinaus, und Gott sei Dank tut sie das.

Ich möchte Ihnen ganz zum Schluss, weil es in die Zeit hineinpasst, die Sozialpolitik, die christlich-soziale Sozialpolitik, wie ich sie sehe … (Bundesrat Stögmüller: Die gibt es ja gar nicht mehr!) – Ich danke für den Einwurf, Herr Kollege Stögmüller, das wärmt mich auf, wenn ich diesen Einwurf höre, ich werde dazu kommen.

Jeder von uns, meine Damen und Herren, kennt ja die Geschichte des heiligen Martin von Tours, oder vielleicht nicht die Geschichte, sondern nur den heiligen Martin. (Bun­desrat Stögmüller: Die Zeiten sind schon längst vorbei! Geh, hör auf!) Manchen ist er vielleicht nur noch als Namensgeber für lukullische Genüsse rund um Mitte November – so wie jetzt – bekannt, anderen ist er vielleicht bekannt als ein römischer Legionär, der irgendwann einmal aus den ungarischen Gefilden – hier quer durch – Richtung Deutschland geritten ist und dort an einer Straßenkreuzung einen frierenden und hungernden Menschen gesehen hat. Was hat der heilige Martin gemacht? – Er hat sein Essen geteilt und er hat seinen Mantel geteilt. Er hat ihm zu essen gegeben, er hat ihn gewärmt und ist weitergeritten in die nächste Stadt. (Bundesrat Dörfler: Das hat man früher im Kindergarten gelernt, was heute ja verboten ist!) Es ist verbürgt, dass er in der nächsten Ortschaft dem Bürgermeister Geld dafür gegeben hat, dass er ihn von seinen Leuten holen lässt, ihn wieder stabilisiert, auf die Beine bringt und ihn dann in seine Eigenverantwortung entlässt. Das ist das, was der heilige Martin getan


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hat, und das ist ein wunderbares und richtiges Synonym für das, was Sozialpolitik ist, nämlich zu helfen, wieder auf den eigenen Füßen zu stehen.

Was wäre denn gewesen, wenn der heilige Martin ein Sozialist gewesen wäre? Was hätte er gemacht? – Er hätte gesagt, ich muss das Brot teilen, ich muss den Mantel teilen und das Pferd muss ich auch in der Mitte auseinanderhauen. (Bundesrat Stögmüller: Nein, das sind eben keine christlichen Werte!) – Lieber David, ich danke dir, zu den Grünen komme ich gleich noch! – Er hätte das Pferd auch in der Mitte auseinandergehaut. Und was wäre dann passiert? – Na ja, sie hätten sich vielleicht noch am Kadaver ein bisschen gewärmt und das Pferdefleisch gegessen, aber 14 Tage später wären alle tot gewesen. Das wäre das Problem gewesen: Es hätte zwei Menschen gegeben, die vor ihrem Tod vielleicht vorher noch ein bisschen länger gelebt hätten. (Bundesrätin Posch-Gruska: Herr Kollege, was sagen Sie uns mit dem?)

Wenn es ein Grüner gewesen wäre, lieber David, hätte er gesagt, das arme Pferd, und hätte das Pferd und den Mann getragen. Da wäre er wahrscheinlich auch irgendwann zusammengebrochen und verhungert. (Bundesrat Stögmüller: Ich bin stolz darauf! – Unruhe im Sitzungssaal. – Präsident Lindner gibt das Glockenzeichen.)

Liberale haben wir hier herinnen nicht. Die hätten den Mann unten am Boden gar nicht gesehen, denn für die Liberalen zählen nur die Berittenen.

Meine Damen und Herren! Ich glaube, Ihnen klar und deutlich gesagt zu haben, wofür die Österreichische Volkspartei und ihre Sozialpolitik stehen, von der ich nach wie vor persönlich tief überzeugt bin, dass es die richtige ist. – Danke schön für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der ÖVP.)

9.25


Präsident Mario Lindner: Herr Bundesrat Mag. Fürlinger, wegen der Redezeit habe ich nicht geläutet, du hättest schon noch Zeit gehabt! (Bundesrat Stögmüller: Das passt schon! – Zwischenruf des Bundesrates Fürlinger.)

Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Ing. Rösch zu Wort. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


9.26.22

Bundesrat Ing. Bernhard Rösch (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Altersarmut zu verhindern, beginnt schon in der Jugend, beginnt bei der Bildung, damit man im großen Wettbe­werb der Länder, der Wirtschaften vorne mit dabei sein kann.

Um Altersarmut zu verhindern, kennt Österreich das Drei-Säulen-Modell, bei dem umstritten sein kann, welche Säule am meisten gestützt werden soll. Die Säule, zu der wir uns immer bekannt haben und die sich auch immer wieder durchgesetzt hat, ist die erste Säule, die uns Sicherheit geben soll. Mit dieser ersten Säule übernimmt der Staat praktisch die Sicherheit vor Altersarmut.

Wenn man es aber genauer betrachtet, dann sieht man, dass es immer mehr Jobs gibt, die nur mehr nach dem KV-Lohn bezahlt werden, dass es immer mehr Teilzeit­arbeit gibt, in deren Rahmen gar nicht mehr so viele Abgaben gezahlt werden können, dass es sich in der Zukunft ausgehen wird, eine ordentliche Pension zu bekommen, mit der man auch sein Leben bestreiten kann. Wenn man weiter sieht, dass die prekäre Beschäftigung zunimmt, dass die Zahl der, ich sage jetzt, Freelancer und so weiter immer mehr zunimmt, dann kann man sich schon ausrechnen, wohin das führen wird.

Bei dem Modell, das wir dahin gehend abgeändert haben, dass es auf die Lebens­durchrechnungszeit abstellt, dass sich das, was im Arbeitsleben an Abgaben ein­bezahlt wurde, auch in der Pension widerspiegelt, bei dem Modell hat man aber nicht


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berücksichtigt, dass die Altersarmut galoppierend auf uns zukommen wird, weil wir uns angesichts der Entwicklungen ausrechnen können, dass mit diesen Pensionen kein Einkommen zum Auskommen gewährleistet sein wird.

Hinsichtlich der Firmenpensionen wurde von den Versicherungen – und da rede ich jetzt von der Branche, von der ich auch ein bisschen etwas weiß – groß propagiert: Verkauft die Firmenpensionen, verkauft die zweite Säule! Es gibt in der Versicherungs­branche eine Verbandsempfehlung, auch diese Firmenpensionen anzubieten, und dann sieht man, dass sich seit ungefähr 15 Jahren die Versicherungen zum Großteil von den Firmenpensionen verabschiedet haben. Für die Kunden ist es ganz wichtig, da ist es überlebenswichtig, da ist es attraktiv, für sich selbst nimmt man es dann aber nicht in Anspruch. Auch wenn es vom eigenen Verband dazu eine Empfehlung gibt, verabschiedet man sich davon. Und sehr viele Firmen haben sich verabschiedet von einer zweiten Sicherheit, die oft doch einen großen Zuverdienst gebracht hat.

Meist junge Familienväter entscheiden sich irgendwann einmal dazu, vielleicht ein Haus zu bauen. Früher waren das oft Alleinverdiener, und die haben es trotzdem geschafft – heute schaffen es oft nicht einmal zwei Personen gemeinsam, einen Haus­halt zu bedienen, geschweige denn an allem im Leben teilzuhaben, an Kultur teilzuhaben, am Wohlstand teilzuhaben.

Wenn man das alles so herunterbricht, dann wird klar, es muss sich wieder etwas tun, und ich fordere hier auch die Gewerkschaften auf, in der Sozialpartnerschaft wieder ein bisschen mehr Ecken und Kanten zu zeigen. Die FSG-Gewerkschaften, die ja seit Jahrzehnten das Sagen haben, sind da mit in die Pflicht zu nehmen, nämlich nicht einfach zuzusehen, was die Regierung tut, weil sie vielleicht aus dem gleichen Sektor kommt, sondern, wie wir schon vor zehn Jahren gefordert haben, die 1 500 € Mindestlohn umzusetzen. Das ist ja nicht von irgendwo hergekommen, das haben wir ja nicht gefordert, weil wir die Arbeitgeber damit reizen oder ärgern wollten, sondern deshalb, weil wir es kommen gesehen haben, dass es in Zukunft sehr viele geben wird, die sich das Leben nicht mehr leisten können.

Wir reden nicht von den Pensionen früherer Generationen, die noch Wirtschaftstreiber waren, die es erlaubt haben, dem Enkerl noch ein bisschen etwas mitgeben zu kön­nen. Wenn sich das Enkerl eine kleine Wohnung gekauft hat oder geheiratet hat, dann hat man ihm etwas dazugeben können, oder man hat ihm ein Auto kaufen können, bei größeren Anschaffungen helfen können, ihn bei kleineren Krediten unterstützen können, bei denen die Banken gesagt haben, sie wollen zumindest 30 Prozent als Sicherheit, als Anzahlung haben, damit sie sehen, dass da auch ernste Absichten dahinterstehen.

Das alles wird immer weniger, und die Wirtschaft leidet darunter, eben wenn es um die höherwertigen Produkte geht. Und wir brauchen uns im Agrarsektor, der auch wichtig ist, nicht darüber Gedanken zu machen, ob es gescheiter ist, ein Kilo Kartoffeln oder ein Kilo irgendetwas anderes anzubauen. In der Wirtschaft ist es ganz einfach so, dass die höherwertigen Produkte mehr Gewinne abwerfen, denn wenn ich ein „Kilo“ – sage ich jetzt, um das umgerechnet zu haben – Flugzeug produziere, habe ich sicher eine größere Wertschöpfung als bei dem wichtigen Nahrungsmittel Kartoffel, weil da einfach die Konkurrenz viel zu groß ist.

Da sehen wir schon, dass wir sehr auf die Älteren vergessen haben. Und ich denke da jetzt auch an die Zeit – und seid ehrlich: Könnt ihr euch noch an die Pensionistenbriefe erinnern?! –, als man den Pensionisten versprochen hat, das ist alles nur Donner­wetter, da wird es nichts geben, sie werden auch in Zukunft gut bedient werden. – Und dann hat es die Nullrunde gegeben, und im Zinseszinseffekt macht das auch für die Jugend einmal etwas aus.


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Und da muss man einmal die Frage stellen: Wohin wollen wir denn? – Ich bin ja froh, dass es jetzt zumindest die 1 000 € Mindestpension gibt, wenn man 30 Jahre gear­beitet hat. Was machen wir aber mit den anderen? Die sind ja trotzdem in der Mindestsicherung oder in solchen Mindestpensionen drinnen. Das kann ja nicht das Ziel sein. Ich muss ja Menschen die Perspektive geben, wenn sie ihr ganzes Leben lang brav gearbeitet haben, Österreich mit aufgebaut und unterstützt haben, in ein Sozialsystem, das wir sehr schätzen, eingezahlt haben, dass die das in ihrer Pensions­leistung auch widergespiegelt bekommen.

Und da muss man sagen, das wird sich auch in zukünftigen Steuerreformen anders darstellen müssen. Die letzte Steuerreform, die wir hatten – da können wir jetzt darüber streiten, was eine Reform ist –, hat eine Entlastung gebracht, ja, aber ich habe ge­sehen, die Abgaben und Gebühren sind sofort überall explodiert. (Bundesrat Todt: Wenn eine Reform die Senkung des Steuersatzes drinnen hat, dann ist es eine Reform, oder nicht?)

Ja, wenn Sie das als Reform sehen, dann lasse ich das zu. Ich sehe das nicht als Reform. Das ist dem Wording nach keine Reform. (Ruf bei der SPÖ: Ihr seid gegen alles!) – Nein, es ist eine Steuersenkung, aber es ist so, dass es seit Lacina in Wirklichkeit keine Reform mehr gegeben hat. Der hat sich damals hingesetzt und gesagt: Auf die neuen Herausforderungen brauchen wir auch neue Antworten! – Das haben Sie nicht gemacht, diese Antworten haben Sie mit der letzten Steuerreform nicht gegeben.

Es stimmt, es ist bei dem einen oder anderen ein bisschen etwas übrig geblieben. Die meisten sind allerdings draufgekommen, dass das durch die gleichzeitigen Erhöhun­gen der Gebühren und Abgaben sofort wieder aufgefressen war, wenn sie nicht dann noch weniger im Börsel gehabt haben. Wir brauchen ja nicht darüber zu streiten, wie gut oder wie schlecht das war, sondern das, was ich gerne hören möchte, ist: Welche Zukunftsperspektiven haben wir? Ist es wirklich so, dass es gottgegeben ist, dass der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen dem 1. Bezirk und dem 15. Bezirk fünf Jahre beträgt? Fünf Jahre zu leben oder nicht zu leben, das vom sozialen Status abhängig zu machen, glaube ich, obliegt uns nicht. Wir müssen es schaffen, mehr Fairness ins System zu bringen.

Deswegen bitte ich den Herrn Minister ganz unaufgeregt, genau auf diese Fragen eine Antwort zu geben, und auch als Gewerkschafter, als der er ja lange genau diese Geschicke mit gelenkt hat, zu sagen, was er denkt, warum die Löhne in Bezug auf die Kaufkraft in den letzten 20 Jahren für, sage ich jetzt einmal, 70 Prozent der Arbeitneh­mer immer weniger geworden sind.

Ich erinnere mich an die KV-Lohnerhöhung, nicht Istlohnerhöhung, des letzten Jahres mit 0,9 Prozent, woraufhin sehr viele leider Gottes aus der Gewerkschaft ausgetreten sind und gesagt haben: Ich hole mir meine Lohnerhöhung selbst, denn 0,9 Prozent sind für die Produktivitätssteigerung und für all das, was wir mehr bezahlen müssen, einfach viel zu wenig, ich kann mir das alles nicht mehr leisten! – Und es ist wirklich so, dass zu mir als Betriebsrat die Leute kommen und genau über diese Themen reden. Wir werden Antworten finden müssen, sonst wird auch das Klima in Österreich rauer werden. Die Revolution der Satten findet nicht statt; aber dann, wenn die Menschen einmal nicht mehr satt sind, wenn man sie nicht mehr wirklich am Leben teilhaben lässt – und da können wir definieren: Was ist Armut? –, wenn sie am sozialen Leben, am kulturellen Leben nicht mehr teilhaben können, werden sie irgendwann aufstehen und versuchen, sich das notwendige Gehör zu verschaffen. (Beifall bei der FPÖ.)

9.36



BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 15

Präsident Mario Lindner: Herr Bundesrat Stögmüller ist als Nächster zu Wort ge­meldet. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


9.36.49

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrter Herr Minister Stöger! Sehr geehrte Damen und Herren! Herzlich willkommen! Guten Morgen! Zum einen freut es mich, dass Sie heute gekommen sind, weil ich glaube, dass Sie uns heute, da es um die Altersarmut geht, sicherlich auch etwas über das in der Regierung beschlossene Pensionspaket erzählen werden.

Wir Grüne begrüßen es, dass es zu einer Erhöhung der Mindestpension auf 1 000 € nach 30 Beitragsjahren kommen wird. Ich möchte dabei aber auch an die Stellung­nahme des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger erinnern, der Teile der Reform als unionsrechtlich bedenklich oder das Gesamte etwas bedenklich sieht. Vielleicht können Sie darauf noch ein bisschen eingehen und uns erzählen, wie Ihre Sicht dazu ist.

Unserer Ansicht nach sinnvoller, als nach dem Gießkannenprinzip noch zusätzlich für alle Pensionisten 100 € zu verteilen, wie es gerade vonseiten der Seniorenvertreter gefordert wird, wäre eine Reparatur des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes und des Einkommensteuergesetzes zugunsten der BezieherInnen von Ausgleichszulagen, also der Pensionisten mit den niedrigsten Haushaltseinkommen, denn diese haben so gut wie keine Möglichkeit, von der durch die Steuerreform 2016 eingeführten Negativ­steuer zu profitieren. Das ist unserer Meinung nach volkswirtschaftlich unsinnig, un­sachlich und diskriminiert Menschen mit niedrigem Einkommen, darunter auch viele Frauen. Das zu reparieren wäre sinnvoller.

Wir Grüne haben auch ein eigenes grünes Pensionsmodell, und das ist eigentlich ganz einfach zu erklären: Es gibt ein einheitliches Pensionssystem mit gleichen Beiträgen, gleichen Berechnungsregeln und gleichen Leistungen für alle. Unser Pensionsmodell besteht aus einer aus Steuern finanzierten existenzsichernden Grundpension von circa 800 € und einer nach versicherungsmathematischen Regeln berechneten Versiche­rungs­pension aus Beiträgen. Beide Pensionsteile zusammen sind durch eine Höchst­pension gedeckelt. Zeiten der Kinderbetreuung, der Krankheit, der Arbeitslosigkeit oder des Zivildienstes werden durch die Grundpension abgedeckt. In der Versicherungs­pension fließen nur tatsächlich bezahlte Beiträge.

Zudem gibt es noch ein paar zusätzliche Besonderheiten, die Ungerechtigkeiten des gegenwärtigen Pensionssystems ausgleichen. Das ist zum einen: In Ehe oder Partner­schaft bezahlte Versicherungsbeiträge kommen beiden PartnerInnen jeweils in gleicher Höhe zugute. Es kann auf diese Weise nicht mehr passieren, dass ein Mensch, der Kinder betreut oder einen Haushalt geführt hat und daher im Beruf ein geringeres Einkommen gehabt hat oder weniger Versicherungszeiten zusammen­bekommen hat, im Alter durch die Finger schaut. Und das ist zum anderen: Die Berechnung der Versicherungspension erfolgt einheitlich und nicht etwa für Männer und Frauen getrennt. Das wäre unser grünes Pensionssystem, eigentlich ganz easy.

Aber, Herr Minister, Sie müssen mir verzeihen, dass ich heute auf ein weiteres aktuel­les Thema eingehen muss, gerade, da Kollege Fürlinger aus Oberösterreich von einer sozialen ÖVP redet, nämlich auf die Debatte über die Mindestsicherung.

Das, was jetzt gerade in dieser Diskussion abgeht, ist für mich blanker Hohn gegen­über den schwächsten Mitgliederinnen und Mitgliedern in unserer Gesellschaft. (Beifall bei Grünen und SPÖ. – Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Wir haben auf der einen Seite einen Sozialminister, der auf Biegen und Brechen versucht – und für uns Grüne sind diese Vorschläge schon das absolute Limit des Möglichen –, das letzte


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soziale Auffangnetz zu retten, und dann haben wir auf der anderen Seite die Achse der alten, verbitterten Männer à la Lopatka, Pröll und Pühringer, die alles verhindern.

Pühringer, den in der Mindestsicherungsdebatte sein Koalitionspartner FPÖ vor sich hertreibt (Bundesrat Mayer: … muss erst beweisen, dass das gescheiter …!) und der schon alle christlich-sozialen Grundsätze über Bord geworfen hat, lässt ja nur mehr mit rechtsaußen Scheinvorschlägen aufhorchen. (Bundesrat Mayer: Sozialromantiker!) Was sind die Debatten im Oberösterreichischen Landtag? – Ich nenne als Beispiel nur: Deutschpflicht in den Schulpausen – das sagt schon alles –, über die man in Ober­öster­reich überhaupt nicht diskutieren muss. (Zwischenruf des Bundesrates Preineder.)

Ich bin mir auch sicher, dass die Mindestsicherungsalleingänge, die heute zum Beispiel in Niederösterreich beschlossen werden, nicht vor dem EuGH standhalten werden. Diese verstoßen gegen die Verfassung. Auch die erbrachten Effekte sind mehr als fraglich, so waren Anfang November – Herr Kollege Fürlinger kann es vielleicht … (Zwischenruf des Bundesrates Preineder.) Anfang November – und das muss man sich vorstellen! – waren drei Asylberechtigte Personen in Oberösterreich von dieser Kürzung betroffen – drei Personen! Effekt: nicht einmal 4 000 € Einsparung. Da wird in Oberösterreich mehr Geld pro Woche für Inserate in der Zeitung „Neues Volksblatt“ ausgegeben, als da überhaupt Einsparungspotenzial besteht.

Aber warum macht man das? – Aus reinem Populismus! Man will den Leuten am Stammtisch etwas bieten. Mit verantwortungsvoller Politik hat das Ganze schon lange nichts mehr zu tun (Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ), denn, werte Kolleginnen und Kollegen, die soziale Sicherheit ist ein wesentlicher Teil der öffentlichen Sicherheit. Fängt man an, die soziale Sicherheit, dieses Netz zu zerschneiden und löchrig zu machen, damit immer mehr Menschen durchfallen, drohen Obdachlosigkeit, Krimi­nalität, verheerende Armut und Perspektivenlosigkeit – und das darf uns allen hier im Hohen Haus nicht egal sein!

Es geht immer um Menschen, es geht immer um Familien und es geht zuletzt auch um Kinder. Es braucht – und wir Grüne werden diesbezüglich auch einen Antrag im Natio­nal­rat einbringen – ein bundeseinheitliches Grundsatzgesetz betreffend die Bedarfs­orien­tierte Mindestsicherung im Bundes-Verfassungsgesetz. Wir Grünen haben im Bundesrat bereits einmal versucht, genau das zu beschließen. Ich hoffe, dieses Mal wird es im Nationalrat klappen und eine Mehrheit geben, denn es ist unvermeidlich, dass der Bund zur Verbesserung der Lage der Betroffenen von diesem Recht Ge­brauch macht, um sich dann wieder um die wirklichen Herausforderungen, die es in unserer Republik gibt, zu kümmern – zum Beispiel die Working Poor.

Working Poor sind jene Menschen, die trotz Arbeit arm sind, die immer öfter von Armut und Ausgrenzung gefährdet sind. In Österreich sind es laut einer aktuellen Studie derzeit um die 7,8 Prozent jener, die in Beschäftigung sind – Tendenz steigend. Das sind aber nicht nur die Menschen, die einen Beruf gelernt haben – aber natürlich sind diese noch gefährdeter, so verdient eine Friseurin in Vollzeit aktuell unter 1 100 € netto –, sondern es sind auch immer mehr junge Menschen, die einen universitären Abschluss haben, die in schlecht bezahlten, in atypischen Verhältnissen arbeiten unter den Working Poor. (Bundesrat Mayer: Heute geht es um Altersarmut – um Alters­armut!) – Aber das gehört dazu: Wenn diese schon in frühen Jahren wenig verdienen, an der unteren Einkommensgrenze sind, wie sollen die in diesem Pen­sionssystem jemals eine Pension bekommen, mit der sie auskommen?

Es braucht – und darüber müssen wir wirklich reden und nicht über irgendwelche ÖVP-Neiddebatten – endlich einen gesetzlichen Mindestlohn von 1 700 €, eine Arbeitszeit­reduzierung auf 35 Stunden, aber wir müssen auch an der Qualität und an den


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Rahmenbedingungen weiterarbeiten, um wirklich eine nachhaltige Veränderung für die Menschen in Österreich zu erreichen. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Das wäre angebracht, das sind die wirklichen Herausforderungen, um die wir uns kümmern müssen, und betreffend die sind wir Grünen immer gesprächsbereit, Herr Minister, aber nicht betreffend Neiddebatten à la ÖVP. – Danke. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

9.44


Präsident Mario Lindner: Zu einer einleitenden Stellungnahme hat sich der Herr Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihm. Auch seine Redezeit soll 10 Minuten nicht überschreiten. – Bitte, Herr Bundesminister.

 


9.44.26

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Alois Stöger, diplômé: Herr Präsident! Sehr geehrte Mitglieder des Bundesrates! Mir ist es sehr wichtig, heute auch darauf hinzuweisen, dass wir eine Sozialpolitik machen, die den Menschen Sicherheit bietet, die den Menschen Hilfe bietet, und zwar dann, wenn sie Schutz und Hilfe brauchen. Eine Personengruppe, die ganz besonderen Schutz braucht, sind ältere Menschen, und daher ist es so wichtig, Armut im Alter zu ver­hindern.

Die Bundesregierung hat sich mit diesem Thema auseinandergesetzt und hat daher viele Maßnahmen gesetzt, insbesondere im Bereich der Pensionspolitik, der Sozial­politik, um Armut im Alter zu verhindern. Gerade mit den Vorschlägen, die wir am Dienstag im Kreis der Bundesregierung beschlossen und dem Parlament zugeführt haben, werden wir Schritte gegen die Armut betreffend jene Personengruppen setzen, die arm sind, die es schwerer haben in der Gesellschaft, insbesondere dann, wenn es darum geht, die Mindestpensionen für solche Personen zu erhöhen, die lange in Beschäftigung gestanden sind.

Ich bin sehr froh, dass es bezüglich einer Zielgruppe – das sind im Regelfall eher die Frauen, die Teilzeit gearbeitet haben, die in Beschäftigungsverhältnissen waren, in denen sie ein geringes Einkommen gehabt haben – gelingt, dass sie 14-mal jährlich 1 000 € bekommen. Das ist eine gewaltige Erhöhung der Mindestpension, nämlich um mehr als 13 Prozent, und ich denke, das hilft auch dem österreichischen Wirtschafts­standort, dass dieser sich weiterentwickelt.

Wir haben neben diesen Maßnahmen auch dafür gekämpft, dass das freiwillige Pen­sionssplitting ausgeweitet wird, dass es eine verbesserte Anrechnung der Kindererzie­hungszeiten im Zusammenhang mit Allgemeinem Pensionsgesetz und ASVG gibt, und es geht auch darum, dass wir uns mit der Frage auseinandersetzen, wie wir die Pen­sionen nachhaltig sichern können.

Ich habe gestern etwas erlebt, das mich sehr gefreut hat: Ich habe nach „Zeit im Bild 2“ ein bisschen in den Medien herumgezappt und bin auf einen Beitrag im Zweiten Deutschen Fernsehen in der Sendung „ZDFzoom“ gestoßen und habe dann gemerkt, wie man in Deutschland die Pensionsdiskussion führt und was man dort als Benchmark nimmt. Schauen Sie sich den Beitrag an! Sie finden ihn im Internet. Dort sagt man, Benchmark für die Diskussion in Europa ist das österreichische Pensions­system. Ich kann nur empfehlen, sich das anzusehen. Das ist eine Auszeichnung vonseiten Europas, wie wir in Österreich das Pensionssystem insgesamt entwickelt haben. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir dürfen nicht übersehen, dass wir das Erwerbsleben gestalten müssen, damit wir nicht Armut im Alter produzieren. Da geht


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es darum, niedrige Löhne zu verhindern, da geht es darum, brüchige Erwerbskarrieren zu verhindern, da geht es auch darum, andere Antworten auf die Fragen der Teilzeit zu haben. Und wir werden uns gesellschaftlich damit auseinandersetzen müssen, wie wir es schaffen, zu einer gerechten Aufteilung des Arbeitsvolumens, der Mindestlöhne und auch der Kinderbetreuung zu kommen. (Zwischenruf des Bundesrates Preineder.) Diese Auseinandersetzung werden wir in der Zukunft haben.

Wenn Sie gestatten, würde ich gerne auch auf die Fragen, die hier im Bundesrat gestellt wurden, eingehen.

Herr Bundesrat Todt hat darauf hingewiesen, dass wir in Österreich es geschafft haben, eine andere Armutsgefährdungsrate zu haben als Resteuropa. – Danke dafür! Das ist wichtig, das braucht Engagement, aber trotzdem: 13 Prozent – ich kann da nur zustimmen –, 13 Prozent der österreichischen Menschen sind armutsgefährdet. Auch diesbezüglich gibt es Handlungsbedarf, und zwar in die Richtung, dass wir das reduzieren. Wir haben uns da sehr bemüht. Eine Maßnahme ist natürlich die Steuerreform, eine zweite habe ich heute angesprochen, nämlich damit, dass wir die Mindestpension für eine Zielgruppe erhöhen – auch das behalten wir im Auge –, und natürlich geht es auch um die Frage der Pensionsanpassung, aber da werden wir im Parlament noch viel zu diskutieren haben.

Herr Bundesrat Fürlinger hat auch auf die 1 000 € hingewiesen, die wichtig sind. – Ich glaube, das ist wichtig. Ich kann nicht nachvollziehen, was den Unterschied in der Landwirtschaft ausmacht; wir haben diese Regel auch in der Landwirtschaft. Ich weise darauf hin, dass es dort tatsächlich viele – vor allem auch Frauen – gibt, die aus der Tradition heraus zu wenig Einkommen haben. Dem hat man entgegengewirkt – ich sage ganz bewusst: das ist wichtig –, und von dieser Erhöhung der Mindestpensionen werden Menschen in der Landwirtschaft in einem höheren Ausmaß profitieren – des­sen sind wir uns bewusst –, weil sie ja auch ein ganzes Leben lang gearbeitet haben.

Der zweite Schritt, den wir in der Landwirtschaft auch überlegen müssen, ist dann die Frage, wie wir zu Beitragseinnahmen aus der Landwirtschaft kommen, und da ist mit der Pauschalierung und mit diesen Formen natürlich noch Handlungsbedarf gegeben – das ist aus meiner Sicht noch zu diskutieren. Insgesamt haben wir da jedoch ein gutes System.

Betreffend die christliche Politik habe ich auch in den letzten Tagen einiges erfahren und einiges zur Kenntnis nehmen müssen – das will ich jetzt nicht kommentieren. (Heiterkeit der Bundesrätin Posch-Gruska.)

Zu Herrn Bundesrat Bernhard Rösch: Ich teile das, es ist nämlich tatsächlich wichtig, dass man bei der Bildung und bei den Zugängen im Erwerbsleben bereits sehen muss, dass dort Grundlagen für ein späteres niedriges Einkommen geschaffen werden. Das Drei-Säulen-Modell funktioniert nicht! Schaut euch den Bericht im ZDF an: Das Drei-Säulen-Modell funktioniert nicht, das kann man allen laut und deutlich sagen!

Ich darf nur daran erinnern, dass den Menschen die Durchrechnung auf die Dauer des Erwerbslebens, eingeführt von Schwarz-Blau, von einem Herrn Minister Haupt, die Pensionen am meisten reduziert hat beziehungsweise reduziert. Die Lebensdurch­rechnung hat dazu geführt, dass die Pensionen niedriger geworden sind. – Ich wollte nur darauf hinweisen. Danke für die Aufforderung! (Bundesrätin Mühlwerth: … haben Sie es aber nicht zurückgenommen!)

Und ich bedanke mich auch für die Aufforderung an die Gewerkschaften, diesbezüglich viel zu tun. – Ich kann Ihnen bestätigen: Wir tun da sehr, sehr viel! Zum Beispiel hat die Metallindustrie jetzt einen Mindestlohn zustande gebracht nicht von 1 500 € – das haben sie vor zehn Jahren schon zusammengebracht! –, sondern wir haben in der


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Metallindustrie einen Mindestlohn von 1 750 € erreicht, und das ist genau die Ziel­setzung. Ich bedanke mich bei allen Betriebsrätinnen und Betriebsräten, bei allen Gewerkschaftsmitgliedern, die dafür gekämpft haben, weil das dazu führt, dass wir Armut im Alter verhindern können. Ich denke, das ist ein entscheidender Punkt. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Zu Herrn Bundesrat David Stögmüller: Danke, ich denke, dass es wichtig ist, dieses Pensionspaket umzusetzen, hier richtige Schritte zu setzen. Das ist nicht alles, das gebe ich gerne zu. Ich gebe zu bedenken, dass das Pensionsmodell, das die Grünen vorschlagen, ein bisschen zu einfach ist: 800 € Grundmaßnahme und Beiträge, das führt auch zu Verwerfungen. Das würde ich gerne einmal diskutieren, aber dafür habe ich in 10 Minuten nicht genügend Zeit. Ich glaube, so easy ist das nicht, da muss man mehr nachdenken, was man tatsächlich tun kann.

Was mich freut, ist die Aussage über „die Achse der alten, verbitterten Männer“ (Heiterkeit bei den Grünen – Bundesrätin Schreyer: Das ist so!), weil es tatsächlich so ist, dass diese Achse der verbitterten Männer, wenn man so will, den Frauen, die schwerere Lebensperspektiven haben, jetzt auch Perspektiven und Chancen nimmt und diese verstärkt in Altersarmut führt. Ich sage das bewusst im Bundesrat. In der österreichischen Bundesverfassung haben die Länder die Verantwortung für die Mindestsicherung – für das Armenwesen, wie es in der Verfassung steht –: Ich fordere alle Bundesländer auf, diese Verantwortung auch wahrzunehmen! (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Es ist auch Aufgabe des Bundesrates, eine gemeinsame Position der Bundesländer zu erwirken. Ich bitte Sie, mitzuwirken, dass im Bundesrat das entsteht, worauf wir uns schon geeinigt hatten – ich sage das auch ganz bewusst: schon geeinigt hatten! – bezüglich einer gemeinsamen Bedarfsorientierten Mindestsicherung in ganz Öster­reich. Per Verfassung haben die Länder die Verantwortung dafür, ich bitte Sie mitzu­wirken, dass nicht das Phänomen der Working Poor entsteht, dass nicht Menschen in eine Armutsfalle geraten und dass man keine Politik macht, die die Armen gegen die Ärmsten ausspielt. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

9.55


Präsident Mario Lindner: Herzlichen Dank, Herr Bundesminister.

Ich mache darauf aufmerksam, dass man nach Beratung in der Präsidialkonferenz übereingekommen ist, dass die Redezeit aller weiteren Teilnehmerinnen und Teilneh­mer an der Aktuellen Stunde 5 Minuten nicht übersteigen darf.

Zu Wort gemeldet ist als Nächster Herr Bundesrat Pfister. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


9.55.38

Bundesrat Rene Pfister (SPÖ, Niederösterreich): Herr Präsident! Herr Bundesminis­ter! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Altersarmut geht uns alle hier in Österreich etwas an. Es sind schon viele statistische Zahlen genannt worden, und wenn ich explizit noch auf die Teilzeitbeschäftigung eingehe und bei der Teilzeitbeschäftigung noch etwas weiter in die Tiefe gehend die Lage der Frauen anschaue, so sehe ich, es sind vor allem und überwiegend die Frauen, die in der Pension stark von Armut betroffen sind, und zwar stärker als die Männer. Die Alterspension der Frauen in Österreich ist im Durchschnitt fast um die Hälfte niedriger als jene der Männer, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das führt auch dazu, dass mehr als doppelt so viele Frauen eine Aus­gleichszulage beziehen.

Die Einkommensunterschiede von Männern und Frauen sind in der Pension noch größer als in der Erwerbstätigkeit. Doch wie wirken sich Teilzeitbeschäftigung und Lücken im Erwerbsleben durch Kindererziehung, durch Pflege der Angehörigen und so


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weiter auf Pensionen aus? – Eine Verringerung der Arbeitszeit um die Hälfte für ein Jahr vermindert die Pension um 1 Prozent, eine einjährige Beschäftigungsunter­brechung vermindert die Pension um circa 2 Prozent. Teilzeitarbeit und Lücken im Erwerbsleben haben demnach einen erheblichen Einfluss auf die Pensionshöhe.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das bedeutet aber auch, dass wir das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht haben, sondern dass wir sehr, sehr genau darauf schauen müssen, dass die Schere nicht noch weiter auseinandergeht, wenn es um die Einkommensunterschiede vor allem auch in der Pension geht.

Es ist schon im Zusammenhang mit den Kollektivvertragsverhandlungen angesprochen worden: Die Gewerkschaftsbewegung bemüht sich gemeinsam mit den Arbeitgeber­vertretern auch wirklich, die Einkommen im unteren Segment anzuheben. Der Herr Bundesminister hat schon gesagt, dass es auch geteilte Abschlüsse beziehungsweise Abschlüsse, bei denen niedrigere Einkommen prozentuell höher angehoben werden als die höheren Einkommen, gibt. Das heißt, dass es dadurch einen Kaufkraftzuwachs gibt.

Lassen Sie mich ganz kurz auf den Kollegen Fürlinger eingehen: Es gibt einen be­kannten meines Wissens Nicht-Sozialdemokraten, nämlich Henry Ford, und der hat gemeint, grüne Dollars kaufen keine Autos, sondern Menschen kaufen Autos.

Die Vergleiche, die du aus der christlichen Soziallehre hier bringst, sind nicht immer ganz nachvollziehbar, und du unterstellst Dinge, die nicht passieren. Ich möchte dir aber auch sagen, dass wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht diejeni­gen sind, die Pensionshöhen oder Mindestlöhne nach unten drücken wollen, sondern dass es uns darum geht, die Mindestlöhne auf 1 700 € – und natürlich auch höher – anzuheben, und nicht darum, dass wir mit den Ärmsten in der Gesellschaft diese Diskussion führen im Sinne davon, dass wir sie noch weiter hinunterdrücken und sie aus dem Erwerbsleben hinausdrücken, dass wir sie an den Rand der Gesellschaft drängen, wo sie keine Möglichkeit mehr haben, wieder am sozialen Leben, am Leben in der Gesellschaft teilzunehmen. (Beifall bei der SPÖ.)

Niedrige Löhne verursachen niedrige Pensionen, und daher heißt die Herausforderung, die wir als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, als Betriebsräte, als Personal­vertreter, als Politikerinnen und Politiker haben, die Einkommen zu stärken.

Und eines wissen wir auch: Das Wirtschaftswachstum oder die wirtschaftliche Kaufkraft stärken wir nur dann, wenn wir im Bereich des Kleinkonsums auch die Möglichkeit haben, zu investieren – denn diejenigen, die jenseits von 100 000 € verdienen, sind nicht diejenigen, die in die Realwirtschaft investieren, sondern das sind diejenigen, die das Geld in irgendwelchen Finanztransaktionen, die nicht Beschäftigung verursachen, quer über den Globus schicken, die damit spekulieren, es verspekulieren oder einfach nur darauf setzen, dass es jemandem anderen schlechter geht als uns.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die sich uns stellende Herausforderung, Altersarmut zu verhindern, heißt in Österreich aber auch, gemeinsam mit den Arbeitgebern, mit den Unternehmerinnen und Unternehmern zu sprechen, denn wenn wir uns dazu Statistiken anschauen, wissen wir, dass es in Österreich 15 500 Unternehmen gibt, die 25 oder mehr ArbeitnehmerInnen beschäftigt haben.

Hinsichtlich der älteren Beschäftigten – also jenen im Alter von 55 plus – heißt das aber auch, dass nur in rund 5 000 Unternehmungen diese Quote auch erfüllt wird. Bei 9 000 Unternehmen fehlen zwischen einem und zehn ältere Arbeitnehmer, in rund 1 400 Unternehmen fehlen zwischen zehn und 50 und in über 100 Unternehmen fehlen bis zu 100 ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 21

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das bedeutet im Umkehrschluss natürlich auch in Summe 75 000 Jobs, die nicht besetzt sind – 75 000 Jobs, die Kaufkraft verursachen, denn eines wissen wir auch, und dies nicht nur in der betrieblichen Praxis, nämlich dass Pensionistinnen und Pensionisten, ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer viele Möglichkeiten haben, am Wirtschaftsleben teilzunehmen: wenn es um Urlaube geht, wenn es um Reisen geht, wenn es um Ausgaben …

 


Präsident Mario Lindner: Herr Bundesrat, ich bitte um den Schlusssatz!

 


Bundesrat Rene Pfister (fortsetzend): Dies stellt also einen massiven Wirtschafts­zweig dar, und das schafft und fördert auch Beschäftigung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Herr Bundesminister hat nicht nur angekündigt, sondern hat seine Ankündigung mit der Anhebung der Mindestpension auf 1 000 € ab 1. Jänner 2017 auch umgesetzt, um die Kaufkraft zu stärken, um das Wirtschafts­wachstum zu fördern und um auch die Altersarmut zu verhindern.

Herr Bundesminister! Die Herausforderungen für uns sind keine kleinen, aber gemein­sam mit den Unternehmerinnen und Unternehmern, mit den Belegschaftsvertretern, mit der Personalvertretung werden wir diesen erfolgreichen Weg, den Österreich in der Vergangenheit gegangen ist, auch in Zukunft gehen – für die Beschäftigung und für Arbeitsplätze in Österreich! (Beifall bei der SPÖ.)

10.02


Präsident Mario Lindner: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mayer. – Bitte.

 


10.02.51

Bundesrat Edgar Mayer (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Herr Präsident, ich wünsche mir auch die Pfister’schen 5 Minu­ten, aus denen 7 oder mehr geworden sind. Vielleicht könnten wir das einstellen, wenn es möglich wäre?

Ich möchte jetzt nicht die Geschichte vom Heiligen Martin, die hier vom Kollegen Fürlinger angesprochen wurde, fortsetzen und auch nicht die Ausführungen des Kollegen Todt betreffend die Flachbildschirme. Ich möchte aber auch nicht den Heiligen Alois zitieren (Bundesminister Stöger: Das war der Bischof von Gonzaga!), denn was die Mindestsicherung anbelangt, Herr Minister, muss ich schon sagen, dass die Länder ihre Kompetenz im Armenwesen und in der Mindestsicherung sehr wohl wahrnehmen. Und da muss ich schon ganz deutlich und noch einmal darauf hinweisen, dass die Länder wirklich immer ein Partner waren. (Ruf bei der SPÖ: Na, na, na, na, na!) Wenn es schlussendlich keine gemeinsame Lösung gibt, dann muss eben auch der Sozialminister sagen: Na gut, verhandeln wir weiter! (Bundesrat Schennach: Na, na, na, na, na!), und vielleicht gibt es doch in irgendeiner Form dann auch ein akzeptables Ergebnis mit den Ländern, Herr Minister! (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrat Schennach: Du tust das schönreden!)

Lieber Kollege Stögmüller, das muss ich dir auch jetzt noch einmal ins Stammbuch schreiben (Bundesrat Schennach: Edgar, du tust das schönreden!): Im Zusam­menhang mit dem Foul, das du hier begangen hast, was die „alten Männer“ anbelangt (Bundesrat Stögmüller: „Verbittert“ hast du vergessen!) – „alte, verbitterte Männer“: Pröll, Pühringer, Lopatka; Lopatka ist 56, jetzt unter uns gesagt; wann beginnen bei dir „alte Männer“? –, muss ich dir sagen: Beide von dir als verbitterte alte Männer bezeichnete Menschen haben für ihr Land Hervorragendes geleistet! (Beifall bei der ÖVP.) Und diese Leute hier in den Dreck zu ziehen, das würde an und für sich einen


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 22

Ordnungsruf rechtfertigen! (Neuerlicher Beifall bei der ÖVP. – Bundesrätin Posch-Gruska: Geh, geh, geh!)

Wenn unsere Landeshauptleute alt und verbittert sind, dann frage ich mich: Was ist denn der Kandidat der Grünen, Van der Bellen? (Heiterkeit und Beifall bei der FPÖ.)

Was ist der? Er ist weit über 70! Und es würde einem ÖVP-Politiker nie einfallen, jemanden, der irgendwo für ein Mandat kandidiert, als alt und verbittert zu bezeich­nen. – Das sei nur in dein jugendliches Stammbuch geschrieben, Herr Kollege Stögmüller. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der FPÖ.)

Ich komme zurück zum Pensionspaket. Ich denke – Herr Minister, wie schon von Ihnen erwähnt –, das kann sich durchaus sehen lassen, weil es auch in Richtung Nach­haltigkeit und Vermeidung von Altersarmut geht. Mit dem pensionsrechtlichen Teil, den man ja bereits seit 1. März verhandelt, werden schon einige der wesentlichen, vorran­gigen Ziele des Pensionssystems nachhaltig entwickelt. Ich erwähne dabei positiv: die Anreize für längeres Arbeiten, weiters eine effektive Gestaltung des Grundsatzes Rehabilitation vor Pension zur Vermeidung von Invalidität sowie die Verbesserung der pensionsrechtlichen Absicherung der Frauen – das ist ein ganz wesentlicher Punkt in diesem Paket, sehr verehrte Damen und Herren – und die gerechte Verteilung der Lasten der Kindererziehung. Somit handelt es sich hier aus meiner Sicht ganz deutlich auch um Leitlinien für eine Bekämpfung der Altersarmut. (Beifall des Bundesrates Todt.)

Das Prinzip Leistung – es ist von Ihnen schon erwähnt worden – soll auch berück­sichtigt werden, Leistung soll belohnt werden, zum Beispiel bei den Mindestpen­sionisten, die 30 Jahre oder länger gearbeitet haben. Das kann man nur immer wieder hervorheben, erwähnen und unterstreichen, dass sie jetzt 1 000 € pro Monat bekom­men – bisher waren es 883 €. Das ist schon ein sehr, sehr wesentlicher Fortschritt. (Neuerlicher Beifall des Bundesrates Todt.)

Ja, da kann man durchaus applaudieren, Herr Kollege Todt. (Bundesminister Stöger: Ja, da kann man applaudieren!) – Ja, das hätte für euch (in Richtung ÖVP) auch gelten können, liebe Kolleginnen und Kollegen (allgemeine Heiterkeit), bei allem Verständnis.

Und – das ist auch ein gestalterisches Element – wer über das Pensionsalter hinaus arbeitet, also bis 63 bei Frauen und bis 68 bei Männern, der hat auch wesentlich mehr für sich im Börserl.

Dennoch wird auch dieser fiktive Beitrag auf das Pensionskonto gutgeschrieben. Dieser Aufschiebebonus von 4,2 Prozent macht die Pension ebenfalls deutlich höher. Das bedeutet etwa am Beispiel einer Frau, dass sie damit nach drei Jahren Aufschub von zum Beispiel 1 600 € auf 1 900 € Pension kommen könnte. Das sind 4 000 € pro Jahr mehr. Das ist schon eine wesentliche Verbesserung.

Wichtig und ein ganz entscheidender Punkt ist aus meiner Sicht auch, dass vorüber­gehend arbeitsunfähige Menschen bestmöglich wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden sollen – sozusagen ein beginnendes Wiedereingliederungsmanagement, wie von den Arbeiterkammern schon längst gefordert. Also: Wiedereinglie­derungsmana­gement nach langen Krankenständen mit ausgeweiteten Rehab-Möglichkeiten.

Ich komme zum Schluss, weil ich mich auch etwas an die Zeit halten möchte (ironische Heiterkeit bei Bundesräten der SPÖ) – das ist auch bürgerlich-christlich-soziale Politik, sich an die Zeit zu halten, liebe Kolleginnen und Kollegen (Bundesrätin Posch-Gruska: Die ist aber vorbei!) –: Aus der Gesamtbetrachtung ist das Pensionspaket ein


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weiterer wichtiger Schritt zur langfristigen Pensionssicherung, es trägt zu wesentlichen Verbesserungen für die Frauen im System bei und ist durchaus geeignet, Herr Minister, Altersarmut hintanzuhalten. – Ich danke schön. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

10.08


Präsident Mario Lindner: Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, darf ich den ÖGB-Regionalvorstand der Südoststeiermark Fürstenfeld-Feldbach ganz herzlich bei uns begrüßen. Einen wunderschönen guten Morgen und herzlich willkommen! (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesräten von ÖVP, FPÖ und Grünen.)

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mühlwerth. – Bitte.

 


10.09.15

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren, die Sie uns heute hier besuchen! Sehr geehrte Damen und Herren, die Sie zu Hause vielleicht im Internet die heutige Sitzung verfolgen! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Minister, Sie haben gesagt, dass bei der Pensionsreform ganz Europa auf das österreichische Pensionssystem blickt und dieses als Benchmark betrachtet. Das heißt also, im kleinen Österreich hält offensichtlich die große Welt wieder einmal eine Probe. Ihr Kollege Todt, der Fraktionsvorsitzende der SPÖ, hat aber nicht alles so toll gefunden und war auch der Meinung, dass es doch noch einiges an Verbesserung geben könnte. (Bundesrat Todt: Weil es ein lebendes System ist, kann man immer etwas verbessern!)

In diesem Zusammenhang ist mir eingefallen – denn ich finde es ja immer sehr interessant, wenn die Kollegen von SPÖ oder ÖVP, deren Kollegen ja in der Regierung sitzen und den Bundeskanzler und den Vizekanzler stellen, so quasi einen Auftrag an sich selber geben –, ihr hattet einmal eine Gesundheitsministerin namens Christa Krammer, die in so einem Zusammenhang gesagt hat: Ja dann macht es einmal, zum Kuckuck! – Das ist ein sehr gutes Zitat, damals wie heute. (Beifall bei der FPÖ.)

Herr Kollege Todt, da Sie ja ein Bundesrat der Wiener SPÖ sind und die Kostentreiber kritisiert haben, sage ich Ihnen schon Folgendes: Einer der größten Kostentreiber ist die SPÖ Wien! Die stellt den Landeshauptmann und den Bürgermeister. Das sind diejenigen, die auch jetzt nach der Steuerreform sofort wieder Erhöhungen bei Wasser, Gas, Strom, Kanal, Abfall et cetera vorgenommen haben, sodass von der Steuerreform schon wieder viel weniger übrig bleibt. Also vielleicht reden Sie einmal mit Ihren Genossen und sagen ihnen, sie sollen nicht immer sofort ein Belastungspaket schnüren – denn diese Erhöhungen erfolgten ja nicht deswegen, weil die Kosten so sehr gestiegen sind und sie das ausgleichen mussten, sondern das ist natürlich ein Posten für das Budget in Wien, das ja, wie wir heute wieder lesen konnten, dabei ist, zu explodieren.

Die Kindererziehungsersatzzeiten und die Bemessungsgrundlage für die Kinder­erziehungszeiten bei den Müttern sind durchaus eine richtige Sache, es muss aber auch regelmäßig eine Valorisierung erfolgen, wie bei den Pensionen übrigens auch. Die Freiheitlichen haben immer schon gefordert, dass es eine Valorisierung der Pen­sionen geben muss, weil die Pensionen real immer weiter gesunken sind, denn es sind immer nur kleine Erhöhungen vorgenommen worden, aber insgesamt haben die Pen­sionen immer wieder an Wert verloren. Das wäre zum Beispiel einmal etwas, das Sie machen könnten.


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Wenn der Herr Bundeskanzler Kern jetzt dem Pensions-Hunderter das Wort redet, dann erinnere ich daran: Als das Jörg Haider als Landeshauptmann von Kärnten gemacht hat, ist er dafür geprügelt worden und musste Spott und Häme über sich ergehen lassen – so quasi: Der Landeshauptmann verteilt aus der Schatulle einen Hunderter! Offensichtlich ist es aber doch nicht so schlecht gewesen. Bundeskanzler Kern entpuppt sich als Schüler Jörg Haiders (Heiterkeit bei der FPÖ – Bundesrätin Posch-Gruska: Eure Fantasie ist grenzenlos, wirklich!) und will jetzt auch einen Pensions-Hunderter verteilen! (Beifall bei der FPÖ.)

Wenn der Kollege Pfister von so unglaublich vielen Arbeitsplätzen für die über 50-Jährigen, also für die älteren Personen, spricht und sagt, die liegen quasi auf der Straße und werden nicht besetzt, dann frage ich Sie aber schon: Woher kommt denn eine erhöhte Arbeitslosigkeit bei über 50-Jährigen im Ausmaß von 9,5 Prozent? – Das heißt, über 50 ist es sehr schwierig, einen Job zu finden.

Daher erübrigt sich jede Diskussion über ein höheres Pensionsantrittsalter. Man bekommt ja mit 40 fast schon keinen Job mehr. Wissen Sie, wie viele Firmen es gibt, die sagen, 40 ist bei uns die Grenze für die Aufnahme? Und da sagt irgendeiner, man muss jetzt noch länger arbeiten?! – Das geht sich ja hinten und vorne nicht aus!

Wer von Ihnen bei der Armutskonferenz, die vor zwei Wochen hier im Parlament stattgefunden hat, dabei war, der konnte hören, wie sehr die Menschen unter Druck geraten sind und wie schwierig es ist, im Alter einen Job zu finden, im Alter mit dem Einkommen auszukommen. Und es geht ja darum, dass man, wenn man das aktive Arbeitsleben verlässt, nicht plötzlich – unter die Brücke kommt ist ein bisschen übertrie­ben, aber: dass man nicht plötzlich in seinem Lebensstandard komplett hinunterfällt.

Wir wollen, dass es den Menschen auch in der Pension möglich ist – alle Senioren wollen das, und sie haben es nach 40 oder 45 Arbeitsjahren auch verdient –, in ihrer Wohnung zu bleiben, nicht umziehen zu müssen, weil die Wohnung zu teuer geworden ist, und nicht plötzlich bei ihrem normalen Lebensstandard so kürzen zu müssen, dass sie sich gerade nur das Allernötigste leisten können. Das haben die Menschen in diesem Land, die viel für dieses Land geleistet haben, nicht verdient. Und darauf müssen wir unser Hauptaugenmerk richten: dass es nicht zu einem radikalen Abstieg in die Armutsfalle kommt. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

10.14


Präsident Mario Lindner: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Dr. Dziedzic. – Bitte.

 


10.14.55

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wertes Präsidium! Liebe Gäste! Als letzte Rednerin, bevor der Herr Minister wieder zu Wort kommt, kann ich festhalten, dass wir uns in einem einig sind, und zwar darin, dass wir mehr Gerechtigkeit brauchen und mehr Absicherung für Menschen, die in die Armut schlittern.

Wir brauchen aber auch eine Umverteilung von Zeit, Geld und Vermögen, genauso wie wir eine Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit brauchen. Wir wissen, dass sich die Ausgestaltung der Arbeitszeit, der Arbeitsverhältnisse enorm auf die Ge­schlechterverhältnisse auswirkt. Und die Flexibilisierung der Arbeitszeit kommt nicht Frauen zugute. Im Gegenteil! Sie verstärkt genau diese ungleiche Verteilung von Ver­mö­gen. Während die einen immer mehr arbeiten, haben die anderen immer weniger Arbeit und somit auch immer weniger Geld zum Auskommen.


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 25

Die derzeitigen Lösungsansätze, könnte man sagen, sind aber alles andere als darauf ausgerichtet, diese Situation zu ändern, denn männliche Arbeitsplätze werden geför­dert und stabilisiert, während in Frauenbranchen – sogenannten Frauenbranchen, müsste man sagen – Teilzeit, Atypisierung von Beschäftigung immer mehr zunehmen. Hier wird versucht, die Verluste am Haushaltseinkommen durch mehr unbezahlte Arbeit auszugleichen, und genau das vor allem auch in Zeiten der Krise.

Wir wissen, dass es höchst an der Zeit ist, der verfassungsmäßig gebotenen Gleich­behandlung und EU-mäßigen – worauf wir uns alle geeinigt haben – Gleichstellungs­politik gerecht zu werden. Und, ich wiederhole, dazu zählt ganz stark die Verteilung von unbezahlter und bezahlter Arbeit.

Wir wissen nicht nur, dass Frauen in Österreich um 23 Prozent weniger verdienen als Männer, wir haben auch gehört, dass die Schere in der Pension um bis zu 50 Prozent auseinanderklafft. Wir wissen, dass Frauen beim Jobeinstieg niedriger eingestuft werden; sogar Lehrberufe, die eher Frauen ergreifen, werden niedriger eingestuft. Wir wissen, dass Frauen eher gekündigt werden, wenn sie teuer werden, wenn sie Kinder haben, wenn sie über 50 sind. Wir wissen, dass in Österreich die Teilzeitquote von Frauen mittlerweile bei 50 Prozent liegt, und wir wissen, dass fast die Hälfte der Frauen atypisch beschäftigt ist, daher auch nur partiell im Sozialsystem integriert ist. Das ist natürlich mit einem sehr hohen Risiko bezüglich der sozialen Sicherheit verbunden, hat aber auch enorme Auswirkungen auf die Armutsgefährdung.

Wir wissen, dass vor allem Alleinerziehende stark von Armut betroffen sind, und in Österreich sind das zu 90 Prozent Frauen. Und: Eine von vier Alleinerziehenden in Österreich ist nicht armutsgefährdet, sondern tatsächlich arm. Knapp 90 Prozent derjenigen, die in Pflegeteilzeit gehen, sind Frauen. – Ich könnte jetzt die Nennung dieser Zahlen weiter fortführen, kann aber, denke ich, mit der Feststellung schließen, dass diese Zahlen eigentlich ein Armutszeugnis für uns alle, für Österreich, sind, weil wir in einem der reichsten Länder Europas leben.

Alles in allem müssen wir uns, glaube ich, gerade heute, wenn wir über Armut reden, wenn wir über die ungleiche Verteilung von Arbeit, aber auch von Vermögen reden, darüber klar werden, dass Gleichstellung, Gleichberechtigung, Chancengleichheit nicht nur Frauensache sind. Sie sind meist, und vor allem, auch eine Frage der Macht und der ökonomischen Verhältnisse. Wenn wir in Österreich 377 000 Frauen im Pen­sionsalter haben, die keinen Pensionsanspruch haben, wenn wir wissen, dass die Notstandshilfe noch immer kein individuelles Recht ist, sondern an das Partnerein­kommen gekoppelt ist, und wenn wir Studien lesen, dass es in Österreich erst in 170 Jahren eine Gleichstellung von Frauen und Männern geben wird, dann müssen wir uns alle darauf einigen, dass es, wenn wir über Armutsbekämpfung reden, vor allem auch Gleichstellungsinstrumente braucht und eben die besagte Umverteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit. – Ich danke vielmals. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

10.19


Präsident Mario Lindner: Ich darf ganz herzlich Herrn Horst Tassotti bei uns im Bundesrat begrüßen. Herr Tassotti ist extra aus Vorarlberg hierher gefahren, um den Bundesrat zu sehen. – Einen wunderschönen guten Morgen und herzlich willkommen! (Allgemeiner Beifall.)

Zur Abgabe einer abschließenden Stellungnahme hat sich nochmals der Herr Bun­desminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihm und darf ihn bitten, die Redezeit von 5 Minuten nach Möglichkeit einzu­halten.

 



BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 26

10.20.26

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Alois Stöger, diplômé|: Herr Präsident! Hohes Haus! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich denke, es ist wichtig, heute auch darauf hinzuweisen, dass es tatsächlich eine wichtige Aufgabe ist, sich mit der Frage zu befassen: Wie können wir Gleichheit herstellen? Wie können wir diese real herstellen?

Europa zeichnet sich dadurch aus, dass man sich im Zuge der Aufklärung darauf geeinigt hat, dass wir alle Menschen als gleichwertig an Würde erkennen. Das ist eine der Grundlagen, die Demokratie überhaupt ermöglicht, und eine Demokratie, die nicht das Bild hat, dass die Menschen gleich sind, gibt es nicht.

Daher ist es mir so wichtig, zu betonen – und da bin ich schon bei der letzten Rednerin, Frau Bundesrätin Dziedzic, die das ebenfalls gesagt hat –, dass Umverteilung von Zeit, Geld und Vermögen dringend notwendig ist. – Das kann man nur unterstützen, und die Bundesregierung hat mit vielen Maßnahmen dazu Beiträge geliefert.

Es ist angesprochen worden: Wie gehen wir mit der Pflege um? – Wir haben jetzt bei den Verhandlungen über den Finanzausgleich wieder Beiträge geliefert, um das österreichische Pflegemodell, den Pflegefonds, zu stärken. Sie werden sich erinnern: Wir haben im Jahr 2011 den Pflegefonds geschaffen, indem wir eine Bankenabgabe eingeführt haben. Das ist so etwas wie eine Wertschöpfungsabgabe. Wir haben be­wusst von einer Bankenabgabe gesprochen, und da sind um die 600 Millionen € hereingekommen. 350 Millionen € haben wir dazu verwendet, um die Menschen bei der Pflege zu entlasten, und das wirkt! Wir haben damit vor allem auch Frauen bessere Bedingungen gegeben, damit die Menschen entsprechend gepflegt werden können und damit da auch etwas weitergeht. – Das ist konkrete Regierungspolitik, die dazu führt, dass die Menschen, die Hilfe brauchen, diese Hilfe auch bekommen.

Frau Bundesrätin Mühlwerth hat auf die anderen Bundesräte repliziert, und ich kann nur eines dazu sagen: Der Unterschied zwischen dem, was Christian Kern gemeint hat, und dem, was Jörg Haider gemacht hat, ist ein ganz kleiner, nämlich: Wir dis­kutieren eine Erhöhung der Pensionen um das, was die Pensionskommission gesagt hat, nämlich in Anbetracht der Inflation in Höhe von 8 Prozentpunkten. So wird erhöht, und darüber hinaus gibt es für alle eine Inflationsanpassung und darüber hinaus noch ein zusätzliches Einkommen, das auch die Kaufkraft der Pensionistinnen und Pen­sionisten stärkt. (Bundesrat Krusche: Das ist der Teuerungsausgleich!) – Der Teuerungsausgleich sind die 0,8 Prozent.

Nur, damit wir dabei bleiben: Haider hat das ganz anders gemacht. Er hat jedem einen Hunderter gegeben und die Inflation nicht ausgeglichen. Das ist der kleine, kleine Unterschied! (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der Grünen.)

Zu Bundesrat Mayer sage ich ganz bewusst und auch in Respekt vor dem Bundesland Vorarlberg – er ist Vorarlberger Bundesrat –: Es gibt viele Länder, die Verantwortung wahrnehmen, und ich will das auch ganz bewusst sagen. Vorarlberg ist, gerade was die Sozialpolitik anlangt, ein Bundesland, bei dem man sehr genau hinschauen muss, weil es dort auch gute Vorschläge gegeben hat. Ich bin auch bereit, auf diese guten Vorschläge zu replizieren, und insofern sage ich ganz bewusst: Viele Bundesländer nehmen die Verantwortung wahr, andere Bundesländer können sich an diesen auch noch ein Beispiel nehmen, und ich denke, das ist wichtig. Bundesrat Mayer hat auch auf die Aufschubpension hingewiesen. Es sind hier also tatsächlich einige Bereiche genannt worden.


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 27

Zu Bundesrat Pfister sage ich, dass ich glaube, dass folgender Hinweis wichtig ist: Wenn wir wollen, dass die Menschen an dieser Gesellschaft teilnehmen, dann steht das sehr stark auch im Zusammenhang mit dem Thema Arbeit, Arbeit zu haben und auch dann Arbeit zu haben, wenn man sich dem Pensionsalter nähert, um das so zu formulieren. Sich dem Pensionsalter zu nähern muss bedeuten, auch dann noch in Arbeit zu stehen, und das braucht den Dialog zwischen den Unternehmen bezie­hungsweise den Unternehmern mit den Arbeitenden. Es geht auch darum, Arbeits­bedingungen zu schaffen, die es ermöglichen, gesund in Pension gehen zu können, und auch altersgerechte Arbeitsplätze zu entwickeln.

Ich bin bereit, mit allen Unternehmen darüber nachzudenken, was wir diesbezüglich mehr tun können. Ich würde all das unterstützen. Mir ist es wichtig, dass man sich zu diesem Prinzip auch bekennt. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

10.25


Präsident Mario Lindner: Danke, Herr Bundesminister.

Die Aktuelle Stunde ist beendet.

10.25.55Einlauf und Zuweisungen

 


Präsident Mario Lindner: Hinsichtlich der eingelangten, vervielfältigten und verteilten Anfragebeantwortung 2934/AB-BR/2016 sowie eines

Schreibens des Bundeskanzlers gemäß Artikel 23c Abs. 5 Bundes-Verfassungsgesetz betreffend die Nominierung eines österreichischen stellvertretenden Mitgliedes für den Ausschuss der Regionen und eines

Schreibens des Ministerratsdienstes des Bundeskanzleramtes betreffend den Aufenthalt des Bundesministers für Landesverteidigung und Sport Mag. Hans-Peter Doskozil am 17. November 2016 in Bratislava

verweise ich auf die im Sitzungssaal verteilten Mitteilungen gemäß § 41 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates, die dem Stenographischen Protokoll dieser Sitzung angeschlossen werden.

Die schriftlichen Mitteilungen haben folgenden Wortlaut:

Anfragebeantwortung (siehe S. 6)

*****


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 28

Schreiben des Bundeskanzlers betreffend Nominierung gemäß Art. 23c Abs. 5 B-VG:


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 29

*****


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 30

Schreiben des Bundeskanzleramtes betreffend Aufenthalt eines Mitgliedes der Bundesregierung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union:

*****

Vertretung von Mitgliedern der Bundesregierung

 


Präsident Mario Lindner: Weiters eingelangt ist ein Schreiben des Ministerrats­diens­tes des Bundeskanzleramtes

betreffend den Aufenthalt des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Dipl.-Ing. Andrä Rupprechter vom 5. bis 11. November 2016 in China und vom 16. bis 19. November 2016 in Marrakesch, Marokko, bei gleichzeitiger Beauftragung der Bundesministerin für Familien und Jugend MMag. Dr. Sophie Anna Karmasin-Schaller mit seiner Vertretung sowie

ein elektronisches Schreiben der Bundesministerin für Gesundheit Dr. Sabine Oberhauser, dass diese aufgrund einer gesundheitlichen Verhinderung in der heutigen


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 31

Sitzung des Bundesrates nicht anwesend sein kann und durch den Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter vertreten wird.

*****

Eingelangt sind und den zuständigen Ausschüssen zugewiesen wurden jene Be­schlüsse des Nationalrates sowie jener Bericht, die beziehungsweise der jeweils Ge­genstand der heutigen Tagesordnung sind beziehungsweise ist. Die Ausschüsse haben ihre Vorberatungen abgeschlossen und schriftliche Ausschussberichte erstattet.

Ich habe die zuvor genannten Verhandlungsgegenstände auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gestellt.

Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Bevor wir in die Tagesordnung eingehen, gebe ich bekannt, dass ich – falls notwen­dig – kurz vor 17 Uhr die Sitzung unterbrechen werde, um allen Mitgliedern des Bun­desrates die Teilnahme an dem auf Einladung der Präsidentin des Nationalrates und über meine Einladung stattfindenden Staatsakt im Historischen Sitzungssaal zu ermög­lichen, mit dem eine Geste der Verantwortung gegenüber den Menschen, die in der Zweiten Republik in staatlichen und kirchlichen Einrichtungen Unrecht erlitten haben, gesetzt werden soll.

Erklärung des österreichischen Bundesrates zur Lage in der Türkei

 


Präsident Mario Lindner: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolle­ginnen, liebe Kollegen! Bei der Sitzung der Präsidialkonferenz am vergangenen Diens­tag haben wir besprochen, dass der österreichische Bundesrat eine Erklärung zur Lage in der Türkei abgeben wird.

Die Erklärung des österreichischen Bundesrates zur Lage in der Türkei lautet: 

„Wir fordern daher von der türkischen Regierung die sofortige Freilassung der inhaf­tierten Abgeordneten, Journalistinnen und Journalisten sowie die Achtung der Mei­nungs­freiheit und der Unabhängigkeit von Justiz und Gesetzgebung. Wir verurteilen alle Terrorakte und fordern die Reaktivierung des kurdischen Friedensprozesses. Gleichzeitig fordern wir die österreichische Bundesregierung auf, sich in ihren Kon­takten mit der Türkei bilateral und im Rahmen der EU ebenfalls mit Nachdruck für diese Forderungen einzusetzen.“

Die Resolution ist analog zu jener des österreichischen Nationalrates.

Zur Unterzeichnung dieser Erklärung bitte ich die Präsidialmitglieder, zu mir zu kommen. Ich unterbreche zu diesem Zweck die Sitzung.

Die Sitzung ist unterbrochen.

*****

(Die Sitzung wird um 10.29 Uhr unterbrochen und um 10.33 Uhr wieder aufge­nommen.)

*****

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl (den Vorsitz übernehmend): Ich nehme die unter­brochene Sitzung wieder auf.


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 32

Bevor wir in die Tagesordnung eingehen, darf ich Herrn Vizekanzler Reinhold Mitterlehner herzlich in unserer Runde begrüßen. Danke für dein Kommen! (Allgemeiner Beifall.)

10.33.081. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 9. November 2016 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb 1984 – UWG und das Preisauszeichnungsgesetz geändert werden (1251 d.B. und 1305 d.B. sowie 9654/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir kommen zum 1. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Hackl. Ich bitte um den Bericht.

 


10.33.34

Berichterstatterin Marianne Hackl: Geschätztes Präsidium! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bringe den Bericht des Wirtschafts­ausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 9. November 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb 1984 und das Preisauszeichnungsgesetz geändert werden.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher gleich zur Antrag­stellung.

Der Wirtschaftsausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 15. November 2016 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des National­rates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Ich danke für den Bericht.

Als Erster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Seeber. Er spricht jetzt zum ersten Mal in seiner Karriere als Bundesrat, weshalb ich um erhöhte Aufmerksamkeit bitte.

 


10.34.41

Bundesrat Robert Seeber (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Präsidium! Herr Vizekanzler! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein heutiger Redebeitrag widmet sich dem Thema des unlauteren Wettbewerbs bezie­hungs­weise der Bestpreisklausel.

Gestatten Sie mir aber – der Präsident hat es gerade erwähnt –, anlässlich meiner ersten Rede hier in diesem Plenum vorerst einige persönliche und auch grundsätzliche Themen anzusprechen. Ich möchte das auch deswegen tun, damit Sie ein bisschen eine Vorstellung von meiner Persönlichkeit bekommen und darüber, wie ich mir eine fruchtbare Arbeit hier im Bundesrat vorstelle.

Ich darf mich in diesem Zusammenhang natürlich auch ganz herzlich für die freund­liche Aufnahme in den ersten drei Monaten hier im Bundesrat bedanken. Ein sehr amikales Verhältnis hat sich quer durch alle Parteien durchgezogen. Auch dafür ein herzliches Dankeschön!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich stehe heute hier im Plenum des Bun­desrates als ein Vertreter des Landes Oberösterreich, ich stehe hier als ein Vertreter der Wirtschaft, und ich stehe hier auch als ein Vertreter des Tourismus und der Gastronomie. – Ich persönlich bin seit 1987 selbständiger Gastronom im Herzen von Linz mit drei Gastronomiebetrieben, in denen knapp 100 Mitarbeiter beschäftigt sind und die ich gemeinsam mit meiner Frau Elfriede führe. Ich bin seit dem Jahr 2009 auch Obmann für die Sparte Tourismus der Wirtschaftskammer Oberösterreich und seit dieser Zeit auch Vorsitzender des Oberösterreichischen Landestourismusrates.


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 33

Ich möchte damit nur sagen: Immer wenn Sie mich hier an dieser Stelle stehen sehen, dann habe ich quasi zwei Hüte auf, einerseits den Hut der Interessenvertretung, von der ich komme, und andererseits jenen der Schiene der Politik. Ich weiß, das ist heraus­fordernd, aber sicherlich eine sehr spannende Aufgabe in den nächsten Mona­ten und Jahren, auf die ich mich freue.

Meine Damen und Herren! Die Gastronomie hatte und hat bis dato – um das einmal vornehm zu umschreiben – nicht ganz leichte Rahmenbedingungen. Daher kommt natürlich auch die Motivation für mich, nicht den Kopf in den Sand zu stecken oder nur zu lamentieren. Das ist nicht meine Art! Ich wollte mich positiv einbringen und habe mich daher quasi als Spätzünder zu einem diesbezüglichen Engagement ent­schlos­sen. Ich bin relativ spät in die Politik gekommen, weil ich die ersten 25 Jahre sehr damit beschäftigt war, unsere Betriebe aufzubauen.

Etwas ist mir besonders wichtig, das darf ich hier sagen, und ich glaube, das sollten wir alle wirklich beherzigen, wenn es jetzt auch allgemein gesprochen ist: Meine Damen und Herren, wir brauchen eine positive Stimmung in diesem Land! Die Wirtschaft braucht positive Stimmung. In der Wirtschaft spielt Psychologie eine wichtige Rolle, das heißt, die Unternehmer investieren nur dann, wenn positive Stimmung herrscht und wir positive Stimmung machen können. Und so verstehe ich auch meine Arbeit hier im Bundesrat: Darauf sollen wir uns besinnen, um möglichst einstimmig Be­schlüsse fassen zu können. Dafür möchte ich Sie auch um Ihre Unterstützung bitten.

Man sagt immer: Wirt zu sein ist kein Beruf, sondern eine Berufung. – Daran ist ein bisschen etwas Wahres, aber das gilt natürlich für alle Unternehmerinnen und Unter­nehmer in gleicher Weise. Ich sage Ihnen: Es muss sich wieder lohnen, wenn man selbständig ist, wenn man Wertschöpfung generiert und wenn man Arbeitsplätze schafft. Im Hinblick darauf fordere ich auch die Möglichkeit zu einer entsprechenden Wertschöpfung für die Wirtschaft, für die Unternehmerinnen und Unternehmer unseres Landes ein.

Etwas ist auch hier in diesem Haus ein allgemeines Credo: Es ist, wie ich in den letzten Monaten verfolgen konnte, quer durch alle Parteien ein Thema, dass wir überreguliert sind und dass wir mit sehr vielen Vorschriften und Auflagen konfrontiert sind. – Ja, das stimmt. Dazu sage ich: Qualität muss sein, Kontrolle muss sein, aber alles mit Maß und Ziel. Ich füge hinzu: Entrümpelung ist angesagt.

Wir haben bei uns in Oberösterreich zum Beispiel auch positive Signale in unserem Wirtschaftsressort gesetzt. Wir, die BMW-Fraktion – wie ich die Bäcker, Metzger und Wirte immer nenne –, haben für den ländlichen Bereich die Nahversorgungsförderung verdoppelt. Das macht Sinn, denn ein Aussterben der ländlichen Kultur mit ihren Wirtshäusern und den kleinen und mittleren Betrieben würde uns einen Nährboden in unserer Gesellschaft entziehen.

Natürlich stehen wir noch vor großen Herausforderungen, das möchte ich gar nicht verhehlen. Es sind Ihnen allen sicher noch ein bisschen die Diskussionen um die Allergenverordnung, die Registrierkassenpflicht, um das Rauchen in Erinnerung, aber darauf gehe ich jetzt nicht ein, das ist zwar noch ein Thema, aber da ist der Spielraum begrenzt.

Meiner Meinung nach wird – bevor ich zu meinem Hauptbeitrag komme – in Zukunft eines der Hauptthemen die Arbeitszeit sein. Das ist eine Sache, die der Wirtschaft tatsächlich unter den Nägeln brennt. Wir brauchen dringend eine Arbeitszeitflexi­bilisie­rung. In den Produktionsstätten muss es der Auftragslage entsprechend möglich sein, länger zu arbeiten. Das brauchen wir ebenso im Tourismus und in der Gastronomie, denn wir müssen dann für den Gast da sein, wenn er es wünscht. Ziel ist das Wohl unserer Gäste. (Beifall und Bravoruf bei der ÖVP.)


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Ab und zu – das sei nebenbei angemerkt – kommt auch ein negativer Ton, ein Misston in diese Debatte, und zwar wird ab und zu gesagt, das habe ein bisschen etwas mit Ausbeutung zu tun. Wenn ich das aus dem Blickwinkel meiner Betriebe im Tourismus, in der Gastronomie sehe, dann kann ich nur sagen: Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wünschen sich schon längst eine flexible Einteilung der Arbeitszeit.

Damit bin ich schon bei meinem eigentlichen Redebeitrag angelangt, der sich dem Thema unlauterer Wettbewerb beziehungsweise Bestpreisklausel widmet. Ich möchte das unter dem Begriff Digitalisierung subsumieren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! In einer Zeit des Umbruchs, wie wir sie jetzt erleben, wird natürlich in Bezug auf die Digitalisierung – und das hängt mit den Buchungsplattformen zusammen – immer auch die Frage aufgeworfen: Vernichtet das Arbeitsplätze? Ist das ein Jobkiller? Oder entstehen dadurch mehr Arbeitsplätze?

Ich sage hier an dieser Stelle – auch wieder als Positivist, als einer, der positiv in die Zukunft blickt –: Ich bin fest davon überzeugt, dass andere Arbeitsplätze entstehen! Ich habe in meinen Betrieben als Leitspruch stehen: Tummelplatz für Jung und Alt. Das möchte ich ein bisschen abwandeln und sagen: Jung und Alt muss fit für die digitale Zukunft werden. Das erfordert natürlich auch ein entsprechendes Bildungssystem. Und dieser Anforderung ist so rasch wie möglich zu entsprechen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass die Digitalisierung Vor- und Nachteile mit sich bringt, liegt auf der Hand, speziell im Bereich der Hotellerie kann man das sehen. Buchungsplattformen wie Booking.com, HRS und Expedia schaffen einen sehr großen Marktplatz, wo sich die kleineren Betriebe und Hotels präsentieren können, was bis dato nicht so möglich war. Auf der anderen Seite haben diese Buchungs­plattformen ihre Marktmacht aber auch missbraucht, indem man mit Bestpreisklauseln die einzelnen Betriebe unter Druck gesetzt hat, das heißt, der Hotelier hat nicht zu einem günstigeren Preis als dem auf der Buchungsplattform angegebenen anbieten können, und das hat natürlich zu einer eklatanten Wettbewerbsverzerrung und letztlich auch zu einem Nachteil der Konsumenten geführt.

Die Politik hat das erkannt, man hat an einer Lösung gearbeitet und hat diese ent­sprechend umgesetzt. So stelle ich mir das auch in Zukunft vor, man hat das nämlich einstimmig umgesetzt. Das wäre eigentlich mein Traum, wenn ich das hier so sagen darf: dass wir einen großen Prozentsatz unserer Beschlüsse einstimmig fassen kön­nen.

In diesem Sinne, meine Damen und Herren, wünsche ich mir für die Zukunft eine konstruktive Zusammenarbeit hier im Parlament, sowohl im Nationalrat als auch hier in der Länderkammer, dem Bundesrat, und ich bitte ich Sie auch, diesen Antrag zu unterstützen. – Danke. (Beifall bei der ÖVP sowie der Bundesräte Todt und Samt.)

10.43


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster darf ich Frau Bundesrätin Anderl das Wort erteilen. – Bitte.

 


10.44.07

Bundesrätin Renate Anderl (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehr­ter Herr Vizekanzler! Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Als Gewerkschafterin werde ich jetzt nicht auf die Dinge eingehen, die mein Vorredner heute hier angeschnitten hat, darauf, wie wir als GewerkschafterInnen uns für die Beschäftigten in Österreich flexiblere Arbeitszeiten vorstellen, sondern ich werde gleich auf die Novelle zum Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb im Bereich Tourismus in Österreich eingehen.


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 35

Ich möchte anmerken, dass es mich sehr freut, dass es schon im Nationalrat dazu gekommen ist, dass man sich über alle Fraktionen hinweg auf einen gemeinsamen Standpunkt einigen konnte, ebenso fiel auch die Entscheidung bei uns im Ausschuss aus.

Bestpreisklauseln von Plattformbetreibern zwangen bislang Beherbergungsunterneh­men dazu, dass sie keine günstigeren Preise auf der eigenen Website angeben durften. In die Liste der jedenfalls als unlauter geltenden Geschäftspraktiken, die soge­nannte schwarze Liste, soll nun ein neuer Tatbestand aufgenommen werden, der festhält, dass das Verlangen von Bestpreisklauseln durch Buchungsplattformen gegen­über Beherbergungsbetrieben als aggressive und somit unzulässige Geschäftspraktik gilt. Darüber hinaus sollen derartige Vereinbarungen unwirksam sein. Demzufolge soll es Beherbergungsbetrieben gegenüber Buchungsplattformen nun freigestellt sein, auf anderen Vertriebswegen sowie auf der hoteleigenen Website günstigere Preise bezie­hungsweise bessere Konditionen anzubieten als die auf den Buchungsplattformen angebotenen.

Aus Konsumentensicht ist Preistransparenz immer ein sehr wichtiges Thema, so auch ein sehr wichtiges Thema im Bereich Tourismus. Natürlich stellt sich auch die Frage: Wie weiß jetzt der Konsument/die Konsumentin, der Kunde/die Kundin, dass er nicht nur auf der Buchungsplattform surfen sollte, sondern auch auf die hoteleigenen Inter­net­seiten schauen sollte? Ich gehe aber davon aus, dass es nach wie vor auch noch Konsumenten/Konsumentinnen geben wird, die auch in Zukunft über Buchungsplatt­formen ihren Aufenthalt buchen werden, weil es oftmals einfacher ist – oftmals einfacher deshalb, weil die Daten auf Buchungsplattformen schon gespeichert sind und vor allem der Zugang von Touristen/Touristinnen, vor allem jenen aus dem Ausland, sicher einfacher ist, als alle hoteleigenen Homepages zu durchsuchen.

Es wird aber auch Touristen geben, die sich mehr Zeit nehmen, wenn sie im Internet surfen, und sich dann natürlich die Preise auf der Homepage des jeweils ins Auge gefassten Quartiers noch näher ansehen. Es wird auch interessant werden, wie im Endeffekt Buchungsplattformen auf diese gesetzliche Maßnahme reagieren. Da aber das Internet so derartig schnelllebig ist, gehe ich davon aus, dass niemand von uns sagen kann, wie es damit in ein paar Jahren aussehen wird: Gibt es dann diese Art von Plattformen überhaupt noch? Wie wird man in Zukunft buchen, wenn man ein Quartier sucht? Daher meine ich, dass es eine gute Entscheidung ist, diesen Schritt jetzt hier zu tun.

Abgesehen von den Buchungsplattformen erhöht sich auf jeden Fall der Bewe­gungs­spielraum für Beherbergungsbetriebe bei der Preisgestaltung durch den Wegfall der wirtschaftlichen Abhängigkeit. Gerade für das in Österreich eher kleinstrukturierte Hotelleriegewerbe kann die vorliegende Novelle zu einer Stärkung der Wettbewerbs­fähigkeit kleiner regionaler Beherbergungsbetriebe gegenüber internationalen Hotelket­ten führen. Daher freut es mich ganz besonders, dass wir heute diesen wichtigen Schritt für den Bereich Tourismus setzen, indem wir uns mit unserer Zustimmung für fairen Wettbewerb einsetzen.

Wir stellen faire Wettbewerbsbedingungen her, indem wir die Bestpreisklausel zu Fall bringen. Jeder Unternehmer/jede Unternehmerin hat es selbst in der Hand, die Preise zu gestalten und auch auf ein faires Angebot zu achten.

Weiters möchte ich auch noch anmerken, dass es festgeschrieben ist, dass es im Jahr 2020 zu einer Evaluierung dieses Gesetzes kommen wird, um diese Neuerungen im Bereich des Tourismus beurteilen zu können. Spätestens dann werden wir uns hier im Bundesrat wieder über dieses Thema unterhalten und schauen, was man da noch verbessern könnte. Bis dahin haben die Unternehmerinnen/die Unternehmer mehr


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 36

Freiheit bei gleichzeitiger Beibehaltung der hohen Konsumentenschutzstandards, und das ist für den Tourismus in Österreich zu begrüßen.

Nicht nur für die Unternehmerinnen und Unternehmer, sondern auch für die Beschäf­tigten im Tourismus ist das ein ganz wichtiger Schritt. – Ein herzliches Danke. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

10.49


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächstem darf ich Herrn Bundesrat Mag. Pisec das Wort erteilen. – Bitte.

 


10.49.20

Bundesrat Mag. Reinhard Pisec, BA (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Seeber, willkommen im Bundesrat! Ich möchte Ihre/deine Rede als die eines Erstredners nicht kritisieren – es ist üblich, dass man das nicht tut –, aber Folgendes darf ich dazu anmerken: Du seist ein „Positivist“, hast du gesagt; aber Positivismus ist eine philosophische Weltanschauung, die alles Transzendentale ablehnt. Sie kommt aus dem 19. Jahrhundert und fokussiert sich auf das Irdische, auf die Realität, auf Entitäten. (Zwischenruf des Bundesrates Mayer.) – Ja, das ist ja nicht schlecht, aber was ich sagen wollte, ist: Man schaut dabei der Realität ins Auge, und das haben die Ökonomen im 19. Jahrhundert getan: der Realität ins Auge geschaut!

Auch wir Unternehmer müssen der Realität ins Auge schauen. Daher ist Vertrauen allein zu wenig. Wir Unternehmer können auch rechnen, und da schaut es in Öster­reich ein bisschen anders aus. Auch das möchte ich hinsichtlich dieses Gesetzes erwähnen.

Nun zum vorliegenden Gesetz: Wir Freiheitliche unterstützen selbstverständlich dieses Gesetz, weil es vonseiten des Tourismus kommt und uns der Tourismus sehr wichtig ist. Österreich ist insbesondere ein Tourismusland, daher muss die Wettbewerbs­fähigkeit der österreichischen Hoteliers beziehungsweise der österreichischen Betriebe sichergestellt werden. Der freie Markt muss offen und die Wettbewerbsfähigkeit gege­ben sein. Wir wollen diese Knebelungsverträge zwischen den Internetplattformen und der Hotellerie natürlich nicht, daher wollen wir keine Bestpreisklausel. Diese gehört abgeschafft, das ist vollkommen richtig. Die Vertragsfreiheit muss für jeden Hotelier in Österreich möglich sein, er muss selbst entscheiden können, mit welchen Internetplatt­formen er arbeiten möchte, und vor allem, zu welchen Preisen und zu welchen Konditionen.

Was ist interessant an diesem Gesetz? – Wer hinter die Kulissen schaut, dem tun sich einige Erkenntnisse über die österreichische Wirtschaftskultur auf. Womit haben wir es denn da zu tun?

In Deutschland ist die Entscheidung zu einem solchen Gesetz über das Bundeskar­tellamt gefällt worden, und zwar bereits im Jänner 2015. Das Bundeskartellamt hat in Deutschland zu Recht festgestellt: Wir wollen diese Marktkonzentration nicht. – Booking.com hat, wie wir alle wissen, mit 50 Prozent in Deutschland und sogar 60 Prozent in Österreich die Marktführerschaft inne. Zweiter ist der deutsche Betrieb – in Österreich so ähnlich gelagert – HRS, Dritter ist Expedia. Diese drei haben eine unglaubliche Marktkonzentration und bilden ein Kartell. Daher hat das Bundes­kartellamt zu Recht entschieden: Nein, das geht nicht, das muss falsifiziert werden, das derzeit gültige Gesetz gehört weg.

In Österreich hingegen – und das ist das Interessante – gibt es die Wettbewerbs­behörde, die im Wirtschaftsministerium angesiedelt ist, und diese hat anders ent­schieden. Sie hat gesagt: In Österreich ist das kein Problem, hier ist diese Marktkon-


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zentration möglich. Daher kommt jetzt dieses Gesetz ins Parlament, weil das Parla­ment die Wettbewerbsbehörde sozusagen overruled. Diese Erkenntnis ist mir nicht ganz klar, und daher frage ich mich, warum die Wettbewerbsbehörde da nicht ein­schreitet.

Das ist aber nicht das erste Mal, dass ein Bescheid beziehungsweise eine Verordnung nicht erlassen wird. Wenn man sich zum Beispiel den Lebensmittelhandel anschaut, dann sieht man – und das, was da in Österreich passiert, ist einzigartig –, dass sich allen Ernstes zwei Unternehmen – ein drittes mischt irgendwie mit – 80 Prozent des gesamten Einzelhandels aufteilen. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass wir in Österreich um 20 bis 25 Prozent höhere Lebensmittelkosten als in München – und das ist schon eine teure Stadt – haben, und die Konsumenten leiden letztlich darunter.

Also da tut sich einiges, was zeigt, dass diese Wettbewerbsbehörde in Österreich eigentlich säumig ist. Gerade ein kleines Land wie Österreich muss aufpassen, dass es nicht von den Großen geschluckt wird, und gerade deshalb ist es wichtig, diese Wett­be­werbsbehörde aufzurüsten und zumindest einmal an den deutschen Standard anzupassen. Dort hat man das zehnfache Budget und zehnmal so viele Mitarbeiter, und das dortige Kartellamt arbeitet wirklich auch für die Unternehmer und wird schon bei 50 plus 1 Prozent tätig. Und bei uns in Österreich wird die Wettbewerbsbehörde bei einer Marktkonzentration von 80 Prozent im Lebensmittelhandel nicht tätig? – Das kann ich nicht verstehen, da ist irgendetwas in der Wirtschaftskultur in Österreich schlecht.

Warum brauchen wir dieses Gesetz? Notwendig ist es auf jeden Fall; aber was ist der Hintergrund dieses Gesetzes? – Es ist auch ein kostengetriebenes Gesetz. Die österreichischen Tourismus- und Beherbergungsbetriebe leiden unter einer viel zu hohen Kostenstruktur.

Booking.com ist eine feine Sache, jeder kann da hineinschauen, von Australien bis in die USA, jeder kann da buchen, das ist eine schöne Sache, wenn das Marketing­konzept stimmt, nur: Die Kosten sind für die Betriebe einfach zu hoch, weil die Pro­visionen 15 bis 20 Prozent betragen. Und das ist ja auch der Hintergrund dafür, warum die Betriebe – was im Internetzeitalter natürlich schwierig ist – sozusagen über die Bühne bringen wollen, dass der Interessent, dass der potenzielle Gast direkt auf der Hotelplattform bucht, und zwar um einen besseren Preis als über Booking.com, weil sich die Betriebe dadurch die 15 bis 20 Prozent Provision ersparen und daher billiger anbieten können.

Das ist ja sinnvoll, aber das Dramatische daran ist, dass die österreichischen Betriebe offensichtlich kein Geld mehr haben, um diese Provisionen zu zahlen. Wenn man sich die Steuerreform – die viel gepriesene Steuerreform – anschaut, dann sieht man, dass sie eigentlich überhaupt nichts war. Ich habe mir das gestern noch einmal angeschaut und muss sagen: Das ist allen Ernstes eine Tarifreform, okay, das muss man löblich erwähnen, aber 90 Prozent davon sind ausschließlich Belastungen.

Wenn ich die Tourismusbetriebe hernehme, dann sehe ich, dass die Umsatzsteuer von 10 auf 13 Prozent gestiegen ist; in Deutschland liegt sie übrigens bei 7 Prozent und in der Schweiz bei 3,8 Prozent. Und da soll man wettbewerbsfähig sein? – Die Ab­schreibung wurde auf 66 Jahre erstreckt. Wer erlebt denn das überhaupt noch? – Für die Umbauten des täglichen Bedarfes sind statt zehn 15 Jahre vorgesehen.

Und das Dramatische an diesen Einschränkungen bei Investitionstätigkeiten ist, dass Österreich auch an Innovationskraft verliert. Das ist das Dramatische, denn Inno­vationen sind, wie Herr Staatssekretär Mahrer zu Recht immer sagt, die Metaebene einer Wirtschaft – gerade einer teuren Wirtschaft aufgrund der hohen Steuerbelastung


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 38

in Österreich. Und wenn die nicht mehr gegeben ist, dann fängt es an, kritisch zu werden.

Und da wird es in Österreich kritisch. Wer investiert denn noch, wenn die Investitionen nicht gefördert werden? Wer investiert denn noch, wenn die Investitionen vor allem nicht geschätzt werden? – Der Kunde will aber billigere Angebote haben; er fährt daher nicht nach Österreich, sondern in die Schweiz, nach Deutschland oder woandershin, wo ihm offensichtlich mehr geboten wird, weil es in österreichischen Betrieben auf­grund der hohen Kostenstruktur nicht möglich ist, günstigere Angebote zu machen. Stichwort: Innovationen, Stichwort: Modernität – und das digitale Zeitalter ist in erster Linie eine Frage der Modernität. Wenn wir da nicht mitmachen, dann ist das eine tragische Sache.

Wie sieht es mit der Finanzierung der österreichischen Betriebe aus, dieser digitalen Betriebe, um es so zu nennen, dieser Hotelportale, dieser Vergleichsportale? – Da hat es einen ganz tollen österreichischen Innovator aus Kärnten gegeben, der mit Checkfelix ein tolles Unternehmen aufgebaut hat, es aber verkaufen musste, wollte, wie auch immer – an Kayak. Kayak hat es an Priceline verkauft, und Priceline ist bekanntlich sozusagen die Konzernmutter von Booking.com und notiert an der Tech­nologiebörse Nasdaq. Der zweite große Anbieter ist Trivago. Das ist ein Vergleichs­portal à la Checkfelix, das wurde von Expedia aufgekauft. Expedia geht in den nächsten Tagen an die Technologiebörse Nasdaq nach New York.

Hat hier irgendjemand heute die Börse kritisiert? – Ich glaube, der Sinn der Börse ist bei der SPÖ überhaupt noch nie angekommen. Was ist der Sinn der Börse? – Eigen­kapitalaufbringung! Was macht Expedia jetzt? – Es holt sich über Nacht 1 Milliarde US-Dollar und geht weiter auf Einkaufstour und kauft weiter die Betriebe auf, so auch die österreichischen Betriebe. Daher ist es notwendig, sich endlich der Innovationskraft, der Leistungsfähigkeit und der Konkurrenzfähigkeit aller österreichischen Betriebe zu widmen, vor allem der Tourismusbetriebe. Das ist ganz besonders wichtig. (Beifall bei der FPÖ.)

Die Wiener Börse hat einen wunderbaren neuen Chef aus Chemnitz, der sich perfekt auskennt. Ich bin jetzt sieben Jahre im Bundesrat und muss sagen, es gibt einige vernünftige Ansätze, ja, aber eine Wirtschaftsenquete habe ich überhaupt noch nicht erlebt, auch nicht von der berühmten Wirtschaftspartei ÖVP. (Zwischenruf des Bun­desrates Mayer.) Wo sind eure Enqueten? – Ich habe noch nie eine erlebt. Beruft doch endlich einmal eine Enquete zur Wiener Börse ein, damit man sie einmal auf Vorder­mann bringt, damit sie die Eigenkapitalaufbringung der Betriebe auch gewährleisten kann! Geld ist genug da, und jeder will investieren, und jeder will auch Geld bekom­men. Das sei nur so am Rande gesagt. (Bundesrat Mayer: … Strategie!) – Ich weiß, ihr, die ÖVP, seid eine große Verwaltungspartei, aber ihr seid schon lange keine Wirtschaftspartei mehr. (Beifall bei der FPÖ.)

Österreich legt auf seine Betriebe viel zu wenig Wert, nimmt auf diese viel zu wenig Rücksicht. Wir brauchen auch eine angebotsorientierte Wirtschaft, denn diese staat­liche Nachfragepolitik à la Keynes, die ich bei jedem Vortrag von der ÖVP höre, spielt es da nicht, denn es sind individuelle Entscheidungen, von Australien bis New York, wer über Booking.com in Österreich Urlaub macht (neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Mayer), und deshalb müssen die Betriebe konkurrenzfähig sein. Daher brauchen wir eine angebotsorientierte Wirtschaft, die die Angebote der Betriebe ver­bessert, die Angebote unserer tüchtigen, über 100 Stunden die Woche arbeitenden Unternehmerschaft, die da völlig unter die Räder kommt.

Daher brauchen wir kein Vertrauen, wir brauchen uns auch kein Vertrauen einreden zu lassen, denn wir Unternehmer können alle rechnen. Vielmehr brauchen wir eine bes-


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 39

sere Kostenstruktur, die auf die Betriebe Rücksicht nimmt, damit wir Jobs, Jobs, Jobs schaffen, eine eigene Gewinnstruktur aufbauen und Eigenkapital bilden können. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

10.58


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Frau Bundesrätin Dr. Reiter gelangt als Nächste zu Wort. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


10.59.10

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Hohes Präsidium! Werte Kolle­gen und Kolleginnen! Sehr verehrte Damen und Herren! Ich kann in vielen Dingen meinen Vorrednern zustimmen, begrüße auch Kollegen Seeber, der hier seine erste Rede gehalten hat, und darf sagen: Sein positives Bild ist wichtig, da braucht man nicht ins Philosophieren über Positivismus zu geraten, denn das, was er gesagt hat, ist wichtig, aber es gibt natürlich auch die vielen Probleme, die mein Vorredner Pisec angesprochen hat.

Eines möchte ich aber schon ganz deutlich sagen: Unsere Tourismusbetriebe stehen im internationalen Vergleich immer noch ganz großartig da. Dass das nach wie vor der Fall ist, sieht man zum Beispiel an der Entwicklung des Pinzgaus in Salzburg und an den vielen Arbeitsplätzen, die dort geschaffen wurden, und auch daran, wie viele Gäste aufgrund des großartigen Preis-Leistungs-Verhältnisses nach Österreich kommen. Ich denke, das sollten wir nicht schlechtreden.

Diese Buchungs- und Vergleichsplattformen konnten den Unterkünften eben unter­sagen, auf anderen Vertriebswegen oder auf der eigenen Homepage günstigere Preise anzubieten. Natürlich wird dadurch die freie Preisbildung und die wettbewerbliche Betätigungsfreiheit eines Beherbergungsbetriebes beeinträchtigt. Dagegen soll dieses Gesetz jetzt vorgehen, wobei dankenswerterweise auch das Preisauszeichnungs­gesetz generell modernisiert wurde: Der Aushang im Zimmer ist nicht mehr notwendig, und man hat zum Beispiel auch auf die Vorgaben zu handvermittelten Telefon­gesprächen verzichtet. Also es tut sich auch auf dieser Ebene einiges.

Für uns ist wichtig, dass es 2020 eine Evaluierung geben soll; leider geht aus den Erläuterungen nicht ganz eindeutig hervor, ob nur zur Preisauszeichnung oder zur Gesamtvorlage oder darüber hinaus. Wir glauben, dass eine solche Evaluierung über enge Vorgaben hinausgehen sollte.

Ich kann, wie gesagt, meinem Vorredner zustimmen: Betrachtet man die Gesetzwer­dung genauer, wäre eine raschere Vorgangsweise natürlich wünschenswert gewesen. In Frankreich gibt es schon länger gesetzliche Regelungen in diesem Bereich, dann wurde in Deutschland erfolgreich gegen die Bestpreisklauseln der großen internatio­nalen Buchungsplattformen eingeschritten.

Es ist ja nicht so, dass bei uns das Problem nicht schon auf dem Tisch gewesen wäre. Die Bundeswettbewerbsbehörde hat ja 2012 aufgrund der Beschwerde der ÖHV ein Verfahren begonnen – ein Verfahren, das sie 2012 begonnen hat und Ende 2017 abschließen will. Das Tempo dieser Vorgangsweise kann natürlich mit der mangelnden Personalausstattung der Behörde zu tun haben, die von uns Grünen auch schon wiederholt kritisiert wurde und die laut Regierungsprogramm auch behoben werden sollte, aber dass sich eine so wichtige Causa aus wirklich nicht nachvollziehbaren Gründen derart in die Länge zieht, ist kritisch anzumerken. Jetzt wird das damit aber doch positiv erledigt.

Es ist natürlich so, dass das Thema mehrere Facetten und Seiten hat. Einerseits gibt es eben den berechtigten Kritikpunkt, dass es durch die Buchungsplattformen Druck auf die Hotels gibt. Es ist auch fraglich, ob die Bestpreisklauseln für die Gesamt-


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branche finanziell wirklich so ein Geschäft waren; der Geschäftszuwachs durch die Plattformen schwindet ja, wenn man die zu bezahlenden Provisionen entsprechend gegenrechnet. Andererseits ist Buchungsplattform nicht gleich Buchungsplattform: Da gibt es europabasierte Plattformen, und da gibt es die riesigen Plattformen der steuer­optimierenden Konzerne à la Google.

Es muss aber auch klar gesagt werden, dass Buchungsplattformen Unternehmen ohne oder ohne ernst zu nehmende eigene Webpräsenz eine größere Sichtbarkeit geben, die aber ihren Preis hat, denn es ist ja auch entscheidend, wo das Unternehmen dann gelistet ist. All diese Dinge haben ihren Preis, und damit muss entsprechend umge­gangen werden.

Es ist auch zu sagen, dass diese Buchungsplattformen natürlich konsumenten­freund­lich sind – diese Erfahrung haben wir wahrscheinlich alle schon gemacht –, nämlich durch ihre Transparenz, durch die Vergleichbarkeit. Es ist bereits jetzt so, dass europaweit über 50 Prozent der Gäste den Aufenthalt online buchen und 25 Prozent davon über Buchungsplattformen. Und wenn wir uns vorstellen, wie viele organisierte Reisen dann noch übrig bleiben, dann ist das für den Einzelreisenden oder den Urlaubsgast natürlich eine wichtige Entscheidungshilfe, und diese Gäste werden auch weiterhin darauf zugreifen.

Booking.com hat sich in Österreich eine Vormachtstellung erworben, was – das Verschwinden einheimischer Plattformen ist schon angesprochen worden – zu einer annähernd monopolistischen Struktur geführt hat. Da sind natürlich entsprechende Konsequenzen wie Kannibalisierung der Preise, Erhöhung der Provisionen und so weiter zu erwarten. Also auch da besteht politischer Handlungsbedarf.

Die schwierige Situation für die Tourismusbetriebe, insbesondere für die kleinen Tou­rismusbetriebe, bleibt bestehen und wird sich wahrscheinlich auch weiter verschärfen. Die Tourismusbetriebe sind zu Recht unzufrieden mit der Steuerreform und den Maßnahmen, die in diesem Bereich gesetzt wurden.

Ganz besonders dramatisch ist, denke ich, die Arbeitsplatzsituation in den Tourismus­betrieben. Diese sind abhängig von Beschäftigten, von qualifizierten Beschäftigten. Und wenn ich sehe, was sich in Salzburg im Bereich der Köche tut, wo wirklich viele Betriebe nicht aufsperren können beziehungsweise sich enorm einschränken müssen und das ein massives Problem für die weitere Entwicklung des Tourismus ist, dann muss ich sagen, ist das ein Bereich, mit dem wir uns auf politischer Seite und auch auf gewerkschaftlicher Seite weiter intensiv beschäftigen müssen.

Ganz wichtig ist aber auch die Frage: Wie gelingt es, den Faktor Arbeit entsprechend zu entlasten? – Es wird uns, gerade in solchen Branchen, alles nichts helfen, wenn das nicht gelingt.

Die Tourismusbetriebe bekommen mit diesem Gesetz heute vielleicht ein kleines Trostpflaster, aber ich denke, die großen Probleme bleiben weiter bestehen und stellen uns auch vor große politische Herausforderungen. – Danke. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)

11.06


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächstem darf ich das Wort Herrn Bundesrat Poglitsch erteilen. – Bitte.

 


11.07.05

Bundesrat Christian Poglitsch (ÖVP, Kärnten): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Es tut gut, heute hier als Touristiker im Bundesrat stehen zu dürfen und zu hören, dass es Einstimmigkeit für etwas, das den Tourismus in den nächsten Jahren sicher deutlich entlasten wird,


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 41

geben wird. Da manche vielleicht manches kritisch sehen, möchte ich schon auch erwähnen, dass wir heuer einen Rekordsommer in Österreich verzeichnen konnten.

Wir haben Rekordübernachtungen, wir haben einen Rekord bei den Arbeitsplätzen und wir haben – und das sollte auch ins Stammbuch geschrieben werden – im Jahr 2016 auch Rekordinvestitionen im Tourismusbereich zu verzeichnen. Die Branche investiert wieder sehr, sehr viel Geld in die Qualität, weil sie weiß, die Qualität ist die Zukunft. Wenn es europaweit schwierig im Tourismus ist – das betrifft ja nicht nur Österreich; der Qualitätsdruck und der Investitionsdruck sind für die Betriebe gewaltig geworden –, dann wird es natürlich auch in Österreich Schwierigkeiten geben, da bin ich schon bei euch. Auch ich habe mit der Mehrwertsteuererhöhung und Registrierkassenpflicht keine Freude gehabt, auch ich habe das kritisiert. Aber eines möchte ich schon auch dazusagen: Diese Regierung, vor allem der Herr Vizekanzler als Tourismusminister, hat auch sehr viel für die Entlastung der Betriebe getan.

Ich möchte nicht alles anführen, was da geschaffen worden ist – etwa bei der Mitarbeit der Familienmitglieder –, damit wir uns leichter tun. Gerade dieses Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb und auch zur Bestpreisklausel zeigt wieder, dass diese Regie­rung sehr wohl daran interessiert ist, dass es der erfolgreichen Tourismuswirtschaft auch in Zukunft gut geht.

Wir wissen ganz genau, wie wir alle unseren Urlaub buchen. Wir wissen ganz genau, wie wir unsere Kurzurlaube, und meistens sind es Kurzurlaube, buchen. Das geht zu 90 Prozent über das Internet. Es erscheint zwangsläufig, und das ist das Paradoxe daran, wenn man die erste Seite eines Betriebes aufklappt, oben auf der Seite „Booking.com“. Diese Vormachtstellung, die sich die herausgearbeitet haben, müssen wir begrenzen, denn das ist schon zu viel geworden. Das ist eine Vormachtstellung, die zulasten der Unternehmer und der kleinen Betriebe herausgearbeitet worden ist. Und wenn man weiß, dass da bis zu 23 Prozent Provision bezahlt werden – von 100 € 23 € –, damit man vorne gelistet wird, dann weiß man, welch ein Druck das ist. Wenn wir das jetzt unterbinden, zumindest auf Jahre, dann bin ich der festen Überzeugung, dass die Evaluierung 2020 notwendig sein wird, weil die Buchungsplattformen und auch die Bewertungsplattformen entsprechend reagieren werden.

Eines möchte ich auch dazusagen: Die wahre Macht haben in letzter Zeit die Bewer­tungsplattformen erlangt. Ihr müsst einmal schauen, wie ihr bucht! Sobald ihr euch für den Urlaub entschieden habt, schaut ihr auf die Bewertungsplattformen, was es dort gibt, wie es bewertet ist. Das ist eine Stellung, die einerseits gefährlich ist, da sich der Unternehmer auch gegen ungerechtfertigte Kritik nicht einmal wehren kann. Das sind auch Probleme, die dem Unternehmer ins Haus stehen.

Es sind auch die Konsumenten angesprochen worden, und da sage ich ganz offen: Das ist eine Win-win-Situation, die wir mit diesem Gesetz haben, denn der Konsument weiß dann in Zukunft ganz genau: Na ja, Booking.com, aber ich probiere und rufe noch einmal an. Und muss der Unternehmer 20 Prozent Provision zahlen, dann kann er dem Konsumenten locker auf seinen Normalpreis 10 Prozent erlassen. Der Konsument ist mit 90 € noch immer günstiger als mit den 100 €, und der Unternehmer hat um 10 € mehr, als wenn der Gast über Booking.com gebucht hätte.

Das sollte man nicht vergessen, und deswegen ist das ganz wichtig. Deutschland hat da nachgezogen, und die anderen Länder in Europa haben auch nachgezogen, weil dieses Problem ganz Europa betrifft.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe überhaupt keine Sorge um die großen Buchungsplattformen. All das sind international tätige Firmen, die keinen Euro an Steuer hier in Österreich lassen. Und wenn man weiß, dass Booking.com an Google 2,8 Milliarden € zahlt, dann weiß man, was für ein Geschäft das geworden ist.


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 42

Ein Geschäft auf dem Rücken unserer kleinsten Unternehmer, unserer Familien­betriebe – wir wissen, dass es im Tourismus hauptsächlich Familienbetriebe gibt –, das sollten wir unterbinden.

Deswegen ist das wichtig, und ich danke jedem Einzelnen, der hier mitgearbeitet hat. Mir als Unternehmer, das sage ich ganz offen, ist es total egal, wer diesen Antrag in welchem Ausschuss eingebracht hat. Das Wesentliche und das Wichtige ist, dass Sie alle zusammengesessen sind und gesagt haben: Wir müssen parteiübergreifend eine Lösung finden.

Diese Lösung liegt heute hier auf dem Tisch, und ich bin froh, dass es hierzu Ein­stimmigkeit gibt. Das ist auch ein deutliches Zeichen an unsere Tourismusbetriebe, an unsere Tourismuswirtschaft: Die Regierung und alle Parlamentarier stehen hinter dem Tourismus als einem der wichtigsten und bedeutendsten Wirtschaftszweige in Öster­reich. – Ein herzliches Dankeschön für einen einstimmigen Beschluss. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

11.11


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächstem darf ich Herrn Bundesrat Novak das Wort erteilen. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


11.12.18

Bundesrat Günther Novak (SPÖ, Kärnten): Herr Bundesminister! Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe, wir haben noch etwas zu besprechen, wenn wir dann den Tourismusbericht für 2016 bekommen, den wir hoffentlich noch heuer hier in diesem Parlament besprechen werden, da es zu diesem Thema jetzt eigentlich schon einen touristischen, wirtschaftlichen Rundumschlag gegeben hat, wobei einiges natürlich richtig ist, keine Frage; das muss man schon dazusagen.

Ich als Kärntner war lange im touristischen Bereich tätig – aber auf der anderen Seite, nicht auf jener von Christian Poglitsch, der zu Hause einen Betrieb hat. Ich war auf der Seite einer Agentur tätig, die versucht hat, den Betrieben Nächtigungen zu bringen, sogenannte Angebotsgruppen. Der Herr Bundesminister wird sie am besten kennen, weil sie durch die ÖW betreut werden. Im privatwirtschaftlichen Bereich waren wir dafür zuständig, Nächtigungen für Betriebe zu „erzeugen“.

Jetzt habe ich ein bisschen Angst, denn all das, was zu diesem Thema gesagt wurde, ist schon richtig, keine Frage. Ein solch großer Bereich wie die Tourismuswirtschaft in Österreich mit 17 000 Beherbergungsbetrieben, die 1,5 Millionen Betten haben und 132 Millionen Nächtigungen machen, gehört entlastet. Aber ich habe ein bisschen Angst, denn ich versuche, mich in die Schuhe dieser Anbieter zu stellen, und das sind ja keine kleinen. Ich habe es mir herausgeschrieben: Booking.com, HRS und Expedia machen rund 94 Prozent der Nächtigungen – HRS 64 und Expedia 53,2 Prozent der befragten Nächtigungen, das heißt, Betriebe sind befragt worden. Dann kommen noch Hotel.de, Tiscover und andere kleine, Bergfex zum Beispiel, Buchungsplattformen dazu.

Wenn man dann bedenkt, dass Tiscover selbst noch auftritt, die eine der innovativsten Buchungsplattformen in Österreich war, die in Innsbruck entwickelt worden ist und mit sehr viel Geld der Österreich Werbung, vor allem aber von der Tiroler Landesregierung unterstützt worden ist, es aber schlussendlich auch nicht geschafft hat und dann in HRS übergegangen ist, dann ist die Frage schon berechtigt, ob wir nicht in Österreich selbst versuchen sollten, eine Buchungsplattform für unsere Betriebe zu finden, diese zu unterstützen, sei es, dass die ÖW das macht oder die Österreichische Hotelier­vereinigung, die absolut dafür zuständig wäre, in diesem Bereich tätig zu werden. Also das würde ich schon auch kritisieren.


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Aber wenn man sich weltweit agierende Buchungssysteme anschaut, die da aufgebaut worden sind – Mag. Pisec hat es ja erklärt –, und wie viel da Geld hineingeflossen ist und wie die mit diesem Betrieb dann auch wieder Geld an der Börse machen, dann ist das auch denkwürdig.

Wenn ich mich jetzt in die Schuhe dieser Plattformen stelle und den kleinen Betrieb betrachte, die KMUs, wie es die meisten Betriebe in der Tourismuswirtschaft in Öster­reich sind, dann sage ich als Plattform – Sie alle wissen, wenn wir Google-Marketing machen, und das weiß ich von meiner Seite, so haben wir Hunderttausende Euros investiert, um Nachfrage, um Traffic zu erzeugen, um den Betrieben in weiterer Folge Buchungen zu ermöglichen –: Wenn ich so viel Geld investiere, warum nehme ich dann den kleinen Betrieb, der mich dann unterbietet? Dann sage ich: Ich pfeife auf dich, denn ich brauche dich ja gar nicht! Ich habe so viele andere Möglichkeiten, größere Betriebe zu vertreiben. – Davor habe ich ein bisschen Angst.

Deswegen glaube ich nicht, dass wir uns das dann, wenn wir jetzt bei 2016 sind und das 2017 zu funktionieren beginnt, für 2017 bis 2020 anschauen sollten, sondern ich sage euch allen: Ihr als Betriebe, aber auch in der Österreich Werbung, wir alle, die wir dafür zuständig sind, werden das sofort evaluieren müssen! Ich würde als große Buchungsplattform einen Betrieb, dem ich das Vertrauen gegeben habe, den ich aufgenommen und für den ich einen Preis ausgezeichnet habe und der mich auf seiner Plattform unterbietet, am nächsten Tag rausschmeißen. Das würde ich als großer Betrieb dann tun. – Davor habe ich die meiste Angst. Ich wollte das einfach nur auf­zeigen.

Es ist keine Frage, dass das der richtige Weg ist. Für diese vielen Betriebe, diese 17 000 Beherbergungsbetriebe – da reden wir ja noch nicht von der Freizeitwirtschaft und was noch alles dazukommt – ist es der richtige Schritt in die richtige Richtung. Aber ich kann nur eines sagen: Schauen wir ganz genau zu was passiert, was die großen Plattformen mit den kleinen Betrieben machen, wenn diese mit den Preisen unter jene gehen, die auf ihrer Plattform stehen! (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

11.17


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Krusche zu Wort. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


11.17.43

Bundesrat Gerd Krusche (FPÖ, Steiermark): Hohes Präsidium! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Kolleginnen und Kollegen! Spät, aber doch haben wir diese freiheitliche Initiative jetzt auf Schiene gebracht. (Heiterkeit des Bundesrates Schennach.)

Es haben sich ja schon viele vor mir zu Wort gemeldet, inhaltlich, glaube ich, ist klar, worum es bei diesem Gesetz geht. Ich glaube aber, es ist weder die teilweise geäußerte Euphorie noch die vor allem von Kollegen Novak zum Ausdruck gebrachte Angst gerechtfertigt. In Wirklichkeit, sage ich jetzt einmal, handelt es sich wahrscheinlich um einen Tropfen auf dem heißen Stein für die Tourismusbranche. Der große Entlastungsschlag und Befreiungsschlag wird das nicht sein.

Herr Kollege Novak, du hast Angst, aber ich glaube schon, dass die Betriebe so schlau sein werden und nicht systematisch auf ihrer Homepage billigere Preise als über die Buchungsplattform anbieten werden, weil sie ja genau wissen – und die Buchungs­plattformen sind ja auch nicht blöd und haben ihre Algorithmen und beobachten das mit Sicherheit sehr genau –, dass sie dann rausfliegen.

Es wird eher, sage ich jetzt einmal, ein Minderheitsprogramm oder ein Nischen­pro­gramm werden, natürlich nicht nur zum Nutzen der Hoteliers und der Zimmeranbieter, sondern auch zum Nutzen der Konsumenten. Denn wenn dieser einen niedrigeren


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Preis hat, dann hat er natürlich auch einen Vorteil. Ich sehe das eher so, dass das vermutlich in erster Linie dazu genützt werden wird, um kurzfristig, wenn man nicht ausgebucht ist, Lücken füllen zu können oder auch als Angebot für Betriebe.

Das habe ich selbst vor einiger Zeit erlebt, als es darum ging, über eine Buchungs­plattform in einem Hotel, in dem wir mit der Firma regelmäßig waren, mehrere Zimmer zu reservieren. Der Preis auf der Buchungsplattform war relativ hoch, und das Buchen für mehrere Personen, vor allem, wenn nicht alle zum gleichen Zeitpunkt an- und abreisen – wie das bei Kongressen oft der Fall ist –, ist mühsam. Da wir dort gute Kunden sind, haben wir unser Sekretariat gebeten, im Hotel anzurufen und zu fragen, was man da machen könne. Es hat dann aber geheißen, sie können das nicht billiger anbieten als auf der Buchungsplattform. Was war der Effekt? – Wir haben dann in einem anderen Hotel gebucht.

Solche Sachen werden jetzt wahrscheinlich verbessert, das heißt, gerade auch für Stammkunden – und das sind häufig Firmen – können dann günstigere Preise ange­boten werden. Das ist durchaus von Vorteil.

Auf der anderen Seite möchte ich jetzt auch nicht jenen das Wort reden, die die Buchungsplattformen quasi so als böse Haie darstellen, denn diese bringen ja auch eine gewisse Leistung. Das betrifft nicht nur die ganze Aufbereitung der Inhalte, sondern man muss sich nur vorstellen, ein Mittelklassehotel hätte sonst kaum die Möglichkeit, durch eigene Werbemaßnahmen faktisch weltweit gefunden zu werden. Also den Kosten steht schon auch etwas gegenüber. Aber natürlich steigt – das wurde bereits angesprochen – vor allem durch die Bewertungsportale der Druck zur Qualität. Da man das ja – etwa bei Trivago – schon nach Punkten filtern kann, schauen sich die Leute dann andere Hotels gar nicht mehr an. Das erhöht natürlich den Investitions­druck und den Qualitätsdruck auf die Tourismusbranche.

Da gäbe es, glaube ich, noch sehr viel zu tun. Wir haben jetzt eine kleine Entlastung, aber was ist in der Vergangenheit alles passiert? Ich bin nicht der Überzeugung, Frau Kollegin Reiter, so wie Sie gesagt haben, dass es der Tourismusbranche so gut geht. Man braucht nur sich einmal anzuschauen, wie überschuldet die Tourismusbranche ist. Wenn sie jetzt investiert, ist das erfreulich und notwendig zum Überleben, aber der Grad der Verschuldung wird dadurch nicht besser werden. Und da war vor allem diese Ausdehnung der Abschreibungszeiten auf einen völlig unrealistischen Zeitraum eigentlich der nackte Wahnsinn, denn in diesem Zeitraum, in dem erst die erste Investition abgeschrieben ist, muss ich ein Hotel eigentlich zweimal umbauen. (Beifall bei der FPÖ.)

Die Mehrwertsteuererhöhung, teilweise schikanöse Kontrollen durch die Aufsichtsbe­hörden, Allergenverordnung, Registrierkassenpflicht, die Rauchergesetze – man hat in den vergangenen Jahren regelmäßig die Bedingungen erschwert. Jetzt feiern wir endlich einmal eine kleine Entlastung. Das ist gut so, aber bleiben wir auf dem Tep­pich, die Tourismusbranche wird dadurch keinen wesentlichen Schub nach oben erfahren. Es war notwendig, und das ist es auch schon, was zu diesem Gesetz zu sagen ist. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

11.23


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Zu Wort gelangt Herr Vizekanzler Dr. Mitterlehner. – Bitte.

 


11.24.03

Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft Vizekanzler Dr. Reinhold Mitterlehner: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir auch ein paar Bemerkungen zur Lage der Tourismuswirtschaft und


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deren Entwicklung. Im Unterschied zu einigen von Ihnen vertrete ich nicht die Auffas­sung, wir hätten jetzt trotz irgendwelcher Maßnahmen der Bundesregierung eine noch immer eigentlich beachtliche Situation, sondern ich finde, dass wir auf einem guten, teilweise kann man sogar sagen, wieder auf einem guten Weg sind, der auch durch die Fakten bestätigt wird. Und diese möchte ich Ihnen jetzt präsentieren.

Wir haben, was die Nächtigungen anlangt, was die Ankünfte anlangt, in den letzten drei Jahren jährlich Rekorde gehabt. In diesem Zusammenhang hat es aber auch einen Wermutstropfen gegeben, und das waren die Umsätze. Was die Umsätze anlangt, werden wir in diesem Jahr – so wie auch im letzten Jahr und ziemlich sicher auch im nächsten Jahr – Steigerungen haben. Was das heurige Jahr betrifft, wird – das Jahr ist noch nicht zu Ende – eine mögliche Umsatzsteigerung von 5 Prozent zu konstatieren sein. Jetzt sagen Sie nicht, das ist nichts, sondern das ist genau der entsprechende Hintergrund, ob ein Unternehmen Gewinn machen kann oder nicht.

Ich möchte Sie gerne auch auf die Widersprüche aufmerksam machen, die Sie ge­macht haben. Sie haben gesagt, der Branche geht es schlecht und es ist betriebs­wirtschaftlich ganz problematisch. Frau Reiter hat gesagt, gerade wenn man den Pinzgau anschaut, dann merkt man, dass es dort, was die Preiskonstellation und die Qualität anlangt, eine sehr gute Ausstattung gibt. Wo liegt jetzt die Wahrheit? – Ich glaube, die Wahrheit liegt dort – und da können Sie genau die Buchungsplattformen als Beispiel nehmen –, dass wir im Preisbereich erfreulicherweise immer noch nicht an der Spitze, sondern im mittleren Bereich liegen. Und wenn ich im mittleren Bereich bin, dann habe ich auch noch bestimmte Möglichkeiten, auf dem Markt erfolgreich zu sein. Wann bin ich auf dem Markt erfolgreich? – Wenn die Qualität stimmt. Und das, was wir in den letzten Jahren unterstützt haben, waren vor allem qualitative Aspekte, was die Ausstattung der Unternehmen, aber auch das Marktauftreten anlangt und vor allem auch die Eroberung neuer Märkte. In diesem Bereich hat die Österreich Werbung, wie ich finde, sehr, sehr gute Arbeit geleistet. Schauen Sie sich die Entwicklung der Zahlen an, insbesondere was den Wintersportbereich betrifft, aber auch was Sommerak­tivi­täten anlangt!

Natürlich ist dem Tourismus zugutegekommen, dass – bedingt durch Terror in Europa und weltweit – der Radius der Reisenden enger gesteckt ist, man bleibt wieder eher im eigenen Bereich.

Jetzt sage ich Ihnen auch Folgendes: Uns war es unangenehm, dass wir im Rahmen der Steuerreform Gegenmaßnahmen treffen mussten. „Mussten“ deswegen, da die Verschuldungssituation Österreichs das erfordert hat. Sie können in dieser Situation nicht 5,2 Milliarden – es waren insgesamt nahezu 6 Milliarden – so einfach irgendwo in den Markt schmeißen. Daher hat es auch im Tourismus die Erhöhung der Mehrwert­steuer gegeben. Und damit kommen wir genau zu dem Punkt: Kann ich das an die Konsumenten weitergeben? Und sind das lauter Österreicher? – Es sind eben groß­teils nicht Österreicher, denn 70 Prozent sind Gäste aus dem Ausland.

Wenn ich mir diese Konstellation anschaue, dann kann ich sagen, dass das an die Kunden weitergegeben wurde. Sie brauchen sich nur bei der Statistik Austria die Zahlen für die Preisentwicklungen anzusehen – das konnte erfreulicherweise weiter­gegeben werden. Wahrscheinlich würde es jeder lieber für sich in die Kalkulation neh­men, und das wäre auch eine bessere Konstellation gewesen, aber das war allemal verkraftbar, und die Betriebe sind trotzdem erfolgreich.

Herr Kollege Pisec, Sie haben die unterschiedlichen Kalkulationen angesprochen, die sich durch die Mehrwertsteuer ergeben. Sie haben beispielsweise Deutschland er­wähnt, haben aber nicht dazugesagt, dass dort zwar die Übernachtungen günstiger als bei uns sind, aber der Verpflegungsbereich eine andere Mehrwertsteuer hat: meines


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Wissens 19 Prozent – wir haben 10 Prozent. Wenn Sie die Kalkulation insgesamt sehen, so liegen wir günstiger. In der Schweiz ist die Konstellation in einem Bereich besser, dort gibt es aber die negative Entwicklung im Zusammenhang mit dem Wech­selkurs, bedingt dadurch, dass der Franken nicht mehr an den Euro gebunden ist. Sie wissen schon, dass das den Schweizer Hoteliers Nachteile in der Höhe bis zu 25 Prozent gebracht hat?! Warum freuen sich die Vorarlberger oder Tiroler über die Gäste aus der Schweiz? – Weil dort die Konditionen schlechter sind.

Ich hätte mir auch gerne einmal das Wirtschaftskonzept von euch (in Richtung FPÖ) angeschaut. Ich höre immer nur Fragmente, aber es wäre interessant, einmal einen Gesamtansatz zu sehen und darüber zu diskutieren. Herr Krusche hat ja auch gemeint, wir hätten erfreulicherweise eine freiheitliche Initiative aufgenommen. Das war mir nicht bekannt. (Beifall bei der ÖVP.) Es gibt ja die Aussage: Die Mutter ist immer sicher, aber der Vater ist, wenn es Richtung Erfolg geht, mehrfach festzustellen. Sei es drum, das ist eine Idee von euch gewesen.

Insgesamt betrachtet haben wir eine gute Entwicklung des Tourismus. Ich möchte mich nicht versteigen zu sagen, weil wir so gute Rahmenbedingungen gesetzt haben, aber jedenfalls, weil wir die richtigen Schritte gemacht haben, und auch, weil die Branche natürlich sehr tüchtig ist.

Damit auch zur Einschätzung in der Branche: Sie wollten irgendwie vermitteln, es wäre eine depressive Stimmung vorhanden. Schauen Sie doch auf die Investitionen: Die Investitionstätigkeit hat in diesem Jahr um das Doppelte zugenommen!

Und ich sage Ihnen noch etwas: Kennen Sie eine Branche, die eine derartige Unter­stützung durch den Staat hat wie diese? – Die ÖHT zahlt de facto all die Konditionen, ergänzt wird das durch die Bundesländer, die teilweise die Zinsen übernehmen. Ich kenne keine andere Branche, in der es eine derartige Konstellation gibt. Das beweist auch, dass wir diese Branche als wichtig sehen. Das ist im Endeffekt auch eine Leis­tung des Staates, die nie bewertet wird und die ich in diesem Zusammenhang auch erwähnen möchte.

Zum Dritten möchte ich nun auf ein paar Argumente eingehen, die jetzt vorgebracht worden sind. Zunächst einmal zur Wettbewerbsbehörde: Die Wettbewerbsbehörde ist eine unabhängige Behörde. Es ist die Ausstattung angesprochen worden; die ist angeblich eins zu zehn in Relation zu Deutschland. Aber Deutschland ist zehnmal größer – das haben Sie auch in anderen Bereichen, schauen Sie sich die Ausstattung der Ministerien, die Mittel an, das ist in etwa der Faktor! Wir bemühen uns, bei der Ausstattung eine Ausweitung vorzunehmen. Aber die Wettbewerbsbehörde ist unab­hängig, ihre Vorgangsweise ist unabhängig, und es spricht ja auch für uns als Minis­terium, dass wir dann eine entsprechende Initiative eingeleitet haben.

Waren wir bei der aktuellen Initiative wirklich zu spät? – In Frankreich hat man es im letzten Jahr gemacht, das ist richtig, in Deutschland hat das Bundeskartellamt zum Handeln gezwungen, aber auf der anderen Seite ist es in Italien gerade in der Phase der Umsetzung, etwas hinter uns, und Konkurrenten wie Kroatien und Schweiz überlegen, Ähnliches zu machen. Daher würde ich sagen, wir liegen genau richtig, auch vom Zeitpunkt her.

Irgendjemand hat gemeint – ich glaube, Sie, Frau Reiter –, es wäre so eine Art Trost­pflaster. Im Endeffekt ist das eine ganz massive Maßnahme. Und ich stimme Ihnen zu, Herr Krusche, wie Sie das beschrieben haben, was es im Marktgeschehen bewirken wird: Es werden nicht die Firmen hinausgeschmissen werden, da sie eine bestimmte Marktmacht haben, wenn sie gemeinsam auftreten. Und es kann und muss so sein, dass man die Marktmacht auch nutzt. Auf der anderen Seite haben die Betriebe gerade für Stammkunden – die 50 Prozent, die nicht in Buchungsplattformen sind –


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individuelle Bewegungsmöglichkeiten. Sie können dort gesondert agieren und haben natürlich durch Frequenzsteigerungen die Möglichkeit, auch die Gewinne zu erhöhen. Es geht ja nicht darum, das, was auf den Plattformen angeboten wird, zu unterbieten, sondern seine Möglichkeiten entsprechend wahrzunehmen.

Es ist ja auch gesagt worden, dass das Ganze natürlich nicht nur Effekte für die Unter­nehmen, sondern auch Effekte für den Konsumenten hat. Durch die Plattformen kommt ja nichts Negatives, sondern bessere Information, bessere Haftungskonditionen, auch sonstige Informationen über die Ausstattung und anderes mehr.

Das, was wir tun, erhöht also im Endeffekt die Handlungsfähigkeit der Unternehmen auf der einen Seite, vermehrt auch die Preisgestaltungsmöglichkeiten und erweitert damit den Spielraum und gibt auf der anderen Seite Sicherheit für den Konsumenten. Wenn Sie eine Gesamtbetrachtung machen: Ja, der Tourismus hat bestimmte Prob­leme, aber erzählen Sie mir nicht immer, die Registrierkassen sind für die Hoteliers ein Problem. Nennen Sie mir einen in den letzten Jahren erfolgreichen Hotelier, der nicht bereits eine Registrierkasse gehabt hat! – Ich kenne keinen.

Zweiter Punkt: Raucherproblematik. Kennen Sie ein Hotel, das erfolgreich war, das nicht schon längst eine entsprechende Räumlichkeit zur Verfügung gestellt hat? Und genau das haben wir getan, das gibt es auch in der Neuregelung. Dort braucht niemand irgendetwas umzustellen.

Die Allergene – unangenehm –, das war eine europäische Angelegenheit, die man erledigt hat. Wahrscheinlich schaut jeder, wo die meisten Buchstaben sind, und isst das. Man hätte es auch anders machen können, aber es ist so, und ich glaube nicht, dass das der wirklich entscheidende Faktor ist.

Ein paar andere Punkte haben wir weiterentwickelt. Lassen Sie daher die Kirche im Dorf, nehmen Sie die Fakten! Die Fakten sind meines Erachtens besser, als Sie glau­ben, und alle anderen Dinge werden wir gemeinsam noch weiterentwickeln.

Der Tourismus hat also gute Konditionen, das ist eine weitere Möglichkeit, die Hand­lungs­fähigkeit zu erhöhen, und genau diesen Weg sollten wir weiter beschreiten. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

11.34

11.34.00

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den gegenständlichen Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

11.34.302. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 10. November 2016 betreffend Abkommen zwi­schen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Republik Kosovo über kulturelle Zusammenarbeit (1147 d.B. und 1303 d.B. sowie 9659/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Wir kommen zum 2. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Mag. Gruber-Pruner. Ich bitte um die Bericht­erstat­tung.

 


11.35.00


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 48

Berichterstatterin Mag. Daniela Gruber-Pruner: Hohes Haus! Geschätzte Kolle­ginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich erstatte den Bericht des Ausschusses für Unterricht, Kunst und Kultur über den Beschluss des Nationalrates vom 10. November 2016 betreffend ein Abkommen zwischen der Regierung der Re­publik Österreich und der Regierung der Republik Kosovo über kulturelle Zusam­menarbeit.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, daher stelle ich sogleich den Antrag.

Der Ausschuss für Unterricht, Kunst und Kultur stellt nach Beratung der Vorlage am 15. November 2016 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag,

1. gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben,

2. dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Artikel 50 Absatz 2 Ziffer 2 B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen.

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Ich danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gelangt als Erste Frau Bundesrätin Blatnik. – Bitte.

 


11.35.49

Bundesrätin Ana Blatnik (SPÖ, Kärnten): Herr Präsident! Gospod president! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Drage kolegice in kolegi! Erlauben Sie mir, dass ich zu­nächst aus der Präambel der Verfassung der UNESCO zitiere:

„Die weite Verbreitung“ positiver Zusammenarbeit in allen Bereichen „und die Erzie­hung zu Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden sind für die Würde des Menschen unerlässlich und für alle Völker eine höchste Verpflichtung, die im Geiste gegenseitiger Hilfsbereitschaft und Anteilnahme erfüllt werden muss.“ – Zitatende.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Mensch kann Grenzen bauen, der Mensch kann aber auch Brücken bauen. Der Mensch kann gerade mit solchen Abkommen Brücken bauen, ein friedliches Miteinander fördern, die Bereitschaft, sich zu begegnen, sich auch begegnen zu wollen, die Hand zu reichen, auch wenn es Andersdenkende sind, wenn es Anderssein gibt – und das mit aller Offenheit, mit allem Respekt, mit Würde, Wertschätzung und Akzeptanz!

Ich glaube auch, dass jede Zusammenarbeit, wenn sie in die positive Richtung geht, zu mehr Internationalisierung führt, wenn man versucht, gemeinsam neue Projekte, Erfahrungsaustausch zu machen, wenn man versucht, das Gemeinsame in den Vordergrund zu stellen. Ich glaube, dass in Zeiten wie diesen dieses Gemeinsame nicht nur notwendig, nicht nur wichtig, sondern unverzichtbar ist.

Gerade in meiner Präsidentschaft habe ich dieses Thema als Schwerpunkt gehabt, mit der Konferenz „Balkan als Chance“, bei der wir versucht haben, mit Abgeordneten – jeder, der dort war, weiß auch, wie schwierig das war – zusammenzutreffen, miteinan­der zu diskutieren und sich näher zu kommen. Ja, es war schwierig, es war spannend, aber es hat sich ausgezahlt.

Auch das zweite Projekt, das grenzüberschreitende Jugendprojekt, bei dem Jugend­liche gemeinsam einen Brief an Europa geschrieben haben – den wir dann auch EU-Kommissar Hahn übergeben haben –, in dem sie genau formuliert haben, welche Wünsche sie an Europa haben, welche Probleme, welche Sorgen sie haben, und vor allem, wie sie sich Europa vorstellen.


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 49

Liebe Kollegen und Kolleginnen, Zusammenarbeit ist für mich ein Gewinn, eine Be­reicherung und niemals eine Bedrohung. Ich glaube, jede Investition in eine solche Zusammenarbeit ist positiv.

Liebe Kollegen und Kolleginnen, dieses Abkommen zwischen Österreich und dem Kosovo ist ein Nachfolgeprodukt zum Abkommen zwischen Österreich und dem ehemaligen Jugoslawien aus dem Jahre 1972. Ganz genau: Es war der 14. April 1972. Dieses Abkommen wird durch die heutige Beschlussfassung außer Kraft treten.

Die Durchführung dieses Abkommen wird von einer gemeinsamen Kommission aus Vertretern und Vertreterinnen der Vertragsparteien kontrolliert. Alle fünf Jahre wird getagt. Dieses Abkommen hat Folgendes zum Ziel: Kooperation und Zusammenarbeit in den Bereichen Kunst und Kultur, Bildung, Jugend und Sport sowie auf dem Gebiet von Frauenangelegenheiten und Gleichstellung.

Ich möchte gerade mit diesem letzten Punkt beginnen, da dieser für mich so wichtig ist. Frauenrechte sind Menschenrechte. Überall und bei jeder Zusammenarbeit müssen wir darauf hinweisen, dass die Gleichstellung noch nicht funktioniert; bei uns in Österreich ist aber auch noch nicht alles in Ordnung. (Beifall der Bundesrätinnen Anderl und Kurz.)

Bei Kunst und Kultur geht es um Konzerte, Theateraufführungen, das Filmwesen, um Museen, Bibliotheken und Literatur, wo Kooperationen stattfinden sollen. Im Bereich der Bildung geht es um die Zusammenarbeit auf universitärer Ebene, den Austausch von Experten und Expertinnen auf schulischer Ebene, gemeinsame Fortbildung, Aktivitäten und Initiativen der Lehrer und Lehrerinnen.

Liebe Kollegen und Kolleginnen! Die Schwerpunktsetzung Österreichs auf den Kultur­austausch mit dem Westbalkan kann auch dazu beitragen – die Möglichkeit besteht jedenfalls –, dass man Spannungen sowohl auf politischer als auch kultureller Ebene entgegenwirkt.

Liebe Kollegen und Kolleginnen! Jede positive Zusammenarbeit ist ein Gewinn, eine Bereicherung und niemals eine Bedrohung. Selbstverständlich werden wir zustimmen.

(Die Rednerin setzt ihre Ausführungen in slowenischer Sprache fort.)

Danke. Hvala lepa. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

11.42


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Ich darf den Herrn Minister herzlich begrüßen. Es freut mich, dass Sie bei uns sind, Herr Mag. Drozda. Herzlich willkommen im Bun­desrat! (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

Als Nächstem darf ich Herrn Bundesrat Hammerl das Wort erteilen. – Bitte.

 


11.43.00

Bundesrat Gregor Hammerl (ÖVP, Steiermark): Meine Damen und Herren! Wir beschließen heute ein wichtiges Abkommen. „In guter Nachbarschaft“ – unter diesem Titel fand sich in der Wochenendausgabe der „Kleinen Zeitung“ ein Bild von drei auf fünf Meter hohen Stangen balancierenden Damen. Die Szene spielt in Singapur. Im Text zur Erklärung: Die Gruppe kommt aus dem südöstlich gelegenen Australien und nimmt an einem Festival teil, das unter dem Motto „Kunst aus deiner Nachbarschaft“ völkerverbindend wirken soll. – Zitatende. – Das haben Sie sicherlich alle gesehen.

Völkerverbindende Kunst, Kultur und Wissenschaft, völkerverbindender Sport: Das ist das Motiv, das das Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Republik Kosovo für kulturelle Zusammenarbeit bestimmt.


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 50

Meine Damen und Herren! Im Austausch von Kunst, Kultur und Sport kann eine Basis für eine solide Nachbarschaft geschaffen werden. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Globalisierung, die uns zwar zu Nachbarn, nicht aber zu Bekannten gemacht hat. Bekannt kann man einander durch den Austausch von Wissenschaftlern, von Univer­sitätslehrern, von Lehrern, von Künstlern, durch Festivals und durch Kunstausstel­lun­gen im jeweils anderen Land werden. Das sind die Inhalte des Abkommens, das uns heute zur Genehmigung hier vorliegt.

Der kulturelle Austausch zwischen diesen beiden Ländern erfolgt bereits seit dem Jahr 1972 auf Grundlage des zwischen der Republik Österreich und der Sozialis­tischen Föderativen Republik Jugoslawien abgeschlossenen Abkommens über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Kultur, Wissenschaft und Erziehung. Dieses Abkommen wird zurzeit auf die Zusammenarbeit von Österreich und dem Kosovo auf kulturellem Gebiet angewandt und mit dem vorliegenden Abkommen außer Kraft ge­setzt.

Es ist nur zu verständlich, meine Damen und Herren, dass sich der Kosovo mit diesem neuen Abkommen von seiner jugoslawischen Vergangenheit abgrenzen will, um eine eigene Identität aufzubauen. Das Abkommen setzt den Kosovo auf eine Stufe mit Slowenien, Kroatien und Mazedonien. Der Vertrag ist in Analogie zu den Verträgen mit diesen Ländern konzipiert.

Kunst, Kultur, Wissenschaft und Erziehung sind wesentliche Faktoren der Identitäts­fin­dung und damit auch ein Anreizfaktor, um im eigenen Land zu bleiben – ich wiederhole: um im eigenen Land zu bleiben – und an der Entwicklung dieses Landes mitzuarbeiten.

Eine so junge Republik wie der Kosovo bedarf besonders dieses Aufbaus von Werten, die die Gesellschaft verbinden, durch Erziehung und Wissenschaft beispielweise, um die noch sehr junge Eigenständigkeit weiterentwickeln zu können. Damit, meine Damen und Herren, kann auch eine Weiterentwicklung der bilateralen Verträge zwischen Österreich und dem Kosovo, die seit 2010 in Geltung sind, erreicht werden.

Der Austausch von Lehrpersonal und von Wissenschaftlern, wie im Abkommen vor­gesehen, kann durch den Diskurs über die gemeinsame Grundwertebasis viel zur Aus­bildung der Identität beitragen. Wir Österreicher tragen wegen der wechselvollen Geschichte, die uns mit den Balkanländern verbindet, Verantwortung, die auch in der gemeinsamen geschichtlichen Forschung deutlich gemacht werden soll.

Meine Damen und Herren! Insbesondere in der persönlichen Begegnung von Künst­lern, Kulturschaffenden und Erziehungsverantwortlichen kann jenes Netz von Kontak-ten geschaffen werden, das zu konkreten Bindungen aneinander führen kann. Gute Nachbarschaft bedeutet, im Austausch zu stehen.

Meine Damen und Herren! Unser Bundesheer ist im Kosovo. Durch seine Lage in geografischer Nähe hat Österreich besonderes Interesse daran, dass sich der gesamte Balkan friedlich und stabil entwickelt. Deshalb ist im Juni 1999 auch beschlossen worden – ich war damals dabei –, ein Bundesheerkontingent in die KFOR zu ent­senden, das beim Wiederaufbau dieser Regionen hilft. Derzeit beträgt die Personal-stärke des Österreicher-Kontingents über 500 Personen.

Meine Damen und Herren! Es ist zu hoffen, dass mit diesem Abkommen und seiner konkreten Umsetzung die gute Nachbarschaft in der umfassenden kulturellen Begeg­nung zwischen Österreich und dem Kosovo gestärkt werden kann. Ein Danke auch für die einstimmige Zustimmung zu diesem wichtigen Abkommen. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)

11.47



BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 51

Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Dörfler. – Bitte.

 


11.48.11

Bundesrat Gerhard Dörfler (FPÖ, Kärnten): Geschätzter Herr Bundesminister! Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war dreimal im Kosovo und freue mich deshalb ganz besonders, dass es heute zu dieser Beschlussfassung auch im Bun­desrat kommt. 2012 habe ich noch als Landeshauptmann mit unserer KELAG für ein sehr innovatives, mutiges, zukunftsweisendes, aber durchaus auch riskantes Kraft­werksprojekt mit dem damaligen Premierminister Hashim Thaçi den ersten Spatenstich gesetzt, und das in einem interessanten Gebiet, nämlich in der Umgebung des Klosters Decani, das UNESCO-Weltkulturerbe ist. Wenn man einem Land helfen will, sind Kulturabkommen und andere Projekte extrem wichtig, und es ist erfreulich, dass dieses Projekt vom heutigen Staatschef Thaçi auch jüngst wieder gewürdigt wurde.

Ich war im Jänner 2016 in einer schwierigen Situation im Kosovo. Damals gab es Tränengas im Parlament, Stein- und Brandflaschenwürfe auf das Regierungsgebäude. Warum hat es die gegeben? – Weil es ein wirklich ehrliches Bemühen seitens der Regierung gibt, mit dem Nachbar Serbien entsprechende Kontakte zu pflegen, aber auch konkrete Maßnahmen umzusetzen. Es hat die Gründung eines Gemeinde­ver­bundes gegeben, was dazu geführt hat, dass die Opposition im Parlament mit Tränengas operiert hat.

Man muss festhalten, dass es auf politischer Ebene tatsächlich ehrliche und ernsthafte Bemühungen des Präsidenten Thaçi, von Regierungsverantwortlichen und auch des serbischen Ministerpräsidenten Vucić gibt.

Ich bin vor einigen Tagen wieder im Kosovo gewesen und habe eine höchst erfreuliche Verbesserung der Situation wahrgenommen. Die Anschlagserie ist beendet, die parla­mentarische Opposition hat eingesehen, dass es letztendlich nur einen Weg des Miteinander der Staaten der ehemaligen jugoslawischen Föderationen geben kann.

Das ist zweifelsohne schwer, aber es ist erfreulich, dass Österreich daran auch auf­grund der österreichisch-ungarischen Tradition mitwirken kann. Ich bin kein Mo­narchist, aber ich habe größten Respekt davor, was Österreich-Ungarn damals gerade auch in diesen Regionen geleistet hat. Deshalb wäre es dringend notwendig, auch mit Bosnien-Herzegowina ein konkretes Projekt zustande zu bringen.

Vielleicht noch eine kurze Darstellung, damit Sie sich ein Bild machen können, wie die Situation im Kosovo ausschaut: 90 Prozent der Bevölkerung sind Albaner, 5 Prozent Serben, 2 Prozent Bosniaken, 2 Prozent Roma, 3 Prozent sind Türken und andere Minderheiten. Es ist erfreulich, dass bereits bei der Staatsgründung 2008 dieses europäische Baby, wie ich den Kosovo bezeichnet würde, mit den sechs Sternen in der Nationalflagge die Bevölkerungsstruktur widergespiegelt und damit bekundet hat, dass ihnen alle wichtig sind. Jeder Stern steht für eine ethnische Gruppierung, und das ist schon ein Zeichen dafür, wohin sich der Kosovo entwickeln will.

Zu den konkreten Projekten darf ich festhalten: Die KFOR wurde vom Herrn Kollegen bereits erwähnt. Unsere Beteiligung ist erfreulich, weil das Image Österreichs durch die Leistungen, die das österreichische Bundesheer im Kosovo und auch in Bosnien-Herzegowina erbringt, steigt. Ich stelle nur mit Bedauern fest, dass ein steirischer Soldat im Jahr 2014 bei einem Einsatz in Prizren im Kosovo schwer erkrankt ist. Dazu hat es einen Bericht in der „Kleinen Zeitung“ gegeben; ich gebe Ihnen auch gerne diesen Bericht. Herr Minister! Ich darf Sie bitten, darüber vielleicht auch mit Ihren Kollegen zu reden und dafür Sorge zu tragen, dass ein Soldat, der bei einem Aus­lands­einsatz schwer erkrankt ist, nicht jahrelang von der österreichischen Verwaltung hingehalten wird, sondern dass man ihm entsprechend hilft. Das ist eine Bitte, die auf


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einem aktuellen Zeitungsartikel vom 13. November 2016 basiert, den ich Ihnen über­geben darf, und ich hoffe, Sie werden sich dafür einsetzen, dass dieser junge Steirer nicht alleingelassen wird.

Was läuft bereits zwischen Österreich und dem Kosovo? – Es gibt einige Projekte, die wir im Jänner und auch jetzt besuchen konnten. Es gibt zum Beispiel das aus Österreich importierte Projekt Demokratiewerkstatt, in dem Kinder in Grundschulen in der Hauptstadt Priština – das wird jetzt ausgedehnt auf das ganze Land – bereits im Volksschulalter mit neun, zehn Jahren Demokratie lernen. In einem Land wie dem Kosovo ist es extrem wichtig, dass man bereits den Kindern demokratische Spielregeln vermittelt, weil damit der Versuch verbunden ist, auch bei den Eltern Interesse für Demokratie zu wecken.

Ein Projekt, das mir auch sehr am Herzen liegt, ist ein Projekt der ADA, das Mütter von Roma-Kindern integriert. Die müssen Zählen lernen! Man kann sich überhaupt nicht vorstellen, dass es im Kosovo Frauen gibt, die nicht in der Lage sind, einen Satz zu schreiben, die nicht lesen können, die zwei mal zwei nicht rechnen können. Dort wird jetzt mit österreichischer Beteiligung ein Projekt, das ich für sehr erfreulich halte und auch vor Ort besucht habe, initiiert, um diesen Frauen gemeinsam mit den Kindern quasi im zweiten Bildungsweg wenigstens Volksschulwissen zu vermitteln. Dabei ist Österreich führend und wird sehr geschätzt.

Wir haben in Prizren eine Kleinmolkerei besucht, auch wieder ein österreichisches Projekt. Kleine Landwirtschaftsbetriebe, Frauenbeschäftigung in diesem Molkereibe­trieb und Käseproduktion für die Gastronomie vor Ort – das ist eine sehr, sehr span­nende Entwicklung.

Ein Projekt, das wir in den letzten Wochen besucht haben, ist das Projekt Kruša. Im Dorf Kruša wurden im März 1999 241 Menschen getötet. Das war ein Genozid ähnlich wie in Srebrenica. Sieben Kinder waren unter den Todesopfern, fünf Frauen, und es gab über 100 Vermisste. Es hat sich eine Gruppe von Frauen gebildet. Dieses Projekt Kruša war eigentlich ursprünglich gedacht, um gemeinsam Trauerarbeit zu leisten und auch gemeinsam auf Vermisstensuche zu gehen. Irgendwann ist im Rahmen dieser Trauerarbeit und Vermisstensuche dann auch eine Aufbruchsstimmung entstanden. Es sind heute 90 Frauen, die in Kooperation mit Bauern 400 Hektar landwirtschaftliche Fläche bewirtschaften. In einer Kleinfabrik, kann man schon sagen, werden in der Erntezeit hochwertige landwirtschaftliche Produkte im Drei-Schicht-Betrieb verarbeitet und vor allem an die Diaspora in der Schweiz und in Deutschland ausgeliefert. Das ist ein sehr erfolgreiches Projekt, in dem auch sehr intensiv österreichisches Know-how genutzt wird.

Es gibt also viele Projekte. Der Kosovo war eines der Länder, in denen das Schlepper­unwesen seine üblen Geschäfte mit den Menschen gemacht hat. Sie wissen, dass Kosovaren busweise nach Österreich gebracht wurden. Es hat eine vorbildliche Zu­sammenarbeit zwischen der damaligen Innenministerin und den politisch Verant­wortlichen im Kosovo gegeben, um dieses Unding abzustellen. Man kann sich erin­nern, dass Mikl-Leitner nach Priština geflogen ist und es da auch mediale und politi­sche Zusammenarbeit gegeben hat.

Eines noch: Enver Hoxha, der Außenminister, hat in Wien studiert, ist ein europäisch orientierter Mensch – das Blau der Flagge des Kosovo symbolisiert ja auch die Hoffnung, dass der Kosovo in Europas Mitte aufgenommen wird – und hat als Bil­dungsminister in den Pflichtschulen das Kopftuchverbot eingeführt. Man muss sich vorstellen, dass er damit in einem Land mit 95 Prozent muslimischer Bevölkerung ein ganz klares Zeichen setzt. Hoxha als Bildungsminister und jetzt als Außenminister und Europäer sagt: Das Kopftuch hat nichts in einer Schule im Kosovo verloren! – Das


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vielleicht auch zu den Diskussionen, die es rund um die Burka und Ähnliches auch bei uns in Österreich gibt. Wenn der Kosovo als muslimisches Land hier klare Grenzen aufzeigt und damit auch dokumentieren will, dass er sich nicht radikaler Islampolitik aus arabischen Regionen unterwirft, sondern seinen Blick nach Europa wirft und sozusagen Spielregeln einführt, die klar sind, ist das ein erfreuliches Zeichen.

Ich freue mich, dass es diese Vereinbarung gibt, und würde mir wünschen, dass wir neben dem, was wir politisch zu verhandeln haben, in diesen Regionen noch aktiver von Face to Face arbeiten würden, weil es viele Möglichkeiten gibt. Der Kosovo hat einen sehr engagierten Botschafter in Wien. Ukelli ist nicht nur ein diplomatischer Vertreter seines Landes, sondern versucht tatsächlich auch, Brücken zwischen dem Kosovo und Österreich zu bauen.

Vielleicht noch kurz: Herr Kollege Fürlinger, ich muss noch einmal kurz auf deine heutige Rede zurückkommen. Der Papst hat mich gerade angerufen, er überlegt sich, dich zum Bischof oder Kardinal zu ernennen, denn deine Sozialagenda – Heiliger Martin – ist ja wirklich unglaublich. Der Heilige Martin – ich habe ihn im Kindergarten immer genossen, weil ich denke, dass es wichtig ist, den Kindern auch das Teilen als soziales Verhalten im Kindesalter beizubringen. Ich sorge mich nur – das sage ich ganz offen –, dass wir immer wieder damit konfrontiert sind, dass eine christliche Region wie Österreich das Kreuz verschwinden lassen soll, dass man bei der Ernäh­rung entsprechende Wünsche berücksichtigt. Wir haben eine österreichische Kultur! Wir haben in Österreich eine christliche Kultur, die offen in alle Richtungen ist. Eines kann aber so nicht sein: dass wir den Spieß umdrehen und dann der Heilige Martin auch aus den Kindergärten verschwindet! So gesehen verstehen wir uns in dem Punkt, dass im Bereich der Kinderbetreuung auch soziales Lernen wichtig ist.

Herr Kollege aus Oberösterreich! Alter ist kein Verdienst. Ich bin auch schon im Alter Rennsilber. Jung und stürmisch zu sein – das war ich auch. Ein Landeshauptmann von Oberösterreich ist aber kein alter Kauz oder grantiger Mann. (Bundesrat Stögmüller: „Kauz“ habe ich nicht gesagt!) Als Herr Anschober bei ihm einige Zeit als politischer Partner am Schoß gesessen ist, war er ein guter Landeshauptmann. Und wenn er jetzt einen anderen Koalitionspartner hat, weil er eine andere Politik und andere Ziele verfolgt, dann ist er auf einmal ein frustrierter alter Mann.

Ich meine, österreichischer Parlamentarismus hat so auszuschauen, dass junge Stür­mische mit Respekt vor Älteren und wir mit Respekt vor Jüngeren handeln. Ich habe überhaupt kein Problem mit Stürmisch- oder ein bissel Frechsein, ein bissel Pro­vozieren. Das tue ich auch, aber Respekt vor Menschen, egal, wie sie ausschauen, egal, wie alt sie sind, egal, welches Geschlecht sie haben, egal, welcher Nationalität sie angehören, muss gewahrt bleiben. Das sollten sich vor allem junge Grüne hinter die Ohren schreiben! (Beifall bei FPÖ und ÖVP.)

11.58


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Der zuletzt Angesprochene gelangt als Nächster zu Wort: Bundesrat Stögmüller. – Bitte.

 


11.59.08

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Vielleicht sind Sie auch schon ein bisschen frustriert, Herr Kollege Dörfler, vielleicht passt das auch auf Sie. Es trifft ja vor allem Menschen, die vielleicht nicht mehr lange in der Politik sein werden. Pröll und Pühringer werden wahrscheinlich bald einmal in Pension gehen. Darauf hat sich „frustriert“ bezogen. Ich bin auch nicht frech, sondern das war einfach auf die aktuelle Politik zur Mindestsicherung bezogen oder sie reflektierend, weil eine Einigung nämlich genau an diesen beiden Bundesländern beziehungsweise an diesen Akteuren gescheitert ist. (Vizepräsidentin Winkler übernimmt den Vorsitz.)


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Wenn wir wieder auf das Abkommen zurückkommen, es ist ja schon einiges berichtet worden; ich werde da gar nicht mehr lange herumreden.

Was mir aber in diesem Zusammenhang wichtig ist, ist, dass die Republik Kosovo im Gegensatz zu ihren Nachbarstaaten nicht der Europäischen Sozialcharta beigetreten ist. Es gibt im Kosovo nach wie vor Defizite bei den sozialen Rechten – wie das Recht auf Nichtdiskriminierung –, darunter leiden vor allem ethnische Minderheiten wie Roma, Menschen mit Behinderungen, Frauen und Mädchen, weil deren Lebensbedin­gungen oft katastrophal sind oder sie meistens auch nicht den Zugang zu sozialen Einrichtungen und Organisationen kennen.

Ich hoffe, dieses Abkommen wird helfen, diese Situation zumindest für einige Men­schen zu verbessern, im Idealfall natürlich für alle. Wir Grüne werden heute im Bun­desrat diesem Gesetz unsere Zustimmung geben. – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen. – Bundesrat Pisec: Das war alles? Schwach!)

12.00


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Schennach. – Bitte.

 


12.00.45

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Vor 25 Jahren ist die Republik Jugoslawien zerbrochen. Das letzte Kulturabkommen, das wir mit dieser Region haben, stammt aus dieser Zeit.

Mittlerweile haben 111 Staaten der UNO den Kosovo als eigenständigen Staat aner­kannt, 24 von 28 EU-Staaten. Dieses Abkommen unterstreicht ein bisschen die Nor­malität, die in einer Region, die eigentlich über Jahrhunderte von Krieg und Konflik­ten gekennzeichnet ist, so bitter notwendig ist. Seit 2008 bezeichnet sich der Kosovo als unabhängig, Österreich war im Februar 2008 einer der ersten Staaten, der diese Unab­hängigkeit anerkannt hat. Die Eigenständigkeit des Kosovo wird aber noch immer bestritten, zum Beispiel in Form der Mitgliedschaft bei der FIFA. Derzeit wird darum gekämpft, dass der Kosovo aus der FIFA herausgenommen wird, weil er kein UN-Staat ist.

Im Rahmen des Europarates haben wir einen großen Schritt getan. Der Kosovo ist Vollmitglied der Venice Commission, er ist Vollmitglied der Entwicklungsbank des Europarates – Österreich leider nicht –, und seit Jänner dieses Jahres könnte der Kosovo, noch ohne Stimmrecht, mit drei Sitzen im Europarat Platz nehmen, wovon ein Sitz an die größte Minderheit geht. Leider sind diese drei Sitze bis heute nicht einge­nommen worden. Ich habe das auch erst unlängst kritisiert. Ich hoffe, dass der Kosovo mit Jänner im Europarat Platz nimmt. Denken wir an das letzte Jahrzehnt, so sind das alles wirklich wichtige Schritte für Normalität und Stabilität!

Es gab heuer in Serbien Wahlen und die Staatsbürger von Mitrovica, die noch einen serbischen Pass haben, waren wahlberechtigt. Man muss bedenken, es ist das Jahr 2016 und die Wahlstimmen müssen sozusagen unter militärischer Begleitung der UNO nach Serbien gebracht werden, um ausgezählt werden zu können.

Das alles zeigt, es ist ein langer Weg, aber das Kapitel der Kultur ist immer etwas, das am nachhaltigsten wirkt, und auf der Ebene der Kultur gibt es einiges zu lernen. Wenn wir lernen, auf der Ebene von Bildung zusammenzuarbeiten, wenn wir vor allem aus den Lehrbüchern endlich Feindbilder herausnehmen – da haben der Kosovo und auch Serbien noch einiges zu tun –, und wenn wir die Kinder mit weniger Hassbildern unterrichten, dann ist diese Zukunft hoffentlich eine stabilere Zeit, als sie es in den letzten hunderten Jahren war. Österreich leistet jetzt einen positiveren Beitrag als etwa


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zu Beginn des letzten Jahrhunderts. – Danke. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundes­räten der ÖVP.)

12.04

12.04.50

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Die Debatte ist ge­schlos­sen.

Wir gelangen nun zur Abstimmung.

Da der gegenständliche Beschluss Angelegenheiten des selbständigen Wirkungs­be­reiches der Länder regelt, bedarf dieser der Zustimmung des Bundesrates gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 2 Bundes-Verfassungsgesetz.

Wir gelangen zunächst zur Abstimmung, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit ange­nommen.

Nun lasse ich über den Antrag abstimmen, dem vorliegenden Beschluss des National­rates gemäß Artikel 50 Abs. 2 Z 2 Bundes-Verfassungsgesetz die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit ange­nom­men.

12.06.053. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 10. November 2016 betreffend ein Bundesge­setz, mit dem das Gehaltsgesetz 1956 und das Vertragsbedienstetengesetz 1948 geändert werden (Besoldungsrechtsanpassungsgesetz) (1296 d.B. und 1325 d.B. sowie 9657/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gelangen zum 3. Punkt der Tagesordnung.

Da Frau Bundesrätin Kern erkrankt ist, übernimmt Herr Bundesrat Dr. Köll die Bericht­erstattung. Ich bitte darum.

 


12.06.34

Berichterstatter Dr. Andreas Köll: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bundes­minister! Frau Staatssekretärin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich erstatte den Bericht des Ausschusses für Verfassung und Föderalismus über den Beschluss des Nationalrates vom 10. November 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Gehaltsgesetz 1956 und das Vertragsbedienstetengesetz 1948 geändert werden.

Wie bereits von der Frau Präsidentin erwähnt, war die Berichterstatterin im Ausschuss Frau Bundesrätin Sandra Kern, die ich krankheitshalber vertreten darf.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher sogleich zur Antrag­stellung.

Der Ausschuss für Verfassung und Föderalismus stellt nach Beratung der Vorlage am 15. November 2016 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 



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Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bevor wir in die Debatte eingehen, darf ich Frau Staatssekretärin Muna Duzdar recht herzlich in unserer Mitte begrüßen. Herzlich willkommen! (Allgemeiner Beifall.)

Wir gehen nunmehr in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist als Erster Herr Bundesrat Herbert. – Bitte.

 


12.07.39

Bundesrat Werner Herbert (FPÖ, Niederösterreich): Frau Präsidentin! Frau Staats­sekretärin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Das hier in Rede stehende Besol­dungsrechtsanpassungsgesetz ist mittlerweile der dritte und, wie ich meine, untaug­liche Versuch, in die Pensionsregelungen des öffentlichen Dienstes einzugreifen und damit einhergehend auch schwere, finanziell nachteilige besoldungs- und pensions­rechtliche Auswirkungen herbeizurufen.

Grund für diese Besoldungsreform ist einmal mehr eine Feststellung eines Höchstge­richtes, in diesem Fall des Verwaltungsgerichtshofes, das ein Urteil des Bundesver­waltungsgerichtes dahin gehend bestätigt hat, dass auf Anträge auf Vorrückung und Neufestsetzung des Vorrückungsstichtages – und damit der Bemessung und Aner­kennung von Vordienstzeiten –, die vor Inkrafttreten des Gesetzes eingebracht wurden, die zu dem Zeitpunkt geltenden Regeln anzuwenden sind. Wurde der Antrag bereits vor Inkrafttreten der Besoldungsreform 2015 eingebracht, sind darauf die zuvor geltenden Regelungen anzuwenden. Diese neuen gesetzlichen Regelungen haben nur für nachgehende Anträge zu gelten.

Das hat den Gesetzgeber, und damit diese Bundesregierung, und in weiterer Folge natürlich Sie, Frau Staatssekretärin, auf den Plan gerufen und damit neuerlich die schon zuvor bestehenden Unrechtsbestimmungen in diesem besoldungsrechtlichen, aber auch pensionsrechtlichen Kontext bestätigt, um nicht zu sagen verschärft.

Was haben Sie gemacht? – Anstelle der Rechtsprechung des Höchstgerichtes, und bereits davor auch des EuGH, einmal mehr Rechnung zu tragen, haben Sie nunmehr die Bestimmungen, die Gegenstand dieses Besoldungsreformgesetzes sind, so abge­än­dert, dass es nunmehr zu einer völligen Streichung des Vorrückungsstichtages kom­men soll, was für die Beamten und Vertragsbediensteten den wesentlichen Nachteil hat, dass eine Anrechnung von Vordienstzeiten nach den alten gesetzlichen Bestim-mungen faktisch nicht mehr möglich ist. Nun kommen entweder nur mehr pauschal festgesetzte Vordienstzeiten für die Pensionsanrechnung zu tragen, oder die, die sich aufgrund des Beginns eines neuen Dienstverhältnisses ergeben.

Das ist eigentlich eine erstaunliche Vorgehensweise, erstaunlich nämlich deshalb, da sie einmal mehr, wie ich meine – das ist auch die Einschätzung von Dienstrechts­experten und Rechtsanwälten aus diesem Bereich –, eine sehr hohe Anfälligkeit auf neuerliche Anfechtung in sich birgt: zum einen, weil sie eben nachteilig und auch zeitlich in bestehende Verträge, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begründet wurden, eingreift. Man greift nachträglich in Pensionsregelungen ein, zum Nachteil der Bediensteten.

Der zweite Grund, warum es hier eine hohe Anfälligkeit auf Anfechtung zu geben scheint, ist der Umstand, dass ähnlich gelagerte pensionsrechtliche Bestimmungen im Bereich ehemals öffentlich Bediensteter – in nun ausgegliederten Gebietskörper­schaf­ten wie Post, Telekom, ÖBB – in dieser Form nicht bestehen und es somit zu einer gesetzlichen Ungleichbehandlung generell kommt. (Bundesrat Beer: Das ist ja nicht wahr!) Das betrifft also nicht den öffentlichen Dienst, sondern Beamte, die sich nicht mehr im öffentlichen Dienst befinden, sondern jetzt in ausgegliederten Bereichen ihren Dienst erbringen.


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 57

So gesehen ist das einmal mehr eine Bestimmung, die aus rechtlicher Sicht völlig abzulehnen ist und natürlich vom moralischen Gesichtspunkt her überhaupt keine Berechtigung hat. Diese neuerliche Besoldungsveränderung oder diese Besoldungs­reform stellt einmal mehr eine bestimmte Botschaft dieser Bundesregierung gegenüber den Vertragsbediensteten und Beamten – also allen Bediensteten des öffentlichen Dienstes – dar: Ihr seid es uns nicht wert! Ihr seid uns jene 3 Milliarden €, die dieses Gesetz an Einsparungen bringen soll und die auf Kosten der pensionsrechtlichen Ansprüche der öffentlich Bediensteten – zugunsten einer offensichtlich schlecht geführten Bundeswirtschaftspolitik – abgezogen werden sollen, nicht wert!

Man findet hier offensichtlich dringend finanziellen Ausgleichsbedarf, deshalb sagt man den Bediensteten: Wir greifen auf eure pensionsrechtlichen Ansprüche zurück, ihr bezahlt den Schlamassel, den wir als Bundesregierung angerichtet haben. – Eine erstaunliche Vorgangsweise. Wenn ich mir ähnliche Vorgehensweisen veranschau­liche, die noch nicht stattgefunden haben, oder wenn das ein privater österreichischer Großbetrieb machen würde, wären uns Klassenkampfaufmärsche auf der Ringstraße gewiss.

Wenn ein privater Betrieb die pensionsrechtlichen Ansprüche seiner Mitarbeiter um bis zu 20 Prozent herabsetzt, na dann möchte ich schauen, wo da Feuer auf dem Dach der Republik wäre. Im öffentlichen Dienst ist das kein Thema. Im Gegenteil: Nicht nur Regierungsparteien spielen hier mit, auch die Gewerkschaft spielt hier mit, weil – wie wir im Ausschuss gehört haben – dieses Gesetz in guter, sozialpartnerschaftlicher Art und Weise abgestimmt und auf Schiene gebracht wurde. So gesehen ist das eigentlich ein trauriges Schicksal unserer öffentlich Bediensteten, der Verwaltungsbediensteten und der Beamten in den verschieden gelagerten Bereichen, deren Dienste wir tagtäglich in Anspruch nehmen.

Nicht nur wir nehmen diese Dienste in Anspruch, sondern auch die Bevölkerung per se: die der Polizisten, der Verwaltungsbediensteten in den Ämtern und in den Minis­terien, der Lehrer und Kindergärtnerinnen, der Heeresangehörigen und der Richter und Staatsanwälte und aller, die in den verschiedenen Bereichen tätig sind. Sie alle werden mit einer Geringschätzung in Bezug auf ihre Lebensarbeitszeit und vor allem auf den ihnen damals zugesprochenen Pensionsanspruch einmal mehr sehr, sehr viel schlechter gestellt.

Aus diesem Grund darf ich abschließend zwei Dinge anmerken: Zum einen möchte ich mich bei allen öffentlich Bediensteten für ihre Dienstleistung, die sie für die Republik, aber auch für unsere Bevölkerung erbringen, recht herzlich bedanken. Ich möchte mich quasi für dieses nicht gerade redliche Vorgehen dieser Bundesregierung entschul­digen, für die Art und Weise, wie sie mit ihren Bediensteten umgeht. Ich darf ihnen aber auch versichern, dass gerade die FPÖ darauf schauen wird, dass die öffentlich Bediensteten nicht im Stich gelassen werden. (Bundesrat Todt: Wir sind hier nicht am Gewerkschaftskongress, wir sind im Bundesrat!)

Eines ist schon klar: Auch dieses Gesetz, das hier in Rede steht, wird wieder ange­fochten werden und wird wieder den höchstgerichtlichen Anforderungen nicht stand­halten, und dann werden wir uns wieder hier treffen. Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung mit ihrer negativen Qualität ihr Verhalten im konsequent schlechten Umgang mit ihren eigenen Bediensteten nicht ändern wird, außer es gibt Neuwahlen und somit eine neue Regierungskonstellation. Meine Hoffnung ruht darauf, dass wir dann ein Ende dieser Schaurigkeiten für unsere Beamten und Vertragsbediensteten zustande bringen werden. (Beifall bei der FPÖ.)

12.16



BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 58

Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Beer. – Bitte.

 


12.16.50

Bundesrat Wolfgang Beer (SPÖ, Wien): Frau Präsidentin! Frau Staatssekretärin! Sehr geschätzte Abgeordnete! Kollege Herbert, ein Satz hat mich sehr berührt: Die FPÖ wird auf die Beamten schauen. (Bundesrat Herbert: Werden wir, Herr Kollege!) – Ihr habt schon auf sie geschaut, denn das Ganze hat eigentlich mit der Änderung des Pensionsrechts der Beamten begonnen. Ich will jetzt nicht danach fragen, wer es erfunden hat, aber ihr wart daran maßgeblich beteiligt. So kam es auch dazu, dass die Menschen, nachdem es Durchrechnungszeiten oder Teildurchrechnungszeiten für die Beamten gegeben hat, gesagt haben: Ja wieso werden mir die Vordienstzeiten vor dem 18. Lebensjahr nicht angerechnet?

In der Privatwirtschaft ist das ganz normal, gang und gäbe, und so kam es zum ersten Urteil des Obersten Gerichtshofes. Daraufhin hat also die Regierung versucht, dieses Erkenntnis umzusetzen. Es geht dabei nicht um Einsparungen, sondern eigentlich nur um Mehrausgaben. Wenn wir dieses Erkenntnis so umgesetzt hätten, wie du es dir wünscht, Kollege Herbert, dann hätte der österreichische Staat auf einmal 3 Milliar­den € mehr an Ausgaben gehabt.

Es ist gar keine Frage, dass Gewerkschafter und Personalvertreter versuchen, in diesen Bereichen für die Bediensteten etwas herauszuholen, und die Regierung hat versucht, dass keiner der Bediensteten mehr Geld und auch keiner weniger Geld bekommt. Das hat zu einer Schwierigkeit geführt: Wenn man das eins zu eins umgesetzt hätte, hätten die niedriger Eingestuften erheblich an Geld verloren und die höher Eingestuften eine Begünstigung erfahren. Daher hat man ein neues Besol­dungsrecht gemacht. Dieses Besoldungsrecht hat auch vorgesehen, dass die Men­schen, sollten sie Einbußen erleiden, eine Ausgleichszulage bekommen. Das hat wie­der bedeutet, dass keiner schlechter oder besser gestellt war.

Daraufhin kam es jetzt beim letzten Mal zu einer Eingabe beim Verwaltungsgerichts­hof, der das natürlich ein bisschen anders als der Verfassungsgerichtshof sieht. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis den Vorrückungsstichtag de facto gestrichen und dazu gesagt (Bundesrat Herbert: Es soll die Verfahrensordnung in Kraft treten, die bis …!) – vor der Besoldungsreform, richtig! (Bundesrat Herbert: Die alten gesetzlichen Bestimmungen sind anzuwenden! Das hat er gesagt!) –, es wird ganz einfach das Gehalt, das man vor der Besoldungsreform gehabt hat, heran­gezogen. So einfach ist das. (Bundesrat Herbert: … Vordienstzeiten berechnen!) Das heißt also: keine Einsparungen, sondern nur das Verhindern von Mehrausgaben.

Ihr könnt aber gerne irgendetwas ausarbeiten, bei dem wir die 3 Milliarden € herein­bekommen: Vielleicht wieder einmal ein paar Steuern erhöhen? (Bundesrätin Mühlwerth: Na, vielleicht spart’s halt einmal! – Zwischenrufe bei der FPÖ.) – Also das ist jetzt das Stichwort, auf das ich gewartet habe, denn ihr wollt immer einsparen und somit bei den Beamten einsparen! Das heißt, wir werfen die Beamten auf null zurück – aber bitte. (Bundesrat Herbert: Im Gegenteil! Irgendeiner muss ja den Job machen!) – Ja, aber ihr solltet euch schon überlegen, was man wirklich machen kann und nicht immer nur kritisieren! Du hast in dem Fall heute hier Halbwahrheiten verbreitet. (Weitere Zwi­schenrufe bei der FPÖ.)

Jedenfalls ist es so, dass aufgrund dieser neuen Novelle das Erkenntnis des Ver­waltungsgerichtshofes umgesetzt wird. Da es aber wiederum die Möglichkeit zu klagen gibt, ist das natürlich möglich, außer es werden Einzelverträge gemacht, dann sind immer nur Einzelpersonen betroffen und nicht ein ganzes Schema.


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 59

Zu deiner Aussage, dass ausgegliederte Bereiche von dem nicht betroffen waren. (Ruf bei der FPÖ: Die ÖBB teilweise!) – Die ÖBB sind keine Bundesbeamten (Bundesrat Herbert: Waren sie aber!) – Nein, das waren sie nie! Sie waren keine Bundesbeamten, sie haben immer Einzelverträge gehabt, und alle Bundesbediensteten, die ausgeglie­dert sind, waren davon betroffen.

Es gibt ja auch nicht nur ein einziges Schema im Bundesdienst, es gibt verschiedene: die Justizwachebeamten, die Polizei, Post- und Fernmeldewesen, Beamte der allge­meinen Verwaltung, die waren alle sowohl von den Pensionsreformen als auch von der Überleitung betroffen. (Bundesrat Herbert: … hat’s nicht betroffen! Für sie gelten die besseren Bedingungen!) – Nein, wie gesagt! – Als du gekommen bist, habe ich dich sehr geschätzt, weil ich immer der Meinung war, dass du ein wirklich großes Wissen in diesem Bereich hast, aber da hast du entweder keine Zeit gehabt, dich genau zu informieren, oder du machst es absichtlich.

Jedenfalls versuchen wir, mit diesem Gesetz, mit dieser Novelle weiterhin für die Bediensteten ein gerechtes System zu erarbeiten und den Forderungen der Gerichtshöfe nachzukommen. (Beifall bei der SPÖ.)

12.23


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Frau Staatssekretärin Mag. Duzdar ist zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Staatssekretärin.

 


12.23.24

Staatssekretärin im Bundeskanzleramt Mag. Muna Duzdar: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Mitglieder des Bundesrates! Es liegt Ihnen das Besoldungs­rechts-anpassungsgesetz vor. Es handelt sich in der Tat um die Sanierung der Besol­dungsreform 2015, die in Kraft getreten ist. Lassen Sie mich nur vorausschicken, dass ich Verständnis dafür habe, dass es im Zusammenhang mit der Materie auch erheb­liche Nachfragen gibt! Es ist wirklich so, dass wir es hier mit einer sehr komplexen Materie zu tun haben, die im Zusammenhang mit Altersdiskriminierung steht und die uns mittlerweile seit vielen, vielen Jahren begleitet.

Es ist schon gesagt worden, dass es am 9. September 2016 das Erkenntnis eines Höchstgerichtes gegeben hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat festgestellt, dass diese Besoldungsreform gesetzwidrig und daher nicht anwendbar ist.

Zur Vorgeschichte darf ich ausführen, dass es auf europäischer Ebene im Jahr 2000 eine EU-Antidiskriminierungsrichtlinie gegeben hat und der Europäische Gerichtshof auf Grundlage dieser EU-Antidiskriminierungsrichtlinie im Jahr 2009 in seinem Urteil zur Auffassung gelangt ist, dass die Vordienstzeitenanrechnungen im öffentlichen Dienst altersdiskriminierend seien. Er bezieht sich dabei auf das System, dass Schul- und Ausbildungszeiten vor dem 18. Lebensjahr, also vor dem 18. Geburtstag, nicht als Vordienstzeiten angerechnet wurden, solche nach dem 18. Lebensjahr jedoch schon. Daher ist damals der EuGH zu dieser Auffassung gelangt.

Wir haben im Jahr 2015 im Zuge der Besoldungsreform versucht, den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes zu entsprechen, und ein neues Gehaltssystem geschaffen, in das alle Bundesbediensteten übergleitet wurden.

Man hat also nicht jeden Einzelnen neu berechnet, weil die Gefahr bestanden hätte, dass viele Gewinner und Verlierer erzeugt würden, sondern einfach auf einen fak­tischen Überleitungsbetrag abgestellt. Im Zusammenhang mit dieser Besoldungsreform wurden auch die Bestimmungen zum Vorrückungsstichtag außer Kraft gesetzt.

Daraufhin hat der Verwaltungsgerichtshof gesagt: Das kann der Gesetzgeber nicht so gemeint haben. Man könne nicht alle Gesetzesbestimmungen außer Kraft setzen, weil man ansonsten nicht in der Lage sei, Gehaltsbestandteile vor dem Februar 2015 zu


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überprüfen und zu berechnen. Er kommt zur Schlussfolgerung, dass in unmittelbarer Anwendung des Unionsrechts den Bediensteten drei Jahre an Vordienstzeiten anzurechnen sind.

Das hätte eine massive budgetäre Belastung für die Republik zur Folge. Um eben diese finanziellen Belastungen abzuwenden – das kann man ja auch offen und ehrlich so sagen –, wurde schnellstmöglich eine Sanierung erarbeitet. Es geht nicht um Einsparungen, es geht darum, Mehrkosten und Mehrausgaben, wie sie richtigerweise von Bundesrat Beer angesprochen wurden, abzuwenden.

Wir stehen jetzt vor der Situation, dass wir nun die Besoldungsreform aus dem Jahr 2015 sanieren und auf die Argumente des Verwaltungsgerichtshofes eingehen, der juristisch eine Regelungslücke festgestellt hat, die wir nun zu schließen versuchen. Wir stellen daher explizit klar, dass die Regelungen zum Vorrückungsstichtag weder auf laufende noch auf künftige Verfahren anzuwenden sind. Damit gibt es auch keinen Interpretationsspielraum mehr.

Ich betone und erwähne es nochmals: Ziel dieser Regelungen ist es – offen gestan­den –, die erhebliche finanzielle Belastung in Milliardenhöhe von der Republik abzu­wen­den und dies zu versuchen, ohne dass es zu Verlusten bei einzelnen Bediensteten kommt.

Wir mussten schnell reagieren, weil es sonst zu einer massiven Ungleichbehandlung der Bediensteten gekommen wäre. Ich ersuche um Verständnis, dass wir hier eine schwierige Situation haben. Wir haben eine schwierige Sachlage und wollen keine Verlierer produzieren. Deshalb war es notwendig, diese Sanierung vorzunehmen. Ich kann Ihnen sagen, dass ich als Staatssekretärin für den öffentlichen Dienst eine sehr hohe Wertschätzung für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des öffentlichen Dienstes habe, wir da aber in einer sehr schwierigen Sachlage sind und ich dahin gehend um Verständnis und Zustimmung ersuche. – Danke. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

12.28


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Bevor wir in der Debatte fortfahren, darf ich in unserer Mitte recht herzlich Herrn Bundesminister Dr. Brandstetter begrüßen. – Herz­lich willkommen! (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dr. Reiter. – Bitte.

 


12.28.51

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Frau Präsidentin! Werte Kollegen und Kolleginnen! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Staatssekretärin! Wenn man sich diesen Gesetzwerdungsprozess, die Geschichte dieser Regelung an-schaut, ist es schon ziemlich zum Verzweifeln. – Ich beneide Sie nicht um diese Übernahme, Frau Staatssekretärin. – Wir haben die Reparatur der Reparatur der Reparatur, und wieder ist es sehr zweifelhaft, ob die Sache rechtlich hält. Ausgehend von einem EuGH-Urteil 2009 kam es zum ersten Sanierungsversuch 2010. Er war wieder nicht EU-rechtskonform; dann kam die Systemumstellung im Jahr 2014; im Mai 2015 wurde eine erste Änderung durchgeführt, dann eine zweite Änderung, im Dezember 2015 die dritte. Im Juni, Juli 2016 kam die nächste und jetzt eine weitere.

Nach dieser Serie des Scheiterns, der Probleme und des Versuches, das politisch auszuverhandeln – aber so eine Lösung muss natürlich auch rechtlich halten –, hat die Opposition beantragt, eine Begutachtung durchzuführen, um vielleicht nach einer solchen Begutachtung besser durchzublicken oder das auch entsprechend abzu-sichern. Dies wurde schlicht und einfach mit der Begründung: Da kennt sich eh nie­mand aus, ein konstruktiver Beitrag könnte da ja auch gar nicht kommen!, abge­lehnt.


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 61

Wir lehnen die nun vorliegende Regelung, ab, weil wir für einen solchen Gesetz­gebungsprozess nicht zur Verfügung stehen.

Es sind wirklich seltsame Vorgangsweisen – auch für einen juristischen Laien –, was man erkennt, wenn man sieht, dass die 2015 formulierten Gesetzesparagrafen jetzt, 2016, 60 Jahre rückwirkend in Kraft gesetzt werden müssen, indem wir diesen Vor­rückungsstichtag 60 Jahre rückwirkend aus dem Ganzen entfernen. Gesetze werden so geändert, dass den BürgerInnen, den Betroffenen, ab einem willkürlichen Datum schlicht und einfach nicht mehr erlaubt ist, gegen Fehler von Behörden, die zuvor gemacht wurden, vorzugehen.

Das Ganze stimmt auch insofern ziemlich pessimistisch, wenn man daran denkt, dass im Ausschuss des Nationalrates ein Entschließungsantrag von SPÖ und ÖVP abgestimmt wurde, den es schon vor einem Jahr gegeben hatte, der nichts anderes beinhaltete als die Bitte, dass man mit der Gewerkschaft zu einer Einigung kommt, bevor man an die umfassende Reform des Dienst- und Besoldungsrechts im öffent­lichen Dienst herangeht, ohne weitere Vorgaben dafür.

Wir stehen vor einer umfassenden Reform des Dienst- und Besoldungsrechts. Wie das – in Anbetracht dessen, was man mit diesen eigentlich geringfügigen Änderungen und in einem für den Staat immens wichtigen und tragendenden Bereich erreichen wollte – zu einem positiven Ende oder zu einer positiven Entwicklung geführt werden soll, ist fast unvorstellbar.

Wir hoffen also, dass es zu einem Umdenken insofern kommt, als dass es wahrschein­lich notwendig ist, auch die Parlamente und alle Gruppen wesentlich stärker einzu­binden, um im Zusammenwirken und in der Kooperation aller Betroffenen zu tragfä­higeren Resultaten zu kommen, als das hier der Fall ist. Wir werden also dieses Gesetz ablehnen. (Beifall bei den Grünen.)

12.33


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Oberlehner. – Bitte.

 


12.33.22

Bundesrat Peter Oberlehner (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Präsidium! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Werte Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Lieber Kollege Herbert, ich habe mir nicht erwartet, dass du gerade heute – da ist Weihnachten noch zu weit weg, auch wenn die Adventmärkte schon stehen – großes Verständnis dafür aufbringen wirst, dass es sich bei dieser leidigen Sache um eine doch sehr komplexe und sehr schwierige Materie handelt, vor allem wenn man die Rahmenbedingungen dazu auch realistisch einschätzt und betrachtet.

Es soll eine Lösung gefunden werden, die allen rechtlichen Vorgaben grundsätzlich standhält und entspricht, die möglichst – oder wenn möglich – zu 100 Prozent gerecht sein soll, die letztlich aber auch sehr günstig sein sowie die Republik nicht allzu viel Geld kosten soll und die vor allem auch dafür stehen soll, dass es keine Nachteile für einzelne Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst gibt.

Ich gehe auch davon aus, dass es sicherlich keine Nachteile geben wird. Dafür wird am Ende des Tages die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst gemeinsam mit dem Dienstgeber ganz sicher sorgen.

Festhalten muss man auch Folgendes – wie von Kollegen Beer entsprechend aus­geführt –: Es geht nicht darum, etwas nicht zu bekommen, sondern um zusätzliche Ausgaben, die entstehen würden, und wenn wir – also alle öffentlich Bediensteten – ehrlich sind, dann waren wir, als wir begonnen haben und seinerzeit den Dienstvertrag unterschrieben haben, mit den damaligen gesetzlichen Bestimmungen – auch mit


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denen betreffend den Vorrückungsstichtag und dessen Anrechnung – einverstanden. Die jetzige Diskussion hat ganz andere Ursachen. Daher glaube ich auch, dass man hier letztlich vernünftige Lösungen finden und anstreben soll.

Das alles sage ich hier sowohl als Bürgermeister und damit Dienstgebervertreter als auch als Funktionär der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst. Je mehr Geld diese Rege­lung am Ende des Tages kosten wird, je mehr Geld sie verschlingen wird, desto mehr wird dieses Geld im System des öffentlichen Dienstes wieder fehlen und genau dort eingespart werden müssen. Wir werden dann vielleicht viel wichtigere Maß­nahmen als jene, um den Vorrückungsstichtag der einzelnen Kollegen zu verbessern, nicht treffen können, weil das notwendige Geld leider fehlen wird, denn das Geld wird nicht mehr werden, egal, wie diese Regelung am Ende des Tages aussieht.

Nur zu sagen, wie schlecht wieder alles gemacht wird oder wie unfähig hier gearbeitet wird, halte ich daher für nicht ausreichend. Es wäre wirklich besser, wenn sich alle, die sich in diesem System auskennen oder auskennen sollten, mit möglichst guten Vor­schlägen und mit der Unterstützung derer, die das umzusetzen haben, einbringen, sodass wir vielleicht wirklich eine gemeinsame und letztlich gute Lösung finden. Es bestreitet, glaube ich, niemand, dass das nicht leicht ist. Das wissen wir inzwischen alle.

Schon gar nicht sollte man – und das halte ich für sehr wichtig – den Kolleginnen und Kollegen gegenüber große Erwartungen wecken, denn das ist in dieser Frage völlig kontraproduktiv. Ich glaube, man sollte da wirklich bemüht sein, dass die Kirche im Dorf bleibt und ein vernünftiger Zugang gesucht wird, um die Frage der Regelung insgesamt gut zu lösen.

Natürlich wäre es auch mir – und sicher uns allen, die wir hier versammelt sind – lieber, wenn dieses Thema nun nicht schon zum dritten Mal zu beraten und letztlich auch zu beschließen wäre, aber manchmal sind die Dinge – und das ist auch nichts Neues – schwieriger, als es uns allen lieb ist und wir alle glauben.

Durch ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs – das wurde schon gesagt – ist nun diese neuerliche Reparatur notwendig geworden. Es bleibt die Hoffnung, dass es nicht irgendwann noch einmal notwendig wird, das zu reparieren. Ich möchte jedenfalls auch einmal das Bemühen aller Beteiligten, diesbezüglich eine gute und vernünftige Lösung zu finden, herausstreichen. Es gehört einmal gesagt, dass hier ein großes Bemühen, eine gute Lösung zu finden, gegeben ist. Ob es am Ende des Tages reichen wird, ob es wieder eine oder mehrere Klagen geben wird und wie diese ausgehen, wissen wir alle nicht. Wir hoffen aber, dass es vielleicht mit der jetzigen Maßnahme doch wieder einen Schritt gibt, der zur Beendigung dieser leidigen Sache führt.

Der beschlossene Entwurf für ein Besoldungsrechtsanpassungsgesetz stellt nun klar, dass die neuen Regelungen auch für Sachverhalte, die vor der Besoldungsreform 2015 liegen, anwendbar sind. Damit sollte klar geregelt sein, wie auch mit alten Beschwer­den, also jenen, die vor der Reform, vor dem Jänner 2015, eingebracht wurden, umzu­gehen ist.

Mindestens so wichtig, wenn nicht sogar viel wichtiger als die Lösung dieses leidigen Problems erscheint mir aber, dass gleichzeitig mit einer Entschließung der Wunsch nach einer umfassenden Reform des Dienst- und Besoldungsrechts für den gesamten öffentlichen Dienst, für den Bundesdienst, bekräftigt und damit auch die im aktuellen Regierungsprogramm vorgesehene Modernisierung des Dienstrechts wieder einmal nachdrücklich eingefordert wurden.

Ein modernes, eigenständiges und einheitliches Dienstrecht soll dabei das Ziel sein. Auch die Konkurrenzfähigkeit des Dienstgebers Bund am Arbeitsmarkt soll damit für


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die Zukunft entsprechend abgesichert werden. Ähnlich wie es ja bereits in vielen Bundesländern Österreichs geschehen ist – unter anderem auch bei uns in Ober­österreich, wir haben schon vor Langem ein neues Dienst- und Besoldungsrecht geschaffen –, soll es auch beim Bund dazu kommen, dass es eine Neuausrichtung der Besoldungskurve gibt. Das heißt die Besoldungskurve soll verflacht werden, höhere Anfangsbezüge und niedrigere Endbezüge sollen dabei das Ziel sein. Durch solche höheren Anfangsbezüge sollen die jungen Leute, die in den öffentlichen Dienst kommen – die beim Bund anfangen –, von Beginn an eine etwas bessere Bezahlung haben, was sich aber durch die verflachte Kurve in der Lebensverdienstsumme auch wieder ausgleicht.

In Oberösterreich haben wir das vor circa zehn Jahren umgesetzt, auch andere Bun­desländer haben das umgesetzt, und ich kann nur sagen, dass das überall sehr gut funktioniert und seine Wirkung hat. Ich denke, man sollte es tatsächlich auch beim Bund möglichst rasch in Angriff nehmen.

Bereits im Zuge der Beschlussfassung der Besoldungsreform 2015 hat ja der National­rat die Bundesregierung mittels Entschließung aufgefordert, die Verhandlungen mit der GÖD zur Reform des Dienst- und Besoldungsrechts aufzunehmen, was nunmehr neuerlich bekräftigt wird. Ich darf nur sagen, das sollten wir auch hier festhalten, dass das eine ganz wichtige Forderung an die Bundesregierung ist. Es sollte dringend in Angriff genommen werden, hier eine Neuerung zu schaffen.

Auch seitens der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst gibt es ja dazu mehrfach Äußerun­gen, dass man sich eine Reform des Dienst- und Besoldungsrechts in dieser Form wünscht – dies vor allem auch deshalb, weil ein attraktives Dienstrecht dringend notwendig ist, um auch in Zukunft die besten Köpfe für den öffentlichen Dienst zu finden und damit auch in Zukunft die Qualität unserer Verwaltung zu garantieren.

Dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates über das Besoldungsrechts­anpas­sungs­gesetz werden wir seitens meiner Fraktion auf alle Fälle die Zustimmung erteilen. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

12.40

12.41.00

Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Die Debatte ist geschlos­sen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den gegenständlichen Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist angenommen.

12.41.324. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 9. November 2016 betreffend ein Bundesge­setz, mit dem die Exekutionsordnung, das Gerichtsgebührengesetz, das Gericht­liche Einbringungsgesetz und das Vollzugsgebührengesetz geändert werden (Exekutionsordnungs-Novelle 2016 – EO-Nov. 2016) (1294 d.B. und 1306 d.B. sowie 9655/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Nun gelangen wir zum 4. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Anderl. Ich bitte um den


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Bericht.

 


12.42.04

Berichterstatterin Renate Anderl: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Ich bringe den Bericht über den Beschluss des Nationalrates vom 9. Novem­ber 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem die Exekutionsordnung, das Gerichts­gebührengesetz, das Gerichtliche Einbringungsgesetz und das Vollzugsgebührenge­setz geändert werden – Exekutionsordnungs-Novelle 2016.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor; ich komme daher gleich zur Antrag­stellung.

Der Justizausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 15. November 2016 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des National­rates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. Fürlinger. – Bitte.

 


12.42.57

Bundesrat Mag. Klaus Fürlinger (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Minister! Hohes Präsidium! Die gegenständliche Novelle der Exekutionsordnung ist eigentlich eine rein technische. Vorweg noch einmal ganz kurz, was die Exekutionsordnung beinhaltet: Wenn mir jemand etwas schuldet, ich einen gerichtlichen Titel – ein Urteil, einen Beschluss oder anderes – erworben habe und der Schuldner nach wie vor nicht bezahlt, so steht mir die Möglichkeit zu, diesen Vollzug, die Exekution, zu beantragen, dass Gegenstände oder auch laufende Einkommen bis zu einer gewissen Höhe gepfändet werden.

Es gibt jetzt im vereinfachten Bewilligungsverfahren, wie das heißt, einige Änderungen. Es fällt eine Kalendierungsfrist weg. Es fällt die schwierige Aufgabe für Unternehmen, die Exekutionsschuldner angestellt haben, weg, die Zusammenrechnung der verschie­denen Bezüge vorzunehmen. Das alles sind sehr detaillierte technische Dinge, die allerdings für einige Bevölkerungsgruppen, insbesondere jene, die Exekution bean­tragen, oder die Unternehmen, die damit umzugehen haben, nicht unerhebliche Erleich­terungen mit sich bringen.

Letztendlich ist es auch noch so, dass eine internationale Komponente vorhanden ist, die bedeutet, dass mit einem ausländischen Titel jetzt sofort vor einem österreichi­schen Gericht Exekution geführt werden kann. Wenn es auf Gegenseitigkeit beruht, ist es in Ordnung. In der praktischen Auswirkung – einerseits glaube ich nicht, dass wir davon die Mehrheit der Fälle haben werden, und zum Zweiten wird es auch noch spannend werden, wie wir dann mit diesen ausländischen Titeln in Rechtsmittel­ver­fahren umgehen werden.

Insgesamt ist die Novelle in dieser Form aber zu begrüßen, und ich ersuche um Zustimmung. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

12.44


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Kurz. – Bitte.

 


12.44.51

Bundesrätin Mag. Susanne Kurz (SPÖ, Salzburg): Frau Präsidentin! Herr Bundes­minister! Ja, mein Kollege Fürlinger hat schon darauf hingewiesen, worum es da eigent­lich geht.

Ich möchte nur ganz kurz den Punkt dieser vorläufigen Kostenpfändung erwähnen, die dann möglich sein wird, und zwar auf Antrag des Gläubigers. Das Einzige, was ich


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mich frage – auch wenn es nicht zu vielen Fällen kommen wird, wie wir im Ausschuss gehört haben –, ist einfach, ob da nicht auch eine gewisse Unsicherheit bestehen kann, weil natürlich die Rechtssysteme nicht in allen Ländern so super sind wie unser Rechtssystem in Österreich.

Die Frage ist halt, ob man so einen Titel nicht in einem anderen Land vielleicht leichter erwirken kann, als es in Österreich der Fall sein könnte, und dann quasi jemand ohne Zugriff auf sein Konto dasteht und eigentlich im ersten Augenblick auch nichts dagegen tun kann. Ich denke also, da sollte man vielleicht auch auf europäischer Ebene noch einmal schauen, ob das wirklich überall so gehandhabt wird, wie wir uns das nach unserem österreichischen Rechtssystem vorstellen.

Ansonsten, denke ich, ist nichts Negatives daran zu finden. Wir stimmen der Novelle natürlich gerne zu. – Danke. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

12.46

Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Schererbauer. – Bitte.

 


12.46.15

Bundesrat Thomas Schererbauer (FPÖ, Oberösterreich): Frau Präsidentin! Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Bei der Exekutionsordnungs-No­velle 2016 geht es zum einen um eine Verbesserung der Effizienz des Rechtsschutzes und um eine Verfahrensvereinfachung bei der Gehaltsexekution. Zum anderen geht es im Bereich der Fahrnisexekution um eine Effizienzsteigerung des Vollzuges und um eine Verkürzung der Vollzugszeit.

Die Novelle umfasst eine Reihe von Maßnahmen, die – ich nenne es einmal so – nicht von einer großen Ausbreitung sind. Wir haben bereits Novellen in diesem Haus gehabt, die wesentlich größer ausgerichtet waren, die einen wesentlich größeren Umfang geboten haben. Dennoch sage ich auch dazu, man darf die Auswirkungen dieser Novelle in keiner Weise unterschätzen. Warum? – Weil es sehr viele Menschen trifft.

Das kann man mit ein paar Zahlen belegen. Wir haben in Österreich in Hinblick auf die Zahl der Exekutionen jährlich etwa 810 000 Fahrnisexekutionen, die beantragt werden. Wir haben jährlich etwa 660 000 Gehalts- beziehungsweise Forderungsexekutionen, die bei österreichischen Gerichten beantragt werden. Noch drastischer formuliert sind das täglich etwa 3 000 Exekutionsanträge hinsichtlich des Gehalts und von Forde­rungen und etwa 3 700 Fahrnisexekutionsanträge.

Eine Änderung, die ich als sehr positiv erachte, ist der Wegfall der 14-Tage-Frist im vereinfachten Bewilligungsverfahren. Das wirkt sich sicher sehr entlastend für die Mitarbeiter in den Kanzleien aus, da diese Frist mit dem Ergebnis wegfällt.

Lassen Sie mich noch kurz auf die justizeigene Internetplattform zu sprechen kommen! Es ist hier festzustellen, dass diese Internetplattform beziehungsweise Versteigerungs­plattform einer qualifizierten Öffentlichkeit doch noch ziemlich unbekannt ist. Wenn man damit in Zukunft erfolgreich sein möchte, dann braucht es dazu gezielte Werbe­maß­nahmen und in weiterer Folge auch finanzielle Mittel. Wir wissen aber auch, dass wenig Geld zur Verfügung steht. Dann wird der Erfolg dieser justizeigenen Versteige­rungsplattform wahrscheinlich aber doch eher bescheiden sein. Bei unseren deutschen Nachbarn funktioniert das meines Wissens schon etwas besser.

Angesichts der Ausführungen meiner Vorredner möchte ich nicht näher auf gewisse Themen eingehen. Insgesamt können wir sagen, dass diese Novelle in sich schlüssig ist, dass sie den gestellten Anforderungen durchaus gerecht wird, auch wenn sich die Veränderungen in einem durchaus überschaubaren Rahmen halten. In ihrer Gesamt-


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heit ist sie doch sehr gelungen, und wir werden dieser Novelle unsere Zustimmung erteilen. – Danke schön. (Beifall bei FPÖ, ÖVP und SPÖ.)

12.49


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Dr. Brandstetter. – Bitte, Herr Bundesminister.

 


12.49.13

Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren im Bundesrat! Ich möchte nur einige Bemerkungen zu dem machen, was bereits gesagt worden ist.

Kern dieser Exekutionsordnungs-Novelle ist die Begleitregelung zur Europäischen Kontenpfändungsverordnung. Der wesentliche Fortschritt ist eigentlich auch ein wichtiger weiterer Schritt in der Schaffung dessen, wofür die Europäische Union steht, nämlich ein einheitlicher Raum der Freiheit, des Friedens, der Sicherheit und des Rechts. In dem Bereich macht der Ausbau der Rechtsvereinheitlichung auch wirklich Sinn, denn innerhalb der Europäischen Union können jetzt auch österreichische Gläu­biger auf die Konten von Schuldnern, die sich in anderen EU-Staaten befinden, zugreifen.

Das ist eine sinnvolle Rechtsvereinheitlichung. Die kommt auch dem einzelnen Gläu­biger zugute, und das ist sicherlich sinnvoller als die Rechtsvereinheitlichungen in an­deren Bereichen, die vielleicht nicht so notwendig waren – aber Sie wissen, was ich damit meine. In dem Bereich macht es Sinn, und ich bin froh darüber, dass wir das so umsetzen können.

Es ist auch richtig, wenn gesagt wird: Wir müssen da schon auch aufpassen, dass es von den rechtlichen Standards her nicht so große Unterschiede in diesem Rechtsbe­reich zwischen den einzelnen Staaten der Europäischen Union gibt, damit nicht mit vergleichsweise geringfügigen Anforderungen auch Vermögenswerte von vermeint­lichen österreichischen Schuldnern hier in Österreich gepfändet werden können. Da kann ich beruhigen: Das Problem ist auch auf Ebene der Europäischen Union bewusst, und wir sehen da derzeit nicht wirklich Probleme. Wenn es da Probleme gäbe, dann könnte man auch Abhilfe schaffen. Das Bewusstsein für dieses Problem ist da.

Ich bin auch dankbar dafür, dass hier erwähnt wurde, dass wir im Schnitt täglich mit 3 000 Gehaltsexekutionen zurechtkommen müssen, mit einer unglaublich großen Zahl von Fahrnisexekutionen. Das zeigt nur, wie viel auch im Bereich der Justiz bei den Exekutionsverfahren geleistet werden muss und wie groß der Arbeitsdruck ist. Daher ist es gut, dass wir das auch zum Anlass genommen haben, wirklich Erleichterungen bei der Lohnpfändung für die Arbeitgeber, für die Betriebe zu schaffen. Auch der Kostenersatz für Drittschuldnererklärungen wird jetzt valorisiert.

Auch das ist sinnvoll, denn auch hier zeigt sich im Kleinen ein Grundsatzproblem, das wir auch in anderen Bereichen haben. Dieser Kostenersatz wurde seit der EU-Exe­kutionsordnungs-Novelle 2000 nicht mehr angepasst, also seit 16 Jahren. Das ist nicht in Ordnung, und es gibt in anderen Bereichen ähnliche Probleme. Ich wollte nur, dass Sie das wissen und dass Sie wissen, dass uns das Problembewusstsein dafür nicht fehlt.

Letzter Punkt – auch das ist erwähnt worden –: unsere justizeigene Internet-Verstei­gerungsplattform. Ja, es ist richtig, da braucht es Verbesserungen, die wir jetzt ver­suchen, auch mit dieser Regelung einmal im ersten Schritt umzusetzen. Wir kommen mit unserer Versteigerungsplattform nicht ganz in die Nähe dessen, was Private hier schon zu leisten vermögen und vor allem auch an Attraktivität für die Kunden, für die Konsumenten, für die Interessenten erreichen.


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 67

Ja, ich bin froh darüber, dass wir das jetzt auch in dem Bereich einmal verbessern kön­nen, denn – wenn ich das so sagen darf – in diesem Bereich will ich etwas Besseres haben. Wir werden es mit dieser Versteigerungsplattform auch bekommen! Es wird eine Verbesserung geben.

Wenn ich das noch erwähnen und die Gelegenheit nutzen darf: Wir haben in diesem Bereich, auch unter Zuhilfenahme von externen Privatunternehmen, wirklich auch noch einiges vor. Es wird eine weitere Plattform geben, www.jailshop.at, um auch online über das Internet Produkte aus dem Strafvollzug erwerben zu können. Es wird nur noch ein paar Wochen dauern, dann ist auch das online, auch mit einer sehr attrak­tiven Marketingstrategie, wenn Sie so wollen. Es ist uns also bewusst, da ist noch einiges zu holen, und das, was da noch zu holen ist, um die Attraktivität auch für die Interessenten zu steigern, das holen wir auch.

Ich bin froh darüber, wenn ich dafür ein bisschen Werbung machen darf. Sie wissen – das ist auch erwähnt worden –, da braucht es ein bisschen Marketing, da braucht es einen entsprechenden Einsatz von Mitteln. Wir haben keine Inseratenbudgets – haben wir nicht, machen wir nicht! –, und daher bin ich froh darüber, wenn ich hier Werbung auch für unsere künftigen Plattformen im Internet machen darf. Nicht vergessen: www.jailshop.at! Bald sind wir so weit, und ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

12.53

12.53.53

Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Die Debatte ist geschlos­sen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den gegenständlichen Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist angenommen.

12.54.215. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 9. November 2016 betreffend ein Bundes­ge­setz, mit dem das Rechtspflegergesetz geändert wird (1295 d.B. und 1308 d.B. sowie 9656/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gelangen nun zum 5. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist wieder Frau Bundesrätin Anderl. – Bitte um den Bericht.

 


12.54.46

Berichterstatterin Renate Anderl: Ich bringe den Bericht des Justizausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 9. November 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Rechtspflegergesetz geändert wird.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor; ich komme daher gleich zur Antrag­stellung.

Der Justizausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 15. November 2016 mit Stim­meneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des National­rates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. Fürlinger. – Bitte.

 



BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 68

12.55.31

Bundesrat Mag. Klaus Fürlinger (ÖVP, Oberösterreich): Hohes Präsidium! Sehr geehrter Herr Minister! Noch ein kurzer Beitrag aus dem Bereich Justiz. Wenn wir Wertgrenzen definieren, dann definieren wir Zuständigkeiten der Gerichte, aber auch Zuständigkeiten innerhalb der Gerichte: ob ein Rechtspfleger den Akt allein bearbeiten kann, ob der Richter mit dabei sein muss.

Diese Wertgrenzen-Thematik, ob ein Bezirksgericht zuständig ist, ob ein Landesgericht zuständig ist, ist eine sehr vielschichtige. Die Wertgrenzen sind in den letzten Jahren öfters angepasst worden, vor allem, was die Gerichtszuständigkeit betrifft. Sie sind auch etwas volatiler geworden, flexibler geworden, und zwar insofern, dass wir eigent­lich in einem Controlling stets prüfen müssen und auch prüfen: Wo sind welche Fall­zahlen? Wie hoch sind sie?

Es ist ja nicht so, dass das automatisch geht. Wenn man heute sagt, Fälle bis 10 000 € sind dort und solche über 10 000 € sind dort, und wenn man dann diese Wertgrenze auf 15 000 € verschiebt, heißt das ja nicht automatisch, dass proportional gleich um so viel mehr anfällt als bisher. Es ist daher auf Basis der jetzigen Fallzahlen geboten gewesen, im Rechtspflegergesetz die Wertgrenzen zu verschieben.

Man wird das weiter beobachten müssen, und im Sinne des Controllings auch so, dass es hier nicht an gewissen Stellen zu Überforderungen kommt und an gewissen Stellen, auch im Hinblick auf den Personalstand und die Personalentwicklung innerhalb der Justiz, zu Negativentwicklungen kommt. Dieser jetzige Ansatz ist eine Reaktion auf das Monitoring und Controlling der Fallzahlen, und in diesem Fall bitte ich daher auch um Annahme des Antrags. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

12.57


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Kurz. – Bitte.

 


12.57.28

Bundesrätin Mag. Susanne Kurz (SPÖ, Salzburg): Frau Präsidentin! Herr Bundes­minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Über die Erhöhung der Wertgrenzen hat mein Kollege Fürlinger schon ausführlich gesprochen. Ich beschränke mich daher auf die zukünftige Aufgabenteilung zwischen den Rechtspflegerinnen und Rechtspflegern und den Richterinnen und Richtern, die sicher sinnvoll und auch im Sinne der Effizienz eines zielgerichteten Personaleinsatzes zu begrüßen ist.

Ich denke, das ist auch dringend erforderlich – wir haben ja gerade auch gehört, wie hoch das Arbeitsvolumen nur in einer einzigen Sache ist –, und es dient auch dazu, die Richterinnen und Richter zu entlasten. Die Rechtspfleger und Rechtspflegerinnen leisten ja einen wirklich wesentlichen Beitrag zum Funktionieren des Justizwesens, vor allen Dingen auch in den Bereichen Grundbuchrecht, Firmenbuchrecht, in vielen anderen Bereichen, wie wir gehört haben: Exekutionssachen, Insolvenzangelegen­heiten, Verlassenschaftsverfahren, Kindschaftsrecht, Sachwalterschaftsangelegenhei­ten und vieles mehr.

Ziel ist es dabei natürlich auch, überlange Verfahrensdauern hintanzuhalten, was gera­de bei bezirksgerichtlichen Verfahren, bei familienrechtlichen Entscheidungen manch­mal wirklich dramatisch sein kann, vor allen Dingen dann, wenn Unterhaltsberechtigte zu lange auf Entscheidungen warten müssen, denn das hat ja nicht nur Folgen, die sozusagen physisch merkbar sind – dass sie kein Geld haben –, sondern auch psychische Auswirkungen und somit natürlich auch soziale Folgewirkungen.

Wir begrüßen diese Novelle ausdrücklich, nicht nur eben im Hinblick auf diese Ab­gren­zung der Zuständigkeiten zwischen den Richterinnen und Richtern und den Rechts-


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 69

pflegerinnen und Rechtspflegern, sondern auch, was die vorgenommenen und vorzu­nehmenden Anpassungen der Wertgrenzen betrifft. – Danke schön. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

12.59


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Nunmehr zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Meißl. – Bitte.

 


12.59.36

Bundesrat Arnd Meißl (FPÖ, Steiermark): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minis­ter! Hohes Haus! Das Rechtspflegermodell ist ja an sich schon ein Erfolgsmodell der österreichischen Justiz. Das kann man, glaube ich, so sagen, und da sind wir alle in diesem Haus uns auch einig. Es ist auch die vorliegende Novelle in allen Bereichen nur begrüßenswert und zu unterstützen. 

Kollege Fürlinger hat es gesagt, Anpassungen sind immer wieder durchgeführt worden, in manchen Bereichen, glaube ich, sind die letzten Anpassungen schon länger her. Wenn man sich die Zahlen anschaut, sieht man Zahlensprünge von 50, 75 Prozent, die einen im ersten Moment schrecken, aber wenn man genau hinschaut, dann sieht man, dass Zahlen oder Wertgrenzen seit 2001 nicht mehr erhöht wurden. Es wurde auch ein Vorgriff auf die kommenden Jahre gemacht, was durchaus gescheit ist.

Als Anregung: Man könnte durchaus alle Bereiche so abdecken, dass bei Über­schrei­ten bestimmter Geldentwertungsgrenzen – das kann im Bereich von 10 000 € liegen – automatisch die Zuteilung vom Richter weg hin zu den Rechtspflegern geht. So könnten wir uns in Zukunft diese Beschlüsse sogar ersparen.

Grundsätzlich stimmen wir dieser Novelle inhaltlich natürlich zu. Eine Gefahr ist allerdings schon gegeben, das zeigen Stellungnahmen verschiedener Landesgerichte oder der Diplomrechtspfleger sehr wohl: Es gibt eine Stellungnahme des Oberlandes­ge­richtes Graz, das darauf hinweist, dass bereits jetzt ein Fehlbestand von 58 Diplom­rechts­pflegern gegeben ist. Aufgrund der Erweiterung des Zuständigkeitsbereiches, der sich durch die massive Erhöhung der Wertgrenzen ergibt, meint das Oberlan­desgericht Graz, dass zwangsläufig ein weiterer Bedarf an Rechtspflegern gegeben ist. Die Auslastung beträgt dort teilweise schon 125 Prozent, da muss man aufpassen, dass man die Mitarbeiter, die man zur Verfügung hat, nicht ausbrennen lässt und somit vielleicht aus dem Arbeitsprozess drängt.

Es schlägt übrigens auch das Oberlandesgericht Innsbruck in dieselbe Kerbe, ebenso die Diplomrechtspfleger aus Salzburg oder auch die Vereinigung der Diplom­rechts­pflegerinnen und Diplomrechtspfleger Österreichs, die sagt: „Es muss jedoch (vor allem im Außerstreitbereich) auch in personalpolitischer Hinsicht der quantitativen Kom­petenzerweiterung Rechnung getragen werden.“ Das ist doch recht eindeutig und das sind doch zahlreiche Einwände, die in diesem Bereich gekommen sind.

Wenn ich mich recht entsinne, haben Sie, Herr Bundesminister, auch in der großen Kammer dieses Hauses Ihre Sympathie für die Rechtspfleger erkennen lassen und gesagt, dass Sie in dieser Hinsicht gerne etwas unternehmen würden. Sie haben das Hohe Haus gebeten, Sie dabei zu unterstützen. Unsere Unterstützung haben Sie natürlich, wir sind gerne bei Ihnen, aber ich ersuche dich, lieber Edgar Mayer, als Fraktionsvorsitzenden: Vielleicht kannst du deinem Finanzminister den einen oder anderen Euro abringen, den zusätzliche Planstellen erfordern (Zwischenruf des Bundesrates Mayer), die dann allerdings das Bundeskanzleramt schaffen muss.

Man muss aufpassen, dass man durch diese Verschiebungen nicht eine bestimmte Gruppe entlastet, aber eine andere Gruppe überfordert und dann vor einem neuen Problem steht.


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 70

Das Gesetz findet grundsätzlich unsere Zustimmung. Ich möchte Ihnen, Herr Minister, noch dafür danken – das ist in allen Rückmeldungen erwähnt worden –, dass Sie – im Unterschied zur Vorgehensweise bei einem Tagesordnungspunkt, den wir zuvor behandelt haben – auf die Leute zugehen und mit allen Interessengruppen das Ge­spräch suchen. Dann kommt eben heraus, dass es in bestimmten Materien Einstim­migkeit gibt, und so soll es sein. Mein persönlicher Dank dafür an Sie, Herr Minister. – Danke schön. (Beifall bei der FPÖ sowie des Bundesrates Mayer.)

13.03


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrätin Mag. Dr. Dziedzic. – Bitte, Frau Kollegin.

 


13.03.44

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Bundes­minis­ter! Wertes Präsidium! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Wie wir schon gehört haben, geht es um die Kompetenzaufteilung und um die Verschiebung der Kompetenzen, die sich an den Wertgrenzen festmachen lassen.

Nicht nur die Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter, die Vereini­gung der Diplomrechtspflegerinnen und Diplomrechtspfleger Österreichs, der Rech­nungs­hof oder die Rechtsanwaltskammer begrüßen das, sondern auch wir Grünen.

In aller Kürze: Es ist für uns aber nur ein erster Reformschritt. Es wurde schon von meinen Vorrednern und -rednerinnen angesprochen, dass wir uns ganz genau an­sehen müssen, was das für die Planstellen beziehungsweise für die Arbeitsverdichtung bedeutet, denn wir wissen: Je mehr Kompetenzen die Rechtspfleger und Rechts­pflegerinnen in Zukunft haben werden, desto mehr kann das natürlich dazu führen, dass sie mehr Arbeitsaufwand haben. – Das ist der erste Punkt, den ich unterstreichen möchte.

Der zweite Punkt betrifft vor allem die Stellungnahme der Vereinigung der Diplom­rechts­pflegerinnen und Diplomrechtspfleger, die eine Aufwertung in der Ausbildung, sprich eine Ausbildung auf Fachhochschulniveau anregen. Auch in diesem Punkt sind wir Grünen der Meinung, dass es durchaus überlegenswert wäre, im nächsten Schritt genau diese Aufwertung in der Ausbildung anzugehen.

Im Großen und Ganzen gibt es aber auch unsererseits eine Unterstützung für diese Reform. – Danke. (Beifall bei den Grünen, bei Bundesräten der ÖVP sowie des Bundesrates Todt.)

13.05


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Herr Bundesminister Dr. Brandstetter gelangt als Nächster zu Wort. – Bitte, Herr Minister.

 


13.05.44

Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da kann ich meine Ausführungen jetzt sehr kurz fassen: Ich möchte mich allem anschließen, was hier gesagt wurde. Ich kann insofern beruhigen, als die mit dieser Regelung vorgesehenen Verschiebungen der Kompetenz im Wesentlichen auf den Valorisierungen der Wertgrenzen beruhen und nicht derart große Auswirkungen haben, dass man dadurch unmittelbaren Planstellenbedarf ausgelöst hätte.

Generell muss man sagen, die Auslastung der Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger ist sehr hoch, ja, das ist richtig. Auch deshalb schätze ich diesen Berufsstand, den es ja nicht in jedem Land gibt, sehr. Es ist ein wirklich sehr, sehr tüchtiger Berufsstand, den wir da haben. Ich bin auch der Meinung, dass wir langfristig, auch was die


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Ausbildung betrifft, diese Aufwertung entsprechend umsetzen sollten. Es ist diese Regelung tendenziell eine Aufwertung für die Rechtspfleger, und ich denke, diese Entwicklung sollte auch noch fortsetzbar sein.

Wenn es einmal dazu kommen könnte, dass wir den Rechtspflegern wirklich inhaltlich neue Materien als Kompetenz zuweisen, dann ist klar, dass es jedenfalls auch Änderungen in der Planstellenzuweisung bräuchte. Das ist allgemein bekannt, das liegt auch nicht unmittelbar in meinem Bereich, aber ich möchte schon sagen, dass ich gerade bei den Rechtspflegern ein offenes Ohr dafür habe, wenn es Auslastungen gibt, die nicht nur kurzfristig, sondern mittelfristig zu Problemen führen können.

Die Auslastung von 125 Prozent, die hier genannt wurde, ist eine sehr hohe. Ich möchte aber nicht unerwähnt lassen, dass das eine Auslastung nach unserem Be­wertungs- und Berechnungssystem ist, die nicht ganz ungewöhnlich ist. Sie finden Auslastungen von deutlich über 100 Prozent in der Justiz öfter. Das wollte ich nur einmal gesagt haben. Wir verfolgen das immer sehr genau in beide Richtungen, und wann immer wir sehen, dass es Spitzen gibt, die nicht nur kurzfristig erklärbar sind – so etwas gibt es auch immer wieder –, dann wollen wir uns das schon genau anschauen.

Insgesamt bin ich daher froh darüber, dass es nicht nur zu diesem Gesetz, sondern letztlich auch zum Berufsstand der Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger so viel Zustimmung gibt, dass wir uns alle darüber einig sind, dass es sich bei dieser Berufsgruppe um sehr, sehr tüchtige Bedienstete der Justiz handelt und dass das auch entsprechend anerkannt werden kann und muss. Das ist für mich keine Frage. – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

13.08

13.08.14

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Die Debatte ist geschlos­sen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den gegenständlichen Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist angenommen.

Wir dürfen in unserer Mitte nun Herrn Bundesminister Dr. Wolfgang Sobotka begrüßen. Herzlich willkommen! (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Gestatten Sie mir – bevor ich mit der Tagesordnung fortfahre –, zu sagen, dass bei uns am Präsidium die Erklärung des österreichischen Bundesrates zur Lage in der Türkei aufliegt. Es haben noch nicht alle Bundesräte unterschrieben, und ich weise auf die Möglichkeit hin oder ersuche, das am Präsidium nachzuholen. – Danke.

13.09.236. Punkt

Sicherheitsbericht 2015 (III-594-BR/2016 d.B. sowie 9662/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gelangen nun zum 6. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Mag. Fürlinger. – Ich ersuche um den Bericht.

 


13.09.51

Berichterstatter Mag. Klaus Fürlinger: Hohes Präsidium! Sehr geehrte Herren Minis­ter! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für innere Angelegenheiten über den Sicherheitsbericht 2015.


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 72

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor.

Der Ausschuss für innere Angelegenheiten stellt nach Beratung der Vorlage am 15. November 2016 den Antrag, den Sicherheitsbericht 2015 zur Kenntnis zu nehmen.

 


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Herbert. – Bitte, Herr Kollege.

 


13.10.27

Bundesrat Werner Herbert (FPÖ, Niederösterreich): Frau Präsidentin! Meine ge­schätzten Herren Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Sicherheitsbe­richt 2015 ist, wenn man ihn oberflächlich betrachtet, in seiner Darstellung tatsächlich nicht so schlecht.

Wir haben eine gesunkene Gesamtkriminalität, im internationalen Vergleich eine moderate, gute Aufklärungsquote. Wenn man aber ein bisschen hinter die Kulissen schaut, dann sieht man schon, dass es einige Teilbereiche gibt, wo eigentlich hohe Steigerungsraten zu verzeichnen sind. Das mag teilweise daran liegen, dass es im internationalen Spannungsverhältnis der Kriminalität auch Auswirkungen in Österreich gibt, das liegt aber auch daran, dass wir nicht zuletzt mit den Polizeiposten­schließun­gen im vergangenen Jahr auch die eine oder andere Lücke geschaffen haben, wo wir noch nicht nachgebessert haben. Dazu komme ich aber später im Detail.

Sehen wir uns diesen Sicherheitsbericht an, so stellen wir fest, es gibt in den Steige­rungsfällen doch interessante Entwicklungen, zum Beispiel ist Cybercrime um 11,6 Pro­zent gestiegen. Das ist eine nicht unwesentliche Steigerung gerade in einem Segment, das einen immer höheren Stellenwert bekommt, nicht nur betreffend Krimi­nalität, sondern auch im privaten Bereich. Rasant steigende Verbrechenszahlen bedeuten einen klaren Aufholbedarf in diesem Bereich!

Im Bereich der Suchtmittel gab es einen Anstieg um fast 26 Prozent, und auch im Bereich der Banknotenfälschungen war ein Anstieg von 71,4 Prozent gegenüber 2014 zu bemerken – ein Umstand, der nicht unwesentlich ist, wo ich durchaus sehe, dass wir Leidtragende des internationalen Umfeldes, in dem wir uns befinden, sind, wo man aber natürlich nicht zuletzt aufgrund dieser statistischen Werte auch nachbessern muss.

Interessant ist, dass 40 Prozent aller verurteilten Straftäter Ausländer waren. Auch das ist ein Zeichen dafür, dass wir in zunehmendem Maße von internationalen – um es vorsichtig zu formulieren – Aspekten betroffen sind. Dass die Zahl der Asylwerber gegenüber 2014 von 28 064 auf 88 151 gestiegen ist, zeigt, dass unsere Sicherheits­behörden mit einem großen Arbeitsaufwand konfrontiert waren und sich in dieser Sache groß einbringen mussten.

Interessant ist aber auch – und das ist die Quintessenz, die ich Ihnen auch nicht vorenthalten möchte –, dass sich im gleichen Zeitraum, nämlich von 2014 auf 2015, die Zahl der Personen, die in der Grundversorgung sind, von 17 825 auf 77 609 erhöht hat. Das ist ein Kostenfaktor, der nicht zu unterschätzen ist. Insbesondere in der jetzigen Diskussion rund um die Frage der Grundversorgung ist das nicht unwesentlich, und es sollte hier erwähnt werden.

Eine besonders interessante Zahl möchte ich Ihnen zum Schluss nicht vorenthalten, nämlich dass wir zwischen 1. September und 31. Dezember 2015 an Österreichs Grenzen 679 635 Fremde gezählt haben, eine beachtliche Zahl. Diese veranlasst mich zur vielleicht spitzen Bemerkung, dass vielleicht die Senkung der Gesamtkriminalität auch damit zusammenhängt, dass unsere Polizeiinspektionen für einen nicht unwe­sentlichen Zeitraum, ich will nicht sagen, verwaist, aber doch eklatant unterbesetzt


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 73

waren. Und vielleicht kommt da auch der Grundsatz zum Tragen: Weniger Polizei­beamte vor Ort, nämlich bei der Bevölkerung, bringen weniger Anzeigen aufs Papier. (Heiterkeit des Bundesrates Mayer.) – Lach nicht, das ist eine Tatsache! (Bundesrätin Kurz: Das ist keine Tatsache, das ist Unsinn!) – Das ist eine Tatsache. Oder anders gesagt: Weniger Anzeigen bringen nicht unbedingt mehr Sicherheit!

Warum ich das erwähne? – Ich weiß nicht, ob Ihnen die statistischen Vergleichszah­len – Jänner bis Juni 2015 im Vergleich zu Jänner bis Juni 2016 – bekannt sind. Da erkennen wir, dass wir allein in diesem halben Jahr einen Kriminalitätsanstieg von 6,6 Prozent zu verzeichnen haben, mit eklatanten Ausschweifungen nach oben hin. In Eisenstadt haben wir zum Beispiel einen Anstieg von 31,4 Prozent an angezeigten Straftaten zu verzeichnen, in St. Pölten-Land eine Kriminalitätssteigerung von 28,3 Pro­zent, in Krems-Stadt von 26,8 Prozent, in Linz von 33 Prozent, in Salzburg-Stadt von 20,7 Prozent. Da könnte ich Ihnen noch ein paar Zahlen vorlesen.

Das zeigt uns: Nur deshalb, weil wir in den vergangenen Jahren unsere Polizei­beamten mit anderen Aufgaben, nämlich Asylaufgaben, beschäftigt haben, ist die Kriminalität nicht stehen geblieben.

Die letzte Zahl, die ich Ihnen hier bringen darf: die Zahl der tatverdächtigen Asylwerber in Österreich. (Bundesrätin Posch-Gruska: Im Burgenland seid ihr zuständig, da könnt ihr tun, wie ihr wollt!) – Beruhigen Sie sich, Frau Kollegin, Sie dürfen eh dann reden! – Im gesamten vorigen Jahr waren 14 458 Asylwerber tatverdächtig, und heuer waren es im ersten Halbjahr, von Jänner bis Juni 2016, bereits 11 158 Personen. Das zeigt uns, dass wir neben einer importierten Arbeitslosigkeit in zunehmendem Maße auch importierte Kriminalität vorfinden.

Kein Wunder, dass das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung in unserem Land im Keller ist, auch kein Wunder, dass sich das BMI mit einer Initiative, nämlich „Gemeinsam sicher“, verstärkt bemüht, diesem Sicherheitsbedürfnis zu entsprechen, indem man Polizisten in die Gemeinden schickt und dort das Gespräch und auch den Kontakt mit der Bevölkerung und den politischen Vertretern sucht. Es ist nur insofern ein bisschen grotesk, weil wir voriges Jahr eine erkleckliche Anzahl an Polizeiinspek­tionen zugesperrt und ganze Landstriche von polizeilichen Dienststellen geräumt haben. (Heiterkeit bei ÖVP und SPÖ.) – Heiterkeit? Wenn bei Ihnen die Sicherheit in Österreich angesichts der Zahlen, die hier vorgelegt werden, so viel Heiterkeit hervorruft, na dann sage ich: Grüß Gott, Österreich! Sie, die Regierungsparteien, finden es lustig (Bundesrätin Zwazl: Nein! Nein!), wenn die Kriminalität in Österreich steigt? (Bundesrat Mayer: Im Gegenteil!) Schämen Sie sich! Schämen Sie sich, sage ich Ihnen!

Ich finde es unerhört, dass Sie sich über ein sinkendes Sicherheitsgefühl der Bevölke­rung in unserem Lande lustig machen. Das ist ja unerhört! Das ist die Bundes­regierung? (Weitere Zwischenrufe bei SPÖ und ÖVP.) Sie sind die Vertreter der Regierungsparteien und machen sich über die Bevölkerung in unserem Land lustig? – Unglaublich! (Bundesrätin Zwazl: Es sind deine Formulierungen, die uns zum Lachen bringen!) Unglaublich, Frau Präsidentin! (Bundesrätin Zwazl: Deine Formulierun­gen …!)

Es ist so, dass das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung im Keller ist. (Neuerlicher Zwischenruf der Bundesrätin Zwazl. Weitere Zwischenrufe bei ÖVP und SPÖ.) Ein Grund dafür ist, dass damals die Polizeiposten geschlossen wurden. Da nützen Ihnen, Herr Bundesminister Sobotka (anhaltende Zwischenrufe bei der ÖVP), auch die großen Charmeoffensiven nicht. Die mit viel Geld produzierten „Gemeinsam sicher“-Plakate und die vielen Polizistinnen und Polizisten, die jetzt auf die Reise geschickt


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 74

werden, um wieder ein gutes Klima zwischen Bevölkerung und politischen Vertretern herbeizuführen, nützen Ihnen nichts!

Ich sehe nämlich, dass die Bevölkerung den Polizisten auf der Straße, vor Ort sehen möchte und nicht irgendeinen Botschafter des guten Willens. Daher glaube ich, dass es gut und wichtig ist, dass man unsere Polizei den Bedürfnissen entsprechend per­sonell wieder aufstockt. Wir wissen, dass wir im nächsten Stellenplan einige Hundert Planstellen mehr haben, das ist auch gut so, dafür darf ich mich auch bedanken.

Nur werden diese paar Hundert Planstellen, die auf ganz Österreich verteilt werden, das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung nicht erheblich steigern. Dazu wäre eine größere Personaloffensive notwendig, auch im Hinblick auf anstehende Pensionierun­gen, angesichts deren die Planstellen und Polizisten, die Sie uns zugesichert haben, den Mehrbedarf nicht zur Gänze abdecken werden können.

Zum Abschluss noch ein guter Rat beziehungsweise ein Ersuchen meinerseits: Wir haben nicht nur die personelle Problematik bei der Polizei, sondern auch die der mitunter mangelhaften Ausrüstung und Ausstattung. Wenn ich bedenke, dass wir in Zeiten wie diesen noch immer nicht für jeden Beamten eine eigene Schutzweste haben, obwohl es zu zunehmenden Angriffen auf unsere Polizistinnen und Polizisten kommt, und dass sich noch immer 20 Beamte einen Einsatzhelm teilen müssen, weil es nicht für jeden einen gibt, und wir wissen, dass wir, was die Körperschutzaus­stattung betrifft, bei schwierigen Einsatzlagen wie Großdemonstrationen mit gewalt­bereiten Personen nicht ausreichende Körperschutzmaßnahmen beisteuern können, dann muss ich sagen, dass wir in diesem Land noch viel zu tun haben.

Herr Bundesminister, ich darf Sie dazu auffordern, sich in dieser Angelegenheit positiv für unsere Beamten einzubringen.

Abschließend ein Dank an alle Polizistinnen und Polizisten von meiner Fraktion und mir für ihren unermüdlichen Einsatz, auch wenn die politischen Rahmenbedingungen – vielleicht haben sie im Fernsehen mitbekommen, was die Bundesregierung von ihnen hält – eher mangelhaft bis dürftig sind. – Danke schön. (Beifall bei der FPÖ.)

13.21


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Forstner zu Wort. – Bitte.

 


13.21.53

Bundesrat Armin Forstner, MPA (ÖVP, Steiermark): Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Herren Minister! Der Sicherheitsbericht 2015 zeigt, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Polizeibereich hervorragende Arbeit geleistet haben. 2015 war die Zahl der Anzeigen in Österreich erneut rückläufig, gleichzeitig wurde mit 44 Prozent die höchste Aufklärungsquote seit zehn Jahren erreicht.

Insbesondere Gewaltdelikte wurden nahezu lückenlos aufgeklärt. Die Zahl der Strafan­zeigen ging von 527 000 Fällen im Jahr 2014 auf 517 000 Fälle im Jahr 2015 zurück, was einen Rückgang von circa 1,9 Prozent und einen Tiefststand der vergangenen zehn Jahre bedeutet.

Im Jahr 2015 – Herr Kollege Werner Herbert hat es bereits erwähnt – erlebte Öster­reich zudem seine größte Migrationskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Zahl der Asylwerberinnen und Asylwerber stieg markant an. Seriöse Aussagen über eventuelle Auswirkungen auf die Kriminalitätsrate sind derzeit jedoch noch nicht möglich. Eine bedenkliche Entwicklung ist allerdings der Anstieg rechtsextremistischer und fremdenfeindlicher Taten um 54,1 Prozent gegenüber dem Jahr 2014.


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 75

Der islamische Extremismus und Terrorismus stellt unverändert das größte Gefähr­dungs­potenzial für die liberal-demokratischen Gesellschaften dar. Ausländische Kämp­fer in den Kriegsgebieten des Nahen Ostens tragen nach ihrer Rückkehr zu einer erhöhten terroristischen Gefährdungslage bei. Die Bedrohung aus den Bereichen des Salafismus und Dschihadismus, die auch in Österreich ihre Strukturen etabliert haben, hat sich in den letzten Jahren deutlich erhöht. Um der Bedrohung durch islamistischen Extremismus und Terrorismus wirksam begegnen zu können, hat die österreichische Regierung im Jänner 2015 eine Sicherheitsoffensive beschlossen: Für den Zeitraum 2015 bis 2018 werden dafür zusätzliche Budgetmittel in der Höhe von 260 Millionen bis 290 Millionen € aufgewendet.

Im Bereich der Gewaltkriminalität gab es laut dem Bericht einen leichten Anstieg: von 40 000 Anzeigen im Jahr 2014 auf 40 333 im Jahr 2015. Die Aufklärungsquote lag bei 83,5 Prozent. Mit 61,5 Prozent handelte es sich im überwiegenden Teil der Fälle von Gewalttaten um sogenannte Beziehungstaten, das heißt, es gab eine Verbindung zwischen dem Täter und dem Opfer. Die Zahl der angezeigten vorsätzlichen Tötungen stieg um 28 auf 135 an, 39 Taten wurden vollendet, bei 96 blieb es beim Versuch. Das ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Zahl der Tötungsdelikte im Jahr 2014 historisch niedrig war. Alle vollendeten wie auch 93 der 96 versuchten Tötungen wurden aufgeklärt.

Die Zahl der Anzeigen von Sexualdelikten ist zurückgegangen. Die Zahl der ange­zeigten Angriffe gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung sank von 2 418 im Jahr 2014 leicht auf 2 300 im Jahr 2015. Dabei wurden 826 Vergewaltigungen angezeigt, 304 Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen und 312 Miss­bräuche von Unmündigen. Die Anzeigen aufgrund von grenzüberschreiten­dem Prostitutionshandel stiegen von 29 im Jahr 2014 auf 42 im Jahr 2015 an, bleiben aber damit im Durchschnitt der letzten Jahre.

2015 gelang ein Schlag gegen das Internetnetzwerk zum Tausch von kinderporno­graphischem Material. Dabei wurden auch 50 österreichische IP-Adressen ausgewertet und bei Hausdurchsuchungen größere Mengen an kinderpornographischen Dateien sichergestellt.

Bei Wohnungseinbrüchen und Kfz-Diebstählen ist ebenfalls ein Rückgang zu verzeich­nen. Voriges Jahr wurden weniger Wohnraumeinbrüche angezeigt. Es gab circa 15 500 Anzeigen, um 9,3 Prozent weniger als im Jahr 2014, das ist der niedrigste Wert seit 2006. Das Innenministerium warnte allerdings ab Mitte 2015 ausdrücklich vor einer steigenden Zahl von Einbrüchen. Dabei wurden gezielt Objekte ausgesucht, in denen zumeist ältere Bewohner zum Teil unter massiver Gewalteinwirkung zur Herausgabe von Bargeld und Wertgegenständen gezwungen wurden. Viele Taten gingen dabei auf das Konto einer mittlerweile verhafteten rumänischen Tätergruppe, der solche Über­griffe in Österreich und Überfälle in Deutschland und in der Schweiz nachgewiesen werden konnten.

Im Falle von Kraftfahrzeugen als Angriffsobjekten krimineller Handlungen hält die Krimi­nalstatistik bei 1 700 angezeigten Diebstählen von Pkws, zudem wurden circa 143 Diebstähle von Lkws verzeichnet. Einen leichten Rückgang zeigt die Zahl der Fahrraddiebstähle im Jahr 2015 mit 28 000 gegenüber 28 635 im Jahr davor.

Auch das Justizministerium meldet einen leichten Rückgang bei den Verurteilungen. Laut dem Teil des Sicherheitsberichtes Justiz wurden 2015 mehr Strafverfahren eröffnet, es kam aber zu weniger Verurteilungen. 2015 wurden Strafverfahren gegen 263 000 Personen abgeschlossen. Dabei gab es einen Anstieg bei der Verhängung von bedingten Freiheitsstrafen. Insgesamt gab es 33 667 Verurteilungen gegenüber 10 222 Freisprüchen, in beiden Fällen ein leichter Rückgang gegenüber 2014.


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 76

Die Verurteilungen wegen Vermögensdelikten betrugen 39,1 Prozent der Schuld­sprüche, sie betrafen Diebstahl, Raub und Betrug. 18 Prozent der Verurteilten hatten ein Delikt gegen Leib und Leben verübt, wie zum Beispiel eine Körperverletzung. Circa 40 Prozent der Verurteilten waren dem Sicherheitsbericht zufolge Ausländer, der bis dahin höchste Anteil lag 2014 bei 31,4 Prozent.

Zum Kollegen Herbert: Ich muss sagen, es ist lustig, denn auf der einen Seite hast du dich zwei Punkte vorher für unsere Kollegen, die Beamten, besonders eingesetzt, auf der anderen Seite hat die FPÖ damals den Entschließungsantrag der NEOS unter­stützt, als es, beim Amtsantritt von Bundeskanzler Kern, darum ging, dass die Beam­ten­pensionen an das ASVG-System angepasst werden sollen, was für unsere Kollegen eine eindeutige Verschlechterung von circa 20 Prozent bedeutet hätte, wenn sie in den nächsten Jahren in Pension gehen. (Bundesrat Herbert: Ich habe mich ja auch für unsere Kollegen eingesetzt!)

Zu den Postenschließungen kann ich erfahrungsgemäß sagen – und das weißt auch du als Kollege, Kollege Herbert –: Wir hatten sehr viele Kleinposten in den Regionen, speziell bei uns am Land. Und dir war auch bekannt, dass diese von Haus aus nur mit ein bis zwei Mann für Orte mit 500 Leuten zuständig waren und dass es dort auch sehr schwierig war, Niederschriften zu machen, weil man sie auf den Dienststellen gar nicht allein machen hat dürfen. (Bundesrat Mayer: Das ist ein Sicherheitsrisiko!)

Für uns – und dabei muss man auch an die Sicherheit der Kollegen denken – hat sich dadurch einiges gebessert. Das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung ist bei uns im Bezirk Liezen – und ich bin in einem der größten Bezirke Österreichs zu Hause, größer als das Land Vorarlberg, muss ich hinzufügen (Bundesrat Mayer: Wie viel Wertschöpfung hat der Bezirk?) – eindeutig gestiegen.

Es bedeutet darüber hinaus eine Erleichterung für die Kollegen, das sollten wir vielleicht auch nicht ganz außer Acht lassen. Und schämen müssen wir uns für unsere Kollegen überhaupt nicht, denn diese machen ihren Job tadellos – man kann ihnen nur gratulieren.

Man kann aber auch der Justizwache und den Soldatinnen und Soldaten zur Bewäl­tigung des großen Migrationsstroms gratulieren. Ich habe die Zahl nicht genau im Kopf, ich glaube, 680 000 Personen, hast du gesagt, Kollege Herbert, sind voriges Jahr über die Grenzen gekommen. Dazu kann man den Kolleginnen und Kollegen nur gratulieren und dafür danken, dass sie für uns da sind, wenn wir sie brauchen. – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

13.30


Vizepräsidentin Ingrid Winkler: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Weber zu Wort. – Bitte.

 


13.30.39

Bundesrat Martin Weber (SPÖ, Steiermark): Liebe Frau Präsidentin! Herr Bundes­minister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mein Vorredner hat die positiven Statistiken und Zahlen schon erwähnt. Ich möchte ein wenig auf die Rede meines Vorvorredners, des Herrn Kollegen Herbert, eingehen. Herr Kollege, wenn etwas im Keller ist, dann ist es dein Erinnerungsvermögen. Anscheinend hast du am Dienstag im Innenausschuss, was die Postenschließungen betrifft, zu wenig aufge­passt oder hast aufgepasst und es wieder vergessen. Denn in Wirklichkeit werden die Einsatzkräfte um 2 000 Mann und Frau aufgestockt. Ich glaube, es sind 2 000 Mann. (Präsident Lindner übernimmt den Vorsitz.)

Diese Zahl wird Ihnen sehr bekannt sein. (Bundesrat Herbert: Das ist Unsinn! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.) Es ist nämlich genau diese Zahl, die ihr damals


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 77

unter eurer Verantwortung in der Bundesregierung gestrichen habt. Diese Posten werden jetzt wieder aufgestockt. (Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Bevor ich in das Thema einsteige: Es ist mir ein sehr großes Anliegen, mich bei allen Polizistinnen und Polizisten, bei allen Damen und Herren des österreichischen Bundesheeres, natürlich auch bei der Justizwache und bei allen Kräften der Exekutive, die zu unserer sehr hohen Sicherheit in unserem Heimatland Österreich tagtäglich beitragen, sehr herzlich zu bedanken. Ich meine, ich kann diesen Dank auch in unser aller Namen aussprechen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Ihre Arbeit ist es, die entscheidend dazu beiträgt, dass Österreich weiterhin zu den sichersten Ländern der Welt gehört. Auf diese Tatsache, auf die hervorragende Arbeit unserer Exekutive können wir alle stolz sein und diese auch gemeinsam würdigen. Wir brauchen heute hier weder das eine, die hervorragende Arbeit der Polizeikräfte, noch das andere, die hohe Sicherheit in Österreich, krankzujammern oder gar schlecht­zureden. Darin sind nämlich manche Weltmeister. Österreich ist hingegen Weltmeister beim Thema Sicherheit für die Bevölkerung, denn nichts anderes zeigt und beweist der uns vorliegende Sicherheitsbericht 2015.

Mein Vorredner Armin Forstner ist im Zivilberuf auch einer dieser Uniformierten, welche zu dieser Sicherheit für unsere Bürgerinnen und Bürger wesentlich beitragen. Er hat die erfreulichen und auch, zugegeben, geforderten Zahlen, Daten und Fakten aus dem Sicherheitsbericht 2015 bereits zitiert. Ich möchte nun speziell auf die sogenannten Big Five, die fünf relevanten Themenschwerpunkte, eingehen.

Erstens: Wohnungseinbrüche: minus 9,3 Prozent. Durch verstärkte Maßnahmen konn­ten wir die Dämmerungseinbrüche in den Wintermonaten noch deutlicher als 2014 verringern. Bei über 40 Prozent aller angezeigten Wohnungseinbrüche gelang es dem Täter nicht, seine Tat zu vollenden und Diebesgut zu entwenden. Die gute polizeiliche Aufklärungsarbeit bei der Bevölkerung brachte einen guten Eigenschutz. Richtig gesetzte Vorkehrungsmaßnahmen haben ebenfalls dazu beigetragen, dass der Täter seine Tat nicht vollenden konnte. Die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Bevölke­rung ist auch bei diesem Thema sehr, sehr wichtig.

Zweitens: Kfz-Diebstahl: minus 0,9 Prozent gegenüber dem Jahr 2014. Mit insgesamt 3 326 gestohlenen Kraftfahrzeugen, Pkw, Lkw und Motorrädern, konnten wir 2015 einen erfreulichen Zehn-Jahres-Tiefststand verzeichnen. Vor zehn Jahren wurden noch über 8 500 Kfz-Diebstähle gemeldet. Hiebei greifen die von der Bundesregierung eingerichteten Einheiten, wie zum Beispiel die SOKO Kfz.

Drittens: Wirtschaftskriminalität: minus 2,1 Prozent. Im Bereich der Wirtschafts- und Betrugskriminalität wurden insgesamt 48 601 Anzeigen eingebracht, was einen Rückgang um rund 1 000 Anzeigen beziehungsweise einen Rückgang von 2 Prozent bedeutet. 65 Prozent dieser Anzeigen betreffen Delikte im niederschwelligen Bereich.

Viertens: Die Gewaltkriminalität ist leicht, um 0,4 Prozent, angestiegen. In über 60 Pro­zent aller Gewalttaten kannten sich Täter und Opfer. Die gute Aufklärungsquote konnten wir auf 83,5 Prozent weiter steigern.

Hiebei merke ich an, dass die Relation der Strafdrohungen zwischen Gewaltdelikten einerseits und Vermögensdelikten andererseits vernünftig sein muss. Solange Delikte im Vermögensbereich stärker bestraft werden als Delikte, bei denen es um Leib und Leben geht, haben wir gemeinsam die Aufgabe, notwendige Anpassungen und Adap­tierungen vorzunehmen. Die Strafrechtsreform allerdings, die ab Jänner 2016 in Kraft getreten ist, hat diese richtige Wende bereits eingeleitet. Denn das, was durch Gewaltdelikte an Schaden angerichtet wird, kann man im Normalfall mit Geldzahlungen gar nicht ausgleichen, geschweige denn wiedergutmachen.


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 78

Fünftens: Cyberkriminalität – das wurde schon angesprochen –: Ja, es kam zu einem Anstieg von 11,6 Prozent. Nach einem leichten Rückgang im Vorjahr ist die Zahl um rund 1 000 Anzeigen gestiegen. Vor zehn Jahren gab es rund 3 200 Anzeigen. Seit dem Jahr 2012 hat sich die Zahl der Anzeigen von Cyberkriminalität auf rund 10 000 im Jahr eingependelt. Die zunehmende Technologisierung der Gesellschaft – wer hatte vor zehn Jahren einen mobilen Computer dabei, wer hat heute sein Smartphone, Tablet nicht tagtäglich bei sich? – sowie die Spezialisierung der Täter werden die Zahl der Anzeigen im Bereich der Internetkriminalität auch in den kommenden Jahren nicht sinken lassen. Die Aufklärungsquote ist erfreulicherweise auf 41,5 Prozent gestiegen.

Es gilt hier weiterhin die internationale Zusammenarbeit zu suchen, wie dies zuletzt vor wenigen Tagen auch unser Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil in Israel machte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, jede einzelne Straftat ist genau um eine zu viel, doch alles in allem zeigt der uns vorliegende Sicherheitsbericht 2015, dass die Zahl der Anzeigen insgesamt erneut rückläufig ist – minus 1,9 Prozent – und dass wir uns über die höchste Aufklärungsrate – plus 0,9 Prozent – der letzten zehn Jahre freuen dürfen, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wir dürfen uns am wahrscheinlich besten Sicherheitsbericht der letzten Jahre erfreuen. (Bundesrätin Mühlwerth: Das sagen Sie jedes Jahr!)

Natürlich ist aufgrund der weltpolitischen Situation die Gefährdungslage durch Terror, Extremismus und Schlepperkriminalität gestiegen, die Frage ist aber: Wie reagieren wir darauf?, und vielmehr: Wie agieren wir darauf? – Auch in diesem Bereich sind wir sehr gut unterwegs. Ich möchte noch auf die Zusammenarbeit mit Interpol und Europol verweisen und auf die Sicherheitsoffensive, die 2015 eingeleitet wurde. Die Sicher­heitsmilliarde bringt eine bessere Ausstattung und einen wesentlich besseren Eigenschutz für die Polizeikräfte. Das neue überarbeitete Sicherheitspolizeigesetz, die Novelle des EU-Polizeikooperationsgesetzes, das neue Waffengebrauchsgesetz, das neue polizeiliche Staatsschutzgesetz und das novellierte Asylgesetz sind eine Reihe von Maßnahmen, mit denen die Bundesregierung auf die erhöhte Gefahrenlage reagiert.

Ein weiteres sehr hoffnungsvolles Projekt ist das „Gemeinsam sicher“-Projekt, welches ab 2017 in Umsetzung ist. Denn das, zugegeben, subjektive Gefühl der Sicherheits­lage passt mit der objektiven, mit der tatsächlichen Sicherheitslage, den Zahlen, Daten und Fakten nicht überein. Das wissen wir. Darum gehört die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Bevölkerung gestärkt.

Der uns vorliegende Sicherheitsbericht analysiert und bestätigt das hohe, wichtige Gut Sicherheit im internationalen beziehungsweise europäischen Vergleich. Wie ich schon gesagt habe, ist natürlich jede strafbare Handlung eine zu viel, darin sind wir uns einig. Wir sollten uns aber auch darin einig sein, dass wir im Sicherheitsbericht gute Zahlen vorfinden. Einen solch klaren Blick sollten wir schon auch haben.

Wir sind auf einem richtigen, guten Weg. Auch wenn dieser Weg weltpolitisch betrachtet steiniger wird, können wir ihn gemeinsam fortsetzen, und wir sind da im Namen der Sicherheit unseres österreichischen Staates sehr gut unterwegs. – In diesem Sinne danke für die Aufmerksamkeit, alles Gute! (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 79

13.41


Präsident Mario Lindner: Als Nächste hat sich Frau Dr. Dziedzic zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


13.41.02

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Sehr geehrte Herren Minister! Wertes Präsidium! Werte Kollegen und Kolleginnen! Ich werde jetzt nicht explizit noch einmal darauf eingehen, dass die Gesamtkriminalität in Österreich im Vergleich gesun­ken ist. Wir haben auch Bundesländerzahlen, aus denen wir wissen, dass sie zum Beispiel in Wien um 3,6 Prozent gesunken ist, in Vorarlberg um 2,8 Prozent. Im Burgenland ist sie dagegen um 6,3 Prozent gestiegen, aber im Vergleich zum Vorjahr gleicht sich das ein wenig aus.

Das heißt, wir können uns auf jeden Fall auch seitens der Grünen bei der Polizei, bei der Strafjustiz, der Exekutive bedanken für genau diese Präventionsarbeit, die hier geleistet wird. Wir wissen auch, dass die Aufklärungsquote um knapp 1 Prozent gestiegen ist. Das sind im Großen und Ganzen positive Zahlen.

Tatsächlich ein Problem, über das wir dringend sprechen müssen, ist das bereits ange­sprochene subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung, das in keiner Relation dazu steht, wie beispielsweise die Aufklärungsquote ist beziehungsweise wie die Prozent­zahlen aussehen. Wir wissen, dass die Politik hier zwar tätig ist, aber womöglich in der Vergangenheit einiges verabsäumt hat, um genau dieses subjektive Sicherheitsgefühl zu stärken.

Als Erstes ist es mir deshalb wichtig festzuhalten, dass wir als politische Parteien in der Verantwortung sind, aus dieser Kriminalitätsfurcht der Menschen kein Kleingeld zu schlagen. Ich glaube, es ist ganz, ganz wichtig, dass wir hier Aufklärung betreiben und nicht noch versuchen, dieses Unsicherheitsgefühl zu stärken.

Das Zweite, das wichtig ist, ist die Medienkompetenz. Wir wissen, dass der Medien­konsum enormen Einfluss auf das subjektive Sicherheitsgefühl hat und dass die Medienkompetenz ein wesentlicher Faktor ist, wenn es um den Umgang mit Berichterstattung zu Kriminalität geht. Ich weiß, das ist nicht überall kontrollierbar, den Bereich Social Media müsste man sich natürlich extra ansehen.

Die dritte Säule ist – auch das wurde heute im Zusammenhang mit dem konkreten Projekt „Gemeinsam sicher“ angesprochen – die wichtige Einbindung der Bevölkerung, sprich der Kontakt, die Kommunikation mit der Zivilbevölkerung genauso wie die Stärkung der Solidarität, aber auch – das haben wir gestern im Rahmen der Enquete gegen Hass im Netz besprochen – Meldestellen für Hassverbrechen beziehungsweise Beratungsstellen für Opfer von solchen.

Wir wissen weiters auch, dass in Ländern mit einem hohen Grad an Sozialstaatlichkeit der Anteil jener, die sich unsicher fühlen, geringer ist. Das heißt, je stärker der Sozial­staat, desto weniger Unsicherheit. Wir sind also wieder bei dem Thema angelangt, mit dem wir die heutige Sitzung begonnen haben: Es geht nämlich nicht nur um Präven­tionsarbeit, nicht nur um die Absicherung des Sozialstaates, sondern auch um die Bekämpfung von Armut. Solang wir uns hier nicht auf konkrete Maßnahmen einigen, solang wir uns hier nicht einig darüber sind, dass es bundeseinheitliche Gesetze braucht, die Menschen vor dem Abdriften in die Armut schützen, werden wir uns sehr schwertun, dieses subjektive Unsicherheitsgefühl abzufangen.

In diesem Sinne – und das ist auch mein letzter Appell zu diesem Tagesordnungs­punkt, auch vor dem Hintergrund dessen, was der niederösterreichische Landtag heute in Bezug auf die Mindestsicherung beschlossen hat – appelliere ich an die Bundes­länder, die alle hier vertreten sind, gemeinsam zu überlegen, was wir an Bundes­standards brauchen, um diese Unsicherheit, die in der Bevölkerung so weit verbreitet ist, nicht noch weiter zu füttern! – Danke schön. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

13.45



BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 80

Präsident Mario Lindner: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dr. Köll. – Bitte, Herr Bundesrat.

13.45.41

 


Bundesrat Dr. Andreas Köll (ÖVP, Tirol): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Herren Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute von den Vorrednerinnen und Vorrednern schon einiges über Daten und Zahlen aus dem Sicherheitsbereich gehört, und wir können gemeinsam feststellen, dass auch der Sicherheitsbericht des Jahres 2015 erneut aufgezeigt hat – mit Tendenz zur Verbesserung –, dass wir in einem der sichersten Länder der Welt leben.

Das ist natürlich den Polizistinnen und Polizisten auf der Straße und in den öffentlichen Räumen zu danken, den Beamtinnen und Beamten der Justizwache, aber natürlich auch allen anderen, die sich mit innerer und äußerer Sicherheit zum Wohle unseres Staates und seiner Bevölkerung beschäftigen. Es ist erfreulich, dass alle drei „Sicherheitsminister“ in der österreichischen Bundesregierung, nämlich Wolfgang Brandstetter – ich möchte ihn ganz bewusst in diesen Dank mit einschließen –, Hans Peter Doskozil und insbesondere natürlich Wolfgang Sobotka, hier hervorragend zusammenarbeiten.

Das wäre übrigens ein gutes Beispiel auch für andere Bereiche in unserer Bundes­regierung. Es würde uns allen in diesem Staate wahrscheinlich gut tun, wenn es auch in anderen Bereichen ein ähnliches gemeinsames Auftreten geben würde wie hier mit äußerer Sicherheit: österreichisches Bundesheer; innerer Sicherheit: Polizistinnen und Polizisten, BKA, BVT und so weiter; und natürlich auch dem Justizministerium mit allen vorhandenen Schnittstellen und Aufgaben, beispielsweise im Bereich Cyberkriminalität, wo man natürlich auch interdisziplinär zusammenarbeiten muss.

Es wurde heute schon vieles aus dem Bericht zitiert, deswegen kann ich mich vielleicht auf drei kurze Fragen hier beschränken.

Frage eins: Haben die Reformen der letzten Jahre, die Zusammenlegungen von frühe­ren Gendarmerieposten und Polizeiinspektionen der Sicherheit in Österreich gescha­det? – Nein! Das kann ich auch als einer der betroffenen Bürgermeister sagen: In Tirol gibt es zwei flächenmäßig sehr große Gemeinden, Sölden im Ötztal und meine Gemeinde Matrei in Osttirol. Wir hatten aufgrund der Größe des Gemeindegebietes in beiden Gemeinden jeweils zwei Polizeiinspektionen. In Osttirol hat es zwölf gegeben, wobei Osttirol natürlich eine andere geographische Struktur hat als beispielsweise das Flächenbundesland Niederösterreich. Man muss hier vielleicht in manchen Bereichen auch noch nachschärfen. Es ist ja nicht gesagt, dass man überall mit denselben Methoden arbeiten muss, aber in Osttirol hat sich das deutlich positiv ausgewirkt.

Wir haben heute nur mehr drei Inspektionen in Osttirol, nämlich ein großes Bezirks­kommando in Lienz mit 44 Beamtinnen und Beamten, und wir haben jeweils eine Inspektion in Sillian und Matrei. Diese Spezialisierung hat sicherlich zu einer Verbes­serung und auch zu einer Verdichtung der sachlich orientierten Sicherheitsarbeit beigetragen.

Unsere Beamtinnen und Beamten können sich jetzt spezialisieren auf Kriminalarbeit, sie können sich im Bereich Matrei auf Alpinarbeit spezialisieren, sie können sich im Bereich Sillian auf den Schutz der Grenzen im Sinne des Schengener Abkommens spezialisieren, nämlich was die Durchlässigkeit, aber natürlich auch die fremden­polizeilichen Maßnahmen und Verkehrskontrollen betrifft. Diese Spezialisierung ist sicherlich auch österreichweit mit eine Ursache dafür, dass wir entsprechende Verbes­serungen auch im Sicherheitsbericht 2015 zur Kenntnis nehmen konnten.


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 81

Zur Frage der subjektiven und objektiven Sicherheit: Es ist erstaunlich, dass gerade in dem österreichischen Bundesland, wo es objektiv am wenigsten Delikte und auch Gewaltverbrechen gibt, die subjektive Sicherheit, das subjektive Gefühl der Bevöl­kerung vielleicht noch am schlechtesten ausgeprägt ist. Daran muss man sicher­lich arbeiten, da muss man ansetzen. Das hat vielschichtige Ursachen, wie wir heute schon gehört haben. Da wird sich sicherlich das neue Projekt der „Sicherheits­gemein­deräte“ im Rahmen der Initiative „Gemeinsam sicher“ sehr positiv auswirken. Das ist eine österreichweite und wirklich bemerkenswerte Maßnahme, die es derzeit in dieser Form in keinem anderen Land der Welt gibt. Damit wird man sicherlich auch weitere Verbes­serungen erzielen können.

Ein ganz spezielles Thema, das wir auch im Ausschuss diskutiert haben, war das Thema österreichische Teilnehmer am Dschihad. Auch da hat Österreich eigentlich weltweit bemerkenswerte Neuerungen eingeführt. Wir haben da nicht für eine Art Guantanamo gesorgt – wo man die Dschihadisten alle konzentriert, wo also wieder konspirative und andere Tätigkeiten ausgeübt werden können –, sondern da gibt es, wie wir vom Generaldirektor des BVT Mag. Peter Gridling gehört haben, auch neue Ansätze. Wir haben hier, glaube ich, 51 Verhinderungen feststellen können. Es wurden 292 Personen erfasst. Und zum Strafvollzug kann man festhalten, dass diese Dschi­hadisten oder diese Teilnehmer am Dschihad in Österreich ganz „normal“ im Straf­vollzug untergebracht werden, dass man hier aber auch versucht, durch flankierende Maßnahmen tätig zu sein, auch im Bereich „Entideologisierung“.

Auch hier hat man in Österreich einen neuen Weg eingeschlagen. Der ist nicht nur der Tatsache geschuldet, dass wir ein neutraler Staat sind – bei Terrorismus gibt es bekanntlich keine Neutralität –, sondern auch der Umstand, wie man speziell in Österreich mit diesem Thema umgeht, dürfte mit ein Grund dafür sein, dass wir vor größeren Anschlägen bisher in unserem Lande Gott sei Dank verschont geblieben sind, wenngleich solche auch in den 1970er und 1980er Jahren in Österreich statt­gefunden haben.

So bleibt mir nach der Analyse dieser drei Schwerpunkte nur, noch einmal allen drei österreichischen „Sicherheitsministern“ zu danken. Der Sicherheitsbericht 2015 ist ja noch auf unsere frühere Bundesinnenministerin Johanna Mikl-Leitner zurückzuführen. Aber unser neuer Bundesinnenminister Wolfgang Sobotka hat in den vergangenen Monaten durchaus auch in Krisensituationen bereits unter Beweis gestellt, dass die innere Sicherheit bei ihm in den besten Händen ist. In diesem Sinne wollen wir diesen Bericht absolut zustimmend und positiv zur Kenntnis nehmen. – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

13.52


Präsident Mario Lindner: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Lindinger. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


13.52.45

Bundesrat Ewald Lindinger (SPÖ, Oberösterreich): Geschätzter Herr Präsident! Geschätzte Herren Bundesminister! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Es ist schon alles gesagt (Bundesrätin Mühlwerth: Aber nicht von Ihnen! – allgemeine Heiterkeit), aber es ist noch nicht alles gesagt.

Zusammenfassend zum gesamten Bericht: Wir haben eine hohe Aufklärungsquote bei Gewaltdelikten, wir haben weniger Anzeigen bei Sexualdelikten, wir haben einen Rück­gang bei Wohnungseinbrüchen, bei Kfz-Diebstählen. Wir haben einen leichten Rück­gang bei Verurteilungen, die Häftlingszahlen sind gleichbleibend. Es ist also insgesamt ein sehr, sehr positiver Bericht.


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 82

Es gibt aber einen Bereich, wo es eklatante Zuwächse gegeben hat, es gibt nämlich mehr Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund. Geschätzte Damen und Herren, das ist schon besorgniserregend.

Was bedeutet Rechtsextremismus? – Rechtsextremismus ist eine radikale politische Einstellung, die demokratiefeindlich ist und den Nationalismus propagiert. Das wächst, das nimmt zu, und ich werde das ein wenig verdeutlichen. Der Rechtsextremismus ist im Bericht unter „politisch und weltanschaulich motivierte Kriminalität“ untergebracht und unter anderem dann unter Punkt 8 Rechtsextremismus. (Bundesrätin Mühlwerth: Es könnte auch Linksextremismus sein!) – Zu linksextremen Handlungen und Straf­taten komme ich auch noch, nämlich zu Vergleichszahlen, damit wir wissen, wovon wir reden.

In Österreich hat es 1 156 rechtsextremistische, fremdenfeindliche, rassistische, islamo­phobe, antisemitische und sonstige Tathandlungen gegeben; im Vergleich dazu gab es 2014 nur 750 solche Tathandlungen. Das ist also ein Anstieg um 54 Prozent. Meine Damen und Herren, um 54 Prozent haben diese Tathandlungen zugenommen, insbe­son­dere der Rechtsextremismus!

Bei diesen Tathandlungen gab es 2015 1 691 Delikte mit Anzeigen. Das sind um 40 Prozent mehr als 2014! Das ist besorgniserregend, das macht Angst, wenn man an die Zukunft unserer Kinder denkt. Es macht Angst, dass auch die Bereitschaft bei den Jugendlichen zugenommen hat.

Vergleichszahlen zu den Personen, die angezeigt wurden: 2015 wurden 912 Personen angezeigt, 2014 waren es jedoch nur 559 Personen. 2014 wurden 56 Frauen ange­zeigt, 2015 waren es schon 90 Frauen. Aber noch besorgniserregender sind die Zahlen bei den Jugendlichen: 2014 waren es 68 Jugendliche, 2015 waren es schon 92 Jugend­liche.

Das ist für einen Sicherheitsbericht nicht positiv, aber die Exekutive kann da nichts dafür. Da haben manche Verantwortung zu tragen, die tagtäglich das predigen, die tagtäglich Neid und Hass schüren, die tagtäglich fremdenfeindliche Äußerungen machen, als politisch Verantwortliche agieren und vielleicht auch noch – und das haben wir gestern hier vernommen – über die Internetforen solche Postings machen. Das macht Schule, da ist System dahinter, geschätzte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, und dagegen muss etwas unternommen werden! (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

Jetzt gehe ich noch ein wenig darauf ein, um welche Delikte es sich hier handelt. Die Sachbeschädigungen sind von 182 auf 262 Fälle gestiegen. Allein die Zahl der Fälle von Raufhandel – wahrscheinlich wird es im Innviertel auch früher schon Raufhandel gegeben haben (Bundesrat Stögmüller: Was?!) – ist von fünf auf zehn gestiegen, hat sich verdoppelt. (Bundesrat Schennach: Das ist jetzt im Waldviertel …!)

Aber das, was ganz, ganz erschreckend ist: Die Zahl der Verhetzungsdelikte ist von 182 Fällen um 100 auf 282 gestiegen; Verhetzungen in allen Bereichen! Die Zahl der Delikte im Sinne von Aufforderung zu mit Strafe bedrohten Handlungen ist von 4 auf 25 gestiegen! Weiters – wie soll es anders sein? – ist die Zahl der Verstöße gegen das Verbotsgesetz von 663 auf 953 gestiegen! Diese Zahlen sprechen Bände. Wenn man da zurückdenkt, kommt man drauf: So hat es auch angefangen. Die Gewaltbereitschaft hat zugenommen.

Es gibt einen Fall, der in dieser Statistik noch nicht erfasst ist, nämlich den Fall eines jungen Mannes, der mit seiner Frau vor einigen Wochen, im September, einen Kirtag besucht hat – ein FPÖ-Gemeinderat aus Kremsmünster, das darf ich auch dazu­sagen –, einen Kebabstand eingeschlagen und dort einen Raufhandel begonnen hat,


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 83

weil es sich seiner Meinung nach nicht gehört, dass bei einem Kirtag ein Kebabstand steht.

Es ist Polizei in Zivil dort, die nimmt ihn fest. Er wehrt sich, widersetzt sich der Verhaftung, wird dann verhaftet und zur nächsten Polizeiwachstube gefahren. Seine Frau fährt mit Freunden nach, stürmt sozusagen die Polizeiwachstube, dann wird vorübergehend auch noch seine Frau festgenommen. – Alles Personen, die keine 30 Jahre alt sind, junge Menschen, die vielleicht noch gar nicht wissen, welche Folgen das für ihr ganzes Leben haben kann!

Geschätzte Damen und Herren, das ist das Schlimmste, dass auch vor Ort schon dieser Hass geschürt wird und Tathandlungen folgen.

Jetzt komme ich zum Vergleich, Frau Kollegin. Linksextremismus ist der Punkt 8.2. Wir haben beim Rechtsextremismus von über 1 000 Tathandlungen gesprochen, beim Linksextremismus sprechen wir von 186 Tathandlungen im Jahr 2015; das sind um die Hälfte weniger als 2014. (Bundesrätin Mühlwerth: Aber 186 zu viel!) – Ja, aber weni­ger als 2014! 2014 waren es noch 371, das geht zurück! Viele oder einige Tathand­lungen haben mit dem Wiener Akademikerball zu tun, der am 30. Jänner 2015 zu mehreren Protestdemonstrationen geführt hat. Aber diese Demonstrationen, die von rund 5 300 Personen besucht worden sind, nahmen, wie hier im Bericht steht, einen weitestgehend friedlichen Verlauf. Also da hat es nicht in dem Ausmaß diese Reak­tionen gegeben.

Geschätzte Damen und Herren, ich habe vorhin von der steigenden Zahl an Jugend­lichen gesprochen, die Tathandlungen im Bereich Rechtsradikalismus gesetzt haben. Zum Vergleich: Im Bereich Linksradikalismus sind es gerade einmal vier Jugendliche gewesen! Vier Jugendliche, nicht 90 und mehr, vier Jugendliche!

Sie sehen, wir werden uns in Zukunft mehr mit diesen Themen beschäftigen müssen, mehr mit der Jugend beschäftigen müssen, und da wird auch die Politik gefordert sein, in den Kommunen, in den Ländern und wir hier im österreichischen Parlament.

Geschätzte Damen und Herren! Ich bedanke mich – sehr viele oder alle haben das schon getan – bei der Exekutive, insbesondere bei der Polizei, zu der wir Bürger­meister sehr gute Kontakte haben. Wir machen immer wieder Sicherheitsstammtische, sehr viel im Bereich der Prävention, sehr viel gemeinsam mit der Exekutive im Rahmen der schulischen Erziehung. Ich bedanke mich bei der Exekutive für ihre Tätigkeit und ich bedanke mich auch bei all jenen, die diesen umfassenden Sicherheitsbericht 2015 erstellt haben. – Danke. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

14.03


Präsident Mario Lindner: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Schennach. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


14.03.14

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Herren Minister! Da sich die bisherige Debatte an der Frage der inneren Sicherheit entlangbalanciert hat und Justizminister Brandstetter hier ist, möchte ich nur ganz kurz den zweiten Teil dieses Berichts streifen, nämlich jenen über die Justiz/Gerichtsbarkeit.

Die Sicherheitslage in Österreich, die sich mindestens drei Viertel aller europäischen Staaten wünschen würden, hat sich trotz des schwierigen Jahres 2015 – im Gegensatz zu nicht auf wahrheitsgemäßen Fakten beruhenden Unsicherheitsargumenten in der Öffentlichkeit – deutlich verbessert, und das spiegelt sich natürlich auch im Bereich der Strafjustiz wieder. Wir haben ein Minus an Anzeigen, die bei den Gerichten einge­gangen sind, auch bei den Wiederholungsstraftätern. Ich kann das ja sagen, ich war


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 84

über 30 Jahre Bewährungshelfer für das Justizministerium, die Wiederholungstäter sind immer die schwierige Gruppe, aber auch da haben wir ein Minus. Und auch bei den sogenannten Ersttätern gibt es ein Minus.

Das heißt, insgesamt ist die Zahl der Delikte zurückgegangen. Und was, glaube ich, diesmal sehr positiv ist: Nicht nur bei den Frauen ist sie dramatisch um 6 Prozent zurückgegangen, sondern auch bei den Männern, und das ist ja immer eine kleine Richtschnur, denn geht Kriminalität bei den Männern zurück, dann geht sie auch insge­samt zurück. Also wir hatten einen Rückgang bei den Jugendlichen, bei den jungen Erwachsenen und bei den österreichischen Staatsbürgern. Einen leichten Anstieg hatten wir bei ausländischen Staatsbürgern, nämlich um 6 Prozent, um 1 000 Fälle.

Durch diese Rückgänge kommt es auch in den Haftanstalten zu einer anderen Situation: Es gibt ein Minus beim Häftlingsstand, es gibt ein Minus bei der Haftdauer, es gibt ein Minus bei Auslieferungen.

Jetzt gibt es zwei Zahlen, wo ich den Herrn Minister doch um eine kurze Erklärung bitte, denn das ist etwas, was natürlich ein bisschen Sorge macht: Es gibt ein Minus bei der Probezeit, ein Minus bei Freiheitsstrafen, auch beim Tatausgleich ein Minus von 23 Prozent – und gleichzeitig gibt es bei den Jugendlichen ein Plus von 37 Prozent im Häftlingsstand. Das heißt, wir haben weniger Probezeit, wir haben weniger Tatausgleich, aber wir haben mehr Jugendliche in Haftanstalten. Wir sollten alles tun, um diesen hohen Häftlingsstand von Jugendlichen zu reduzieren, denn dass es da ein Plus von 37 Prozent gibt, ist sehr, sehr bedauerlich.

Herr Präsident, in Fortführung von „#DigitaleCourage“ von gestern: Eine jener rassis­tischen und vorurteilstriefenden Meldungen, die wir immer wieder im Social Web sehen, hängt zusammen mit Sexualdelikten, Delikten gegen Selbstbestimmung und Ausländern, angeblich wären es ja nur Ausländer, die hier als Täter aufscheinen. Dazu ist zu sagen: 80 Prozent aller Sexualdelikte entfallen auf Inländer, hier haben wir ein Plus, und 20 Prozent auf ausländische Täter, hier haben wir ein Minus. Nur so viel zu den korrekten Zahlen. Das Social Web stellt nämlich genau das Gegenteil dar, und ich denke, das sollte man bei dieser Gelegenheit doppelt unterstreichen.

Das heißt, eine sehr positive Sicherheitslage spiegelt sich auch in den Haftanstalten und in den Gerichten wider, und das ist zu begrüßen. Somit wird auch dieser Bericht von uns sehr gerne zur Kenntnis genommen. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

14.07


Präsident Mario Lindner: Bevor ich unserem Herrn Justizminister das Wort erteile, darf ich mich bei Ihnen noch einmal ganz herzlich für die gestrige Teilnahme an der Enquete des österreichischen Bundesrates zum Thema „#DigitaleCourage“ bedanken. Danke, Herr Bundesminister! (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Nun erteile ich Herrn Bundesminister Dr. Brandstetter das Wort. – Bitte.

 


14.07.51

Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Herr Präsident! Ich hatte schon gestern Gelegenheit dazu, wirklich deutlich zu machen, für wie wichtig und gelungen ich Ihre gestrige Enquete gehalten habe, und daher habe ich auch sehr, sehr gerne daran teilgenommen.

Ich möchte, bevor ich zu einigen wenigen Detailpunkten noch etwas sage, auch im Sinne dessen, was mein Vorredner bereits erwähnt hat, schon festhalten, dass, weil jetzt auch die Gelegenheit dafür ist, ich mich beim Herrn Innenminister Wolfgang Sobotka für die wirklich starke Sicherheitsachse, die wir beide haben, bedanken möchte.


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 85

Wir sind eigentlich nahezu permanent in Kontakt, wenn es darum geht, im Bereich der Sicherheitspolitik das Bestmögliche zu tun, um Gefahren im Bereich der Sicherheit entgegenzuwirken. Wir sprechen oft und gerne miteinander. Manchmal gelingt es uns, ein Gespräch zu führen, das sich auf zwei Tage erstreckt, wenn es am Telefon knapp vor Mitternacht beginnt und knapp danach aufhört. Zu dieser Zeit ist der Herr Innen­minister am besten erreichbar. Aber ich kann Ihnen versichern, wir haben ein wach­sames Auge auf die Entwicklung und wir sind da Schulter an Schulter und koordinieren uns wirklich sehr, sehr gut.

Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass ich gerade nächste Woche Gelegenheit haben werde, in Salzburg gemeinsam mit dem Herrn Verteidigungsminister die Koope­ration vorzustellen, die wir in manchen Bereichen zwischen der Justizwache und dem Verteidigungsressort bereits vereinbart haben.

Also Sie sehen – es ist auch schon angeklungen –, dass hier wirklich im Bereich der Sicherheit drei Ministerien, wenn es darauf ankommt, an einem Strang ziehen; insbe­sondere die Sicherheitsachse zwischen Innenminister Sobotka und mir ist etwas, was man wirklich hervorheben sollte. Da kann man sich schon darauf verlassen.

Es ist allgemein schon auch, wie bereits erwähnt, besorgniserregend, dass – bedingt durch viele Umstände, die ja gestern bei Ihrer Enquete auch zur Sprache gekommen sind, meine Damen und Herren Bundesräte – vielfach die Gewalt in der Sprache auch die Gewalt durch Aggressionsakte fördert und vorbereitet, und das ist schon etwas, was man im Auge behalten muss, gerade auch aufgrund der Lehren, die wir in Öster­reich aus der Geschichte ziehen sollten.

Jetzt nur zu einigen Detailpunkten aus dem Sicherheitsbericht. Insgesamt, auch was mein Ressort betrifft, ist dieser Bericht durchaus in Ordnung. Er ist eher unspektakulär, insgesamt durchaus erfreulich, aber in einigen Punkten schon so, dass man dazu einige Bemerkungen machen sollte.

Ich komme nur kurz zum Erfreulichen. Für mich erfreulich – und das ist noch nicht erwähnt worden – ist, dass es so aussieht, als hätten wir aufgrund dieses Sicher­heitsberichts endlich die Trendwende bei der durchschnittlichen Verfahrensdauer geschafft. Sie sehen das im Bericht selber: Der bundesweite Median ist gesunken. Das heißt, der Durchschnittswert der Verfahrensdauer beginnt jetzt zu sinken, und das ist gut so, wir haben ja auch einiges dafür getan, und das ist erfreulich.

Es ist auch erfreulich, dass sich die Diversion insgesamt wirklich bewährt. Wenn, wie man im Bericht liest, 81 von 100 Diversionsverfahren erfolgreich beendet werden können, dann ist das eine Erfolgsquote von 81 Prozent. Da mag es jetzt im Detail Bereiche geben, wo man sagen muss, der Täter-Opfer-Ausgleich ist nicht mehr so erfolgreich, wie er es vielleicht früher einmal war, aber insgesamt hat sich die Diversion als solche bewährt, und daher macht es auch Sinn, weiterhin darauf zu setzen.

Und jetzt zu den unerfreulichen Dingen, die schon auch ein bisschen erläutert werden sollten. – Ja, wir haben jetzt einen Anteil bei der Verurteilung von Ausländern von 40,2 Prozent. Das ist mehrfach erwähnt worden. Das ist sicherlich nicht erfreulich. Wenn man sich aber gerade unter dem Aspekt des subjektiven Sicherheitsgefühls die nähere Aufgliederung ansieht, dann sollte man das schon auch mitbedenken: Fremde Staatsbürger, heißt es hier, 40,2 Prozent der Verurteilten insgesamt, sind unter den Vermögens- und Suchtmitteldelinquenten stärker vertreten als im Allgemeinen. Unter den Verurteilungen wegen Delikten gegen Leib und Leben sowie gegen die sexuelle Integrität sind ausländische Staatsangehörige als Verurteilte in der Relation unter­repräsentiert. Das muss man schon auch mitberücksichtigen, ich will es nur gesagt haben.


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 86

Dass natürlich durch diesen hohen Anteil an Verurteilungen von Ausländern ent­sprechende Kosten bei uns anfallen, das sieht man auch im Bericht. Die Dolmetsch­kosten sind um 5,9 Prozent gestiegen. Es ist erwähnt worden: die Deradikalisierungs­maßnahmen – auch das ist alles sehr aufwendig – müssen gemacht werden, und wir tun es auch. Und wir sind hier wirklich auch immer relativ rasch mit Gegenmaßnahmen gewesen, wo man sie setzen musste.

Aber natürlich muss ich auch bei dieser Gelegenheit sagen: Der Kampf gegen die Kriminalität beginnt bei der Polizei und hört letztlich bei der Justizwache auf. Aber dazwischen gibt es auch etwas, nämlich Staatsanwaltschaften und Gerichte. Und da muss ich schon sagen, dass wir jedenfalls ab 2018 größere budgetäre Probleme haben werden, denn diese ständigen Steigerungen auch an Aufwendungen in diesem Bereich sind auf Dauer nicht mit der Auflösung von Rücklagen, die wir Gott sei Dank aus günstigen Zeiten haben, abzudecken. Das wird nicht gehen.

Noch ein Punkt, der einem Sorgen bereiten muss, ist, dass die absolvierte Zeit von im Maßnahmenvollzug Untergebrachten – das sind die psychisch beeinträchtigten Straftäter – auch deutlich gestiegen ist: von durchschnittlich 3,6 Jahren auf 5,3 Jahre. Das heißt, wir haben immer mehr Personen im Maßnahmenvollzug für psychisch Beeinträchtigte, und jene, die wir haben, bleiben auch durchschnittlich immer länger. Das ist einer der wesentlichen Gründe für das bereits geplante reformierte Maßnah­menvollzugsgesetz, das in wenigen Wochen präsentiert werden kann. Ich wollte nur an dieser Stelle schon um Ihre Unterstützung dafür bitten und darauf hinweisen, dass man dafür natürlich schon auch die nötige Unterstützung braucht, auch budgetär.

Wenn einerseits die Länder als Krankenanstaltenträger ihre Ressourcen immer weiter zurückfahren und geschlossene Abteilungen schließen, dann ist klar, dass das Problem letztlich im Bereich der Justiz gelöst werden muss. Wir sind auch dazu bereit. Wir haben die Möglichkeit, wir haben die Einrichtungen. Es ist notwendig, dass psychisch beeinträchtigte Straftäter medizinisch bestmöglich betreut werden, aber im Interesse der Sicherheit der Gesamtbevölkerung in entsprechend sicheren Gefängnis­strukturen. Das ist auch ein ganz wichtiger Punkt, und das möchte ich bei dieser Gelegenheit nicht unerwähnt lassen.

Ein kleines Detail im Bericht macht mir auch Sorgen, das ist schon erwähnt worden: Bei der Jugendkriminalität und bei den Haftzahlen von Jugendlichen hatten wir im Vergleichszeitraum 2014/2015 eine deutliche Steigerung. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass wir schärfer gegen Aggressions- und Gewaltdelikte vorgehen. Und da möchte ich darauf hinweisen, dass man solche statistische Daten und solche Berichte immer in Relation zu den jeweiligen Rechtsgrundlagen sehen muss.

Wir haben mit Wirkung vom 1. Jänner 2016 auch einiges an Tatbeständen neu geschaffen, Cybermobbing zum Beispiel, und wir haben die Strafdrohungen – Sie erinnern sich, es wurde ja auch hier mit Ihrer Unterstützung beschlossen – für Gewalt- und Aggressionsdelikte kräftig angehoben. Das war auch sinnvoll, dass in Relation zu den reinen Vermögensdelikten die Gewaltdelikte strenger bestraft werden. Das wirkt sich natürlich auch bei den Jugendlichen aus, muss man ganz klar sagen.

Wenn Sie an den aktuellen Fall denken, der ja wirklich einigermaßen schockierend war, dann ist klar, das sind Fälle, in denen Gewalt in derartiger Form zum Ausdruck kommt, dass mit entsprechend scharfen Maßnahmen dagegengehalten werden muss. Und das tun wir, dafür haben wir auch die Rechtsgrundlagen verschärft.

Insgesamt würde ich glauben, dass dieser Sicherheitsbericht alles in allem in meinem Bereich einige Dinge aufzeigt, die man im Auge haben muss. Das haben wir auch, da tun wir auch rechtzeitig etwas dagegen, da steuern wir dagegen. Aber ich bin nicht sicher, ob der nächstjährige Bericht, wenn wir nächstes Jahr dann einen neuen Bericht


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 87

haben werden, in manchen Bereichen nicht noch mehr Probleme aufzeigen wird. Wir sind wirklich bestrebt, aktuelle Zahlen permanent in unsere Entscheidungsfindungen und in unsere Gegenmaßnahmen einfließen zu lassen. Das tun wir.

Abschließend: Wir haben aus diesem Bericht die Lehren gezogen und die Maßnahmen gesetzt, die man aufgrund dieses Berichts in meinem Bereich ziehen musste.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und Geduld, und Sie können sich weiterhin (in Richtung Bundesminister Sobotka blickend) auf die wachsame Sicherheits­partner­schaft verlassen, meine Damen und Herren! – Danke. (Heiterkeit und Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie bei Bundesräten der Grünen.)

14.16

14.17.16

 


Präsident Mario Lindner: Vielen Dank, Herr Bundesminister.

Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Dies ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

14.17.207. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 10. November 2016 betreffend ein Bundesge­setz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), die Nationalrats-Wahlord­nung 1992, das Bundespräsidentenwahlgesetz 1971, die Europawahlordnung, das Europa-Wählerevidenzgesetz, das Volksabstimmungsgesetz 1972, das Volksbefragungsgesetz 1989 geändert sowie das Volksbegehrengesetz 2018 und das Wählerevidenzgesetz 2018 erlassen werden (Wahlrechtsänderungsgesetz 2017) (1809/A und 1298 d.B. sowie 9653/BR d.B. und 9658/BR d.B.)

 


Präsident Mario Lindner: Wir gelangen nun zum 7. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Seeber. – Ich bitte um die Berichterstattung.

 


14.17.50

Berichterstatter Robert Seeber: Hohes Präsidium! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich erstatte den Bericht des Ausschusses für Verfassung und Föderalismus über den Beschluss des Nationalrates vom 10. November 2016 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), die Nationalrats-Wahlordnung 1992, das Bundespräsidentenwahlgesetz 1971, die Europawahlordnung, das Europa-Wählerevidenzgesetz, das Volksabstimmungsgesetz 1972, das Volksbefragungsge­setz 1989 geändert sowie das Volksbegehrengesetz 2018 und das Wählerevi­denzgesetz 2018 erlassen werden (Wahlrechtsänderungsgesetz 2017).

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher sogleich zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Verfassung und Föderalismus stellt nach Beratung der Vorlage am 15. November 2016 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Präsident Mario Lindner: Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Todt. – Bitte, Herr Bundesrat.

 



BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 88

14.19.05

Bundesrat Reinhard Todt (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolle­ginnen und liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Bundesrat beschäf­tigt sich heute mit einer Wahlrechtsreform, die im Großen und Ganzen aus zwei Blöcken besteht. Einerseits wird endlich in Österreich ein Zentrales Wähler­register eingerichtet. Meiner Ansicht nach war dieser Schritt schon längst überfällig, wurde aber im Zusammenhang mit der direkten Demokratie längere Zeit blockiert. Aus Ländersicht ist es zu begrüßen, dass dieses Zentrale Wählerregister so offen gestaltet wird, dass es ebenfalls den Ländern und Gemeinden für die Erstellung des Zentralen Wählerre­gisters bei ihren Wahlen zur Verfügung steht – auch wenn Wahlgrundsätze von jenen des Bundes abweichen, wie das beispielsweise in Niederösterreich und im Burgenland der Fall ist.

Damit wird ebenfalls eine Forderung der Enquete-Kommission „Stärkung der Demo­kratie in Österreich“ umgesetzt, was mich als Mitglied dieser Kommission besonders freut.

Andererseits dient die Wahlrechtsreform 2017 auch dem Umstand, dass überhaupt Wahlen im Sinne des Judikats des VfGH zur Bundespräsidentenwahl gültig durch­geführt werden können. Dies beginnt bei der Übergangslösung bezüglich der Wahl­karten: Da wird auf die Wahlkarten-ohne-Laschen-Lösung zurückgegriffen, die den Schönheitsfehler hat, dass außen am Wahlkuvert Name, Geburtsdatum und die Unterschrift des Wahlberechtigten zu sehen ist.

Der Verfassungsausschuss hat in diesem Zusammenhang ausdrücklich festgehalten, dass dies nur eine Übergangslösung ist und im Zuge der großen Wahlrechtsreform eine Alternative gefunden werden soll, die den hohen Ansprüchen datenschutz­politischer Überlegungen genügt, aber auch ohne Mängel produziert werden kann.

Durch die Auflösung des Bezirks Wien-Umgebung in Niederösterreich wurde eine Ände­rung der Regionalwahlkreiseinteilung nötig. Weiters wird die schon für die Bundespräsidentenwahl am 4. Dezember 2016 beschlossene Bestimmung, wonach Wahlkuverts von den Wählern selbst oder – auf deren Wunsch – auch vom Wahlleiter in die Wahlurne eingeworfen werden können, auf alle Wahlen als anwendbar erklärt. Schließlich wird noch die Zuhilfenahme von Hilfspersonal durch Wahlbehörden einer präzisen Regelung unterworfen.

Diese Wahlrechtsreform wird ausdrücklich auch von jenen Menschen begrüßt, die Wahlen durchzuführen haben. Ein Oberamtsrat aus dem Burgenland meint dazu, dass er Wahlkarten sehr gut und sehr praxisnahe findet und dass die Wahlbeisitzer weiter Angelegenheit der Parteien bleiben sollen. Er hat auch einige andere Anmerkungen gemacht, die dann bei der großen Wahlrechtsreform berücksichtigt werden müssen. Ich freue mich auf die Diskussion, die es dann geben wird.

Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratischen Bundesrätinnen und Bundesräte werden aus den genannten Gründen dieser Vorlage die Zustimmung erteilen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

14.23


Präsident Mario Lindner: Nun ist Herr Bundesrat Mayer zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


14.23.22

Bundesrat Edgar Mayer (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr ge­ehr­ter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, an und für sich könnte man jetzt sagen, Kollege Todt hat alles vorweggenommen. Danke, auch wir stimmen gerne zu. – Aber ein paar Sätze kann man noch anfügen. (Bundesrätin Mühlwerth: Das wäre


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 89

doch einmal etwas!) – Das wäre einmal etwas! Ja, ja, klar, Frau Mühlwerth. Wir machen es dann mit euch ähnlich bei den nächsten Vorlagen.

Kurz zum Zentralen Wählerregister: Es ermöglicht die automationsunterstützte Erstel­lung des Wählerverzeichnisses bei allen Wahlen auf Bundes- und Landesebene. Ich denke, das ist ein ganz wichtiger Schritt in diesem Wahlrechtsänderungsgesetz. Die Möglichkeit einer doppelten Stimmabgabe beziehungsweise das Wählen durch nicht stimmberechtigte Personen ist ausgeschlossen. Im ZWR ist klar ersichtlich, wer eine Wahlkarte ausgestellt erhalten hat, und zum Beispiel Unterschriftsangaben für Volks­begehren sind nicht mehr nur am eigenen Gemeindeamt notwendig. – Das sind die Eckpunkte zum ZWR.

Es bringt wirklich einige wesentliche Verbesserungen und Flexibilität insbesondere, wie gesagt, bei Wahlen auf Bundes- und Landesebene, weil die Wählerverzeichnisse automationsunterstützt erstellt werden, und das ist wirklich eine administrative Vereinfachung und Erleichterung. Es verhindert etwa auch die Aufnahme eines 14-Jährigen in ein Wählerverzeichnis und es bringt auch die erforderliche Transparenz, weil eine doppelte Stimmabgabe damit ausgeschlossen ist.

Wie schon ganz kurz erwähnt, wird auch die Teilnahme an einem Volksbegehren erleichtert, denn aufgrund dieses Zentralen Wählerregisters muss man die Unterschrift nicht mehr unbedingt auf dem eigenen Gemeindeamt leisten. Das ist auch eine wesentliche Erleichterung für all jene Personen, die – aus welchen Gründen immer – ein Volksbegehren zum Beispiel nicht auf ihrem eigenen Gemeindeamt oder bei ihrer eigenen Meldebehörde unterzeichnen wollen. Das ist natürlich für mich auch ein wesentlicher Punkt, zu sagen, wir unterstützen die direkte Demokratie. Wir offerieren mehr Möglichkeiten, diese Volksbegehren zu unterzeichnen.

Weil ich gerade bei den Gemeinden, bei den Wählerevidenzen und vor allem bei den Wahlbehörden bin, so ist meiner Meinung auch wichtig – weil wir die Gemeinden mit diesen Wahlgängen auch finanziell sehr gefordert und zum Teil überfordert haben –, dass das Ministerium gesagt hat, an diesen Wahlanfechtungen war keine einzige Gemein­dewahlbehörde oder kein Sprengelwahlbehörde mitbeteiligt – es waren nämlich die Bezirkswahlbehörden –, deshalb werden den Gemeinden auch diese Auslagen, die sie haben – also ein einmaliger Vergütungssatz von 2,35 € pro Wähler –, vergütet, und die Länder haben ihren Beitrag dazu zu leisten. Ich denke, das ist auch eine wichtige Bestimmung, um wirklich belasteten Gemeinden und auch Kleinst­gemeinden finanziell unter die Arme zu greifen.

Über das Ganze betreffend den niederösterreichischen Wahlbezirk WU hat der Kollege Todt schon berichtet. Ich hätte es nicht gewagt, es nicht zu erwähnen, wenn ein niederösterreichischer Innenminister neben mir beziehungsweise neben uns sitzt. – Also damit ist das abgehandelt.

Insgesamt: Danke, Herr Minister! Es wurde lange rund um dieses Zentrale Wähler­register verhandelt, und was lange währt, wird hoffentlich endlich gut.

Die große Wahlrechtsreform – das wurde auch schon angedeutet – ist demnächst zu erwarten, vermutlich im nächsten Quartal, 2017, und da wird dann auch sehr viel mit hineingenommen werden. Da bedarf es noch einiger Verhandlungen.

Eines ist meiner Ansicht klar: Ein wesentlicher Bestandteil des Wahlprozederes, der Wahlen ist inzwischen die Briefwahl geworden. Die Briefwahl erfreut sich immer größerer Beliebtheit, und da heißt es einfach, die Briefwahl zu stärken und auszu­bauen. Wer die Briefwahl infrage stellt, hält viele Menschen davon ab, ihr Wahlrecht auszuüben (Bundesrätin Mühlwerth: Das ist doch ein völliger Unsinn! Ein völliger


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Unsinn!), der hält viele Menschen davon ab, weil es einfach von den Menschen immer mehr gefordert wird. (Beifall bei der ÖVP.)

Frau Kollegin Mühlwerth! Das ist momentan part of the game. Die Menschen wollen immer mehr Briefwahl und sich mittels der Briefwahl an Wahlen beteiligen, deshalb müssen wir diese Möglichkeiten stärken und ausbauen. (Bundesrätin Mühlwerth: Immer das, was Sie sagen, ist … ändern müssen in der Vergangenheit! – Ruf: In der Vergangenheit!)  – Frau Kollegin Mühlwerth, Sie haben nachher die Möglichkeit, sich hier am Rednerpult zu äußern und die Meinung der Freiheitlichen Partei über die Briefwahl entsprechend auszubreiten. Schauen wir, wie erfolgreich das sein wird!

Abschließend möchte ich allen Wahlhelferinnen und Wahlhelfern den Dank meiner Fraktion aussprechen und auch das dringende Ersuchen und die Bitte an sie richten, am 4. Dezember ihre wichtige Aufgabe in den Gemeinde-, Sprengel- und in den Bezirkswahlbehörden wieder wahrzunehmen (Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller), denn wir sind auf diese Wahlhelferinnen und Wahlhelfer sehr, sehr angewiesen. Von meiner Seite ein herzliches Dankeschön, Herr Minister. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

14.28


Präsident Mario Lindner: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Samt. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


14.28.54

Bundesrat Peter Samt (FPÖ, Steiermark): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Edgar! (Bundesrat Mayer: Ja!) Eigentlich habe ich vorgehabt, das allgemeine Statement der FPÖ zur Briefwahl erst zum Schluss bekanntzugeben (Bundesrat Stögmüller: Was für eine Überraschung!), aber mit einem möchte ich gleich aufräumen: Schaut euch bitte die Statistiken an und erklärt mir jetzt, warum … (Bundesrat Stögmüller: Dass ihr immer verliert!) – Also verloren haben wir in letzter Zeit wenig, Herr Kollege, da mache ich mir eher um euch Sorgen. Erklärt mir bitte, warum wir bei fast allen Wahlen eine sinkende Wahlbeteiligung haben! (Bun­desrat Mayer: Weil die Leute nicht mehr ins Wahllokal gehen!) Jetzt wollt ihr mir erklären, dass die Briefwahl das Allheilmittel ist. Dann müsste ja eigentlich die Wahlbeteiligung steigen, das tut sie aber nicht. (Bundesrat Mayer: In der Schweiz machen sie nur mehr Briefwahlen! – Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, das ist der falsche Weg! Wir wissen, dass gerade die Briefwahl bei diesem letzten Wahlgang die größten Probleme gemacht hat – die größten Probleme! –, und zwar vor allem auf Bezirksebene. In den Gemein­den haben wir das Problem ja nicht wirklich so (Zwischenruf des Bundesrates Schödinger – Heiterkeit bei der ÖVP), aber wo es Probleme gegeben hat, das war eindeutig bei der Auszählung, und zwar nachweislich!

Kollegen, es ist ja nicht so, dass wir uns das aus den Fingern saugen, und es ist auch keine Schuld der FPÖ! Ihr braucht da gar nicht so herumzureden, ihr wisst genau, wo das Problem gelegen ist, und das ist ein Faktum. Ihr wisst genau, dass die Briefwahl anfällig für allfällige Malversationen und möglicherweise Wahlverzerrungen ist. Nicht umsonst hat der Verfassungsgerichtshof diese Wahl aufgehoben!

Da gibt es viele Zugänge, und da könnt ihr erzählen, was ihr wollt und glauben, dass die Briefwahl das Beste ist, das es gibt. Da werden wir uns schon allein deswegen viel überlegen müssen, weil die Bezirkswahlbehörden das in Zukunft nicht mehr schaffen werden. Ich denke an meinen Bezirk Graz-Umgebung beim letzten Wahlgang, 17 000 Stimmen, du weißt es. (Bundesrätin Mühlwerth: Na, die ÖVP wollte ja eh …!) Es wird so sein, dass, wenn wir das so weiter verfolgen und noch verstärken und forcieren, und wenn wir jetzt schon bei 15 Prozent sind, dann die Hälfte der Wähler per


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Brief wählen wird. Da werden wir uns dann aber viel überlegen müssen, denn das werden wir in der Bezirkswahlbehörde am Montag zwischen 9 und 15 Uhr nicht schaffen. Das ist offensichtlich! (Bundesrat Gödl: Aber zuerst ist wichtig, dass ihr wenigstens einmal anwesend seid!) – Ja, ja, Kollege. Das ist eine Geschichte, die kön­nen wir jetzt ausbreiten, wie wir wollen. Es gibt auch Wahlbezirke, deren Bezirks­hauptmänner gesagt haben: Ihr braucht gleich gar nicht zu kommen. Wir kennen diese Schwächen, aber wir haben darauf reagiert, auch wir haben darauf reagiert. Lieber Ernstl, du weißt, dass wir reagiert haben, und zwar recht gut. Bei der letzten Sitzung der Wahlkreisbehörde haben fünf Leute gefehlt, aber davon war keiner von der FPÖ.

Lassen wir die Kirche im Dorf! Schieben wir nicht ständig hin und her, wer schuld ist! Faktum ist, dass die Briefwahl, so wie sie jetzt ist, bewiesenermaßen in Wirklichkeit für nichts ist, und da gehört angesetzt, und davon gehen wir nicht ab. (Beifall bei der FPÖ.)

Wir diskutieren heute die Änderung im Wahlrecht, in dieser kleinen Wahlrechtsreform, die vor allem die Bundeswahlen betrifft. Da sind auch wir der Meinung, dass das, so wie Kollege Todt schon gesagt hat, ein längst fälliger Schritt ist. Ich kenne die Diskussionen im Vorfeld, ich weiß auch, dass wir nicht immer ganz überzeugt waren.

Schlussendlich ist es vor allem darum gegangen, ob die Daten nach den einzelnen Abfragen und nach den einzelnen Wahlgängen auch zuverlässig wieder gelöscht werden. Es war so, dass sich aus der Diskussion im Vorfeld herauskristallisiert hat, dass das so ist. Das war auch der Grund dafür, warum wir uns im Nationalrat dafür ausgesprochen haben, da mitzustimmen, und das werden wir auch hier im Bundesrat tun.

Wir werden aber mit dieser Methode, mit dieser Maßnahme natürlich nicht alle Probleme erledigen. Wir haben noch ein paar andere Dinge, die wir erledigen könnten, zum Beispiel dass man schauen sollte, dass man in jedem Wahllokal wählen kann. Ich weiß schon, ihr sagt jetzt, mit der Briefwahl geht das ohnehin fast, aber über die Auswirkungen will ich jetzt nicht nachdenken. (Bundesrat Todt: Early Voting wäre eine Möglichkeit!) Das ist ein Thema, das in Zukunft immer interessanter wird. Wir haben es noch nicht geschafft, dass man in jedem Wahllokal wählen kann.

Das wesentliche Argument für das zentrale Wählerregister war, dass man Volksbe­gehren praktisch in jeder Gemeinde unterstützen kann. Da teile ich die Meinung meines Vorredners und Kollegen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es viele Menschen nicht so gerne haben, wenn ihnen der Bürgermeister über die Schulter schaut, wenn sie für irgendetwas unterschreiben, das möglicherweise für eine Partei wichtig ist oder von einer Partei lanciert wird. Das ist sicherlich ein Fortschritt, und ich bin der ÖVP dankbar, dass sie dieses Argument auch unterstützt hat.

Was uns noch fehlt, ist, dass man die Unterstützungserklärungen für Wahlwerber noch nicht auf diese Ebene bringen will, denn gehen müsste es. Es kann doch normal nicht sein, dass das nicht geht, also dass man Unterstützungserklärungen für Wahlen, für wahlwerbende Parteien auch auf diese Art und Weise behandeln könnte. Das ist leider noch nicht ganz gelungen. Da ist der Wunsch, dass wir das spätestens bei der großen Wahlrechtsreform, auf die wir alle hoffen, einbringen werden können und dass das dann berücksichtigt wird. Technisch ist es von unserer Seite aus gesehen sicherlich möglich, vielleicht will man es nur noch nicht. Vielleicht ist es ja doch so, dass es immer mehr wahlwerbende Parteien geben wird, und vielleicht will man das deswegen nicht so machen. Ich habe keine Ahnung, aber vielleicht sind das eure Gründe. Ich wiederhole: Technisch müsste es gehen.

Zur Briefwahl: Ich habe da jede Menge stehen, brauche das aber nicht mehr breit aus­zuführen. Wir wissen, wo die Probleme waren. Ich weiß auch, dass die behelfsmäßige


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 92

oder vorübergehende Briefwahlkarte ein Thema der Diskussion ist. Ich bin zwar momentan der Meinung, dass wir die Kirche aufgrund der Zeit, die wir zur Verfügung gehabt haben, im Dorf lassen sollten. Das hat ohnehin zu einer zusätzlichen Ver­schiebung geführt. So ist das wahrscheinlich die einzige jetzt gangbare Möglichkeit. Wie man das in Zukunft gestalten wird wollen, weiß ich noch nicht, weil wir von Haus aus schon eine ziemliche Aversion gegen diese Wahlkarten haben. Dazu wird aber sicherlich noch etwas kommen, das man diskutieren können wird.

Wir wissen noch vom Theater zum Schluss beim Bestellen der Briefwahlkarten. Diese Möglichkeit über „wahlkartenantrag.at“, dieser Link, ist jetzt obsolet geworden, weil man das jetzt ohnedies in jeder Gemeinde machen kann. Das war ein Schuss in den Ofen, so würde ich das einmal bezeichnen.

Wir wissen auch, und darauf weise ich immer wieder hin, dass es speziell in Alten- und Pflegeheimen mit den Wahlkarten ein Problem gibt. Da wird es immer wieder Malver­sationen geben, und da werden wir nicht lockerlassen, das aufzuzeigen. In vielen Bereichen, auch in kleinen Bereichen, bei Gemeinderatswahlen, hat es schon Wahlan­fechtungen gegeben.

Zum Schluss: Unserer Ansicht nach ist dieses elektronische Wählerregister nur ein Teil der Weiterentwicklung der direkten Demokratie. Es gibt da noch viel zu tun. Wir haben etwas verbessert, das ist gut und dankenswert. Wir müssten allerdings noch sehr, sehr viel tun, damit wir mit der direkten Demokratie stärker weiterkommen.

Ich bin davon überzeugt, dass der Herr Innenminister es sehr ernst meint, dass er auch will, dass Wahlen in unserem Staat ordnungsgemäß durchgeführt werden und wir in dieser Hinsicht nicht tatsächlich zu einer Bananenrepublik verkommen. Wir stimmen daher diesem Vorschlag und diesem Gesetz zu und hoffen, dass in Zukunft in unserem Land problemlose, pannenfreie und ordnungsgemäße Wahlen durchgeführt werden können. – Danke schön. (Beifall bei der FPÖ und bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)

14.37


Präsident Mario Lindner: Zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrätin Dr. Reiter. – Bitte.

 


14.37.43

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Herr Präsident! Herr Minister! Werte Kollegen und Kolleginnen! Briefwahl zum Quadrat – was ich nicht verstehe, ist, dass in Urländern der direkten Demokratie wie der Schweiz, wo die Leute wirklich viel wählen gehen, die Briefwahl natürlich gang und gäbe ist. Wir haben auch mit Wahl­leitern dort gesprochen und uns genau angeschaut, wie die das machen. Die haben gesagt: Natürlich gibt es bei uns auch Probleme, aber bei uns sind die Regeln bei Weitem nicht so kompliziert, wie ihr das gemacht habt. Es ist schon so, dass es unser Versuch, das alles möglichst bis ins Detail zu regeln, auch sehr schwierig gemacht hat, das dann tatsächlich so umzusetzen, wie es im Gesetz formuliert war.

In vielen Ländern ist es so, dass die Briefwahl wirklich ein ganz wesentlicher Teil des Wahlvorgangs ist und die Menschen das wollen, und es ist eigentlich auch niemandem mehr klarzumachen, dass das nicht gehen sollte. Das wäre wirklich ein Rückschritt. Deshalb wird uns dann auch etwas einfallen, das in den Wahllokalen und bei der Auszählung praktikabel ist, sodass es auch umgesetzt werden kann.

Das Zentrale dieser Änderung, das zentrale Wählerregister, eine Datenanwendung beim BMI, ist schon erwähnt und auch erklärt worden. Es ist so, dass es eigentlich nur ein Schritt in Richtung eines echten zentralen Wählerregisters ist. Es wird von allen Gemeinden zur Erstellung ihrer Wählerevidenzen genützt. Darin sind alle wahlberech-


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tigten Personen mit dem Hauptwohnsitz in der Gemeinde einzutragen, und die Summe dieser lokalen Wählerevidenzen ist dann das zentrale Wählerregister.

Leider bedeutet das aber noch nicht, dass alle Wahllokale tatsächlich mit PC und Zugriff zum Wählerregister arbeiten. Ausschlaggebend bleiben die ausgedruckten Wählerverzeichnisse, die aber maßgeblich verbessert wurden. So ist die Ausgabe einer Wahlkarte relativ einfach gleich links in der ersten Rubrik ersichtlich.

Damit wurden die Regelungen für alle Bundeswahlen geschaffen und die Länder werden ermächtigt, die Wählerevidenzen für die Landtags- und Gemeinderatswahlen mit dieser Datenanwendung herzustellen. Hoffentlich macht die Datenanwendung da nicht einen Strich durch die Rechnung, denn auch das weiß man nie. Ich glaube aber, dass das in die richtige Richtung geht.

Wichtig ist aus unserer Sicht schon auch die Möglichkeit der Online-Unterstützung von Volksbegehren. Der elektronische Vermerk der Unterstützung wird eben nicht im zentralen Wählerregister gemacht, sondern in einer Parallelanwendung, und diese wird nach Rechtskraft des Ergebnisses des Volksbegehrens gelöscht. Das war uns daten­schutzrechtlich sehr wichtig, das halten wir für eine saubere Lösung, und das war auch eine wichtige Forderung des Demokratiepakets im Juni 2013. Vielleicht gelingt es in der Folge doch auch, dieses Demokratiepaket Schritt für Schritt umzusetzen und weiter voranzutreiben. (Bundesrat Todt: Da sind wir schon einen Schritt weiter! Da haben wir schon die Enquete!)

Wie gesagt, da ist noch viel zu tun und da gibt es noch viele Verbesserungs-möglich-keiten, die es den Bürgern und Bürgerinnen besser ermöglichen, sich zu beteiligen und ihren Willen kundzutun, und sicherstellen, dass dieser dann auch verlässlich erfassbar ist. Das Wahlrecht wird uns also noch weiter beschäftigen, auch bezüglich der Wahl­karten und ihrer Ausgestaltung. Es wird sicher nicht das letzte Mal sein, dass wir uns mit dieser Materie beschäftigen. Wir stimmen aber heute gerne zu. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)

14.42

14.42.10

 


Präsident Mario Lindner: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Dies ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den gegenständlichen Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

14.42.498. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 10. November 2016 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem das Gewebesicherheitsgesetz geändert wird (1293 d.B. und 1309 d.B. sowie 9660/BR d.B.)

 


Präsident Mario Lindner: Nun gelangen wir zum 8. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Ebner. – Ich bitte um den Bericht.

 


14.43.28

Berichterstatterin Adelheid Ebner: Herr Präsident! Herr Bundesminister! Ich bringe den Bericht des Gesundheitsausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 10. November 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Gewebesicherheits-gesetz geändert wird.


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 94

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor; ich komme daher gleich zur Antrag­stellung.

Der Gesundheitsausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 15. November 2016 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Präsident Mario Lindner: Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrätin Posch-Gruska. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


14.44.21

Bundesrätin Inge Posch-Gruska (SPÖ, Burgenland): Herr Präsident! Werte Kollegin­nen und Kollegen! Herr Minister! Bevor ich mit meiner Rede beginne, möchte ich die Gelegenheit nutzen und unserer Ministerin Sabine Oberhauser von dieser Stelle aus alles, alles Gute und baldige Besserung wünschen. Wir wissen, dass sie gerne bei uns war, weil sie schon sehr oft gesagt hat, dass ihr der Bundesrat sehr, sehr angenehm ist. Sabine, wir denken ganz stark an dich und wünschen dir alles, alles Gute! (Allgemeiner Beifall.)

Das Gewebesicherheitsgesetz basiert auf einer EU-Richtlinie, daher ist es notwendig, dass wir auch in Österreich die Gesetzeslage adaptieren. Es geht einerseits um die Einfuhrrichtlinie und andererseits um die sogenannte Kodierungsrichtlinie. Bei der Einfuhrrichtlinie wird festgehalten, dass die 13 – so viele haben wir zurzeit in Öster­reich – zugelassenen Gewebebanken, die Zellen aus dem Ausland und vor allem aus Drittstaaten einführen, nicht nur eine Bewilligung des Bundesamtes für Sicherheit im Gesundheitswesen brauchen, sondern diese Gewebebanken werden auch dazu ver­pflichtet, nach ganz genauen Vorschriften mit den Drittstaatlieferanten detaillierte Ver­träge abzuschließen. Damit ist gewährleistet, dass diese hohen europäischen Werte auch für uns in Österreich sichergestellt sind, wenn wir Gewebe und Zellen aus Drittstaaten importieren.

Bei der Kodierungsrichtlinie geht es darum, dass ein einheitlicher Code bei der Ein- und Ausfuhr von menschlichen Geweben und Zellen verpflichtend verwendet wird. Dieser Code soll gewährleisten, dass die Rückverfolgung vom Spender zum Empfän­ger, aber natürlich auch umgekehrt, erleichtert wird.

Die EU-Kommission stellt zu diesem Zweck eine öffentlich zugängliche Kodierungs­plattform mit einem Gewebeeinrichtungenregister und einem Produktregister mit allen in der EU in Verkehr befindlichen Arten von Geweben und Gewebeprodukten mit den entsprechenden Codes zur Verfügung. Dieses Gesetz gewährleistet vor allem den Patientinnen und Patienten, dass sie bei einer gentherapeutischen Behandlung mehr Sicherheit haben, und daher wird meine Fraktion diesem Gesetz natürlich sehr, sehr gerne zustimmen.

Ich möchte aber, wenn ich schon am Wort bin, die Gelegenheit nutzen, zur Aktuellen Stunde zurückzukommen. Herr Kollege Fürlinger, wenn Sie schon hier am Rednerpult Pferde schlachten, möchte ich Sie trotzdem daran erinnern, dass die christlichen Werte vielleicht zu überdenken sind. Ich bin davon überzeugt, dass vor allem beim Verhalten in Bezug auf die Mindestsicherung die Aktionen und Reaktionen der ÖVP mit christlichen Werten sehr, sehr wenig zu tun haben. Man soll daran denken: Nicht wenn man am Sonntag in die Kirche geht, ist man Christ – denn ich bin auch kein Auto, wenn ich einmal in die Garage fahre. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ. – Allgemeine Heiterkeit. – Bundesrat Mayer: Das hat nie jemand behauptet! – Bundesrätin Posch-Gruska – auf Bundesrat Fürlinger weisend –: Aber er, dass er ein Christ ist!)

14.47



BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 95

Präsident Mario Lindner: Zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrätin Stöckl-Wolkerstorfer. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


14.47.39

Bundesrätin Angela Stöckl-Wolkerstorfer (ÖVP, Niederösterreich): Hohes Prä­sidium! Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ja, wie wir bereits gehört haben, geht es heute um die Umsetzung einer EU-Richtlinie, die eine Novellierung des Gewebesicherheitsgesetzes notwendig macht. Meine Kollegin Inge Posch-Gruska hat eigentlich bereits alles gesagt. Ich denke, es geht bei dieser Novelle letztendlich um eine weitere Verbesserung der Qualität im Gesundheitswesen, es geht letztendlich um den Schutz des Patienten, denn sollte es zu Schwierigkeiten bezie­hungs­weise Komplikationen kommen, dann muss die beste Rückverfolgungsmög­lichkeit gegeben sein, auch wenn es durch diese Gesetzesnovelle zu einem vermehrten Bürokratieaufwand kommen wird.

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Der Patient muss immer im Mittelpunkt unserer Entscheidungen stehen. Das liegt mir besonders am Herzen, komme ich doch aus einer medizinisch-sozialen Berufsgruppe. Gerade in unserer parlamentarischen Arbeit im Gesundheitsausschuss versuchen wir, die Qualität der Patientenversorgung ständig zu verbessern. Es freut mich, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, dass wir dieses Gesetz heute einstimmig beschließen werden.

Auch ich möchte abschließend im Namen meiner Fraktion unserer Frau Bundesminis­ter alles erdenklich Gute wünschen. Wir wünschen ihr eine komplikationslose Rehabilitation mit Blick in eine positive Zukunft, denn ich denke, unsere Frau Bun­desminister gibt vielen Menschen Kraft, Mut und Hoffnung, sich mit einer schlimmen Diagnose auseinanderzusetzen. – Danke schön. (Allgemeiner Beifall.)

14.49


Präsident Mario Lindner: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Längle. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


14.49.33

Bundesrat Christoph Längle (FPÖ, Vorarlberg): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolle­ginnen und Kollegen! Wir haben heute hier schon einen sehr bewegten Tag erlebt, von der salomonischen Mantelteilung bis hin zu Pferdeschlachtungen und dem Christen­tum. Ich möchte jetzt gerne etwas über das Christentum sagen, aber ich denke, wenn sich da zwei streiten, dann soll man sich nicht einmischen. (Bundesrätin Posch-Gruska: Streiten tun wir nicht! Wir sind miteinander gut!) Das können die Regierungs­parteien unter sich ausmachen. (Bundesrätin Posch-Gruska: Das brauchen wir gar nicht! Passt!) Streitende soll man nicht stören.

Was das Gewebesicherheitsgesetz betrifft, so stimmen wir Freiheitliche da selbst­verständlich auch gerne zu. Insbesondere seien der Single European Code, Rück­verfolgungsmöglichkeiten und die Koordinierungsplattform erwähnt. Ich denke auch, dass es sehr wichtig ist, gerade auch im Bereich des Labelling und dergleichen, dass wir da klare Spielregeln haben und dass das jetzt gute Formen annimmt.

Bezüglich der Drittstaatslieferanten – das wurde auch angesprochen – sehe ich das auch sehr positiv. Ganz besonders positiv sehe ich aber die Möglichkeiten, die im Fall von Notsituationen bestehen, weil man Importe dann auch ohne bestehende schrift­liche Vereinbarung durchführen kann und auf diese Weise doch recht rasch handeln und dadurch Leben schützen und Schaden abwehren kann.

Ein anderer Punkt, der noch nicht angesprochen wurde, sind die Kosten, die dadurch entstehen. Diese sind aber in der Regel nicht sehr wesentlich, was auch ein Vorteil für


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 96

unsere Unternehmer ist. Unsere Unternehmer müssen ja leider mit sehr vielen Abgaben kämpfen. In diesem Bereich haben wir aber diesbezüglich etwas Positives.

Allgemein – also abseits des Gewebesicherheitsgesetzes – möchte ich zur Gesund­heitssituation in Österreich noch negativ erwähnen, dass wir in Österreich leider einen Ärztemangel haben, insbesondere auch in ländlichen Regionen, etwa in Talschaften. Wir kennen die Diskussion und die Debatte über unsere Universitäten und die Medizin­studenten aus dem Ausland, die ja bei uns recht zahlreich sind und die eigentlich mit der Absicht hierher kommen, zu studieren, um dann, wenn sie fertig sind, wieder zu gehen. Ich meine, dass es da schon Sinn hätte, vonseiten der Regierung einmal tätig zu werden. Das ist nämlich schon ein Bereich, der bedenklich ist, und es gibt doch mittlerweile schon etwas erschreckende Zahlen, gerade in den ländlichen Gebieten, wo es, wie ich angesprochen habe, zu einem eklatanten Mangel an Ärzten kommen kann.

Abschließend selbstverständlich auch von meiner Seite an die Frau Bundesministerin für Gesundheit Dr. Oberhauser beste Grüße und gute Besserung! Möge sie bald wieder einen Zustand von bester Gesundheit haben! Ich wünsche mir wirklich, dass es ihr bald wieder besser geht.

Den Änderungen zum Gewebesicherheitsgesetz stimmen wir, wie erwähnt, gerne zu, weil wir denken, dass diese Novelle durchwegs als sehr positiv zu bewerten ist. – Danke. (Beifall bei der FPÖ und bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)

14.52


Präsident Mario Lindner: Zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrätin Dr. Reiter. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


14.52.56

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Herr Präsident! Werte Kollegen und Kolleginnen! Wir setzen hier ja EU-Richtlinien um, nämlich die Kodierungsrichtlinie und die Einfuhrrichtlinie, was eben Gewebe und Zellen und so weiter betrifft. Es gibt, gerade was die Einfuhrrichtlinie betrifft, jetzt klare Verfahrensvorschriften für die Einfuhr menschlicher Gewebe und Zellen aus Drittstaaten in die EU. Wenn man sich überlegt, was da alles notwendig ist, dass es auch Möglichkeiten geben muss, entsprechende Stellen auch in Drittstaaten zu kontrollieren, um sicherzustellen, dass diese Produkte dann die entsprechende Qualität haben, dass sie eingeführt und weiterverwendet werden können, dann erkennt man schon, dass das schwierig ist. Es hat natürlich auch mit den verschiedenen nationalen Gesetzgebungen und so weiter zu tun. Wichtig ist eben auch immer, dass die Rückverfolgbarkeit gegeben und gewährleistet ist, um auch, gerade wenn Probleme auftreten, sozusagen die ganze Linie klar verfolgen zu können.

Es gibt jetzt also einen Einheitlichen Europäischen Code, und das ist sinnvoll. Ich möchte in diesem Zusammenhang die Kollegen und Kolleginnen aus dem EU-Aus­schuss an die Diskussionen über Normen und Normierungen und so weiter erinnern, wo dann immer ganz stark der Impuls kommt: Bitte lasst doch jedes Land in Österreich auch noch mitbestimmen, was dann die entsprechenden Normen und so weiter sind! – Wenn wir uns vorstellen, wie komplex das ist, aber auch wie notwendig es ist, inter­national zusammenzuarbeiten in dem Versuch, entsprechende Standards zu erreichen, dann wissen wir, dass das eigentlich nur auf europäischer Ebene funktionieren kann.

Deshalb, denke ich, muss das auch mit sehr viel mehr Vertrauen weiterbetrieben werden. Gerade auch im Gesundheitsbereich und im Bereich der Entwicklungen, die es dort gibt, muss auf europäischer Ebene gearbeitet werden, um auch mit Drittstaaten und innerhalb der EU die entsprechenden Standards sicherzustellen. Das wird sich auf österreichischer Länderebene nicht machen lassen.


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 97

Wir glauben, das ist eine gute Änderung und sie ist wichtig, um gerade in der modernen Medizin – man soll ja nicht glauben, wie viel Zellen und Gewebe da ausge­tauscht und auch gehandelt werden – zu gewährleisten, dass es in diesem Bereich Sicherheit gibt, dass aber auch eine weitere Entwicklung, die notwendig ist, möglich ist.

Wir stimmen dieser Novelle gerne zu und haben gegen diese legistische Umsetzung der EU-Regelungen keine Einwände. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten von ÖVP und SPÖ.)

14.56

14.56.29

 


Präsident Mario Lindner: Ich darf den ägyptischen Botschafter und den ehemaligen ägyptischen Außenminister ganz herzlich bei uns im Bundesrat begrüßen. Herzlich willkommen! (Allgemeiner Beifall.)

Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Dies ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den gegenständlichen Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Dies ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit ange­nommen.

14.57.109. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 10. November 2016 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem das Apothekengesetz geändert wird (1863/A und 1310 d.B. sowie 9661/BR d.B.)

 


Präsident Mario Lindner: Wir gelangen nun zum 9. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Mag. Gruber-Pruner. Ich bitte um den Bericht.

 


14.57.31

Berichterstatterin Mag. Daniela Gruber-Pruner: Hohes Haus! Herr Minister! Ge­schätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bringe den Bericht des Gesundheitsausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 10. November 2016 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Apothekengesetz geändert wird.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor; ich komme daher sogleich zur Antrag­stellung.

Der Gesundheitsausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 15. November 2016 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des National­rates keinen Einspruch zu erheben.

 


Präsident Mario Lindner: Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Ebner. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


14.58.17

Bundesrätin Adelheid Ebner (SPÖ, Niederösterreich)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass mit dieser Novellierung des Apothekengesetzes in Zukunft davon abgegangen wird, dass der Bereich einer Apotheke mindestens 5 500 zu versorgende Personen umfassen muss, da ja die Apotheken, speziell im ländlichen Bereich, wichtige Einrichtungen sind und neben der Versorgung mit Medikamenten gleichzeitig die Funktion wichtiger Kom­munikationszentren erfüllen. (Vizepräsident Gödl übernimmt den Vorsitz.)


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 98

Ob als Patienten mit kleinen oder größeren Sorgen, als junge Eltern oder chronisch Kranke, man bekommt eigentlich genau das, was man braucht, und zwar ohne Ter­mine und auch ohne Wartezeiten. Mit ihren Bereitschaftsdiensten sind die Apotheken auch rund um die Uhr für die Menschen da, auch am Abend und speziell auch an den Wochenenden.

Die fachliche Beratung zu den Arzneimitteln zählt zu den Kernkompetenzen unserer Apothekerinnen und Apotheker. Es gibt auch immer wieder im Fernsehen den Hinweis: Fragen Sie Ihren Arzt oder Ärztin, Apotheker oder Apothekerin! Diese erklären den Kunden oder den Patienten auch, wie sie die Medikamente richtig einnehmen bezie­hungsweise anwenden müssen, wie hoch sie dosieren müssen beziehungsweise auch welche Wirkungen, Neben- und Wechselwirkungen diese hervorrufen können. Zusätz­lich können wir in diesen Apotheken auch Vorsorgemaßnahmen und gute Beratung in Anspruch nehmen.

Versorgung rund um die Uhr ist auch ein wichtiges Thema, speziell im ländlichen Raum. Jede Apotheke in Österreich, egal, ob sie in der Großstadt oder in den länd­lichen Gemeinden ist, kann ihren Kunden eine sehr große Palette an Apotheken­leis­tungen anbieten. Da sich Krankheiten bekanntlich nicht an Öffnungszeiten halten, versorgen die österreichischen Apotheken die Bevölkerung auch außerhalb der regu­lären Öffnungszeiten mit wichtigen Arzneimitteln.

Die Nachtdienste der Apotheken sind so eingeteilt, dass man jederzeit in der Nacht diese in angemessener Entfernung erreichen kann, und in dringenden Fällen bringt die Apotheke sogar Medikamente direkt an das Krankenbett. Mit einer Apotheke vor Ort steht der Bevölkerung ein umfassendes Sortiment von durchschnittlich 19 000 Arznei­mittelpackungen zur Verfügung.

Wenn in Zukunft die Behörden neue Apotheken genehmigen, ist es nicht mehr zwin­gend vorgesehen beziehungsweise erforderlich, eine Mindestgrenze von 5 500 Per­sonen, die versorgt werden müssen, einzuhalten, vielmehr ist die optimale Verfügbar­keit von Arzneimitteln für die Bevölkerung das Hauptkriterium für die Erteilung einer Bewilligung. Dies wird übrigens auch in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes so festgehalten. Zu berücksichtigen seien dabei besondere örtliche Verhältnisse wie ein wachsendes Siedlungsgebiet oder stark frequentierte Verkehrs­kno­ten­punkte, zum Beispiel in Flughafennähe.

Die nun vorliegende Novelle zum Apothekengesetz wird die flächendeckende Versor­gung mit Medikamenten verbessern. Insbesondere – ich habe es hier schon einige Male angesprochen – wird dabei der ländliche Raum profitieren und die Versorgung mit Arzneimitteln bedarfsgerechter ermöglicht werden. Gerade Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, werden von einer nahe gelegenen Apotheke profitieren.

Im Interesse und im Sinne der besseren Versorgung mit Medikamenten, speziell im ländlichen Raum, werden wir diesem Gesetz hier heute die Zustimmung erteilen. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

15.02


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Tiefnig. – Bitte.

 


15.02.24

Bundesrat Ferdinand Tiefnig (ÖVP, Oberösterreich): Geschätzter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich könnte man es mit wenigen Worten sagen: Dieses Gesetz ist die Umsetzung eines EuGH-Urteils über eine Klage, die von einem oberösterreichischen Apotheker eingebracht worden ist. Dieses Urteil besagt, dass die 5 500-Einwohner-Grenze ab nun nicht mehr gilt. Es geht


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 99

bei diesem Gesetz aber auch darum, die Versorgung mit Medikamenten im ländlichen Raum sicherzustellen.

Wir müssen aber in Zukunft auch darauf achtgeben, dass unsere Apotheken nicht abgewertet werden, sondern sie auch in Zukunft gestärkt bleiben, denn sie sind der Versorger mit notwendigen Medikamenten und haben Fachpersonal mit entsprechen­der Ausbildung. Es kann nicht sein, dass in Zukunft Märkte wie dm diese Aufgaben übernehmen, sondern diese Aufgaben müssen auch in Zukunft bei den Apotheken bleiben.

Mit der Hausapothekenregelung haben wir für unsere Ärzte sehr viel erreicht, und zwar zunächst mit der 4-Kilometer-Regelung bei der Nachfolgeregelung und der 6-Kilo­meter-Regelung bei Hausärzten, die sich neu ansiedeln. Da ist uns schon sehr viel gelungen, daher verstehe ich überhaupt nicht die Kritik von manche Ärzten an den Primärversorgungszentren, denn die Ärzte wissen doch selber am besten, dass in Zukunft bei der ärztlichen Versorgung ein Riesenproblem bestehen wird und wir daher schon jetzt darangehen müssen, in den Primärzentren diese Versorgung sicherzu­stellen. Inbegriffen ist da auch die Zusammenarbeit mit Krankenschwestern, die die nötigen Dienste erledigen sollen.

Ich kann die Ärztekammer nur bitten, von einem Streik Abstand zu nehmen, denn es geht um die Menschen in Österreich, um eine sichere ärztliche Versorgung unserer Bürgerinnen und Bürger und nicht um irgendeine Interessenvertretung.

Ich unterstütze unsere Bundesministerin Oberhauser bei ihrem Anliegen, die Primär­versorgung weiter auszubauen, und wünsche ihr alles Gute. Ich glaube, sie braucht sehr viel Beistand, und wir geben ihr diesen Beistand. Richten Sie ihr das bitte aus.

Herr Bundesminister Brandstetter, es ist mir ein großes Anliegen, darauf hinzuweisen, auch Bundesministerin Oberhauser wurde mit Cybermobbing verfolgt. Ich habe im Internet gesehen, wie oft sie mit Postings aufgefordert worden ist, von ihrer Funktion zurückzutreten. Es kann nicht sein, dass ein Mensch, der an einer Krebskrankheit leidet, aufgefordert wird, zurückzutreten.

Ich kann nur sagen: Auch mit diesem Gesetz hat Bundesministerin Oberhauser wieder einen Riesenschritt gesetzt. Und man sieht, trotz Krankheit kann man arbeiten. Ich wünsche ihr noch einmal alles Gute! – Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

15.05


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Nun darf ich Frau Bundesrätin Ecker das Wort erteilen. – Bitte.

 


15.05.09

Bundesrätin Rosa Ecker (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrte Damen und Herren! Ich schließe mich den Ausführungen meiner VorrednerInnen an: Das ist halt wieder ein Gesetz, das uns der EuGH quasi zurückgeschickt hat, und wir haben es jetzt nach 2014 zum zweiten Mal zur Reparatur hier vorliegen. Ich hoffe, dass es dann auch passen wird.

Warum ist der Apothekerberuf so sensibel? – Da fühlen wir uns alle gleich ein bisschen angesprochen. Der Apothekerberuf ist ein Gesundheitsberuf. Die öffentliche Apo­theke – und da liegt wirklich die Betonung auf dem Wort „öffentlich“ – ist ein privates kaufmännisches Unternehmen, aber mit öffentlichem Versorgungsauftrag. Darin, glaube ich, liegt die Wichtigkeit, und die wichtigste Grundlage dafür ist eben das Apothe­ken­gesetz. Daher braucht auch jede neue Apotheke eine Konzession, das ist in diesem Gesetz geregelt, und die besonderen Kriterien, die dafür vorgesehen sind, sind aber auch einzuhalten.


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 100

An sich bin ich davon überzeugt, dass die Richtlinien betreffend den Gebietsschutz sehr gut und auch sehr wichtig sind. Aber natürlich ist es im Bereich der ländlichen Gebiete auch notwendig, diese Grenzen flexibler zu gestalten. Wir haben das schon einmal in Bezug auf die Hausapotheken thematisiert, und da waren wir alle der Meinung, dass die Berücksichtigung kleinerer Gebiete oft wichtig ist. Die Apotheke im Ort – das haben wir heute schon gehört – sichert auch die unabhängige Beratung und trägt zur gelebten Nahversorgung bei.

Jede Apotheke in Österreich hat – und das hat mich selber erstaunt – laut Apothe­kerkammer durchschnittlich 48 Stunden in der Woche geöffnet, und rund 280 Apo­theken sichern die Nachtdienste, die Feiertags- und Wochenenddienste, und, wie von Frau Dr. Reiter schon gesagt wurde, genau zu diesen Zeiten ist oft ein Bedarf für Angehörige und Kinder vorhanden. Da ist es sowieso schon schwierig genug, einen Arzt zu erreichen, aber oft hilft die Apotheke auch.

Im Fokus steht bei dieser Gesetzesänderung die Verbesserung der Arzneimittelver­sorgung. Durch eine Einzelfallprüfung kann man den Grenzwert von 5 500 Menschen im Einzugsbereich verkleinern, und genau das führt unserer Meinung nach eben zu einer Verbesserung der Arzneimittelversorgung. Aus diesem Grund werden wir diesem Gesetz auch zustimmen. (Beifall bei der FPÖ und bei Bundesräten der SPÖ.)

15.07


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Dr. Reiter. – Bitte. (Bundesrätin Reiter: Als Letzte, Herr Präsident!) Als Letzter kommt der Herr Minister dran. (Bundesrätin Reiter: Der Herr Minister! Gut!)

 


15.07.39

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Herr Präsident! Herr Minister! Werte Kollegen und Kolleginnen! Ich denke, was wir an unseren Apotheken haben und welche Bedeutung wir ihnen beimessen, das ist heute in den Redebeiträgen schon ganz deutlich herausgekommen. Das ist auch nicht die Ursache dieses Gesetzes, sondern es stimmt, dass es eine Klage gab und dass ein EuGH-Urteil beanstandet hat, dass das Gesetz ein Abgehen von den 5 500 Personen nur im ländlichen Raum vorsieht. Also es geht in dem EuGH-Urteil nicht so sehr um den ländlichen Raum, sondern darum, diese Grenze sozusagen flexibler zu halten, wahrscheinlich deshalb, weil auch die Definition von ländlichem Raum und die Frage, wie das mit dem Bedarf gleichzusetzen ist, nicht so einfach zu regeln sind.

Der EuGH hat gefordert, dass das Abgehen von der 5 500er-Grenze auch außerhalb des ländlichen Raums möglich sein muss, „weil diese starre Grenze die kohärente und systematische Erreichung des mit der Bedarfsprüfung angestrebten Hauptziels – nämlich eine sichere und qualitativ hochwertige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln – nicht gewährleistet“.

Man muss eben auch bedenken: Wie mobil sind die Menschen in der Umgebung? Wie schaut es da mit öffentlichen Verkehrsmitteln und so weiter aus? Das alles sind Dinge, die auch den städtischen Raum betreffen. Es ist dann ein generelles Abgehen von diesem Mindestversorgungspotenzial möglich, „wenn aufgrund besonderer örtlicher Verhältnisse die Neuerrichtung einer öffentlichen Apotheke im Interesse einer ord­nungs­gemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung geboten ist“. Das trifft zu bei eingeschränkter Mobilität, in Stadtentwicklungsgebieten, aber auch im Umkreis von Krankenhäusern mit mehreren Ambulatorien. Aber auch dann – denken wir weiter! –, wenn es in Zukunft die schon genannten Primärversorgungszentren geben wird, wird es natürlich im Interesse der Bevölkerung sein, auch dort Apotheken zu haben. Das betrifft aber auch Gebiete, wo es Bahnhöfe, Flughäfen und so weiter gibt.


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 101

Darüber hinaus wird aber bei der Zulassung einer neuen Apotheke in Zukunft eine Bedarfsprüfung oder eine Einzelfallprüfung verpflichtend durchzuführen sein. Das ist in Ländern wie Oberösterreich und Niederösterreich ja nicht mehr der Fall gewesen, was die Apothekervereinigung auch bemängelt hat. Das ist wahrscheinlich ein Zugehen auf die Apotheker.

Wir Grünen halten das für gut und schließen uns der allgemeinen Zustimmung zu diesem Gesetz gerne an.

Auch ich möchte unserer Frauenministerin Oberhauser alles Gute für ihre Genesung wünschen und hoffe, dass wir sie bald auch wieder hier bei uns im Bundesrat werden begrüßen dürfen. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)

15.10


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Als vorläufig Letztem darf ich Herrn Bundesminister Dr. Brandstetter das Wort erteilen. – Bitte.

 


15.11.07

Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Bundesräte! Als Erstes möchte Ihnen zur Kenntnis bringen, dass mich unsere Frau Gesundheitsministerin Oberhauser vorgestern beim Ministerrat, bei dem sie auch dabei war, persönlich darum gebeten hat, sie hier zu vertreten, was ich sehr, sehr gerne mache. Sie hat damit die Bitte verbunden, Sie alle hier ganz lieb von ihr grüßen zu lassen.

Ich will nun, da ich mich auch entsprechend vorbereitet habe, zwei Bemerkungen inhaltlicher Natur machen.

Erstens: Die Regelung mit dem Gewebesicherheitsgesetz ist eine wirklich perfekte rechtliche Umsetzung. Da kann man dem Gesundheitsministerium nur dazu gratu­lieren.

Zweitens: Wissen Sie, es ist eigentlich schon etwas Besonderes, was bei dem EuGH-Urteil dahintersteckt, nämlich dass der Europäische Gerichtshof uns sagt: Bitte, ihr müsst mit dieser Regelung mehr auf regionale Faktoren, mehr auf besondere Eigenheiten entfernter Regionen Rücksicht nehmen! – Das ist schon bemerkenswert.

Wenn Sie so wollen: Die oft wegen Zentralismus viel geschmähte EU sagt uns in diesem Punkt: Ihr müsst da mehr Differenzierung erlauben, mit Rücksicht auf beson­dere Umstände, speziell in ländlichen Regionen! – Diese Berücksichtigung spezifischer regionaler Faktoren ist etwas, was mir als Waldviertler besonders gut gefällt.

Abschließend möchte ich noch sagen – und Sie wissen, ich komme immer gerne zu Ihnen, daher möchte ich mir erlauben, diese Bemerkung auch hier im Bundesrat zu machen –: Sie sehen, meine Damen und Herren Bundesräte, ich habe mich inhaltlich entsprechend vorbereitet. Das heißt, Sie können auch weiterhin – und das wollte ich Ihnen versichern – davon ausgehen, dass sich auch im Falle einer Vertretung ein Mitglied der österreichischen Bundesregierung hier im Parlament niemals zu einem Thema äußern wird, von dem es keine Ahnung hat. – Danke schön. (Allgemeiner Beifall.)

15.13

15.13.10

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist somit geschlossen.

Wir kommen nun zur Abstimmung.


BundesratStenographisches Protokoll860. Sitzung / Seite 102

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den gegenständlichen Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

Die Tagesordnung ist erschöpft.

15.13.41Einlauf

 


Vizepräsident Mag. Ernst Gödl: Ich gebe noch bekannt, dass seit der letzten beziehungsweise in der heutigen Sitzung insgesamt acht Anfragen, 3182/J-BR/2016 bis 3189/J-BR/2016, eingebracht wurden.

*****

Die Einberufung der nächsten Sitzung des Bundesrates wird auf schriftlichem Wege erfolgen. Als Sitzungstermin wird Donnerstag, der 1. Dezember 2016, 9 Uhr, in Aus­sicht genommen.

Für die Tagesordnung dieser Sitzung kommen insbesondere jene Beschlüsse in Be­tracht, die der Nationalrat bis dahin verabschiedet haben wird, soweit diese dem Ein­spruchsrecht beziehungsweise dem Zustimmungsrecht des Bundesrates unterliegen.

Die Ausschussvorberatungen sind für Dienstag, 29. November, 14 Uhr, vorgesehen.

Die Sitzung ist geschlossen.

15.14.20Schluss der Sitzung: 15.14 Uhr

 

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