9.09

Bundesrat Dr. Magnus Brunner, LL.M. (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrter Herr Prä­sident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in den vergangenen Jahren in Europa gesehen, dass das Zusammengehörigkeitsge­fühl zwischen den Mitgliedstaaten und auch der Menschen untereinander in der EU doch eher abnimmt. Zusammengehörigkeit setzt Vertrauen voraus, deshalb hatte sich Österreich beim Ratsvorsitz zur obersten Priorität gemacht, dieses Vertrauen der Men­schen zueinander, aber auch der europäischen Mitgliedstaaten zueinander wieder zu stärken, und dazu braucht es gegenseitigen Respekt, gegenseitige Anerkennung und auch die Stärkung der Grundrechte und der Rechtsstaatlichkeit. Nur das sichert in un­serem Europa den Wohlstand und die wirtschaftliche Stabilität – und darum geht es be­sonders.

Ob es im Justizbereich das Recht auf Schutz vor Diskriminierung, das Recht auf den Schutz des Eigentums oder das Recht auf Zugang zur Justiz ist, wir müssen alle diese Rechte fördern und schützen; und es braucht aus meiner Sicht dringend Impulse in Richtung einer neuen, starken und auch menschenrechtskonformen EU-Gesetzge­bung, denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Rechtsstaatlichkeit ist der Grundpfeiler für eine funktionierende Demokratie und auch einer der zentralen Werte, auf die sich die Europäische Union gründet. Wir brauchen dieses gemeinsame Europa, wir brau­chen diese gemeinsamen Werte auch in Europa, weil es sonst kein Vertrauen in an­dere Rechtsordnungen gibt, und ein solches Vertrauen ist die Voraussetzung für die Anerkennung von Gerichtsentscheidungen in anderen Mitgliedstaaten.

Österreich hat deshalb in der Zeit seines EU-Ratsvorsitzes sehr viel auf dem Gebiet der Rechtsstaatlichkeit unternommen – es gab zahlreiche Expertentreffen, zwei Justiz­ministerräte, ein informelles Justizministertreffen in Innsbruck, auch viele bilaterale Treffen des Herrn Bundesministers, aber auch auf Beamtenebene. Das Thema der Rechtsstaatlichkeit war in diesem halben Jahr des EU-Vorsitzes Österreichs bestim­mend und hat zu guter Letzt auch zur Annahme der Schlussfolgerungen des Europäi­schen Rates im Dezember geführt, die vor allem die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit zum Inhalt hatten.

Auch im Hinblick auf die kommenden EU-Wahlen spielt das Thema der Rechtsstaat­lichkeit, aber auch der Rechtssicherheit eine sehr wichtige Rolle. Wir müssen auch da wieder zu mehr Vertrauen und zu mehr Sicherheit kommen, damit es zu keiner wei­teren Verunsicherung in der Bevölkerung und auch in der Wirtschaft kommt. Nur mit diesem Vertrauen und mit dieser Sicherheit können wir die europäische Zusammenar­beit weiterbringen.

Der Brexit hat uns allen schmerzlich vor Augen geführt, wie instabil eigentlich das Ver­trauen in die EU, in die Institutionen zumindest in manchen Ländern Europas ist. Na­türlich hätte man zuallererst nicht aus parteitaktischen, polittaktischen Gründen eine Abstimmung machen müssen – das ist klar –, aber genauso wichtig ist, glaube ich, die Frage: Warum haben sich die britischen Bürger für diesen Austritt entschieden, warum hat sich die Bevölkerung so entschieden? – Und da muss man sich schon auch die Frage nach den Ursachen stellen, fragen: Was ist in der EU falsch gelaufen oder wa­rum haben zumindest die Briten das als falsch gelaufen interpretiert?

Ich habe einen angeheirateten Onkel in England, er ist 85 Jahre alt, Uncle Bob. Bob ist Baumeister (allgemeine Heiterkeit) – Bob the Builder, Bob der Baumeister –, hat ein Einmannunternehmen. Onkel Bob der Baumeister hat sein Leben lang einen Bagger gehabt und hat mit diesem Bagger in der Umgebung seine Löcher gegraben. Der Grund dafür, dass ich das erzähle, ist, dass ich ihn kurz nach der Brexitabstimmung besucht habe – er ist mittlerweile, wie gesagt, 85, ist immer noch sehr rüstig – und er einer der Brexitbefürworter war. Er hat mir ganz klar gesagt, er hat für den Brexit ge­stimmt, und er hat dann in der Diskussion versucht – er ist oft schwer zu verstehen –, zu erklären, warum er so gestimmt hat: weil es niemanden gegeben hat, der ihm er­klären konnte, was der Sinn für ihn persönlich – Bob den Baumeister, mit seinem Bag­ger, in seiner Umgebung – wäre, was ihm die EU-Mitgliedschaft bringen könnte.

Das ist, glaube ich, schon ein Problem, das wir haben, auch als Politiker. Wir müssen es erklären, wir müssen die Vorteile der Europäischen Union erklären.

Um auf die EU-Wahl zurückzukommen: Wir brauchen ein starkes Europa. Wir brau­chen dieses starke Europa einfach auch, um die Zukunft und die Herausforderungen der Zukunft meistern zu können; und da wäre natürlich eine hohe Wahlbeteiligung bei der kommenden EU-Wahl sicher nicht schlecht, auch um zu demonstrieren, wie wichtig uns Europa ist.

Die EU-Justizpolitik, um auf das Thema der Aktuellen Stunde zurückzukommen, hat sich in den letzten Jahren aufgrund von vielen aufeinanderfolgenden Änderungen an den EU-Verträgen immer mehr an andere EU-Politikbereiche angenähert, vor allem natürlich auch durch den Vertrag von Lissabon; das war eigentlich die zentrale Än­derung. Damals sind das Europäische Parlament und der Rat in vielen Bereichen der Zusammenarbeit auf Justizebene, in Zivil- und Strafsachen, auch zu Mitgesetzgebern der Mitgliedstaaten geworden.

Die Europäische Kommission hat dann auf Basis der Erfahrungen die EU-Justizagenda entwickelt, in der sie die wichtigsten Herausforderungen für Europa im Justizbereich identifiziert hat. Die EU hat daraufhin auch Maßnahmen getroffen, um die Grundlage für einen – so hat sie es in dieser Agenda genannt – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen zu schaffen. Durch eine enge Zusammenarbeit zwischen dem EU-Parlament und dem Rat wurden dann wesentliche Fortschritte in Bezug auf einen besser funktionierenden und gemeinsamen europäischen Rechtsraum erzielt.

Dieser europäische Rechtsraum, der auf gegenseitiger Anerkennung, auf gegenseiti­gem Vertrauen beruht, wird durch eine Art Brückenschlag zwischen den verschiedenen Justizsystemen der Mitgliedstaaten erreicht. Diese Brücken zwischen den Rechtssys­temen müssen – und darauf müssen wir auch schauen – solide strukturiert sein. Das ist, glaube ich, sehr wichtig.

Mit ihrer Strategie hat sich die EU-Justizpolitik vor allem aufgrund der Finanz- und Staatsschuldenkrise, wie ich glaube, auch zu einem Instrument zur Unterstützung des wirtschaftlichen Aufschwungs, des Wachstums und auch der Strukturreformen in Europa entwickelt. Die EU hat Maßnahmen getroffen, um bei Unternehmen und Ver­brauchern gleichermaßen nach und nach das notwendige Vertrauen wieder aufzubau­en, damit der Binnenmarkt wirklich auch zugunsten von jedem Einzelnen, von jedem einzelnen Unternehmen, von jedem einzelnen Bürger, wie der heimische Markt funktio­niert.

Die Justizpolitik entwickelt sich vor allem auch durch die zunehmende Mobilität der Bürgerinnen und Bürger und auch der Unternehmen in Europa immer weiter. Sie entwi­ckelt sich dynamisch weiter, und genau deshalb wurden nicht zuletzt auch während des österreichischen Ratsvorsitzes Initiativen entwickelt, die die bestehende Politik und die bestehenden Rechtsinstrumente ergänzen und weiterentwickeln – und das immer mit dem Ziel, auf der einen Seite gegenseitiges Vertrauen zu stärken, auf der anderen Seite das Leben der Bürger zu vereinfachen, zu erleichtern und auch zu weiterem Wachstum in Europa beizutragen. Dabei muss man natürlich die Vielfältigkeit der Rechtssysteme und auch der Rechtstraditionen der einzelnen Mitgliedstaaten berück­sichtigen.

Die EU-Justizpolitik ist, glaube ich – damit komme ich zum Schluss –, für die europäi­sche Integration in den letzten Jahren immer wichtiger, immer entscheidender und für viele EU-Bürger auch greifbare Realität geworden, und dazu hat der österreichische Ratsvorsitz unter Minister Moser einen entscheidenden Beitrag geleistet. – Danke. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

9.18

Präsident Ingo Appé: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Martin We­ber. Ich erteile ihm dieses.