9.27

Bundesrat MMag. Dr. Michael Schilchegger (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Geschätzte Damen und Herren Kol­legen! Ja, wenn ich da „sicherheitspolitische Bankrotterklärung“ höre und wenn uns da „Populismus“ vorgeworfen wird, dann kann ich Ihnen, lieber Herr Kollege, nur entgeg­nen: Das, was uns auch immer wieder vorgeworfen wurde, geht noch einen Schritt wei­ter, Sie haben uns ja auch immer wieder vorgeworfen, wir wollen uns nicht an die Euro­päische Menschenrechtskonvention halten und sie überhaupt durch eine österreichi­sche Menschenrechtskonvention ersetzen.

Jetzt ist die österreichische Bundesregierung so weit und hat Pläne, dass man Fälle wie jenen in Dornbirn oder auch Fälle mit IS-Schläfern, die Sie angesprochen haben, verhindert. (Bundesrat Weber: Dornbirn aufdecken, bitte!) Wir wollen auf Basis der Eu­ropäischen Menschenrechtskonvention und der europäischen Richtlinien eine Lösung umsetzen, die möglich ist. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, Sie klammern sich nun sozusagen an diesen Rumpf der österreichischen MRK, den wir ha­ben, und an dieses Gold Plating, das nur einem dient, nämlich dem Schutz der IS-Schläfer und der Terroristen, die wir leider in diesem Land haben, meine Damen und Herren! (Beifall bei FPÖ und ÖVP. Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Ich möchte Ihnen schon noch eines zu bedenken geben, wenn Sie „sicherheitspoliti­sche Bankrotterklärung“ sagen: Ohne die sozialdemokratische Willkommenspolitik der letzten Jahre und Jahrzehnte hätten wir diese fremden Gefährder gar nicht in unserem Land! (Beifall bei der FPÖ.) Wer ist denn verantwortlich, wenn nicht Ihre Politik der offenen Grenzen und der offenen Türen, mit oder ohne Seitenteile, meine Damen und Herren? (Bundesrätin Steiner-Wieser: Ganz genau! Zwischenruf des Bundesrates Samt.)

Ich darf also noch einmal zusammenfassen: Die Europäische Menschenrechtskon­vention, die uns allen ein Anliegen ist und die auch durchaus ein flexibles Instrument ist, lässt diese Sicherungshaft für fremde Gefährder bereits heute zu. Die EU-Auf­nahmerichtlinie lässt eine solche Sicherungshaft ebenso zu. Zahlreiche Nachbarländer und auch Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben bereits heute so eine Siche­rungshaft. Und Sie stellen sich hier auf die Seite der fremden Gefährder und der IS-Schläfer und der Terroristen und sagen dann, wir hätten eine „sicherheitspolitische Bankrotterklärung“ zu verantworten, meine Damen und Herren! (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Weber.)

Warten wir aber einmal ab, welche Teile der SPÖ sich denn in dieser Frage letztlich durchsetzen werden! Das ist ja bei Ihnen auch nicht immer so ganz klar. (Heiterkeit bei der FPÖ.)

Bleiben wir beim Thema Europa, meine Damen und Herren, beim Thema Rechtsstaat­lichkeit. Kollege Brunner hat hier schon sehr viele Initiativen genannt, die ja Sie, Herr Bundesminister, im Rahmen der österreichischen Ratspräsidentschaft angestoßen ha­ben. Zum Teil wurden sie ja bereits umgesetzt. Das betrifft auch einen weiteren Miss­stand, den wir Freiheitlichen immer wieder kritisiert haben, weil es nicht sein kann, dass es nicht möglich ist oder nicht möglich sein soll, zum Beispiel fremde Unionsbür­ger, die sich in unserem Land aufhalten und hier straffällig werden – ich nenne jetzt ir­gendeine Gruppe, ja, zum Beispiel irgendwelche Italiener oder Rumänen –, aus unse­rem Land in ihr Heimatland – nach Rumänien, nach Italien, wohin auch immer – abzu­schieben, weil es dort zu schlechte Haftbedingungen gibt, meine Damen und Herren, und deren Menschenrechte nicht gewahrt würden. Da ist es natürlich ganz wichtig, das Konzept Haft in der Heimat zu forcieren, eine Bewusstseinsbildung bei den anderen Kollegen im Europäischen Rat zu schaffen, damit bei den Haftbedingungen ein Min­deststandard betreffend Menschenrechte gewahrt wird, damit eine Haft in der Heimat möglich ist. – Ich danke Ihnen für diese Initiative, Herr Bundesminister, da haben Sie einen ganz richtigen Punkt getroffen. Ich hoffe, dass bald spürbare Ergebnisse bei den Haftzahlen zu sehen sind. (Beifall bei FPÖ und ÖVP.)

Ja, jetzt ist die Ratspräsidentschaft schon wieder vorbei. Es gibt nach wie vor viel zu tun, was auch im Regierungsprogramm vereinbart wurde. Ich nenne hier – wenn wir schon beim Thema Strafrecht sind – einige wenige Punkte, die auch uns immer ein An­liegen waren, die auch den österreichischen Rechtsanwälten immer wieder ein Anlie­gen waren und die vielleicht da oder dort auf Widerstand stoßen, natürlich auch in Ih­rem Haus, weil ja die Justiz ein gewachsenes System ist und man sich oft schwertut, an alten, bewährten Systemen etwas zu ändern, und man in der Justiz womöglich den Zugang hat, am bewährten System nicht zu viel zu ändern. Aus der Sicht der Betroffe­nen, der Opfer, der Verteidiger gibt es aber da noch den einen oder anderen Verbesse­rungsbedarf.

Ich komme zum Punkt Akteneinsicht. Sie, meine lieben Damen und Herren Kollegen hier im Bundesrat, wissen, wie wichtig es ist, dass man, wenn man sich auf etwas vor­bereitet, auch die Möglichkeit hat, entsprechende Unterlagen zu erhalten. Das ist im Strafprozess grundsätzlich auch gewährleistet, als Verteidiger und auch als Opferver­treter hat man natürlich die volle Akteneinsicht. Das ist nicht der Punkt.

Der Punkt ist aber: Was im Zivilverfahrensrecht bewährter Standard ist, der seit Jahren mittlerweile auch in europäischen Ländern üblich ist, ist die Möglichkeit eines elektro­nischen Aktenzugangs, dass man also die Möglichkeit hat, über ein Web-ERV-System im Rechtsverkehr auch als Strafverteidiger direkt den Akt zu bekommen, und sozusa­gen nicht als Bittsteller darauf angewiesen ist, dass man die Staatsanwaltschaft telefo­nisch oder womöglich per E-Mail oder per Post erreicht. Das ist in Österreich nämlich von Bezirk zu Bezirk, von Staatsanwaltschaft zu Staatsanwaltschaft oft ganz unter­schiedlich, wie man zu diesen Unterlagen kommt. Die elektronische Akteneinsicht ist also ein ganz wesentlicher Punkt, der passt auch zum Schwerpunkt Digitalisierung un­serer Bundesregierung.

Ein zweiter, ganz wesentlicher Punkt: das Beschleunigungsgebot. Dass Strafverfahren möglichst rasch abgewickelt werden, ist nicht nur irgendein rechtspolitisch wünschens­wertes Thema, sondern das ist ein Menschenrecht, das wir als Teil eines fairen Verfah­rens in Artikel 6 EMRK verankert haben. Sie wissen das. Es ist ein Recht des Betrof­fenen, es ist für den Staat ebenso wichtig wie für den Beschuldigten wie auch für das Opfer, dass man ganz, ganz rasch Klarheit gewinnt, ob ein Beschuldigter wirklich der Täter war und verurteilt werden muss oder ob diese Verdachtsmomente haltlos sind und ein Freispruch oder eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens erfolgen müssen.

Derzeit wirkt sich das Beschleunigungsgebot tatsächlich schon in der Praxis aus, man muss aber dazusagen: auch zum Nachteil des Opfers. Wenn das Hauptverfahren den Schuldbeweis erbracht hat und der Beschuldigte verurteilt wird, muss aber das Opfer auf den Zivilrechtsweg verwiesen werden, weil es einfach zu lange dauern würde, die Ansprüche – die Höhe des Schmerzensgeldes, die Höhe des Schadenersatzes, was auch immer – im Detail zu klären. Also da greift ganz klar – und, wie ich meine, auch zu Recht – das strafrechtliche, strafprozessuale Beschleunigungsgebot, aber es ist na­türlich noch nicht lückenlos verwirklicht. Wir haben zwar jetzt mittlerweile seit einigen Jahren auch eine bestimmte Frist, die Staatsanwaltschaft darf grundsätzlich nicht län­ger als drei Jahre gegen einen Beschuldigten ermitteln, aber das Prinzip ist sehr lü­ckenhaft verwirklicht. Da gibt es immer wieder die Möglichkeit, diese Frist zu verlän­gern.

Wenn man sich die Medienberichterstattung anschaut, meine Damen und Herren Kol­legen, Sie kennen das: Man sieht immer diese ganz großen, spektakulären Wirt­schaftsstraffälle, die dann auch mediale Aufmerksamkeit verursachen und erhalten. Da sind wir weit weg von einer angemessenen Verfahrensdauer. Das dauert jahrelang. Schauen Sie sich den Buwog-Prozess an, wie lange da ermittelt wurde, wie lange jetzt schon das Hauptverfahren dauert. Ich gebe Ihnen schon recht, manchmal ist es auch darauf zurückzuführen, dass die Verteidigung entsprechend angelegt wird und die Ver­teidigung nicht sehr erpicht darauf ist, alles gleich von Beginn an offenzulegen. Das sind aber natürlich auch Rechte, die der Verteidiger wahrnehmen muss und die der Be­schuldigte auch wahrnehmen kann, das ist ein rechtsstaatlicher Grundsatz. Trotzdem muss man schauen, wie man das Beschleunigungsgebot im Strafprozess noch stärker verankern kann. Das ist ein ganz wesentliches Anliegen, das auch im Regierungspro­gramm verankert ist und von den Rechtsanwälten immer wieder gefordert wird.

Ich komme damit schon zum allerletzten Punkt, den ich ansprechen möchte, der im Strafprozess auch ganz wichtig ist. Es ist grundsätzlich ein gutes System, wir haben auch die menschenrechtliche Vorgabe des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf, Artikel 13 EMRK. Das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf bedeutet nichts ande­res, als dass es nicht sein kann, dass im Strafprozess eine Instanz über eine Verurtei­lung entscheidet und es anschließend aber nicht mehr möglich ist, dieses Urteil zu überprüfen. Da haben wir die Nichtigkeitsbeschwerde, das ist vom Gesetz her sehr gut angelegt, aber der Oberste Gerichtshof legt das sehr restriktiv aus. Da wäre es aus meiner Sicht und auch aus Sicht der Verteidiger und der Rechtsanwälte – und auch aus Sicht des Regierungsprogramms – wünschenswert, diesen wirksamen Rechtsbe­helf noch besser sicherzustellen, womöglich die Judikatur des Obersten Gerichtshofes etwas zu korrigieren. Da gibt es durchaus auch Kritik aus dem universitären Schrifttum, dass dabei das Rad etwas überdreht wurde und dass es eigentlich fast nicht mehr möglich ist, ein strafprozessuales Urteil nach einem Schöffen- oder Geschworenenver­fahren zu bekämpfen.

Sie sehen, Herr Justizminister, es gibt viel zu tun. Packen Sie es an, unsere Unterstüt­zung haben Sie! (Beifall bei FPÖ und ÖVP.)

9.36

Präsident Ingo Appé: Zu einer ersten Stellungnahme zu Wort gemeldet hat sich der Herr Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz. Ich erteile es ihm; auch seine Redezeit soll bitte 10 Minuten nicht überschreiten.