11.50

Bundesrat Mag. Reinhard Pisec, BA MA (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident und in cumulo sehr geehrte Bundesregierung! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin May­er! Es ist für mich doch etwas überraschend, dass sich die grüne Partei und der grüne Parteiobmann offensichtlich selbst nicht für Kultur interessieren und Letzterer dies in seinem eigenen Ministerium an seine Staatssekretärin delegiert. Das ist doch verwun­derlich. Weiters ist für mich auch verwunderlich, dass bei den Grünen offensichtlich Per­sonalmangel herrscht und eine Leihgabe aus dem roten Milieu erfolgt (Zwischenrufe der BundesrätInnen Schennach und Schumann), weil offensichtlich das eigene Wissen über Kultur doch nicht reicht. (Beifall bei der FPÖ.)

Das Dritte ist für mich keine Überraschung: Dort, wo grün draufsteht, ist offensichtlich rot drinnen. – Das möchte man also relativieren. (Neuerliche Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Seitens der ÖVP ist es auch keine Überraschung. Jedes Mal, wenn man mit der ÖVP über Kultur spricht oder sich dies anhören muss (Zwischenruf der Bundesrätin Schu­mann), geht es um die Salzburger Festspiele. Bei den Salzburger Festspielen kostet ein Ticket circa 500 Euro – wenn man überhaupt eines bekommt. Es ist die Kultur der gro­ßen Elite. (Rufe und Gegenrufe zwischen BundesrätInnen von SPÖ und FPÖ.)

Ich möchte über jene sprechen, die kein Lobbying haben, die kein Recht der Rede ha­ben – weil es schon historisch ist, weil es schon vergangen ist –, nämlich über das Kultur­erbe, über das kollektive Ganze (Zwischenrufe der BundesrätInnen Schennach und Schumann), und das ist das Entscheidende: nicht das individuelle Kunstobjekt – gerade in der Coronazeit, in der es an Einnahmen, an Geld fehlt, gerade wo es oft zu Fehlinves­titionen bei Kunstobjekten kommt –, sondern das kollektive Ganze, das, was unser Kul­turerbe ist, was zum Beispiel das österreichische Kulturerbe ausmacht und all jenes vom lateinischen Europa.

Ich möchte da auf Maurice Halbwachs, den französischen Philosophen, verweisen, der vom kollektiven Gedächtnis spricht, von den kollektiven Erinnerungsorten, die eine Grup­pe der Bevölkerung erst ausmachen, die die Identität bilden und darstellen, und in die­sem Zusammenhang von Erinnerungskultur und -orten, denn das ist auch grenzüber­schreitend und gerade für Österreich als Kulturnation – das verstehe ich unter Kulturna­tion, nicht die Salzburger Festspiele! – extrem wichtig. (Beifall bei der FPÖ.)

Wenn ich zum Beispiel kurz die Symbole Österreichs erwähnen darf, weil heute zwei Wappen (auf die Wand hinter sich weisend, an der normalerweise die Wappen aller neun Bundesländer mit jenem des Vorsitzlandes in der Mitte aufgehängt sind, an diesem Tag jedoch nur jenes des Vorsitzlandes Oberösterreich zu sehen ist), und zwar jene von Wien und Niederösterreich, gestohlen worden sind, wie wir gehört haben: Was macht die Präsentation solcher Symbole (Zwischenruf des Bundesrates Schennach) – ich bin noch nicht bei Wien, aber ich komme dazu! –, die Teil des kulturellen Erbes sind, aus? (Zwischenrufe der BundesrätInnen Schennach und Schumann.) – Das sind die Erinne­rungskulturen, an denen sich das kollektive Gedächtnis der Bevölkerung orientiert.

Für Ungarn ist das zum Beispiel die Stephanskrone. Ich kann jedem nur raten, das wun­derschöne Parlament in Budapest zu besuchen und sich die zentral präsentierte wun­derschöne Stephanskrone – der Stolz der Ungarn, auch des heutigen Ungarns – anzu­sehen, die dort zur Schau gestellt ist. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.) Für Tschechien ist das die Wenzelskrone in der Prager Burg – 5 Stunden Wartezeit, um die­se besichtigen zu dürfen! (Bundesrätin Schumann: Jetzt nicht!) In London sind es die Kronjuwelen – der Stolz Londons –, die neben einem Fließband für die Besucher wun­derbar zur Schau gestellt werden; man schwebt wahrlich vorbei. (Zwischenrufe der Bun­desrätInnen Schennach und Schumann.)

Wien? – Nun bin ich bei Wien. 50 Meter von hier befindet sich die Schatzkammer Öster­reichs mit 700 Jahren habsburgischer, österreichischer Geschichte, der Kaiserkrone Ös­terreichs, der Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches und anderen Reichsin­signien. (Anhaltende Rufe und Gegenrufe zwischen BundesrätInnen von SPÖ und FPÖ.) Wer sieht sich diese an? – Fast keiner. Es wird dunkel präsentiert – finster, einge­kellert, versteckt. Ein wahrer Schatz in Milliardenwert, was hier in 50 Meter Entfernung ausgestellt, aber leider nicht entsprechend präsentiert wird. Was die Sicherheit betrifft, möchte ich gar nicht reden – wenn sogar die Wappen gestohlen werden (auf die Wand hinter sich weisend) –, ich weiß aber, diese Milliardenwerte in der österreichischen Schatzkammer sind katastrophal schlecht abgesichert. Das ist eine Schande Wiens! (Bundesrat Schennach: Aber geh! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Ein weiteres Beispiel ist die Erhaltung und Revitalisierung von kulturellen Werten. Neh­men wir wieder ein Beispiel: Notre-Dame in Paris – abgebrannt. Die ganze Welt hat diese furchtbaren Szenen gesehen. Jeder hat mit den Franzosen mitgelitten. Präsident Macron – einer, der das kulturelle Erbe wirklich auch versteht und präsentiert, auch zeigt und auch danach lebt – hat gesagt: Wir Franzosen bauen unseren Stolz wieder auf! – Was ist beim Hofburgbrand 1992 mit diesem Saal passiert? Wurde er revitalisiert? Ist das der Originalzustand? Bitte, das waren die Redoutensäle, die Ballsäle der Kaiserin Maria Theresia! Wurde das revitalisiert? – Es sieht aus, wie es aussieht. Möge es jeman­dem gefallen, mir gefällt es nicht. (Heiterkeit bei BundesrätInnen der FPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Schennach.)

Wie ist das beispielgebend nach Maurice Halbwachs zu beurteilen? – Es wurde das kol­lektive Gedächtnis der Österreicher missachtet, es wurde die Erinnerungskultur miss­achtet und es wurde ein Erinnerungsort, nämlich die Hofburg, die Burg des Hofes, miss­achtet, und das ist das, was kollektives Gedächtnis auslöscht. Nun bin ich beim Aus­löschen. Nach Maurice Halbwachs ist die zentrale Funktion der Vergangenheit und des Vergangenheitsbezuges die Identitätsbildung. Wenn man Identitäten auslöschen möch­te, dann zerstört man sie. (Zwischenruf bei der SPÖ.)

Nun bin ich bei China und Tibet. Was hat China mit Tibet gemacht? – Die kollektive Erinnerung Tibets ist fast ausgelöscht. 90 Prozent der Klöster wurden devastiert. Die maoistische Kulturrevolution hat dort eine wahre – unter Anführungszeichen – Leistung vollbracht. Oder, um in die Historie zurückzugehen, was der Spanier Cortés mit den Az­teken gemacht hat: Er hat bewusst die Azteken auslöschen wollen, er hat bewusst diese Erinnerung zerstören wollen.

Nun kommen wir zu Wien. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach. – Bundesrat Rösch – in Richtung Bundesrat Schennach –: Zuhören!) In Wien wird alles ignoriert! Es gibt Dutzende Bürgerinitiativen: Heumarktprojekt, Abreißen der Steinhofgründe – ich möchte sie gar nicht erwähnen –, Verbauung jeglicher Gärten, Verbetonierung Wiens. Alles wird ignoriert! Das heißt, das kollektive Gedächtnis – um mit Maurice Halbwachs zu sprechen, um in seinem Sinne zu argumentieren – wird einfach ignoriert und missachtet.

Ich möchte nicht darüber sprechen, dass es jedes Mal ein Kampf und ein Krampf ist, diesen Canaletto-Blick, aufgrund dessen Basis wir den Unesco-Weltkulturerbestatus be­kommen haben, zu erhalten. Es müsste doch eine Ehre für eine Wiener Stadtregierung sein, dieses international präsentieren zu können und zu dürfen – für den Kulturtouris­mus. Der Städtetourismus ist ansteigend, das ist das wahre Asset, das Wien hätte, er wird immer stärker. (Zwischenruf des Bundesrates Beer.) Es müsste doch ein Anreiz und eine Intention sein (Zwischenruf bei der FPÖ), dieses Kulturerbe zu erhalten, zu präsentieren und zu zeigen – und darauf stolz zu sein. (Beifall bei der FPÖ.)

Frau Kollegin Schumann, Sie haben gesagt, wir Wiener – um auch für dich zu spre­chen –, wir Wienerinnen wollen nicht haben, dass unser Wien schlechtgemacht wird. (Bundesrätin Schumann: Na das hoffe ich auch!) Ich, wir – um für die FPÖ zu spre­chen – wollen nicht haben, dass unser historisches Wien sukzessive ruiniert wird. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Ich möchte noch etwas bezüglich Unesco sagen, weil dieses Weltkulturerbe ja ein gro­ßes Thema ist. Der Vorsitzende war Anfang der 2000er-Jahre in Wien und war über­rascht davon, wie Wien mit diesem Erbe umgeht. Was hat er gesagt? – Wien wird von kulturellen Barbaren regiert. – Das hat damals große Aufregung verursacht; aber das Wort wurde gesprochen. (Zwischenruf der Bundesrätin Schumann.) Fazit: Das Kultur­erbe muss besser verwaltet werden. Das kulturelle Erbe, so wie es die EU in ihren Be­richten auch vorsieht, muss hervorgehoben, präsentiert werden. (Zwischenruf des Bun­desrates Novak.)

Es ist tausendmal billiger, denn es ist schon längst geschaffen, es ist ein Aufregen (Zwi­schenruf der Bundesrätin Grimling) – wie du, Frau Kollegin Schumann, es hier machst – nicht mehr notwendig, denn es ist passiert, es ist Geschichte, es hat stattgefunden, es kostet nichts mehr (Zwischenruf der Bundesrätin Schumann), man braucht es nur her­zuzeigen. Man hat – das ist das Wichtigste, weil es immer ums Geld geht, es immer ums Kapital geht – einen tausendfach höheren Return on Investment bei diesen historischen Symbolwerten, die ein Milliardenvermögen wert sind. (Vizepräsidentin Eder-Gitschtha­ler übernimmt den Vorsitz.)

Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, Sie haben genügend Arbeit. Diese wartet auf Sie. Es gibt ein hohes Potenzial kultureller Objekte, Artefakte, kulturellen Wissens, das geho­ben und dargestellt werden kann. Die Menschen im In- und Ausland warten darauf, dass dieses gezeigt wird. Wir Wiener sind stolz auf das, was unsere Vorfahren geleistet ha­ben. Nehmen Sie sich Zeit, präsentieren Sie es und zeigen Sie es unserer eigenen Be­völkerung und vor allem der Weltbevölkerung! – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

11.59

Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Marco Schreuder. – Herr Bundesrat, ich erteile es Ihnen.