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Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Geschätzter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich ha­be jetzt die Absicht, sehr umfassend auf diesen wichtigen Bericht einzugehen. – Zustim­mendes Nicken, passt, danke. (Allgemeine Heiterkeit.) Nein, ich kann meine Ausführun­gen aus einem wichtigen Grund ein bisschen kürzer halten: Mein Vorredner hat die Aufklärungen und Richtigstellungen, die aufgrund der vorhergegangenen Ausführungen erforderlich wurden, bereits vorgenommen. Das kann ich mir jetzt ersparen, das brauche ich nicht zu verdoppeln. Das war korrekt dargestellt.

Danke auch meinen beiden Vorrednern, dass da eine grundsätzlich klare proeuropäi­sche Haltung zum Ausdruck gekommen ist, denn proeuropäisch sind wir nicht dadurch, dass wir alles abnicken, sondern dadurch, dass wir durchaus auch Kritik üben und eine offensive Debatte führen, aber auf Basis klarer Einschätzungen und Haltungen. Das hat mir sehr gefallen und sehr imponiert. Ich finde, genau so sollten wir Europadebatten auch in diesem Haus und in der österreichischen Öffentlichkeit führen.

Zweitens: Ich kann deswegen ein bisschen in die Zukunft schauen und Sie und euch darüber informieren, welche Schritte auf europäischer Ebene in wesentlichen Bereichen für Österreich, auch für dieses Haus, geplant sind. Ich finde es sehr gut, dass wir auf europäischer Ebene merken, dass der Bereich der Gesundheit und der Gesundheitspoli­tik in nächster Zeit massiv mehr Bedeutung kriegen wird, einerseits was Maßnahmen, was politische Felder betrifft, andererseits aber auch was Budgetierung betrifft. Das ist ganz, ganz wichtig, das ist eine wesentliche Reaktion auf die Krisensituation.

Gesundheit wird auch im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft mehr Bedeutung haben. Es ist bereits angekündigt, dass der gesundheitspolitische Bereich der zentrale Schwerpunkt der deutschen Ratspräsidentschaft werden wird.

Ein ganz wichtiger Bereich ist, dass es ja bisher ein, wie ich meine, sehr gering dotiertes EU-Gesundheitsprogramm gegeben hat und dieses in Zukunft massiv aufdotiert wird, und zwar ein Budget von 10,4 Milliarden Euro als EU-Fördertopf erhalten wird und damit wirklich starke Signale setzen kann und auch unsere Arbeit in Österreich deutlich unter­stützen wird. Wir werden uns da sehr offensiv einbringen, damit dieser Fördertopf auch in Österreich für die richtigen Projekte verwendet wird.

Angekündigt ist auch eine Stärkung in den nächsten Monaten und Jahren auf Basis der bisherigen Vorhaben von ECDC, der europäischen Gesundheitskontrollbehörde. Diese hat jetzt schon eine sehr gute Rolle bei der Bekämpfung der Pandemie gespielt – als Begleitung, Unterstützung, als unsere Fachautorität, die wir in Europa haben. ECDC wird massiv ausgebaut, wird mehr finanzielle Ressourcen und mehr Mitgestaltungsmöglich­keiten erhalten, und auch die Verfügbarkeit von wichtigen Gesundheitsgütern, zum Bei­spiel von Medizinprodukten und Arzneimitteln, sowie die Nachhaltigkeit unseres Gesund­heitssystems werden ein zentrales Ziel und Thema auf europäischer Ebene werden.

Ganz wichtig ist aus meiner Sicht, dass die Kommission die Pläne verstärken will, noch im heurigen Jahr, nämlich im vierten Quartal, eine umfassende Arzneimittelstrategie vor­zulegen. Wir sind uns ja, denke ich, alle einig, dass eine der Lehren aus der Krise ist, dass wir eine stärkere europäische Eigenproduktion in diesem Bereich brauchen, weil es die Abwanderung von vielen ProduzentInnen in den asiatischen Raum gegeben hat. Wir haben in der Krise gemerkt, das ist nicht gut so, wir brauchen eine stärkere Eigenab­sicherung, und genau das ist das Ziel dieser Arzneimittelstrategie, die wie gesagt im vierten Quartal publiziert wird. Es wird gerade der Dialog auch mit der produzierenden Industrie in Europa geführt, wie diese eingebunden werden kann, damit der Standort Europa für die Schlüsselproduktionen wieder aufgewertet wird und wir damit krisensiche­rer aufgestellt sind. Das halte ich für eine sehr, sehr wichtige Maßnahme, die angestrebt wird.

Ganz wichtig für uns alle in unserer Bevölkerung wird der – auch für das vierte Quar­tal 2020 geplante – Plan der Europäischen Union für die Bekämpfung von Krebs sein. Da werden neue Maßnahmen erwartet, neue Strategien sind zu erwarten, auch neue Gelder. Das wird vermutlich der Schlusspunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft werden, also der Beating Cancer Plan als ein ganz wesentliches Instrument, von dem wir alle auf eine, so hoffe ich, wirklich sehr positive Art und Weise betroffen sein werden. Im Gesundheitsbereich wird also viel Positives kommen, und da werden wir uns als Re­publik Österreich sehr offensiv einbringen.

Was im Sozialbereich an Maßnahmen zu erwarten ist, dazu wurde schon einiges gesagt, etwa betreffend die Fragen der Umsetzung der Strategie für die Gleichstellung der Ge­schlechter.

Ein Punkt wurde noch nicht angegangen, den ich auch für sehr wichtig halte, nämlich der für Anfang/Mitte 2021 avisierte Bericht beziehungsweise das Grünbuch zum Altern, in dem es darum geht, Menschen, die älter sind, und ihre Lebenssituationen stärker in die Politik einzubinden und dafür ein koordiniertes europaweites Vorgehen zu verwirkli­chen. Ich glaube, auch da sind wir uns einig, dass wir in diesem Bereich mehr tun müs­sen, dass wir hier zulegen müssen; und wenn sich die Europäische Union da verstärkt einbringt, dann wird das auch unsere Bemühungen, etwa im Bereich der Pflegereform, deutlich stärken und uns in dieser Arbeit stärken.

Ja, wir werden sicher – das ist mir persönlich ein großes Anliegen – über die Frage der EU-Kindergarantie neu zu diskutieren beginnen, denn Kinderarmut in Europa ist ein Rie­senthema und wird – durch die Krise noch einmal verschärft – auch nach der Pandemie ein Thema werden. Ihr wisst – ich brauche das nicht im Detail zu wiederholen –, dass Kinderarmut in Österreich dort verstärkt besteht, wo in den Haushalten zumindest eine Person langzeitarbeitslos ist. Das heißt, es muss europaweite Programme zur Forcie­rung der Beschäftigung, gegen Langzeitarbeitslosigkeit geben – als eine zentrale Ant­wort auf die Krise hier in Österreich, als nationales Projekt, aber auch ganz wesentlich auf europäischer Ebene.

Im Bereich des Verbraucherschutzes, der in diesem Diskurs hier in der letzten halben Stunde in erfreulich intensiver Art und Weise ebenfalls angesprochen wurde, verweise ich vor allem auf die neue Verbraucheragenda der Europäischen Kommission; diese wurde ja Ende 2019 vorgelegt. Wir sind mit der Kommission in einem sehr intensiven Austausch betreffend die Frage, wie wir da zu einer Umsetzung, zu einer raschen Um­setzung kommen, weil die Verbraucheragenda grundsätzlich die Macht des Konsumen­ten, der Konsumentin deutlich stärkt. Das ist gut so, das brauchen wir, und wir werden dazu auch unsere Beiträge mit unterschiedlichen Schritten und Maßnahmen auf nationa­ler Ebene leisten, etwa durch eine verbesserte Kennzeichnung, weil gut gekennzeich­nete Produkte die Macht des Konsumenten, der Konsumentin deutlich stärken.

Ja, und – last, but not least – ganz, ganz wichtig ist natürlich der in diesem Bereich for­cierte europäische Green Deal, der ja in den Eckpfeilern seit Anfang des Jahres vorliegt. Wir erachten diesen gerade in Zeiten der Beschäftigungsprobleme in Europa für extrem wichtig. Das Ziel muss sein, dass wir diese Investitionen möglichst forcieren, möglichst vorziehen, um einerseits etwas für den Klimaschutz und damit für die nächsten Genera­tionen zu tun und andererseits auf gleicher Ebene Beschäftigungsimpulse in Europa ge­gen die in allen Mitgliedstaaten drastisch gewachsene Arbeitslosigkeit zu setzen.

Ein klein wirkender, aber systematisch wichtiger Bereich ist dabei auch die Initiative der Europäischen Union, die Kreislaufwirtschaft zu forcieren, unter anderem durch Bindun­gen für Produzenten, Ersatzprodukte über längere Zeiträume hinweg zur Verfügung zu stellen, denn nur dann, wenn das abgesichert ist, auch als Recht des Konsumenten und der Konsumentin, ist zum Beispiel eine Reparatur möglich. Auch das ist ein ganz wich­tiger Schritt und entspricht einer alten Forderung, die von vielen Umweltinitiativen seit vielen Jahren erhoben wurde.

Zum Schluss ein kurzer Ausblick auf den EU-Ratsvorsitz Deutschlands – dieser ist, glau­be ich, wichtig für uns –: Da sollte sich vieles in Bewegung setzen lassen. Wir sind mit der deutschen Bundesregierung und den entsprechenden Ministerien sehr, sehr gut ab­gestimmt, werden uns da sehr offensiv einbringen. Das zentrale Thema wird das Thema des Gesundheitsbereichs, der Stärkung eines staatlichen Gesundheitssystems sein. Ich halte das für extrem wichtig. Auch das ist eine der zentralen Lehren, die aus der Pande­mie gezogen werden konnten: dass wir dann sicher sind, dass wir dann gut versorgt sind, dass wir dann krisensicherer aufgestellt sind, wenn das Gesundheitssystem funk­tioniert. Das österreichische hat bewiesen, dass es gut aufgestellt ist, in anderen euro­päischen Ländern hat das leider nicht so ausgesehen, und das sollte uns schon die Si­cherheit geben, in welche Richtung wir gemeinsam arbeiten müssen.

Ein weiteres zentrales Thema der deutschen Ratspräsidentschaft wird die Digitalisierung im Gesundheitswesen sein. Da werden wir im Juli noch auf nationaler Ebene einen Ge­setzentwurf, eine Regierungsvorlage einbringen, nämlich was die österreichischen Maß­nahmen im Bereich Digitalisierung betrifft, und es wird während des deutschen Ratsvor­sitzes auch eine erste größere Initiative zum europäischen Gesundheitsdatenraum ge­startet werden, weil wir da ja grenzüberschreitend planen müssen.

Die in Österreich durchaus unterschiedlich diskutierte App ist ein Beispiel dafür, dass es wenig Sinn macht, in diesem Bereich rein mit nationalen Projekten und Regelungen zu agieren, sondern dass es in diesem Zusammenhang grenzüberschreitende Projekte braucht.

Das heißt, ich bin in diesen drei Bereichen, im Gesundheitsbereich, im Sozialbereich und im VerbraucherInnenbereich, eigentlich recht optimistisch, dass wir in den nächsten Monaten wirkliche Fortschritte machen. Wir werden uns in den nächsten Monaten ge­meinsam, denke ich, gut und intensiv einbringen, und ich bin gerne dazu bereit, auch Sie ständig am Laufenden darüber zu halten, was wir im Rahmen der deutschen Rats­präsidentschaft und auch auf anderen Ebenen in diesen zentralen Bereichen weiterbrin­gen. – Herzlichen Dank. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)

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