18.51

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Werter Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuse­her! Am 22. Jänner 2021 ging ein unglaubliches Horrorvideo aus dem Außenministerium online. Um es ein bisschen zu beschreiben: Man sieht den Blick auf Wien aus der Vogel­perspektive, Wien in einer wunderbar sonnigen Morgenstimmung – ruhig steht er da, der Steffl, und die Häuser der Stadt. Und auf einmal heißt es: „Was passiert, wenn über Wien ein nuklearer Sprengsatz [...] explodiert?“; „Radius Feuerball: 380 m“; „Alles Asche.“; „Ra­dius Hitzewelle: 2.500 m“; „Menschen brennen.“; „Tote: 230 380“; „Verletzte: 504 460“; „Radius Druckwelle: bis Hütteldorf.“; „Fenster bersten.“; „Radius Aschewolke: bis Graz.“; „Radioaktiv verseucht.“; „Dies waren die Folgen einer Bombe.“; „Nukleare Waffen welt­weit: 13.400“; „‚Mit dem Atomwaffenverbotsvertrag [...] läuten wir den Anfang vom Ende dieser heimtückischen Waffen ein.‘ Alexander Schallenberg.“

Na, dazu fällt einem dann gar nichts mehr ein! Die „Kronen Zeitung“ fasst es dann in einem Artikel zusammen: „Außenministerium lässt Wien verdampfen – Kritik“ am Video.

Ein Außenminister außer Rand und Band: Wien wird ohne Not als potenzielles Opfer eines Atombombenabwurfs dargestellt, und das in einer Situation, in der die Menschen ohnehin schon zu viele Ängste und Sorgen haben, Ängste um ihren Arbeitsplatz. 535 000 Menschen sind arbeitslos, fast 460 000 sind in Kurzarbeit, es gibt 7 515 Covid-Tote, Ängste, Sorgen, Leid, Bedrohung durch eine Pandemie. – Bitte, was ist der Sinn eines derartigen Videos zu dieser Zeit? Was sind Sinn und Zweck dieses Videos? – Das Außenministerium will die Angst und die Verunsicherung noch mehr steigern, die mögli­che Bedrohung durch einen Atomschlag in den Raum stellen, vielleicht auch den Wien-Tourismus noch mehr schädigen. Es geht der Stadt Wien tourismusmäßig ganz, ganz schlecht, der Städtetourismus liegt darnieder – da stellt man, bitte, ein solches Video online und zeigt, wie Wien verdampft?!

Aber auch die Auswirkungen eines Atomangriffs auf andere Landeshauptstädte, wie Graz, Innsbruck, Linz und Salzburg, werden gezeigt. Ist das sinnvoll? – Nein, ist es nicht! Im Gegenteil! Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten halten das für brandge­fährlich, verwerflich und gegen jede Logik in dieser Zeit. (Beifall bei der SPÖ.)

Wieso macht das also ein Außenminister? Ein Außenminister müsste eher die Rolle des verbindenden, eleganten Ministers haben, der aus einem Außenministerium kommt, von dem man weiß, mit wie viel Vorsicht die Beschäftigten gerade dort, in ihrem Wissen ob ihrer Verantwortung im internationalen Bereich, agieren.

Es ist aber eindeutig, für uns ist es klar: Es geht darum, ein Ablenkungsmanöver zu starten, um das Versagen der Regierung – sei es mit Impfchaos, sei es in der Teststra­tegie, in was auch immer – in der Pandemie zu überlagern, und das mit diesem untaugli­chen Mittel. Es wäre das Thema Atomwaffenverbot wohl auch ganz anders abzuhandeln gewesen als in dieser schrecklichen Horrorform! (Beifall bei der SPÖ.)

Wir fragen uns schon: Was ist denn dann die nächste Nebelgranate, wenn das mit dem Atompilz nicht so passt? Nehmen wir das nächste Mal den Angriff von Aliens als Möglich­keit, um davon abzulenken? – Das ist doch keine Methode, um Himmels willen! Vom Chaos rund um die fehlende Impfversorgung der Bevölkerung kann man nicht auf solch eine Weise ablenken.

Aber gut, wenn sich der Außenminister derartig vor den Vorhang wagt, dann muss man auch erklären und sich fragen, was unser Außenminister eigentlich macht. Lassen Sie mich die wichtigsten Dinge also zusammenfassen: Der Kuschelkurs mit dem amerikani­schen Präsidenten Trump war ihm wider besseres Wissen kein Dorn im Auge. Im Ge­genteil! Die österreichische Bundesregierung, allen voran der Bundeskanzler und auch Sie, Herr Außenminister, fühlt sich offensichtlich im Beisein von rechtsnationalen Popu­listen wohl. Es gibt keine Berührungsängste, beste Beziehungen zu den Regierungen in Polen und Ungarn oder eben medienwirksame Fotos mit dem Spalter der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald Trump – das ist die Bilanz dieser Regierung.

Oder man denke an den Auftritt des Außenministers in der „ZIB 2“, der selbst den wort­gewaltigen Moderator Armin Wolf stocken ließ. Der Grund dafür lässt sich mit einem Satz beschreiben: „Geschrei nach Verteilung ist nicht die Lösung“. – Gemeint waren damit aber nicht die Kosten für ein außenpolitisches Projekt oder die Frage nach der Vergabe von Fördermitteln auf EU-Staaten, sondern Menschen, die seit Monaten in Lagern auf den griechischen Inseln oder, wie wir auch wissen, in Bosnien in der Kälte im Dreck sitzen und nicht wissen, wie sie unter diesen furchtbaren humanitären Bedingungen wei­termachen sollen.

Auf dem Boden Europas, vor unserer Haustür sozusagen, wurde eine menschliche Kata­strophe angerichtet, und das Einzige, was der Außenminister dazu zu sagen hat, ist – lassen Sie es mich wiederholen –: „Geschrei nach Verteilung ist nicht die Lösung“.

Herr Minister, was ist denn dann Ihre Lösung? – Sie haben bis heute keine präsentiert (Beifall bei der SPÖ); und auch der Innenminister nicht. Dieser posiert zwar medienwirk­sam mit der Fahne Österreichs vor Hilfsgütern, kann aber seine Parole „Hilfe vor Ort“ gleich mit den Hilfsgütern in Depots einmotten.

Oder schauen wir auf die Durchsetzung der Menschenrechte: Österreich hat sich da aus der Verantwortung genommen, hat sich bewusst abgemeldet. Verstöße gegen die Men­schenrechte werden weggeschwiegen, kleingeredet oder zu national zu entscheidenden Fragen erklärt. Das ist für ein Land mit der historischen Verantwortung, wie sie Öster­reich hat, untragbar!

Und, um es noch einmal zu betonen: Die Abschiebung, die heute Nacht vonstattenge­gangen ist, macht einen zutiefst betroffen und es friert einem das Herz.

All diese Beispiele, Herr Außenminister, zeigen, dass Sie sich in dem, was Sie tun, in einem Zustand der Planlosigkeit befinden, und Sie haben, auf Wienerisch gesagt, kein Gspür dafür, was notwendig wäre und was Sie tun sollten. (Beifall bei der SPÖ.) Sie spielen stattdessen mit im Konzert der Messagecontrol, die mittlerweile zu einem kalten Mahnmal für die lange Reihe an angekündigten und nie umgesetzten Maßnahmen einer Showregierung geworden ist. Diese Showpolitik muss kritisiert werden, weil sie eine Abkehr von der bewährten Praxis ist, deren Basis sozialdemokratische Außenminister wie Bruno Kreisky gelegt haben, nämlich eine Außenpolitik, die sich als vereinende, frie­densstiftende Politik versteht und einem kleinen neutralen Land, wie Österreich es ist, viel mehr Geltung gegeben hat als die peinlichen Anbiederungen des Bundeskanzlers oder von Ihnen als Außenminister an die skurrilen Gestalten der Weltpolitik, die wir jetzt erleben müssen. Und nein, das sage nicht ich, sondern das ist zugegebenermaßen sinn­gemäß die Auffassung, die vom Spitzendiplomaten Wolfgang Petritsch in seinem Kom­mentar „Österreichs Außenpolitik in der Verirrung“ vertreten wird.

Man habe sich dem bloßen „Spektakel“ verschrieben, sich „an Trump angepasst“ und sich „ins europäische Abseits“ gestellt, schreibt Petritsch da unter anderem. Damit ist Österreich auf der Welt ein beträchtlicher Schaden entstanden, und wir sind leider zur Lachnummer geworden.

Wolfgang Petritsch gibt Ihnen, Herr Außenminister, und Ihrem Bundeskanzler einen guten Rat mit auf den Weg, den ich Ihnen jetzt hier im Wortlaut vorlesen möchte: „Eines ist gewiss: Die Rückkehr zu einer durchdachten und den gemeinsamen europäischen Prinzipien folgenden Außenpolitik ist längst überfällig. Der aus persönlicher Profilie­rungssucht entstandene Kollateralschaden der Trump-Jahre sollte uns eine Lehre sein.“

Ja, die Showpolitik der Trump-Jahre sollte vorbei und uns eine Lehre sein, aber stattdes­sen veröffentlicht man dieses Horrorvideo. Der Wiener Bürgermeister hat es ja treffend beschrieben – ich zitiere –: „Das Atombomben-Video“ des Außenministeriums „ist für mich absolut indiskutabel. Es lässt jegliche Sensibilität vermissen. Jetzt ist nicht die Zeit, mit Atombomben Angst zu schüren, sondern sich um Impfdosen zu kümmern.“ (Beifall bei der SPÖ.) „Die Bundesregierung wäre gut beraten, sich mit aller Kraft der Bewälti­gung der Corona Krise anzunehmen. Videos wie dieses tragen [...] absolut nicht dazu bei.“ – Besser kann man es nicht sagen.

Damit Sie jetzt nicht glauben, dass wir den Wiener Bürgermeister aus parteipolitischen Überlegungen zitieren (Zwischenruf bei der ÖVP), habe ich Ihnen noch ein Zitat mitge­bracht: „Dieses Bild, das veranschaulichen soll, was passiert, wenn eine Atombombe auf Graz abgeworfen wird, ist absolut geschmacklos.“ – Sie wissen sicher, von wem das Zitat ist: von Ihrem ÖVP-Bürgermeister der steirischen Landeshauptstadt Graz, Siegfried Nagl. Erfreulich ist ja, dass Ihr Kollege offenbar weniger ein Fan von aufsehenerregen­den Videos als vielmehr von echten politischen Forderungen hinsichtlich der nuklearen Bedrohung ist. So fordert Bürgermeister Nagl die Stilllegung des slowenischen Meilers in Krško, der durch das Erdbeben in Kroatien ja beinahe betroffen und eine reale Bedro­hung für Österreich gewesen wäre. Dort liegt die viel unmittelbarere und wahrscheinli­chere nukleare Bedrohung für unser Land: in all den schrottreifen Atommeilern an der österreichischen Grenze oder in unmittelbarer Nachbarschaft. Wieso hört man eigentlich dazu nichts von Ihnen?

Das ist eine zentrale Frage in unserer heutigen Dringlichen Anfrage. Zugleich stellen wir aber viele weitere Fragen – in Summe sind es 42, die wir an Sie gerichtet haben –, und wir ersuchen – ganz ehrlich, wir haben schon vieles erlebt – um eine ernsthafte Beant­wortung.

So wollen wir zum Beispiel wissen: „Von wem stammte die Initiative zur Gestaltung des genannten Videos über einen Atomwaffenangriff auf Wien?“; „Ist es vor dem Hintergrund der großen Ängste, die die Corona-Pandemie ohnehin auslöst, verantwortungsbewuss­tes Handeln einer Bundesregierung zusätzlich Ängste vor einem Atomangriff zu schü­ren?“; „Welche Kosten verursachte die Produktion dieses Videos samt Konzeption?“; „Was trägt Ihr Ressort konkret dazu bei, die Corona-Krise zu bekämpfen?“; „Ist Ihr Res­sort in die Beschaffung von Impfstoff zur Bekämpfung der Pandemie eingebunden?“. Und wir stellen viele weitere Fragen.

Sie sind uns, aber vor allen Dingen der österreichischen Bevölkerung Antworten auf die­se und alle weiteren Fragen schuldig. Herr Außenminister, kommen Sie Ihrer Verantwortung nach – Schluss mit Showpolitik! Uns Sozialdemokraten – ganz klar gesagt – reicht es, es ist genug. (Beifall bei der SPÖ.)

19.04

Präsident Mag. Christian Buchmann: Zur Beantwortung hat sich Herr Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Alexander Schallenberg zu Wort gemeldet. Ich erteile ihm dieses. – Bitte, Herr Bundesminister.