17.56

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (SPÖ, Niederösterreich): Geschätzte Frau Präsi­dentin! Werter Herr Bundeskanzler! Herr Finanzminister! Geschätzte Mitglieder der Bun­desregierung! Ja, wer hätte sich in der letzten Bundesratssitzung gedacht, dass, noch während wir an den damaligen Bildungsminister Faßmann eine Dringliche Anfrage zur Coronasituation an den Schulen und im Bildungswesen generell gestellt haben, offensichtlich schon lange klar war, dass nicht er es sein wird, der sich mit der Thematik in Zukunft weiter befassen wird oder wird befassen müssen. – Eines kann ich Ihnen versichern, geschätzter Herr Minister: Sie haben da ein Ressort übernommen, in dem es mehr als genug zu tun gibt. Es gibt in so vielen Bereichen der Bildung dringendsten Handlungsbedarf, und ich glaube, ein gemütlicher Einstieg wird das wohl nicht werden.

Ich bin mir sicher, Sie wissen, dass das österreichische Bildungssystem gerade im euro­päischen Vergleich eher ungerecht ist. In kaum einem anderen Land wird Bildung so sehr vererbt wie in Österreich. Der schulische Erfolg und auch das Weiterkommen eines Kindes im Bildungssystem hängen vergleichsweise stark vom familiären Hintergrund ab. Ich darf dazu den Nationalen Bildungsbericht erwähnen, der das auch immer wieder feststellt und darlegt.

Das war schon vor der Pandemie der Fall, die Krise hat diese Problematik aber natürlich, wie wir schon wissen, sehr intensiv verschärft. Kinder mit Unterstützung zu Hause tun sich oftmals wesentlich leichter, auch im schulischen Pandemiealltag, beim Distance­learning und allem, was dazugehört, als jene Kinder, die diese Unterstützung eben nicht im notwendigen Ausmaß haben. Wir wissen, jedes Jahr werden Abermillionen von Euro für Nachhilfe ausgegeben, was die Schere noch weiter auseinanderklaffen lässt. Manche können sich die Nachhilfe leisten, andere nicht.

In diesem Sinne habe ich, wenn Sie so wollen, einige Wünsche an Sie, und ich hoffe, diese bleiben keine Wünsche ans Christkind, wenn ich das so formulieren darf. Ich fange mit etwas relativ Einfachem an, das sich aus meiner Sicht, wie ich glaube, relativ leicht und akut umsetzen lässt. Ich würde Sie nämlich als Lehrerin an einer Mittelschule, in dem Fall auch als Betroffene, wirklich sehr eindringlich um eine Kommunikation im Schulbereich mit den Lehrerinnen und Lehrern, mit den PädagogInnen, vor allen Dingen mit den Schulleiterinnen und Schulleitern bitten, und ich würde Sie darum bitten, nicht erst am Sonntag in irgendwelchen Pressekonferenzen zu verlautbaren, was dann am Montag zu tun ist. Ich sage nur, Wertschätzung und Planungssicherheit sollte man sich nach 21 Monaten der Pandemie erwarten können. Das wäre mein Wunsch, denn in den vergangenen Monaten ist das mitnichten passiert – leider, muss ich sagen.

Etwas, das ich mir auch wünsche, sind ganz klare Ansagen in den Verordnungen; Ver­ordnungen, die nicht noch mehr Fragen aufwerfen, als sie eigentlich lösen. Ich glaube, wir als Pädagogen sind, was alle geänderten Maßnahmen betrifft, inzwischen gebrannte Kinder, wenn man das so formulieren darf.

Ein Wunsch, den ich noch habe, hängt mit der Sommerschule zusammen, denn ich habe das Gefühl, gerade auch mit der Sommerschule, mit einer Förderstunde hier, einer Förderstunde da, werden in Wahrheit nur Pflaster aufgeklebt. Es werden da in einem Klein-Klein nur Symptome behandelt, nicht aber die wahre Ursache, nicht die Grund­problematik, die ganz offensichtlich in unserem Schulsystem vorherrscht. Ich denke mir, wenn das Geld für all diese kleinen Pflaster da ist, wie eben für die Sommerschule, dann sollte es doch eigentlich auch für ein wirkliches Neudenken der Schule, der gesamten Bildungswelt da sein, sollten auch Mittel für noch mehr Autonomie bereitgestellt werden (Zwischenruf des Bundesrates Bader), damit je nach Bedarf auch tatsächlich in Klein­gruppen unterrichtet werden kann, projektorientiert unterrichtet werden kann, the­men­zentriert gearbeitet werden kann, und das nicht nur in diesen besagten zwei Wochen im Rahmen der Sommerschule. Das wäre mein allergrößter Wunsch, den ich habe. Ich glaube, bildungstheoretische Ideen gäbe es genug, man muss sie nur aufgreifen, wenn man den Mut dazu hat.

Als selbst Betroffene darf ich noch einen digitalen Wunsch anschließen, nämlich betref­fend die digitalen Endgeräte, die ja kommen sollen. Meine Schule gehört auch zu diesem knappen Drittel an Schulen, die bis heute noch kein einziges digitales Endgerät bekom­men haben. Ich würde mir wünschen, dass zumindest die Deadline, die uns jetzt genannt wird, Ende Februar, tatsächlich gehalten wird und gehalten werden kann. Wir dürfen nicht vergessen: Bis die Geräte dann auch tatsächlich einsetzbar sind, bis die Software drauf ist, bis die Kinder entsprechend eingeschult sind, die Lehrerinnen und Lehrer eingeschult sind, ist das Schuljahr vorbei. Angesichts dessen, dass die damalige Ministerin Hammerschmid bereits 2017 ein fixfertiges Konzept präsentiert hat und wir dann schon 2022 haben, ist viel zu viel Zeit vergangen, muss ich sagen. (Beifall bei der SPÖ.)

Die Covid-Maßnahmen, das ist auch so ein Punkt: Ich wünsche mir einfach Maßnahmen, die wirklich alle mittragen können, die klar sind, die eine sichere Schule, eine sichere Bildungswelt gewährleisten, damit auch wirklich alle, die in der Schule und im Bildungs­wesen tätig sind, geschützt dort arbeiten können, sicher dort arbeiten können und ein dauerhafter Unterricht gewährleistet ist. Ich denke, das ist sicher ein Wunsch, der uns eint, und ich hoffe, das wird in Zukunft noch gelingen. Wir alle wissen nicht, was Omikron bringt, ich hoffe aber, dass die Planungen dahin gehend schon so weit gediehen sind, dass Konzepte vorliegen, wie im Falle so einer Notsituation damit umgegangen werden kann. Ich kann Ihnen versichern, es gibt auch in unseren Reihen genügend Praktike­rin­nen und Praktiker, es gibt genügend Pädagogen und Pädagoginnen – Kollegin Gruber-Pruner beispielsweise, die hinter mir sitzt, oder auch ich. Unsere Hand ist jedenfalls ausgestreckt, Sie müssen sie nehmen und zugreifen.

Nun darf ich mich noch an Sie wenden, Frau Staatssekretärin: Im Zusammenhang mit Ihrer Bestellung und Angelobung, muss ich sagen, haben sich sozusagen zwei Szenarien, zwei Bilder vor mir entwickelt, und zwar auf der einen Seite im Zusam­menhang mit der Erklärung, die Sie heute abgegeben haben, auf der anderen Seite im Zusammenhang mit einem Interview, das Sie vor etwas mehr als einer Woche in der Sendung „Hohes Haus“ gegeben haben. Ich habe in beiden Fällen sehr, sehr gut zugehört. Da ging es natürlich um die Situation der Jugend gerade jetzt, in der Pan­demie.

Sie haben es heute schon angesprochen: Die Studierenden haben zum Teil auch mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen, weil ihnen beispielsweise die typischen Stu­dentenjobs in der Gastronomie, im Tourismus weggefallen sind, und vieles andere mehr. Frau Kollegin Gruber-Pruner hat die Lehrlinge angesprochen, auf die in Wahrheit in der gesamten Pandemiezeit gänzlich vergessen wurde. (Beifall bei der SPÖ.) Viele, auch jüngere SchülerInnen kämpfen mit depressiven Verstimmungen, Angstzuständen, Schlafstörungen. Ganz aktuell ist eine Studie der Donau-Uni Krems dazu heraus­gekom­men: „62 Prozent der Mädchen und“ immerhin „38 Prozent der Burschen weisen eine mittelgradige depressive Symptomatik auf.“ Und fast täglich tauchen in Wahrheit ganz neue Zahlen, neue Meldungen dahin gehend auf, heute ganz aktuell im ORF. Im Bericht der Liga für Kinder- und Jugendgesundheit – ich habe ihn auch mit – wird ein ähnliches Bild gezeichnet.

Ich hoffe, wir sind uns einig, dass das eine mehr als besorgniserregende Entwicklung ist, angesichts derer wir uns alle gemeinsam, über alle Parteigrenzen hinweg besser gestern als heute zusammenschließen müssen und der wir entgegenwirken müssen. Das ist dringend geboten.

Sie haben das also in Ihrem Interview bestätigt – so weit, so gut. Auf der anderen Seite – das muss ich feststellen und darauf muss ich, glaube ich, wirklich immer wieder ganz deutlich hinweisen – sehe ich unzählige wirklich gute inhaltliche Anregungen, sehe ich unzählige Anträge auch und vor allem der sozialdemokratischen Abgeordneten, die in Wahrheit in Bausch und Bogen abgelehnt werden, aus Prinzip vermutlich, weil sie von der Opposition kommen (Bundesrätin Steiner-Wieser: Auch die freiheitlichen!)  ich weiß es nicht, ich kann es nur vermuten.

Ich habe Ihre Worte noch ganz genau im Ohr: Sie haben von den dringend notwendigen niederschwelligen Angeboten und Möglichkeiten im Bereich der Schulpsychologie, der SchulsozialarbeiterInnen und vielem anderen mehr gesprochen. – Das finde ich wirklich spannend, denn erst in der letzten Sitzung des Bundesrates hat Ihre Fraktion, Frau Staatssekretärin, gemeinsam mit den Grünen, muss ich schockierenderweise hinzu­fügen, geschlossen gegen meinen, gegen unseren Antrag betreffend die Gesundheit von Schülerinnen und Schülern, der genau das zum Inhalt hatte, gestimmt. Das verstehe ich ganz und gar nicht, mit Verlaub. (Zwischenruf bei der ÖVP.) Ein konsistentes inhalt­liches Bild schaut für mich anders aus, denn dann würde man nicht das eine sagen und in Wahrheit das andere tun. (Bundesrat Himmer: Aber wie wir abstimmen, musst schon uns fragen ...!) Das passt für mich nicht zusammen, so ehrlich bin ich. (Beifall bei der SPÖ.)

Und wir wissen: Ein Schulpsychologe, eine Schulpsychologin muss sich derzeit um etwa 5 200 Schülerinnen kümmern, ist für eine solche Menge an Schwierigkeiten, emotionalen Schwierigkeiten zuständig  das kann, glaube ich, in niemandes Interesse sein.

Ganz ehrlich: Die Situation aufgrund der Pandemie ist eine, die sich ganz und gar nicht für solche parteitaktischen Spielchen und so ein Kalkulieren und Inszenieren eignet. Ich glaube, es geht schlicht und einfach darum, die physische, die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen sicherzustellen, ihre Resilienz aufzubauen, ihre Stärken auch tatsächlich erkennen zu können und zu entwickeln, damit sie später ein gutes und erfülltes Erwachsenenleben sowohl auf beruflicher Ebene als auch abseits von Job und Verpflichtungen führen können. Kurzum: Es geht um die Zukunft unserer Gesellschaft. Wo ist also dieser viel beschworene Schulterschluss? Ich kann ihn beim besten Willen nicht finden. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich darf an dieser Stelle noch daran erinnern, dass es zum Beispiel einen aufrechten Bundesratsbeschluss vom 16. Juli des letzten Jahres gibt, nämlich betreffend die Um­setzung der täglichen Turnstunde. Das ist inzwischen über ein Jahr her, und seither ist diesbezüglich offensichtlich nicht mehr passiert, als Arbeitsgruppen einzusetzen. Umge­setzt worden ist die tägliche Turnstunde nicht, gerade jetzt aber wäre regelmäßige Bewegung und regelmäßiger Sport so wichtig, auch als Ausgleich angesichts all der psychischen Schwierigkeiten, von denen wir heute schon gehört haben.

Frau Staatssekretärin, Herr Bildungsminister, wenn Sie es also wirklich ernst meinen, wenn Ihnen die Jugend, wenn Ihnen die Kinder, all ihre Sorgen und die Hindernisse, mit denen sie aktuell tatsächlich zu kämpfen haben, wichtig sind, dann setzen Sie sich hoffentlich gegenüber Ihrer Fraktion durch! Arbeiten wir gemeinsam daran, dass die Zukunft unserer Jugend auch tatsächlich eine gute und schöne Zukunft werden kann! – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

18.08

Vizepräsidentin Mag. Christine Schwarz-Fuchs: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag.a Elisabeth Grossmann. Ich erteile dieses.