19.58

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (SPÖ, Niederösterreich): Geschätzter Herr Prä­si­dent! Werter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe KollegInnen! Es freut mich, dass ich heute auch noch ein zweites Mal die Gelegenheit bekomme, über Bildungs­angelegenheiten zu diskutieren.

Wenig überraschend, weil auch schon im Nationalrat der Fall, können wir dem vorge­legten Gesetzeskonvolut – so muss man ja dazu sagen – nicht unsere Zustimmung geben. Ich möchte ganz kurz darlegen, wieso das so ist. Ich möchte mich aber aufgrund der fortgeschrittenen Dauer unserer Sitzung heute auf jene Punkte beschränken, an denen wir wirklich berechtigte Kritik üben und äußern müssen.

Zunächst einmal zur Überführung der Sommerschule in das Regelschulwesen: Da geht es in Summe um einen zweiwöchigen Förderkurs, also um insgesamt 40 Stunden – man muss sagen: lediglich 40 Stunden –, in denen die Lücken der vergangenen Pandemie­monate, womöglich von einem ganzen Schuljahr oder noch mehr, nachgeholt werden sollen, und das noch dazu heterogen, also in ganz unterschiedlich zusammengesetzten Gruppen, in denen sich jede Schülerin, jeder Schüler einem Projekt widmen soll, das dann am Ende auch präsentiert wird.

Das klingt im ersten Moment recht fein – das muss man sagen –, aber wenn man genauer hinschaut, steht auf einem gänzlich anderen Blatt, wie das pädagogisch und didaktisch sinnvoll von den eingesetzten Lehrkräften umgesetzt werden soll. Da gibt es nun Gruppen von sechs bis 15 ganz unterschiedlichen Kindern oder Jugendlichen mit ganz unterschiedlichem Nachhol- und Förderbedarf – weil es darunter, also unter sechs Schülern, ja, wie es im Gesetzentwurf heißt, wirtschaftlich und pädagogisch nicht sinnvoll ist. Dass Kleingruppen pädagogisch nicht sinnvoll sind, wäre mir nun neu – vielleicht können Sie mir das noch genauer erklären.

Womöglich kommen die Kinder dann auch noch aus ganz unterschiedlichen Schulen, kennen einander nicht und kennen auch die Lehrkraft nicht. Bei dem einen soll es um das Sprachbewusstsein gehen, um das Lesen, um das Verfassen eines Textes womög­lich, beim Nächsten stehen im Gegensatz dazu mathematische Grundkompetenzen am Plan, zum Beispiel das Arbeiten mit geometrischen Arbeitsmitteln und vieles andere mehr.

Ganz ehrlich, meine Meinung als Pädagogin, die in der Klasse steht, aus der Praxis: Jeder, der glaubt, dass es reicht, einem Schüler, einer Schülerin in 1 Minute zu erklären, was er oder sie machen soll, und er oder sie arbeitet dann die ganze Woche hoch kon­zentriert und selbstständig daran, der hat, glaube ich, von Schule, von Unterricht und von der Praxis mit Verlaub keine Ahnung. Das mag in der Oberstufe funktionieren, in der AHS, in einer BHS, vielleicht auch in einem Hörsaal. Gerade aber Kinder aus der Primar­stufe oder auch der Sekundarstufe I, also Sechs- bis 14-Jährige, brauchen unter Umständen ein bisschen mehr Unterstützung – manche mehr, manche weniger, gar keine Frage. Ich glaube, das Thema wird so realistisch behandelt, wie das in den ver­gangenen Wochen mit den Lernpaketen der Fall war.

Das kennen wir aber auch schon aus anderen Episoden der Pandemie. Der Lehrer, die Lehrerin arbeitet ja eh schon quasi seit 21 Monaten als – ich möchte es jetzt wirklich flapsig formulieren – eierlegendes Wollmilchschwein. Er oder sie macht alles gleich­zeitig: Präsenzunterricht, Distancelearning und ein bisschen Betreuung zwischendurch. Das ist alles kein Problem, die zwei Wochen Sommerschule machen wir dann auch noch ganz nebenbei, das geht ganz locker von der Hand.

Herr Minister, ich muss nun schon sagen, ich habe den Eindruck, da wird einmal mehr die pädagogische Arbeit der Lehrkräfte in unserem Land, besonders im Bereich der Pflichtschulen, besonders im Bereich der Grundstufe I und Grundstufe II, nicht nur unter­schätzt, sondern, ich möchte sogar sagen, gering geschätzt. Aus meiner eigenen Erfah­rung fordere ich Sie auf: Versuchen Sie einmal, einer Gruppe mit 25 13- oder 14-Jäh­rigen etwas über den pythagoreischen Lehrsatz zu erzählen, dann werden Sie verste­hen, dass das oft nicht so einfach ist, wie man sich das in der Lehrpraxis vielleicht blumig vorstellt!

Dass das dann auch für Lehramtsstudierende, die ja, wie ich vernommen habe, in erster Linie eingesetzt werden sollen, unter Umständen nicht ganz so einfach sein kann, liegt auch auf der Hand, vor allen Dingen, wenn man nicht vergisst, dass in den letzten beiden Studienjahren vielfach auch die Schulpraxis ausgefallen ist oder sie nur in anderer Art und Weise hat absolviert werden können. Sie werden also in völliges Neuland geschickt, in so extrem heterogene Gruppen. Das stelle ich mir sehr, sehr schwierig vor. Überspitzt formuliert möchte ich unterstellen, dass es sich dabei eher um günstige Arbeitskräfte handeln könnte, aber das sei nun einmal dahingestellt.

Wie das mit den Schülertransporten funktionieren soll, ist mir ebenfalls ein Rätsel. Ich nehme nicht an, dass für einen oder zwei Schüler aus einer Gemeinde ein eigener Schülerbus eingerichtet werden kann, damit diesen eben dann in einer anderen Ge­meinde der Besuch der Sommerschule ermöglicht werden kann. Wir haben gehört, es soll ja auch wirtschaftlich sein. Ich glaube, wegen einem Schüler wird das für einzelne Gemeinden wahrscheinlich nicht umsetzbar sein.

Ich habe es heute schon einmal gesagt und ich wiederhole es gerne noch einmal: Ich halte die Sommerschule mit dem Konzept, wie es gegenwärtig vorgelegt wird, im We­sentlichen nur für ein Pflaster, mit dem quasi versucht wird, einen offenen Bruch zu behandeln. Es ist besser als nichts, das ist gar keine Frage, aber aus meiner Sicht ist das viel, viel zu wenig. Es wäre aus meiner Sicht wesentlich sinnvoller und vor allem nachhaltiger, die Ressourcen, die da verwendet werden, dann auch für einen modernen, zeitgemäßen, pädagogisch auch wirklich flexiblen und schulautonomen Unterricht das ganze Schuljahr über zu verwenden. Das muss in Wahrheit das Ziel sein.

Dasselbe muss ich betreffend die Möglichkeit eines Quereinstiegs in die Elementar­pädagogik feststellen. Wir haben es heute schon von Kollegin Gruber-Pruner gehört: Ja, wir brauchen dringend qualitativ bestens ausgebildetes Personal in den elementarpäda­gogischen Einrichtungen, gar keine Frage. Insofern ist das ein Puzzlestein für eine gute, moderne, finanziell wie personell sichergestellte Elementarbildung. Was damit aber kei­neswegs gelöst wird, ist die Frage einer ordentlichen Bezahlung für dieses wichtige Berufsbild. Was ich zum Beispiel oft von ElementarpädagogInnen höre, ist, dass viele Menschen glauben: Das bisschen Spielen als Kindergartentante wird ja wohl keine Hexerei sein, das kann ja eh jeder. Das ist aber ein großer, großer Irrtum. Da wird in Wahrheit die Grundlage für den weiteren Bildungsweg eines Kindes gelegt, und das ist mit sehr viel persönlichem Engagement und Aufwand verbunden. An dieser Stelle mei­nen herzlichen Dank allen Elementarpädagoginnen und -pädagogen für ihre großartige Arbeit! (Beifall bei der SPÖ.)

Es geht darum, richtige und gute Rahmenbedingungen, kleine Gruppengrößen und so weiter zu schaffen. Dafür muss gesorgt werden. Ich glaube, nordische Länder machen es uns vor. In Finnland beispielsweise haben die PädagogInnen, gerade in der Elemen­tar­bildung, einen weit höheren gesellschaftlichen Stellenwert, als das bei uns der Fall ist. Ich glaube, da gibt es ebenso noch Handlungsbedarf.

Ein kleiner Nachsatz zur digitalen Grundbildung, die da ja auch drinnen ist: Ja, natürlich sehen auch wir die Notwendigkeit gegeben, es ist gar keine Frage, dass wir Kinder und Jugendliche auf eine digitale Welt entsprechend vorbereiten müssen. Das Unterschei­den von Fakenews, die digitalen Social Skills, wenn man so möchte, der Umgang mit Cybermobbing: All das muss entsprechend vermittelt und natürlich auch entwickelt werden können.

Nun kommt aber mein kleiner Kritikpunkt: Vom Experten im Ausschuss haben wir be­stätigt bekommen, dass diese Umstellung von der unverbindlichen Übung auf einen Pflichtgegenstand auch Auswirkungen auf die Stundentafel hat. Da möchte ich Sie, Herr Minister, auf eine Besonderheit, wenn man so möchte, hinweisen, die gesetzlich, glaube ich, nicht bedacht wurde. Und zwar geht es in dem konkreten Fall um verschränkte Ganztagesschulen, die zum Beispiel bis dato keinen im Stundenplan verankerten IKT-Unterricht hatten, sondern ihn integrativ umgesetzt haben. Dadurch würde dann eine Stunde mehr für die digitale Grundbildung im Fächerkanon anfallen, und somit müsste sich aber gleichzeitig die Freizeit für die Kinder, die ihnen eigentlich zustehen würde, um eine Stunde verringern. Ich glaube, da muss man sich noch eine Lösung überlegen, dass man diesem Widerspruch entgegenwirken kann und dass den Schülern aus den ver­schränkten GTS dadurch kein Nachteil entsteht.

Abschließend darf ich noch die Industriellenvereinigung zitieren, die Mitte Dezember in einer Presseaussendung geschrieben hat, die Pandemie habe Bildungsungleichheiten ver­größert, das Leistungsniveau beeinflusst und alle Betroffenen oft an ihre Leistungsgrenze gebracht. Herr Minister, in diesem Sinne: Ich glaube, ein Pflaster wird nicht reichen. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

20.08

Präsident Dr. Peter Raggl: Zu Wort gemeldet ist Bundesrat Bernhard Hirczy. Ich erteile dieses.