10.10

Bundesrat MMag. Dr. Karl-Arthur Arlamovsky (NEOS, Wien): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die österreichische Frauenpolitik ist über lange Jahre gekennzeichnet von Stillstand, konservativen Struk­turen und Denkweisen und schlichtweg mangelndem Interesse an Veränderung. Auf Bundesebene wird Frauenpolitik als Querschnittsmaterie nur stiefmütterlich behandelt, auf Landes- und vor allem Gemeindeebene kommt es immer noch zu den abstrusesten politischen Auswüchsen wie zum Beispiel Herdprämien, die eher an die Politik von vor 100 Jahren erinnern.

Vom verfassungsrechtlich verankerten Genderbudgeting sind wir meilenweit entfernt. Im Gesundheitsbereich scheint man sich im Rahmen der Gendermedizin der Tatsache ge­rade erst bewusst zu werden, dass Frauen und Männer durchaus unterschiedliche medi­zinische Bedürfnisse haben. In Österreich verdienten Frauen im Jahr 2019 laut Eurostat im Durchschnitt immer noch um 19,9 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen, womit der sogenannte Genderpaygap in Österreich um mehr als 5 Prozent über dem EU-Durschnitt von 14,1 Prozent liegt.

Dabei zeigen Studien wie die der Agenda Austria aus 2019, dass es sich hierbei eher um einen Motherhoodpaygap als einen Genderpaygap handelt. In Österreich werden nämlich noch über 70 Prozent der unter Dreijährigen vor allem von ihren Müttern zu Hause betreut. Dieser Anteil ist im Vergleich zu Dänemark, wo es 34 Prozent sind, und zu Deutschland, wo es 35 Prozent sind, mehr als doppelt so hoch.

Sieht man sich die Erwerbsbeteiligung von Frauen in Österreich an, so zeigt sich, dass sie innerhalb der letzten zehn Jahre zwar von 65,7 auf 68,3 Prozent im Jahr 2020 ange­stiegen ist. Sieht man jedoch genauer hin, so merkt man, dass es sich dabei vor allem um Teilzeitarbeit handelt, die auf lange Sicht wiederum zu massiven Gehaltseinbußen und in letzter Folge zu Altersarmut führt. Alleinerziehende Eltern sind außerdem zu über 90 Prozent Frauen. Davon zählen gleichzeitig 31 Prozent zu den am höchsten armuts­gefährdeten Haushalten in Österreich.

Corona hat die Lage noch verschlimmert. Viele sprechen von einem feministischen Backlash. Es hat sich gezeigt, dass die Mehrbelastung durch Kinderbetreuung, Helfen bei den Hausaufgaben und den Haushalt bei gleichzeitiger Berufstätigkeit eher den Frauen beziehungsweise Müttern zugefallen ist. Dabei ist die ungleiche Verteilung unbe­zahlter Carearbeit aber nicht neu.

Starre konservative Karenzmodelle sowie mangelnde Kinderbetreuung vor allem im ländlichen Raum sind nicht nur Chancenvernichter für Frauen, sondern bremsen auch den Fortschritt. Die Regierung muss sich endlich zu einer Zeitenwende in der Frauen­politik bekennen und Familie und Beruf neu denken. (Beifall bei der SPÖ.)

Jede zweite erwerbstätige Frau in Österreich arbeitet Teilzeit, die meisten davon aber nicht, weil sie nicht Vollzeit arbeiten möchten: 70 Prozent der Frauen zwischen 30 und 44 Jahren arbeiten in Teilzeit, weil sie sich um Kinder kümmern oder Angehörige pflegen müssen. Das hat gravierende Folgen: Altersarmut, Abhängigkeiten, volkswirtschaftliche Verluste et cetera.

Die Politik muss die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen, damit das Fami­lienleben einem erfüllten Arbeitsleben nicht diametral gegenübersteht. Die Entscheidung zwischen Beruf und Familie, die Frauen täglich treffen müssen, darf es im Jahr 2022 nicht mehr geben. Karenzmodelle müssen so vielfältig und individuell sein wie die Fa­milien selbst. Die Angebote von Karenz und Kinderbetreuung dürfen nicht mehr die limi­tierenden Rahmenbedingungen dafür sein, wie sich Beruf und Alltag gestalten. Regel­mäßig stehen unflexible Karenzmodelle sowie viel zu kurze Öffnungszeiten von Kin­dergärten einer Vollzeittätigkeit beider Eltern im Weg. Das muss sich ändern.

Wir NEOS fordern daher als ersten Schritt flexiblere Regelungen für Karenzzeiten. An­sprüche müssen individuell geregelt werden, Karenzzeiten beider Elternteile sich über­lappen können, und die Zeit mit den Kindern muss unterschiedlich genutzt werden kön­nen.

Von Frauen wird immer noch erwartet, bis zu zwei Jahre in Karenz zu gehen, in dieser Zeit im Job komplett auszufallen, danach schlechtere Wiedereinstiegschancen vorzufin­den, Gehaltseinbußen zu akzeptieren und in Teilzeit zu arbeiten. Wir wollen aber einen grundlegenden Paradigmenwechsel, eine Normalisierung von Väterkarenzen, mehr Fle­xibilität im Hinblick darauf, wer wann in Karenz geht, und auch die Möglichkeit, Karenz­zeiten gleichzeitig zu nutzen.

Ebenso muss das Kinderbetreuungsgeld einfacher und einheitlicher geregelt werden. Jeder Elternteil soll einen Anspruch auf sechs bis zwölf Monate individuelles, einkom­mensabhängiges Kindergeld haben. Keine verschiedenen Finanzierungsmodelle, die für verschiedene Personen einen finanziellen Vorteil oder Nachteil in dieser Karenz bedeu­ten: Jede und jeder soll diesen Anspruch haben und selbst den Zeitraum festlegen kön­nen, in dem dieses Geld ausbezahlt wird.

Als zweiter Schritt muss die Kinderbetreuung nach der Karenz rasch und flächende­ckend ausgebaut werden. Dies betrifft vor allem den ländlichen Raum. Außerhalb der größeren Städte ist die Kinderbetreuung in Österreich immer noch komplett unzurei­chend und fernab jeglicher Lebensrealität. Dass das Barcelonaziel – ein Drittel Kinderbe­treuungsplätze für Kleinkinder – immer noch nicht erreicht ist, ist vor allem der ÖVP zu­zuschreiben. Da hat die Volkspartei in der Vergangenheit absichtlich gebremst, um ein unzeitgemäßes Frauen- und Familienbild einzuzementieren.

Mit dieser rückständigen Einstellung kommen wir nicht weiter (Beifall bei der SPÖ) – ich komme zum Schluss –, deswegen setzen wir uns für einen verbindlichen Stufenplan ein, der die Einführung eines Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuung und Elementarbildung ab dem ersten Geburtstag des Kindes zum Ziel hat. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

10.16

Vizepräsident Günther Novak: Das war der letzte Redner in der Aktuellen Stunde. Da­mit ist die Aktuelle Stunde beendet.